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Hans Belting, Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft.

Wilhelm Fink Verlag, München 2001. S.19-20


in der Reihe 'Bild und Text', herausgegeben von Gottfried Boehm und Karlheinz Stierle.

4. Mentale und physische Bildproduktion


Die Geschichte der Bilder ist immer auch eine Geschichte der Bildmedien gewesen. Die
Interaktion von Bild und Technologie läßt sich nur dann verstehen, wenn man sie im Licht
von symbolischen Handlungen sieht. Die Bildproduktion ist selbst ein symbolischer Akt und
verlangt von uns deshalb eine ebenso symbolische Art der Wahrnehmung, die sich von der
alltäglichen Wahrnehmung unserer natürlichen Bilder aufschlußreich unterscheidet. Die
sinnstiftenden Bilder, die als Artefakte ihren Ort in jedem sozialen Raum besetzen, kommen
als mediale Bilder zur Welt. Das Trägermedium gibt ihnen eine Oberfläche mit einer
aktuellen Bedeutung und Wahrnehmungsform. Von den ältesten Manufakten bis zu den
digitalen Verfahrensweisen standen sie unter technischen Bedingungen. Erst solche
Bedingungen bringen ihre medialen Eigenschaften hervor, mit denen wir sie wiederum
wahrnehmen. Die Inszenierung durch ein Medium der Darstellung begründet erst den Akt der
Wahrnehmung. Der Dreischritt, den ich hier nachzeichne, ist für die Bildfunktion aus
anthropologischer Sicht fundamental: Bild - Medium - Betrachter oder Bild -Bildapparat -
lebender Körper (wobei dieser als medialer oder medialisierter Körper verstanden werden
muß).
Im heutigen Diskurs dagegen werden Bilder entweder in einem so abstrakten Sinne erörtert,
als gäbe es sie medien- und körperlos, oder einfach mit ihren Bildtechniken verwechselt.
Im einen Falle werden sie auf den bloßen Bildbegriff, im anderen auf die bloße Bildtechnik
reduziert. Zu diesem Dualismus tragen die Vorstellungen bei, die wir von den inneren und
den äußeren Bilder besitzen. Die einen lassen sich auch als endogene oder körper-eigene
Bilder bezeichnen, während die anderen immer erst einen technischen Bildkörper brauchen,
um in unseren Blick zu treten. Die beiden Arten, die Bilder aus der Außenwelt und die
inneren Bilder sind aber nicht allein mit einem solchen Dualismus zu fassen, denn dieser setzt
nur den alten Gegensatz von Geist und Materie fort. Zwar steckt im Begriff „Bild" schon der
Doppelsinn innerer und äußerer Bilder, den wir nur in der westlichen Denktradition so
zuversichtlich als Dualismus begreifen. Doch sind die mentalen und die physischen Bilder
einer und derselben Zeit (die Träume und die Ikonen) so vieldeutig auf einander bezogen, daß
ihre Anteile nur schwer von einander zu trennen sind, es sei denn in einem handfest
materiellen Sinne. Die Bildproduktion hat immer eine Standardisierung der individuellen
Bilder bewirkt, und doch schöpfte sie ihrerseits aus einer zeitgenössischen Bilderwelt ihrer
Betrachter, die eine kollektive Wirkung überhaupt erst ermöglicht hat.
Die Frage nach innerer und äußerer Repräsentation wird derzeit in der Neurobiologie gestellt,
wo man die „interne Repräsentation" (Olaf Breidbach) in den Wahrnehmungsapparat verlegt
und die Welterfahrung wesentlich von der neuronalen Eigenstruktur des Hirns gesteuert sieht.
Im Kontext der Kulturwissenschaften kann die gleiche Frage gestellt werden, doch ist sie hier
die Frage nach dem Wechselverhältnis zwischen der mentalen und der materialen
Bildproduktion einer Zeit, wobei die letztere als externe Repräsentation anzusehen wäre. Nur
in einem solchen Sinne kann man von einer Geschichte der Bilder sprechen, ähnlich wie man
von einer Geschichte des Körpers oder des Raumes spricht. Die Fragestellung läßt sich am
Ende doch wieder mit den Naturwissenschaften verbinden, wenn man bereit ist, deren
bildgebende Verfahren (Imaging Science) als Artefakte zu begreifen, welche nicht in einem
neutralen oder objektiven, sondern in einem kulturspezifischen Sinne funktionieren. In diesem
Sinne hat James Elkins (Chicago) das „Non-art Image" als Thema der formalen Analyse und
Kritik entdeckt.
Unsere inneren Bilder sind nicht immer individueller Natur, aber sie werden auch dann, wenn
sie kollektiven Ursprungs sind, von uns so verinnerlicht, daß wir sie für unsere eigenen Bilder

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halten. Die kollektiven Bilder bedeuten deshalb, daß wir die Welt nicht nur als Individuen
wahrnehmen, sondern dies auf eine kollektive Weise tun, welche unsere Wahrnehmung einer
aktuellen Zeitform unterwirft. Gerade an diesem Sachverhalt ist die mediale Einrichtung der
Bilder beteiligt. In jeder zeitgebundenen Wahrnehmung verändern sich die Bilder, auch wenn
ihre Themen überzeitlich sind, qualitativ. Außerdem verleihen wir ihnen den Ausdruck einer
persönlichen Bedeutung und die Dauer einer persönlichen Erinnerung. Die gesehenen Bilder
unterliegen unvermeidlich unserer persönlichen Zensur. Sie werden bereits von den
Torwächtern erwartet, die unser Bildgedächtnis bewachen. Unsere Bilderfahrung gründet
zwar auf einer Konstruktion, die wir selbst veranstalten, und doch wird sie gesteuert von der
aktuellen Verfassung, in der die medialen Bilder modelliert sind.
Es läuft auf einen Akt der Metamorphose hinaus, wenn sich die gesehenen in erinnerte Bilder
verwandeln, die fortan in unserem persönlichen Bildspeicher einen neuen Ort finden. Wir
entkörperlichen in einem ersten Akt die äußeren Bilder, die wir „zu Gesicht bekommen", um
sie in einem zweiten Akt neu zu verkörpern: es findet ein Tausch zwischen ihrem
Trägermedium und unserem Körper statt, der seinerseits ein natürliches Medium bildet. Das
gilt selbst für die digitalen Bilder, deren abstrakte Struktur die Betrachter in körperliche
Wahrnehmung übersetzen. Der Bildeindruck, den wir durch das Medium empfangen, steuert
die Aufmerksamkeit, die wir den Bildern widmen, denn ein Medium hat nicht nur eine
physisch-technische Beschaffenheit, sondern auch eine historische Zeitform. Unsere
Wahrnehmung unterliegt einem kulturellen Wandel, obwohl unsere Sinnesorgane sich seit
urdenklichen Zeiten nicht geändert haben. An dieser Tatsache ist die Mediengeschichte der
Bilder maßgeblich beteiligt. Daraus folgt der Grundsatz, daß die Bildmedien den Bildern
nicht äußerlich sind.

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