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Zeugnisse der Weinkultur


in Rom
Michael Matheus

2.1 Frühe Siedlungsgeschichte und Antike – 20


2.2 Konstantinische Wende – 24

Literatur – 33
20 Kapitel 2 • Zeugnisse der Weinkultur in Rom

Das bekannte Diktum »Alle Wege führen nach Es ist freilich nicht antiquarisches Interesse, das
Rom« enthält viele Bedeutungsnuancen: Es spielt die folgende notwendigerweise begrenzte und sub-
jedenfalls auch auf jene Faszination an, welche jektive Auswahl an zu besprechenden Objekten lei-
2 die Ewige Stadt mit ihren zahlreichen kulturellen tet, auch nicht die Perspektive des Bau- und Kunst-
Zeugnissen auf Generationen von Besuchern aus- historikers, des Archäologen oder Liturgiewissen-
übte und immer noch ausübt. Freilich, mit großen, schaftlers. Die behandelten Zeugnisse der Wein-
international beachteten Weinen bringt man trotz kultur werden in erster Linie in ihrem jeweiligen
des weltweit bekannten Frascati diese Stadt und ihr historischen Kontext beleuchtet, und dabei spiegeln
Umland nicht in Verbindung. Im Folgenden wird Bauphasen wichtige Etappen der Geschichte Roms
denn auch nicht von römischer Weingeschichte im und seiner jeweiligen politischen, wirtschaftlichen
engeren Sinne die Rede sein, auch wenn der Wein- und kulturellen Rahmenbedingungen. Es geht
bau innerhalb und außerhalb Roms über eine jahr- folglich in erster Linie um funktionale Zusammen-
tausendealte Tradition verfügt. Die gewählte Per- hänge, insbesondere um die Frage nach dem poli-
spektive soll im Kern aber anderes verdeutlichen. tischen und wirtschaftlichen, sozialen und religiös-
Der kulturelle Reichtum Roms hat in der Stadt und kulturellen Umfeld signifikanter Zeugnisse der
seinem Umland im Laufe der Zeit eine beeindru- Weinkultur. Es handelt sich zugleich um jene Pe-
ckende Konzentration und Fülle von Zeugnissen zu rioden, in denen Rom nicht nur ein religiöses und
Rebe und Wein entstehen lassen, die in ihrer Viel- politisches Zentrum ersten Ranges war, sondern
falt und Qualität einzigartig sein dürften. Dies hat auch eine Hochburg künstlerischer Produktion.
mit der lokalen und regionalen Weinproduktion
nur wenig zu tun. Zwei Faktoren sind gewichtiger.
In der Geschichte der Stadt gab es immer wieder 2.1 Frühe Siedlungsgeschichte und
Phasen, welche für die Errichtung großzügiger kul- Antike
tischer und profaner Bauten und ihre reiche Aus-
schmückung günstig waren. Hinzu kommt, dass es Ganz in der Nähe des goldenen Meilensteins be-
sich beim Wein nicht um irgendein Getränk han- finden sich auf dem Forum Romanum noch heute
delt. Dank seiner religiös-kultischen Bezüge sind drei alte Kulturpflanzen Latiums: ein Feigenbaum,
Rebe und Wein wichtige Bestandteile von Symbol- daneben ein Olivenbaum und ein Weinstock
und Bildsprachen, die im Rahmen griechisch-hel- (.  Abb. 2.1). Unter das Geäst des Feigenbaumes –
lenistischer, phönizisch-etruskischer, ägyptischer, so will es die Legende – schwemmten die Fluten
römischer, jüdischer und schließlich auch christ- des Tibers die Wiege von Romulus und Remus. Auf
lich geprägter Kulturen signifikante Ausdrucksfor- wundersame Weise soll er dann auf das Forum ver-
men hervorbrachten. Und auch das macht Rom zu pflanzt worden sein. Über das Alter dieser Legende
einer Wiege der Kultur: Alle angesprochenen Kulte sowie der symbolträchtigen Trias lässt sich allen-
und Kulturen sind in der Ewigen Stadt phasenwei- falls spekulieren. Diese drei Pflanzen wurden wegen
se präsent und ihre Zeugnisse teilweise bis heute ihrer Bedeutung für die Gesundheit des Menschen
erhalten. Das kosmopolitische Rom der Kaiserzeit und sein Wohlbefinden jahrhundertelang verehrt,
beispielsweise bot einer Vielzahl von Kulten Raum, und ihre Früchte zählen zu den Grundnahrungs-
bei denen Wein in den Ritualen seinen Platz hatte. mitteln nicht nur der frühen Bewohner Roms. Die
So war das Trankopfer (Libation) bei den in Rom ersten Siedler der Sieben-Hügel-Stadt gehörten
ausgeübten Kulthandlungen weit verbreitet, Trank- einer archaischen Bauern- und Viehzüchtergesell-
opferformen zählten zu den beliebten Darstellungs- schaft an. Vermutlich war für sie zunächst Milch
elementen kultischer Praktiken. Auf diese Vielfalt das wichtigste flüssige Grundnahrungsmittel, Wein
kultureller Einflüsse sei ausdrücklich verwiesen, da wurde wohl erst im 7. Jahrhundert v. Chr. zu einem
hier Zeugnisse christlicher Kultur im Vordergrund in Rom verbreiteten Getränk. Lokale Weinpro-
stehen und insofern nur ein fragmentarisches Bild duktion kann am Ende des 8. Jahrhunderts v. Chr.
skizziert werden kann. in Rom und Latium bereits eine Rolle gespielt ha-
ben. Als Weinproduzenten kommen aber wohl nur
2.1 • Frühe Siedlungsgeschichte und Antike
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. Abb. 2.1  Forum Romanum: Feigenbaum, Olivenbaum und Weinstock. Fotografie: © R. Matheus

wohlhabende Großgrundbesitzer infrage, denn Kampanien schon im 2. und 1. Jahrhundert v. Chr.


nur sie konnten den Aufwand und das Risiko der die Bewohner Roms mit Wein und Olivenöl, wur-
kapital- und arbeitskraftintensiven Weinbaukultur de mit dem Wachsen der Stadt die Nachfrage nach
tragen. Neben einheimischer Produktion spielten preiswerten Weinen größer und in den genannten
Weinimporte in phönizischen Weinamphoren eine Weinanbaugebieten die Produktion qualitätsvoller
Rolle. In aristokratischen Kreisen verbreitete sich Kreszenzen partiell auf billige Massenweine umge-
zudem bald die griechische Sitte des Symposions, stellt. Wir stehen gleichsam am Beginn einer Ent-
und in diesem Zusammenhang begegnen mit dem wicklung, die bis heute Konstanten aufweist. Im
Wein- und Mischkrug sowie den Trinkbechern unmittelbaren Umland Roms ließen reiche Aristo-
neue Gefäße. kraten auf ihren Landgütern Weingärten pflegen.
Mit der Expansion des römischen Imperiums Besonders günstig für Oliven- und Weinkulturen
wurde Rom zur Weltmetropole. Alle Versuche, die war (damals wie heute) die durch vulkanische
Einwohnerzahl zu berechnen, sind mit großen Un- Eruptionen geformte Hügel- und Kraterlandschaft
sicherheiten behaftet. Möglicherweise kann man im Südosten der Stadt, wo Archäologen eine hohe
für das augusteische Rom eine Zahl veranschla- Konzentration von Oliven- und Weinpressen nach-
gen, die der Millionengrenze nahe kommt; für die gewiesen haben.
Kaiserzeit wird man ungefähr 1  Mio. Einwohner Im spätantiken Rom existierten sowohl ein
annehmen können. Der Sog der Hauptstadt hat- eigenes Weinforum (Vinarium) als auch ein Wein-
te Folgen für Weinproduktion und Weinkonsum. hafen (Portus Vinarius), deren Lage freilich nicht
Belieferten Etrurien und Latium, die Sabina und gesichert ist. Unterhalb des Aventin wurden Am-
22 Kapitel 2 • Zeugnisse der Weinkultur in Rom

. Abb. 2.2  Eroten-Sarkophag. © Kapitolinische Museen, Centrale Montemartini, Rom

phoren ausgeladen, in der Nähe entstand aus deren waren. Die im römischen Bacchuskult praktizier-
Scherben der noch heute existierende Monte Tes- te Vermischung von Geschlechtern und sozialen
taccio. Diese Anhäufung zerbrochener Amphoren Gruppen wurde als Gefährdung der öffentlichen
für die Versorgung des kaiserzeitlichen Rom galt Ordnung zeitweilig drakonisch bekämpft, doch
im Mittelalter als Erdaufschichtung, die in signum kam der Kult nicht zum Erliegen. In der Kaiser-
universalis dominii, zum Zeichen weltumspan- zeit scheint er vor allem ehemalige Unfreie und
nender Herrschaft, aus allen Teilen der Welt hier in größerem Umfang auch Frauen angezogen zu
zusammengetragen worden sein soll. Im Mittelal- haben. Architektonisch besonders anspruchsvol-
ter war der Testaccio zudem einer jener Orte, an le und finanziell aufwendige Bauten zur Feier der
dem die teilweise grobschlächtigen Spiele des rö- orgiastischen Riten wurden jedoch nicht errichtet.
mischen Karnevals stattfanden. Der aus Ampho- Elemente des Kultes haben die europäische Kunst
renfragmenten angehäufte Berg wurde mithin zu über Jahrhunderte hinweg immer aufs Neue inspi-
einem Ort der karnevalistischen Festfreude und riert. An einem Darstellungstyp, der den Dionysos-
des Weinkonsums. Auf dem Caelius, wohl in der Bacchus als jugendlichen, bartlosen Gott darstellt,
Nähe der frühchristlichen Kirche S. Stefano Roton- orientierte sich beispielsweise Michelangelo, der
do, stiftete Kaiser Nero das Macellum Neronis be- 1496 eine Statue schuf, die von manchen Zeitge-
ziehungsweise Macellum Magnum. Zu diesem aus- nossen sogar für antik erachtet wurde.
gedehnten Lebensmittelmarkt zählte auch ein De- Weinmotive sind insbesondere auf Monumen-
likatessenmarkt, wobei der archäologische Befund ten bezeugt, die in Verbindung mit Begräbniskult
den Schluss gestattet, dass ein Teil des Areals dem und Ahnenpflege entstanden. Mit der Hinwendung
Verkauf von Weinen aus dem syrisch-palästinensi- zur Leichenbestattung seit dem 2. Jahrhundert
schen und ägäischen Raum diente. Auf Weinpro- n. Chr. hängt unter anderem die Sitte der Aufstel-
duktion und Weinkonsum Bezug nehmende Dar- lung von prachtvollen Sarkophagen zusammen,
stellungen aus antiker Zeit sind in großer Zahl in die zugleich auch die soziale Stellung des jeweili-
den Museen Roms, aber auch in freier Landschaft gen Toten unterstreichen sollten. Seit der Mitte des
erhalten; für den interessierten Rombesucher gibt 2. Jahrhunderts finden sich sowohl auf Sarkophag-
es hier viel zu entdecken. kästen als auch auf Deckeln Darstellungen der
Im Rahmen des in Rom bezeugten griechischen Weinlese. Bei den Figuren handelt es sich oft um
Dionysoskultes – bei den Römern wurde Dionysos Eroten, an deren Stelle aber auch Satyrn (Begleiter
als Bacchus adaptiert – wurde dieser Gott des Wei- des Dionysos-Bacchus), Knaben oder Landsleute
nes und der Fruchtbarkeit in nächtlichen Feiern treten können. Ein in den Kapitolinischen Museen
verehrt, zu denen Frauen und Männer zugelassen in Rom aufbewahrter Sarkophag, der aus der Zeit
2.1 • Frühe Siedlungsgeschichte und Antike
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. Abb. 2.3  Eroten-Sarkophag. © Kapitolinische Museen, Centrale Montemartini, Rom

um 290/300 stammen könnte, zeigt auf der einen Es handelt sich um eine eindrucksvolle Serie
Hälfte Eroten bei der Weinlese in einem Garten von Grabhäusern, welche die seit augusteischer
mit Bäumen, an denen sich die Reben hochwinden, Zeit üblich werdenden Begräbnissitten anschau-
eine in Italien verbreitete Reberziehungsart, auf der lich vor Augen führen. Einzeln stehende, mächti-
anderen Seite Eroten bei der Kelter. (. Abb. 2.2 und ge Grabmonumente – wie sie von reichen Römern
. Abb. 2.3) oft zuvor errichtet wurden – finden sich hier nicht
Die beste Vorstellung über römische Sepulkral- mehr. Die Grundstücke wurden knapp, ihre Preise
kultur in der mittleren Kaiserzeit vermittelt die stiegen. Nun wurde die frühere großzügige Viel-
vatikanische Nekropole, welche die seit 1940 vom falt von Grabformen normiert und die Grabhäuser
Prälaten Ludwig Kaas und anschließend vom Je- gleichsam in der Form von »Reihenhausarchitek-
suiten Engelbert Kirschbaum geleiteten Grabungen tur« errichtet. Derartige Mausoleen waren wichtige
zutage förderten. Von dieser im Bereich des Zirkus Bezugspunkte für die jeweilige Familie als Ort des
des Nero entstandenen Nekropole wurden 22 Mau- Totengedenkens und regelmäßiger Gedächtnis-
soleen freigelegt. Unmittelbar unter der Stelle, über feiern, bei denen Wein nicht fehlen durfte. In sol-
der sich der Papstaltar erhebt, ließ die christliche chen Familiengräbern ließen sich Wohlhabende in
Gemeinde Roms im 2. Jahrhundert n. Chr. ein be- prächtigen Sarkophagen bestatten, die man gewis-
scheidenes Denkmal errichten, das der Verehrung sermaßen per Katalog bestellen konnte. Das Innere
des Apostelfürsten Petrus diente. Ob sich hier auch der Gräber wurde zudem kostbar ausgeschmückt,
das Petrusgrab befand, ist archäologisch nicht zu mit Stuckverzierungen, Gemälden und Mosaiken.
entscheiden. Aber schon die nachgewiesene Tra- Eines dieser Mausoleen, das von den Ausgräbern
dition der Verehrung ist bemerkenswert und ein- mit dem Buchstaben M bezeichnet beziehungswei-
drucksvoll genug. Kaiser Konstantin der Große war se (in Anspielung an eine Inschrift) als Grabhaus
jedenfalls von der Existenz des Grabes überzeugt. der Julier benannt wurde, ist in unserem Kontext
Denn hier ließ er Alt-St.-Peter errichten, jene Kir- von besonderem Interesse. Es ist das einzige der
che, die mit 123 m Länge, 66 m Breite (einschließ- Nekropole, so weit sie ergraben wurde, dessen Aus-
lich der Seitenschiffe) und dem 90 m breiten Quer- schmückung mit christlichen Bildgehalten in Ver-
haus enorme Dimensionen aufwies. Zugunsten der bindung gebracht werden kann. In der Nähe jener
Basilika wurde die Nekropole aufgelassen und ver- Stelle, die als Ort des Petrusgrabes verehrt wurde,
füllt. Da das Gelände im Süden abfiel, mussten bis hat man wohl Anfang des 4. Jahrhunderts das Ge-
zu 10  m hohe Stützmauern errichtet werden, um wölbe der Grabkammer mit Mosaiken ausgestaltet,
durch Aufschüttungen der Basilika eine Plattform auf denen zwischen elegantem Weinrankenwerk
zu bieten. Christus als Sol-Helios im Sonnenwagen dargestellt
24 Kapitel 2 • Zeugnisse der Weinkultur in Rom

. Abb. 2.4  Mosaik im Mausoleum der Constantina.


Fotografie © Achim Arbeiter

ist, der mit einer von weißen Pferden gezogenen


Quadriga gen Himmel fährt, während am unteren
Rand Szenen der Jonasgeschichte dargestellt sind.
. Abb. 2.5  Mosaik im Mausoleum der Constantina.
Fotografie © Achim Arbeiter

2.2 Konstantinische Wende ließen nicht nur große, dem Gemeindegottesdienst


dienende Kirchen errichten, sondern zudem außer-
Mit Kaiser Konstantin, der an der Milvischen Brü- halb der aurelianischen Mauern über den Gräbern
cke bei Rom seinen Gegner Maxentius im Zeichen der Märtyrer Coemeterialbasiliken, während in an-
des Kreuzes besiegte, wurde die bis dahin eher grenzenden Mausoleen Tote der kaiserlichen Fami-
unbedeutende christliche Kirche in Rom und im lie ihre letzte Ruhestätte fanden. So ließ Konstantins
Reich zu einem wichtigen Machtfaktor. Der sieg- Tochter, Constantina, auf ihren Besitzungen an der
reiche Kaiser stellte der christlichen Gemeinde Via Nomentana eine eindrucksvolle basilikale An-
Roms ausgedehnte Besitzungen zur Verfügung. Er lage beim Grab der Märtyrerin Agnese errichten,
ließ nun über bestehende christliche »Gemeinde- von der Reste erhalten sind. In unmittelbarer Nähe
zentren« hinaus in seinem Reich, und nicht zuletzt dieser Kirche wurde für sie ein außen schlichtes,
in Rom, kirchliche Großbauten errichten, allen innen aber prachtvoll ausgestattetes Mausoleum er-
voran die beiden Basiliken des Lateran, die Kirche richtet. Solche Bauten wurden unter anderem mit
des Bischofs von Rom und jene Basilika über dem großflächigen Mosaiken ausgestattet, die ältesten
Grab des Apostelfürsten Petrus Alt-St.-Peter. Wäh- von ihnen finden sich in S. Costanza.
rend die Auftraggeber heidnischer Tempel auf de- Einige dieser kostspieligen Mosaiken von
ren Außenwirkung achteten, orientierten sich die höchstem künstlerischem Niveau sind im Gewölbe
christlichen Basiliken an dem multifunktionalen des Umgangs erhalten (. Abb. 2.4 und . Abb. 2.5).
Bautyp der Basilika. Die großen, meist mehrschiffi- Die übrigen sind aus späteren Bildquellen teilweise
gen Basiliken, die für Gottesdienste viele Menschen bekannt. Die noch erhaltenen Mosaiken lassen das
aufnehmen sollten, waren vom Äußeren schlicht Weiterleben antiker Weinsymbolik gut erkennen,
gehalten, im Inneren aber wurden sie prachtvoll etwa in Gestalt höchst qualitätsvoller Weinranken
ausgestaltet. Kaiser Konstantin und seine Familie und Szenen der Weinernte. Die dionysische Ikono-
2.2 • Konstantinische Wende
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. Abb. 2.6  Constantinas Sarg, Vatikanische Museen. Fotografie © Musei Vaticani

grafie blieb weitgehend unbehelligt, Darstellungen enthält vor allem Zentralbauten, für welche die
der Weinlese wurden nun christlich umgedeutet. Renaissancearchitektur ein besonderes Interesse
Auch der für die kaiserliche Prinzessin geschaffene entwickelte. Unter ihnen ist auch eine wenig später
(heute in den Vatikanischen Museen befindliche) gedruckte Innensicht von S. Costanza überliefert,
Porphyrsarkophag – Porphyr, der Stein der kaiser- welche die ehemalige Pracht der Ausstattung recht
lichen Familie – zeigt Putten bei der Weinernte und gut vermittelt, nicht zuletzt den reichen Weinran-
ist antikem Bildschmuck verpflichtet (.  Abb. 2.6). kenschmuck. Mit welchen Deutungen die ehema-
Die Weinmosaiken von S. Costanza stießen immer lige Grabkirche nicht zuletzt wegen der Weinran-
wieder auf Interesse. Die im Zeitalter von Huma- kenmotive besetzt werden konnte, lässt noch ein
nismus und Renaissance bewusstere Antiken- 1833 gedrucktes deutschsprachiges Handbuch für
wahrnehmung, wie sie sich etwa in den Libri di Reisende in Italien erkennen. Man hält – so erfährt
disegni der Renaissance niederschlug, wählte ganz der Leser – die Kirche »für einen Bacchustempel«
bestimmte antike Monumente. Eine dieser Samm- (Neigebaur 1933, S. 265).
lungen, in diesem Fall die des Francisco de Hollan- Im Jahre 326 brach Konstantin mit dem rö-
da, der sich von 1538 bis 1540/41 in Rom aufhielt, mischen Senat, er verließ Rom und gründete mit
26 Kapitel 2 • Zeugnisse der Weinkultur in Rom

Konstantinopel eine neue Hauptstadt im Osten. städtische Substrat konnte nicht mehr ausgefüllt
In Rom entstand ein Machtvakuum, das seit dem werden. Im Mittelalter siedelten die Römer vor-
frühen 5. Jahrhundert zumindest partiell von der nehmlich im Tiberbogen, in Trastevere sowie im
2 christlichen Kirche gefüllt wurde, die sich endgül- vatikanischen Borgo, weite Flächen der antiken
tig gegenüber den Anhängern heidnischer Kulte Siedlung waren aufgegeben, innerhalb der aurelia-
durchsetzen konnte. Die Bischöfe von Rom und nischen Mauer des 3. Jahrhunderts n. Chr. wurden
ranghohe Gemeindemitglieder hatten schon im zwischen Ruinen auch Weinreben angepflanzt. Als
4. Jahrhundert begonnen, große Kirchenbauten er- im 8. Jahrhundert die Langobarden die römischen
richten oder bestehende umbauen zu lassen, doch Päpste bedrohten, schlossen diese jenes folgenrei-
blieben auch antike Traditionen lebendig; noch war che Bündnis mit den fränkischen Königen, die zur
Rom erst auf dem Weg, in Kult und Baugestalt zu neuen Schutzmacht avancieren sollten. Vor und
einer christlichen Stadt zu werden. Nach der Plün- nach der Kaiserkrönung Karls des Großen im Jahre
derung Roms durch die Truppen Alarichs im Jahre 800 und der Begründung des westlichen, des latei-
410 waren es tatkräftige Päpste wie Leo der Große, nischen Kaisertums entfaltete sich unter den Päps-
die nun – angesichts der offenkundigen Unfähig- ten Hadrian I. (772–795) und Leo III. (795–816)
keit der Kaiser von Konstantinopel, Rom zu schüt- eine rege Bautätigkeit. Im Folgenden muss freilich
zen – unter dem Schutz der Apostelfürsten Petrus noch selektiver vorgegangen werden, und es müs-
und Paulus ein neues christliches Rom gestalten sen viele weinkulturell interessante Zeugnisse un-
wollten, dabei aber bewusst auf klassische Tradi- beachtet bleiben.
tionen zurückgriffen. Der diesen Anspruch am Mit der Kaiserkrönung Ottos des Großen in
eindrucksvollsten verkörpernde Bau ist S. Maria Rom im Jahre 962 wurde die jahrhundertelang
Maggiore, die älteste Marienkirche Roms und der wirksame Verbindung zwischen dem Heiligen Rö-
anspruchsvollste Kirchenbau des 5. Jahrhunderts. mischen Reich und dem Papst in Rom eingeleitet.
Hier interessiert eines der spätantiken Traditionen Als im 11. Jahrhundert der Salier Heinrich III. in
verpflichteten impressionistisch gestalteten Mosai- die Wirren um den von mehreren Kandidaten be-
ken, die »zu den großen Zeugnissen der christlichen anspruchten Stuhl Petris eingriff, legte er zugleich
Antike« zählen (Krautheimer 2004, S. 59). Unter die Grundlagen für das erstarkende Reformpapst-
den Szenen aus dem Alten Testament zeigt auf der tum. Es kam zum Investiturstreit, dem jahrzehn-
Grundlage von Gen 14,14–20 eines die Begegnung telangen Ringen zwischen der weltlichen und der
Abrahams und Melchisedechs. Abraham, hier als geistlichen Gewalt, zum Gang Heinrichs IV. nach
älterer weißhaariger berittener Krieger dargestellt, Canossa. Im Wormser Konkordat des Jahres 1122
wird nach der Rückkehr aus siegreicher Schlacht wurde der Streit vorläufig beigelegt. Die Nachfol-
vom Priesterkönig von Salem, Melchisedech eben, ger Petris auf dessen Stuhl in Rom fühlten sich als
der als Vorbote des Hohenpriesters Christus galt, Sieger. Wenige Jahrzehnte zuvor hatten die Päpste
gesegnet. Dabei werden ihm Brot und Wein dar- zum Kreuzzug aufgerufen, im Jahr 1099 gelang die
gebracht. Dieses Bildmotiv wurde wohl bewusst in Eroberung Jerusalems.
Altarnähe angebracht, die Gaben Melchisedechs Waren der Bau und die Dekoration von Kirchen
dürften als Vorbild zur Eucharistie gedeutet und um 850 in der Ewigen Stadt nahezu zum Erliegen
dargestellt worden sein. gekommen, so erlebte Rom seit dem ausgehenden
Mit dem endgültigen Untergang des Römi- 11. Jahrhundert eine regelrechte Welle großer mäch-
schen Reiches wurde die römische Kirche zur einzi- tiger Kirchenbauten: S. Clemente und S. Crisogo-
gen Institution, die mehr oder weniger wirksam die no, S. Maria in Trastevere und SS. Quatro Coronati,
Baugestalt der Stadt bewahren und zeitweilig auch um nur einige der wichtigsten zu nennen. Das im
prägen konnte. Neben ihren religiösen Funktio- 12. Jahrhundert (vielleicht nach älteren Vorlagen)
nen wuchsen dem Bischof von Rom immer mehr geschaffene Apsismosaik in S. Clemente stellt zwei-
weltliche Aufgaben zu; die Herrschaft des oströmi- fellos einen der Höhepunkte römischer Mosaik-
schen Kaisers wurde nur noch nominell ausgeübt. kunst im hohen Mittelalter dar. Wer das die gesam-
Freilich, der Substanzverlust war groß, das antike te Schale der Apsiswölbung füllende prachtvolle
2.2 • Konstantinische Wende
27 2
Mosaik auf Goldgrund in Augenschein nimmt,
erkennt unter anderem zwei stilisierte Ranken, die
aus den Blättern eines Akanthusbusches erwach-
sen, in dem ein mächtiges Kreuz steht. Eine der
beiden unterhalb des Bodenstreifens angebrachten
Inschriften besagt, die Kirche Christi gleiche einem
Weinstock, der im Gesetz vertrockne, der aber dank
des Kreuzes zu neuem Wachstum finde (»Ecclesiam
Christi viti similabimus isti quam lex arentem, set
(sed) Crus (Crux) facit virentem«). Offenkundig
wurden die sich auf jeder Hälfte der Schale in fünf
mal fünf Spiralen über die Fläche ausbreitenden
Akanthusranken als Reben eines Weinstocks inter-
pretiert. Es handelt sich um eine biblisch fundier-
te alte Vorstellung (Parabel vom Weinstock und
seinen Reben, Joh 15,1–8), der zufolge der Wein-
stock für die durch die Taufe ihrer Mitglieder sich
konstituierende christliche Kirche steht. Zwischen
den spiralförmigen Ranken und am unteren Rande
des Mosaiks werden, vielleicht unter dem Einfluss
antiker Bilderwelten, gleichsam »Gartenszenarien«
dargestellt. Eroten betreiben Jagd und Fischfang,
dargestellt sind Szenen aus dem Landleben, Rehe
sowie eine ganze Reihe von Vogelarten.
Während des Ringens zwischen Kaiser und
Papst erstarkte mit der Kommune eine neue poli- . Abb. 2.7  Weinmaß Brancaleones.
tische Kraft. Andernorts begann kommunales Fotografie © Sybille Ebert-Schifferer
Streben nach Autonomie schon früher, in Rom
erfuhren solche Versuche angesichts päpstlicher anderem zu einer überlegten Spolienverwendung,
und kaiserlicher sowie baronaler konkurrieren- wobei antike Stücke zugleich politisch instrumen-
der Ansprüche eine ganz spezifische Qualität und talisiert wurden. So hat die römische Kommune
Färbung. Als die Vertreter führender Familien der ein Korn-, ein Öl- und eben auch ein Weinmaß ge-
Stadt im Jahre 1143 auf dem Kapitol einen Senat be- schaffen – wichtige Instrumente zur Kontrolle des
gründeten, bedienten sie sich sowohl alter repub- wirtschaftlichen Lebens und zugleich Demonstra-
likanischer als auch imperialer Traditionen. Aufs tionsobjekte gegenüber päpstlichen Ansprüchen.
Ganze gesehen gelang es der römischen Kommune Unter Brancaleone di Andalò wurde eine antike
nur phasenweise, sich Spielräume gegenüber Papst Säulentrommel zu einem Weinmaß, einem »Con-
und baronalem römischem Adel zu schaffen und gium Vini« mit drei Löwenköpfen umgearbeitet
diese auch auszufüllen. Ein beachtliches Maß an (.  Abb.  2.7). Man legte offenkundig Wert darauf,
Autonomie errang im 13. Jahrhundert der aus Bo- dass die antike Säulenkannelierung erkennbar war.
logna berufene durchsetzungsfähige Capitano del Nicht nur in diesem Fall fällt neben dem Rückgriff
Popolo Brancaleone di Andalò, unter dessen Regi- auf antike Relikte das Symbol des Löwen ins Auge,
ment der Machtanspruch der römischen Kommune lange Zeit ein Wahrzeichen des kommunalen Rom.
in Teilen Latiums geltend gemacht werden konnte. Vermutlich stammt ein weiteres erhaltenes Wein-
Beim Versuch, unter Rückgriff auf die Antike die maß, das ein Caetani-Wappen trägt, aus der Zeit
Autonomie des kommunalen Rom zu untermau- von Papst Bonifaz VIII. (1294–1303) (.  Abb.  2.8).
ern und zu stärken, kam es in Rom im Bewusst- Hier fehlt jegliche Antikenreminiszenz kommuna-
sein der glanzvollen antiken Vergangenheit unter ler Prägung. Herstellung und Präsentation solcher
Eichmaße verkörpern folglich im Spannungsver-
28 Kapitel 2 • Zeugnisse der Weinkultur in Rom

16. Jahrhundert lang bot sich den Besuchern das


grandiose Schauspiel von noch stehenden Ruinen
und in Phasen betriebenem gigantischem Neubau.
2 Die solcherart ins Werk gesetzte Demonstra-
tion des päpstlichen Primats, die sogar ihre antiken
Grundlagen zu verschütten bereit war, hatte freilich
Folgen. Wurden Macht und Pracht der Kirche und
ihres obersten Repräsentanten betont, so blieb das
jahrzehntelang formulierte Ziel einer tief greifen-
den Reform der Kirche größtenteils auf der Strecke.
Der gigantische Bau von Neu-St. Peter stieß nicht
nur bei vielen auf Kritik, auch seine Finanzierung
war ein dorniges Problem, das man mit einem in-
tensivierten Ablassgeschäft zu lösen versuchte. Das
provozierte die Reformen einklagende Kritik eines
Martin Luther. Der Bau von St. Peter wurde somit
buchstäblich zum Paradox. Das Gebäude, das auf
einzigartige Weise den universalen Primat der Kir-
che Christi zum Ausdruck bringen sollte, geriet
seinerseits zum Spaltpilz. Die lateinische Christen-
heit zerfiel in Lager, die sich zwar nicht von heute
auf morgen, aber eben doch nach und nach im-
mer deutlicher gegeneinander abgrenzten und sich
schließlich feindlich gegenüberstanden. Nicht nur
Neu-St. Peter, auch der päpstliche Palast wurde
. Abb. 2.8  Weinmaß Bonifaz’ VIII. mit hochrangigen Kunstwerken, unter ihnen auch
Fotografie © Sybille Ebert-Schifferer
Zeugnissen der Weinkultur ausgeschmückt. Ein
Beispiel mag dies illustrieren.
hältnis zwischen päpstlichem Lateran und kom- Michelangelo, neben Raphael das Künstlerge-
munalem Kapitol den Herrschaftsanspruch über nie, das unsere Vorstellungen von der Malerei der
die Stadt Rom. römischen Hochrenaissance prägt, hat bei der Aus-
Nach der Rückkehr der Päpste aus Avignon wer- mahlung der päpstlichen Palastkapelle, der Sixtina,
den im 15. Jahrhundert noch bestehende kommu- in deren Gewölbe mit dem trunkenen Noah ein oft
nale Zuständigkeiten beschnitten beziehungsweise dargestelltes biblisch fundiertes Motiv aufgegriffen
ausgehöhlt; Papst und Kardinäle bauen Rom zur (.  Abb. 2.10). In den Texten des Alten Testaments
Residenzstadt um. Es entstehen in den folgenden wird Noah als Winzer beschrieben und damit
Jahrhunderten Meisterwerke der Kunst der Renais- gewissermaßen zum ersten Winzer des jüdisch-
sance und des Barock, darunter auch hochwertige christlichen Kulturkreises. Er hatte schon vor der
Zeugnisse der Weinkultur. Ohne den päpstlichen Sintflut den Weinbau gepflegt. Nach der Landung
Hof als Kristallisationspunkt wären sie nicht vor- der Arche begründete er ihn gleichsam neu, indem
stellbar. Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts, seit dem er eine Weinrebe pflanzte und den Wein ausbaute
Humanistenpapst Nikolaus V., verlagert sich das (Gen 9,20). Noah hatte sich freilich auch am Wein
politische und kultische Zentrum endgültig vom berauscht, mit bösen Folgen für seinen Enkel Ka-
Lateran zum Vatikan, zu St. Peter. Schon Nikolaus V. naan (.  Abb.  2.9). Die Aufsehen erregenden Rei-
hatte über einen Neubau der Petersbasilika nach- nigungen der Fresken Michelangelos (1980–1994)
gedacht, Sixtus IV. zögerte noch, die alten Gemäuer haben die Wahrnehmung seiner Werke verändert
niederreißen zu lassen. Der zweite Roverepapst, und insbesondere seinen Rang als Maler einer vir-
Julius II., machte dann Ernst, die ehrwürdige Ba- tuosen Farbigkeit deutlich werden lassen.
silika Konstantins wurde abgerissen. Das gesamte
http://www.springer.com/978-3-8274-2886-8

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