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DOI 10.1007/s11159-012-9295-3
M. Eswein
Technische Universität Kaiserslautern, Fachgebiet Pädagogik,
Postfach 30 49, 67653 Kaiserslautern, Germany
e-mail: eswein@sowi.uni-kl.de
M. Pilz (&)
Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialpädagogik, Universität zu Köln,
Venloer Str. 151-153, 50672 Köln, Germany
e-mail: matthias.pilz@uni-koeln.de
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Bildungspolitik wird es für Japan daher in Zukunft darauf ankommen, die Integration
der schrumpfenden Schul- und Hochschulabgängerkohorten effizient zu regulieren.
Abstract Caught between wanting but not being able to, and being able, but not
wanting to: Transitional problems among Japanese youths based on the examples of
“Freeters” and “NEETs” – The study of processes of transition from the education
system to employment is particularly important in light of youth unemployment. In
Japan this transition process is often declared to be successful. In recent years,
however, numerous signs have indicated a change in the situation. This article
analyses this problem based on the examples of two Japanese social groups,
“Freeters” and “NEETs”. These terms refer to young adults who do not immediately
move into to regular employment. The article begins by analysing the causes, then
comments on education policy measures undertaken to tackle the issue. Drawing on
scientifically grounded models it is shown that both social groups are characterised
by meagre formal school qualifications. Social background, by contrast, is not
particularly relevant; although there are hints that parents’ financial means play an
increasingly important role in determining whether a young person attends a high-
level educational institution. Although public opinion in Japan frequently attributes
values and attitudes to these groups that deviate from the norm, this is not con-
clusively supported by existing empirical findings. Consequently, the reasons for
these transitional problems tend to be perceived as being connected to the difficult
labour market situation resulting from the ongoing economic crisis. In addition to
certain education policy initiatives, Japan will therefore rely heavily in future on the
ability to effectively manage the integration of its shrinking cohorts of school and
university graduates.
Résumé Entre vouloir mais ne pas pouvoir, et pouvoir mais ne pas vouloir : entrée
difficile dans la vie active pour les jeunes Japonais, par exemple les « Freeter » et «
NEET » – Dans le contexte actuel du chômage des jeunes, il est particulièrement
important d’examiner le passage du système éducatif au monde du travail. Au
Japon, cette transition est généralement déclarée réussie. Ces dernières années
cependant se multiplient les signes présageant un changement de situation. Les
auteurs du présent article analysent cette problématique en prenant l’exemple des
deux groupes de Japonais « Freeter » et « NEET ». Il s’agit d’adolescents et de
jeunes adultes qui ne bénéficient pas (directement) d’un emploi régulier. Les auteurs
en analysent tout d’abord les raisons, puis commentent les mesures de politique
éducative appliquées pour surmonter ces obstacles. En recourant à des éléments
scientifiques d’explication, ils montrent que ces deux groupes se caractérisent par
des niveaux d’apprentissage formel insuffisants. En revanche, l’origine sociale ne
constitue pas un facteur décisif, mais il s’avère néanmoins que les possibilités
financières des parents revêtent une importance croissante dans la fréquentation
d’institutions éducatives de haut niveau. Les valeurs et opinions divergentes de ces
groupes de jeunes, fréquemment constatées dans l’opinion publique japonaise, ne
peuvent non plus être clairement confirmées par les résultats empiriques existants.
123
„Freeter“ und „NEETs“ 507
Les raisons de ces difficultés à passer dans la vie active résideraient donc davantage
dans un marché du travail grippé par une crise économique prolongée. À l’avenir, il
importera donc pour le Japon, outre de lancer plusieurs initiatives de politique
éducative, de gérer efficacement l’intégration des cohortes diminuées d’élèves
sortant du système scolaire et universitaire.
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Aus internationaler Perspektive wird Japan immer wieder als ein Musterland für
einen gelungenen Übergang von der Schule in das Beschäftigungssystem darge-
stellt, und dabei wird insbesondere auf die geringe Jugendarbeitslosigkeit verwiesen
(vgl. z. B. OECD 2000; Ryan 2001; Pilz 2011; Yoshimoto 2002; Pilz und Alexander
2007). Allerdings werden diese Einschätzungen von einigen japanischen Wissen-
schaftlern infrage gestellt und eine oftmals zu stereotype Außensicht geäußert
(Honda 2003).
Um sich der Thematik im japanischen Kontext zu nähern, ist hier zunächst auf
neuere Entwicklungstendenzen einzugehen, die den konstatierten friktionsarmen
Übergang relativieren. Mit etwa 159.169 Oberschulabsolventen1, die im Jahr 2011
in das Beschäftigungssystem eintraten, und 340.378 Hochschulabsolventen, die
2011 in Beschäftigungsverhältnisse eintraten, stellen diese beiden Personengruppen
das zahlenmäßig bedeutendste Reservoir für die Rekrutierung von Arbeitskräften
durch die Wirtschaft (vgl. MEXT 2011, S. 18, S. 12; Hori 2009, S. 91–94), wobei
die drei von der Großen Erdbebenkatastrophe in Ostjapan am 11. März 2011 am
stärksten betroffenen Präfekturen Iwate, Fukushima und Miyagi hier nicht
berücksichtigt wurden.
Die prekäre Situation der beim regulären Übergang erfolglosen (Hoch-)Schul-
absolventen ist umso schwieriger, als die japanische Berufsausbildung in aller Regel
innerbetrieblich durchgeführt wird. Wenn also Absolventen der Bildungsinstitutio-
nen direkt nach dem Ende ihrer (Hoch-)Schulzeit keinen Arbeitsplatz finden,
so bedeutet dies faktisch, dass sie auch von der Berufsausbildung ausgeschlossen
sind. Durch eine Verschlechterung der Arbeitsmarktlage vergrößert sich damit auch
die Chancenungleichheit in der Berufsausbildung (siehe Abschnitt „Niedriger
Bildungsgang“).
1
Aus Gründen der Vereinfachung und besseren Lesbarkeit bedient sich dieser Beitrag in der Regel der
männlichen Substantivform für personenbezogene Begriffe, wobei die weibliche Bedeutung jedoch stets
eingeschlossen ist.
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Der so entstehende Teufelskreis für diese Exkludierten geht aber noch weiter: Sie
haben auch keine Chance mehr, über die Arbeitsmärkte für Quereinsteiger (中途採
用市場 Chūto saiyō shijō) eine Stelle zu erhalten. Die Arbeitsmärkte für
Quereinsteiger bringen Arbeitskräfte mit Berufserfahrung, die ihre Firma aus
irgendeinem Grund verlassen haben oder verlassen mussten, in Kontakt mit
Unternehmen, die bestimmte berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten benötigen.
Gerade diese Eigenschaften fehlen aber den (Hoch-)Schulabgängern, die noch nie
erwerbstätig waren und daher keine Berufsausbildung realisieren konnten. Hier
schließt sich der Kreis, und den betroffenen Personen bleibt nichts anderes übrig, als
einfache Tätigkeiten in Supermärkten oder auf Baustellen anzunehmen oder als
Tagelöhner zu jobben. Während des Wirtschaftsbooms von Ende der 1980er- bis
Anfang der 1990er-Jahre wurden die sogenannten Part-timer (wörtlich: Teilzeitbe-
schäftigte) und Jobber (Gelegenheitsarbeiter) (zu beiden Begriffen vgl. Ito 2011, S.
188) relativ gut entlohnt und konnten damit ein normales Leben führen. In der
Wirtschaftsflaute ist ihr Einkommen jedoch sehr niedrig geworden und erschwert
eine angemessene Lebensführung.
Traditionell (seit der Zeit der Rezession um 1927, mit einer Unterbrechung in der
Nachkriegszeit) praktizieren japanische Unternehmen das sogenannte Japanische
Management mit „lebenslanger Beschäftigung“ (der Arbeitnehmer tritt vom
Bildungssystem direkt in eine Firma ein und verbleibt dort bis zu seiner
Pensionierung) sowie mit dem Senioritätsprinzip bei Beförderung (Rekrutierung
auf internen Arbeitsmärkten) und Entlohnung als Norm für die Gestaltung von
Beschäftigungsverhältnissen (vgl. Eswein 2004, Kapitel 2.1.1). Jährlich zum 1.
April werden neue Mitarbeiter aus den Bildungsinstitutionen in die unterste Stufe
der Firmenhierarchie aufgenommen und gemäß ihrer Dienstdauer schrittweise
befördert. Die Stellensuche beginnt in der Regel schon während der Schulzeit bzw.
während des Studiums (Stellensuche ab dem 6. Semester). Bis Ende März soll im
Idealfall allen stellensuchenden Oberschülern und Studenten eine Stelle zugesagt
worden sein. Sollte ein Absolvent aus irgendeinem Grund keine Zusage erhalten
haben, sind seine Möglichkeiten zur Einstellung als Stammmitarbeiter sehr
begrenzt, da es keine institutionalisierten Wege gibt, die zu diesem Ziel führen
(vgl. Eswein 2011b, S. 58; Alexander und Pilz 2004).
Der Umfang der Einstellung neuer Mitarbeiter direkt nach Abschluss der Schule
bzw. des Studiums ist jedoch bereits seit 1992 ständig zurückgegangen. Bei den
Oberschülern kamen im März 1992 noch durchschnittlich etwa drei Stellenangebote
auf einen Absolventen. Danach ging die durchschnittliche Anzahl der Stellenan-
gebote für diese Personengruppe kontinuierlich zurück (Tiefststand 2003: 0,5
Stellenangebote; vgl. Hara 2005, S. 4), und sie blieb bis heute auf sehr niedrigem
Niveau, nämlich unter 0,7 (vgl. Hori 2009, 2007a, S. 31, d. h. auf einen
Stellensuchenden kam durchschnittlich weniger als ein Stellenangebot). Bei den
Hochschulstudenten erreichte die durchschnittliche Zahl der Stellenangebote pro
Absolvent ihren Höhepunkt im Jahr 1991 mit 2,86 und ihren Tiefststand im Jahr
2000 mit 0,99 Angeboten. Bis 2008 stieg die Zahl der Stellenangebote wieder auf
2,14; allerdings ist sie aktuell für die Absolventen, die die Bildungsinstitutionen im
Frühjahr 2011 verlassen haben, wieder auf 1,62 gesunken (582.000 Angebote
gegenüber 456.000 arbeitsuchenden Studenten; vgl. Works Institute 2011).
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2
Bei einer Außenbetrachtung von Japan ist zu beachten, dass dort betriebliche Qualifizierungsprozesse
stark abweichend von den deutschen Gegebenheiten mit einer ausgeprägten beruflichen Erstausbildung
im Dualen System organisiert sind: In Japan sind Qualifizierungsprozesse überwiegend innerbetrieblich
und eher ohne berufliche Strukturierung als vielmehr tätigkeitsbezogen orientiert (vgl. Münch 1999;
Eswein 2004; Demes und Georg 2007).
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„Freeter“ und „NEETs“ 511
Freeter
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mehr als das Vierfache gestiegen: von 500.000 Personen im Jahr 1982 auf 1.510.000
im Jahr 1997 (Arbeitsweißbuch 2000, zitiert in JIL 2000, S. 17). Nach einer neueren
Statistik war danach bei der Anzahl der Freeter zwar eine abnehmende Tendenz zu
verzeichnen – von etwa 2.010.000 im Jahr 2005 auf rund 1.810.000 im Jahr 2007
(vgl. Business Labour Trend 2008), doch die letzte Wirtschaftskrise hatte einen
erneuten Anstieg auf 1.830.000 im Jahr 2010 zur Folge (vgl. MHLW 2011, S. 20).
Die Anzahl der NEETs ist im Vergleich dazu nach Yuki Honda (2006, S. 21–27)
eher konstant geblieben und umfasste im Jahr 2002 ca. ein Prozent der
Erwerbsbevölkerung oder etwa 847.000 Personen (zur Problematik der statistischen
Abgrenzung vgl. Werth 2008, S. 270–272). 2010 betrug die Zahl der NEETs (nach
der Definition des Japanischen Ministeriums für Gesundheit, Arbeit und Wohlfahrt,
MHLW) ca. 600.000 Personen (vgl. MHLW 2011, S. 20).
Die drei wichtigsten Thesen, die im japanischen Diskurs zu den Ursachen der
Übergangsproblematik zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem aufgestellt
wurden, betreffen die niedrigen Stand der formalen Bildung, das Herausfallen aus
dem Stellenvergabeverfahren und die von der Norm abweichenden Wertvorstel-
lungen von Freetern und NEETs.
Niedriger Bildungsstand
3
Goka definiert solche Beschäftigungsverhältnisse anhand folgender drei Merkmale: Direktbeschäfti-
gung bei einer Firma, Arbeitsvertrag ohne zeitliche Beschränkung und volle Arbeitszeit (vgl. Goka 2005,
S. 18f).
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„Freeter“ und „NEETs“ 513
c) Zunahme der Zahl der Geringverdiener (zwischen 1997 und 2002 nahm die
Zahl der Personen, die weniger als 1.000.000 Yen im Jahr verdienten,4 um etwa
820.000 zu).
Dieser Wandel sei vor allem bei jungen Arbeitnehmern sichtbar: Zwischen 2002
und 2004 lag die Jugendarbeitslosigkeit bei 10 Prozent; die Zahl der 15- bis 24-
jährigen Mitglieder der Stammbelegschaften ging zwischen 1997 und 2002 um
2.120.000 zurück, was mehr als der Hälfte des Gesamtrückgangs entspricht.
Als Hauptgrund hierfür nennt Goka die Abschaffung der Rekrutierung neuer
Mitarbeiter aus den Oberschulen zugunsten der Einstellung von Hochschulabsol-
venten. 1992 gab es noch etwa 1.676.000 Stellenangebote für Oberschulabsolventen.
Bis 2002 gingen sie auf 223.000 zurück. 1992 kamen 3,34 Stellenangebote auf einen
stellensuchenden Oberschulabsolventen, 2002 nur noch 1,26. Außerdem ist der
mögliche Einsatzbereich für Oberschulabsolventen aufgrund der Internationalisie-
rung der japanischen Unternehmen und der damit zusammenhängenden Verlegung
der Produktionsstätten ins Ausland immer kleiner geworden: 1992 waren etwa
128.000 männliche Oberschulabsolventen in der Produktion eingesetzt (etwa 40
Prozent aller männlichen Oberschulabsolventen), während es 2004 nur noch 69.000
Personen waren (vgl. Goka 2005, S. 20).
Auch Reiko Kosugi hat auf der Grundlage statistischer Erhebungen zur
Entwicklung der Arbeitsmärkte für Oberschulabsolventen konstatiert, dass Ober-
schulabsolventen seit Mitte der 1990er-Jahren nicht mehr in Großunternehmen und
nicht mehr für sogenannte White-Collar-Tätigkeiten5 eingesetzt werden (vgl.
Kosugi 2003, S. 21f; Ariga 2006, S. 14f). Unter anderem darin ist auch der Grund
dafür zu suchen, dass ihre Entlohnung seit den 1990er Jahren gesunken ist (vgl.
Yamada 2006, S. 42f).
Vertreter dieser These haben weiter festgestellt, dass die Part-timer und Jobber
aufgrund der Einfachheit der Tätigkeitsanforderungen weniger Gelegenheit zur
Ausbildung erhalten als Stammmitarbeiter (vgl. Kosugi 2003, S. 100f).6
Unterschiede zwischen den formalen Bildungsqualifikationen werden in dieser
These als Grund dafür betrachtet, dass ein Teil der Jugendlichen nach ihrem
Bildungsabschluss nicht direkt in stabile Beschäftigungsverhältnisse eintritt.
Zusammenfassend lässt sich These 1 folgendermaßen formulieren: Der betrof-
fene Personenkreis ist vor allem durch den niederen Stand seiner formalen Bildung
charakterisiert. Freeter und NEETs weisen bestimmte (niedere) formale
4
Das Kursverhältnis des japanischen Yen zum Euro beträgt ca. 100 Yen zu knapp 1 Euro.
5
White-collar-Tätigkeiten bezeichnen Arbeiten, die von Büroangestellten ausgeführt werden (im
Gegensatz zu Blue-collar-Tätigkeiten, bei denen z.B. ein blauer Overall getragen wird).
6
Bei der Befragung im Rahmen der Untersuchung des JIL von 2003, in der 1.460 japanische
Unternehmen über die Hauptaufgaben der bei ihnen beschäftigten Part-timer und Jobber befragt wurden,
antworteten die meisten Unternehmen (90,5 Prozent), dass sie diese Beschäftigten für Routineaufgaben
einsetzten, die früher von der Stammbelegschaft erledigt worden seien. 21,3 Prozent antworteten, dass sie
ihnen Aufgaben zuteilten, die problemorientiert gelöst werden müssten, die aber auch von der
Stammbelegschaft erledigt würden. Nur 20,9 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, dass sie diese
Beschäftigten mit Aufgaben betrauten, zu deren Bewältigung Fachkenntnisse erforderlich seien (vgl.
Japan Institute of Labour 2003; zitiert in Kabinettsamt der Japanischen Regierung 2006).
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Eine weitere Begründung dafür, dass ein bedeutender Teil der Jugendlichen in Japan
nach dem Bildungsabschluss nicht direkt in stabile Beschäftigungsverhältnisse
eintritt, liegt in dem Befund, dass Freeter und NEETs „Vertreter eines neuen
Lebensstils“ sind, über die nach Toshiko Ito „die Medien im Allgemeinen in
wohlwollendem Ton berichteten“ (Ito 2011, S. 187).
Die meisten Verfechter dieser These stützen sich dabei auf empirische
Untersuchungen, wie z. B. die des Japanischen Ministeriums für Wirtschaft,
Handel und Industrie (vgl. METI 2004).
Bezüglich der Einstellung der Freeter gegenüber einer Tätigkeit als Part-timer
oder Jobber in der Randbelegschaft unterscheiden die japanischen Experten
zwischen den Freetern in der Seifenblasenwirtschaft (バブル期フリーターBaburuki
furı̄tā) von Ende der 1980er bis Anfang der 1990er Jahre und den Freetern in der
Wirtschaftsflaute (氷河期フリーターHyōgaki furı̄tā) von 2000 bis 2005. Bei der
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„Freeter“ und „NEETs“ 515
Die Rolle der Bildungsabschlüsse in Bezug auf den Personenkreis der Freeter
und NEETs
Freeter
Daten des Amts für Statistik beim Japanischen Ministerium für Inneres und
Kommunikation von 2001 ergeben folgendes Profil für Freeter: 68 Prozent sind
Oberschul- bzw. Mittelschulabsolventen, 22 Prozent sind Absolventen von
Kurzhochschulen bzw. der vorwiegend staatlichen Colleges of Technology (Kōtō
senmon gakkō) und 10 Prozent sind Hochschulabsolventen (Bachelor, Master,
Promotion) (vgl. Amt für Statistik, Japanisches Ministerium für Inneres und
Kommunikation 2001). Einer neueren, vergleichenden Studie des JILPT für die
Jahre 2001 und 2006 zufolge waren zu Beginn des Zeitraums knapp die Hälfte und
an seinem Ende deutlich mehr als die Hälfte der männlichen Freeter Oberschul-
bzw. Mittelschulabsolventen (2001: 49 Prozent; 2006: 62,2 Prozent). Bei den
weiblichen Freetern lag der Anteil der niedriger Qualifizierten immer deutlich über
der Hälfte (2001: 52,0 Prozent; 2006: 74,4 Prozent) (vgl. JILPT 2006a, S. 61). Diese
empirischen Befunde zeigen, dass ein niedriger Bildungsabschluss eine wichtige
Determinante für den Status des Freeters ist, und zwar mit zeitlich verstärkender
Tendenz.
Ein noch präziseres Bild, insbesondere über die Freeter, liefert Tabelle 1, deren
Basis eine Untersuchung des JILPT ist. Dieses Institut führte in den Jahren 2005 und
2006 Interviews mit 2.000 jungen Menschen zwischen 18 und 29 Jahren aus der
Metropolregion Tokio durch und erhob u. a. auch die absolvierten Bildungsgänge.
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516 M. Eswein, M. Pilz
Tabelle 1 Bildungsabschlüsse und Bildungsabbruch im Kontext der Beschäftigung als Freeter 2006
(2001)
Bildungs- (miss-) erfolg Oberschule Specialized Hochschule*2 Oberschul- Hochschul-
Freeter- Anteil Training abbruch*3 abbruch
College*1
männlich [%] 34,1 (12,4) 21,8 (7,9) 13,1 (7,5) 38,9 (14,4) 39,3 (18,6)
weiblich [%] 53,2 (27,2) 24,2 (16,7) 13,0 (7,3) 73,9 (48,5) 46,3 (42,7)
Diese Tabelle wurde anhand von Daten aus JILPT 2006b, S. 22, 136 erstellt
*1einschließlich Absolventen der Colleges of Technology (Kōtō senmon gakkō) und von
Kurzuniversitäten
*2 einschließlich Absolventen von Master- oder Doktorkursen
*3 einschließlich Mittelschule
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„Freeter“ und „NEETs“ 517
Stammmitarbeiter tätig; in Nagano waren die entsprechen Anteile 45,9 Prozent und
63,9 Prozent. In Hokkaido und Nagano war der Effekt des Universitätsabschlusses
auf die Beschäftigungsform also kleiner als in Tokio (vgl. JILPT 2009, S. 4).
Folglich ist der Zusammenhang zwischen Vorbildung und einer Freeter-
Beschäftigung in Abhängigkeit vom regionalen Arbeitsmarkt zu differenzieren.
NEETs
Sonderfall (Hoch-)Schulabbruch
8
Ähnliche Befunde gelten für die Gruppe der NEETs (vgl. Werth 2008, S. 274).
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Die Arbeitsmärkte in Japan sind traditionell nach dem Geschlecht sowie nach
Oberschul- und Hochschulabsolventen segmentiert (vgl. z. B. Drinck 2002, S. 267–
268). Daher sind die Stellenberatung und Stellenvermittlung für Oberschulabsol-
venten und die Beratung und Vermittlung für Hochschulabsolventen separiert zu
untersuchen.
Japanische Unternehmen erwarten in der Regel von den Absolventen der
Bildungsinstitutionen keine berufliche Qualifikation im deutschen Sinne, da diese
9
An dieser Situation konnte auch der bildungspolitische Beschluss, solche engen formalen Koopera-
tionen zwischen Schulen und Unternehmen zu untersagen (vgl. Hori 2007a, S. 29–30), wenig ändern.
Allerdings sind diese informellen Beziehungen seit Anfang der 1990er-Jahre immer unbedeutender
geworden (vgl. Hori 2008, S. 7 u. Abschnitt 3.2).
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„Freeter“ und „NEETs“ 519
10
Auch Ishida, der den Anteil der in Beziehungsfirmen eingestellte Kandidaten an der Gesamtzahl der
eingestellten Absolventen im Jahr 1983 mit der Quote im Jahr 2000 verglich, stellte fest, dass diese Quote
in diesem Zeitraum von 49,9 Prozent auf 34,2 Prozent zurückging (vgl. Ishida 2007, S. 58).
123
520 M. Eswein, M. Pilz
Kandidaten einer strengen Überprüfung und übernehmen schließlich nur die als
geeignet eingestuften Kandidaten (vgl. Hori 2008, S. 5–6).
Eine weitere entscheidende Entwicklung ist die Öffnung der Informationen über
offene Stellen im Beschäftigungssystem: Das Arbeitsamt gibt diese nun nicht mehr
nur an Schulen weiter, sondern macht sie über das Internet für jedermann
zugänglich (vgl. Kosugi 2008, S. 4). In diesem Sinne ist das Einstellungsverfahren
universalistischer geworden. Mary Brinton bewertet diesen Prozess allerdings als
„Verfall“ der institutionellen Verbindungen zwischen Oberschulen bzw. allge-
meinbildenden Oberschulen und Betrieben, die bis vor dem Zusammenbruch der
Seifenblasenwirtschaft einen fließenden Übergang vom Bildungs- ins
Beschäftigungssystem ermöglichten (vgl. Brinton 2008).
Die Rekrutierungspraxis für Hochschulabsolventen lässt sich vor allem anhand
der Fachrichtungen der Kandidaten unterscheiden, nämlich geistes-/sozialwis-
senschaftliche Fachrichtungen auf der einen Seite und naturwissenschaftliche
Fachrichtungen auf der anderen Seite. Bei der ersten Gruppe war es bisher üblich,
die Methode der freien Bewerbungen (自由応募制 Jiyūōbo sei) anzuwenden, bei
der zweiten Gruppe das Verfahren der Hochschul-Empfehlung (meist Empfehlung
durch einen Professor, der eine jahrelange Beziehung zu dem betreffenden
Unternehmen hat; 指定校制度 Shiteikō seido; vgl. Eswein 2002, S. 248). In
letzterem Fall sind die konkreten Einstellungschancen für den Einzelnen in der
Regel nur dann gut, wenn seine Hochschule von möglichst vielen renommierten
Unternehmen Stellenangebote erhält und zu möglichst vielen davon informelle
Beziehungen unterhält. Genau wie beim Verfahren zur Rekrutierung von Ober-
schulabsolventen ist auch hierin eine in die Stellenvermittlungsstruktur eingebaute
Zugangsbarriere zu erkennen.
Bei den Universitätsabsolventen ingenieurwissenschaftlicher Fachrichtungen
haben diese traditionellen Beziehungen zwischen Unternehmen und Professoren
bei der Stellenvermittlung zwar noch immer Bedeutung. Nach einer Untersuchung
des JILPT von 2007 betrug der Anteil der Absolventen, die aufgrund der
Empfehlung eines Dozenten eine Stelle erhalten hatten aber auch in diesem
Bereich nur noch 27,7 Prozent (vgl. JILPT 2007, S. 15).11
Die meisten Absolventen geistes- und sozialwissenschaftlicher Fachrichtungen
verfahren bereits nach dem Muster der freien Bewerbung, das idealtypisch
folgendermaßen abläuft: Zunächst registrieren sich die Stellensuchenden auf der
Internetseite der „Stellenvermittlungshilfe“ ihrer Wunschfirma (auch mehrere). Dort
können sie Informationsmaterial anfordern. Danach werden sie gegebenenfalls zu
einem offenen Orientierungsseminar in die Unternehmen eingeladen. Nach dessen
Besuch können sie ein sogenanntes Entry sheet (Bewerbungsformular) abgeben, in
das sie neben ihrem Lebenslauf auch eine Selbstdarstellung bzw. die Gründe für
ihren Entschluss abgeben können, sich bei dieser Firma zu bewerben. Fällt die
11
Seit Beginn des 21. Jahrhunderts stellen die Unternehmen im Bereich Forschung und Entwicklung
praktisch nur noch Hochschulabsolventen mit Masterabschluss (MA) bzw. Promotion als Stammmitarbei-
ter ein. Absolventen mit Bacherlorabschluss (BA) werden daher nur noch in der Produktion beschäftigt.
Dies führte zur Einführung der Methode der freien Bewerbungen auch für BA-Absolventen natur- und
ingenieurwissenschaftlicher Fächer. Für Absolventen mit MA bzw. Promotion besteht das Verfahren der
Hochschul-Empfehlungen nach wie vor (vgl. Eswein 2004).
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„Freeter“ und „NEETs“ 521
Die Rolle der Werte und Einstellungen im Kontext von Freetern und NEETs
Da die Freeter und NEETs auch hier jeweils eine eigene Typisierung haben, werden
sie erneut getrennt untersucht.
Freeter
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522 M. Eswein, M. Pilz
Tabelle 2 Prozentuale Entwicklung der drei Typen von Freetern zwischen 2001 und 2006
Jahr Typus
2006 [%] 44 25 31
2001 [%] 47 14 39
Differenz [%-Punkte] −3 11 −8
Diese Tabelle wurde anhand von Daten aus JILPT 2006a, S. 65 erstellt
Der dritte Typus konnte sein Ziel (noch) nicht verwirklichen, in die Stammbe-
legschaft eines Unternehmens aufgenommen zu werden, und arbeitet daher als
Freeter (die Einstellungen und Werte dieses Typus stimmen mit denen der zweiten
Freeter-Generation überein). Dieser Gruppe sind auch Personen zuzurechnen, die
ein bestimmtes Ziel haben (z. B. Zweitstudium oder Auslandsreise), zu dessen
Finanzierung sie als Freeter arbeiten, und weiter Personen, die aufgrund von
schicksalhaften Ereignissen wie Todesfällen in der Familie oder Krankheiten
zeitweise in dieser Form arbeiten müssen.
Nach der bereits erwähnten neueren Untersuchung des JILPT von 2006 war der
Anteil der Freeter des Typus „Lebenstraum“ auf 25 Prozent gestiegen, gegenüber
14 Prozent im Jahr 2001. Die beiden anderen Typen waren dagegen weniger
vertreten (vgl. Tabelle 2).12 Der Anteil des Typus „Lebenstraum“ an der Gesamtheit
der Freeter, der während der Seifenblasenwirtschaft von Ende der 1980er Jahre bis
Anfang der 1990er Jahre sehr hoch war, ging beim Platzen der Blase zurück.
Allerdings darf man die Tatsache nicht vergessen, dass es sich bei den Probanden
beider Untersuchungen um junge Menschen aus dem Großraum Tokio handelte. So
haben Hori und Kosugi vor einer einseitigen Interpretation empirischer Daten
aufgrund der Nichtbeachtung regionaler Unterschiede gewarnt: Vor allem
Großstadtregionen wie Tokio, Osaka oder Saitama seien durch ausgeprägte
Angebotsstrukturen in den Bereichen Dienstleistung und Verkauf charakterisiert,
wohingegen in ländlichen Gegenden die Nachfrage vom produzierenden Gewerbe
dominiere (vgl. Hori 2008, S. 5; JILPT 2009, S. 2–3). Großstadtumgebungen bieten
jungen Arbeitskräften zudem gewisse Arbeitsmarktnischen, wie z. B. im Kunst-
bereich, in denen traditionelle Beschäftigungsverhältnisse weniger stark ausgeprägt
sind.
Die neueste Entwicklung zeigt jedoch, dass die Zahl junger Menschen, die
während der Schul- bzw. Studienzeit keine Berufsperspektive bzw. keinen
Berufswunsch entwickeln konnten, eher abnimmt. Bei den Oberschulabsolventen
betrug der Anteil der Vertreter des Moratoriums-Typus im Jahr 2010 5,6 Prozent,
während er sich um das Jahr 2000 bei etwa 10 Prozent bewegte (vgl. MHLW 2011,
S. 10). Bei den jungen Arbeitslosen zwischen 15 und 34 Jahren nahm der Anteil
derer, die ihre Stelle durch Kündigung seitens der Unternehmen verloren, von 2007
bis 2009 von 13 Prozent auf 25 Prozent zu (2010: 22 Prozent); dagegen nahm im
12
Auch Hommerich (2009, S. 218–223) kommt auf der Basis der von ihr geführten Tiefeninterviews mit
Freetern zu dem Ergebnis, dass bei diesen von der Allgemeinheit abweichende Arbeitswerte vorliegen.
123
„Freeter“ und „NEETs“ 523
Zeitraum von 2004 bis 2010 die Zahl derer, die ihre Stelle selbst kündigten in
derselben Altersgruppe von 41 Prozent auf 33 Prozent ab (vgl. MHLW 2011, S. 5).
Die hier herangezogenen Daten zeigen, dass ein großer Teil der heutigen Freeter
im Sinne der zweiten Freeter-Generation gezwungenermaßen als Part-timer oder
Jobber arbeitet.
Die Wahrnehmung von Freetern aus der Perspektive japanischer Unternehmen
ist jedoch eine andere: Nach der Untersuchung des MHLW von 2004 (zitiert in
Kabinettsamt der Japanischen Regierung 2006, Abb. 1-2-5) bewerteten immerhin
30,3 Prozent der befragten Unternehmen junge Arbeitskräfte von 15 bis 34 Jahren,
die keine langfristige Beschäftigung hatten und wie Freeter lebten, negativ.
Als Grund für ihre negative Bewertung äußerten 70,7 Prozent der Unternehmen,
die bei der obigen Frage eine solche Bewertung abgegeben hatten, dass man bei
diesen Mitarbeitern nie wissen könne, wann sie ihren Arbeitsplatz das nächste Mal
wechseln würden. 51,1 Prozent äußerten die Ansicht, dass solche Mitarbeiter nicht
verantwortungsvoll arbeiteten. 44,8 Prozent äußerten sich dahingehend, dass man
solche Mitarbeiter aufgrund ihrer mangelnden Motivation zur Arbeit wieder
innerbetrieblich „erziehen“ müsse. 38,1 Prozent vertraten die Auffassung, dass diese
Mitarbeiter keine ihrem Alter entsprechenden Kenntnisse und Fertigkeiten besäßen
(vgl. Kabinettsamt der Japanischen Regierung 2006, Abb. 1-2-6).
Daten aus dem Weißbuch des Kabinettsamts der Japanischen Regierung von
2006 liefern hingegen ein deutlich anderes Bild der Freeter: 69,2 Prozent der in
einer Untersuchung befragten Stammmitarbeiter und 67,5 Prozent der befragten
Part-timer von 19 bis 34 Jahren wollten bei ihrem gegenwärtigen Arbeitgeber
bleiben, auch wenn sie mit manchem unzufrieden waren (vgl. Kabinettsamt der
Japanischen Regierung 2006, Abb. 1-2-7). Bezüglich der Arbeit und des Privatle-
bens zeigten die vorliegenden Daten kaum Unterschiede zwischen beiden Gruppen:
4,7 Prozent der befragten Stammmitarbeiter und 9,3 Prozent der Part-timer äußerten
die Ansicht, man müsse zugunsten der Arbeit Opfer im Privatleben bringen. 24,0
Prozent der Stammmitarbeiter und 17,9 Prozent der Part-timer stimmten dieser
Ansicht eher zu. Der Anteil der Stammmitarbeiter, die dem Privatleben
grundsätzlich oder tendenziell Vorrang vor der Arbeit einräumten, war mit 38,2
Prozent höher als bei den Part-timern mit 35,0 Prozent.
NEETs
Die Situation bei den NEETs – also bei Personen, die weder arbeiten noch eine
Bildungsinstitution besuchen noch nach Arbeit suchen – stellt sich etwas anders dar
als bei den Freetern. Nach Honda ist der Personenkreis der NEETs keineswegs
homogen; vielmehr muss er in mindestens zwei Gruppen differenziert werden,
nämlich in „Nicht-Arbeitsuchende“ (非求職型 Hi kyūshoku gata) und „Arbeitsun-
willige“ (非希望型 Hi kibō gata). Wie Yuki Honda in ihrem Buch „Bitte nennt uns
nicht NEET!“ (ニートって言うな Niito tte iuna!! eindrucksvoll darstellt, können viele
sogenannte NEETs häufig gar nicht arbeiten, obwohl sie es wollen. So ist etwa ein
Viertel von ihnen vorübergehend erkrankt (z. B. aufgrund eines Arbeitsunfalls; dies
war der am häufigsten genannte Grund für die Nichtmeldung als arbeitsuchend).
Honda unterscheidet verschiedene Gruppen von NEETs und zeigt, dass nur ein
123
524 M. Eswein, M. Pilz
kleiner Teil des betroffenen Personenkreises tatsächlich nicht arbeiten will (vgl.
Honda 2006, S. 16ff.).
Die neueste Untersuchung der Abteilung für Personalentwicklung des MHLW
ergab, dass sich 28,7 Prozent der NEETs wegen Krankheit nicht als arbeitsuchend
melden konnten (vgl. MHLW 2011, S. 25); in der zugrunde liegenden Erhebung war
dies die am häufigsten gewählte Antwort auf die Frage, warum man nicht
arbeitsuchend gemeldet sei.
Bezüglich der Werte und Einstellungen Jugendlicher gibt es seit einigen Jahren
heftige Diskussionen in Japan, die viel mit Ideologie zu tun haben: Konservative
Politiker behaupten gerne, dass Freeter „faule junge Menschen ohne Arbeitsmoral“
und NEETs „Jugendliche ohne Arbeitsmotivation“ seien, und dass ihr Anteil an den
jungen Japanern ständig zunehme, was eine „Gefahr für die japanische Wirtschaft“
darstelle“ (vgl. Naitō 2006, S. 184f.; Yabuki 2008).
Japanische Experten bemühen sich, die vorherrschende Meinung über diesen
Personenkreis zu entzerren. So betont Honda, dass NEETs Jugendliche mit ganz
verschiedenen Charakteren sind, die sich diesbezüglich kaum von der Mehrheit der
„normalen“ japanischen Jugendlichen unterscheiden (vgl. Honda 2006, S. 30f.).
Auch ist diese Gruppe in der Dekade von 1992 (410.000 Personen) bis 2002
(420.000 Personen) nur um den Faktor 1,02 gewachsen (ibid., S. 29).
Die vorliegenden Ausführungen dokumentieren zwar, dass manche Freeter und
vor allem NEETs eine positive Einstellung zum Firmenwechsel haben, dem
Privatleben Vorrang vor der Arbeit geben und eine geringere Motivation zur Arbeit
haben, andererseits zeigen sie aber auch, dass es sich dabei nur um eine kleine
Minderheit innerhalb dieses Personenkreises handelt. Zwar ist in den Großstädten
eine neue Jugendkultur bei den Freetern und NEETs erkennbar, dieser Befund lässt
sich aber nicht verallgemeinern und auf alle japanischen Regionen übertragen. Die
Urteile über Freeter und NEETs werden in der japanischen Gesellschaft folglich
häufig überbetont und teilweise auch als Strategie für politische Zwecke verwendet
(vgl. Honda 2006, S. 57).13
Die Mehrheit der gegenwärtigen Generation der Freeter und NEETs, die im Jahr
2011 zwischen 15 und 34 Jahre alt sind, ist nicht durch Merkmale wie positive
Einstellung gegenüber dem Firmenwechsel, Vorrang des Privatlebens vor der Arbeit
und geringe Arbeitsmotivation zu charakterisieren. Die hier herangezogenen Daten
haben vielmehr gezeigt, dass die Mehrheit dieses Personenkreises durch das Fehlen
eines Bildungsabschlusses (Hochschul- bzw. Schulabbruch) oder durch eine niedere
formale Bildungsqualifikation in ihre Arbeitslosigkeit bzw. in die Beschäftigungsart
„Freeter“ gekommen ist. Weitere dominierende Gründe stellen Krankheit bzw.
Verletzung dar, die vorübergehend zu Arbeitsunfähigkeit und zum Zustand „NEET“
13
Honda nennt als Beispiel ein „Seminar zur Förderung der Selbständigkeit“, das im Rahmen politischer
Maßnahmen 2005 begann (vgl. Honda 2006, S. 57).
123
„Freeter“ und „NEETs“ 525
123
526 M. Eswein, M. Pilz
123
„Freeter“ und „NEETs“ 527
Prozent der Absolventen eine Stelle gefunden. Nach der Einstellung durch das
MHLW führten allerdings einige Präfekturen und Gemeinden ähnliche Seminare in
eigener Regie und aus eigenen Mitteln selbst durch (vgl. MHLW 2008).
Schließlich ist noch eine weitere Erfolg versprechende Maßnahme des MHLW,
nämlich die Einführung von Bewertungsstandards für durch Erfahrung erworbene
Fähigkeiten (経験能力評価基準 Keiken nōryoku hyōka kijun) (vgl. MHLW 2007)
zu nennen: Da die reguläre Erstausbildung in Japan traditionell vor allem in den
Betrieben stattfindet, Part-timer ihre Tätigkeit dagegen häufig am Arbeitsplatz
durch On-the-Job-Training erlernen, haben Letztere kaum Gelegenheit, Nachweise
über ihre so gewonnene Qualifikation zu erwerben. Die bildungspolitischen
Maßnahmen des Ministeriums setzen an diesem Punkt an. Durch Freeter und
NEETs erworbenes Know-how soll systematisch erfasst und dokumentiert werden,
um es dann als nachgewiesene Kompetenz arbeitsmarktgängig zu machen (vgl. Inui
et al. 2007).
Wie die Maßnahmen langfristig wirken werden, ist derzeit nicht abschließend
abzuschätzen. Letztlich gilt diese Unsicherheit auch hinsichtlich der Auswirkungen
der demografischen einerseits sowie der wirtschaftlichen und damit arbeitsmarkt-
bezogenen Entwicklungen andererseits (Pilz 2011, S. 287–290). Aktuell ist
aufgrund des hohen Yen-Kurses und der wirtschaftlichen Beeinträchtigungen durch
die Natur- und Technikkatastrophe vom März 2011 die Zahl der Personen, welche
im April 2012 in das Beschäftigungssystem eintreten werden, im Vergleich zu den
vergangenen Jahren zurückgegangen. Sollte mittelfristig der Bedarf der Arbeitgeber
größer als das Angebot an Erwerbsanfängern sein, so dürften die japanischen
Phänomene Freeter und NEET dann höchstwahrscheinlich in weiten Teilen der
Geschichte angehören. Dies resultiert aus dem Tatbestand, dass dann nicht nur
stellensuchende Jugendliche leichter eine Beschäftigung finden, sondern auch
daraus, dass Betriebe die Attraktivität der Stellen durch eine anspruchsvolle und
herausfordernde Tätigkeit sowie gegebenenfalls größere Freiheitsgrade erhöhen
müssen, um auch die Jugendlichen zu erreichen, die (vorübergehend) andere
Arbeitsformen präferieren.
Sollte hingegen der Stellenbedarf stärker sinken als die Anzahl der Jugendlichen,
so ist das Problem der beiden Gruppen auch weiterhin für die japanische
Bildungspolitik von Relevanz.
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Die Autoren
123
„Freeter“ und „NEETs“ 531
Matthias Pilz ist Lehrstuhlinhaber für Wirtschafts- und Sozialpädagogik an der Universität zu Köln.
Diplom-Handelslehrer (Universität Göttingen), wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Wirt-
schaftspädagogik der TU Dresden, Promotion an der Universität Konstanz, wissenschaftlicher Mitarbeiter
am Institut für Wirtschaftspädagogik der Universität St. Gallen/Schweiz, 2005 bis 2009 Professor für
Wirtschaftslehre und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Forschungsschwerpunkte:
International-vergleichende Berufsbildungsforschung, Übergangsforschung zwischen Bildungs- und
Beschäftigungssystem, Lehr-Lernforschung.
123
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