Präliminarien:
Thema ist die Geschichte der Philosophie im lateinischen Westen Europas vom Beginn des
Mittelalters bis ins 12. Jahrhundert.
Diese Philosophie ist eine christliche und hat als solche ihre Grundlagen in der Antike und besonders
in der Spätantike.
Deshalb muss auch das „Vormittelalter“ zur Sprache kommen und steht im Titel.
„Mittelalter“: Die übliche und auch plausible Angabe lautet einfach: von ca. 500 bis ca. 1500.
Hier eine Auswahl von „Signaldaten“ für einen Epochenwechsel Antike – Mittelalter, ohne Anspruch
auf Vollständigkeit:
313 Toleranzedikt von Mailand (nicht nur, aber auch das Christentum betreffend)
529 Gründung des Klosters Monte Cassino mit der Ordensregel des hl. Benedikt
2
Lit. u.v.a.: Alexander Demandt, Geschichte der Spätantike, München: Beck 1989, 2. Aufl. 2008, 3.
Aufl. 2018.
„Patristik“: Zeit und Leistung der Kirchenväter bzw. Wissenschaft davon; lat. pater, patres = Vater,
Väter. 1. bis ca. 7. Jahrhundert.
Griechische Kirchenväter: Athansius, Basilius der Große, Gregor von Nazianz, Johannes
Chrysostomus.
Abbé Jacques Paul Migne (1800-1875): Patrologiae cursus completus, Series latina, 221 Bde. ab 1844,
Series graeca (auf Latein!), 85 Bde. ab 1856, dann auch gr. mit lat. Übers., 165 Bde. ab 1857.
Als Einführung z.B.: Hartmut Leppin, Die Kirchenväter und ihre Zeit, München: Beck, 2. Aufl. 2006.
Frühe Apologetik: Justin der Märtyrer (2. Jh.), Tertullian (2. u. 3. Jh.) u.a.
Vieles noch in Bewegung und strittig, wie Bekenntnisformulierungen, Dogmen (Trinität, Wesen
Christi, Wesen des Heiligen Geistes usw.)
Bedeutende Konzilien auf diesem Weg, z.B. die ersten vier ökumenischen („weltweiten“):
381 Konstantinopel
431 Ephesos
451 Chalkedon
Standardwerk dazu:
Heinrich Denzinger, Enchiridion symbolorum, definitionum et declarationum de rebus fidei et morum / Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, hg. v. Peter Hünermann, Freiburg u.a.:
Herder, 42. Aufl. 2009, Dokumente mit dt. Übers. (zuerst 1854)
Vgl. u.v.a.: Wolf-Dieter Hauschild, Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte, Bd. 1: Alte Kirche und Mittelalter, Gütersloh, 3. Aufl. 2007.
3
Da Philosophie in dieser Zeit (und für lange Zeit) wesentlich (auch) Theologie ist, hier ein paar Einführungen in die Geschichte der Theologie:
Ulrich G. Leinsle, Einführung in die scholastische Theologie, Paderborn u.a. 1995 (= UTB 1865)
Manfred Gerwing, Theologie im Mittelalter, Paderborn u.a., 2. Aufl. 2002 (nur Deutschland!)
Literatur zur Philosophie des Mittelalters insgesamt (in gröbster Auswahl, chronologisch):
Philotheus Böhner u. Etienne Gilson: Christliche Philosophie. Von ihren Anfängen bis Nikolaus von Cues. Paderborn, 3. Aufl. 1954.
A.H. Armstrong (Hg.): The Cambridge History of Later Greek and Early Medieval Philosophy. Cambridge 1967.
Frederick C. Copleston: Geschichte der Philosophie im Mittelalter. München 1976. (Vgl. auch die mehrbändige englische Geschichte der Philosophie dieses Verfassers.)
Etienne Gilson: History of Christian Philosophy in the Middle Ages. London 1955, Nachdr. 1980.
Kurt Flasch (Hg.): Mittelalter. Stuttgart 1982 u. ö. (= Geschichte der Philosophie in Text und Darstellung, Bd. 2).
Wolfgang Röd: Der Weg der Philosophie. Von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert, Bd. 1 (von 2): Altertum, Mittelalter, Renaissance. München 1994 u. ö.
Peter Schulthess u. Ruedi Imbach: Die Philosophie im lateinischen Mittelalter. Zürich u. Düsseldorf 1996.
Wolfgang L. Gombocz: Die Philosophie der ausgehenden Antike und des frühen Mittelalters. München 1997 (= Geschichte der Philosophie, hg. v. W. Röd, Bd. IV).
Anthony Kenny: Geschichte der abendländischen Philosophie, Bd. 2: Mittelalter. Darmstadt 2012.
Horst Seidl: Einführung in die Philosophie des Mittelalters. Hauptprobleme und Lösungen, dargelegt anhand der Quellentexte. Freiburg u. München 2014.
Hannes Möhle: Philosophie des Mittelalters. Eine Einführung. Stuttgart bzw. Berlin 2019.
NB.: Die Mittelalterbände des sog. Neuen Ueberweg (Grundriss der Geschichte der Philosophie, erscheint bei Schwabe in Basel) sind großenteils erst in Vorbereitung! Antike, Bd. 5 zur Spätantike in drei Teilbänden, ist 2018
erschienen, u. a. mit Kapiteln zu Augustinus, Dionysios Areopagites, Boethius. Die Bände zum 12. Jh. sollen in Bälde erscheinen (Stand: Anfang 2020).
Siehe ferner auch die nützlichen Bände des Reclam Verlags, Stuttgart:
Graeser, Andreas: Interpretationen. Hauptwerke der Philosophie. Antike (UB 8740), 1992, mit Beiträgen zu Augustin: Gegen die Akademiker, und Boethius: Trost der Philosophie.
Flasch, Kurt (Hg.): Interpretationen. Hauptwerke der Philosophie. Mittelalter (UB 8741), 1998, mit Beiträgen zu Augustinus: De civitate Dei, Eriugena: De divisone naturae, Abaelard: Collationes, Wilhelm von Conches: Glosae
super Platonem.
Frederick Copleston: A History of Philosophy, vol. II: Mediaeval Philosophy, Augustine to Scotus. London 1950 u. ö.
Anthony Kenny: A New History of Western Philosophy, Bd. 2: Medieval Philosophy. Oxford 2005.
John Marenbon: Medieval Philosophy. An Historical and Philosophical Introduction. London 2007.
Robert Pasnau (Hg.): The Cambridge History of Medieval Philosophy. 2 Bde., Cambridge UP 2010.
Außerchristliche Traditionen:
Heinrich Simon u. Marie Simon: Geschichte der jüdischen Philosophie. München 1984.
Routledge History of World Philosophies, vol. 1: History of Islamic Philosophy, Part I & II. London u. New York 1996.
Routledge History of World Philosophies, vol. 2: History of Jewish Philosophy. London u. New York 1997.
Geert Hendrich: Arabisch-islamische Philosophie. Geschichte und Gegenwart. Frankfurt u. New York, 2. Aufl. 2011.
Ulrich Rudolph: Islamische Philosophie. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. München, 3. Aufl. 2013 (= Beck’sche Reihe 2352).
Heidrun Eichner, Matthias Perkams, Christian Schäfer (Hgg.): Islamische Philosophie im Mittelalter. Ein Handbuch. Darmstadt 2013.
4
Kritische Standardausg. der lat. Texte: Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum, seit 1864 hg. v.
der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Vgl. auch Corpus Christianorum, Series Latina,
bei Brepols in Turhout.
Werke in dt. Übers. z.B. in der genannten Bibliothek der Kirchenväter, München, ab 1911, jetzt auch
im Internet.
Bei Schöningh in Paderborn erscheint eine zweisprachige Werkausgabe, noch nicht abgeschlossen,
teuer.
Die wichtigsten Werke sind dt. oder auch lat.-dt. leicht zugänglich z.B. bei: Deutscher
Taschenbuchverlag (dtv, München), Meiner (Hamburg), Reclam (Stuttgart).
Hilfsmittel:
Fischer, Norbert u. Cornelius Mayer (Hgg.): Die Confessiones des Augustinus von Hippo. Einführung
und Interpretationen zu den dreizehn Büchern. Freiburg u.a.: Herder 1998 (= Forschungen zur
europäischen Geistesgeschichte 1), Sonderausgabe 2004.
Geerlings, Wilhelm: Augustinus – Leben und Werk. Eine bibliographische Einführung. Paderborn u.a.:
Schöningh 2002. (Zu den Confessiones S. 36-38.)
Brown, Peter: Augustinus von Hippo. Eine Biographie. Erweiterte Neuausgabe. München: Deutscher
Taschenbuch Verlag 2000 (= dtv 30759), englisch zuerst 1967, deutsch zuerst 1973.
Chadwick, Henry: Augustin. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1987 (= Kleine Vandenhoeck-Reihe
1526).
Flasch, Kurt: Augustin. Einführung in sein Denken. Stuttgart: Reclam 1980 u.ö. (= Reclams Universal-
Bibliothek 9962).
5
Flasch, Kurt (Hg.): Logik des Schreckens. Augustinus von Hippo, De diversis quaestionibus ad
Simplicianum I 2. Deutsche Erstübersetzung von Walter Schäfer. Herausgegeben und erklärt von K. F.
Mainz: Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung 1990, 3. Aufl. 2012 (= excerpta classica 8).
Flasch, Kurt: Augustinus. Ausgewählt und vorgestellt von K. F. München: Diederichs 1997 (=
Philosophie jetzt!). (Auch als dtv-Taschenbuch, München 2000.)
Horn, Christoph (Hg.): Augustinus, De civitate dei. Berlin: Akademie 1997, Nachdr. 2015 (= Klassiker
Auslegen 11).
Horn, Christoph: „Augustinus. Antike Philosophie in christlicher Interpretation“, in: Michael Erler u.
Andreas Graeser (Hgg.): Philosophen des Altertums. Vom Hellenismus bis zur Spätantike. Eine
Einführung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2000, S. 171-189.
Horn, Christoph: „Augustinus: Die These von der Realität der Innenwelt“, in: Josef Speck (Hg.):
Grundprobleme der großen Philosophen: Philosophie des Altertums und des Mittelalters. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht, 5. Aufl. 2001 (= UTB 146), S. 123-169.
Kligerman, Charles: „A Psychoanalytic Study of the Confessions of St. Augustine”, in: Journal of the
American Psychoanalytic Association 5 (1957), S. 469-484.
Kreuzer, Johann: Augustinus zur Einführung. Hamburg: Junius 2005 (= zur Einführung 309).
Lane Fox, Robin: Augustinus. Bekenntnisse und Bekehrungen im Leben eines antiken Menschen.
Stuttgart: Klett-Cotta 2017.
Mendelson, Michael: „Saint Augustine“, in: Edward N. Zalta (Hg.): The Stanford Encyclopedia of
Philosophy, im WWW unter https://plato.stanford.edu/, 2000/2010.
Mesch, Walter: Reflektierte Gegenwart. Eine Studie über Zeit und Ewigkeit bei Platon, Aristoteles,
Plotin und Augustinus. Frankfurt am Main: Klostermann 2003 (= Philosophische Abhandlungen 86).
Misch, Georg: Geschichte der Autobiographie, 1. Bd., 2. Hälfte. Bern: Francke, 3. Aufl. 1950, S. 637-
678, vgl. auch S. 693-701.
Rosen, Klaus: Augustinus. Genie und Heiliger. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2015, 2.
Aufl. 2017.
Schöpf, Alfred: Augustinus. Einführung in sein Philosophieren. Freiburg u. München: Alber 1970 (=
Kolleg Philosophie).
Stump, Eleonore u. Norman Kretzmann (Hgg.): The Cambridge Companion to Augustine. Cambridge
u.a.: Cambridge University Press 2001.
354 November 13 geboren in Thagaste (heute Souk Ahras, Algerien) als Sohn des Patricius und der
Monnica. Die Mutter, eine Christin, ist sehr wichtig und wird später selbst eine Heilige.
371 Beginn einer 15jährigen Beziehung mit einer Frau, deren Namen er nie nennt und die er später in
Mailand verstößt. 372 Geburt des Sohnes Adeodatus („von Gott gegeben“), der aber früh stirbt (389).
373 Bekanntschaft mit der Schrift Hortensius des Cicero (heute verloren), die ihn für Philosophie und
Weisheit begeistert. Schließt sich den Manichäern an.
384 Reise nach Mailand (Kaiserresidenz), Professor der Rhetorik, Bekanntschaft mit Bischof
Ambrosius.
387 Taufe durch Bischof Ambrosius. – Vor der Abreise nach Karthago stirbt die Mutter in Ostia
(Hafenstadt nahe Rom).
430 August 28: Augustinus stirbt während der Belagerung Hippos durch die Vandalen.
Gewaltiges literarisches Lebenswerk, aber mit wenigen bestimmenden Themen: Erkenntnis Gottes,
der menschlichen Seele und des Übels („Unde malum?“) – vgl. Soliloquia, I.7, „Gott und die Seele will
ich erkennen. Nichts anderes? Nein, wirklich nichts“.
Die Einsicht nach der Bekanntschaft mit dem (Neu-)Platonismus, dass es einen eigenständigen
geistigen Bereich gebe und dass Gott ein immaterielles, rein geistiges Wesen sei, ist für Augustinus
entscheidend gewesen. Auch seine Rede vom „inneren Menschen“ (z.B. Conf., Buch X) kommt daher
(und vom Apostel Paulus).
Ferner bestimmend seine Kämpfe gegen die Manichäer, Donatisten, Pelagianer, Arianer.
Confessiones, Bekenntnisse, 13 Bücher, entstanden 397-401. – Augustinus selbst spricht in Retr. von
zwei Teilen (Buch I-X: er selbst, Buch XI-XIII: die Schöpfung Thema), heute werden allgemein drei
Teile unterschieden: I-IX, Biographie bis zum Tod der Mutter 387; X, ‚Gegenwart‘ von ca. 397, also ca.
10 Jahre später – Buch X ist mit Abstand das längste; XI-XIII, Auslegung des Schöpfungsberichts der
Genesis, zunächst wörtlich, dann im letzten Buch allegorisch.
Berühmte Partien u. a.: Birnendiebstahl (II.4), Tod eines Freundes (IV.4, vgl. dazu auch
Retractationes), Bekehrung, „Tolle, lege!“ (VIII.12), Vision in Ostia vor dem Tod der Mutter (IX.10).
Memoria: „Gedächtnis“, aber viel weiter verstanden als Bewusstsein überhaupt und
Selbstbewusstsein im Besonderen. Klassifizierung der Inhalte der Memoria. – Hier kommt auch
mehrmals der bekannte Spruch vor „Da, quod iubes, et iube, quod vis!“ (Gib, was du verlangst, und
verlange, was du willst!), was Augustinus vor allem auf die für ihn so schwierige sexuelle
Enthaltsamkeit bezieht.
Zeit: „Was also ist die Zeit? Wenn niemand mich danach fragt, weiß ich’s, will ich’s aber einem
Fragenden erklären, weiß ich’s nicht“ (XI.14), oft und oft zitiert, z. B. von Wittgenstein.
Ausgangsproblem: Was tat Gott vor der Schöpfung? Also Genesisauslegung, im Hintergrund auch
Platons Timaios und Plotin. – gr. aion vs. chronos = stehende Ewigkeit vs. fließende Zeit
Dauer der Zeit: Der Zeitmaßstab ist nicht in den Körpern zu suchen (z. B. Gestirnsbewegung), sondern
im Geist, distentio animi, Erstreckung des Geistes. Eher als Apriori denn als Subjektivität zu
verstehen, vgl. Horn 1995, S. 99-111.
De trinitate, Über die Dreieinigkeit, entst. 399-419, 15 Bücher: Triaden in der Schöpfung als
Analogien der göttlichen Trinität, z. B. und v. a.: memoria, intelligentia, voluntas (Gedächtnis,
Einsicht, Wille).
De civitate dei, Über den Gottesstaat, entst. 413-427, 22 Bücher (1.700 Seiten in der dt. dtv-Ausg.!):
Apologie des Christentums angesichts der Vorwürfe der Römer, der Fall von Rom 410 sei von der
Ausbreitung des Christentums verursacht worden. – Siehe dazu z. B. Kurt Flasch in ders. (Hg.),
Interpretationen … Mittelalter, Reclam UB 8741, 1998, S. 9-31. – Vgl. auch den „systematischen
Durchblick in Texten“ herausgegeben und eingeleitet von Hans Urs von Balthasar, Einsiedeln, 5. Aufl.
2012 (= Christliche Meister 16).
Erkenntnistheorie: Argumente gegen den Skeptizismus, „Si enim fallor, sum“ (De civ. XI.26) –
neuplatonische Abwendung vom Sinnlichen, Hinwendung zum Geistigen – allerdings Ablehnung der
Platonischen Lehren von der Präexistenz der Seelen und der Wiedererinnerung – stattdessen:
Illumination, Erkenntnis als Erleuchtung durch Gott – Gottesbeweis aus den Ideen – Analogie,
negative Theologie, „gelehrte Unwissenheit“
Naturphilosophie: creatio ex nihilo – Raum & Zeit zusammen mit der Welt erschaffen – rationes
seminales, Entwicklungstheorie
Psychologie: „Gott und die Seele will ich erkennen. Nichts anderes? Nein, wirklich nichts“ (Solil. I.7) –
zunächst materialistische Vorstellungen von Gott und Geist (vgl. Stoa), später immaterialistische im
platonischen Sinne – Dualismus – Triaden: u.a. Sein, Wissen, Lieben (De civ. XI.26); bes. Gedächtnis,
Einsicht, Wille (memoria, intellectus, voluntas, De trin. X)
Ethik: „Unde malum“ neben Gott und Seele Hauptthema – Manichäer, Neuplatoniker, Christ –
Glaube/Wille dann wichtiger als Erkenntnis – „doctor gratiae“: Erbsünde, „massa damnata“, Erlösung
nur durch Gnade, die Gnadenwahl ist vorherbestimmt (Prädestination) – Problem der Willensfreiheit
Geschichtsphilosophie: civitas terrena vs. civitas dei – Selbstliebe vs. Gottesliebe – 3 große Epochen
der Weltgeschichte: Kindheit, Jugend, Alter – „ewiger Friede“
Geb. um/vor 480 (in Rom?) in bedeutender Familie, unter dem Ostgotenkönig Theoderich 510 Konsul
„sine collega“, 522 wurden auch seine beiden jugendlichen Söhne Konsuln, Boethius selbst Magister
officiorum („Oberhofmarschall“, ranghöchster Minister).
524: Wegen Majestätsbeleidigung, Hochverrats und Zauberei bzw. Magie angeklagt, zum Tode
verurteilt und wohl noch im Herbst 524 in Pavia hingerichtet, dort auch (neben dem hl. Augustinus)
beigesetzt.
Boethius: Trost der Philosophie. Lat. u. Dt. Hg. u. übertr. v. Eberhard Gothein. Eingel. v. Marie Luise
Gothein, Zürich: Artemis 1949 (= Die Bibliothek der Alten Welt, Reihe Antike und Christentum).
Boethius: Trost der Philosophie. Consolatio philosophiae. Lat. u. dt. Hg. u. übers. v. Ernst Gegenschatz
u. Olof Gigon. Eingel. u. erl. v. Olof Gigon, Düsseldorf u. Zürich: Artemis & Winkler 1949 (= Sammlung
Tusculum), 5. Aufl. 1998.
9
Boethius: Trost der Philosophie. Zweisprachige Ausgabe. Aus dem Lateinischen v. Ernst Neitzke. Mit
einem Vorwort v. Ernst Ludwig Grasmück, Frankfurt a. M. u. Leipzig 1997 (= insel taschenbuch 1215).
Boethius: Trost der Philosophie. Hg. u. mit einem Nachwort v. Kurt Flasch, München: dtv u. Beck
2005, 5. Aufl. 2013.
Boethius: Trost der Philosophie. Übers. u. hg. v. Karl Büchner. Mit einer Einf. v. Friedrich Klingner,
Stuttgart: Reclam 1971 u. ö. (= Universal-Bibliothek 3154).
Weiß, Konrad: Die Gedichte aus der Tröstung der Philosophie des Boethius. Lat.-dt. Mit einem
Nachwort v. Josef Pieper, Berlin u. a.: Suhrkamp 1956. [Enthält nur die Gedichte mit der von Kurt
Flasch, s. o. dtv-Beck-Band, S. 158f., gelobten Übersetzung von Konrad Weiß!]
Ferner:
Wöhler, Hans-Ulrich (Übers. u. Hg.): Texte zum Universalienstreit, Bd. 1: Vom Ausgang der Antike bis
zur Frühscholastik. Lateinische, griechische und arabische Texte des 3.-12. Jahrhunderts, Berlin:
Akademie 1992, bes. S. 21-69.
Boethius, Anicius Manlius Severinus: Die Theologischen Traktate. Übers., eingeleitet u. mit
Anmerkungen versehen v. Michael Elsässer, Lat. – dt., Hamburg: Meiner 1988 (= Philosophische
Bibliothek 397).
Baltes, Matthias: Dianoēmata. Kleine Schriften zu Platon und zum Platonismus, hg. v. Annette
Hüffmeier u. a., Stuttgart u. Leipzig: Teubner 1999 (= Beiträge zur Altertumskunde 123), Nr. 3, S. 51-
80: „Gott, Welt, Mensch in der Consolatio Philosophiae des Boethius. Die Consolatio Philosophiae als
ein Dokument platonischer und neuplatonischer Philosophie“.
Baltes, Matthias: „Boethius. Staatsmann und Philosoph“, in: Michael Erler u. Andreas Graeser (Hgg.):
Philosophen des Altertums. Vom Hellenismus bis zur Spätantike. Eine Einführung, Darmstadt:
Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2000, S. 208-224.
Bühler, Axel u. Christoph Kann u. Dieter Gutknecht: „Anicius Manlius Severinus Boethius (ca. 480-
524/526 n. Chr.)“, in: Wolfram Ax (Hg.): Lateinische Lehrer Europas. Fünfzehn Portraits von Varro bis
Erasmus von Rotterdam, Köln u.a.: Böhlau 2005, S. 165-215.
Flasch, Kurt (Hg.): Geschichte der Philosophie in Text und Darstellung, Bd. 2: Mittelalter, 2. Aufl.,
Stuttgart: Reclam 1994 u. ö. (= Reclams Universal-Bibliothek 9912), S. 107-132.
Flasch, Kurt: Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli, 3. Aufl.,
Stuttgart: Reclam 2013, S. 56-87.
Fried, Johannes: Das Mittelalter. Geschichte und Kultur, München: Beck 2008, als Taschenbuch
München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2011 (= dtv 34650), 1. Kap.: Boethius und der Aufstieg
Europas, S. 11-34.
10
Gibson, Margaret (Hg.): Boethius. His Life, Thought and Influence, Oxford: Blackwell 1981.
Gombocz, Wolfgang: Die Philosophie der ausgehenden Antike und des frühen Mittelalters, München:
Beck 1997 (= Geschichte der Philosophie, hg. v. Wolfgang Röd, Bd. IV), S. 338-355.
Grabmann, Martin: Die Geschichte der scholastischen Methode, Bd. 1, Freiburg im Breisgau: Herder
1909, Nachdr. Berlin u. Graz: Akademie-Verlag u. Akademische Druck- und Verlagsanstalt 1956, S.
148-177.
Graeser, Andreas: Interpretationen. Hauptwerke der Philosophie. Antike, Stuttgart: Reclam 1992 (=
Universal-Bibliothek 8740), S. 267-291.
Gruber, Joachim: Boethius, Trost der Philosophie, oder Des Menschen wahres Glück, in: Martin Hose
(Hg.): Meisterwerke der antiken Literatur. Von Homer bis Boethius, München: Beck 2000, 2. Aufl.
2010 (= beck’sche reihe 1382), S. 163-185.
Gruber, Joachim: Boethius. Eine Einführung, Stuttgart: Hiersemann 2011 (= Standorte in Antike und
Christentum 2).
Heinzmann, Richard: Philosophie des Mittelalters, Stuttgart u. a.: Kohlhammer 1992, 3. Aufl. 2008 (=
Grundkurs Philosophie 7 = Kohlhammer Urban-Taschenbücher 351), S. 95-115.
Kaylor, Noel Harold Jr. u. Philip Edward Phillips (Hgg.): A Companion to Boethius in the Middle Ages,
Leiden u. Boston: Brill 2012 (= Brill’s Companions tot he Christian Tradition 30).
Lutz-Bachmann, Matthias: „‚Natur‘ und ‚Person‘ in den ‚Opuscula Sacra‘ des A. M. S. Boethius“, in:
Theologie und Philosophie 58 (1983), S. 48-70.
Marenbon, John: Early Medieval Philosophy (480-1150). An Introduction, London u. a.: Routledge &
Kegan Paul 1983, S.27-42.
Marenbon, John (Hg.): Medieval Philosophy, London u. a.: Routledge 1998 (= Routledge History of
Philosophy III), S. 11-28.
Marenbon, John: Boethius, Oxford: University Press 2003 (= Great Medieval Thinkers).
Marenbon, John (Hg.): The Cambridge Companion to Boethius, Cambridge: University Press 2009.
Marenbon, John: „Anicius Manlius Severinus Boethius“ (2005, rev. 2010), in: Edward N. Zalta (Hg.):
The Stanford Encyclopedia of Philosophy, im Internet unter
http://plato.stanford.edu/entries/boethius/
Misch, Georg: Geschichte der Autobiographie, 1. Bd., 2. H., Bern: Francke, 3. Aufl. 1950, S. 701-704.
Schlapkohl, Corinna: Persona est naturae rationabilis individua substantia. Boethius und die Debatte
über den Personbegriff, Marburg: Elwert 1999.
11
Wöhler, Hans-Ulrich (Übers. u. Hg.): Texte zum Universalienstreit, Bd. 1: Vom Ausgang der Antike bis
zur Frühscholastik. Lateinische, griechische und arabische Texte des 3.-12. Jahrhunderts, Berlin:
Akademie 1992, bes. S. 21-69.
Logik: „Organon“ (Werkzeug) des Aristoteleles, nämlich die sechs Schriften Categoriae, De
interpretatione, Analytica priora, Analytica posteriora, Topica, De sophisticis elenchis, in der
neuplatonischen Tradition wurde die Isagoge (Einführung, sc. in die Kategorien) des Porphyr
vorangestellt.
In den Aristotelischen Kategorien ist die Unterscheidung von Individuen (Einzeldingen) und Arten und
Gattungen davon (Allgemeines/Gemeinsames = Universalien) wichtig, z.B. Franz Schubert, Mensch,
Lebewesen.
Die drei Fragen des Porphyr am Anfang der Isagoge in Bezug auf die Arten und Gattungen (=
Universalien):
Ein Universale muss als ganzes (d.h. nicht bloß Teil für Teil), gleichzeitig (d.h. nicht bloß
nacheinander) und wesentlich (d.h. nicht bloß äußerlich bzw. zufällig) mehreren Individuen
zukommen, kann also nicht selber ein wirkliches Ding sein. – Vgl. dazu z.B. Art. „Universale“ und
„Universalienstreit“ von H. Berger im Lexikon des Mittelalters, Bd. 8, Sp. 1243-1247.
Abstraktionstheorie: Der menschliche Geist kann verbinden und trennen, aber nur durch Verbindung
entsteht Falschheit (Mensch + Pferd = Zentaur), durch Trennung nicht unbedingt (Linie kann getrennt
von Körper gedacht werden, aber nicht so existieren) – Ähnlichkeiten der Einzeldinge werden
abgetrennt und gesammelt, so die Art- und Gattungsbegriffe wie „Mensch“ usw. gebildet. – Zitat
Wöhler, Bd. 1, S. 31.
Theologische Traktate, fünf an der Zahl: u.a. De trinitate; Quomodo substantiae in eo quod sint
bonae sint cum non sint substantialia bona (= De hebdomadibus = Axiomenschrift); Contra Eutychen
et Nestorium
De hebdomadibus: Axiome, u.a. Nr. 1: communis animi conceptio (gemeinsamer Begriff des Geistes =
evidente Prinzipien) – Nr. 2 „Diversum est esse et id quod est“ – Nr. 7 „Omne simplex esse suum et id
quod est unum habet“ – Nr. 8 „Omni composito aliud est esse, aliud ipsum est“. – Siehe dazu bes.
Gangolf Schrimpf: Die Axiomenschrift des Boethius usw., Leiden: Brill 1966.
Contra Eutychen et Nestorium: 4 Definitionen von „Natur“ (PhB 397, S. 68/69-72/73: alle seienden
Dinge, d.h. Substanzen und Akzidentien – alle Substanzen, u. zw. körperliche und unkörperliche – alle
Körper, vgl. Aristoteles, Physica II.1, 192b, „Natur ist das (immanente!) Prinzip der Bewegung“ usw.
(natura est principium et causa motus et quietis etc.) – Natur als artbildender Unterschied
(differentia specifica), d.h. als Wesen, z.B. Vernunftbegabtheit beim Menschen i.U. zu den Tieren)
Person = individuelle Substanz einer vernünftigen Natur (PhB 397, S. 74: „(Persona est) naturae
rationabilis individua substantia“, vgl. die Diss. v. Corinna Schlapkohl 1999)
Ousiosis = subsistentia = das, was nicht in einem Zugrundeliegenden bzw. einem Subjekt ist, d.h.
selbstständig bzw. unabhängig usw. ist
Philosophiae consolatio: Prosimetrum, 5 Bücher, Dialog zwischen dem verzweifelten Boethius und
der personifizierten Philosophie
Buch 1: 5 Fragen der Philosophie an Boethius, um die Diagnose zu erstellen: Wird die Welt durch
Zufall oder Vernunft gelenkt? Mit welchen Mitteln wird die Welt regiert? Was ist der Zweck der
Dinge, worin besteht die Absicht der ganzen Natur? Woraus geht alles hervor? Was ist der Mensch
noch außer einem vernünftigen sterblichen Lebewesen?
Buch 3: das wahre Gut und die wahre Glückseligkeit, Identität von höchstem Gut, größter
Glückseligkeit und Gott
Nicht alle Wissensgegenstände sind absolut notwendig (Negation impliziert Widerspruch, z.B. 1 + 1 =
2), es gibt auch kontingente (= nicht-notwendige), z.B. wenn Gott weiß, dass ich morgen lesen werde,
ist mein morgiges Lesen nichts absolut Notwendiges, sondern nur etwas bedingt Notwendiges
(nämlich durch Gottes Wissen bedingt), das an sich kontingent ist.
Wir Menschen wissen zeitliche Dinge in zeitlicher Ordnung als vergangen, gegenwärtig, zukünftig.
Gott weiß solche Dinge ewig wie als gegenwärtig.
13
Ausgaben in der Reihe “Patristische Texte und Studien”, Übersetzungen in der Reihe “Christliche
Meister”, im Crotona Verlag, als topos-taschenbuch (übers. v. Edith Stein), in der Bibliothek der
Griechischen Literatur (die beiden Hierarchie-Schriften, 2. Aufl. 2019) usw.
Lit.: Beate Regina Suchla, Dionysius Areopagita. Leben – Werk – Wirkung, Freiburg u. a.: Herder
2008.
Zur Identität des Verfassers siehe auch den Beitrag von Helmut Schneider, „Wer war Dionysios
Areopagita?“, in der Gedenkschrift für Burkhard Mojsisch, Veritas et subtilitas, hg. v. T. Iremadze u.
U. R. Jeck, Amsterdam u. Philadelphia 2018 (= Bochumer Studien zur Philosophie 59), S. 117-126.
Endre von Ivánka (1902-1974), u. a. bekannt durch das Buch Plato Christianus, Einsiedeln: Johannes
1964, hat den Dionysius-Band in der Reihe „Christliche Meister“, Bd. 39, 5. Aufl. 2009,
herausgegeben.
Wolfgang Riehle (1937-2015), u. a. bekannt durch das Buch Englische Mystik des Mittelalters,
München: Beck 2011, hat in derselben Reihe, Bd. 8, 9. Aufl. 2011, Die Wolke des Nichtwissens (The
Cloud of Unknowing) herausgegeben.
Hauptstichwörter:
Letztlich nur Nichtwissen und Schweigen dem „überhellen Dunkel“ Gottes angemessen.
Schotte aus Irland, seit den 840er Jahren am Hof Karls des Kahlen, lehrte dort die Artes liberales. Von
stupender Gelehrsamkeit, konnte auch Griechisch, übersetzte auf Wunsch Karls den Dionysius
Areopagita neu ins Lateinische, nachdem schon Abt Hilduin eine ungenügende Übersetzung
angefertigt hatte; die neue Übersetzung war höchst einflussreich. Ebenfalls auf Wunsch Karls und
14
Hinkmars von Reims verfasste er ein Gutachten zur Lehre des Gottschalk über die Prädestination, die
als häretisch verurteilt worden war. Weiters Bibelkommentare u. a. m.
Neben Alcuin († 804) hervorragendster Kopf der Karolingischen Renaissance. Von griechischen
Denkern und dem Neuplatonismus sowie von Dionysius stark beeinflusst.
Von einigen als Ketzer gehasst, von einigen als Heiliger verehrt, der Legende nach von Schülern mit
ihren Griffeln ermordet…
Hauptwerk: Peri physeon merismou id est De divisione naturae, Dialog zwischen einem Lehrer und
einem Schüler in 5 Büchern.
Deutsche Gesamtübersetzung von Ludwig Noack, Berlin 1870-1874, wieder zugänglich in der
Philosophischen Bibliothek des Meiner Verlags, Hamburg, und im Grazer Esoterik-Verlag (!) „Edition
geheimes Wissen“, 2 Bde., Graz 2015.
Zur Karolinger Zeit: Pierre Riché, Die Welt der Karolinger, Stuttgart: Reclam, 3. Aufl. 2009 (= Reclam
Taschenbuch Nr. 20183.
Standardwerk: Gangolf Schrimpf, Das Werk des Johannes Scottus Eriugena im Rahmen des
Wissenschaftsverständnisses seiner Zeit. Eine Hinführung zu Periphyseon, Münster: Aschendorff
1982 (= Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, N. F., 23).
Vgl. auch:
Beierwaltes, Werner, Eriugena. Grundzüge seines Denkens, Frankfurt a. M.: Klostermann 1994.
Jeck, Udo Reinhold, „Eriugena: De divisione naturae“, in: Kurt Flasch (Hg.), Interpretationen.
Hauptwerke der Philosophie. Mittelalter, Stuttgart: Reclam 1998 (= Universal-Bibliothek 8741), S. 60-
89.
Weiner, Sebastian Florian, Eriugenas negative Ontologie, Amsterdam u. Philadelphia: Grüner 2007 (=
Bochumer Studien zur Philosophie 46).
NB.: Zu Gottschalk, Eriugena und auch Abälard (s. u.) siehe auch die Kapitel in dem schönen Buch von
Walter Nigg, Das Buch der Ketzer, zuerst 1949, dann bei Diogenes, Zürich, 1986 u. 2017.
Mit dem christlichen Grundbegriff „creare“ (schaffen), aktiv und passiv sowie affirmativ und negativ
kombiniert, teilt JSE die gesamte Wirklichkeit (natura) in vier Bereiche (species, Arten) ein:
1) In eam, quae creat et non creatur: die schafft und nicht geschaffen wird = Gott
2) In eam, quae et creatur et creat: die sowohl geschaffen wird als auch schafft = die
schöpferischen Ideen (primordiales causae)
3) In eam, quae creatur et non creat: die geschaffen wird, aber nicht schafft = die
raumzeitlichen Sinnendinge
15
4) In eam, quae nec creat nec creatur: die weder schafft noch geschaffen wird = Gott als Ziel der
geschaffenen Wirklichkeit
Fortsetzung des christlichen Neuplatonismus im 11. u. 12. Jh.: Die Schulen von Chartres und Saint
Victor
Chartres: Fulbert v. Ch. († 1028), Berengar von Tours († 1088), Ivo v. Ch. († 1116), Bernhard v. Ch. (†
ca. 1126), Thierry v. Ch. († ca. 1150);
Wilhelm von Conches († 1154): kommentierte Platon (Timaios) und Boethius (Consolatio), befasste
sich mit Naturwissenschaften und auch Medizin. – Siehe z. B. Thomas Ricklin, „Wilhelm von Conches:
Glosae super Platonem“, in: Kurt Flasch (Hg.), Interpretationen … Mittelalter, Reclam UB 8741, 1998,
S. 151-174.
St. Victor: herausragend Hugo von St. V. († 1141), wahrscheinlich aus Sachsen, vielleicht aber auch
aus Flandern, galt den Zeitgenossen als „zweiter Augustinus“. Didascalicon, “Studienbuch”.
Studierte Dialektik bei Roscelin von Compiègne (Nominalist) und Wilhelm von Champeaux (Realist),
später auch Theologie bei Anselm von Laôn, lehrte bald auch selber in Melun und Paris.
1114-1117: PA lehrt an Notre Dame de Paris Logik und Theologie. Tragische Liebesbeziehung mit
Heloise.
Brower, Jeffrey E. u. Kevin Guilfoy (Hgg.): The Cambridge Companion to Abelard, Cambridge:
University Press 2004.
Ernst, Stephan: Petrus Abaelardus, Münster: Aschendorff 2003 (= Zugänge zum Denken des
Mittelalters 2).
Marenbon, John: The Philosophy of Peter Abelard, Cambridge: University Press 1997.
Marenbon, John: Abelard in Four Dimensions. A Twelfth-Century Philosopher in His Context and
Ours, Notre Dame: University Press 2013.
Niggli, Ursula (Hg.): Peter Abaelard. Leben – Werk – Wirkung, Freiburg u. a.: Herder 2003.
Rexroth, Frank: Fröhliche Scholastik. Die Wissenschaftsrevolution des Mittelalters, München: Beck
2018, bes. Kap. V.
Werke:
1) Briefe, Nr. 1 = Historia calamitatum mearum, Nr. 2-8 Korrespondenz mit Heloise, z. B. bei
Reclam, UB 3288. Vgl. Dag Nikolaus Hasse (Hg.), Abaelards „Historia calamitatum“, Berlin u.
a.: de Gruyter 2001.
2) Schriften zur Logik: Dialectica, Glossen zur sog. Alten Logik (Logica vetus = Isagoge Porphyrii,
Categoriae & De interpretatione Aristotelis), siehe Wöhler, Bd. 1, Nr. 12-14.
3) Schriften zur Theologie: Theologia Summi boni, Christiana, Scholarium – Trinitätsdeutung.
Die erste und die dritte Theologie zugänglich bei Meiner PhB 395, 1997, bzw. bei Herder,
Bibliothek der Philosophie des Mittelalters 24, 2010.
4) Sic et Non, Sentenzensammlung mit hermeneutischem Prolog, siehe dazu Oliver R. Scholz,
Verstehen und Rationalität usw., Frankfurt a. M.: Klostermann 1999, 3. Aufl. 2016.
5) Schriften zur Bibelauslegung, bes. wichtig Römerbrief-Kommentar (lat.-dt. in Fontes
Christiani, Bd. 26, Teil 1-3).
6) Collationes bzw. Dialogus inter Philosophum, Iudaeum et Christianum (lat.-dt. im Verlag der
Weltreligionen, Taschenbuch 5, 2008).
7) Scito te ipsum bzw. Ethica: Die Intention ist das moralisch Relevante (und nicht z. B. die
äußerliche Handlung, diese ist moralisch indifferent) – lat.-dt. bei Meiner, PhB 578, 2006. Vgl.
z. B. Alexander Schroeter-Reinhard, Die Ethica des Peter Abaelard. Übersetzung, Hinführung
und Deutung, Freiburg (Schweiz): Universitätsverlag 1999.
Logik bzw. Universalienproblem: Zwei weitere Fragen zu den drei von Porphyr (vgl. oben bei
Boethius):
4) Was ist der gemeinsame Grund (communis causa) für die Einsetzung allgemeiner Namen?
→“status“, quasi-res, ‚Sachverhalte‘, nicht „Homines conveniunt in homine“ (Die (einzelnen)
Menschen stimmen im (allgemeinen) Menschen überein), sondern „Homines conveniunt in
esse hominem“ (AcI, „darin, dass sie Menschen sind“)
5) Welche Vorstellungen verbinden sich mit allgemeinen Namen? → Abstraktionstheorie
ausgehend von Boethius
Abälard ist zwar eindeutig ein Anti-Realist als Gegner der zeitgenössischen Realismen, aber deshalb
nicht ohne Weiteres ein Nominalist im heutigen Sinne, da er Eigenschaften (status) und Sachverhalte
bzw. Propositionen (dicta, quasi-res) als abstrakte Gegenstände, wie man heute sagen würde,
anerkennt. Sein Verdienst ist der Nachweis, dass Individuen und Arten/Gattungen innerhalb der
17
Aristotelischen Kategorien nicht Dinge im gleichen Sinne sein können und dass auch außerkategoriale
Gegenstände wie Sachverhalte keine Dinge im eigentlichen Sinne sind. Wie man heute sagen würde,
hat er eben den Unterschied zwischen konkret und abstrakt herausgearbeitet. – Vgl. auch zur
Satzbedeutung: Sätze bezeichnen keine Dinge (res), sondern Verhaltensweisen der Dinge (quidam
modi rerum habendi se, auch dicta genannt), was dem modernen Sachverhaltsbegriff weitgehend
entspricht.
Letztlich gibt es alle drei Positionen bei ihm, nämlich universalia ante res, in rebus, post res, und zwar
communes formae im Geist Gottes (die Vorbilder der Geschöpfe), intrinsecae formae in den Dingen
(Wesensformen) und conceptiones im menschlichen Geist (abstrahierte Allgemeinbegriffe).
Aosta (NW Italien) – Bec in der Normandie, Prior und Abt – Canterbury, Erzbischof, als solcher
zweimal im Exil – zeitgenössische Biographie von Eadmer
Davies, Brian u. Brian Leftow (Hgg.): The Cambridge Companion to Anselm, Cambridge: University
Press 2004.
Ernst, Stephan u. Thomas Franz (Hgg.): Sola ratione. Anselm von Canterbury (1033-1109) und die
rationale Rekonstruktion des Glaubens, Würzburg: Echter 2009.
Ernst, Stephan: Anselm von Canterbury, Münster: Aschendorff 2011 (= Zugänge zum Denken des
Mittelalters 6).
Schönberger, Rolf: Anselm von Canterbury, München: Beck 2004 (= Beck’sche Reihe Denker 568).
Verweyen, Hansjürgen: Anselm von Canterbury, 1033-1109. Denker, Beter, Erzbischof, Regensburg:
Pustet 2009.
Standard-Werkausgabe in 6 Bänden von Pater Franciscus Salesius Schmitt OSB, Seckau 1938, Rom
1940, Edinburgh 1946-1961, Nachdruck in zwei Bänden bei Frommann-Holzboog 1968 bzw. 1984. In
diesem Verlag auch lat.-dt. Einzelausgaben zugänglich.
Bekannteste Werke: Monologion (Selbstgespräch, 1076), Proslogion (Anrede, 1077/78), Cur deus
homo (Warum Gott Mensch geworden, vollendet 1098).
Methode: Die Glaubenswahrheiten sollen mit bloßer Vernunft und ohne Rekurs auf die Offenbarung
bzw. Autorität und Tradition eingesehen werden – Schlagwörter:
18
Sola ratione: durch die Vernunft allein (ebd., Kap. 1), bekanntester ‚Slogan‘
Fides quaerens intellectum: Glaube, der nach Einsicht sucht – ursprünglicher Titel des Proslogion
Neque enim quaero intelligere, ut credam, sed credo, ut intelligam: Ich trachte nämlich nicht danach
zu verstehen, um zu glauben, sondern glaube vielmehr, um zu verstehen (Prosl., Kap. 1 Ende)
„maius“ (größer, im qualitativen Sinne, also besser u. dgl.) ist etwas, das per se ist (durch sich selbst),
als etwas, das per aliud ist (durch etwas anderes). Z. B. das Gute an sich vs. Gutes durch Teilhabe
(Platonismus!). Vgl. bes. Monol., Kap. 3. Auch wichtig für die descriptio famosa Gottes und den
Gottesbeweis im Proslogion:
Gott = def. aliquid, quo nihil maius cogitari possit (etwas, über das hinaus nichts Größeres gedacht
werden kann)
Gottesbeweis von Prosl., Kap. 2, vgl. u. v. a. Mojsisch u. Flasch, Kann Gottes Nicht-Sein gedacht
werden? usw., Mainz 1989, Winfried Löffler in Klassiker der Philosophie heute, Reclam UB 18731, und
Bromand u. Kreis, Gottesbeweise usw., Suhrkamp stw 1946, Teil I:
1. An Gott wird geglaubt als an etwas, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann.
2. Sogar der biblische Tor, wenn er den Ausdruck „etwas, über das hinaus nichts Größeres
gedacht werden kann“ hört oder denkt, versteht den entsprechenden Begriff.
3. Also existiert etwas, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, im Verstand.
4. Angenommen nun, das, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, existiere nur
im Verstand (in intellectu) und nicht auch in der Wirklichkeit (in re).
5. Dann ist etwas denkbar, das zusätzlich auch noch in der Wirklichkeit existiert und damit
größer ist als das, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann.
6. Dann ist aber das, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, etwas, über das
hinaus Größeres gedacht werden kann.
7. Satz 6 ist aber ein manifester Widerspruch, also war die Annahme 4 falsch.
8. Folglich existiert etwas, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, nicht nur im
Verstand allein, sondern auch in der Wirklichkeit.
9. Also existiert Gott in der Wirklichkeit. (Vgl. Überschrift von Prosl., Kap. 2: „Quod vere sit
deus“.)
Kritik u. v. a. von Thomas von Aquin, Kant, Frege, Hans Reichenbach (Der Aufstieg der
wissenschaftlichen Philosophie, Berlin 1953, 2. Aufl. Braunschweig 1968, als Bd. 1 der Gesammelten
Werke ebd. 1977), S. 50f. bzw. S. 130f. der Ausg. v. 1977).