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S c h e n k e : Evagrius-Ostrakon Z Ä S 116 ( 1 9 8 9 )
HANS-MARTIN SCHENKE
Hierzu Tafel I V - V
In der Berliner Papyrussammlung findet sich ein gut erhaltenes und schön geschriebenes kopti-
sches Ostrakon mit drei unter den Namen des Evagrius Ponticus gestellten Sentenzen. F. Hintze
hat das Stück schon vor längerer Zeit generell als einen Evagrius-Text identifiziert und seine Er-
schließung in mehreren Etappen vorangetrieben. Nach einer Art Vorausmitteilung 1 wird es hier
nun erstmals herausgegeben.
P. 14 700 ist eine Kalksteinscherbe. Sie wurde 1929 von L. Borchardt in Qurna käuflich erwor-
ben. An der dicksten Stelle (das ist oben) mißt sie etwa 2,2 cm; die größte Höhe (auf dem Verso
gemessen) beträgt 8,7 cm, die größte Breite (jeweils in Schriftrichtung) auf dem Rekto 12,5 cm,
auf dem Verso 13,9 cm. Die größte Ausdehnung überhaupt liegt aber in der Diagonale und beträgt
14,6 cm. Die Scherbe ist auf beiden Seiten beschrieben. Infolge der natürlichen Profilunterschiede
des Steins ist die Hauptrichtung der Zeilen des Verso um einen Winkel von ca. 14° gegenüber der-
jenigen auf dem Rekto verschoben. Auf dem Rekto sind 15 Zeilen bzw. Zeilenreste erhalten; die
1 Schenke 1984. Durch das vom Autor nicht kontrollierbare Publikationsverfahren haben sich in der
Druckfassung dieses Vortrage gegenüber dem Manuskript leider ein paar entstellende Druckfehler ergeben.
Wiederherzustellen ist vor allem S. 221 Z. 6 : 6 Β Ο λ zu 66Βθλ und S. 229 Z. 2 v. u . : Μ Μ Ο γ zu Μ Μ Ο Ο γ .
ZÄS 116 (1989) Η.-Μ. S c h e n k e : Evagrius-Ostrakon 91
Zeilenzahl des Verso beträgt 14. Absplitterung des Steins nach der Beschriftung ist deutlich er-
kennbar an der unteren Kante des Rekto und an der linken Kante des Verso. Der durch diese Ab-
splitterungen eingetretene Textverlust ist auf dem Rekto größer als auf dem Verso. Daß das Verso
weniger betroffen ist. liegt vor allen Dingen daran, daß es gar nicht ganz bis unten beschrieben war.
So ist (mit der vierzehnten) die letzte Textzeile in hinreichender Länge erhalten und als solche deut-
lich erkennbar. Auf dem Rekto aber geht der untere Abbruch direkt in den Text hinein und sind
auch nach der letzten erhaltenen — wenn auch nur durch einen Buchstabenrest vertretenen — (fünf-
zehnten) Zeile mindestens noch eine weitere Textzeile, wahrscheinlich aber sogar deren vier ganz
verloren.
Geschrieben ist der Text in einer schrägen Buchschrift, wie sie auf literarischen Ostraka der klas-
sischen koptischen Zeit Ägyptens durchaus üblich ist: vgl. ζ. B. das große Kyrill-Ostrakon P. Be-
rol. 14 763-oder das liturgische Ostrakon Leningrad 1 1333. Im Vergleich mit der Schrift der beiden
genannten Ostraka wirkt die des hiesigen Stückes strenger und noch „buchmäßiger"; so ist das
Omikron nicht verkleinert, werden Unter- und Oberlängen weniger betont und finden sich weder
echte Ligaturen noch andere kursive Elemente. Im Format ist jedoch auch die Schrift unseres Ostra-
kons nicht gleichmäßig. Sie variiert in etwa vier Graden: Sie fängt ziemlich groß und klar an (R[ekto
Z.] 1—9), wird dann plötzlich relativ zierlich, eng und dünn (R 10—12), wächst dann wieder
(R 13 — V[erso Z.] 6), erreicht aber erst allmählich das Ausgangsformat (V 7 und 8), um schließlich
in klobiger Übergröße zu enden (V 9—14).
Zu einer Datierung unseres Ostrakons kann uns nach Lage der Dinge, bei einem gekauften Stück,
nur die paläographische Analyse dieser Schrift verhelfen. Ein terminus ante quem non ist freilich
gegeben, und zwar mit der letzten Periode der vita des Evagrius (ca. 383—399), in der er als Mönch
in Unterägypten (Nitria und Kellia) lebte und aus der der Text, um den es sich hier handelt,
stammt 4 . Mit anderen Worten, älter als das 5. Jahrhundert kann das Evagrius-Ostrakon sowieso
nicht sein. Was nun den Versuch einer genaueren Festlegung des zeitlichen Abstandes vom J a h r e
400 mittels der Paläographie betrifft , so muß leider gesagt werden, daß gerade die Datierung von
quasi-Buchschriften auf Ostraka noch unsicherer erscheint, als es die übrige koptische Paläographie
ohnehin schon ist. Für das Leningrader liturgische Ostrakon versuchen jedenfalls weder v. Lemm
noch Quecke eine Datierung. Wenn sich nun auch für das Kyrill-Ostrakon bei Hintze/Morenz keine
Erwägung zur Abfassungszeit findet, so gibt es doch für dieses Stück die offenbar von der besitzen-
den Institution getragene wissenschaftliche Tradition, nach der es aus dem 5. Jahrhundert stammt 5 .
Nun ist — neben dem hohen schmalen Omikron und der Tendenz, beim Epsilon den Mittelstrich
nicht in der Zeilenflucht zu führen, sondern trotz der Schräge in rechtem Winkel an den Haupt-
strich anzusetzen und also schräg nach unten z u f ü h r e n — das Eigentümlichste an der Schrift des
Evagrius-Ostrakons das My. Es kommen zwar beide Grundformen, die runde und die eckige, neben-
einander vor; aber es ist nur die eckige, die so auffällig ist und zwar durch einen mehr oder weniger
erheblichen „Buckel", den die rechte Hasta oben am Kontakt mit dem schrägen Aufstrich macht.
Der Vergleich der zur Verfügung stehenden Schriftproben hat bisher nur eine einzige, wenn auch
nicht so ausgeprägte, Parallele zu diesem Phänomen erbracht; und das ist die Schrift des Briefes
London Or. 4831 6 , dessen Schriftbild, samt den anderen charakteristischen Einzelheiten, dem uns-
rigen auch sonst ziemlich ähnlich ist. Da Stegemann nun aber den Londoner Brief auf ca. 620 u. Z.
datiert und ihn als Beispiel der Urkundenschrift des 6./7. Jahrhunderts versteht, ist es wohl vor-
erst sehr ratsam, das Evagrius-Ostrakon nicht zu nahe am terminus ante quem non (400 u. Z.)
anzusetzen und auch sonst nicht zu sehr festzulegen, sondern auch dafür die große Spanne des
6. und 7. Jahrhunderts offenzuhalten.
Der Dialekt des koptischen Textes, den das Ostrakon trägt, ist ein fast reines, literarisches, ja
klassisches Sahidisch. Es finden sich in ihm jedenfalls nicht solche Züge oder Variationen, wie sie
für das vorklassische bzw. nicht literarische Sahidisch Oberägyptens als typisch gelten. Zudem
betrifft die nun doch zu konstatierende leichte „Verunreinigung" sowieso nur den Randbereich
der Orthographie. E s handelt sich um die folgenden Phänomene: Μ 6 γ € (R 10; V 2) statt Μ 6 β γ β
„denken"'; »ΙΜΧγ (R 5) statt Μ Μ λ γ „dort"; MT- (R 5) neben MUT- (R 9. 10) Nominalpräfix;
n e e q - (V9) statt Π6Ί- Possessivartikel«; ΤγΠΠΧΗΟΝ ([irrtümliche Assimilation] V 8) neben
τγΜΠΧΝΟΜ (V 5) 9 . Eine Ergänzung, über das schon Gesagte hinaus, verdient vor allem die Be-
obachtung und Behauptung, daß in unserem Text der Supralinearstrich nur ausnahmsweise gesetzt
sei. Das Auffällige daran ist nämlich nicht etwa, daß dieser Strich so oft fehlt, sondern daß er
überhaupt irgendwo gesetzt wird. Diese Perspektive ergibt sich wohl im Lichte der Tatsache, daß
der viel notwendigere Kontraktionsstrich zur Markierung der abgekürzten nomina sacra (MUX
R 12; XC R 12) ganz konsequent fehlt, ebenso wie auch auf das Trema ganz verzichtet ist (TX1
R 4 ; -MXI- R 5. 9; 11X1 R 8 ; V 10; HXI V 7). Das kann doch wohl nur heißen, daß das orthogra-
phische Programm, das diesen Text bestimmt, überhaupt keine supralinearen Zeichen vorsieht und
also die doch auftauchenden Supralinearstriche nicht die Vorlage reflektieren, sondern Schreib-
fehler sind, die bloß aus dem sonstigen Umgang des Kopisten mit Texten, die (nur/vor allem) den
silbischen Nasal markieren, stammen. Vielleicht kann man in diesem Licht auch die Variation in
der Länge dieses Striches (zwischen Buchstabenbreite und Punkt) sehen. Im Unterschied zum
Supralinearsystem gehört aber die Interpunktion durch den oberzeiligen Punkt, der aber auch bis
in die Zeilenmitte herabrutschen kann, zur Markierung der Satzenden, zum Wesen unseres Textes.
Sein Erscheinen und seine Plazierung hat Konsequenz; wir vermissen ihn nur zweimal (V 4. 7).
Sonst kommt aus dem möglichen Zeicheninventar nur noch einmal der Doppelpunkt, und zwar zur
Abgrenzung der Überschrift, vor (R 1) und außerdem der schräge Abkürzungsstrich, um das Aus-
schreiben des geläufigen Adverbs ομοίως zu vermeiden (R 10; V 2). Das letztgenannte Zeichen
dürfte samt dem Wort, das es abkürzt, aus dem Brauch beim Urkundenschreiben stammen. Ähn-
lich dürfte sich das noch viel häufigere Vorkommen dieses Striches zur Abkürzung von griechischen
termini technici und Eigennamen auf dem Kyrill-Ostrakon erklären. In solchen Fällen wirkt eben
einmal der Schriftträger, weil er normalerweise nur für Urkunden, Briefe etc. verwendet wird, auf
den literarischen Text ein.
Der Inhalt des auf dem Stein stehenden sahidischen Textes sind, wie schon gleich zu Anfang ge-
sagt, offensichtlich drei Evagrius-Sentenzen. Diese Sentenzen sind aber noch genauer identifi-
zierbar 10 . E s handelt sich um drei Exzerpte aus der Schrift De octo spiritibus malitiae (Περί των
όκτώ ττνευμάτων της πονηρίας) Η , die in der griechischen Tradition gewöhnlich unter dem Namen
des Nilus überliefert wird, obgleich sie, jedenfalls nach der Auffassung der modernen Evagrius-
Forschung 1 2 , in Wirklichkeit von Evagrius stammt. Die „Überschreibung" dieser und anderer
Ε vagrius-Schriften auf Nilus hängt mit der Verurteilung des Evagrius als eines Origenisten zu-
sammen : Man verleugnete den Autor, aber behielt und pflegte sein Werk. Nun kursierte diese Schrift
in zwei Versionen, einer kürzeren (vertreten durch Muyldermans' Textgruppe Α [nur diese Version
liegt gedruckt vor; vgl. vor allem Migne PG 79, 1145—1164]) und einer längeren (vertreten durch
7
Sonst wird dem sahidischen Standard hinsichtlich der Schreibung von Doppelvokalen allerdings ent-
sprochen; vgl. κ λ χ η (R 3); 2u>u>q (R 4; V 1); ογλΧΒ (R 12); MOON6 (R 14).
8
Vgl. S c h e n k e 1984: 220f.
9
In diesem Sinne ist der Text in S c h e n k e 1984: 230 (Z. 6a) zu ändern.
10
Diese vollständige Fein-Identifizierung wird A. Guillaumont verdankt. Für die erste Sentenz gelang die
Identifizierung auch P. Gehin. Vgl. S c h e n k e 1984: 223.
11
Diese acht Geister sind übrigens im einzelnen: 1. γαστριμαργία; 2. πορνεία; 3. φιλαργυρία; 4. όργή;
5. λύπη; 6. άκηδία; 7. κενοδοξία; 8. ύπερηφανία.
12
Vgl. G u i l l a u m o n t 1982: S66 Ζ. 51 f.
ZÄS 116 (1989) Η.-Μ. S c h e n k e : Evagrius-Ostrakon 93
Muyldermans' Textgruppe Β) 13 . Und es ist nun ein Text der Gruppe B, also ein Text der längeren
\ T ersion, aus dem die Exzerpte unseres Ostrakons stammen dürften. Denn die dritte Sentenz ge-
hört zu dem charakteristischsten Stück der Langversion, nämlich dem großen Überschuß an
Text, den diese am Ende der Schrift hat. Die erste Sentenz unseres Ostrakons ist die markante
Schlußformulierung des Abschnitts über das Laster des Geizes bzw. der Geldgier (entspricht Migne
PG 79, 1153 Β, Z. 5—9). Die zweite Sentenz sind die Eingangsworte der zweiten Hälfte der Aus-
führungen über den Zorn (entspricht Migne PG 79, 1153 D, Z. 9-1156 A, Z. 6). Die dritte Sentenz
schließlich gehört zu der Abhandlung über das letzte der acht Laster, den Hochmut, und ist der
zweite der alttestamentlichen Topoi, aus denen der Textüberschuß, den die Langversion am Ende
von Περί ύπερηφανίας hat, im wesentlichen besteht (entspricht M u y l d e r m a n s 1939: 251 f. [Z. 5
bis 10 des dort edierten Appendix der Langversion]).
Die Bedeutung des Ostrakons P. 14 700 für die Evagrius-Forschung besteht zunächst darin, daß
es uns (mindestens) für Oberägypten die Existenz und Verbreitung einer sahidischen Übersetzung
der (gesamten) griechischen Schrift Περί των όκτώ πνευμάτων της πονηρίας, und zwar noch
als eines Werkes des Evagrius selbst, bezeugt, die man sich wohl in erster Linie durch und für die
koptischen Mönche gemacht vorzustellen hat. Die Qualität von Orthographie und Übersetzung des
Textes auf unserem Ostrakon machen es denkbar unwahrscheinlich, daß es sich hier um eine ad
hoc-Übersetzung nur dieser drei Sentenzen aus dem griechischen Text handeln könnte. Das einzig
Natürliche ist vielmehr, daß es sich bei diesem Ostrakon-Text um Exzerpte aus einem schon in
Koptisch vorliegenden Buch handelt. Zugleich gewährt uns das Ostrakon in seinem Gegenüber
zu den entsprechenden griechischen Textstellen auch noch einen partiellen Einblick in die Text-
lind Traditionsgeschichte dieses Evagrius-Textes. Die frühere Behauptung, daß man an keiner
Stelle anzunehmen gezwungen sei, daß der Kopte eine andere griechische Textform übersetze, als
man bei Migne oder Muyldermans gediuckt vor Augen hat 1 '·, läßt sich nämlich nicht aufrecht-
erhalten. Es gibt wirklich bemerkens- und nachdenkenswerte Differenzen zwischen beiden Text-
fassungen. Und sie liegen sicher nicht alle auf derselben Ebene. Manches läßt sich wohl am ein-
fachsten als Freiheit — oder gegebenenfalls auch als Unachtsamkeit — des koptischen Übersetzers
erklären, anderes dürfte zur innerkoptischen Textgeschichte gehören. Man kann übrigens auch nicht
ganz ausschließen, daß das uns direkt vorliegende Sentenzen-„Dreigestirn" auch ein Stück weit
eine eigene Traditionsgeschichte — sei es mündlich, sei es schriftlich — unter den koptischen Mön-
chen gehabt hat. Jedenfalls gibt es schließlich auch solche Unterschiede, die am besten auf eine von
den gedruckten Texten abweichende griechische Textform als Vorlage der koptischen Übersetzung
zurückzuführen sind. Eine kritische Ausgabe des Evagrius-Textes, an der das zu verifizieren wäre,
gibt es zwar noch gar nicht, so daß Beobachtungen, wie sie sich hier anbieten, eher den Charakter
einer Zuarbeit für eine solche, erst noch zu erhoffende Ausgabe tragen müssen. Aber die von Muyl-
dermans zu den von ihm (als typisch für die Langversion) ausgewählten Textstellen gesammelten
Varianten zeigen schon sehr deutlich, daß natürlich auch die handschriftliche Überlieferung dieser
Evagrius-Schrift den Gesetzen der Textgeschichte ausgesetzt gewesen ist.
Die Bedeutung des Berliner Evagrius-Ostrakons für die Koptologie — über die bloße, wenn auch
nicht zu verachtende Erweiterung unserer Materialkenntnis hinaus — hängt mit dem zuletzt er-
wähnten Sachverhalt eng zusammen. Sie liegt in der Ermöglichung eines griechisch-koptischen
Sprachvergleichs, bei dem man gut Freiheit und Gesetzmäßigkeit beim schöpferischen Übergang
von der einen in die andere Sprache studieren kann, und zwar an Hand eines anspruchsvollen,
aber auch schönen und interessanten Textes.
13
Vgl. M u y l d e r m a n s 1939.
14
S c h e n k e 1984: 2241'. - Wie ich nachträglich von A. Guillaumont noch e r f a h r e (Brief vom 23. 10. 1987),
g i b t es übrigens mehr als 80 griechische H a n d s c h r i f t e n von De octo spiritibus malitiae.
94 Η.-Μ. S c h e n k e : Evagrius-Ostrakon ZÄS 116 (1989)
Koptischer Text
(Rekto)
f λ Π λ β γ λ Γ ρ ί Ο Ο : q C Z O Y O p T Π6Ί
(2) liptDMG 6 Τ Η λ Τ λ Μ Ι Ο ΝλΜ Η Ο γ
6 Ι Λ Ο ) λ Ο Ι 1 ΙΪΜΚλλΜ 2Η Ο γ Μ λ Η
(4) 2CJDH Τ λ Ι ZCÜÜjq Τ 6 Θ 6 Η Π 6 Τ 6
ΟγΗΤΜ ΠΠλθΟΟ Η Μ λ γ ΝΤΜΤΜλΙ
(6) 2 0 Μ Η Τ · ΠΗ Μ6Ν Γ λ ρ 6 Η θ γ ω φ Τ
Μ Ο γ β Ι Λ Ο Ϊ λ Ο » 6 Η Μ 2 Η γ Ν2ΗΤΗ
(8) 11X1 Α 6 6 Η Χ Ι Η λ Ί Ν Τ β ψ λ Ν Τ λ α λ Ν
Τ Μ Η Τ Μ λ Ι 2 0 Μ Ν Τ Π θ 6 Ν θ γ 2 Ι Κ ( 1 ) Ν [·]
(10) ΟΜΟΙ, ( 1 ) λ ρ 6 Γ Ι Ν Ο γ Τ β ρ Π Μ β γ β Ν Τ Μ Ν Τ 2 λ ρ φ 2 Η Τ
Μ π ρ ω Μ 6 · χ γ ω ο γ γ γ χ Η Ν λ τ ο ρ Γ Η cgxcppn[e]
(12) Μ Π 6 Π Η Χ 6 Τ θ γ λ λ Β · ( 1 ) λ ρ 6 I16XC Χ Τ 6 [Χ(1)Μ]
[2Η Ο γ Π Ν λ Μ 2 ] λ ρ φ 2 Η Τ · λ γ θ ) 0 γ Λ [ Ι λ Ν 0 Ι λ ]
(14) [ Μ λ]Μ MOON6 [ ]
[ ]φ[ ]
(Verso)
0 ) λ ρ 6 ( 1 Μ θ γ Τ 6 2(ÜCD t l Π Ο ) Τ 6 Β Ο λ Ν Ο γ
(2) Ϋ Υ Χ Η Ν ρ 6 Η Μ 6 γ 6 6 Π Ι 1 6 θ 0 0 γ · ΟΜΟΙ, λ γ ( 1 )
6 φ Χ 6 ΚΜλΠ(1)Τ 6 Β Ο λ Ν λ λ Β Ο Ν Π Ο γ ρ Ο Ο ΠΟ>Τ
(4) ΝΧΙΟΥ6 Μ Π ρ Τ λ Ν 2 θ γ Τ Ί 6 Ί 6 ρ Η Τ ΝλΚ Χ 6 φ Ν λ
Χ Ο Ο γ Κ 2Ν 2 6 Μ Τ γ Μ Π λ Ν Ο Ν · Η6ΤΜΧ(1) Γ λ ρ
(6) ΜΜΟΟγ Χ 6 ΜΜλΧΟΟγΚ 2 ΐ ω θ γ 6ΜΝλλΜλ2Τ6
ΜΜΟΚ 2ΙΤΝ ΝXI Ν 2 θ γ θ 6 ( 1 ) Χ 6 ^ Ν λ Χ Ο Ο γ Κ
(8) [2]Μ 2 6 Ν Τ γ Π Π λ Ν Ο Ν ΜΝ 26Ι1ΜΟΥΟΙΚΟ[Ν]
Π 6 6 Μ ( 1 ) Ο Χ Π 6 Π 6 λ Ο Ι Π Ο Ν 6 C 6 K 116[Κ]
(10) [ N O ] Y C Η λ Ί 6 Π λ 2 θ γ ΠλΙ 6 Τ Π Η Τ Ν [ Τ Ο Ο ]
[ΤΙ]· 6ΜρΗΗΤ2λΚΟ Γλρ 6 Π 6 Κ Ν [ θ γ θ ]
(12) [2Μ Π ] Τ Μ Τ Μ 6 Β Ο λ Ν Ν 6 2 ρ θ [ θ γ ]
[ λ γ θ ) ] 6ΜΠλλΗλ ΜΠ6Κ0[γ06Ι]
(14) [2Ν θ ] Η Α Ο Ν Η Η Τ θ γ \ λ [ 6 ]
ZÄS 116 (1989) Η.-Μ. S c h e n k e : Evagrius-Ostrakon 95
Griechischer Text
15Der von M u y l d e r m a n s abgedruckte Text (1939: 251) hat hier κα3έζεται; aber das ist — nach den
vorhandenen Indizien zu urteilen — nur ein Druckfehler (Verwechslung von Xi und Zeta).
96 Η.-Μ. S c h e n k e : Evagrius-Ostrakon ZÄS 116 (1989)
Kommentar
( ß 1) Der Doppelpunkt hinter der Autorenbezeichnung ΛΙ1Α β γ λ ί ρίΟΟ setzt diese vom fol-
genden Text wie einen Titel ab. Vgl. dazu die als Titel wirklich ü b e r die folgenden Weisheitssprüche
gesetzte bloße Autorenangabe ΑΠΑ ANAtDNlOC auf dem einzelnen Pergamentblatt B . M. Or.
6003 17. Die Person, die in der Wissenschaft traditionellerweise als Evagrius Ponticus identifiziert
wird, heißt in koptischen Texten als einer der verehrten Wüstenväter auch sonst A p a Evagrios 1 8 .
(R 1—9) Die erste Sentenz stammt aus der Abhandlung über die Geldgier und hat auch für sich
genommen allein über die Geldgier eine Aussage zu machen. Zwar beginnt sie mit der Bezugnahme
auf eine vom Götzendienst handelnde Stelle des Alten Testaments (Dt 27,15), aber diese Bezug-
nahme ist hier von nur hinführendem Charakter und hat im K o n t e x t kaum einen höheren Stellen-
wert als die in De octo spiritibus malitiae so zahlreichen Vergleiche aus der Natur. Vgl. ζ. B . aus
derselben Abhandlung über die Geldgier: Θάλασσα ούκ έμττίπλαται, ποταμών δεχόμενη πλή-θος,
και έπι3υμία φιλάργυρου οϋ πληρούται χρημάτων (Migne P G 79, 1153 Α, Ζ. 1—3). D a ß Götzen-
dienst und Geldgier in einer besonderen Beziehung zueinander stehen, ist ein traditioneller Topos
jüdischer und frühchristlicher Paränese. Vgl. im Neuen Testament Kol 3,5, wo einem Syn-
17 F u n k 1976.
18 Vgl. ζ. B. die Texte bei M u y l d e r m a n s 1963 und C l i a i n e 1 9 6 0 : Nr. 57. 79. 80.
7 Z. ägypt. Sprache u. Altert.kd. 116 (1β8») 1
98 Η.-Μ. Schenke: Evagrius-Ostrakon ZÄS 116 (1989)
onym der Geldgier, nämlich der Habsucht (πλεονεξία), die Worte hinzugefügt sind ήτις εστίν
ειδωλολατρία, und die in den Kommentaren dazu gesammelten Parallelen l9. Unter diesen Pa-
rallelen ist unserem Evagrius-Text besonders nahe Philo spec. leg. I 22 f. (nebst dem ganzen K o n -
t e x t ) : „(22) . . . .Ihr sollt euch neben mir keine Götter aus Silber und Gold machen' (Ex 20,23), . . .
(23) Abgesehen von dem ausdrücklichen Verbot scheint er mir aber auch eine bedeutungsvolle
ethische Lehre auszusprechen: er will nämlich die Geldgierigen (τους φιλοχρημάτους) scharf tadeln,
die von allen Seiten Silber und Gold zusammenschleppen und den gesammelten Reichtum wie ein
Götterbild in geheimen Gemächern hüten (ώς άγαλμα 3εϊον έν άδύτοις 3ησαυροφυλακοϋσιν), in der
Meinung, daß er die Ursache alles Guten und des ganzen Glückes für sie sei" (Übers. Heinemann).
( R 1—4) Der koptische T e x t ( = K ) des Zitats von Dt 27,15 unterscheidet sich von der griechischen
Fassung ( = G ) gleich durch drei Elemente: durch das lexikalische Antecedens nptüMG (statt des
nach G zu erwartenden Determinativum Γ1-), durch das Futurum nebst Fortsetzung im Konjunk-
tiv (statt des Präsens) und durch den Dativus ethicus NAM. Alle drei Unterschiede haben ein und die-
selbe Wurzel: Während G die Schriftstelle relativ frei zitiert, repräsentiert Κ einen Text, der das
Zitat (und zwar wohl sekundär) an den Wortlaut der Septuaginta (wieder) angleicht; vgl. L X X
Έττικατάρατος ( + ό [ Α ] ) άνθρωπος, όστις ποιήσει γ λ υ π τ ό ν και χωνευτών, βδέλυγμα κυρίω, έργον χει-
ρών τεχνίτου, και 3ήσει αύτό έν άποκρύφω; (S) M C 2 0 Y 0 p T Ν6Ί ΠρΟίΝβ Γ1ΑΙ 6 Τ Ν Α Τ Α Μ Ι Ο NAM
Ν 0 γ Κ \ γ ΐ 1 Τ 0 Ν MM 0 γ Χ 0 Μ 6 γ Τ 0 Μ Χ 6 Ο Υ Β Ο Τ 6 116 M N X 0 6 I C NG θγ2(1>Β Ν 6 Ί Χ ΜΜΜΤ-
p e q e p e i o n e NAMING ΝΜΚΑΑΜ 2Ν θ γ Μ λ GM2HII. Diese Angleichung dürfte schon innerhalb
der griechischen Textüberlieferung eingetreten sein (die Vorlage von Κ hätte mithin gelautet:
Έπικατάρατος ό άνθρωπος, όστις ποιήσει εΐδωλον, και 3ήσει αύτό έν άποκρύφω). Denn falls sie bei
oder nach der sahidischen Übersetzung erfolgt wäre, würden die kleinen, aber eigenartigen Diffe-
renzen zwischen Κ und L X X ( S ) nicht einfach zu erklären sein (man würde in Κ auch wie in
LXX(/S) NAI 6 T N A - statt bloßem GTNA- erwarten, und θ γ Μ λ 6Μ2ΗΠ statt θ γ Μ λ N2(JDN). ü b
das sowohl in Κ als auch in L X X ( £ ) vorhandene, aber in L X X ( Ü ) fehlende, NAM auch noch ein
griechisches έαυτω voraussetzt (etwa durch Einwirkung von Parallelstellen wie Dt 4,16.23; 5,8)
oder aber ein Übersetzungssahidismus ist (ποιεΐν = Τ Α Μ Ι Ο NA*), kann dagegen nicht mit Sicherheit
entschieden werden.
( R 4) „Ebenso verhält es sich auch mit dem" das heißt: „genauso v e r f l u c h t ist der" etc. Zu
2(1)(DM vgl. P o l o t s k y 1971: 405.
( R 6) Das ΓΑρ begründet nun aber nicht sosehr den beiderseitigen Sachverhalt des Verfluchtseins
— denn was in dem folgenden Satz beschrieben wird, kann nicht als Inhalt oder Folge eines Fluches
verstanden werden, sondern ist eher die Beschreibung eines Zustandes von ταλαιπωρία — als den
Sachverhalt der Gleichheit zwischen Götzendienst und Geldgier. Und zwar wird die Gleichheit
darin gesehen, daß es sich — über den Gegensatz „äußerlich"/„innerlich" hinweg — beiderseits um
bloße Wahnvorstellungen handelt, wofür die komplementären Stichworte „Nutzlosigkeit" und
φαντασία sind.
( R 6 urnl 8) Durch Nil M6N . . . IIAI A G präzisiert Κ auf sehr sachgemäße Weise das mehrdeutige
ό μεν . . . ό δέ von G durch Festlegung (nicht: „einer — ein anderer", sondern: „ d e r eine — d e r
andere") und Schwerpunktverlagerung (nicht: „dieser — jener", sondern: „jener — dieser") 2 0 . Für
diese Fähigkeit des Koptischen, durch solche Schwerpunktverlagerung das logische Gefalle präziser
zum Ausdruck zu bringen, vgl. ζ . B. Hebr (S) 7,20f. 23f.; Sap (S) 19,13. Vielleicht liegt noch eine
weitere Präzisierung vor in der auffälligen Transposition der Verbformen 6Μθγ(ϋ(1)Τ [gegenüber
προσκυνεί] undGMXI (NAM . . . ΝΘ6 Νθγ2ΙΚ(1)Ν) [gegenüber (άγαλματο)φορεϊ], wo weder der Grund
für die Transposition noch die A r t der Transposition (Umstandssatz oder Präsens I I ) offenkundig
ist. Der hier vorliegende Satztyp als solcher verlangt jedenfalls keine derartige Transposition,
sondern hat die einfachen Formen, wie besonders schön an der speziell unter formalem Gesichts-
punkt unserer Ε vagrius-Sentenz sehr nahestehenden Parallele Sap 14,8 (Lagarde) abzulesen ist:
« Ζ. B. D i b e l i u s / G r e e v e i i 1953: 41f.
20 Vgl. B l a ß / D e b i u i i n e r / R e h k o p f 1976: § 250.
ZÄS 116 (19S9) Η.-Μ. S c h e n k e : Evagrius-Ostrükon 99
(R 10 (und V 2)) Das abgekürzte Einzelwort zwischen den Sentenzen dürfte das in griechischen
und koptischen Urkunden ganz und gar geläufige (anreihende) Adverb ομοίως sein und heißt
bzw. bedeutet also: „desgleichen", „ebenso", „gleichermaßen" (stammt auch das Folgende von
Apa Evagrios) 2 2 . Dies Adverb kommt in den Urkunden sowohl ausgeschrieben (und zwar mit und
ohne Hori) als auch in verschiedener Weise abgekürzt vor. Wie hier abgekürzt findet es sich ζ. B .
zweimal in der (griechischen) Rechnung Bai. 315, 5.8 2 3 .
(R 10—V 2) Die zweite Sentenz ist ein Kernstück der Ausführungen des Evagrius über den Zorn.
Im Unterschied zu den anderen beiden hat diese ein ausdrücklich christliches, nicht vom Alten,
sondern vom Neuen Testament gespeistes Gepräge. Ein allgemeinerer Rahmen, der schon jüdisch
vorgegeben sein könnte, ist ausgeweitet worden durch eine allegorisch-paränetische Umsetzung
des Logions Mt 8,20 (bzw. Lk 9,58): αϊ άλώττεκες φωλεούς εχουσιν . . . , ό δέ υιός του ανθρώπου ούκ
εχει ττοϋ την κεφαλήν κλίνη bzw. sahidisch: ίΪΒΛφΟρ Ο γ Ν Τ λ γ ΝβγΒΗΒ . . . HCQHpe Α 6 MlipCDMG
ΜΝΤΜ Μλ ΠρβΚΤ Τ64ΛΠ6. Dabei sind die einzelnen Motive des Logions bei ihrer Verwendung so um-
gestellt, auseinandergezogen und aufgefüllt worden, daß ein trinitarischer Aspekt herauskam.
(R 10) Das göttliche Gedenken, das sich in G passivisch formuliert findet, wird in Κ im Aktiv
wiedergegeben. Zugleich ist auch der Gegenstand des Gedenkens ein anderer geworden: Die Über-
setzung von ττραΰτης hätte MNTpMpXÜ) lauten müssen, während das stattdessen vorhandene
koptische ΜΗΤ2λρ(1)2ΗΤ einem μακρο3υμία entspricht. Obgleich also das, was auf dem Ostrakon
steht, genau genommen einem griechischen μακρο3υμίαν ανδρός μνημονεύει 3εός entspricht, ist
es keineswegs nötig, einen solchen Wortlaut, also eine Textvariante, als Vorlage der Übersetzung
anzunehmen. Denn einerseits ist die Transformierung eines Passivs ins Aktiv bei der Übersetzung
von griechischen Texten ins Koptische etwas durchaus Geläufiges- 4 , andererseits könnte sich die
Wahl des Synonyms ΜΝΤ2λρφ2ΗΤ (statt MMTpMpAÜ)) als eine auf Angleichung hinauslaufende
Vorauswirkung des 2λρ(1)2ΗΤ von R 13 beim Übersetzungsvorgang erklären.
(R 12) Daß Evagrius bei der Anwendung von Mt 8,20 (bzw. Lk 9,58) die Chiffre „Menschensohn"
durch die eindeutige Christus-Bezeichnung ersetzt hat, war naheliegend. Wie aber kommt es nun,
wenn doch Mt 8,20 zugrunde liegt, daß Κ zur Wiedergabe der Wendung κλίνει κεφαλήν nicht
das geläufige Syntagma von piK6 und (Τ)λΓ16 benutzt, das das sahidische Neue Testament an
dieser Stelle hat, sondern einen Ausdruck, der das zwar auch ohne weiteres bedeuten kann, aber
sehr selten ist und an der einzigen Stelle des sahidischen Neuen Testaments, wo er nach der
Mehrzahl der Textzeugen 2 5 vorkommt (Mk 4,38), nur zur pleonastischen Wiedergabe von
κα3εύδειν dient (6XMXT6 XCÜ4 . . . λ'ΙΜΚΟΤΚ [Mor]/ λ'ΙΟ)Β(Ι) [Horner] = κα3εύδων)? Diese Frage,
so gestellt, setzt allerdings voraus, daß unsere Ergänzung [Χ(Ό4·] richtig ist. Denn natürlich
kann man auch ein [Τ6ΗΑΠ6] nicht ganz ausschließen. Aber auch das Vorhandensein des
bloßen Verbs X T O ist ja schon auffällig genug. Als Antwort auf die gestellte Frage bietet sich
eine Alternative an: Entweder hat der Übersetzer des Evagrius-Textes sein koptisches Neues
Testament n i c h t g u t im Kopf gehabt, oder aber g a n z b e s o n d e r s g u t . In dem zweiten Fall
hätte er ganz bewußt eine Querverbindung zu Mk 4,38 hergestellt, falls eine solche Verbindung zwi-
schen Mt 8,20 (bzw. L k 9,58) und Mk 4,38 in der homiletisch-paränetischen Tradition nicht schon
vorgegeben war. E s könnte ihm auch sehr wohl bewußt gewesen sein, daß sein koptisches Neues
Testament in Mk 4,38 eigentlich das Äquivalent eines κλίνας τήν κεφαλήν . . . έκά3ευδεν bot.
Und daß die Erwägung einer homiletisch-paränetischen Tradition als Hintergrund dieser Evagrius-
Stelle sehr wohl am Platz ist, zeigt uns Clemens Alexandrinus mit wünschenswerter Deutlichkeit;
vgl. ström. I 23,2: „Darauf (sc. auf die Torheit der ,Weisen') spielt wohl jenes Wort des Heilands
an: ,Die Füchse haben Höhlen, des Menschen Sohn aber hat keine Stätte, wo er sein Haupt hin-
legen kann.' Denn allein, meine ich, in dem Gläubigen, der völlig von den übrigen unterschieden
2 2 Entgegen der früheren Auffassung ( S c h e n k e 1984: 219f.), daß die Abkürzung als όμοιος aufzufassen
ist, die von der Schrift als Tiere bezeichnet sind, f i n d e t das Haupt der W e l t , der gute und sanfte
Logos, R u h e " (Übers. Stählin).
( R 13) Die Identifizierung des Buchstabenrestes am Ende des erhaltenen Teils dieser Zeile als
von einem Delta stammend, und also die Rekonstruktion zu Α [ Ι λ Ν Ο Ι λ ] , erscheint mir, nach noch-
maliger Prüfung, ziemlich sicher. Die theoretischen A l t e r n a t i v e n 2 [ H T ] und M [ 6 ( 6 ) Y G ] (mit einem
ru n d e n M y ) kommen nicht mehr ernsthaft in Betracht. Κ hat hier also den betreffenden Ausdruck
aus G übernommen. Obgleich Λ Ι λ Π Ο Ι λ im sahidischen Neuen Testament nicht v o r k o m m t , ist es
der koptischen Sprache ja sonst als Fremdwort wohlbekannt 2 f i .
( K 14) MAMMOOIIG entspricht offensichtlich dem W o r t μουή in G. E s ist aber nicht dessen
Übersetzung. Das koptische Äquivalent von μονή wäre vielmehr Μ λ Ν φ ί ϋ Π β , während Μ Λ Μ Μ Ο Ο Ν 6
eine Übersetzung von νομή ist. Da nun auch „ W e i d e " im hiesigen K o n t e x t , w o in vielfältiger
Weise von E i n w o h n u n g die R e d e ist, gar keinen besonderen Sinn ergibt, haben wir es hier
wohl bloß mit dem Produkt einer einfachen Verwechslung v o n μονή und νομή zu tun. D a s ist
aber ein typischer Kopierfehler und also wahrscheinlich schon in der Überlieferung des griechi-
schen Textes passiert. Der koptische Übersetzer dürfte also in seiner Vorlage νομή vorgefunden
und korrekt übersetzt haben.
( R 15) Der einzige Buchstabenrest, der von der Zeile 15 erhalten ist, könnte auch v o n einem
Omega stammen. Seine endgültige Identifikation hängt wohl auch v o n einem Überschlag der
Größe des Textverlusts an der unteren Bruchkante des R e k t o ab. W e n n man v o n der nächst-
liegenden Annahme ausgeht, daß das Ostrakon die Sentenz in dem U m f a n g geboten hatte, den uns
G bezeugt, könnte man sich die ursprüngliche Gestalt v o n T e x t und T e x t v e r t e i l u n g auf der unteren
Rekto-Partie des Ostrakons folgendermaßen vorstellen:
Variante A
λ γ ω θ γ γ γ Χ Η ΝλΤΟρΓΗ φ λ θ ρ ρ Π [ 6 ]
ΜΠβΠΝλ 6 Τ θ γ λ λ Β · IQApe Π 6 Χ 0 Χ Τ 6 [XtDM]
[2Μ Ο γ Π Ν Α Ν 2 ] λ ρ φ 2 Η Τ · λ γ ω Ογ,ΖφλΝΟΙλ]
[GCpeipHNH Ο)λ0ρ*ΜΑ]ΜΜΟΟΝ6 [ Ν Τ 6 ]
[TpiXC 6 Τ θ γ λ λ Β 26ΝΒλ]φ[θρ φλγογ(1)2]
[2Ν θ γ γ γ Χ Η Ν ρ β Μ Μ β γ β 6 Π Π 6 θ 0 0 γ · λ γ ( 1 > ]
[ 0 ) Α ρ 6 2 6 Η Θ Η ρ ΐ Ο Ν C O B T 6 Ν Ν β γ Β Η Β 2Μ]
[ Ο Υ 2 Η Τ 6 < ί φ Τ ρ Τ ( 1 ) ρ · φ λ Μ Π ί Ο Τ Ν6Ί θ γ ρ θ ) Μ 6 ]
[HC6MNOC 6 Β Ο \ Ν θ γ Μ λ Ν 6 Ό 6 Ι λ 6 ΝφλΟΨ]
Das würde bedeuten, daß der abgesplitterte Teil so groß war, daß es auf ihm nach der ursprüngli-
chen Zeile 15 noch Platz für vier weitere Zeilen gab. N a c h dem P r o f i l der Bruchkanten auf dem
R e k t o u n d V e r s o zu urteilen, darf das m. E. durchaus als wahrscheinlich gelten. D a man das
aber dennoch nicht mit letzter Sicherheit sagen kann, ist vielleicht auch der zusätzliche Versuch
einer Minimallösung nicht ganz fehl am P l a t z . M i t nur einer ganz weggebrochenen Zeile muß man auf
jeden Fall rechnen. U n d man käme mit nur einer ganz fehlenden Zeile auch aus, wenn man sich
vorstellen würde, daß die Vorlage von Κ die Doppelzeile in G v o n den Füchsen und den wilden Tieren,
v o n der man ja durchaus abstrahieren kann, vielleicht gar nicht (sei es nicht m e h r , sei es n o c h
nicht) enthalten hatte. Das ergäbe für die ursprüngliche untere P a r t i e des R e k t o folgendes B i l d :
Variante Β
λ γ θ ) θ γ γ γ Χ Η ΝΑΤΟρΓΗ φ λ θ ρ ρ Π [ 6 ]
ΜπεπΝλ 6τογλλΒ· φχρβ nexc χ τ β [ x o l w ]
[2Ν Ο γ Π Ν λ Η2]λρα)2ΗΤ· λ γ ω 0γΑ,['λΝ0Ιλ]
[ecpeipHNH ü)XCpMX]MMOON6 [ Ν Τ 6 ]
[ T p i X C 6 Τ θ γ λ λ Β · φ λ Μ Π ] φ [ Τ Nf>l θ γ ρ θ ) Μ 6 ]
[NC6MNOC 6 Β Ο \ Ν θ γ Μ λ Μ 6 Ό 6 Ι λ 6 ΝφλΟΦ]
( V 1 f . ) I n der abschließenden Sinnzeile der zweiten Sentenz unterscheidet sich Κ durch zweier-
lei von G : E r bietet über den Bestand von G hinaus (noch einmal) einen Verbalausdruck (Cl)Xp6-. . .
F1(DT = φεύγει); er hat statt des koptischen Äquivalents von καρδία, das 2HT lauten würde, das
S y n o n y m ^ j ' y X H . Während der erste Unterschied einfach mit der Übersetzung in die koptische
Sprache zusammenhängt, in der die Ellipse von G nicht beibehalten werden konnte, ist das z w e i t e
eine echte Differenz. Der Austausch resultiert wohl aus einer mechanischen Wiederholung des
kompletten Ausdrucks μνησίκακος ψ ν χ ή aus der Sinnzeile über die Füchse. Das aber kann m. E .
ebensogut beim Kopieren des griechischen Textes wie beim Übersetzungsvorgang geschehen sein.
Der Gedanke dieser Sinnzeile von der Flucht Gottes findet sich übrigens in D e octo spiritibus
malitiae noch einmal angewendet, und zwar bei der Behandlung des Hochmuts. V g l . Ψυχή y ä p
ΰττερηφάνου έγκαταλιμπάνεται υ π ό θεοΰ, καϊ γίνεται δαιμόνων έπίχαρμα (Migne P G 79, 1161 D ,
Ζ. 3 - 5 ) .
( V 2—14) Die dritte Sentenz stammt aus der Behandlung des achten „Geistes der B o s h e i t " ,
des Hochmuts, und zwar aus dem für die Langversion der Evagrius-Schrift typischen Appendix.
Dieser A p p e n d i x ist auch sonst von der selbstverständlichen paränetischen Umsetzung alttesta-
mentlicher T o p o i bestimmt. V o r unserer Sentenz ist es das Matzen-Essen beim Passa, danach geht
es um den Stab des Mose und die eherne Schlange. Derartiges gibt es aber auch im Inneren der
Schrift. U n d zwar findet sich dort ein solcher Topos, der gerade in der so auffälligen unvermittelt-
direkten Anrede mit unserer Sentenz übereinstimmt. V g l . (aus der Behandlung der Völlerei) Έ ά ν
πατάξης Α ί γ ύ π τ ι ο ν , έν άμμω κρύψον αυτόν, και μή ττιάνης σ ώ μ α έπϊ ή τ τ ω μ έ ν ω πάθει (Migne
P G 79, 1148 Β , Ζ. 6—8) „ W e n n du einen Ä g y p t e r erschlägst, so verbirg ihn im Sande, und
mäste nicht den L e i b , wenn die Leidenschaft schwächer geworden ist" (Übers. S c h i w i e t z 1913:
61). U n d dieser Satz ist nur zu verstehen auf dem Hintergrund einer alexandrinischen Tradition,
die Philos einschlägige Allegorie, vereinfachend, auch für die konkrete Paränese fruchtbar zu
machen wußte. V g l . Philo fug. 147f.: „ A u c h Pharao, der Moses — das prophetische Wesen — zu
töten sucht ( E x 2,15), wird ihn nie finden, obgleich er ein schlimmes Gerücht über ihn vernommen
hat, daß er sich nämlich unterfangen habe, die ganze Herrschaft des Körpers in zwei A n g r i f f e n zu
zerstören. (148) Den ersten richtete er gegen die ägyptische Denkart, welche gegen die Seele die
Zwingburg der L u s t erbaut hatte — ,denn er erschlug ihn', (heißt es) ,und bedeckte ihn mit Sand',
einer zerstreuten Substanz ( E x 2,12), in der Überzeugung, daß die Lehren von der L u s t als dem
ersten und größten Gut und von den A t o m e n als den Elementen des Alls beide ein und demselben
Mann gehörten," etc. (Übers. Adler), leg. all. I I I 37: „ D a ß aber der Schlechte sich in seinen Einzel-
geist versenkt und den wahrhaft Seienden flieht, wird Moses bezeugen, der ,den Ägypter
erschlägt und im Sande verbirgt' ( E x 2,12), d. h. den widerlegt, der dem Körperlichen den
Vorrang zuspricht, das Seelische für nichts und die Lust für das höchste Gut h ä l t " (Übers.
Heinemann). D a ß es sich mit der Jakob-Typologie unserer dritten Sentenz (auf der Basis
v o n Gen 31,20f.26f. 2 7 ) wie mit dieser Moses-Typologie (auf der Basis von E x 2,12) verhält,
daß auch sie nur auf dem Hintergrund philonischer Allegorese zu verstehen sei, ist anderswo
schon zur Genüge dargelegt worden 2 8 . Zwischenglieder der von Philo zu Evagrius führenden
alexandrinischen Traditionskette über Jakob als T y p o s der fuga laudabilis finden sich im
Thomas-Buch der Bibliothek von N a g Hammadi und im Matthäus-Kommentar des Origenes.
In der N a g Hammadi-Schrift, die ja m. E. ursprünglich ein hellenistisch-jüdisches Jakob-
A p o k r y p h o n war 2 9 , liest m a n : „[Deswegen wird] gesagt: ,Jeder, der nach der W a h r h e i t fragt
27 Für das Verständnis von Wortwahl und Wortlaut unseres Ostrakons ist es gut zu sehen, wie diese Stelle
in der sahidischen Bibel gelautet hat, nämlich so (wobei die Schlüsselworte und -Wendungen noch unter-
strichen sind): (Gen 31,20) λΜεωπ A6 fiel ΐ λ κ Ο Β βλλΒΧΐ) n c H p o c gtmtxmom xe hhxbojk. (21) Α,ππωτ ν τ ο η
mn neTNTxq T H p q λ ί χ ι ο ο ρ Mtuepo Μηπογοι ezpxi ε π τ ο ο γ ΝΓλλλλτ . . . (26) n e x e xabah a c niakiüb x e
o y ne πχι ntakaah 6tbg ο γ λ κ π ω τ flxioye χ γ ω λκζοπκ. epoi akbi HHAtyeepe Ree NNiexMAxtuToc zß tchb6.
(27) 6N<6> ΝΤΑΚΤλΜΟΙ AG Ν<6>ΙΝΑΧΟΡγΚ Π6 2N ΟγΟγΗΟΜ Mil 2MMOYCIKON ΜΝ ΖΜΚΟγΗΚΜ Hfl ΖΰΠθλρλ ( T e x t
nach M a s p e r o : M M A F VI, 1, 1892).
28 S c h e n k e 1984: 225-228.
29 Vgl. S c h e n k e 1983. 1985.
ZÄS 1 lü (1989) Η.-Μ. S c h e n k e : Evagrius-Ostrakon 103
hei der wahrhaft Weisen (sc. Rebekka), der wird sich Flügel bereiten, um zu fliegen, wenn er
fliehen muß vor der Begierde, die die Geister der Menschen verbrennt.' U n d : ,der wird sich Flügel
bereiten, wenn er fliehen muß vor jedem sichtbaren G e i s t . ' " ( N a g Hammadi-Codex I I , p. 139,42—
140.5). U n d an der betreffenden Origenes-Stelle heißt es zur Erklärung v o n M t 24,16: ut autem
intellegamus: fugiant in montes, accipe in exemplum quod dicitur manifeste de fuga laudabili, . . .
(juod in mysterio dicit Rebecca I a c o b : ,ecce Esau frater tuus minatur occidere te. nunc ergo, fili,
audi vocem meam, et surgens fuge ad Laban fratrem meum in Carran; et habita cum illo aliquos
dies, donec avertatur ira fratris tui'. et f>mnis (arbitror) qui filius est Iacob, opera consummans
Iacob, intellegens omnem morem odibilem deo, qui est Esau, fugit quasi intellegens. si autem non
fugiat cum, fornicarius est et pollutus sicut Esau, et quasi non fugiens Esau sed cohabitans ei non
fit filius Iacob, qui fugerat earn, ipse autem Iacob habitans cum Laban utiliter sibi et dispensationi,
quae erat secundum deum, ,abscondit cor Syri, ut non adnuntiaret ei quoniam fugiebat', et fugiebat
ipse .et omnia eius'. bonum est ergo fugere etiam a Laban, a consiliatore carnalium qualitatum,
in quibus habitantem non oportet permanere in eis, sed fugere cum omni d o m o sua. (Origenes
W e r k e X I 2 , GCS, ed. U . T r e u , 1976, S. 8 4 , 3 1 - 8 5 , 1 5 . p Zum Gedanken der fuga laudabilis als sol-
chem (also ohne ausdrückliche J a k o b - T y p o l o g i e ) kann man im W e r k des E v a g r i u s noch auf Antir-
rheticus 2,16 hinweisen, wo eine der als Heilmittel gesammelten Schriftstellen auch für den s o
formulierten Fall bestimmt ist: „Gegen die Seele, die nicht vor der unreinen Begierde fliehen will
und in den Sinn des Ammoniters Nahas verfällt, der .Schlange' bedeutet" (Übers. Baethgen 3 1 ).
Der T e x t unserer dritten Evagrius-Sentenz ist nun übrigens auch, wie die ganze Langversion von
De octo spiritibus malitiae, in armenischer Übersetzung vorhanden. U n d die Möglichkeit, hier den
Vergleich zwischen Κ und G noch um das Element A(rmenisch) zu erweitern, sollte man sich nicht
entgehen lassen. Ich selbst muß mich allerdings mit der folgenden französischen Übersetzung be-
gnügen. Sie ist der vorläufigen kritischen Textausgabe, die Muyldermans zunächst v o n der arme-
nischen Version des Appendix (nebst anderer für die Langversion charakteristischer Stellen) unter-
breitet hat, entnommen 3 2 . Eine Rückversicherung an H a n d des armenischen T e x t e s muß K e n -
nern des Armenischen überlassen werden.
Sentenz 3
(nach der armenischen Übersetzung)
30 Den Hinweis auf diese Origenes-Stelle verdanke ich Ε. Mühlenberg in Güttingen (Brief vom 2. 11. 1985).
31 Bei Z ö c k l e r 1893: 118; syrischer Text und Rückübersetzung ins Griechische bei F r a n k e n b e r g 1912:
486/487.
N M u y l d e r m a n s 1939: 271.
33 Die Apposition „le Syrien" steht nicht in der von Muyldermans abgedruckten und übersetzten Hand-
schrift (Oxford, Bodleienne 72), sondern erscheint nur in seinem kritischen Apparat als bezeugt durch eine
ältere Textausgabe [Muyldermans' Sigel B = e d i t . Venise 1855 (texte en petite caracteres)]. — Die oben im
Text genannte „Rückversicherung an Hand des armenischen Textes" hat übrigens inzwischen bereits
stattgefunden, und zwar durch A. Guillaumont· (Brief vom 23. 10. 1987). Danach bedarf in unserer obigen
Wiedergabe von Muyldermans' Übersetzung die dritte Zeile einer Korrektur; es müsse heißen: „parce que
ceux par l e s q u e l s il dit (t') accompagner, par ceux-lä il (t') empechera". Und er bemerkt schließlich zu
dem armenischen Text: „la traduction est tree fidele au texte grec, dont eile reproduit l'ordre mSme des
mots".
104 Η.-Μ. S c h e n k e : Evagrius-Ostrakon ZÄS 116 (1989)
Schon ein erster die ganze Sentenz in der Dreiheit der Versionen umfassender Blick ermöglicht
zwei wesentliche Erkenntnisse: 1. E s ist für beide orientalische Versionen typisch, daß der Anrede-
Charakter auch nach den einleitenden Imperativen explizit beibehalten wird („dir", „dich",
„deinen"). Das dürfte einfach mit den inneren Gesetzmäßigkeiten der jeweiligen Zielsprache zu-
sammenhängen und ist also wohl ohne Bedeutung für Textgeschichte und Textkritik. 2. In Fragen
der „Instrumentierung" der imaginären Geleit-Musik herrscht ein allgemeines Durcheinander
(nach Art, Reihenfolge und Plazierung), vermutlich infolge sekundärer Angleichung an den ur-
sprünglich nur frei verwendeten T e x t Gen 31,27 (μετά μουσικών, τυμπάνων και κιθάρας) bei
Einwirkung anderer „stehender" Ausdrücke für Festmusik (vgl. ζ. B . Regn I 10,5; Regn I I 6,5;
Is 5 , 1 2 ; vor allem aber E s d r I 5 , 2 : μετά μουσικών, τυμττάνων και αυλών).
(V 2) Das λ γ θ ) von Κ hat keine Entsprechung in G. Wahrscheinlich hat schon die griechische
Vorlage von Κ mit einem καί begonnen und muß man dieses καί im Zusammenhang mit den an-
deren ähnlichen Elementen sehen, die die Textform, die Κ repräsentiert, über die Textform von G
hinaus hat.
(V 3) 6 Ü J X 6 Κ Π λ Ι ΐ ω τ 6ΒΟΛ 11- als Äquivalent von εάν άττοδιδράσκης muß nach den Arbeiten
von W . - P . F u n k über die Konditionalsätze im Koptischen 3 4 als über die Maßen auffällig und pro-
blematisch angesehen werden. Denn Κ hat hier einen Indefinitus (geschlossene Bedingung), wäh-
rend das, was in G steht, ein Eventualis (offene Bedingung) ist. Als normale Übersetzung von έάν
άττοδιδράσκης muß man (6U)U)I16) GKÜJAUiKDT OBO\ N- oder GÜ)Ü)I16 KIIIIT ΟΒΟλ Π- er-
warten, während 6(1)XG ΚΝλΙΗΟΤ GBO\ N- ein griechisches ει άττοδράση repräsentiert. Man hat
demnach allen Grund zu fragen, ob die Vorlage von Κ nicht tatsächlich die Textvariante (καϊ)
ε'ι άττοδράση hatte. E i n e Vertauschung von έάν und εΐ läßt sich in der Textgeschichte ja gelegent-
lich auch sonst beobachten (vgl. ζ. B . im Neuen Testament Mk 14,29; l K o r 15,13); und hinsicht-
lich des semantisch-pragmatischen Gehalts kommen die „ F ä l l e " : έάν mit Konjunktiv und εί mit Fu-
tur einander ziemlich nahe. Andererseits scheint aber der „ F a l l " : έάν mit Konjunktiv dem Stil
und Geist von De octo spiritibusmalitiae wesentlich zu sein (ich habe noch zehn weitere Vorkommen
von έάν oder κάν gezählt, aber kein einziges ε! gefunden). Dann bliebe nur noch übrig, unsere
Stelle unter die sehr seltenen Abweichungen von dem, was bei einer Übersetzung normal ist, ein-
zureihen. Der koptische Übersetzer hätte die „weiche" Formulierung έάν άττοδιδράσκης seinerseits,
interpretierend, festgelegt und aus „wenn es einmal geschieht, daß du fliehst" ein „wenn es doch
wahr ist, daß du fliehen m u ß t " gemacht. E i n Gewaltakt wäre das freilich dennoch nicht gewesen;
denn durch Benutzung des Instans im 6(1)XG-Satz hielt er den Ausdruck in der Übergangszone
zwischen offener und geschlossener Bedingung 3 δ . I m übrigen darf eine endgültige Entscheidung
hinsichtlich des hiesigen GU)XG-Satzes nicht ohne Analyse des zweiten GÜJXG-Satzes in unserem
T e x t (V 7) erfolgen.
(V 3) Die Entstellung des Namens „ L a b a n " (λλΒΟΗ statt λλΒΛΜ) dürfte auf einem einfachen,
unkorrigiert gebliebenen, Schreibversehen beruhen ; der Schreiber war unter dem Einfluß des un-
mittelbar vorher stehenden 6 Β Ο λ im Begriff, noch einmal ΒΟλ zu schreiben.
(V 4 ) I m Unterschied zu G fügt Κ den negativen Imperativ ohne Kopula an. Hatten wir in Z. 2
ein λ γ ( 1 ) zuviel, so hier nun, wie es scheint, eins zu wenig. Das scheint sich j a auszugleichen. Und in
der T a t könnten die beiden Phänomene zusammenhängen und sich dann aus der — hin und wieder
zu beobachtenden — unterschiedlichen „Kraftrichtung" des koptischen λ γ ( ! ) gegenüber dem grie-
chischen καί erklären. Λγ(1) ist gelegentlich stärker satztrennend als satzverbindend wirksam,
so daß der Neueinsatz gerade mit Χ γ ( Ι ) bezeichnet werden kann, während die Satzverbindung
durch bloße Anreihung ausgedrückt wird.
(V 4 f . ) Die Wiedergabe des in G nur indirekt durch einen Ergänzungsinfinitiv ausgedrückten
Versprechens durch eine direkte Rede entspricht koptischer Übersetzungstechnik (vgl. ζ. B . 2Makk
6,6; Apg 8,9).
34 1 9 8 4 : 1 7 2 - 1 7 7 ; 1 9 8 5 a ; 1 9 8 5 b : 3 9 7 - 3 9 9 .
3 5 Zum Gebrauch von e i l j x e mit dem sogenannten „Futur"-Morphem (ιΐλ-) vgl. F u n k 1984: 177.
ZÄS 116 (1989) Η.-Μ. S c h e n k e : E v a g r i u s - O s t r a k o n 105
(Υ 5. 6. 7) Zum Ausdruck des \~ersprochenen Geleits benutzt Κ immer (dreimal) dasselbe Ver-
bum Χ Ο Ο γ . während G zwei verschiedene Verben h a t : erst zweimal τΓροττέμττειυ. dann zuletzt
έξοπτοστέλλειν. Nun ist Χ Ο Ο γ das geläufige Übersetzungsäquivalent von έξαττοστέλλειν, wäh-
rend sich zur Übersetzung von -ττροπέμπειν das koptische Verb OIU) (GBOX) angeboten hätte. U n d
da an der alttestamentlichen Bezugsstelle Gen 31,27 nur έξαττοστέλλειν/ΧΟΟγ vorkommt,
dürfte Κ also eine Textform repräsentieren, die eine ursprünglich freiere Bezugnahme auf diese
Stelle wieder an den biblischen Wortlaut angeglichen hatte.
(V 5) Die hier in Κ ausdrücklich schon einmal genannten Pauken haben weder in G noch in A
eine Entsprechung. Es muß sich dabei aber nicht um einen „Zusatz" handeln, und schon gar nicht
notwendigerweise um einen solchen, zu dem es erst bei der Übersetzung ins Koptische oder inner-
halb der innerkoptischen Textgeschichte gekommen wäre. Denn die Bevorzugung der Pauken —
als Hauptsymbol bei der Allegorie der Instrumente —, hier durch Extra-Nennung zum Ausdruck
gebracht, findet sich genauso in Z. 8, nur daß sie sich dort in der E x t r a - S t e l l u n g , am Anfang des
Hendiadyoin, zeigt.
(V <i) Das griechische κα3έξεται, als dessen Übersetzung sich unser 64ΜλλΜΑ2Τ6 erweist
( A M A 2 T G ist im sahidischen Neuen Testament das normale Übersetzungsäquivalent von κατέχειν;
und auch Α setzt offenbar dieses Verb voraus), steht allerdings weder in dem von Muvldermans
gedruckten Text — da steht vielmehr καδέζετοα — noch findet es sich unter den im textkritischen
Apparat aufgeführten variae lectiones. Das mir lange Zeit ein Rätsel gebliebene κα3έζεται :l(i
ist aber wohl gar kein Phänomen der eigentlichen griechischen Textgeschichte, sondern nach Lage
der Dinge (die Formen des Apparats haben alle, wenn auch schlecht zu erkennen, ein X i ; und Muyl-
dermans gibt durch nichts zu erkennen, daß für ihn hier ein Problem liegt), wie ich erst jetzt mit
Scham erkenne, nur ein ganz gemeiner Druckfehler.
(V 7) Für das Adverb Ν 2 θ γ θ finden wir in G kein entsprechendes μάλλον (ο. ä.). Auch ist nicht
ohne weiteres klar (zumal gerade hier das Interpunktionszeichen fehlt), zu welchem der beiden
Sätze, an deren Grenze es steht, es eigentlich gehört. Zunächst h a t t e ich es zum vorangehenden
gezogen 37 . Aber in diesen Satz paßt es eigentlich formal und logisch nicht mehr hinein. Da es nun
genau auf der Grenze steht, wird es wohl eher die Verbindung zwischen den beiden Sätzen sein,
d. h. in der Funktion einer Konjunktion (einem ΑλλΑ sehr nahekommend [vgl. λ λ λ λ 6 Ü ) X 6 in
2Kor 4,16; Phil 2,17; l P e t r 2,20]) den folgenden einführen. U n d so gesehen, hat es nun doch in G
eine Entsprechung, wenn auch nur eine funktionale: es entspricht der dortigen K o n j u n k t i o n γ ά ρ .
Andererseits kann man unser hiesiges Π 2 θ γ θ 6Ü)XG mit dem XytD 6<1)X6 von Z. 2 f. in Parallele
sehen.
(V 7) Mit e t y x e Ί Ν λ Χ Ο Ο γ Κ gebraucht unser Text gleich noch einmal die schon in Z. 3 ge-
fundene und besprochene spezifische Konditionalsatzstruktur 3 8 , hier aber nun überhaupt nicht in
Entsprechung zu einem — wie auch immer andersartigen — griechischen Konditionalsatz, sondern
in Entsprechung zu einem griechischen participium con junctum. Als Übersetzung von έξαττοστέλλων
würde man doch einen Umstandssatz, etwa 6MXOOY MMOK, erwarten, so wie in Z. 4 G'IGfUT die
normale Entsprechung des έπαγγελλομέυω ist. Hängt — εξοατοατέλλωυ als Übersetzungsgrund-
lage vorausgesetzt — die Vermeidung des Umstandssatzes zugunsten des Konditionalsatzes mit
der Anfangsstellung, die dieser Nebensatz im koptischen Satzgefüge einnimmt, zusammen und
haben wir es also auch hier (wie in Z. 3) einfach mit einer präzisierenden Übersetzung durch den
koptischen Übersetzer zu tun? Es kommt ja auch sonst im Übersetzungskoptisch gelegentlich
vor, daß ein durch GU)XG eingeleiteter Konditionalsatz für eine nicht-konditionale griechische
Konstruktion eintritt. Die Konkordanz für das sahidische Neue Testament weist zwar keinen sol-
3C
Vgl. S c h e n k e 1984: 225. 230.
37
S c h e n k e 1984: 220. 230.
38
D a b e i ist vorausgesetzt, d a ß — nach K o n t e x t , K o n s t r u k t i o n u n d W o r t s t e l l u n g zu u r t e i l e n — d a s hiesige
6CIJX6 k a u m F u n k s Güjxe2 „gleichsam", „als o b " , „wie w e n n " sein k a n n (vgl. F u n k 1985a). J e d e n f a l l s f ü h r t
in. E . ein Versuch in dieser R i c h t u n g („Vielmehr, w ä h r e n d er dicli g l e i c h s a m geleiten wild m i t P a u k e n
u n d Musik") zu keiner e v i d e n t e n oder befriedigenden L ö s u n g .
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chen Fall für ein participium eonjunctum aus, wohl aber für einen Relativsatz ( Hebr 12,26). Aus-
schließen kann man aber trotz alledem nicht, daß Κ hier eine andere griechische V o r l a g e gehabt
hat, sei es nun ein έάν έξαποστέλλη (in Entsprechung zu dem έάν άποδιδράσκης am A n f a n g der
Sentenz), sei es ein εί έξαποστελεϊ (in Entsprechung zu einer ebendort möglichen varia lectio
εί άποδράση).
( V 8) I n Κ fehlen nicht nur die in G genannten (aber der alttestamentlichen Textgrundlage
Gen 31,27 fremden) Flöten, die beiden übrigen Elemente stehen auch noch (und das nun im Unter-
schied auch zu Gen 31,27) in umgekehrter Reihenfolge. Α hat zwar auch wie G drei Elemente mit
den Pauken am Schluß, bringt aber in der Mitte statt der Flöten (oder ü b e r s e t z t αυλών mit)
Trompeten und ersetzt den Allgemeinbegriff am Anfang durch die (in Gen 31,27 ganz am Schluß
stehenden) Harfen.
( V 9) Das in Κ hier begegnende griechische A d v e r b ΛΟΙΠΟΙ! hat in G keine Entsprechung.
Dieses durch G nicht gedeckte relativ seltene Lehnwort in Κ ist von den vielen diesbezüglichen
Indizien gerade dieses Satzes V 7—11 wohl der sicherste Hinweis, daß Κ — jedenfalls in diesem
Satz — nicht G als Vorlage hatte. Als Maximum der möglichen Unterschiedenheit von K s grie-
chischer Vorlage gegenüber G (d. h. gegenüber den Handschriften, nach denen Muyldermans den
Appendix [und andere Elemente] der Langversion kritisch herausgegeben hat) könnte man sich
einen T e x t wie den folgenden vorstellen: μάλλον (δέ) εί μετά τυμττάυων και μουσικών έξαποστελεϊ,
άνθέλκειν μηχανδται ( τ ο ) λοιπόν τ ό ν άττοδιδράσκοντα νουν.
(V 11) Der Anschluß der letzten beiden Sinnzeilen an das Vorhergehende erscheint durch das
überschüssige Γλρ in Κ als von G verschieden. Während G den vorhergehenden Satz durch zwei
participia conjuncta ( κ α τ α γ ο η τ ε ύ ω ν und έκκλίνωυ) weiterführt, macht Κ hier eine Zäsur und be-
ginnt einen neuen selbständigen Satz. Jedenfalls ist das die nächstliegende und natürlichste A u f -
fassung, zu der die Deutung der beiden transponierten Verbformen 6 ( ipMHT2AKO (Z. 11) und
6ΜΙ1\λΝλ (Ζ. 13) als Präsentia I I gehört. Da man nun aber diese beiden Verbformen, wenn das
Γλρ (nebst dem Satzzeichen) nicht dastünde, in direkter Entsprechung zu den beiden griechischen
Partizipien für Umstandssätze des Präsens halten müßte, läßt sich die Frage nicht ganz abweisen,
ob sie das nicht auch trotz des Γλρ sein könnten, d. h. ob hier ein Fall vorliegen könnte, wo das
Γλρ nicht wie üblich einen neuen Hauptsatz einführt, sondern nur noch einen Nebensatz anhängt
(„indem er nämlich deinen [Verstand durch den] Widerhall der K l ä n g e bezaubert [und] deinen
[Eifer durch das] Vergnügen (an) der Melodie in die Irre leitet"). Daß Κ das Objekt der Bezaube-
rung noch einmal ausdrücklich nennt, also 6 M 6 K U O y c hat statt eines, dem αυτόν v o n G entspre-
chenden βρΟΊ, hält sich durchaus in den Grenzen dessen, was bei einer Übersetzung geschieht oder
geschehen muß.
( V 13) Daß Κ zum Ausdruck der Entsprechung des έκκλίνωυ von G mit Ι Ι λ λ Ι Ι λ ein anderes grie-
chisches V e r b benutzt, könnte wieder von textkritischer Relevanz sein. Zwar kommen έκκλίνειν
und πλανάν semantisch einander sehr nahe und wäre Γ Ι λ λ Ι Ι λ als geläufiges F r e m d w o r t im K o p t i -
schen zur Wiedergabe von έκκλίνειν (das, bzw. dessen Simplex, nicht in den Wortschatz der
koptischen Sprache eingegangen ist) an sich durchaus geeignet (wenn auch m. W . nicht belegbar),
aber έκκλίνειν hat eben, vor allem in piK6 6ΒΟλ, direkte und gebräuchliche koptische Äqui-
valente.
( V 14) Die Merkwürdigkeit des Gegenübers von έκκλίνειν und πλανάν wird nun noch dadurch
potenziert, daß in Κ auch das Mittel der Irreführung mit einem anderen griechischen Begriff
bezeichnet wird als in G : 2ΗΛΟΗΗ (im Koptischen als Lehnwort geläufig) statt συμπάθεια. Der
andere Begriff modifiziert auch das innere Verhältnis zum folgenden Genetiv. Nun ist συμπάθεια
als ein musikalischer Fachausdruck („in Music, used of chords w h i c h v i b r a t e t o g e t h e r . . .;
s y m p a t h e t i c v i b r a t i o n of bronze vessels . . ." [Liddell/Scott]) sicher die ursprüngliche Lesart
und war wohl schon im Griechischen nicht jedermann verständlich und entsprechend schwer zu
übersetzen (aber man hätte das W o r t ja als Fremdwort herübernehmen oder durch Π λ θ Ο Ο er-
setzen können; schließlich ließe sich auch MI1TU)I12IC6 als Äquivalent denken [vgl. l P e t r 3,8]).
2ΗΛΟΙ1Η jedenfalls ist keine Übersetzung von συμπάθεια, sondern eine Texterleichterung, die
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wohl auch nicht erst bei der Übertragung ins Koptische, sondern schon in der griechischen Text-
gestalt in die Überlieferung eingedrungen ist. Vielleicht ist diese Variante nicht ohne Beziehung
zu dem Stichwort ευφροσύνη in Gen 31.27 (in der sahidischen Bibel freilich durch θ γ ΐ ΐ θ ' 1 wieder-
gegeben).
LITERATUR