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Reiseführer für
die Bundeswehr
V ON SVEN FELIX KELLERHOFF
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Kopfschuß im Kongo
wickelte Geschichte des größten
Staats Zentralafrikas, der jahrzehn-
telang Zaire hieß, leicht nachvoll-
ziehbar geschildert. Besonderes Ge-
wicht legten die Herausgeber Bern-
hard Chiari und Dieter H. Kollmer
auf die Konflikte der jüngsten Zeit.
Ein eigenes Kapitel ist dem Völker-
Er ging als Reporter nach
E
s ist kurz vor Mitter- Ubangi SUDAN mord an fast einer Million Tutsi im
nacht. Wir sitzen in einem KAMERUN
ZAR Nachbarstaat Ruanda gewidmet,
Lokal in Bon Marché, denn dieser Genozid destabilisierte
einem Vergnügungsvier- AFRIKA Zaïre
Kinshasa. Dann wurde er auch den Kongo. Außerdem finden
tel von Kinshasa. Am Nachmittag die Bundeswehrsoldaten Informatio-
UGANDA
habe ich den legendären Rumba- Kongo KONGO überfallen und angeschossen. nen über Stammesstrukturen in Poli-
Musiker Lutumba interviewt. Ich GABUN Goma tik und Alltag, über die „umfassende
will nicht nur die häßliche Seite
der Stadt erkunden, nicht nur
DEMOKRATISCHE RUANDA Unser Autor Roland Bedrohung“ durch Aids und über das
Leben in der Hauptstadt: „Kinshasa
KINSHASA REPUBLIK KONGO BUR.
„Kin – La Poubelle“, sondern auch ist ein Moloch … Das Überleben in
Größenvergleich Brazzaville
Brockmann über den Tag, den
TANSANIA
„Kin – La Belle“, Kinshasa die DEUTSCHLAND Kinshasa einer sich über 30 Kilometer erstrek-
Schöne. Nicht über das Herz der kenden Megalopole ohne funktionie-
Finsternis schreiben, sondern über D.R. er fast nicht überlebte rende Verkehrsinfrastruktur ist auf-
das Herz der afrikanischen Musik KONGO BAS - CONGO reibend. Und doch ist Kinshasa eine
Kasai
eine Polizeikontrolle. Die Typen mich allein gehen las- schild halte ich ihn in- wieder. Emanuel hat sogar ein der Eufor-Einsatzgruppe, die hel- nächst teils autonom, teils unter por- Deutschen über die USA denken“
tragen zwar keine Uniform, aber sen, erfüllt sich nicht. stinktiv vor mich. Wie- Handy aufgetrieben. Er zeigt auf fen soll, die Wahlen im Land zu tugiesischer Herrschaft, erklärt sich ebenso knapp wie unpräzise: „Ihr
vielleicht ist es eine Zivilstreife? Im Treppenhaus ist Roland Brockmann der ein Schuß, meine eine Visitenkarte auf meinem sichern. Die wollte ich eigentlich 1885 König Leopold II. zum Eigentü- werdet feststellen, daß viele Deutsche
Ich mache mir Hoffnung. Aber es dunkel. Es gibt kein ist im Kongo knapp Hüfte brennt. Dann Tisch: Jean Tobie Okala, Sprecher erst morgen treffen – und unter mer des Kongo. Bis 1960 bleibt das mit der Vorstellung aufgewachsen
für Polizisten sind sie viel zu ner- Geländer. Ich gehe wie dem Tod entronnen werfe ich mich mit der Monuc. Jean Tobie meldet sich anderen Umständen. Auch zwei Land belgische Kolonie, Amtsspra- sind, Amerika sei überwiegend von
vös. Als Emanuel etwas sagen will, in Trance die Stufen aller Wucht – den verschlafen. „This is an emergen- Zivilstreifen von der Monuc sind che ist bis heute Französisch. Nach Cowboys, Indianern und reichen On-
schlägt ihm einer der Männer mit hoch, spüre einen der einen festhaltend – ge- cy“, sage ich wie im Kino. Dann da, denen erzähle ich von meiner der Dekolonisation herrscht Bürger- keln bevölkert.“ Derlei Plattheiten
der Uzi über den Kopf. Ich hebe beiden Gangster hinter mir. Die gen den anderen. Kaum zu glau- erklärt Emanuel ihm, wo wir sind. Brieftasche. krieg im Kongo, bis Joseph Désiré erspart der MGFA-Band zum Kongo
instinktiv die Hände. Der andere Tür ist verschlossen, ich drücke ben, sie taumeln beide durch die Jean Toby verspricht, die Monuc- Nach zwei Tagen auf der In- Mobuto 1965 mit einem Militär- seinen Lesern. Dem Trend zur (Über)
bedroht mich mit der Automatik, auf die Klingel, und eines der Kin- Tür. Und kommen nicht zurück. Security zu schicken. tensivstation des CMK bringt mir putsch die Macht übernimmt. Immer informationsgesellschaft folgend,
schubst mich, so daß ich mich am der macht auf. Jetzt erst merke Ich kann es kaum fassen. Wir warten. Erst jetzt kommen eine Schwester meine Klamotten wieder gibt es Proteste gegen das enthält er zudem ungefähr zwanzig-
Wagen abstützen muß. Er leert ich, daß auch der zweite Gangster Ich betaste meinen Kopf. Über- die Schmerzen. Ich habe keine aus der Notaufnahme. Und wie autoritäre Regime Mobutus, 1996 mal soviel Text wie das US-Vorbild.
meine Taschen: 100 Dollar, Handy, mir gefolgt ist, die anderen in das lege, ob ich eine Kugel im Kopf Kraft mehr, vergrabe mich im Hin- durch ein Wunder steckt auch herrscht schließlich Bürgerkrieg in Vorerst muß offenbleiben, ob die
meine Schlüssel. Dann reißt er mir Wohnzimmer drängt und sie habe. Aber ich kann ja noch den- terzimmer. Manchmal kommt meine Brieftasche wieder in der Zaire, wie der Kongo von 1971 bis insgesamt überzeugenden, wenn auch
meine Bauchtasche ab. Und zielt zwingt, sich auf den Boden zu le- ken. Ich bin bei Sinnen. Meine Emanuel. Er telefoniert immer Jeanstasche: Führerschein, Kre- 1997 heißt. Mobutu flüchtet nach im Detail mitunter kritikwürdigen,
auf mich. gen. Finger ertasten nur so etwas wie wieder mit der Monuc. Die Zeit ditkarten, ein paar Dollar – nichts Marokko, Laurent-Désiré Kabila er- gelegentlich sprachlich ungelenken
„Pas de problème – kein Pro- Ich zeige auf meinen schwarzen Knorpel oder Knochensplitter am vergeht kaum. Dann endlich er- fehlt. Die Wunde an der Hüfte ist nennt sich zum Präsidenten des nun Informationen genutzt werden. Im-
blem“, versuche ich zu beruhigen. Rollkoffer: „Ici, les deux mille Kopf. Ich lasse mich auf den Stuhl scheint die Polizei von Kinshasa. ein glatter Durchschuß, keine in- Demokratische Republik Kongo ge- merhin haben die deutschen Solda-
Als Antwort schlägt mir der Mann Dollar.“ Ich beuge mich runter, um fallen und entdecke die Whisky- Aber im Kongo kann man auch neren Organe sind verletzt. Ver- nannten Landes. Die nächsten Jahre ten, die in wenigen Tagen nach Zen-
nun mit seiner Waffe auf den Kopf. den Reißverschluß des Koffers zu flasche auf dem Tisch. Ich nehme der Polizei nur bedingt trauen. Ich dammt viel Glück gehabt. sind wieder geprägt von Unruhen – tralafrika fliegen, wesentlich weniger
Dann beugt er sich in den Wagen öffnen. Für die Angreifer vielleicht einen Schluck aus der Flasche – bin skeptisch. Andererseits habe Die Familie von Emanuel ist trotz eines Friedensabkommens und Zeit zum Lesen als die GIs, die vor
und zieht die Zündschlüssel ab. ein gefährlicher Moment, sie kön- und hoffe, daß die Gangster wirk- ich keine Wahl, also humpele ich traumatisiert; sie wollen aus Yolo trotz der UN-Mission Monuc. 2001 mehr als 60 Jahren per Schiff nach
Als er wieder neben mir steht, hal- nen nicht wissen, was in meiner lich weg sind. ihnen entgegen. Mindestens zehn wegziehen. Nachbarn haben dem wird ein tödliches Attentat auf Kabila Europa verlegt wurden.
te ich ihm mein Handgelenk mit Tasche ist. Peng. Einer schießt auf Langsam öffnet sich die Tür Mann sind im Wohnzimmer ver- Journalisten erzählt, daß ein Sol- verübt, Nachfolger wird sein Sohn Verglichen mit der Millionenaufla-
der Uhr hin, aber die will er nicht. den Koffer. einen Spalt, und ein Jungmäd- sammelt. Manche tragen Uniform dat in der Straße eine Gang ge- Joseph. Erst 2002 findet der Krieg ge des ersten „Pocket Guide“,
Auch Emanuel versucht, die An- Wir sind immer noch allein im chengesicht schaut mich an. Die und AK-47-Gewehre. Nachdem gründet hat. Vielleicht waren sie ein Ende. Eine Übergangsregierung dürfte der MGFA-Führer nur win-
greifer zu beruhigen. Die beiden Raum. Aus einem Fach im Koffer Nichte von Emanuel. Ich humpele sie meine Wunde sehen, helfen sie die Angreifer. Die Polizei ver- unter Joseph Kabila wird gebildet. zige Auflagen von einigen tausend
Gangster scheinen am aufgeregte- ziehe ich einen weißen Umschlag – zu den anderen ins Wohnzimmer. mir in einen Sessel. Ich frage nach spricht eine Untersuchung. Ich Am 30. Juli sollen die ersten freien Stück erreichen. Was aber keineswegs
sten zu sein. Am Anfang hoffe ich mit 2300 Dollar. All mein Geld Die Wohnungstür ist offen. Agnes einer Zigarette. Als ich den Rauch glaube nicht, daß dabei etwas her- Wahlen seit 40 Jahren stattfinden. negativ sein muß. Denn wer wünscht
noch, sie werden verschwinden, hier in Kinshasa. Sie ziehen die steht auf dem Balkon und weint. inhaliere, weiß ich, wir haben es auskommt. Es gibt zu viele mögli- Deutsche Soldaten bereiten derzeit sich schon eine so große Mobilisation,
nachdem sie unsere Sachen haben, Hunderter-Noten aus dem Um- Emanuel ist verschwunden. Den geschafft. Fast fühle ich mich eu- che Täter und vor allem: zuviel die EU-Mission zur Überwachung der daß gleich Millionen solcher Informa-
vielleicht den Wagen stehlen. Statt schlag. Ich denke: Jetzt werden sie anderen geht es scheinbar gut. phorisch. Waffen in Kinshasa. Wahlen vor. tionen gedruckt werden müssen?
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