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Volkswirtschaft Spezial
Wie nah sind die USA bereits an der Deflation?
Alternative Maße der trendmäßigen Inflation

Nr. 11/2010 - 23. September 2010 Makro Research

Überblick

Wie nah sind die USA bereits an der Deflation?

‡ In ihrem jüngsten Statement hat die Fed zu erkennen gegeben, dass sie die „zugrundeliegende Inflation“ als zu
niedrig empfindet. Sie bezieht sich dabei vor allem auf statistische Konzepte wie Trimmed Mean und Weighted Me-
dian. Diese waren in der Vergangenheit mindestens ebenso erfolgreich bei der Messung der trendmäßigen Inflation
in den USA wie der Verbraucherpreisindex ohne Lebensmittel und Energie. Am aktuellen Rand deuten sie auf eine
stärkere Verlangsamung des Preisauftriebs hin als die im herkömmlichen Sinne definierte Kerninflation.

‡ Es gab schon zuvor Hinweise darauf, dass die Fed diesen statistischen Maßen der trendmäßigen Inflation eine zu-
nehmende Aufmerksamkeit schenkt. Zwar gehen wir nicht davon aus, dass Trimmed Mean und Weighted Median
den Verbraucherpreisindex ohne Lebensmittel und Energie vollständig verdrängen werden. Dennoch halten wir es
für wichtig, diese Indikatoren in den kommenden Monaten weiter zu beobachten. Sie könnten gegebenenfalls ein
frühes Warnsignal für eine deflationäre Entwicklung und eine weitere Lockerung der Geldpolitik liefern.

Abb. 1 Alternative Maße der trendmäßigen Inflation


%
Core CPI
6
Trimmed Mean
5
Weighted Median
4

0
1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010

Quellen: Bureau of Labor Statistics, Federal Reserve Bank of Cleveland, DekaBank

Autor

Kristian Tödtmann
Tel.: (069) 71 47 - 37 60
kristian.toedtmann@deka.de

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1. Fed beobachtet Deflationsrisiken wichtig ist und welche Unzulänglichkeiten der Verbrau-
cherpreisindex ohne Lebensmittel und Energie in dieser
In seiner viel beachteten Rede in Jackson Hole bezeich- Hinsicht besitzt. Wir stellen die alternativen Konzepte
nete Fed-Chairman Bernanke Ende August die akuten der „underlying inflation“ vor und überprüfen, welcher
Deflationsrisiken als gering. Der Preisauftrieb habe sich Indikator die trendmäßige Inflation in der Vergangen-
zwar verlangsamt, liege bislang aber nur knapp unter- heit am besten widergespiegelt hat. Hierauf aufbauend
halb des Niveaus, das die Mitglieder des FOMC als op- vergleichen wir die Aussagen des Verbraucherpreisindex
timal erachten. Es sei wahrscheinlich, dass die Inflation ohne Lebensmittel und Energie, des Trimmed Mean und
noch eine Weile niedrig bleiben und dann allmählich des Weighted Median am aktuellen Rand. Wir kommen
wieder zunehmen werde. Sollten sich die Dinge jedoch dabei zu dem Schluss, dass sich der Preisauftrieb bereits
anders entwickeln, würde die Fed daraus erhebliche in einem stärkeren Ausmaß verlangsamt hat, als es die
Konsequenzen ziehen. Bernanke nannte Deflation als im traditionellen Sinne definierte Kerninflation zum Aus-
einen von zwei möglichen Gründen für eine erneute Lo- druck bringt.
ckerung der Geldpolitik.1
2. Kerninflation und Geldpolitik
Auch wir betrachten Deflationsgefahren als vorhanden,
aber noch nicht als übermäßig groß. Gleichwohl dürfte Der Begriff Kerninflation wird häufig gleichgesetzt mit
die Entwicklung dieses Risikos und vor allem seine Ein- der Entwicklung des Verbraucherpreisindex unter Aus-
schätzung durch die Fed für längere Zeit eine wichtige schluss von Lebensmitteln und Energie. Der hohe Stel-
Determinante der Geldpolitik bleiben. Vor diesem Hin- lenwert, den die Fed dieser Größe einräumt, ist dabei
tergrund möchten wir auf eine Änderung im Sprach- kein Selbstzweck. Selbstverständlich ist auch den No-
gebrauch der Fed hinweisen, die Aufschluss darüber tenbankern bewusst, dass Haushalte sowohl Lebensmit-
gibt, auf welche Weise sie das aktuelle Inflationsge- tel als auch Benzin, Erdgas, Heizöl und Elektrizität benö-
schehen beurteilt. Bis ins Frühjahr 2008 verwendete die tigen, und dass ein Warenkorb, der diese Komponenten
Fed in ihren Statements regelmäßig den Begriff „core ausklammert, die Entwicklung der von den Konsumen-
inflation“ und meinte damit ein Inflationsmaß unter ten gezahlten Preise nicht immer richtig widerspiegelt.
Ausschluss von Lebensmitteln und Energie. Im Juni 2010 Dementsprechend formulieren nahezu alle Notebanken
sprach sie erstmals nicht von „core inflation“, sondern ihre Inflationsziele in Bezug auf einen allumfassenden
von „underlying inflation“. Anschließend ging sie im Preisindex.2
August zum Plural „measures of underlying inflation“
über, d.h. die Fed verwendet nicht nur einen, sondern
mehrere Indikatoren. In den Minutes der FOMC-
Meetings im April und Juni dieses Jahres wurden von 2
einigen Notenbankern alternative Konzepte zur Mes- Die Fed verwendet zu diesem Zweck nicht den
Verbraucherpreisindex, sondern den Deflator der priva-
sung der trendmäßigen Inflation, wie Trimmed Mean
ten Konsumausgaben. Dieser PCE-Deflator unterschei-
und Weighted Median, erwähnt. Im Statement zum det sich in zweierlei Hinsicht vom Verbraucherpreisin-
Zinsentscheid am 21. September sagte die Fed erstmals, dex. Zum einen ist er breiter definiert und enthält neben
dass sie die zugrundeliegende Inflation als zu niedrig den Ausgaben der privaten Haushalte insbesondere
empfindet. auch die von Sozialversicherungsträgern, die in der
volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung dem privaten
Konsum zugeordnet werden. Zum anderen basiert er
Im Folgenden erläutern wir, warum ein zuverlässiges
anders als der Verbraucherpreisindex auf variablen Ge-
Maß der trendmäßigen Inflation für die Geldpolitik so wichten, die Monat für Monat das tatsächliche Ausga-
beverhalten der privaten Haushalte widerspiegeln. Er ist
damit besser in der Lage abzubilden, dass Konsumenten
bei einer Änderung relativer Preise die teurer geworde-
nen Güter durch billigere ersetzen. Die starren Gewichte
1
Siehe Bernanke, Ben S.: The Economic Outlook and im Verbraucherpreisindex lassen derartige Substitutions-
Monetary Policy, Rede beim Federal Reserve Bank of effekte nicht zu und führen daher zu einer systemati-
Kansas City Economic Symposium, Jackson Hole, Wyo- schen Überschätzung des Anstiegs der Lebenshaltungs-
ming, 27. August 2010. Außer in Deflation würde Ber- kosten. Dies ist der entscheidende Grund für die Fed,
nanke auch in einer zu schwachen wirtschaftlichen Er- den PCE-Deflator dem Verbraucherpreisindex vorzuzie-
holung eine Rechtfertigung für weitere monetäre Stimu- hen. Wie die Minutes der Fed-Zinsentscheide regelmä-
li sehen. ßig zeigen, bevorzugt eine Mehrheit der FOMC-

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Dennoch lässt sich eine starke Orientierung einer Zent- Trotz dieser überzeugenden Argumente für eine starke
ralbank an der Kerninflation leicht rechtfertigen.3 Die Rolle der Kerninflation im geldpolitischen Entschei-
Geldpolitik beeinflusst die Inflation nur mit einer größe- dungsprozess bleibt die Frage, ob der Verbraucherpreis-
ren zeitlichen Verzögerung. Dementsprechend müssen index ohne Lebensmittel und Energie das beste Konzept
geldpolitische Entscheidungen auf Basis mittelfristiger darstellt, um den zugrundeliegenden Trend der Inflation
Inflationsprognosen getroffen werden. Die zukünftige zu messen. In der Tat ist in den USA nur ein Teil der
Inflation steht dabei durchaus in einem Zusammenhang Verbraucherpreise von Lebensmitteln überdurchschnitt-
mit der aktuellen. Bei der Analyse neu eintreffender lich volatil. So entfällt knapp die Hälfte der in den
Preisdaten kommt es deshalb darauf an, temporäre und Verbraucherpreisindex einfließenden Lebensmittelpreise
länger anhaltende Entwicklungen voneinander zu tren- auf die Komponente „food away from home“. Hierbei
nen und so den zugrunde liegenden Trend der Inflation handelt es sich in erster Linie um Restaurantbesuche,
zu identifizieren. Der Verbraucherpreisindex ohne Le- deren Preise sich im Zeitablauf sogar außergewöhnlich
bensmittel und Energie und andere, alternative Maße stetig entwickeln. Von daher fehlt eine sachliche Be-
der Kerninflation versuchen genau dies, indem sie die gründung, aus einem Maß für die trendmäßige Inflation
Entwicklung bestimmter, als besonders volatil erachteter gerade diese Preise auszuschließen. Umgekehrt enthält
Preise systematisch ausklammern. der Verbraucherpreisindex ohne Lebensmittel und Ener-
gie durchaus einige Komponenten mit einer sehr hohen
3. Verschiedene Konzepte der Kern- Volatilität. Zu nennen ist hier vor allem „public transpor-
inflation tation“, da insbesondere die Preise von Flugtickets einen
starken Zusammenhang zu den Energiekosten aufwei-
Die Verwendung des Verbraucherpreisindex unter Aus- sen. Auch die Preise von Bekleidungsartikeln können
schluss von Lebensmitteln und Energie als Maß für den von Monat zu Monat erheblich schwanken.
zugrundeliegenden Trend der Inflation beruht auf der
Vorstellung, dass gerade diese beiden Komponenten Die dem Verbraucherpreisindex ohne Lebensmittel und
von einer besonders hohen Volatilität gekennzeichnet Energie zugrundeliegende a priori Vorstellung, die Preise
sind. Dies ist nicht ganz aus der Luft gegriffen, denn von Lebensmitteln und Energiegütern seien größeren
Angebotsschocks auf Rohstoffmärkten können tatsäch- temporären Störungen unterworfen als andere Preise,
lich zu vorübergehenden, aber sehr großen Schwan- scheint somit nicht zutreffend. Zudem kann sich die Ei-
kungen der Verbraucherpreise von Energiegütern oder genschaft der relativen Volatilität von Preisen im Zeitab-
Lebensmitteln führen. Mishkin argumentiert, dass eine lauf ändern. Eine Möglichkeit, hierauf zu reagieren, wä-
übertriebene Reaktion der Zentralbank auf derartige re, die Verbraucherpreise Monat für Monat von solchen
Änderungen relativer Preise zu einer unerwünschten Vo- Entwicklungen zu bereinigen, die man als „Ausreißer“
latilität nicht nur der Leitzinsen, sondern auch der Be- einstuft. Dies würde allerdings eine erhebliche Portion
schäftigung und sogar der trendmäßigen Inflation füh- an Subjektivität in die Inflationsanalyse bringen. Klam-
ren würde.4 Eine Zentralbank solle deshalb vor allem auf mert man aus dem Verbraucherpreisindex z.B. nicht Le-
bensmittel und Energie aus, sondern Energie, Ge-
die Kerninflation achten, solange die Inflationserwar-
brauchtwagen, öffentliche Verkehrsmittel und Tabak,
tungen der Öffentlichkeit gut verankert bleiben.
käme man zu dem beängstigenden Ergebnis, dass die
Kerninflation derzeit kaum noch über Null liegt.

Mitglieder einen jährlichen Anstieg des PCE-Deflators Statistische Maße der zugrunde liegenden Inflation ver-
um 1,7 % bis 2,0 %. Dies wäre langfristig mit einer um suchen dieses Verfahren objektiver zu gestalten. Zum
wenige Zehntelprozentpunkte höheren Inflationsrate Beispiel basiert der von der Federal Reserve Bank of Cle-
gemessen am Verbraucherpreisindex verbunden. veland berechnete Trimmed Mean darauf, die Preisstei-
3
Siehe hierzu Bernanke, Ben S.: Outstanding Issues in gerungsraten sämtlicher Komponenten des Verbrau-
the Analysis of Inflation, Rede bei der Federal Reserve cherpreisindex der Größe nach zu sortieren. Vom obe-
Bank of Boston´s 53rd Annual Economic Conference,
ren und unteren Rand dieser Rangfolge werden dann
Chatham, Massachusetts, 9. Juni 2008.
4 Komponenten mit einem Gewicht von jeweils 8 % des
Siehe Mishkin, Frederic S.: Headline versus Core Infla-
tion in the Conduct of Monetary Policy, Rede bei der Verbraucherpreisindex entfernt und über den Rest der
Business Cycles, International Transmission and Macro- Mittelwert berechnet. Bei der Abschätzung der trend-
economic Policies Conference, Montreal, Kanada, 20. mäßigen Inflation schließt der Trimmed Mean somit von
Oktober 2007.

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Monat zu Monat andere Komponenten aus und lässt al- sollte dieser Indikator weniger volatil sein als die Inflati-
lein die Daten darüber entscheiden, welche Teile des on selbst. Nur dann kann mit großer Wahrscheinlichkeit
Verbraucherpreisindex durch eine außergewöhnliche davon ausgegangen werden, dass seine Bewegungen
Volatilität gekennzeichnet sind. Veränderungen im zugrundeliegenden Trend der Inflati-
on anzeigen und nicht temporäre Störeinflüsse.
Einen Schritt weiter geht der ebenfalls von der Federal
Reserve Bank of Cleveland angebotene Weighted Medi- Jahresraten des Trimmed Mean und des Weighted Me-
an der Verbraucherpreise. Von allen in einem Monat dian werden von der Federal Reserve Bank of Cleveland
beobachteten Preisänderungen werden sowohl die ab Dezember 1983 zur Verfügung gestellt. Wir überprü-
größten als auch die kleinsten sukzessive ausgeklam- fen für diesen Zeitraum, inwieweit diese beiden Indika-
mert, sodass am Ende nur eine einzige Komponente toren und der Verbraucherpreisindex ohne Lebensmittel
verbleibt. Deren Preisänderung wird als repräsentativ und Energie in der Lage sind, den Anstieg des PCE-
betrachtet, weil gemessen an den Gewichten im Wa- Deflators vorherzusagen. Wir wählen dabei einen zeitli-
renkorb knapp 50 % aller Güter und Dienstleistungen chen Vorlauf von einem Jahr. Die Ergebnisse sind in Ta-
eine höhere und knapp 50 % eine geringere Teuerung belle 1 zusammengefasst.
verzeichnen. Die Preisentwicklung dieser repräsentativen
Komponente wird daher als die zugrundeliegende Infla- Tab. 1 Alternative Maße der trendmäßigen In-
tion interpretiert. Befürworter des Weighted Median ar- flation: Prognosekraft
gumentieren, dies sei das beste Verfahren, um den Ein- Korrelationskoeffizienten mit der Jahresrate des PCE-Deflators
fluss von Relativpreisänderungen auf die gemessene In- (Vorlauf: 12 Monate)
flationsrate auszuschließen. Der verbleibende Preisauf- Verbraucherpreisindex ohne Lebensmittel und Energie 0,58
Trimmed Mean 0,55
trieb sei damit von exogenen Störeinflüssen bereinigt Weighted Median 0,57
und im Wesentlichen auf die Geldpolitik zurückzufüh-
ren.5 Bestimmtheitsmaße aus Regressionsgleichungen
12:1984 bis 07:2010
Verbraucherpreisindex ohne Lebensmittel und Energie 0,34
4. Welche Zahl misst die trendmäßige Trimmed Mean 0,34
Weighted Median 0,34
Inflation am besten? 12:1984 bis 12:2003
Verbraucherpreisindex ohne Lebensmittel und Energie 0,59
Trimmed Mean 0,61
An einen Indikator, der den Trend der Inflation zeitnah
Weighted Median 0,64
widerspiegeln soll, sind im Wesentlichen zwei Anforde-
Quelle: DekaBank
rungen zu stellen: Zum einen muss er eine große Prog-
nosekraft für die zukünftige Entwicklung der tatsächli- Um den tatsächlichen Trend der Inflation zu messen, haben wir aus
der Jahresrate des PCE-Deflators einen gleitenden Durchschnitt
chen Inflation besitzen. Speziell für die Geldpolitik über 13 Monate gebildet. In allen Regressionsgleichungen besitzt
kommt es dabei darauf an, denjenigen Preisindex vor- der um 12 Monate verzögerte Wert der erklärenden Variable den
herzusagen, an dem auch die Notenbank ihre Inflations- stärksten Einfluss auf den gleitenden Durchschnitt des PCE-
Deflators. Längere Lags sind statistisch insignifikant.
ziele festmacht, also im Falle der Fed den PCE-Deflator
einschließlich Lebensmittel und Energie. Zum anderen

Trimmed Mean und Weighted Median weisen mit der


um ein Jahr vorlaufenden Jahresrate des PCE-Deflators
5 einen Korrelationskoeffizienten von 0,55 bzw. 0,57 auf.
Siehe z.B. Bryan, Michael F. und Pike, Christopher J.:
Der Verbraucherpreisindex ohne Lebensmittel und Ener-
Median Price Changes: An Alternative Approach to
Measuring Current Monetary Inflation, Federal Reserve gie schneidet in dieser Hinsicht mit 0,58 nur marginal
Bank of Cleveland Economic Commentary, 1. Dezember besser ab. Diese Analyse lässt sich durch eine Schätzung
1991. Allerdings bevorzugen die Autoren das Konzept von Regressionsgleichungen verfeinern. Wir erklären
des ungewichteten Median, da sie keinen Zusammen- dort den PCE-Deflator durch verzögerte Werte der ver-
hang sehen zwischen dem von der Geldpolitik ausge- schiedenen Maße der trendmäßigen Inflation, lassen
henden Inflationsdruck und dem Anteil bestimmter Gü-
dabei unterschiedliche Laglängen zu und berücksichti-
ter und Dienstleistungen an den Ausgaben der privaten
Haushalte. Insofern würden sämtliche beobachteten gen zudem den langfristig rückläufigen Trend der beo-
Preisänderungen, unabhängig von den Gewichtungen bachteten Inflationsraten. Gemessen an den Bestimmt-
im Verbraucherpreisindex, die gleiche Information über heitsmaßen dieser Gleichungen sind alle drei Indikato-
die trendmäßige Inflation beinhalten.

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ren einander völlig ebenbürtig bei der Vorhersage der on“ nahezu ausschließlich auf Trimmed Mean und
zukünftigen Gesamtinflationsraten (siehe Tabelle 1). Es Weighted Median basierte. Mittlerweile scheint sie die-
zeigt sich sogar eine leichte Überlegenheit von Trimmed sen statistischen Maßen der trendmäßigen Inflation je-
Mean und Weighted Median, wenn man den Schätz- doch wieder eine im herkömmlichen Sinne definierte
zeitraum im Dezember 2003 enden lässt und so die ver- Kernrate in Form des Verbraucherpreisindex ohne Obst,
gangenen Jahre mit einer außergewöhnlich hohen Vola- Gemüse, Benzin und Bankdienstleistungen gegenüber-
tilität der Weltmarktpreise von Energierohstoffen aus- zustellen. Der Grund dafür, den Verbraucherpreisindex
klammert. um die Preise von Bankdienstleistungen zu bereinigen,
liegt nicht unbedingt in ihrer übermäßigen Volatilität.
In der einschlägigen Literatur sind ähnliche Ergebnisse Vielmehr machen die Zinszahlungen für Hypotheken in
zu finden. Clark zeigt mit Daten von 1967 bis 2000, Australien einen nicht unerheblichen Anteil des zur
dass der Verbraucherpreisindex ohne Energie zukünftige Messung der Verbraucherpreise verwendeten Waren-
Änderungen der Gesamtrate des Verbraucherpreisindex korbes aus. Zudem sind Hypotheken in Australien vor-
am besten vorhersagt.6 Es folgen Trimmed Mean und wiegend variabel verzinst. Dies hat zur Folge, dass sich
Weighted Median, während der Verbraucherpreisindex eine Anhebung der Leitzinsen kontraintuitiv in höheren
ohne Lebensmittel und Energie deutlich zurückliegt. Inflationsraten niederschlagen kann.
Dieses Resultat steht in Einklang mit unseren obigen
Anmerkungen zu den statistischen Eigenschaften der Die zweite Eigenschaft, die ein Maß der trendmäßigen
Verbraucherpreise von Lebensmitteln. Auch Rich und Inflation besitzen sollte, ist die einer möglichst geringen
Steindel beurteilen die Vorhersagekraft des Verbrau- Volatilität. Je weniger Schwankungen ein solcher Indika-
cherpreisindex ohne Lebensmittel und Energie als eher tor aufweist, desto sicherer kann von seinen Änderun-
schwach.7 Ihre wichtigste Schlussfolgerung besteht je- gen auf den Trend der Inflation geschlossen werden.
doch darin, dass es kein überlegenes Maß der trendmä- Gemessen an diesem Kriterium schlagen der Trimmed
ßigen Inflation gibt. Vielmehr hänge die relative Güte Mean und vor allem der Weighted Median den Verbrau-
der verschiedenen Indikatoren sowohl von der Wahl des cherpreisindex ohne Lebensmittel und Energie um Län-
Schätzzeitraums als auch von der Länge des Vorhersa- gen, wie Tabelle 2 zeigt. Sie besitzen eine um 19 %
gehorizonts ab. Die Ursache hierfür sehen die Autoren bzw. sogar 24 % geringere Standardabweichung. Zu-
darin, dass sich die Art der temporären Störeinflüsse auf dem schwankten sie zwischen Dezember 1983 und De-
die Verbraucherpreise im Zeitablauf immer wieder än- zember 2008 in deutlich engeren Bahnen als der
dert und damit auch die Vorhersagekraft der verschie- Verbraucherpreisindex ohne Lebensmittel und Energie.
denen Maße der trendmäßigen Inflation. Gerade diese normalerweise sehr geringe Volatilität von
Trimmed Mean und Weighted Median ist von großer
Diese Ansicht scheint sich mittlerweile auch unter No- Bedeutung, wenn es darum geht, ihre im Augenblick
tenbankern durchzusetzen, die sich zunehmend weni- äußerst niedrigen Werte zu interpretieren.
ger auf einzelne Indikatoren der trendmäßigen Inflation
verlassen. Während sich die Fed zumindest etwas vom Tab. 2 Alternative Maße der trendmäßigen In-
Verbraucherpreisindex ohne Lebensmittel und Energie flation: Volatilität
abwendet und dafür Trimmed Mean und Weighted Mittelwerte (12:1983 bis 08:2010)
Median eine größere Aufmerksamkeit schenkt, geht die Verbraucherpreisindex ohne Lebensmittel und Energie 3,04
Trimmed Mean 2,92
Reserve Bank of Australia (RBA) den umgekehrten Weg.
Weighted Median 3,10
Die RBA hatte lange Zeit eine Vorreiterrolle dahinge-
hend, dass sie ihre Einschätzung der „underlying inflati- Standardabweichungen (12:1983 bis 08:2010)
Verbraucherpreisindex ohne Lebensmittel und Energie 1,14
Trimmed Mean 0,92
Weighted Median 0,87

Schwankungsbereich (12:1983 bis 12:2008)


6
Siehe Clark, Todd E.: Comparing Measures of Core In- Verbraucherpreisindex ohne Lebensmittel und Energie 1,09 - 5,65
flation, Federal Reserve Bank of Kansas City Economic Trimmed Mean 1,53 - 5,09
Review, 2001 (II), S. 5 - 31. Weighted Median 1,68 - 4,82
7
Siehe Rich, Robert und Steindel, Charles: A Compari- Quelle: DekaBank
son of Measures of Core Inflation, Federal Reserve Bank
of New York Economic Policy Review, Dezember 2007,
S. 19 - 38.

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5. Wie stark ist die trendmäßige In- breiter Front abgeschwächt hat. So geht die Jahresrate
flation am aktuellen Rand? des Verbraucherpreisindex ohne Lebensmittel und Ener-
gie (0,9 %) zu mehr als der Hälfte zurück auf die relativ
Wie Abbildung 1 zeigt, sind alle drei betrachteten Maße kleinen Komponenten Gebrauchtwagen, öffentliche
der trendmäßigen Inflation in den vergangenen zwei Verkehrsmittel und Tabak. Die beiden statistischen Ma-
Jahren deutlich zurückgegangen. Auf den ersten Blick ße ermitteln den zugrundeliegenden Trend der Inflation,
liefern sie derzeit ein sehr homogenes Bild. Die Jahresra- indem sie den Verbraucherpreisindex auch um solche
ten des Verbraucherpreisindex ohne Lebensmittel und „Ausreißer“ außerhalb der Bereiche Lebensmittel und
Energie und des Trimmed Mean liegen beide bei knapp Energie bereinigen. Wenig überraschend kommen sie
0,9 %. Lediglich der Weighted Median weicht mit dabei zu dem Schluss, dass sich der Preisauftrieb weit
0,5 % etwas nach unten ab. Die drei Indikatoren kom- mehr abgeschwächt hat als die Kernrate der Verbrau-
men somit zu der gemeinsamen Aussage, dass die Infla- cherpreise suggeriert. Am deutlichsten zeigt dies der
tion auf mittlere Sicht eher schwach bleiben wird. Weighted Median, wenn man seine Aussage wörtlich
interpretiert: die Hälfte der in den Verbraucherpreisin-
Bei genauerem Hinsehen wird das Bild jedoch etwas dif- dex einschließlich Lebensmittel und Energie einfließen-
fuser. Auch wenn die verschiedenen Maße der trend- den Preise steigt mit einer Jahresrate von 0,5 % oder
mäßigen Inflation in etwa die gleichen Werte aufwei- weniger. Der äußerst geringe Preisauftrieb ist somit ein
sen, signalisieren sie damit nicht notwendigerweise das wirklich breit basiertes Phänomen.
Gleiche. Vielmehr sollte man die aktuellen Werte der
drei Indikatoren vor dem Hintergrund ihrer statistischen Abb. 2 Annualisierter Preisauftrieb der vergan-
Eigenschaften beurteilen, die im vorangegangenen Ka- genen sechs Monate (Stand: Aug. 2010)
pitel herausgearbeitet worden sind. Alle drei eignen sich %
Core CPI
ähnlich gut für die Vorhersage zukünftiger Inflationsra- 5
ten. Sie waren dabei in der Vergangenheit jedoch unter- Trimmed Mean
schiedlich volatil. 4 Weighted Median

Die größten Schwankungen verzeichnete der Verbrau- 3


cherpreisindex ohne Lebensmittel und Energie. Im Au-
gust 2010 notierte seine Jahresrate den fünften Monat 2
in Folge bei 0,9 %. Gemessen an diesem Indikator ist
der Preisauftrieb damit so gering wie seit 1961 nicht 1
mehr. Allerdings wurden auch in der jüngeren Vergan-
genheit ähnlich niedrige Werte beobachtet, wie z.B. im 0
2000 2002 2004 2006 2008 2010
November 2003 mit 1,09 %. Alles in allem hat sich der
Trend der Inflation damit zwar erheblich abgeschwächt, Quellen: Bureau of Labor Statistics, Federal Reserve Bank of Cleve-
er liegt aber nicht dramatisch weit entfernt von histori- land, DekaBank
schen Erfahrungen.

Viel radikaler sind demgegenüber die Signale, die die Auch in Bezug auf die Frage, inwieweit die Inflation in
beiden statistischen Maße der zugrundeliegenden Infla- den vergangenen Monaten wieder an Dynamik gewon-
tion liefern. Trimmed Mean und Weighted Median lie- nen hat, kommen die drei Indikatoren zu unterschiedli-
gen deutlich unterhalb der Schwankungsbereiche, die chen Aussagen. Gemessen am Verbraucherpreisindex
bis zur jüngsten Rezession beobachtet worden sind (sie- ohne Lebensmittel und Energie verzeichneten die Preise
he Abbildung 1 und Tabelle 2). Sie zeigen damit an, in den ersten Monaten dieses Jahres quasi keinerlei An-
dass der Trend der Inflation im historischen Vergleich stieg mehr und waren erst ab Mai wieder leicht nach
äußerst schwach ist, womöglich der schwächste seit oben gerichtet. Diese Bewegungen lassen sich gut illust-
dem zweiten Weltkrieg. Dass Trimmed Mean und rieren, indem man die Preisentwicklungen der jeweils
Weighted Median in den vergangenen zwei Jahren in letzten sechs Monate zu einer Jahresrate hochrechnet
einem deutlich stärkeren Ausmaß zurückgegangen sind (siehe Abbildung 2). So gesehen gibt der Verbraucher-
als die im herkömmlichen Sinne definierte Kerninflation, preisindex ohne Lebensmittel und Energie das beruhi-
ist zudem ein Beleg dafür, dass sich der Preisauftrieb auf gende Signal, dass die trendmäßige Inflation gerade da-

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bei ist, ihre Talsohle zu durchschreiten. Eine solche Wie- nierte Kerninflation von sehr großem Wert für die Fed
derbelebung des Preisauftriebs bringen Trimmed Mean bei der Kommunikation mit der Öffentlichkeit.8 Demge-
und Weighted Median deutlich weniger stark zum Aus- genüber dürften die Notenbanker vor allem bei internen
druck. Ihre Botschaft besteht darin, dass die trendmäßi- Diskussionen von Trimmed Mean und Weighted Median
ge Inflation im historischen Vergleich ausgesprochen Gebrauch machen. Hierauf deutet die zuletzt auffallend
niedrig ist und kaum Anzeichen einer Beschleunigung häufige Nennung dieser Indikatoren in den Minutes zu
aufweist. den FOMC-Meetings hin. Vor diesem Hintergrund sollte
man die statistischen Maße der trendmäßigen Inflation
6. Fazit aufmerksam beobachten. Ein weiterer Rückgang wäre
ein Alarmsignal, selbst wenn die Jahresrate des
Sowohl der Verbraucherpreisindex ohne Lebensmittel Verbraucherpreisindex ohne Lebensmittel und Energie
und Energie als auch Trimmed Mean und Weighted seine Seitwärtstendenz fortsetzen sollte. Auch anhal-
Median spiegeln nach wie vor ein Steigen der Preise wi- tend niedrige Werte von Trimmed Mean und Weighted
der und deuten damit nicht auf Deflation hin. Auch darf Median bis weit in das nächste Jahr hinein würden
ihr starker Rückgang über die vergangenen zwei Jahre Zweifel daran aufkommen lassen, dass sich die Inflation
nicht einfach fortgeschrieben werden. Die aktuellen mit der Zeit wieder den von der Fed gewünschten Raten
Werte der drei Indikatoren sind lediglich Anhaltspunkte annähert. Insofern können diese beiden Indikatoren
dafür, auf welchem Niveau sich die Inflation mittelfristig wichtige Hinweise darüber liefern, wie die Fed Deflati-
einpendeln würde, wenn alle temporären Störeinflüsse onsgefahren beurteilt, auf die sie gegebenenfalls mit ei-
ausgelaufen sind und keine neuen hinzukommen. ner erneuten Lockerung ihrer Geldpolitik reagieren wür-
de.
Dennoch sind die sehr niedrigen Werte insbesondere
des Trimmed Mean und des Weighted Median besorg-
niserregend. Viel stärker als die im herkömmlichen Sinne
definierte Kerninflation zeigen sie an, dass sich der
Preisauftrieb bereits erheblich verlangsamt hat und im
historischen Vergleich äußerst schwach ist. In einer sol-
chen Ausgangssituation könnten ein unerwartet gerin-
ges Wirtschaftswachstum oder eine konjunkturelle Er-
holung, die weiterhin am Arbeitsmarkt vorbeigeht,
durchaus in ein Deflationsszenario münden. Es sind ge-
nau diese realwirtschaftlichen Risiken, die die Fed in den
vergangenen Monaten beschäftigt haben. Insofern dürf-
ten auch die meisten FOMC-Mitglieder Deflation nicht
als völlig ausgeschlossen betrachten, selbst wenn sie
derartige Gefahren bislang verneinen. Zudem sprechen
Notenbanker in der Regel nicht offen über Deflationsri-
siken, da sie im positiven Bereich verankerte Inflations-
erwartungen der Öffentlichkeit als wichtigen Schutzme-
chanismus gegen Deflation ansehen.

Es gibt einige Hinweise darauf, dass die Fed Trimmed


Mean und Weighted Median ein höheres Gewicht bei
der Analyse von Preisdaten einräumt als in der Vergan-
genheit. Wir gehen nicht davon aus, dass diese beiden
statistischen Maße der zugrundeliegenden Inflation den
Verbraucherpreisindex ohne Lebensmittel und Energie
vollständig verdrängen werden. Aufgrund ihrer konzep-
tionellen Einfachheit ist die im traditionellen Sinne defi-

8
Vgl. Mishkin, a.a.O., S. 5 und 6.

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