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Geschäftsmodellinnovationen

Geschäftsmodellinnovationen – radikaler
Wandel oder inkrementelle Verbesserung?
Eine empirische Studie zu Geschäftsmodellinnovationen
und wie deutsche Großunternehmen mit dem Thema umgehen
von Prof. Dr. Patrick Ulrich, Alexandra Fibitz

1 Historie von Geschäfts­


modellen und aktuelle
Trends
Wer kennt Sie nicht, die Erfolgsgeschich-
ten der „Uber’s“, „Air BnB’s“, „Apple’s“ die-
ser Welt. Mit ihren Geschäftsmodellin-
novationen haben sie nicht nur Märkte
revolutioniert und Kundenbedürfnisse
neu definiert, sondern die Art und Weise
auf den Kopf gestellt, wie Unternehmen
wirtschaften. Geschäftsmodelle lassen
sich nachweislich zurückdatieren in die
1970er Jahre. Ursprünglich bezeichnete
der Begriff einen Modellierungsansatz,
der als Analysewerkzeug für Geschäfts-
tätigkeiten auf operativer Ebene genutzt
wurde [vgl. Lindström 1999, S. 152]. In
der Evolution des Begriffes wurde die
strategische Unternehmensführung als
Rahmenwerk forciert, wobei moderne
Einflüsse aus der Welt der Digitalisierung
und E-Commerce wieder eine gewisse
Rückbesinnung auf die Ursprünge er-
kennen lassen [vgl. Becker et al. 2013, S.
12]. Seit dem Aufkommen des Internets das Business Model Canvas, mit der Fest- 2 Gestaltungsmöglichkeiten der
Mitte der 1990er Jahre subsumiert man legung von neun Bausteinen und einem
darunter, wie ein Geschäft funktioniert, stark praxisorientierten Bezug [vgl. Os-
Geschäftsmodellinnovation
geprägt von einem strategischen Ver- terwalder/Pigneur 2010]. Unternehmen müssen tagtäglich (meist
ständnis und der Inklusion des Wert- Ein weiterer Grund für den hohen Be- proaktiv) mit aktuellen als auch drohen-
schöpfungsgedankens [vgl. Chesbrough deutungszuwachs ist das zunehmende den Herausforderungen umgehen und
2007, S. 2 ff.]. Mit der Wertorientierung Bewusstsein des Themas in den obers- nutzen hierfür unterschiedliche Metho-
als Mittelpunkt stellt sich auch der Wett- ten Führungsebenen der Unternehmen. den [vgl. Laudien et al. 2017, S. 422]. Basie-
bewerbsvorteil und die zunehmende Entscheidungen über neue Geschäfts-
Erfolgsbetrachtung in den Vordergrund modelle und deren Innovation stehen
Summary
der Diskussion [vgl. Mitchell/Coles 2003, in der Verantwortung der CEOs, deren
S.16]. Umsetzung ist jedoch alles andere als tri- With the advent of the Internet and the beginning of
Trotz dieser evolutionären Entwicklung vial [vgl. Tripsas/Gavetti 2000, S. 1.147]. the dot.com era not only did new products and techno-
hat sich weiterhin kein Konsens über Das jahre- bis jahrzehntelang beste- logies disrupt the market, but even more business mo-
eine einheitliche Definition und Verwen- hende Geschäftsmodell zu überdenken del innovations became of huge interest. New business
dung der Begriffe ergeben, jedoch hat und neue Wege einzuschlagen, dessen models go far beyond product- or process innovation
die dahinterstehende Thematik, sowohl Ergebnis kaum oder nur vage prognosti- and in most cases, bring considerable changes to the
in der akademischen Forschung als auch zierbar zu sein scheint, ist für Unterneh- firm. Nonetheless, a standardized process, a generally
in der unternehmerischen Praxis, stark men meist eine große Herausforderung. accepted definition and a consensus about elements
an Bedeutung gewonnen [vgl. Skarzyn- Dennoch führt der stark zunehmende and concepts is still missing. The paper investigates how
ski/Gibson 2008, S. 111]. Dies zeigt sich externe Druck dazu, dass Unterneh- large companies in Germany tackle this problem whe-
auch deutlich an der vielfältigen und mensvertreter frühzeitig Maßnahmen ther they prefer to use an evolutionary, step-by-step
approach by changing single elements of a sustainable
diversen Verwendung an Elementen, ergreifen müssen, um den Anschluss an
business model or rather tend to radical transformation
Bezugsrahmen und Modellen für Ge- die Marktbedingungen und die Wettbe-
and establish a completely new business model run-
schäftsmodellinnovationen. Zu den am werber auch zukünftig sicherzustellen ning in parallel to the already established one.
häufigsten verwendeten Modellen zählt [vgl. Mezger 2014, S. 432].

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rend auf unterschiedlichen Beschreibun- 85]. Diese Unterscheidung wurde bereits Professor Dr. habil. Patrick Ulrich
gen möglicher Innovationsgrade, lassen auf das Analyseobjekt der Geschäftsmo-
sich in der Literatur folgende Dichotomi- dellinnovationen angewandt und stellt in Inhaber der W3-Professur für
sierungen finden: innovativ vs. nicht-inno- der Literatur eine der populärsten Diffe- Unternehmensführung und
vativ, kontinuierlich vs. diskontinuierlich, renzierungsmethoden dar [vgl. Bucherer -kontrolle an der Hochschule
Aalen – Technik und Wirt-
evolutionär vs. revolutionär, inkrementell et al. 2012, S. 185 f.]. schaft, Sprecher des Direkto-
vs. radikal sowie bedeutsam vs. geringfü- Radikale Innovationen werden meist mit riums des dortigen Aalener
gig [vgl. Veryzer 1998, S. 306; Danneels/ bahnbrechenden neuen Technologien Instituts für Unternehmens-
Kleinschmidt 2001, S. 357; Hausschildt und deren marktlichen Veränderung asso- führung (AAUF), Privatdozent
2004, S. 8 ff.]. ziiert [vgl. Tushman/Nadler 1986, S. 75 f.]. an der Otto-Friedrich-Univer-
Die Begriffe leiten sich aus der anglo- Sie dienen dazu, neue Industrien, Produk- sität Bamberg und Lehrbeauftragter an der Universität
amerikanischen Literatur ab und werden te oder Märkte zu kreieren, was auf das Siegen.
dort als sogenannte „Labels“ für Innova- enorme Innovationspotenzial zurückzu- E-Mail: patrick.ulrich@hs-aalen.de
tionsgrade, bisher meist für die Operati- führen ist [vgl. Meyer et al. 1990, S. 108]. In
onalisierung von Produktneuheitsgraden diesem Zusammenhang wird oftmals pro-
verwendet (vgl. Danneels/Kleinschmidt klamiert, dass die Entwicklung dieser Art Alexandra Fibitz, M.Sc.
2001, S. 357; Spieth/Schneider 2016, S. 3 der Innovation meist mit einer starken Un-
Wissenschaftliche Mitarbei-
ff.). Trotz fehlender Validierung dieser In- sicherheit behaftet ist und zukünftige Er-
terin und Doktorandin von
novationskategorien sollen sie dennoch folge nur schwer zu prognostizieren sind Professor Ulrich am Aalener
auf den Bereich Geschäftsmodellinnova- [vgl. Veryzer 1998, S. 305]. Das führt dazu, Institut für Unternehmens-
tionen übertragen werden, um dort tief- dass Althergebrachtes zu einem gewissen führung (AAUF). In ihrer
gründige Verwendung zu finden. Zeitpunkt obsolet und ganze Industrien Dissertation beschäftigt sie
oder Märkte sich verwandeln oder sogar sich mit der Erfolgswirkung
1. Innovativ vs. nicht-innovativ verschwinden [vgl. Albeck 2015, S. 28]. von Geschäftsmodellinno-
vationen. Sie studierte Be-
Die Unterscheidung zwischen innovativ Inkrementelle Innovationen dienen der
triebswirtschaftslehre an der Otto-Friedrich-Universität
oder nicht-innovativ steht für Geschäfts- Weiterentwicklung des Status Quo ohne Bamberg.
modellinnovationen per se außer Frage, eine fundamentale Änderung des bisher
da davon ausgegangen wird, dass eine Bestehenden [Tushman/Romanelli 1994, E-Mail: alexandra.fibitz@hs-aalen.de
Geschäftsmodellinnovation den zu errei- S. 174]. Bezeichnungen, wie z.B. Modi-
chenden Grad an Innovation bereits per fikationen oder Optimierungen, sind in
se inkludiert. diesem Fall besser geeignet, um den In- Augenblick beschrieben, was z.B. durch
novationsbegriff zu umschreiben [vgl. Van marktliche, technologische oder rechtli-
2. Bedeutsam vs. geringfügig de Ven et al. 1999, S. 171]. Inkrementelle che Neuerungen getrieben werden kann
Des Weiteren wird auch die Gegenüber- Innovationen ziehen oftmals die paralle- [vgl. Tushman/o’Reilly 1996, S. 9]. Revolu-
stellung bedeutsam vs. geringfügig an le Existenz von zwei Geschäftsmodellen tionäre Innovationen gehen oftmals auch
dieser Stelle nicht weiter thematisiert, da innerhalb des Unternehmens und dem mit einer neuen Art der Wertschöpfung
einher, was von einer neuen Kundenan-
sprache und der Erfüllung latenter Kun-
„Es gibt unterschiedliche Arten der Geschäftsmodellinnovation.“ denwünsche herrührt [vgl. Wirtz/Thomas
2014, S. 44 f.]
Innovationen des Geschäftsmodells wie- damit einhergehenden, zunehmenden Ri- Charakteristisch für eine evolutionäre
derum per Definition einen hohen Grad siko einer internen Kannibalisierung nach Entwicklung im Rahmen von Geschäfts-
an Innovation verankern und durch den sich [vgl. Laudien et al. 2017, S. 421]. modellinnovationen ist das Zusammen-
zu erlangenden Wettbewerbsvorteil als wirken mehrerer Elemente über einen
bedeutsam eingestuft werden können. 4. Evolutionär vs. revolutionär gewissen Zeitraum hinweg und die damit
Abschwächungen im Innovationsgrad Hinsichtlich der Unterscheidung zwi- verbundene Veränderung mehrerer, inter-
lassen sich durch simultan verwendete schen evolutionär und revolutionär liegt ner Unternehmensbereiche, wie z.B. Un-
Begriffe, wie z.B. Geschäftsmodellmodifi- der Hauptunterschied oftmals im dahin- ternehmenskultur, -strategie und -struktur
kation oder -Adaption, verdeutlichen. terstehenden Zeithorizont. So implizieren [vgl. Tushman/o‘Reilly 1996, S. 9]. Geprägt
evolutionäre Innovationen einen zumeist wird diese Innovationsform von einer
3. Inkrementell vs. radikal langjährigen Zeithorizont, zusammen mit schrittweisen Veränderung und mehre-
Die Unterscheidung zwischen inkremen- einer schrittweisen Entwicklung inner- ren, kleinen Neuerungen.
tellen und radikalen Innovationen ist halb dieses Zeitraums. Aufgrund der Un-
wesentlich und wird häufig zur Differen- sicherheitskomponente gilt es zunächst, 3 Methodik und Zielsetzung
zierung von Innovationsarten verwendet. innerhalb einer evolutionären Entwick-
der Studie
Während bei radikalen Innovationen da- lung über die Zeit hinweg stetige Verbes-
von ausgegangen wird, dass die Grund- serungen voranzutreiben, um in einem Die Erkenntnisse dieser Studie basieren
logik eines Gegenstandes verändert wird, zweiten Schritt radikale Schritte in den auf einer Studie, die am Lehrstuhl für Un-
versteht man unter inkrementellen Inno- Innovationsprozess zu inkludieren, meist ternehmensführung und Controlling an
vationen mehr die Veränderung mehrerer herbeigeführt durch einen revolutionären der Universität Bamberg, mit dem Ziel Ge-
Objekte, der Kern und damit die Grundlo- Auslöser [vgl. Tushman 1997, S. 15]. schäftsmodellinnovationen als Analyse-
gik des Gegenstandes bleiben jedoch un- Die revolutionäre Innovation wird häufig objekt im Rahmen von Großunternehmen
verändert bestehen [vgl. Stähler 2002, S. durch ein einschlägiges Ereignis in einem zu begutachten, durchgeführt wurde.

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gehören nicht-industriellen Branchen an.


Es lässt sich feststellen, dass Industrieun-
ternehmen mit Angaben von 44 Prozent
deutlich die evolutionäre Entwicklung
des Geschäftsmodelles bevorzugen und
somit mehrere Geschäftsmodellelemente
verändern. Unternehmen, die aus einer
nicht-industriellen Branche stammen, pri-
orisieren hingegen vielmehr den Weg der
Geschäftsmodellinnovation und entschei-
den sich mit 24 Prozent vermehrt für ein
radikal neues Geschäftsmodell.

Ein möglicher Erklärungsansatz für die


Tendenz der Industrieunternehmen, eher
eine evolutionäre Entwicklung zu bevor-
zugen, könnte in der zurückhaltenden
Einstellung der Unternehmen liegen.
Abb. 1: Unterschiede zwischen industriellen und nicht-industriellen Unternehmen.
Mit der Veränderung lediglich eines oder
(Quelle: Eigene Darstellung) mehrerer Geschäftsmodellelemente geht
das Unternehmen zunächst einen „Trial-
and-error“ Prozess ein, der das Risiko
Insgesamt wurde eine Zufallsstichpro- eine mehrdimensionale Geschäftsmodell- eines Misserfolgs deutlich reduziert. Ver-
be von 1.362 Großunternehmen aus der Strategie mit fünf oder mehr Geschäfts- änderungen zeigen sich meist auf einem
Lexis Nexis Datenbank generiert. Der modellen. 71 Prozent der Unternehmen operationalen Level und lassen sich mit
hier vorliegende Beitrag stützt sich be- haben in den letzten fünf Jahren Ände- geeigneten Maßnahmen wesentlich ein-
wusst auf die Definition des Statistischen rungen an ihrem Geschäftsmodell vorge- facher steuern [vgl. Laudien et al. 2017, S.
Bundesamtes, die Großunternehmen ab nommen. 426]. Die radikale Einführung eines kom-
einer Mindestanzahl von 249 Mitarbei- Die Verantwortung für das Thema Ge- plett neuen Geschäftsmodells könnte für
tern oder einem jährlichen Umsatz von schäftsmodelle und Geschäftsmodellin- Industrieunternehmen, die in Deutsch-
mehr als 50 Millionen Euro definiert. Bei novationen liegt mit jeweils 40 und 36 land meist eine lange Historie aufweisen,
der Befragung handelte es sich um ei- Prozent in beiden Themenfeldern bei den ein „Ad-hoc“ Gefühl hervorrufen, welches
nen Online-Fragebogen, bestehend aus CEOs. Mit knapp 20 Prozent wird das The- nur schwer kontrollierbar ist. Nicht-in-
mehreren geschlossenen Fragen. Die Be- ma auch auf der zweiten Management­ dustrielle Unternehmen, hier vor allem
antwortung der Fragen war im Zeitraum ebene diskutiert und mitverantwortet. aus dem Handel und der Dienstleistungs-
vom 08.02.2016 bis zum 29.02.2016 mög- Anhand des Business Model Canvas als branche, bewegen sich hingegen oft-
lich, und nach Beendigung der aktiven Bezugsrahmen wurden die Probanden mals bereits in schnelllebigen, modernen
Phase konnte eine Gesamtstichprobe
von 134 Rückläufen gezählt werden. Die
Studie wurde von 38 Unternehmen voll- „Radikale Innovationen eignen sich nicht für
ständig beendet, was einer Rücklaufquo-
te von 2,8 Prozent entspricht.
alle Großunternehmen.“
Der Kernfokus der Studie liegt auf der
Erforschung von Geschäftsmodellinnova- gebeten, die wichtigsten und unwichtigs- Märkten und sind aufgrund von externen
tionen in Großunternehmen und deren ten Elemente zu benennen. Vorreiter in Markttreibern ohnehin gezwungen, das
wesentlichen Ausprägungen. Hierzu wur- der Kategorie „Bedeutsamkeit“ sind mit 61 bisherige Geschäftsmodell häufiger zu
de die Art der Geschäftsmodellinnovation Prozent die Kunden(-segmente), gefolgt überdenken. Auf lange Sicht schließt das
näher spezifiziert und im Detail für die As- vom Werteversprechen mit 41 Prozent. Als eine evolutionäre Entwicklung eher aus
pekte Industrietyp, Börsennotierung und eher unwichtig werden mit 38 Prozent die und treibt die Unternehmen dazu, radi-
Unternehmensgröße ausgewertet. Theo- Schlüsselpartner sowie mit jeweils 14 Pro- kal neue Geschäftsmodellansätze zu im-
retisch fundiert wurde die Studie auf dem zent die Distributionskanäle und Ertrags- plementieren.
Konfigurationsansatz, der im Rahmen von ströme genannt.
Geschäftsmodellinnovationen eine wich- 2. Unternehmensgröße
tige Rolle spielt. 1. Industrietyp
Um nicht nur Branchencharakteristika,
4 Ergebnisse Hinsichtlich der Ausgestaltung der Ge- sondern auch physische Eigenschaften
schäftsmodellinnovation bzw. dem Grad der Großunternehmen zu untersuchen,
Zunächst wurden die Probanden gebeten, der Innovation und dem Bezug zum In- wird im Folgenden der Einfluss der Unter-
einige allgemeine Informationen über ihr dustrietyp lassen sich folgende Beobach- nehmensgröße auf die Art der Geschäfts-
Geschäftsmodell zu tätigen. Diesbezüg- tungen machen. Eine binäre Kodierung modellinnovation diskutiert.
lich gaben 41 Prozent der Unternehmen der Gesamtstichprobe lässt 23 Prozent Als Hilfsgröße zur Messung der Un-
an, über ein einziges Geschäftsmodell zu der Unternehmen dem Industriezweig ternehmensgröße wurde hierbei der
verfügen, weitere 31 Prozent verfolgen zuordnen und die restlichen 76 Prozent jährliche Gesamtumsatz verwendet. Un-

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ternehmen mit weniger als 1 Mrd. Euro vorteil [vgl. Frankenberger et al. 2014, mentelle Variante der Geschäftsmodellin-
Umsatz bilden die erste Gruppe und sind S.14; Cavalcante et al. 2011, S.1.328]. novation nutzen, könnte das hohe Risiko
mit 23 Prozent vertreten. Unternehmen sein, das mit einer radikalen Innovation
mit einem jährlichen Gesamtumsatz von 3. Börsennotierung verbunden wird. Obwohl auch radikale
mehr als 1 Mrd. Euro dienen als Kont- Geschäftsmodellinnovationen in den Un-
raststichprobe (76 Prozent). Die Umfrage Der dritte Bereich, der genauer inspiziert ternehmen diskutiert werden, fanden
zeigt, dass Unternehmen mit weniger als wurde, bietet sich aufgrund der generel- Laudien et al. (2017) heraus, dass sich die
1 Mrd. Euro Umsatz mehr zu der disrupti- len Beschaffenheit von Großunterneh- Topentscheider der Unternehmen meist
ven Geschäftsmodellvariante tendieren men und deren qualitativer Merkmale doch für den inkrementellen Weg ent-
und die Implementierung eines kom- bevorzugt an. Dabei wurde die Börsenno- scheiden, weil das Risiko eines Scheiterns
plett neuen Geschäftsmodells bevorzu- tierung mit der Art der Geschäftsmodell- oftmals als zu hoch eingestuft wird [vgl.
gen. Im Vergleich dazu ist die Einstellung veränderung verglichen. Eine Börsenno- Laudien et al. 2017, S. 427]. Die Öffnung
der Unternehmen mit mehr als einer tierung ist stark mit der Rechtsform der des eigenen Geschäftsmodells hin zu ei-
Mrd. Euro Umsatz deutlich weniger aus- Unternehmen verzweigt. Unter den Rück- nem Geschäftsmodell-Ökosystem ist den
gewogen. Mit 17 Prozent wird die Ver- läufen sind 42 Prozent der Unternehmen Unternehmen teilweise wichtiger und
änderung mehrerer Geschäftsmodell­ börsennotiert und 58 Prozent sind nicht führt meist zu der Optimierung mehrerer
elemente zwar favorisiert, jedoch finden an einer deutschen Börse gelistet. In der Geschäftsmodellelemente, ist aber mit
auch die beiden anderen Vorgehenswei- Befragung sind Unternehmen aus dem weniger Risiko verbunden, was für die Un-
sen Anklang. DAX30, M-DAX, S-DAX und Tech-DAX ver- ternehmen wichtiger als der reine Profit
treten. Unternehmen, die nicht an der Bör- erscheint [Laudien et al. 2017, S. 427].
An dieser Stelle lässt sich postulieren, se gelistet sind, tendieren mit 27 Prozent
dass Großunternehmen mit einem Um- zu der neuen Geschäftsmodellvariante 5 Fazit
satz von mehr als 1 Mrd. Euro meist der und entscheiden sich vorwiegend für die
Kategorie multinationaler Konzerne radikale Geschäftsmodellinnovation. Die Die Frage, wie Großunternehmen und auch
andere Betriebstypen mit Geschäftsmo-
dellinnovationen umgehen, ist nur schwer
„Branche, Größe und Börsennotierung beeinflussen für die breite Allgemeinheit zu beantwor-
den Erfolg von Geschäftsmodellinnovationen.“ ten. Dies liegt vorwiegend an der Tatsache,
dass jedes Unternehmen situationsabhän-
gig mit dem Thema umgeht und auch die
zugeordnet werden können. Aufgrund Vergleichsgruppe der Unternehmen, die Voraussetzungen für Geschäftsmodellin-
der enormen Größe und der teilweise börsennotiert sind, wählen eher den Weg novationen, ob evolutionärer oder radika-
starren Strukturen in solchen Großun- der Veränderung mehrerer Geschäftsmo- ler Art, sehr spezifisch und individuell sind.
ternehmen, lässt sich ein holistisches dellelemente. Dicht darauffolgend mit 18 Dennoch bleibt an der langen Evolutions-
Bild nur schwer erfassen. Khanagha et al. Prozent tendieren diese Probanden auch historie des Themas und der weiterhin
(2014) stellten hierzu fest, dass die Ge- dazu, lediglich ein einziges Element zu fehlenden Etablierung von Standards zu
schäftsführer von Unternehmen solcher verändern, um dann erst einmal die Wir- erkennen, dass es weiterer Forschung in
Größenordnung oftmals auf ihren bishe- kung zu beobachten. diesem Bereich bedarf, um mehr über den
rigen Wettbewerbsvorteil vertrauen und genauen Prozessablauf, die Hintergründe
somit eine solche radikale Innovation Ein mögliches Argument, wieso börsen- und aktuellen Entwicklungen zu erfahren.
eher scheuen [vgl. Khanagha et al. 2014, notierte Unternehmen eher die inkre- In diesem Zusammenhang zeigt sich die
S. 334]. Bohnsack et al. (2014) teilen die-
se Meinung und führen die Hemmnisse
für Geschäftsmodellinnovationen und
die Tendenz zum Beibehalten des „Alt-
hergebrachten“ auf Pfadabhängigkeiten
und Routine zurück [vgl. Bohnsack et al.
2014, S. 6 f.]. Großunternehmen unter-
halb der Umsatzgrenze von 1 Mrd. Euro
verfügen im Gegensatz zu mittelständi-
schen Unternehmen meist über die not-
wendigen Ressourcen für die Innovation
ihres Geschäftsmodells. Hinzu kommt,
dass Großunternehmen den Vorteil ha-
ben, dass sie oftmals auf bewährte Part-
nerschaften zurückgreifen können, da
sie aufgrund ihrer langen Historie und
Markterfahrung vielfältige Beziehungen
zu anderen Marktteilnehmern knüpfen
konnten. Durch diese Partnerschaften
lassen sich partiell fehlende Ressourcen
gut substituieren und somit ist der Zeit- Abb. 2: Unterschiede in der Größe, gemessen am Gesamtumsatz.
vorsprung ein deutlicher Wettbewerbs- (Quelle: Eigene Darstellung)

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