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Leibniz-Informationszentrum
Wirtschaft
Santarius, Tilman
Research Report
Der Rebound-Effekt: Über die unerwünschten Folgen
der erwünschten Energieeffizienz
Suggested Citation: Santarius, Tilman (2012) : Der Rebound-Effekt: Über die unerwünschten
Folgen der erwünschten Energieeffizienz, Impulse zur WachstumsWende, No. 5, Wuppertal
Institut für Klima, Umwelt, Energie, Wuppertal,
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:wup4-opus-42193
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www.econstor.eu
Wuppertal Institut
für Klima, Umwelt, Energie
GmbH
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Energieef fizie
D
Der Rebound-Effekt
Über die unerwünschten Folgen der erwünschten Energieeffizienz
Von Tilman Santarius
Autor:
Tilman Santarius
Forschungsgruppe 2 – Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik
Mitarbeit:
Dr. André Holtrup, Jörg Melz
Kontakt:
E-Mail: michael.kopatz@wupperinst.org
E-Mail: alexandra.palzkill@wupperinst.org
Disclaimer:
Unter dem gemeinsamen Obertitel „Impulse zur WachstumsWende“ ver-
öffentlicht das Wuppertal Institut Thesen und Forschungsergebnisse mit
Bezug zur aktuellen Wachstumsdebatte.
Zusammenfassung 5
Quantitiatves Ausmaß 6
2.4 Cross-Factor-Rebound-Effekte 15
4.1 Effizienzstandards 19
4.2 Ökosteuern 20
4.4 Nachhaltigkeits-Kommunikation 22
Literatur 25
5
Tilman Santarius*
Der Rebound-Effekt
Über die unerwünschten Folgen der erwünschten Energieeffizienz
* Für Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge zu einem Entwurf des vorliegenden Papiers danke ich Christoph Görg,
Hans Haake, Michael Kopatz, Manfred Linz, Reinhard Loske, Wolfgang Sachs und Uwe Schneidewind.
Eine Steigerung der Energieproduktivität, um die ausgehenden fossilen und die an ihre Stelle
tretenden erneuerbaren Ressourcen möglichst sparsam im Wirtschaftsprozess einzusetzen, ist
ein wichtiger Beitrag zur Nachhaltigkeit. Dieser Text geht indessen der Frage nach, inwiefern
Produktivitätssteigerungen ‚unerwünschte Nebenwirkungen’ in Form einer Mehrnachfrage
nach Energie nach sich ziehen können, die dem Ziel der Energieeinsparung zuwiderlaufen. Die
‚Mehrnachfrage aufgrund einer Produktivitätssteigerung’ wird als Rebound-Effekt bezeichnet.
Dieses Papier zeigt die Vielfalt möglicher Rebound-Effekte auf, umreißt ihr quantitatives Aus-
maß und beschreibt die Schwierigkeiten, sie mit politischen Maßnahmen einzudämmen. Im
Ergebnis erscheint es dringend erforderlich, zukünftig Rebound-Effekte in wissenschaftlichen
Szenarien und im politischen Handeln zu berücksichtigen.
lung effizienter Produkte in der Gebäudedäm- technologien und -maßnahmen realisieren, mit-
mung oder beim Aufbau neuer Infrastrukturen unter auch weniger.
und Märkte für energieefffiziente Produkte.
einkommen stabil gehalten werden oder gar Um einer wissenschaftlich fundierten Antwort
schrumpfen kann, ist daher eine der wichtigsten auf die Frage ein Stück näher zu kommen, ist
und herausforderndsten Fragen der Zukunft. es von zentraler Bedeutung, Argumente für
und wider eine Entkoppelung von Wirtschafts-
wachstum2 und Naturverbrauch3 in den Blick
zu nehmen. Schließlich ist die Gretchenfrage in
1. Wachstum und Entkoppelung
der Wachstumsdebatte: Lässt sich der Naturver-
brauch vom Wirtschaftswachstum absolut ent-
Über politische und gesellschaftliche Grenzen koppeln – oder nicht? Das zentrale Argument
hinweg besteht heute weitgehend Einigkeit für eine Entkoppelung geht davon aus, dass
darin, dass die modernen Industriegesellschaf- mittels Effizienz- und Konsistenzstrategien auch
ten in den nächsten Jahren und Jahrzehnten bei weiterem Wachstum der Verbrauch nicht-
vor der Herausforderung einer ziemlich grund- erneuerbarer Ressourcen wie auch die Emissio-
legenden Umwälzung stehen. Angesichts stei- nen schädlicher Stoffe in absoluten Zahlen dras-
gender Ölpreise, knapper werdender Ressour- tisch reduziert werden könnten (vgl. z.B. Hawken
cen, zunehmender globaler Erwärmung und et al. (2000). Kritiker hingegen befürchten, dass
einem historisch beispiellosen Verlust der Arten- eine hinreichende Entkoppelung von Wachstum
vielfalt wird eine ‚große Transformation’ gefor- und Naturverbrauch nicht möglich sei. Sie füh-
dert, die insbesondere die ökologischen Folge- ren unterschiedliche Gründe an, etwa die schlei-
schäden des industriellen Metabolismus mildert chende Verlagerung von Naturverbrauch aus
und die Gesellschaft auf den Pfad einer sozial den Industrieländern in den globalen Süden4
wie ökologisch nachhaltigen Entwicklung setzt. oder die abnehmende Netto-Energiebilanz beim
Übergang zu erneuerbaren Energieträgern (vgl.
Was allerdings die Gestalt dieses Pfads betrifft, z.B. Heinberg (2009)). Ein gewichtiges Argument
mithin die konkrete Umsetzung von nachhalti- gegen eine hinreichende Entkoppelung von
ger Entwicklung, darüber besteht weit weniger Wachstum und Naturverbrauch ist ferner der
Einigkeit. Gegenwärtig wird unter anderem über Rebound-Effekt, dem sich dieser Artikel widmet.
die Frage gestritten: stellt eine stetig wachsende
Wirtschaft eine Gefahr oder aber eine Voraus-
setzung für nachhaltige Entwicklung dar? Der 1.1 Das vergessene Paradox
Umweltpolitiker und -forscher Reinhard Loske
Wenn auch noch nicht unter der Bezeichnung,
meint gar, „in der Debatte über Nachhaltig-
wurde der Mechanismus des Rebound-Effekts
keit, Klimaschutz und ökologische Politik droht
bereits durch William Stanley Jevons renom-
ein Schisma“1: Auf der einen Seite stünden die
miertes Werk “The Coal Question” (1865) als
Effizienzrevolutionäre und Technikoptimisten,
Paradox in die Diskussion eingeführt: Effizienz-
die weiteres Wirtschaftswachstum für wün-
steigerungen bei der Nutzung von Kohle füh-
schenswert oder gar notwendig erachten; auf
ren nicht zu Einsparungen von Kohle, sondern
der anderen Seite die Protagonisten der Suffizi-
enz und des Kulturwandels, die wenigstens für
eine Abkehr vom Wachstumsparadigma in der 2 Loske, Reinhard (2010): Abschied vom Wachstums-
zwang. Konturen einer Politik der Mäßigung.
Politik plädieren, wenn nicht gar für Stagnation
Rangsdorf.
oder wirtschaftliche Schrumpfung. Hinter dem 3 Naturverbrauch wird hier verstanden als Inanspruch-
von Loske polarisierten Meinungsspektrum ver- nahme von Ressourcen und Ökosystemen sowohl als
stecken sich widerstreitende Annahmen, über Quellen für Rohstoffe wie auch als Senken für Abfälle
deren Wahrheitsgehalt derzeit auch die Wissen- und Emissionen. Im folgenden wird häufig auf den
schaft noch nicht eindeutig entschieden ist. Energieverbrauch und auf Emissionen rekurriert, die
offensichtlich nur einen Teil des Naturverbrauchs aus-
machen.
1 Loske, Reinhard (2010): Abschied vom Wachstums- 4 Zur Verlagerung von Treibhausgasemissionen siehe
zwang. Konturen einer Politik der Mäßigung. z.B. Peters et al. (2010) oder Bruckner et al. (2010) oder:
Rangsdorf. Santarius (2009).
ziehen einen erhöhten Kohleverbrauch nach Rebound angezettelt. Allerdings wurde seitdem
sich, weil der technische Fortschritt eine Mehr- der Rebound-Effekt nur in der ökonomischen Dis-
nachfrage nach Energie induziert. Entscheidend ziplin behandelt, vor allem aus zwei Perspektiven.
für die Definition des Begriffs Rebound, die sich Zum einen haben ihn Ökologische Ökonomen
dieser Artikel zu eigen macht, ist nicht die Höhe im Zusammenhang mit der Frage diskutiert, wie
des Effekts sondern die von Jevons entdeckte sich das Wechselverhältnis von Wirtschaftswachs-
Kausalität zwischen Effizienzsteigerung und tum und Energienachfrage verhält.6 Zum anderen
Mehrnachfrage: Rebound-Effekt bezeichnet den wurde seit den 1980er-Jahren eine bis heute zwar
gesteigerten Konsum von Ressourcen, der von noch überschaubare, aber zunehmende Anzahl
einer oder mehreren Produktivitätssteigerungen empirischer Studien durchgeführt, die versuchen,
bedingt oder zumindest ermöglicht wird.5 Die Rebound-Effekte einzelner Sektoren oder Pro-
Definition schließt ein, dass nicht nur Ressour- duktgruppen mittels historischer Zeitreihen oder
cen- oder Energie- sondern auch Arbeits- und ökonometrischer Modelle zu quantifizieren.7
Kapital-Produktivitätssteigerungen eine Mehr-
nachfrage nach sich ziehen können. Der vorlie- Von einer wissenschaftlich fundierten Diskus-
gende Artikel beschränkt sich indessen darauf, sion in Disziplinen jenseits der Ökonomie kann
auf der Outputseite nur die Mehrnachfrage nach bis heute nicht die Rede sein. Weder liegen
Energie zu betrachten. soziologische Studien, etwa zum Zusammen-
hang von Rebound-Effekten und individuellem
Offenbar wurde das von Jevons beschriebene Handeln oder aus systemtheoretischer Sicht8
Paradox in der wissenschaftlichen Diskussion vor, noch gibt es eine hinreichende Diskussion
über 100 Jahre lang vergessen. Daher bestimmt aus politikwissenschaftlicher Perspektive, etwa
die Vorstellung von ‚Effizienz gleich Sparsamkeit’ zur Frage, mit welchen Politiken und Maßnah-
bis heute das Denken und Handeln von Politi- men Rebound-Effekte eingehegt werden könn-
kern, Unternehmerinnen, Konsumenten: es wird ten. Kurzum, obwohl das Phänomen bereits vor
fest davon ausgegangen, dass ein effizienterer knapp 150 Jahren in die Wissenschaft eingeführt,
Umgang mit Energie und Ressourcen dazu führt, mit den Veröffentlichung von Khazzoum und
dass diese in absoluten Zahlen eingespart wer- Brookes in den 1980er-Jahren wiederentdeckt
den könnten. Doch was am einzelnen Beispiel
intiutiv einleuchtend klingt, gilt ganz offenbar 6 Während bei neoklassischen Ökonomen das Ver-
nicht für den Energieverbrauch von Gesellschaf- ständnis vorherrscht, der Energieverbrauch wirke
ten in Summe. Schließlich ist es augenscheinlich, relativ begrenzt auf das Wachstum weil die Höhe der
dass all jene Gesellschaften, die seit der Industri- Energiekosten am Bruttoinlandprodukt begrenzt sei,
alisierung die größten Produktivitätsfortschritte argumentieren ökologische Ökonomen auf Basis der
Grundsätze der Thermodynamik, dass Energienach-
seit Menschengedenken erzielen konnten, lau-
frage der entscheidende Motor des Wirtschaftswachs-
fend mehr Energie und Ressourcen verbraucht tums sei. Daher sei eine Entkoppelung praktisch kaum
haben. Eine Erörterung der Ursachen und Wirk- möglich, weil eine tatsächlich verringerte Energienach-
weisen von Rebound-Effekten liefert nicht nur frage – ob durch Effizienzsteigerungen oder anderswie
eine Erklärung für dieses scheinbare Paradox, – das Wirtschaftswachstum elementar beeinflussen
sondern lässt die Korrelation zwischen steigen- dürfte. Einen Überblick über diese Diskussion mit
weiteren Referenzen findet sich etwa bei Jenkins et al.
der Energieproduktivität und steigender Nach-
(2011).
frage logisch und folgerichtig erscheinen. 7 Siehe hierzu Kapitel 3.
8 Zwar finden sich Querbezüge zur Systemtheorie bei
Erst 1980 haben Daniel Khazzoom (1980) und Giampietro und Mayumi, allerdings mit Bezügen zu
Leonard Brookes (1990) für eine Wiederbelebung naturwissenschaftlichen und nicht zu sozialwissen-
der Hypothese von Jevons gesorgt und eine schaftlichen Systemtheorien. Siehe Giampietro, Mario/
Mayumi, Kozo (2008): The Jevon’s Paradox: The Evolu-
neuere wissenschaftliche Diskussion über den
tion of Complex Adaptive Systems and the Challenge
for Scientific Analysis. In: John M. Polimeni et al.: The
5 Ähnliche Definition auf Seite 5 bei Madlener/Alcott Myth of Resource Efficiency. The Jevons Paradox.
(2011) London, S. 79–140.
und seitdem verstärkt diskutiert wurde, besteht Rebound-Effekten weitere psychologische und
nach wie vor selbst in der Ökonomie, unzwei- systemisch bedingte Rebound-Effekte an die
felhaft aber in allen anderen wissenschaftlichen Seite gestellt.9
Disziplinen großer Forschungsbedarf.
Ferner hat die bisherige Konzentration der For-
schung auf ökonometrische Analysen konsum-
1.2 Forschungsthemen und Fragen bezogener Rebound-Effekte die Untersuchung
gesamtwirtschaftlicher Rebound-Effekte ver-
In den letzten Jahren sind einige Übersichts- nachlässigt. Es mangelt an theoretischen Erklä-
studien zum Rebound-Effekt erschienen, davon rungen, wie gesamtwirtschaftliche Rebounds
jüngst die Studie von Madlener und Alcott entstehen. Mit der Einführung des Begriffs von
(2011) im Rahmen der Enquete Kommission ‚Cross-Factor-Rebound-Effekten’ möchte dieser
des Deutschen Bundestags „Wachstum, Wohl- Artikel einen Beitrag dazu leisten, die Wirk-
stand, Lebensqualität.“ Nach wie vor mangelt weisen gesamtwirtschaftlicher Rebound-Effekte
es aber an umfassenden Analysen darüber, wie näher zu erörtern und den konsum- und pro-
Rebound-Effekte entsteht. Bisher werden Ursa- duktionsseitigen weitere systemische Ursachen
chen überwiegend mit ökonomischen Kate- hinzuzufügen.
gorien und dem Zusammenspiel von Preisen,
Einkommen, (Energie-) Nachfrage und Inves- Erst ein vertieftes Verständnis darüber, welche
titionen beschrieben. Sie rekurrieren insofern Wirkmechanismen sich hinter Rebound-Effekten
alle entweder auf Einkommens-, Preis- oder verstecken (Kapitel 2) und welche quantitativen
Substitutionseffekte (siehe unten), wobei meist Ausmaße Rebound-Effekte annehmen können
von rational Nutzen-maximierenden Individuen (Kapitel 3), lässt eine vorsichtige Annäherung
ausgegangen wird. Demgegenüber gibt es bis an die Frage zu, ob sie sich politisch eingehegen
dato kaum Versuche, Rebound-Effekte anhand lassen. Können umweltpolitische Instrumente
psychologischer und sozialwissenschaftlicher Rebounds eindämmen oder gar unterbinden
Zusammenhänge und Kategorien zu beschrei- und somit eine Entkoppelung von Wachstum
ben. Naheliegende Fragen, etwa warum Men- und Naturverbrauch möglich machen? Eine
schen nach einer Einsparung eigentlich mehr kritische Diskussion gängiger Instrumente der
konsumieren wollen, blieben in der Rebound- Umweltpolitik lässt wenig Hoffnung, dass dies
Forschung bislang außen vor. umfassend gelingen könnte (Kapitel 4). Die
Skepsis führt unweigerlich zu der Frage, wie Effi-
Dieser Artikel wird aufzeigen, wie Effizienzstei- zienz- und Konsistenzstrategien in Zukunft in
gerungen auch unabhängig von Einkommens- eine erfolgreiche Nachhaltigkeitspolitik einge-
effekten zu einer Mehrnachfrage führen können. bettet werden und welche Bedingungen erfüllt
Schließlich führen Effizienzsteigerungen von sein müssen, damit sie eine uneingeschränkt
Technologien nicht nur zu Kostensenkungen, konstruktive Rolle bei der ‚großen Transforma-
sondern mitunter auch zu Zeiteinsparungen tion’ hin zu einer nachhaltigeren Wirtschafts-
oder einer Verbesserung der gesellschaftlichen weise spielen können (Kapitel 5).
Akzeptanz ökologisch relevanter Handlungen;
beides kann individuelle Präferenzen verschie-
ben. Im Ergebnis werden den in der Ökonomie
beschriebenen finanziellen und materiellen
Die Höhe eines Rebound-Effekts wird gemein- sondern im Extremfall überkompensiert werden,
hin definiert als jener Prozentsatz von einer effi- so dass der Energieverbrauch nach der Effizi-
zienzsteigernden Maßnahme oder Technologie, enzsteigerung sogar über das vorherige Niveau
der durch einen Anstieg der Nachfrage kompen- hinaus ansteigt; mit anderen Worten, dass ein
siert wird. Um dies zu berechnen bedarf es der Rebound-Effekt von über 100% vorliegt.
Unterscheidung zwischen einerseits dem tech-
nisch und theoretisch machbaren, sozusagen 10 Saunders, Harry (1992): The Khazzoum-Brookes Postu-
‚vom Ingenieur’ anvisierten Effizienzpotenzial late and Neoclassical Growth. In: Energy Journal Nr. 13,
und andererseits dem in der Praxis tatsächlich S. 131–148.
Wie aber entstehen direkte, indirekte und makro- finanzielle Rebound-Effekte können unterschie-
ökonomische Rebound-Effekte? Warum fragen den werden.
Konsumentinnen und Konsumenten nach dem
Erwerb eines effizienteren Produkts mehr Ener- Energieeffizienzmaßnahmen, die sich ökono-
gie nach? Wieso verlagert sich die volkswirt- misch amortisieren, führen zu einem realen Ein-
schaftliche Nachfrage in Richtung energiever- kommensgewinn der Verbraucher. Die Ursache
brauchender Produkte und Sektoren, wenn die eines Rebound-Effekts kann dann ein Einkom-
gesamtwirtschaftliche Energieeffizienz steigt? mens-Effekt sein. Denn selbst wenn beispiels-
Es gibt vielfältige Gründe, warum es zu einem weise ein Drei-Liter-Auto in der Erstanschaffung
Rebound-Effekt kommen kann. Sie können zunächst mehr Geld als ein herkömmliches
in finanzielle, materielle, psychologische und Sechs-Liter-Auto kosten würde, dürfte sich die
Cross-Factor-Rebound-Effekte kategorisiert wer- Investition im Laufe der Zeit amortisieren. Die
den.11 frei gewordenen Mittel können entweder in
die erhöhte Konsumption des gleichen Gutes
gesteckt werden (direkter Rebound-Effekt), es
2.1 Finanzielle Rebound-Effekte könnten also mit dem Drei-Liter-Autor schlicht
mehr Kilometer gefahren werden. Oder sie kön-
Finanzielle Rebound-Effekte werden durch Kos-
nen in die Konsumption alternativer Güter und
teneinsparungen aufgrund von Effizienzmaß-
Dienstleistungen fließen, die ihrerseits dann
nahmen hervorgerufen. Beispielsweise wird der
Energie und Ressourcen verbrauchen (indirekter
Übergang zu verbrauchsärmeren Autos dazu
Rebound-Effekt). Die Höhe des Rebound-Effekts
führen, das Autofahrer weniger für Benzin aus-
hängt dann vom Anteil des Naturverbrauchs
geben müssen. Was machen sie mit dem frei
dieser alternativen Güter oder Dienstleistungen
gewordenen Geld? Und wie verändern sich die
ab. Ein Beispiel für letzteres ist der Zusammen-
Benzin- und Energie-Preise, wenn bald flächen-
hang zwischen Raumwärmebedarf und Wohn-
deckend Drei-Liter-Autos gefahren werden? Drei
fläche in Deutschland: Effizientere Heizungen
und Maßnahmen der Gebäudedämmung haben
11 Einen Anfang für eine Systematisierung von Rebound- den Verbrauch von Heizenergie je Quadratmeter
Effekten machen bereits Jenkins, Jesse/ Nordhaus, Ted/ Wohnfläche zwischen 1995 und 2005 um 9%
Shellenberger, Michael (2011) op. cit.; und Paech, Niko verringern können. Im gleichen Zeitraum stieg
(2011) op. cit. Ferner stellt van den Bergh eine Liste
jedoch der gesamte Energieverbrauch für das
von 14 Rebound-Effekten auf, die er allerdings nicht
näher erläutert, siehe van den Bergh, Jeroen C.J.M. Heizen der privaten Haushalte um 2,8% an. Die
(2011): Industrial energy conservation, rebound effects Einsparerfolge wurden durch den um ca. 13%
and public policy. UNIDO Working Paper Nr. 12. Wien. gestiegenen Wohnflächenbedarf kompensiert.
Insgesamt ist der Raumwärmebedarf pro Per- ten auch zu Investitionen in ein Re-Designing
son seit 1970 konstant hoch geblieben. Eine des herkömmlichen Produkts, etwa um dieses
Entkoppelung hat nicht stattgefunden (siehe attraktiver zu machen. Beispielsweise wurden
Abbildung).12 Effizienzsteigerungen in der Motorentechno-
logie selten genutzt, um verbrauchsärmere
Wenn Kosten senkende Effizienzmaßnahmen PKW anzubieten, sondern um bei gleichem
im Produktionsprozess zu einem realen Einkom- Verbrauch pro Fahrzeugkilometer leistungsstär-
mensgewinn auf Produzentenseite führen, kann kere, schnellere und schwere Autos herzustel-
es äquivalent zum Einkommenseffekt zu einem len. So verbrauchen der klassische ‚VW Käfer’ von
Re-Investitions-Effekt kommen. Unternehmen 1955 und der moderne ‚VW Beatle’ von 2005 mit
können die erhöhten Profite entweder in eine 7,5 resp. 7,1 Liter pro 100 km nahezu gleich viel.
Ausweitung der Produktion des gleichen Gutes Aber während der Käfer mit 30 PS und einer Spit-
(direkter Rebound als Expansion) oder zur Inves- zengeschwindigkeit von 110 km/h noch 730 kg
titionen in neue Produkte und Dienstleistungen wog, bringt der Beatle bei 75 PS und 160 km/h
stecken (indirekter Rebound als Diversifizierung Spitzengeschwindigkeit rund 1200 kg auf die
der Produktpalette). Auch kann das Unterneh- Waage. Hier wird der Rebound-Effekt gemessen
men die Löhne der Arbeitnehmer anheben, was am Tonnenkilometer pro Liter Benzin sichtbar.
wiederum zu dem oben genannten Einkom-
mens-Effekt führen kann. Häufig führen erwar- Die genannten Rebound-Effekte auf Akteurs-
tete Kosteneinsparungen beim Konsumen- ebene (Konsumenten, Produzenten) können
in Summe zu weiteren Effekten führen, die
gesamtgesellschaftlich wirken. Beispielsweise
12 Ebert, Thilo/ Essig, Nathalie/ Hauser, Gerd (2010):
wird die flächendeckende Einführung von
Zertifizierungssysteme für Gebäude. Nachhaltigkeit
bewerten, internationaler Systemvergleich, Zertifizie- Drei-Liter-Autos zu einer gesamtgesellschaft-
rung und Ökonomie. München. lich geringeren Nachfrage nach Benzin führen,
so dass die Benzinpreise sinken oder jeden- materiellen Rebound-Effekt von 1–15%.13 Für
falls weniger schnell ansteigen, als sie es ohne zahlreiche Energiesparprodukte zeigen Life-
die Effizienzverbesserung der Motoren getan Cycle-Analysen heute, wie hoch der Embodied-
hätten. Der allgemeine Preisverfall kann nun Energy-Effekt ist und ab welcher Nutzungsdauer
wiederum eine erhöhte Nachfrage aus anderen und -art sich die Investition in effizientere Geräte
Sektoren stimulieren. Der gesunkene Benzin- lohnt.
preis dürfte zu einer Mehrnachfrage nach ande-
ren Benzin verbrauchenden Produkten führt, die Neue Effizienztechnologien wie auch der Wan-
im Betrieb nun billiger werden; daher kann von del der Konsistenz der Wirtschaft – weg von
einem Marktpreis-Effekt gesprochen werden. fossilen Energieträgern und Rohstoffen hin
Möglicherweise könnten Gemeinden verstärkt zu erneuerbaren Energien und nachwachsen-
in motorisierte Laubbläser statt in konventio- den Rohstoffen – wird nicht nur durch eine
nelle Besen investieren. Die flächendeckende Umrüstung vorhandener Produktionsanlagen
Einführung von effizienten Holzpellets-Öfen in realisiert werden können. Vielmehr dürften
bestimmten Gebieten in Süddeutschland oder vielfach neue Kapazitäten und Infrastrukturen,
Österreich könnte zu einem relativen Rückgang sprich: gänzlich neue Märkte aufgebaut werden.
der lokalen Holzpreise führen, in dessen Folge Daher kann von einem Neue-Märkte-Effekt
nun holzverarbeitende Industrien (Möbel, Holz gesprochen werden.14 Die flächendeckende Ein-
für den Export) im Wettbewerb besser gestellt führung von Elektro-Automobilen kann je nach
werden und ihre Nachfrage nach Holz aus- Erzeugung des dafür benötigten Stroms zwar
weiten. möglicher Weise zu Effizienzgewinnen je gefah-
renem Kilometer eines Automobils führen. Um
den gesamtgesellschaftlichen Rebound-Effekt
2.2 Materielle Rebound-Effekte in den Blick zu nehmen, muss aber nicht nur
eine Lebenszyklus-Analyse der Produktion, Nut-
Investitionen in Effizienzmaßnahmen können zung und Entsorgung von E-Autos berücksich-
zu einer Mehrnachfrage nach Energie oder tigt werden, sondern ebenso der Aufbau neuer
Material für die Herstellung dieser Güter füh- materieller Infrastrukturen, die für den Betrieb
ren. Diese Energie- und Materialkosten wer- von E-Autos nötig werden – von den Industrien
den auch als ‚graue Energie‘ bezeichnet, weil zur Herstellung der neuen Motoren und Akku-
sie in den Geräten ‚verkörpert‘ sind. Die damit mulatoren bis hin zu den Stromtankstellen oder
zusammenhängende Mehrnachfrage kann als Quickdrop-Stationen, wo Autofahrer leere Akkus
Embodied-Energy-Effekt bezeichnet werden. gegen frische Akkus austauschen können. Sogar
Beispielsweise verbraucht ein ungedämmtes die Gehälter, mit denen die Ingenieure der Akku-
Haus im Vergleich zu einem energetisch mulatoren oder die Betreiber der neuen Strom-
gedämmten zwar mehr Heizenergie im laufen- tankstellen ihre persönliche Energienachfrage
den Betrieb, aber die Herstellung der Dämmung bestreiten, können zu Rebound-Effekten führen;
erfordert einen Energieaufwand, der beim Bau etwa, wenn das vorherige Einkommensniveau
des ungedämmten Hauses nicht anfällt. Der übertroffen wird oder nun insgesamt mehr Per-
energetische Mehraufwand bei der Herstellung sonen in Arbeit stehen. Pauschal gesprochen
der Dämmung kann ins Verhältnis zu den Heiz- umfasst der Neue-Märkte-Effekt insofern all jene
energie-Einsparungen über die Nutzungsdauer materiellen Rebound-Effekte, die von Life-Cycle-
des Hauses gesetzt werden. Mehrere Studien
veranschlagen für Produkte der Gebäudedäm-
mung Amortisationszeiten von einem Jahr bis 13 Siehe ausführlicher hierzu, mit Auswertung verschie-
hin zu 15 Jahren, je nach Dämmmaßnahme, dener empirischer Studien, vor allem auf S. 48: Sorell,
Steve (2007): The Rebound Effect: an assessment of
Gebäudetyp und Klimazone. Wenn von einer
the evidence for economy-wide energy savings from
Lebensdauer der Gebäude von rund 100 Jah- improved energy efficiency. London.
ren ausgegangen wird, entspräche dies einem 14 Auf den Neue-Märkte-Effekt weist erstmals Niko Paech
hin, siehe Paech, Niko (2011) op. cit.
Analysen einzelner Produkte nicht mehr abge- Erklärung für den direkten Rebound-Effekt:
bildet werden (können). Konsumenten verbrauchen mehr vom Gleichen,
eben weil das Produkt effizienter geworden ist.
Ähnlich dem Neue-Märkte-Effekt lässt sich
auf Ebene der Konsumenten ein materieller Eine Mehrnachfrage des nunmehr energieeffi-
Rebound-Effekt entdecken, der als Konsum- zienten Produkts muss indessen nicht zwangs-
Akkumulations-Effekt bezeichnet werden kann. läufig durch eine aktive, rational intendierte
Er hebt auf die Tatsache ab, dass der Konsum Handlung erfolgen, sondern kann auch durch
von effizienteren, umweltfreundlicheren Produk- unintendiertes Verhalten erfolgen. Beispiels-
ten nicht immer die herkömmlichen Produkte weise kann es als Entlastung empfunden werden,
ersetzt, sondern oft zusätzlich zu ihnen erfolgt. dass Verbraucherinnen nach dem Einbau einer
Beispielsweise könnte nach dem Kauf eines hoch- energie-effizienteren Heizung weniger penibel
effizienten A+++ Kühlschranks der alte, energie- darauf achten müssen, während der Heizperiode
intensivere Kühlschrank in den Partykeller oder alle Fenster stets geschlossen zu halten. Ähnlich
die Datsche wandern. Oder: die Eltern erwerben könnte der Kauf von Energiesparlampen es mit
ein Elektroauto, verschrotten aber ihr konventio- sich bringen, dass ein Licht in einem zeitweilig
nelles Auto nicht, sondern reichen es zur Nut- unbenutzten Raum angeschaltet bleibt – zumal
zung an ihre Kinder weiter. In der Lebenszyklus- auch die Kosten des Brennenlassens der Birne
Analyse des effizienteren Gutes und betrachtet für die Verbraucherinnen zurückgehen. Der Kauf
an einem einzelnen Konsumenten mag der des effizienteren Produkts wirkt quasi gewis-
Energie- oder Ressourcenverbrauch zwar sinken, sensberuhigend, weshalb von einem Moral-
aber gesamtgesellschaftlich gesehen äußert sich Leaking-Effekt gesprochen werden könnte:
die Akkumulation von neuen und alten Konsum- weil es ökologisch, ökonomisch und ggf. auch
gütern als materieller Rebound-Effekt. gesellschaftlich ‚nicht mehr so darauf ankommt’,
werden energiesparende Handlungen (Fenster
schließen, Licht löschen) in der Priorisierung der
2.3 Psychologische Rebound-Effekte
zielgerichteten Motive zurückgestuft oder gar
Umweltfreundlichere Produkte und Dienstleis- aufgegeben. Insofern liefert der Moral-Leaking-
tungen verändern nicht nur ihre technischen Effekt eine weitere Erklärung für den direkten
Eigenschaften, sondern häufig auch ihren sym- Rebound-Effekt.
bolischen Gehalt. Die Einschätzung, der Konsum
von etwas hinlänglich als schädlich Gebrand- Demgegenüber erklärt der Moral-Licensing-
marktem könnte durch Effizienz- oder Konsis- Effekt eine Form des indirekten Rebound-Effekts:
tenzsteigerungen ökologisch vertretbar gewor- Aufgrund des Erwerbs eines ökologischen Pro-
den sein, kann eine Mehrnachfrage bedingen. In dukts steigt die Nachfrage nach anderen umwelt-
der Sozialpsychologie wird dies als Moral- schädlichen Produkten. Etliche empirische Stu-
Hazard-Effekt beschrieben. Eine empirische dien haben mittlerweile nachgewiesen, dass der
Erhebung in Japan hat zur Überraschung ihrer Konsum ‚ethischer’ Produkte (Bio-Lebensmittel,
Forscher gezeigt, dass Autofahrer, die sich nach Fair Trade Produkte usw.) dazu führen kann, dass
eigener Wahrnehmung ein „ökologisches Auto“ Konsumentinnen es anschließend für gerecht-
zugelegt haben (z.B. Toyota Prius mit Hybrid- fertigt halten, an anderer Stelle unethisch zu
motor), ein Jahr nach dessen Kauf gut 1,6mal konsumieren.16 Es ist leicht vorstellbar, dass dies
mehr Kilometer damit gefahren sind, als mit
ihrem herkömmlichen Auto zuvor.15 Insofern
bietet der Moral-Hazard-Effekt eine weitere 16 Siehe z.B. Mazar, Nina/ Zhong, Chen-Bo (2010): Do
Green Products Make Us Better People? In: Psycholo-
gical Science, Vol. 21, Nr. 4, S. 494–498; oder auch:
15 Ohta, Hiroyuki/ Fujii, Satoshi (2011): Does Purchasing Zhong, C. B./ Liljenquist, K./ Cain, D. M. (2009): Moral
an “Eco-car” Promote Increase in Car-Driving Distance? Self-Regulation: Licensing & Compensation. In: De
Unpublished Paper from Tokyo Institute of Technology. Cremer, D. (Hrsg.): Psychological Perspectives on Ethical
Tokyo. Behavior and Decision Making. Charlotte, S. 75–89.
auch zu einem psychologischen Rebound-Effekt tärinnen arbeitslos machen, haben sich – wenn
beim Energieverbrauch führen kann. So könnten überhaupt – nur für einzelne Branchen und
Menschen, die sich ein sparsames Auto gekauft auch dort nur in Teilen bewahrheitet. Im Gegen-
haben, nun häufiger Urlaubsreisen mit dem teil, wird vielfach zurecht argumentiert, dass die
Flugzeug unternehmen; oder die Umstellung Steigerung der Arbeitsproduktivität letztlich
aller herkömmlichen Leuchtmittel auf Energie- Arbeitsplätze schaffe oder wenigstens sichere.
sparlampen mag den Neukauf eines Plasmafern- Mit anderen Worten, dass ein gesellschaftlich
sehers oder ‚Beamers’ rechtfertigen. wie politisch höchst willkommener Rebound-
Effekt dafür sorgt, dass Arbeitsproduktivitäts-
steigerungen eine Mehrnachfrage nach Arbeit
2.4 Cross-Factor-Rebound-Effekte
bedingen. Madlener und Alcott fügen hinzu:
Bislang wurden die Auswirkungen von Energie- „Netto wurden frei werdende Stunden selten
effizienzsteigerungen auf die Energienachfrage mit Nichtstun gefüllt, sonst würden wir heute
betrachtet. Im Folgenden geht es darum, wie viel weniger arbeiten als früher, als die Arbeits-
Produktivitätssteigerungen anderer Faktoren leistung pro Stunde noch viel niedriger war.
ebenfalls die Energienachfrage steigern können. Anscheinend gibt und gab es 100% Rebound
Zum Einstieg wird zunächst kurz beleuchtet, wie oder, kommt das Bevölkerungswachstum noch
Arbeitsproduktivitätssteigerungen auf die Nach- dazu, Backfire.“19
frage nach Arbeit wirken.
Wie wirkt sich eine Steigerung der Arbeitspro-
Während die politische Strategie der Energieeffi- duktivität nun auf die Nachfrage nach Ressour-
zienz von der Annahme ausgeht, durch Effizienz- cen und Energie aus? Einige Zeit bevor Jevons
steigerungen könne insgesamt Energie einge- 1865 den Rebound-Effekt von Energieeffizienz-
spart werden, stützt sich die Rechtfertigung für steigerungen entdeckt hat, haben andere Öko-
Arbeitsproduktivitätssteigerung seit langem auf nomen bereits einen Rebound-Effekt zwischen
einen entgegengesetzten Zusammenhang.17 Es Produktivitätssteigerungen des Faktors Arbeit
wäre nachgerade politischer Selbstmord, wenn und der Nachfrage nach dem Faktor Natur fest-
Regierungen eine Zunahme der Arbeitsproduk- gestellt. John Stuart Mill etwa konstatierte: “incre-
tivität zulassen oder gar fördern würden, die zu ased effectiveness of labour (…) always implies
einem rasanten Rückgang des Arbeitsplatzange- a greater produce from the same labour, and not
bots führt. Tatsächlich stieg die Arbeitsproduk- merely the same produce from less labour”.20 Turner
tivität in Deutschland zwischen 1970 und 2005 et al. haben 2009 den Zusammenhang zwischen
um sagenhafte 150% und das Bruttoinlandspro- Arbeitsproduktivität und Energienachfrage mit
dukt um mehr als 100%. Das aggregierte Arbeits- einer ökonometrischen Gleichgewichtsanalyse
volumen hingegen sank nur leicht und beträgt für die Länder England und Schottland quan-
heute 86% des Werts von 1970.18 Befürchtun- tifiziert. Die Ergebnisse ihrer Berechnung: eine
gen, dass Roboter die Jobs von Fließbandarbei- 5%ige Steigerung der Arbeitsproduktivität hat
tern ausrotten oder Computer sämtliche Sekre- sowohl in der kurzen wie in der langen Frist
eine steigende Energienachfrage zur Folge.
Zwar wächst das Volkseinkommen schneller als
17 Im 19. Jahrhundert hat es hierüber noch eine ausführ-
die Energienachfrage, weshalb von einer rela-
liche theoretische Auseinandersetzung gegeben, siehe
Alcott (2008) op. cit., in der sich aber klar die Sicht tiven Entkoppelung gesprochen werden kann;
durchgesetzt hat, dass zunehmende Arbeitsproduk- entscheidend ist aber, dass ein Cross-Factor-
tivität zunehmendes volkswirtschaftliches Arbeits- Rebound-Effekt von steigender Arbeitsproduk-
volumen schafft.
18 Wuppertal Institut (2008): Zukunftsfähiges Deutsch-
land in einer globalisierten Welt. Ein Anstoß zu einer
gesellschaftlichen Debatte. Frankfurt, S. 429. Siehe 19 Madlener, Reinhard/ Alcott, Blake (2011) op. cit., S. 27.
auch Bontrup, Heinz J./ Niggemeyer, Lars/ Melz, Jörg 20 Mill, John Stuart (1848): Principles of Political Economy
(2007): Arbeit fair teilen: Massenarbeitslosigkeit über- with some of their Applications to Social Philosophy.
winden! Hamburg. London, Book 1, Chapter IV, Seite 133.
mit Mobilität zubringen – egal ob sie zu Fuß von 3. Ausmaße und Unsicherheiten
Dorf zu Dorf wandern oder mit dem Auto zwi-
schen entfernt liegenden Städten pendeln.26 Da In den vergangenen 30 Jahren wurden mehrere
überraschender Weise die aufgewendete Zeit Dutzend empirischer Studien aufgelegt, die das
für Mobilität langfristig also weder mit dem quantitative Ausmaß von Rebound-Effekten mit-
Grad der Technisierung noch mit den Kosten hilfe ökonometrischer Modelle oder historischer
der Fortbewegung korreliert, übersetzt sich Datenreihen berechnen. Die Aussagekraft der
eingesparte Wegezeit in längere Wegstrecken. großen Mehrheit dieser Studien für die Höhe
Die Überwindung längerer Wegstrecken erfor- des gesamtwirtschaftlichen Rebound-Effekts
dert aber einen erhöhten Energieverbrauch. ist aus einer Reihe von Gründen begrenzt. Mit
Mit anderen Worten, Zeiteffizienzgewinne bei Abstand die meisten Studien modellieren nur
der Mobilität generieren Rebound-Effekte beim produkt- oder sektorspezifische Rebounds beim
Energieverbrauch. Ein anderes Beispiel lässt sich Endverbraucher, etwa im Verkehrs-, Gebäude-
für die Nutzung des Internets annehmen. Wer bereich oder der Nutzung von Elektrogeräten;
sich an das langsame Surfen im Internet mit manche Studien untersuchen nur direkte,
einem alten PC und einem 56k Modem über andere wenigstens direkte und indirekte
eine analoge Telefonverbindung in den 1990er- Rebounds. Neben den vielen produkt- und sek-
Jahren erinnert, wird bestätigen können, dass torspezifischen Studien untersuchen nur einige
mit stetig schneller gewordenen Internetverbin- wenige Modelle produktionsseitige27 und nur
dungen und leistungsfähigeren Rechnern heute drei Studien das Ausmaß gesamtwirtschaftlicher
wesentlich mehr Klicks pro Minute möglich sind. Rebound-Effekte28. Zudem sei angemerkt, dass
Indessen erfordert jede Nutzung des Internets die ökonometrischen Modelle nur finanzielle
Energie; nicht nur beim individuellen Nutzer, Rebound-Effekte abgebildet haben. Da psycho-
sondern vor allem durch Server und den Daten- logische und andere Rebound-Effekte bislang
transport. Es kann davon ausgegangen werden, unberücksichtigt blieben, erfassen die ohnehin
dass sich Zeiteffizienzgewinne beim Surfen in begrenzt aussagekräftigen Studien zu einzelnen
vermehrter Internet-Frequentierung mit einem sektorspezifischen Rebound-Effekten also selbst
größeren Datenvolumen und somit einem dort nur einen kleinen Teilausschnitt aller mög-
erhöhten Energieverbrauch des IT-Sektors nie- lichen Rebounds. Davon abgesehen bezieht sich
derschlagen. Beide Beispiele legen nahe, von die ganz überwiegende Zahl von Untersuchun-
einem Konsum-Rationalisierungs-Effekt zu spre- gen auf Industrieländer, während Entwicklungs-
chen: eine zunehmende Durchrationalisierung und Schwellenländer bislang kaum betrachtet
des Konsums kann eine steigende Energienach- wurden.
frage bedingen.
Die Herausforderung für die zukünftige quanti-
tative Rebound-Forschung wird insofern nicht
nur darin liegen, die verschiedenen ökonome-
trischen Ansätze zu direkten und indirekten
Rebound-Effekten auf Ebene von Konsumen-
ten mit den komplexen Ansätzen zur Modellie-
rung von Rebound-Effekten auf Produzenten-
Indessen dürften in Schwellen- und Entwick- selten Backfire generieren.36 Sie werden auf
lungsländern die Rebound-Effekte höher liegen, keinen Fall die Summe des technisch möglichen
weil dort noch viel mehr nachholender Konsum Einsparpotentials realisieren. Empfehlungen
und infrastrukturelle Investitionen möglich und wie etwa vom IPCC37 oder von McKinsey38, dass
gewünscht sind.34 substantielle Einsparungen von Treibhausgas-
emissionen zu Null- oder gar negativen Kosten
erzielt werden können, werden das anvisierte
Ergebnis verfehlen, da die zugrunde liegenden
4. Grenzen der Einhegung
Szenarien keine Rebound-Effekte berücksich-
tigen. In Zukunft sollte die Einführung eines
Ist es möglich, Rebound-Effekte durch umwelt- kostenneutralen Effizienzstandards zuvor einer
politische Maßnahmen einzuhegen oder gar Abschätzung unterzogen werden, ob die Gefahr
zu unterbinden? Zu dieser Frage hat es bislang des Backfire besteht. Wenn Effizienzstandards
noch keine wirkliche Debatte gegeben.35 Das hohe Rebounds oder gar Backfire nach sich zie-
Versäumnis ist dringend nachzuholen, und die hen könnten, sollten alternative Maßnahmen
folgenden Abschnitte stellen einen Anfang dar. erwogen werden.
Allgemein empfiehlt es sich daher, ordnungs- satz ein Umsteuern beim Verhalten bewirken –
rechtliche Maßnahmen wie Effizienzstandards wobei dann aber mit hohen Rebound-Effekten
u.a. in einem klugen policy mix mit marktwirt- gerechnet werden muss.42 Kurz, eine hohe Elas-
schaftlichen Instrumenten (Steuern, Emissions- tizität führt zu hohen Rebounds bei geringen
handel) zu verknüpfen, um Rebound-Effekte Kosten durch die Ökosteuern, eine geringe
partiell einzuhegen. Elastizität zu geringen Rebounds aber hohen
Kosten. Bei der Einführung von Ökosteuern, die
speziell Rebound-Effekte einhegen möchten,
4.2 Ökosteuern sollte daher mit sozialen Akzeptanz-Problemen
gerechnet werden, die ggf. weit über die Prob-
Weizsäcker et al. schlagen ein Design einer Öko- leme der politischen Akzeptanz bisheriger Ener-
logischen Steuerreform vor, bei dem die Steuer- gie- und Ökosteuern hinausgehen könnten.43
sätze äquivalent zu den Effizienzsteigerungen
ansteigen. Damit sollen Effizienz bedingte Kos- Wenn indessen den unterschiedlichen Sub-
tenersparnisse über Steuern abgeschöpft wer- stitutionselastizitäten von Sektoren und Pro-
den.41 In der Tat eignet sich der Vorschlag dazu, duktgruppen Rechnung getragen werden soll,
finanziellen Rebound-Effekten entgegenzuwir- müssten die Ökosteuer-Sätze streng sektor-
ken. Allerdings sieht sich eine Einhegung von und produktspezifisch ausdifferenziert wer-
Rebound-Effekten durch Ökosteuern mindes- den. Ein pauschaler Ökosteuersatz auf Basis der
tens drei Herausforderungen gegenüber. gesamtwirtschaftlich erzielten, aggregierten
Effizienzsteigerung kann nicht sicher stellen,
Zunächst können Ökosteuern lediglich Ein- dass Rebound-Effekte hinreichend eingehegt
kommens- und Marktpreis-Effekte einhegen; werden. Allerdings scheint ein komplexes Öko-
psychologische, materielle und teils auch Cross- steuer-Design mit unzähligen verschiedenen,
Factor-Rebound-Effekte werden von Kosten- sektor- und produktspezifischen Steuersätzen
steigerungen nicht tangiert. Wie stark der vor dem Erfahrungshintergrund der zähen Ein-
gesamtwirtschaftliche Rebound-Effekt durch führungssprozesse bisheriger Ökosteuersys-
Ökosteuern unterbunden werden kann, bleibt teme realpolitisch kaum umsetzbar.
daher offen.
Alle drei Herausforderungen sind nicht als Argu-
Ferner sieht sich die konkrete Umsetzung eines ment gegen die Einführung bzw. Weiterentwick-
speziell auf Rebound-Effekte zugeschnittenen lung von Ökosteuern zu verstehen, und seien es
Ökosteuer-Designs erheblichen politischen und auch Systeme mit einfachen, pauschalen Steuer-
sozialen Problemen ausgesetzt. Es muss nämlich sätzen auf Ressourcen-, Energie- oder CO2-
mit einem ‚trade-off ’ zwischen der Wirkung einer Verbrauch, wie etwa im Fall der Ökologischen
solchen ‚Bepreisung von Effizienzgewinnen’ Steuerreform in Deutschland. Eine Verteue-
einerseits und ihren gesellschaftlichen Kosten rung des Faktors Natur bzw. Energie macht aus
andererseits gerechnet werden. Schließlich hat umweltpolitischer Sicht in jedem Falle Sinn und
Saunders gezeigt: je unelastischer die Substitu- stellt zudem ein geeignetes Instrument zur Ein-
tionselastizität zwischen dem Faktor Natur und hegung bestimmter Rebound-Effekte dar.
anderen Faktoren (Arbeit, Kapital), desto höhere
Ökosteuersätze müssen eingeführt werden, um
tatsächlich etwas bewirken zu können. Mit Blick
auf Rebound-Effekte gilt indessen der Umkehr-
schluss: je elastischer die Substitutionskapazität, 42 Siehe Saunders (2000) op. cit., S. 443 ff.
desto eher wird zwar schon ein geringer Steuer- 43 Zu Problemen und Lösungsoptionen für die politische
Akzeptanz von Ökosteuern siehe zum Beispiel Beuer-
mann, Christiane/ Santarius, Tilman (2006): Ecological
41 Weizsäcker, Ernst Ulrich/ Hargroves, Karlson/ Smith, Tax Reform in Germany: Handling Two Hot Potatoes at
Michael (2010): Faktor fünf. Die Formel für nachhaltiges the Same Time. In: Energy Policy Vol. 34, Nr. 8,
Wachstum. München. S. 917–929.
Die Vielzahl unterschiedlicher Gründe für Die Vielzahl und Verschiedenartigkeit möglicher
Rebounds legt nahe, dass nicht nur ordungs- Rebound-Effekte und die in diesem Text vorge-
rechtliche und marktwirtschaftliche Instrumente tragene Einschätzung, dass die Summe dieser
angezeigt sind, Rebound-Effekte zu verringern, Rebound-Effekte auch langfristig mindestens
sondern auch aller Arten von Maßnahmen der die Hälfte der Einsparpotentiale von Effizienz-
Nachhaltigkeitskommunikation, die darauf ab- maßnahmen aufzehren wird, macht deutlich,
zielen, das Wissen und die Wertvorstellungen dass Technologie- und Innovationsoffensiven
von Konsumentinnen und Produzentinnen zu alleine nicht ausreichen, um ökologische Ziele
beeinflussen. Hierzu zählen Umweltbildung, wie etwa die Verminderung der Treibhausgase
Nachhaltigkeits-Werbecampagnen oder Öko- um ca. 80-90% in den Industrieländern bis zum
Labels genauso wie Umwelt-Management- Jahr 205047 zu erreichen. Mehrere Studien haben
Systeme, Umwelt-Audits, oder ökologisches bisher untersucht, ob und wie sich eine Vollver-
Marketing, um nur einige zu nennen. Insbeson- sorgung durch erneuerare Energien und eine
dere psychologische Rebound-Effekte können, Reduktion der Treibhausgase um bis zu 90%
wenn überhaupt, nur durch Instrumente der bis 2050 in Deutschland und Europa realisieren
Nachhaltigkeitskommunikation adressiert wer- lässt.48 Sie gehen von einem weiter wachsenden
den. Volkseinkommen aus, aber keine der Studien
berücksichtigt irgend welche Rebound-Effekte.49
Doch trotz großer Erfolge bei der Verbesserung Da die Studien alle technischen Potentiale für die
des Umweltbewusstseins konnten bisher nur Emissionsreduktion um 90% ausschöpfen und
wenige Erfolge erzielt werden, das tatsächliche insofern keinerlei Spielräume für Misserfolge las-
Umweltverhalten zu verändern. Zudem bleibt sen, muss unter Berücksichtigung von Rebound-
die ökologische Treffsicherheit von Maßnah- Effekten und der Faustformel ‚Fifty-Fifty’ eine
men der Nachhaltigkeitskommunikation stets Erreichung des Ziels durch Effizenz- und Kon-
unsicher. Im policy mix mit anderen Instrumen- sistenzstrategien beim heutigen Kenntnisstand
ten sollten sie genutzt werden, um über die der Technik als unerreichbar erklärt werden.
vielfältigen Ursachen und Zusammenhänge
von Rebounds aufzuklären. Und es bietet sich Letztlich liegt der Grund für das Versagen nicht
an zu erforschen, wie sie speziell zur Einhegung im mangelnden technischen Einsparpotential,
von Rebound-Effekten weiterentwickelt wer- sondern im immanenten Nachteil von Effizienz-
den könnten. Indessen besteht bis auf weiteres und Produktivitätssteigerungen jeglicher Art,
wenig Grund zur Hoffnung, dass der gesamt- dass sie das Wirtschaftswachstum anheizen. Vor
wirtschaftliche Rebound-Effekt durch Nachhal- allem wirken ‚win-win’-Lösungen wachstums-
tigkeitskommunikation nennenswert verringert stimulierend, bei denen Verbraucher, Unterneh-
werden könnte. mer, Regierungen Kosten sparen. Doch letztlich
löst jeder Produktivitätsschub einen Wachstums-
schub aus. Das Wachstum lässt den Output aller
Güter und Dienstleistungen ansteigen, und mit
ihm die Nachfrage nach Energie und Ressour-
cen für die Herstellung dieser Güter. Wie hoch
die Summe aller Rebound-Effekte dieses Wachs- Aufwand an Ressourcen, Arbeit und Kapital
tumsschub ist, hängt vom Zusammenhang die ersten Autos mit Otto-Motoren gegenüber
zwischen Energienachfrage und Output ab; den Hybrid-Autos von heute gebaut wurden.
mit anderen Worten, wie energie- und material- Die Motorentechnologie der ersten Generation
intensiv die zusätzlich hergestellten Güter sind. bestand aus wenigen Teilen, die im wesent-
Doch auch ‚grüne’ Produkte, wie etwa erneuer- lichen aus Eisen und Stahl gefertigt wurden,
bare Energien, sind nicht zu ökologischen Null- und baute auf verhältnismäßig einfachen Kon-
kosten zu haben. Daher muss angezweifelt struktionsplänen auf, die von einer überschau-
werden, dass ein grünes Wachstum eine hinrei- baren Zahl an Forschern und Ingenieuren ent-
chende Entkoppelung von Naturverbrauch und wickelt wurden. Die Antriebstechnologie eines
Wirtschaftswachstum realisieren kann, so lange Hybrid-Autos hingegen ist komplex, vereint zig
nicht gleichzeitig ökonomische Schrumpfung in verschiedene Rohstoffe aus allen Erdteilen, an
nicht-nachhaltigen Sektoren stattfindet. deren Abbau und Transport zahlreiche Firmen
beteiligt sind, und wird von Heerscharen von
Wissenschaftlerinnen und Ingenieuren ent-
5.1 Zweifel am grünen Wachstum wickelt, die alle Gehälter beziehen und ihrerseits
Konsum tätigen. Kurz: während Hybrid-Autos
Ökologisch gesinnte Befürworter eines weite- pro Tonnenkilometer vielleicht energiesparen-
ren Wirtschaftswachstums argumentieren, dass der fahren, geht ihre Herstellung mit mulitplen
ein massiver Ausbau erneuerbarer Energien, der gesamtwirtschaftlichen Rebound-Effekten ein-
Gebäudedämmung, nachhaltiger Infrastruktu- her.
ren usw. nur bei wachsendem Volkseinkommen
zu erzielen sei. ‚Grünes’ Wirtschaftswachstum Es ist eine kurzsichtige Argumentation, dass
(green growth) stelle aber keine zusätzliche öko- weiteres Wachstum und sei es noch so grün
logische Belastung dar, da es nur auf die höheren dazu führen würde, die Investitionen und der
Kosten von den Investitionen in nachhaltige Pro- Konsum und folglich auch der Ressourcenver-
duktionsweisen und Infrastrukturen und dem brauch und die Emissionen gingen in einem
Konsum ökologischer Produkte zurückgehe. Maße zurück, dass Nachhaltigkeitsziele erreicht
werden können. Schließlich wird ein Mehr an
Allerdings muss klar gestellt werden, dass es Volkseinkommen, auch wenn es aus teureren
auch im theoretischen Fall einer ausschließlich grünen Produkten resultiert, immer ein Mehr an
grün wachsenden Wirtschaft Rebound-Effekte Konsum nach sich ziehen. Denn was drücken die
geben wird. Schließlich gilt: Wenn beispielsweise höheren Kosten der grünen Produkte schon aus?
der Verbrauch fossiler Energie durch die Isolie- Sie drücken aus, dass entweder mehr Human-
rung von Häusern gesenkt wird, wird der Fak- kapital (Wissen) zu ihrer Entwicklung, oder mehr
tor Natur durch den Faktor Kapital ersetzt. Wie Arbeitszeit zur Fertigung, oder mehr Aufwand
oben erläutert, führt dieser Vorgang insbeson- zum Abbau speziell benötigter Rohstoffe fällig
dere dann zu hohen Rebound-Effekten, wenn wird. In jedem Fall werden mehr ökonomische
die Substitutionselastizität zwischen Natur und Transaktionen vorgenommen, die ceteris paribus
Kapital (oder Arbeit) hoch ist. Genau diese Elas- mehr Unternehmen oder Menschen an der
tizität wird aber mit dem fortschreitenden Über- Wertschöpfung dieser Produkte beteiligen und
gang zu einer postfossilen Wirtschaft steigen, da daher hierzulande wie global durch Verlage-
der Faktor Natur stetig leichter durch Arbeit oder rungseffekte vielfältige Rebound-Effekte gene-
Kapital substituierbar wird. rieren, die einer hinreichenden Entkoppelung
von Wirtschaftswachstum und Naturverbrauch
Ein vereinfachtes Beispiel veranschaulicht den entgegenwirken.
Zusammenhang zwischen grünem Wachstum
und steigenden Rebound-Effekten. Man führe
sich vor Augen, mit welch unterschiedlichem
5.2 Für eine Gesellschaft des Genug Ohne Zweifel erfordert eine Beendigung der
Wachstumsspirale enormen ökonomischen,
Es gibt kein Entrinnen aus der Tatsache, dass politisch-institutionellen und individuellen
reales Wirtschaftswachstum eine Mehrnach- Reformwillen. Die Volkswirtschaftslehre muss
frage nach sich zieht. Wenn das Ziel Nachhal- eine ‚Makroökonomie der Mäßigung‘ erst ent-
tigkeit ernst genommen wird, so scheint nur wickeln, denn der wissenschaftliche Mainstream
die Option zu bleiben, den Teufelskreis der hat bisher die Frage völlig ignoriert, ob und wie
Wachstumsspirale zu beenden. Eine Wachs- Marktwirtschaften ohne Wachstum florieren
tums-Gesellschaft, die eine große Transforma- können. Die Politik muss es nicht nur schaffen,
tion zur Nachhaltigkeits-Gesellschaft anstrebt, ohne neue Staatsschulden auszukommen und
steht vor der Mammutaufgabe, ihr Wachstum alte Schulden abzubauen, sondern zudem all
wirkungsvoll zu begrenzen. Nur wenn das Volks- jene Institutionen der sozialen Sicherung refor-
einkommen aufhört stetig weiter zu wachsen, mieren, die bislang auf stetes Wachstum ange-
können Effizienz- und Konsistenzstrategien ihre wiesen waren.
technisch möglichen, sprich: ihre vollen Ein-
sparpotentiale realisieren und den Ressourcen- Zuvor müssen Politiker und Bürgerinnen sich auf
verbrauch auf ein tragfähiges Niveau reduzie- eine Debatte über gesellschaftliche Suffizienz
ren. Ob und wie indessen das Volkseinkommen einlassen. Erst wenn die Einsicht angekommen
stabil gehalten werden (‚steady state economy‘) ist, dass es einen Punkt geben kann und sollte,
oder gar schrumpfen kann, ist eine der wichtigs- an dem genug oder vielleicht schon zu viel
ten und herausforderndsten Forschungsfragen Wirtschaftswachstum erzielt worden ist, wird
für die Zukunft. es möglich sein, über ökonomische Grenzen
des Wachstums nachzudenken. Und erst wenn
Möglicher Weise können Ökosteuern neben diese Grenzen eines Tages eingehalten werden,
ihrer umsteuernden Wirkung noch einen weite- können Effizienz- und Konsistenzstrategien
ren Beitrag leisten, dies ins Werk zu setzen. Denn einen uneingeschränkt konstruktiven Beitrag
wenn aus den Einnahmen einer Ökologischen zur Nachhaltigkeit leisten. Die Jahre, die bis zur
Steuerreform keine neuen Rebound-Effekte her- Lösung dieser Mammutaufgabe wohl noch ver-
vorgehen sollen, dürfen sie lediglich zum Abtra- gehen dürften, werden indessen neues Beweis-
gen der bestehenden „ewigen Staatsschulden“50 material für die These dieses Artikels liefern: dass
verwendet werden. Das Ergebnis wäre vermut- Rebound-Effekte eine hinreichende Verminde-
lich kein grünes Wachstum, sondern eher ein rung des absoluten Naturverbrauchs vereiteln,
ökologisches und soziales Gesundschrumpfen solange die Wirtschaft weiter wächst.
der Wirtschaft. Denn wenn die Einnahmen der
Steuern dem Wirtschaftskreislauf praktisch ent-
zogen würden, kann es sein, dass das Volksein-
kommen stabil bleibt oder sinkt. Aber sowohl
die ökologischen Schulden bei der Biosphäre als
auch die ökonomischen Schulden bei unseren
nachfolgenden Generationen könnten abge-
baut werden.
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