Herausgeber
Forschungsbeirat der Plattform Industrie 4.0
Projektbüro
acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften
Geschäftsstelle
Karolinenplatz 4
80333 München
Autoren
Dr. Jörg Abel, Sozialforschungsstelle der
Technischen Universität Dortmund
Prof. Dr. Hartmut Hirsch-Kreinsen,
Technische Universität Dortmund Plattform Industrie 4.0 acatech – Deutsche Akademie
Dr. Tobias Wienzek, Sozialforschungsstelle der der Technikwissenschaften
Technischen Universität Dortmund
Projektkoordination
Dr. Steffen Steglich, acatech
Redaktion
Karola Klatt
Gestaltung und Produktion
PRpetuum GmbH, Müchen
Bildnachweis
Monty Rakusen – gettyimages (Titel)
Stand
September 2019
Inhalt
Vorwort.................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................. 2
Kurzfassung.............................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................. 3
5 Ausblick.......................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................... 37
Literatur........................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................ 38
2
Vorwort
Industrie 4.0 steht für den fundamentalen digitalen Die vorliegende Studie ist ein wichtiger Schritt, sich diesem
Wandel in der Produktion und der darauf aufbauenden Thema zu nähern. Sie ist im Kontext der Arbeiten des For-
Wertschöpfungsprozesse. In diesem Kontext stehen oft- schungsbeirats der Plattform Industrie 4.0 entstanden und
mals die Potenziale technologischer Innovationen im Vor- wurde vom Bundesministerium für Bildung und For-
dergrund. Dazu gehören zum Beispiel der Einsatz von schung (BMBF) gefördert. Von Beginn an hatte die Vision
Robotik, Augmented Reality oder Big Data als Grundlage Industrie 4.0 das Ziel, die digitale Transformation in der
für eine Prozessoptimierung. Im Mittelpunkt von Industrie Industriearbeit gemeinsam mit den Sozialpartnern zu
4.0 steht jedoch weiterhin der Mensch. Er setzt die Einfüh- gestalten und einen gesamtgesellschaftlichen Nutzen zu
rung von Innovationen in die Praxis um und wendet diese stiften. Das Forschungsprojekt „Akzeptanz und Attraktivität
dauerhaft an. Beschäftigte parametrieren oder program- in der Industriearbeit 4.0“ leistet dazu einen Beitrag, indem
mieren Roboter und interagieren zunehmend mit flexiblen es neben Expertinnen und Experten sowie Unternehmens-
Servicerobotern, die auf Künstlicher Intelligenz (KI) basieren. vertreterinnen und -vertretern auch die Beschäftigten
Angestellte verrichten ihre Arbeit mithilfe von Augmented selbst zu Wort kommen lässt. Ihre Perspektive und ihre
Reality, wie zum Beispiel Datenbrillen, die Informationen Teilhabe an der digitalen Transformation sind entschei-
effizient und zum richtigen Zeitpunkt bereitstellen sollen. dend für einen erfolgreichen Wandel und für die vollstän-
Und sie sind es, die letztendlich auf der Grundlage von dige Entfaltung der Potenziale von Industrie 4.0.
Big Data die Produktion überwachen, informiertere Ent-
scheidungen treffen und steuernd eingreifen können. Die
Akzeptanz innovativer Industrie 4.0-Technologien ist dafür
die Voraussetzung. Sie ist gewissermaßen das Schmiermit- Prof. Dr.-Ing. Reiner Anderl Dr. Harald Schöning
tel für Innovationen. Sprecher des Forschungsbeirats Sprecher des Forschungsbeirats
3
Kurzfassung
Die Auswirkungen von Industrie 4.0 auf Arbeits- und Mögliche Ansätze zur Akzeptanzsicherung liegen insbeson-
Beschäftigungsbedingungen werden tiefgreifend sein. dere in einer beteiligungsorientierten Unternehmenskul-
Sowohl Arbeitsplatzverluste und der Beschäftigungsaufbau tur, die folgende Aspekte berücksichtigt: tatsächliche Infor-
in neuen Bereichen sind zu erwarten als auch massive Ver- mierung und Beteiligung der Beschäftigten und der
änderungen der Qualifikations- und Kompetenzanforde- betrieblichen Interessenvertretung, Klärung der Kontroll-
rungen durch Neugestaltung der Arbeitsorganisation und frage, Qualifizierung mit Blick auf die neuen Anforderun-
der Tätigkeitszuschnitte. Diesen Wandel in den Unterneh- gen sowie nutzergerechte Gestaltung.
men zu meistern, wird nicht gegen die Beschäftigten gehen.
Vor diesem Hintergrund ist die Frage, inwieweit die
Beschäftigten Industrie 4.0 und die damit verbundenen
Veränderungen akzeptieren, zentral. Projekt
Wann immer größere gesellschaftliche Veränderungen Szenarien, für die es jedoch bislang keine empirischen
bevorstehen, diskutiert und entschieden werden, kommt Bestätigungen gibt.2 Aufgrund der medialen Aufmerk
die Frage auf, ob weite Teile der Bevölkerung diesen Wan- samkeit, die manche dieser Studien erfahren, ist es wenig
del gutheißen und damit akzeptieren. Die Veränderungen überraschend, wenn bei Beschäftigten in Unternehmen
können unterschiedlicher Natur sein: von der bundesdeut- Skepsis, vorsichtiges Abwarten oder manchmal auch Ängste
schen Wirtschaftspolitik über die Flüchtlingsfrage bis hin gegenüber Industrie 4.0 vorherrschen. Gleichzeitig begeg-
zur Erhöhung des Renteneintrittsalters. Vielfach besonders nen viele Menschen neuer Technik mit Neugierde und
umstritten – gar umkämpft – waren in den letzten Jahr- Offenheit.
zehnten Großtechnologien, von der Atomkraft über die
Bio- und Gentechnologie bis zur digitalen Transformation. Die wissenschaftlich und arbeitspolitisch sehr dringliche
Frage nach den Herausforderungen, die sich für die Akzep-
Vom technischen Wandel betroffen ist tendenziell die tanz neuer digitaler Technologien und von Industrie 4.0 auf
gesamte oder zumindest ein sehr großer Teil der Bevölke- der operativen betrieblichen Ebene stellen, wird mit der
rung. Auf der betrieblichen Ebene scheint Akzeptanz für vorliegenden Studie thematisiert. Ausgehend von der
den technischen Wandel zunächst eine geringere Rolle zu Vision Industrie 4.0 und den damit verbundenen Vorstel-
spielen. Zwar muss auch hier, etwa bei der Automatisierung lungen von zukünftiger Arbeit 4.03 geht die Studie folgen-
von Herstellungsprozessen, für Akzeptanz bei der Beleg- den Detailfragen nach:
schaft gesorgt werden, doch das wird als ein auf ein Unter-
nehmen oder eine Branche begrenztes Problem verstanden, zzAuf die Beschäftigten kommen vermutlich tiefgreifende
das sich mit einigem Kommunikations- und Beteiligungs- Veränderungen der Aufgabenzuschnitte, Verantwort-
aufwand in den Griff bekommen lässt. Diese Sichtweise lichkeiten sowie Qualifikations- und Kompetenzanfor-
vernachlässigt, dass nicht bewältigte Akzeptanzprobleme derungen zu, sofern ihr Arbeitsplatz nicht ganz der
auf der betrieblichen Ebene sich nachhaltig negativ auf die Automatisierung zum Opfer fällt. Man kann annehmen,
Innovationsfähigkeit und Produktivität ganzer Unterneh- dass dieses Wissen bei vielen Beschäftigten Zukunftssor-
men auswirken können, ebenso wie auf die Qualität der gen über Beschäftigungssicherheit und Arbeitsbedin-
Arbeit und die Motivation der Beschäftigten. gungen auslöst. Resultieren daraus bei betroffenen
Beschäftigten in der Industrie tatsächlich Akzeptanzpro-
Die Herausforderung der Akzeptanz stellt sich nach allen bleme, wie vielfach vermutet wird? Welche Akzeptanz-
vorliegenden Erfahrungen besonders bei der Einführung probleme werden von Beschäftigten auf dem Shopfloor
digitaler Technologien und von Industrie 4.0-Systemen, mit (Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Führungskräften)
denen unter Umständen weitreichende Folgen für Betriebe im Hinblick auf Industrie 4.0-Systeme artikuliert?
und Beschäftigte einhergehen. Fraglos werden die Zukunfts
szenarien zu Industrie 4.0 – sofern sie sich denn realisieren zzDie Veränderungen sind vielschichtig: Lässt sich bei den
lassen – zu einer radikalen Veränderung industrieller Pro- betroffenen Beschäftigten erkennen, welche Themen sie
duktionsprozesse führen. Ebenfalls unbestritten ist, dass, besonders berühren? Was sind die größten Veränderungen,
wenn die Vorstellungen Realität werden, ein tiefgreifender die sie auf sich zukommen sehen? Wo vermuten sie Chancen
Umbau bisheriger Arbeitsprozesse ansteht, der die bishe beziehungsweise Gefährdungen für sich?
rigen Rationalisierungserfahrungen von Beschäftigten in
den Schatten stellt. So werden einerseits sowohl massive zzDie Akzeptanz oder das Fehlen von Akzeptanz hängen
Arbeitsplatzverluste durch digitale Automatisierung als auch von einer Vielzahl von Faktoren ab, die in der eingesetz-
Beschäftigungsaufbau prognostiziert.1 Andererseits wird von ten Industrie 4.0-Technologie, den Persönlichkeiten der
massiven Strukturveränderungen für die Arbeit selbst aus- Betroffenen oder dem Kontext der Einführung begrün-
gegangen. Von der Taylorisierung bis zum „Dirigenten der det sein können: Welche Ursachen haben auftretende
Wertschöpfungskette“ reichen hier die Prognosen und Akzeptanzprobleme?
1 Vgl. Frey/Osborne 2013, Arntz et al. 2018, Dengler/Matthes 2018, BCG 2017.
2 Vgl. als Überblick Hirsch-Kreinsen et al. 2018.
3 Vgl. Forschungsunion/acatech 2013, BMAS 2016.
A K Z E P TA N Z V O N I N D U S T R I E 4 . 0 5
zzDie Unternehmen sind bei der Implementierung von Tabelle 1: Übersicht über die befragten Fachkundigen
Industrie 4.0-Techniken auf die Akzeptanz der Beschäf-
tigten angewiesen, um ihre gesteckten Ziele, etwa die Interviewpartner Fachrichtung, Institution
Produktivitäts- und Qualitätssteigerung oder den Auf- Expertin 1 Arbeitswissenschaft,
bau neuer Geschäftsmodelle, realisieren zu können: Innovationsmanagement
Welche Ansatzpunkte zur Überwindung von Akzeptanz- Experte 2 Maschinenbau, Produktionssysteme
problemen existieren? Lassen sich Erfolgsmuster und Best- Experte 3 Gewerkschaft
Practice-Beispiele erkennen?
Experte 4 Arbeits- und Industriesoziologie
Experte 5 Arbeits- und Industriesoziologie
Die vorliegende Studie will angesichts der im Zuge der
Digitalisierung vermuteten disruptiven Veränderungen in
den Unternehmen erste Erkenntnisse sammeln, inwieweit
die erwartete Disruption des Wandels zu neuen Akzeptanz- In den Unternehmen wurden auf der Basis von Gesprächs-
beziehungsweise Ablehnungsreaktionen führt. In einer ers- leitfäden Interviews mit unterschiedlichen betrieblichen
ten Näherung sollen zwei Perspektiven sichtbar gemacht Akteuren geführt. Im Sample vertreten sind Befragte von
werden: Wo liegen aus Sicht der Unternehmen die poten- der Geschäftsführung über den Kreis der Führungskräfte
ziellen Herausforderungen bei der Herstellung von Akzep- bis hin zu Shopfloor-Beschäftigten und Betriebsratsmit-
tanz gegenüber Industrie 4.0 und was sind aus Sicht der gliedern. Insgesamt wurden 44 Interviews geführt, die
Beschäftigten die Vorbehalte und Ängste gegenüber Indus- zwischen 30 Minuten und drei Stunden dauerten. Die
trie 4.0 und worin liegen diese begründet? Ein zweites Ziel Interviews wurden aufgezeichnet, transkribiert und zu
der Studie ist, empirisch begründete Hypothesen über die Ergebnisprotokollen verdichtet. Die Auswertung erfolgte
Akzeptanzproblematik von Industrie 4.0 herauszuarbeiten, in Anlehnung an die qualitative Inhaltsanalyse nach May-
die breiter angelegten Folgeuntersuchungen als Basis die- ring.4
nen können.
Die Unternehmen sollten sich unterscheiden nach Bran-
che, Betriebsgröße und Beschäftigtenstruktur, zudem soll-
1.1 Methodisches Vorgehen ten sie Erfahrungen mit Industrie 4.0 aufweisen. Eine Über-
sicht der untersuchten Unternehmen zeigt Tabelle 2.
Ob auf betrieblicher Ebene Akzeptanzproblematiken auf-
treten und wie sie bearbeitet werden, ist kaum explizit Diese Studie untersucht explorativ die Herausforderung
erforscht. Die Mehrzahl der Studien zur Akzeptanzfor- der Akzeptanz bei der Einführung von Industrie 4.0-Tech-
schung bezieht sich auf die gesellschaftliche Akzeptanz von nologien in Industrieunternehmen. Eine genaue Bestim-
sogenannten Großtechnologien, beispielsweise der Bio- mung von Begrifflichkeiten wie „Industrie 4.0“, „Digitalisie-
oder Atomtechnologie, oder von Infrastrukturprojekten. rung“ oder „cyber-physische Systeme“, beziehungsweise
Explizite betriebliche Akzeptanzforschung findet sich nur von Industrie 4.0-Techniken, wie „Manufacturing Execu-
selten. tion System“, „Datenbrille“ oder „Wearable“ muss hier
unterbleiben: Zu disparat sind die vorliegenden Definiti-
Dementsprechend wurde für diese Studie ein exploratives onsversuche.5 Das bedeutet, dass sehr unterschiedliche
Vorgehen gewählt, das auf drei Säulen basiert: Innovationsgrade mit Industrie 4.0 assoziiert werden.6 Mit
anderen Worten: In vielen Unternehmen konzentriert sich
zzZusammenfassung des Forschungsstands zur Akzeptanz Industrie 4.0 bislang auf einzelne Pilotbereiche und befin-
von Industrie 4.0 det sich noch in der Testphase, so dass nur eine ausge-
zzleitfadengestützte Interviews mit Fachkundigen aus wählte Beschäftigtengruppe direkt betroffen ist. Zugleich
Wissenschaft und Gewerkschaft firmiert – gerade in den kleinen und mittleren Unterneh-
zzleitfadengestützte Interviews in zehn Unternehmen men (KMU) – manches unter dem Begriff „Industrie 4.0“,
beziehungsweise Betriebsstätten was de facto eher Industrie 3.0 (oder gar noch früher) ist.
Folgt man der aktuellen Debatte um Industrie 4.0, dann davon Betroffenen zu erreichen“12, fasst, geht Lucke in
kann als ein wesentlicher Punkt die Frage nach der Akzep- ihrem Verständnis deutlich weiter und nimmt vor allem
tanz von Industrie 4.0-Lösungen angesehen werden. Offen den Prozesscharakter von Akzeptanz stärker in den Blick.13
ist jedoch vielfach, was mit dem Begriff der „Akzeptanz“ Im Kontext von Industrie 4.0 ist diesem Prozessverständnis
gemeint ist beziehungsweise wie diese hergestellt werden von Akzeptanz zu folgen, das die Entstehung von Akzep-
kann. Deutlich wird aber ebenso, dass Akzeptanz als ein tanz im Zusammenwirken unterschiedlicher Akzeptanz
zentrales Element für die erfolgreiche Umsetzung von dimensionen beschreibt.14 Damit wird einer eindimensio-
Industrie 4.0 angesehen wird.7 Nachfolgend wird zunächst nalen Betrachtung der bloßen Produktakzeptanz15, die den
ein kurzer Überblick über bestehende Akzeptanzkonzepte umfassenden und kontinuierlichen Veränderungen von
gegeben, um daran anschließend das eigene, die Studie Industrie 4.0 nicht gerecht werden würde und deren Akzep
leitende Konzept von „Akzeptanz“ darzustellen. tanz somit nur unscharf erfassen würde, entgegengewirkt.
Die wissenschaftliche Diskussion offenbart drei konzeptio- zzUnter Akzeptanzobjekten werden die zu akzeptieren-
nelle Schwächen des Akzeptanzbegriffs: Erstens stellen den Artefakte oder Prozesse (neue technische Geräte,
manche Definitionen zu sehr auf alleinige Technikakzep- neue Abläufe, Produkte etc.) verstanden. Bezogen auf
tanz ab, zum Zweiten vernachlässigen andere den Prozess Industrie 4.0 sind das neue Formen der Vernetzung,
charakter von Akzeptanz und zum Dritten können wiederum neue Assistenzsysteme oder eine veränderte Unterneh-
andere Akzeptanzmodelle die Vielfalt unterschiedlicher mensorganisation. Für die Akzeptanz der Beschäftigten
Akzeptanzausprägungen nicht abbilden, da sie nur zwischen ist relevant, um welche konkrete Digitalisierungs- oder
Akzeptanz und Nichtakzeptanz unterscheiden. Industrie 4.0-Lösung es sich handelt, welche Ziele mit
ihr verfolgt werden, welche Kosten, welcher Nutzen und
Akzeptanz im Kontext einer sozio-technischen Gesamtper- welche möglichen Risiken mit dem Einsatz der tech
spektive muss jedoch weiter gefasst werden als ausschließ- nischen Veränderung einhergehen und wie ihre Hand-
lich als Technikakzeptanz, die nur darauf zielt, dass eine habung sich zum Beispiel im Hinblick auf Bediener-
neue Technologie von den Beschäftigten „akzeptiert“ bezie- freundlichkeit gestaltet.
hungsweise benutzt wird. Vielmehr müssen gesellschaft zzDie Akzeptanzsubjekte sind die Personen oder Perso-
liche Rahmenbedingungen einbezogen und betriebliche nengruppen, die akzeptieren oder nicht akzeptieren
Ausgangsbedingungen berücksichtigt werden, die die beziehungsweise dies in unterschiedlichen Abstufungen
„Bedingtheit von individueller Akzeptanz“20 deutlich wer- tun. Die Studie befasst sich mit Beschäftigten in Unter-
den lassen. Diese „individuelle Akzeptanz“ kann nicht nur nehmen, sowohl Produktionsbeschäftigten als auch Füh-
einmal hergestellt, sondern muss fortlaufend erzeugt und rungskräften, die von Veränderungsprozessen unter-
aufrechterhalten werden. schiedlich betroffen sind und über jeweils individuelle
Verhaltensdispositionen verfügen, die unter anderem
von ihrer Rolle in dem konkreten Veränderungsprozess
2.2 Verständnis von Akzeptanz in der abhängen. Zentrale Faktoren für Akzeptanz sind bei den
vorliegenden Studie Beschäftigten die jeweils wahrgenommenen Handlungs-
möglichkeiten und Alternativen, die eigenen Einfluss-
Bei der Einführung von Industrie 4.0-Lösungen stehen möglichkeiten auf die technischen Veränderungen sowie
technologische, personelle, organisatorische und gesell- persönliche Einstellungen, die wiederum von verschiede-
schaftliche Faktoren in einem engen Wirkungszusammen- nen Faktoren abhängen können, wie Qualifikation, Zuge-
hang. Diese vielfältigen Einflussfaktoren auf die Akzeptanz hörigkeit zu einer Beschäftigtengruppe, Alter etc.
machen die Komplexität der damit verbundenen Heraus- zzAkzeptanzsubjekte und Akzeptanzobjekte sind wiede-
forderungen für Unternehmen deutlich. Für das Schaffen rum beeinflusst durch den Akzeptanzkontext, der in
und Sichern von Akzeptanz ist daher ein Analyse- und dieser Studie vorrangig durch die Unternehmensebene
Gestaltungsrahmen notwendig, der sowohl ganzheitlich dargestellt wird. Gemeint sind betriebliche Faktoren wie
ausgerichtet ist, zugleich aber Differenzierungen nicht ver- die Unternehmenskultur, die bisherige Innovationspraxis
nachlässigt. Einen solchen Ansatz, der deutlich werden des Unternehmens, seine Digitalisierungsstrategie, der
lässt, dass sich Akzeptanz aus dem spezifischen Geflecht Prozess der Einführung einer neuen Technologie, die
der genannten Faktoren speist, liefert Lucke.21 Mitsprachemöglichkeiten von Betriebsräten und die
Partizipationsmöglichkeiten der Beschäftigten. Zum
Einem grundsätzlichen Prozessverständnis von Akzeptanz Kontext gehören aber auch gesellschaftliche Normen
folgend definiert Lucke Akzeptanz im Wesentlichen als und Einstellungen, die Einfluss auf die Situation im
eine Zustimmung von bestimmten Personengruppen für Unternehmen haben. Beispielsweise kann die gesell-
bestimmte Maßnahmen.22 Dabei beschreibt sie die Entste- schaftlich weit verbreitete Geißelung der Digitalisierung
hung von Akzeptanz anhand einer Dreiecksbeziehung von als „Jobkiller“ in Unternehmen zu ganz erheblichen
Akzeptanzobjekten, Akzeptanzsubjekten und einem Akzep- Akzeptanzproblemen bei der Einführung von Industrie
tanzkontext.23 4.0-Lösungen führen.24
Eine zentrale Annahme dieses Modells ist somit, dass Akzep Abbildung 1: Das Zusammenwirken von Akzeptanzobjekt,
tanzsubjekt, -kontext und -objekt interagieren und sich -subjekt und -kontext
gegenseitig beeinflussen. Das Entstehen von Akzeptanz
wird demzufolge über das „Zusammenwirken dieser Kom-
ponenten“25 erklärt. Für eine Analyse von Akzeptanz bezie-
hungsweise die Planung einer Maßnahme zur Förderung
von Akzeptanz muss die „Abgrenzung/Definition/Beschrei-
bung von Akzeptanzsubjekt, -objekt und -kontext auf die Akzeptanzobjekt
jeweilige Fragestellung einer Untersuchung respektive
einer geplanten Maßnahme zur Akzeptanzförderung abge-
stimmt werden.“26
Bewertung
positiv
Befürwortung Unterstützung
Duldung
passiv aktiv Handlung
Indifferenz
Ablehnung Widerstand
negativ
Quelle: Eigene Darstellung nach Schäfer/Keppler 2013, S. 13
Deutlich wird, dass neben Befürwortung und Ablehnung Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass durch die Fak-
auch Unterstützung und Widerstand im Modell verortet toren der beschriebenen Akzeptanzdimensionen die Ent-
sind, um alle Ausprägungen von Akzeptanz abzubilden. stehung von Akzeptanz beeinflusst werden kann. Dabei
Diese beiden Begriffe betonen die Handlungsdimension sind Einflussmöglichkeiten in allen genannten Dimensio-
von Akzeptanz, die jedoch nur eine mögliche Ausprägung nen vorstellbar und immer als Wirkzusammenhang zu
von Akzeptanz darstellt. Gleichzeitig kann so verdeutlicht betrachten. Auch die Kontextbedingungen sind keineswegs
werden, dass Handeln nicht zwingend erforderlich ist, immer unabhängig gegeben (etwa durch rechtliche Rah-
wenn Akzeptanz erfasst werden soll. Im betrieblichen Kon- menvorgaben und Bestimmungen), sondern können zu
text sind daher nicht nur aktive Handlungen (aktive Akzep- einem Großteil von den Unternehmen gestaltet werden.
tanz beziehungsweise Nichtakzeptanz), sondern auch Durch eine konsequente Betrachtung der Einflussfaktoren
Einstellungen und Bewertungen der Mitarbeiterinnen und in den verschiedenen Dimensionen kann die Entstehung
Mitarbeiter zu berücksichtigen. und Sicherung von Akzeptanz nachhaltig gesteuert werden.
11
Die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten in den „Also von den Gesprächen her, würde ich sagen, da hat
untersuchten Unternehmen scheint somit – in der Termino- keiner irgendwie Bedenken gehabt.“
logie von Schäfer und Keppler – eine „duldende, indiffe- (Produktionsbeschäftigter Metall 2)
rente Bewertung“ der teilweise schon umgesetzten, teilweise
noch anstehenden Industrie 4.0-Rationalisierungsmaßnah- „Ja, klar gab es Vorbehalte. Also, wenn ein neues System
men vorzunehmen. Die Bewertung wird tendenziell posi eingeführt wird, wird es immer irgendwie Fragen geben,
tiver, je weiter der betriebliche Implementierungsprozess warum das jetzt so gemacht wird, ob man überprüft wird,
vorangeschritten ist. wie fleißig man ist.“
(Vorarbeiter Elektro 2)
Bewertung
positiv
Elektronik 2
Möbel 2 Automatisierer 1
Duldung
passiv aktiv Handlung
Indifferenz
Metall
M t ll 1
Automatisierer 2 Metall 2
Elektronik 1
Möbel 1
Elektro 1
negativ nicht zuzuordnen
Quelle: Eigene Darstellung nach Schäfer/Keppler 2013, S. 13
A K Z E P TA N Z V O N I N D U S T R I E 4 . 0 13
Geringfügige Abweichungen von dem Zentralbefund Dul- auch das zeigen die Ergebnisse, die Industrie 4.0-Technolo-
dung beziehungsweise Indifferenz in Richtung einer stärker gien bleiben für die betroffenen Beschäftigten trotz des
negativen oder positiven Bewertung scheint es zum einen derzeit meist geringen Durchdringungsgrads der neuen
bei den älteren Beschäftigten zu geben, die eine gewisse Techniken nicht immer folgenlos: Einerseits gehen bereits
Scheu vor der neuen Technik beziehungsweise der Verän- in wenigen Fällen, wie bei Elektronik 1, Arbeitsplätze verlo-
derung als solcher zu haben scheinen und deswegen teil- ren, andererseits zeigen sich durchaus Taylorisierungsphä-
weise eine ablehnende Haltung einnehmen (siehe Kap. 3.2). nomene, wenn früher ganzheitliche Arbeitsvollzüge in
Zum anderen ist erkennbar, dass Fachkräfte dem anstehen- mehrere Teilarbeitsschritte untergliedert werden, wie im
den digitalisierungsbedingten Wandel tendenziell offener Fall Möbel 2, wo die ehemals ganzheitliche Bürostuhlmon-
gegenüberstehen, wie diese Aussage belegt: „Die Fachkräfte tage („one man, one chair“) in Vor- und Endmontagen auf-
finden es gut, die verdienen mehr Geld und haben einen inter- geteilt wurde.
essanteren Job“ (Produktivitätsmanager Elektronik 1).
Nachfolgend wird anhand der drei Dimensionen Akzeptan-
Insgesamt bilden diese „Ausreißer“ jedoch Ausnahmen; die zobjekt, -subjekt und -kontext des Akzeptanzmodells38
Mehrheit der befragten Beschäftigten lässt sich sozusagen untersucht, welche der betrieblichen Strukturbedingungen,
im „Akzeptanz-Niemandsland“ von Duldung und Indiffe- individuellen Einstellungen sowie vermuteten Einflussfak-
renz einordnen. Dies ist umso bemerkenswerter, als in toren dafür verantwortlich sein können, dass sich, abgese-
einem der untersuchten Unternehmen, Elektronik 1, sehr hen von leichten Abweichungen, die Haltung der Mehrzahl
deutlich thematisiert wurde, dass insbesondere Routine der befragten betrieblichen Akteure gegenüber Industrie
tätigkeiten – und damit Arbeitsplätze – wegfallen werden. 4.0 als indifferent beziehungsweise duldsam beschreiben
Der Verlust von Arbeitsplätzen durch Automatisierung ist lässt.
ein durchaus reales Szenario in den Unternehmen, wie die
folgende Aussage verdeutlicht:
3.1 Akzeptanzobjekt – langwierige Einführung
versus Gestaltbarkeit der Systeme
„Aber wir haben da unten Prozesse, die dann wirklich nur
funktionieren, wenn sie in einem hohen Maße standardi- Die betrieblichen Funktionsbereiche, in denen Industrie
siert sind und dieses Standardisieren wird im Grunde 4.0-Technik in den untersuchten Unternehmen zum Ein-
genommen von den Notwendigkeiten der Automatisie- satz kommt, decken ein breites Spektrum ab: Von der Kom-
rung bestimmt und weniger aufgrund von Einsichten der missionierung (Möbel 1) über die innerbetriebliche Logistik
ausübenden Menschen. Wir reden hier von Blue-Collar- (Möbel 2) bis hin zur Fertigungssteuerung (Metall 2) und
Tätigkeiten und -Abläufen. Man kann sich viel darunter Automatisierung des Fertigungsprozesses (Elektronik 1)
vorstellen, alle Leute abzuholen. Aber manche Leute holst sind sehr unterschiedliche Anwendungen im Sample ver-
du ab und kriegst sie nie ans Ziel, weil sie einfach bei die- treten, von denen sich nicht alle gleichermaßen unter dem
sem Prozess hinterher keine Rolle mehr spielen. Insofern Label „Industrie 4.0“ einsortieren lassen. Manche sind eher
haben wir da auch bewusst nicht versucht, den Anschein der „mikroelektronischen Phase“, die als „Industrie 3.0“
zu erwecken, Leute abzuholen, ohne dass es diese Spiel- bezeichnet wird, zuzurechnen, werden aber in den Unter-
räume gab.“ nehmen als Industrie 4.0-Lösungen angesehen. Manche der
(Produktivitätsmanager Elektronik 1) vermeintlichen Industrie 4.0-Techniken (zum Beispiel
Betriebsdatenerfassung) werden schon seit mehreren Jahr-
zehnten verbreitet in der Industrie eingesetzt, gelten vor-
Die unverblümte Deutlichkeit dieser Aussage, die auch vom rangig in KMU (mit einem in der vorliegenden Untersu-
Personaler desselben Unternehmens im Interview nicht chung erkennbaren Schwerpunkt auf Fertigungssteuerung)
abgeschwächt wird, lässt die Frage noch drängender wer- jedoch als Industrie 4.0-Einführungen. Für die Großunter-
den, wie sich diese verbreitete Indifferenz beziehungsweise nehmen bestätigt sich der zu erwartende Trend, dass ihre
Duldung seitens der Beschäftigten erklären lässt. Denn, eingesetzten oder geplanten Industrie 4.0-Techniken avan-
cierter sind als bei den KMU: Vertreten waren zum Beispiel Implementierung die Betriebe vor größere Herausforde-
kollaborative Roboter (Cobots) und die papierlose Fertigung rungen stellen und mehr Zeit beanspruchen, als ursprüng-
(Automatisierer 2), die in der Öffentlichkeit viel diskutier- lich erhofft wurde. Die Äußerung eines Betriebsrats aus
ten Assistenzsysteme sowie Datenbrillen.39 dem Großunternehmen Elektro 1, dass „die Realität der
[Elektro-1]-Welt nun doch weit, weit von diesen Diskussionen
entfernt ist“, gilt ähnlich für die untersuchten KMU. Auch
Akzeptanzgefährdende Faktoren: langandauernde und hier wurde der Faktor Zeit unterschätzt: „Wenn sie so ein
intransparente Einführungsprozesse System einführen, gibt es allein schon von der EDV her Pro
bleme. Allein schon, wie die Arbeitspläne gestaltet sind, da
Mögen manche der implementierten Techniken auch gibt es mehrere Möglichkeiten (…)“ (Fertigungsleiter Metall 2).
wenig innovativ anmuten, so wollen doch alle Unterneh- Mit anderen Worten: In den Unternehmen ist der Umset-
men, auch die KMU, ein wichtiges Charakteristikum von zungsgrad von Industrie 4.0 noch vergleichsweise niedrig,
Industrie 4.0 erfüllen: Angestrebt wird eine Vernetzung was verschiedene Gründe haben kann.41 Eine wichtige
betrieblicher Funktionsbereiche und Prozesse im Sinne der Ursache sind übereinstimmend zu knapp kalkulierte Pro-
vertikalen Integration. Manche Unternehmen sind schon jektzeitpläne – und somit eine Unterschätzung der Kom-
weiter und planen darüber hinaus die horizontale Integra- plexität von Einführungsprozessen.
tion oder realisieren sie teilweise schon. Das Ziel in der
Mehrzahl der untersuchten Unternehmen ist nicht mehr, Die anfänglich meist duldende, leicht positive Akzeptanz
einzelne Arbeitsplätze oder abteilungsbezogene Prozesse zu von Industrie 4.0-Techniken bei den zukünftigen Nutzerin-
technisieren oder zu automatisieren (Insellösungen), sondern nen und Nutzern wird durch diese langen Zeiträume auf
eine weitgehende, nicht unbedingt umfängliche digitale eine harte Probe gestellt. Immer wieder verschieben sich
Durchgängigkeit anzustreben. Hiermit wird der Rationa die Startschüsse für die Inbetriebnahme neuer technischer
lisierungsansatz wieder aufgegriffen, der in den 1980er- Anwendungen, von denen sich die betroffenen Beschäftig-
Jahren in der Arbeits- und Industriesoziologie intensiv ten möglicherweise Vorteile erhoffen. Immer wieder
diskutiert wurde: „Betont werden dabei der integrative, müssen kurzfristig neue Zwischenlösungen gefunden wer-
prozess- und betriebsübergreifende Charakter und die Ten- den. Immer wieder entsteht dadurch Mehrarbeit für die
denz zu inner- und zwischenbetrieblicher Vernetzung auf Beschäftigten etc. Je häufiger sich dieses „immer wieder“
der Basis neuer Informationstechnologien. Im Gegensatz wiederholt, desto schwieriger wird es für die Industrie
zu gegenwärtig in der Industriesoziologie vorherrschenden 4.0-Projektverantwortlichen, Befürwortung oder gar Unter-
Einschätzungen (…) werden von uns der systemische stützung für ihr Projekt zu bekommen – das Akzeptanz
Charakter und die Dimension der technisch vermittelten niveau kann dadurch sinken.
Beherrschung betrieblicher Produktionsprozesse in den
Vordergrund gerückt.“40 Heute wie damals wird die Vernet-
zung Einfluss auf die Beschäftigten haben, sei es durch dro- Akzeptanzfördernde Faktoren: nutzerorientierte
hende Arbeitsplatzverluste oder Veränderungen der Quali- Gestaltung
fikationsanforderungen, der Arbeitszeiten, der Belastung
oder des Entgelts. Aufgrund der aktuell letztlich noch nicht In vielen Unternehmen sind die Beschäftigten mit den ein-
einschneidenden Veränderungen durch Industrie 4.0 – gesetzten Industrie 4.0-Techniken nur bis zu einem gewis-
zumindest in den untersuchten Unternehmen – lassen sich sen Grad vertraut. Wichtig für sie ist in erster Linie die
eindeutige Folgen für die Beschäftigten derzeit nicht ablei- Benutzerschnittstelle: Ist das Programm intuitiv zu bedie-
ten, was zu einer potenziellen Verunsicherung bei den nen? Kann ich den Button auch mit dicken Handschuhen
betroffenen Beschäftigten führen kann. richtig drücken? Sind die Symbole verständlich und gut
zu erkennen? Solche und andere Fragen sind für viele
Unabhängig davon, ob Großunternehmen oder KMU avan- Beschäftigte im Umgang mit der neuen Technik relevant
cierte oder seit Langem bekannte Technik einführen, gilt und beeinflussen ihre Akzeptanz.
für alle untersuchten Unternehmen, dass Planung und
In diesem Punkt haben Unternehmen zwischenzeitlich aus „Wir haben hier Veränderungen, die gerade in der Indust-
früheren Veränderungsprozessen gelernt. In vielen der rie und in arbeitssoziologischen Diskussionen oder in
untersuchten Unternehmen sind die Beschäftigten an der Debatten immer als Beispiele genannt werden. Also: Hier
Konfiguration von Benutzerschnittstellen beteiligt worden. ein Assistenzsystem, dort ein Active Cockpit, auch mal
Weniger bei der Entwicklung von zugrundeliegenden Soft- eine Datenbrille. Ich glaube, diese Diskussion trifft die
wareprogrammen, wohl aber bei der Entwicklung von eigentliche Veränderung nicht. (…) Sondern tiefe, ein-
Hardware, etwa der Automatisierungstechnik oder der schneidende Veränderungen kriegen wir dort, wo wir mit
Gestaltung des Bedienerinterfaces, war das Einbinden der Plattformen, also neuen Geschäftsmodellen, auch mit
Beschäftigten verbreitet. entsprechend softwarebasierten Plattformen tief eingreifen
in die bisherige Strukturierung von Produktionen, von
Logistik.“ (Betriebsrat Elektro 1)
„Bei der Zeiterfassung (…) diese Startknöpfe sind zu klein.
Dann hat sie gesagt: ‚Ich habe Handschuhe an und dann
sind die Buttons so klein. Jetzt kann ich das nicht bedienen Ob dann die Widerstände bei den Betroffenen größer sein
und jetzt muss ich fünf Mal draufdrücken und jetzt muss werden, bleibt abzuwarten.
ich den Handschuh ausziehen.‘ Da kam dann auch genau
der Wunsch: Die Knöpfe müssen größer sein, so dass ich In vielen Fällen hatten die betroffenen Beschäftigten ein
es auch im Stress mit den Handschuhen oder diesem Stift gewisses Mitwirkungsrecht bei der konkreten Technikaus-
bedienen kann. Diese Sachen kommen dann. Und ich merke gestaltung. Sie wurden eingebunden in die Entwicklung
das halt erst, weil ich oben sitze, wenn unten Terror ist. der Benutzerschnittstellen, wenngleich es primär um ergo-
Und dann kommen die Wünsche natürlich.“ nomische Fragen ging (Größe, Farbe, Aufteilung der But-
(IT-Verantwortlicher Metall 1) tons etc.) und weniger um die basale Entscheidung der
Auswahl einer bestimmten Software; hier bleiben die Spe-
„(…) manche Zwänge hat man (…), aber ansonsten: Die zialisten am Werk. Anders gestaltet sich das Bild, wenn es
Materialien, die Werkzeuge, mit denen die Kollegen arbei- um Investitionen in Hardware geht: Hier werden diejeni-
ten, das ist ein Projekt gewesen, wo wirklich die Endmon- gen beteiligt, die die Maschinen führen und bedienen, neue
teure, wirklich die Werker, eingebunden waren.“ Bearbeitungszentren einrichten oder instand halten oder,
(Technischer Leiter Möbel 2) wie im Unternehmen Möbel 2, eine Fertigungslinie reorga-
nisieren. In solchen Fällen ist Beteiligung zu einem wichti-
gen Faktor der Akzeptanzsicherung, aber natürlich auch
Das Akzeptanzobjekt, die Industrie 4.0-Technik, scheint der Sicherung der Produktivität und Qualität geworden:
keinen deutlich erkennbaren Einfluss auf die Akzeptanz
der Beschäftigten in den Unternehmen zu haben. Dafür
mögen verschiedene Gründe verantwortlich sein: Zum „Da gab es ein Konzept, dass jeder Mitarbeiter einmal an
einen sind technikgetriebene Veränderungen in den Betrie- diesem Tisch gearbeitet hat und seine Erfahrung (…) wei-
ben für die Betroffenen nichts Neues, sondern inzwischen tergegeben hat. Das hat sich durchgezogen über das
eher „Tagesgeschäft“, wenngleich in kleinerem Rahmen und Licht zum Beispiel. Da haben wir ja ein neues Lichtkon-
potenziell mit weniger direkt spürbaren Auswirkungen. zept entwickelt; auch da haben wir verschiedene Typen
Weiterhin kratzen die konkreten Industrie 4.0-Technikan- wirklich auch aufgehängt und haben die Mitarbeiter über
wendungen, die in den untersuchten Unternehmen einge- ein halbes Jahr befragt, was aus ihrer Sicht jetzt gut ist,
führt wurden oder werden, vielfach noch an der Oberfläche was schlecht.“ (Technischer Leiter Möbel 2)
der Digitalisierung. Die „eigentliche Veränderung“ steht
erst noch bevor, wie ein Befragter einräumte:
16 A K Z E P TA N Z V O N I N D U S T R I E 4. 0
Den betroffenen Beschäftigten hat diese auf die engere Elektronik 1: Automatisierung um jeden Preis
Technikgestaltung beschränkte Mitwirkung ausgereicht:
„Im Großen und Ganzen ist es schon ein Gemeinschafts Elektronik 1 setzt auf eine klassische Automatisierungsstrate-
projekt“ (Montagebeschäftigter Möbel 2). Aus Sicht einer gie mit einer Standardisierung der Prozesse als zentraler Vor-
interviewten Betriebsratsreferentin aus einem Großunter- aussetzung; in der Folge führte das zu einer Polarisierung der
nehmen ist das indes viel zu wenig: Belegschaft, wie sie bereits in der Literatur beschrieben
wird.46 Verzichtbar wurden die Operatoren: „Und die Opera-
toren sind die einfachen Tätigkeiten, Routinetätigkeiten, die
„Das ist wahnsinnig schwierig, weil Gestaltung hier im waren auch am meisten betroffen von Automatisierungspro-
Unternehmen sich reduziert auf die User Experience. Das zessen und vom Wegfall. Es waren halt auch Operatorstellen.
wird gemacht, das wird auch sehr ausführlich gemacht. Die sind weg. Die Leute, die nicht mehr dabei sind, die müs-
Es ist jetzt aber nicht einmal im bescheidenen Sinne wirk- sen sich jetzt auch nicht mehr anpassen“ (Human Resources
lich Arbeitsgestaltung.“ (Betriebsrätin Elektro 1) Elektronik 1). Übrig blieben neben qualifizierten Tätigkeiten,
etwa in der Instandhaltung, Überwachungstätigkeiten als ein-
fache, eher monotone Aufgaben, die von den Beschäftigten
abgelehnt wurden: „Und da haben wir (…) Erfahrungen
Gestaltung des betrieblichen Technikeinsatzes gemacht, dass die Mitarbeiter in der Tat damit nicht so glück-
als Chance für Akzeptanz lich waren und sagten: ‚Das ist mir zu langweilig, ich will lie-
ber körperlich wieder mehr machen‘“ (Human Resources
Der fehlende Determinismus zwischen einer gegebenen Elektronik 1).
Technik und ihrem konkreten betrieblichen Einsatz findet
sich bei Industrie 4.0 wieder – bei aller Relevanz von Pfad- Metall 2: Entscheidungsverlagerung auf den Shopfloor
abhängigkeiten.42 In der wissenschaftlichen Debatte wird
in diesem Kontext unterschieden in Werkzeug- bezie- Im Unterschied zu Elektronik 1 setzt Metall 2 auf die Unter-
hungsweise Spezialisierungsszenario und Automatisie- stützung der Beschäftigten in der Fertigung. Sie sollen durch
rungsszenario.43 Welches Szenario Wirklichkeit wird, ist eine Art Prozess-Monitoring höhere Entscheidungsbefugnisse
technologieunabhängig, wie Experte 4 im Interview betont: in Bezug auf die Fertigungssteuerung bekommen, um so die
„Also die Technologie gibt es selber nicht vor. Die Möglich Durchlaufzeiten zu reduzieren und die Maschinenlaufzeiten
keiten gibt es für beides und es hat halt entsprechende Kon zu erhöhen. Wurde bislang die Auftragsreihenfolge gewisser-
sequenzen.“ Beim Automatisierungsszenario wird davon maßen am Schreibtisch festgelegt und die Werkstatt hatte
ausgegangen, dass die Technik viele Aufgaben übernimmt, nur wenig Einflussmöglichkeiten auf die Feinplanung, soll die
kontrolliert und in Echtzeit entscheidet. Für die Beschäftig- Hauptverantwortung jetzt in der Werkstatt liegen. Dafür
ten bedeutet das Dequalifizierung und Entwertung ihres benötigen die Beschäftigten eine „Information, die für meinen
Erfahrungswissens.44 Beim Werkzeugszenario verbleiben Arbeitsplatz relevant ist, die vollständig ist, die richtig ist, zeit-
die meisten Entscheidungen beim Menschen; die Technik nah zur Verfügung steht, es mir erlaubt, Schlussfolgerungen
assistiert ihm: „Der Facharbeiter wäre hier noch der ‚Lenker zu ziehen, und mein Handeln beeinflusst“ (Abteilungsleiter
und Denker‘ im System.“45 Metall 2).
Im ersten Fall scheinen die direkt betroffenen Beschäftigten Arbeitsplatz“ (Montagebeschäftigter Möbel 2). Verbreiteter
nicht in den Veränderungsprozess einbezogen worden zu sind indes Aussagen wie: „Ich denke mal, die Älteren wollen
sein. Einige wurden zwar qualifiziert, um höherwertige Tätig- ein wenig mehr Abstand davon haben“ (Vorarbeiter Elektro
keiten übernehmen zu können. Andere fühlen sich dagegen 2). Oder wenn ein Produktionsbeschäftigter auf die Frage
dequalifiziert. Dass diese Bewertung offenbar auf die Ver nach grundsätzlichen Aversionen gegen eine neue Software
antwortlichen zurückschlägt, belegt die Unzufriedenheit antwortet: „Bei manchen bestimmt. (…) Aber ich denke auch
derjenigen, die ihren Arbeitsplatz im Unternehmen behalten mal, bei Älteren vor allem“ (Produktionsbeschäftigter Metall
haben, aber mit neuen Aufgaben betraut wurden, die aus 2). Solche und ähnliche Äußerungen kamen sowohl von
Sicht der Beschäftigten eine Verschlechterung darstellen. Führungskräften als auch von Beschäftigten oder aus dem
Betriebsrat, von unterschiedlichen Funktionsträgerinnen
Der zweite Fall ist entgegengesetzt: Die Beschäftigten sollen und -trägern also, die allesamt jünger waren – aber kaum
hier eine Aufwertung ihrer Tätigkeiten erfahren. Das Unter- von älteren Personen.
nehmen verspricht sich Kosteneinsparungen und hofft auf
motivierte Fertigungsbeschäftigte. Wenngleich grundsätzlich Ob es sich um ein reines Vorurteil handelt, dass Ältere beim
eine positive Stimmung dieser Änderung gegenüber in der digitalen Wandel schlechter mitgenommen werden kön-
Belegschaft erkennbar ist, so gibt es gleichzeitig Befürchtun nen, oder doch ein wahrer Kern in diesen Aussagen steckt,
gen, dass die neuen Aufgaben zu einer Überforderung führen kann hier nicht entschieden werden. Auf der einen Seite
könnten: Man muss Verantwortung übernehmen, die man fanden sich Äußerungen, dass ältere Beschäftigte darum
lieber nicht übernehmen möchte. So antwortet ein Abtei- gebeten hätten, einen Arbeitsplatz ohne Digitalisierungs-
lungsleiter auf die Frage, ob er wahrnimmt, dass es Ängste technik erhalten zu können – Äußerungen also, die das
bei den Beschäftigten vor der Verantwortungsübernahme Vorurteil zu bestätigen scheinen:
gibt: „Ich schätze schon, ja“ (Abteilungsleiter Metall 2).
„Also wir hatten schon ein, zwei Fälle da, wo die Mitar-
3.2 Akzeptanzsubjekt – Unsicherheit und beiter auch auf den Herrn [X] oder auf mich zugekommen
offene Fragen sind und halt darum gebeten haben, offensiv, von sich
aus, ob sie nicht in anderen Bereichen eingesetzt werden
„Wobei Untersuchungen auch zeigen, dass Beschäftigte, wenn können, weil sie sich einfach Sorgen machen: ‚Mensch, ich
man sie fragt, sagen: ‚Da sind viele Arbeitsplätze gefährdet.‘ bin den Ansprüchen heute noch, aber vielleicht in zwei
Und dann fragt man nach: ‚Ihr eigener?‘ Und dann sagen sie: Jahren nicht mehr gewachsen.‘ Die gibt es.“
‚Nee, der eigentlich nicht, aber andere‘“ (Experte 3). Auch (Segmentleiter Elektro 2)
wenn nicht bekannt ist, auf welche Studien sich der
befragte Experte konkret bezieht, beschreibt seine Äuße-
rung trefflich die empirischen Ergebnisse der Befragungen Andere Äußerungen lassen darauf schließen, dass Projekt-
in den Unternehmen. Zwar erzählten viele Gesprächspart- verantwortliche in den Unternehmen in ihrer Technik
ner, dass manche Kolleginnen und Kollegen schon Angst euphorie manchmal vergessen, dass es Beschäftigte gibt, die
vor der Veränderung durch Industrie 4.0 hätten, doch im diese nicht unbedingt teilen:
Sample fand sich niemand, der sich selbst von Arbeitsplatz
ängsten betroffen fühlte. Unabhängig davon, wie man die-
ses Verhalten der Interviewpartner nun interpretieren mag, „Unsere Annahme war, jeder Mitarbeiter wird das schon
gibt es einige Eigenschaften von Akzeptanzsubjekten, die es können. Jeder wird da Lust darauf haben und glückselig
eher wahrscheinlich erscheinen lassen, dass Vorbehalte sein, dass er da endlich mal mit einem Laptop rumlaufen
gegen Veränderungen bestehen. Die erste und immer wieder kann oder ein iPad nutzen kann. So einfach ist es nicht.
angeführte ist das Alter der Beschäftigten. Es gibt Mitarbeiter, die sagen: ‚Ich will das nicht‘ (…)
Das ist eine Entwicklung, die hätte ich nicht so vorherse-
hen können. Das ist auch eine Generationenfrage viel-
Alter als Akzeptanzhemmnis? leicht (…).“ (Human Resources Automatisierer 2)
Auf der anderen Seite, und darauf wiesen insbesondere die Verschiedene Qualifikationsniveaus:
befragten Fachkundigen hin, hat das eher skeptische Ver- zwischen Ablehnung und Indifferenz
halten älterer Beschäftigter durchaus einen rationalen, auf
Erfahrungen beruhenden Hintergrund: Qualifikation und Akzeptanz hängen auf zweierlei Weise
zusammen: Zum einen schwingt in der gesellschaftlichen
Diskussion teils unterschwellig mit, dass die Akzeptanz von
„Und das ist für mich ein Grund, warum auch oft ältere Industrie 4.0-Technologien mit dem Qualifikationsniveau
Beschäftigte als Blockierer oder als Rationalisierungsver- der Beschäftigten steige. Zum anderen – und damit zusam-
weigerer dargestellt werden, die halt schon viele Ratio menhängend – wird davon ausgegangen, dass durch den
nalisierungsprozesse mitgemacht haben und gemerkt Einsatz von Industrie 4.0-Technik insbesondere die un-
haben, dass danach schon meistens der Druck gestiegen und angelernten sowie die Routinetätigkeiten wegfallen
ist, meistens wurden die Versprechen nicht erreicht und beziehungsweise diese Beschäftigten weiter dequalifiziert
sind entsprechend frustriert und skeptisch gegenüber werden,47 was wiederum als Erklärung angeführt wird, dass
neuen Veränderungen.“ (Experte 4) insbesondere diese Beschäftigtengruppen eine geringe
Akzeptanz gegenüber technischem Wandel aufweisen.
Ein „Faktor könnte sein, dass man eben einfach zu viele
Säue schon hat durchs Dorf treiben sehen. (…) ‚Naja, ers-
tens: Das wird nicht so heiß gegessen, wie es gekocht „Ich glaube schon, dass es eine Tendenz dazu gibt, dass
wird. Und zweitens: Ob meine Interessen da berücksich- Mitarbeiter, die in einem einfachen Tätigkeitsumfeld sit-
tigt werden, ist ja unsicher.‘“ (Experte 5) zen (…), dass die tendenziell eine größere Aversion entwi-
ckeln, weil sie natürlich sagen: ‚Ich bin heute schon in der
Nische, ich tue das eigentlich nur, weil das heute noch
Aus dieser Perspektive betrachtet spielt für die Akzeptanz nicht vernünftig automatisierungsfähig ist, und jetzt
auch die Geschichte der Veränderungsprozesse in den ein- kommt da irgendwie eine Technologie, die immer günsti-
zelnen Unternehmen eine Rolle. Akzeptanz ist also nicht ger wird, die immer klüger wird‘ und so weiter. Die reali-
nur eine Generationenfrage, wie Human Resources Auto- sieren, dass sie mit ihren Tätigkeiten da überhaupt nicht
matisierer 2 vermutet, sondern betrifft letztlich die gesamte kompetitiv in der Lage sind, dagegen anzustehen.“
Belegschaft. Vereinfacht formuliert: Sind die Erfahrungen (Human Resources Automatisierer 2)
mit Veränderungsprozessen im Unternehmen vorwiegend
negativ, wird die Akzeptanz niedriger sein, sind die Erfah-
rungen hingegen positiv, werden auch neue Veränderungs- Die Plausibilität dieser Einschätzung wird durch weitere
prozesse eher positiv aufgenommen. ähnliche Äußerungen gestützt, teilweise auch aus Unter-
nehmen mit einem hohen Anteil Un- und Angelernter. Ob
Unbestritten ist, dass die Unternehmen angesichts des demo die Akzeptanzprobleme gegenüber Industrie 4.0 bei dieser
grafischen Wandels, älter werdender Belegschaften oder des Beschäftigtengruppe signifikant stärker ausgeprägt sind als
Fachkräftemangels darauf angewiesen sind, sich zu über etwa bei Facharbeitern, lässt sich aufgrund des vorliegen-
legen, wie sie die älteren Beschäftigten einbeziehen können: den, explorativ erhobenen Materials nicht belegen. Gründe
„Ja, die Technik ändert sich schneller, als die Leute älter werden. für eine solche Vermutung, wie sie auch aus dem vorange-
Das heißt also, Sie müssen schon die Mitarbeiter, die jetzt da gangenen Zitat deutlich werden, können sein: Un- und
sind, noch da heranführen“ (Geschäftsführer Elektronik 2). angelernte Beschäftigte besetzen häufig Arbeitsplätze mit
Eine Möglichkeit wäre die Schaffung von alter(n)sgerechten einem hohen Anteil sich wiederholender Tätigkeiten, die
Arbeitsplätzen und entsprechender Benutzerschnittstellen. gemeinhin als gut automatisierbar gelten. Hinzu kommt,
Eine weitere Möglichkeit wäre, dass das Erfahrungswissen dass technische Veränderungen meist neue Anforderungen
der (älteren) Beschäftigten schon bei der Problemdefinition an Qualifikationen und Kompetenzen der Beschäftigten
und der Lösungssuche stärker berücksichtigt wird: Vielleicht stellen. Für Un- und Angelernte sind die Erfahrungen, die
muss die Lösung eines betrieblichen Problems – im sozio- sie während ihrer aktuellen Tätigkeit gesammelt haben,
technischen Sinne – nicht immer unbedingt technischer, von besonderem Wert für ihre betriebliche Stellung und
sondern kann auch organisatorischer Natur sein. ihre Beschäftigungssicherheit. Wird aufgrund technischer
Rationalisierung dieses Erfahrungswissen entwertet, wer- Die beiden ersten Zitate spiegeln eine bei vielen Industrie
den sie Industrie 4.0-Techniken skeptisch gegenüberstehen, 4.0-Verantwortlichen in Industrieunternehmen verbreitete
wie Experte 3 in vielen Betrieben erfahren hat: Vorstellung vom zukünftigen Unternehmen wider: Die
Maschine übernimmt die operativen Tätigkeiten und fällt
die Entscheidungen. Die Menschen in den Unternehmen
„Beschäftigte werden aber auch ein Interesse daran kontrollieren, setzen instand, programmieren und optimie-
haben, das, was sie kennen, also so ihr Kompetenzprofil, ren. Das alles sind Tätigkeiten, für die generell hochquali
das sie daran auch festhalten können, dass das nicht ent- fizierte Beschäftigte rekrutiert werden. Dieses Bild in den
wertet wird und dass sie es nicht aufgeben müssen. Ihre Köpfen der Entscheiderinnen und Entscheider revidiert ein
ganzen Erfahrungen, ihr Wissen, dass würde eher sehr Befragter selbstkritisch:
stark verunsichern. (…) In dem Moment, in dem sie kom-
plett umlernen müssen, eine ganz neue Tätigkeit, wär es
wahrscheinlich auch nicht förderlich für Akzeptanz, weil „Da haben wir zu Beginn schon feststellen können, dass
dann noch was verloren geht, was Beschäftigten, glaube die höherwertigen Tätigkeiten auch nicht auf den Mitar-
ich, auch sehr wichtig ist, nämlich die Identifikation mit beiter übergingen, sondern sofort auf den Einsteller oder
einem Beruf.“ (Experte 3) eben auf die Führungskraft des Bereichs. So haben wir
eigentlich eine Diskrepanz in der Teilhabe an der neuen
Technologie dahingehend, dass Monteure Tätigkeiten ver-
Diese Befürchtung leitet zu der zweiten Lesart des Zusam- lieren, nämlich an den Roboter. Den Roboter eigentlich
menhangs zwischen Qualifikation und Akzeptanz über und als Kollege zwar wahrnehmen, aber dann nicht in der
greift die in der Analyse der Dimension Akzeptanzobjekt Bedienung, sondern der läuft einfach mal. Wenn er steht,
eingeführte Unterscheidung zwischen Werkzeug- und wird dann quasi die nächsthöhere Instanz gerufen. Das
Automatisierungsszenario wieder auf, sprich die Frage: In war schon ein Thema, wo wir jetzt bei den kollaborativen
welche Richtung werden sich die Tätigkeitsinhalte und Robotern immer mehr Verantwortung auch für die Mon-
damit die Qualifikations- und Kompetenzanforderungen teure erzeugen wollen, dass die ihre Tätigkeit aufwerten,
entwickeln? In den untersuchten Unternehmen spiegelt indem sie zumindest Roboter parametrieren können. Sie
sich die Dichotomie der genannten Szenarien wider. müssen den jetzt nicht programmieren und aufsetzen
(…).“ (Human Resources Automatisierer 2)
gebraucht wird.48 Diese neuen Anforderungen bedingen „Pro ist, glaube ich, schon auch das Thema: Ich arbeite
Qualifizierungsmaßnahmen, die in vielen Unternehmen mit Innovationen, ich erleichtere meinen Job, ich verbes-
ein Problem darstellen: So profitieren laut einer Studie ins- sere mich, wir sind als Firma wettbewerbsfähiger usw.
besondere Un- und Angelernte, aber auch Produktionsbe- Das nehme ich auch wahr in einzelnen Projekten, dass
schäftigte kaum von Qualifizierungsmaßnahmen, zudem dort Mitarbeiter sagen, wenn wir das hier nicht tun an
bieten nur rund 50 Prozent aller im Rahmen dieser Studie einem Hochlohnstandort wie Deutschland, dann haben
befragten Betriebe überhaupt Weiterbildung für ihre wir langfristig ein Problem. Wenn wir das verweigern und
Beschäftigten an.49 Zu diesen strukturellen Problemen nicht nutzen wollen, wie erhöhen wir dann Produktivität
kommen teilweise Defizite bei den Fähigkeiten einzelner bei gleichzeitig gleicher Mitarbeiterzahl? Das wird dann
Personen hinzu: schon verstanden. Da bin ich jetzt wieder bei der Unter-
scheidung, dass wenn ich natürlich einen Mitarbeiter
habe, der heute Teile einlegt, dann ist die Frage: ‚Ent
„Es gibt halt Mitarbeiter, die keinen Doppelklick machen wickelt der jetzt so eine Perspektive für ein Pro-Argu-
können. (…) Gibt es ja auch. Und dann führt man halt ein ment?‘ – wahrscheinlich nicht.“
[technisches System] ein, und dann sagt man: ‚Okay‘, man (Human Resources Automatisierer 2)
erklärt, schult, alles, mehrfach, und dann wissen die
nachher nicht, wo die dann klicken müssen, wo die dann
reingehen müssen, gibt es ja auch.“ Auf die scheinbare Widersprüchlichkeit, dass aufgrund der
(Abteilungsleiter Elektro 2) schwierigeren Ausgangssituation insbesondere die Un- und
Angelernten deutlicher ihre Ablehnung gegenüber Indust-
rie 4.0 in den Unternehmen hätten artikulieren müssen, als
Die langjährige Lernabstinenz führt dazu, dass manche sie es in der vorliegenden Studie getan haben, die eine eher
Beschäftigte lernentwöhnt sind, dass es ihnen schwerfällt, indifferenten Haltung zum Ergebnis hatte, wird an späterer
auch einfachen Lerneinheiten zu folgen, die Inhalte zu Stelle noch einzugehen sein.
behalten und anzuwenden.50 Dass daraus Zurückhaltung
resultiert, weil man sich nicht den Anforderungen von
Qualifizierungsmaßnahmen aussetzen möchte, ist zu Besonderes Akzeptanzproblem:
erwarten. Furcht vor Leistungskontrolle
Verschärfend kommt hinzu, dass der betrieblichen Qualifi- Kontrolle ist ein zentrales Thema für die Frage der Akzep-
zierung innerhalb der Projekte eine eher untergeordnete tanz von Industrie 4.0-Technologien. Dabei geht es weniger
Bedeutung zukommt: „Das war eben die Einführung, die um Datenschutz. Videoüberwachung, Schutz der Perso
eben nicht so besonders war. (…) Ich würde sagen, eigentlich nalakte, Passwörter etc. – all das bietet kaum Anlass für
nicht. Weil ich habe Ihnen ja gerade gesagt, das Ding wurde Befürchtungen der Beschäftigten im Hinblick auf Kon
einfach hingestellt: ‚Das und das müsst ihr jetzt machen‘“ trolle. Der Schutz der Daten wird vorrangig als Aufgabe
(Einrichter Elektro 2). Der drohende Verlust des bisherigen des Betriebsrats, sofern vorhanden, gesehen. Wenn über
Erfahrungswissens, Lernentwöhnung sowie eine unzurei- Kontrolle und Industrie 4.0 im Betrieb gesprochen wird,
chende Vorbereitung auf die neue Technik bilden eine geht es (fast) ausschließlich um Leistungskontrolle:
Mischung, die bei Un- und Angelernten eigentlich eine
ablehnende und nicht nur duldende beziehungsweise
indifferente Haltung zur Einführung von Industrie 4.0 „Ja, T. hatte es ja eben gesagt: Es ist komplett gläsern.
erwarten lässt, wie auch Äußerungen aus dem Manage- Wir wissen genau, wie viele Picks an welcher Stelle
ment bestätigen: gemacht werden. Der Mitarbeiter muss sich anmelden
und alles.“ (Betriebsrat Möbel 1)
„Ja, selbstverständlich ist das eine Kontrollfunktion. Ich Arbeiter ringsum eine Akzeptanz für die und die Arbeiten
kann kontrollieren, was jeder fertig gemacht hat.“ (…).“ (Abteilungsleiter Möbel 2)
(Abteilungsleiter Möbel 2)
„(…) wir nutzen es nicht zur Personalüberwachung oder
Ähnliches oder da dementsprechend auch Entlohnung
In keinem der untersuchten Unternehmen hat das Mana oder sowas rauszuziehen, wird bisher noch nicht genutzt,
gement bestritten, dass es mit den diversen eingesetzten ist im Moment auch nicht in Planung, aber kann man
Industrie 4.0-Technologien die Möglichkeit hat, die Leis- definitiv nie ausschließen, wäre vielleicht auch eine sehr
tung der Beschäftigten zu kontrollieren. Insbesondere in faire Sache (…).“ (Segmentleiter Elektro 2)
KMU wird oft betont, dass man derzeit die Möglichkeit der
Leistungskontrolle weder nutze noch plane, sie zu nutzen. „Und die Leute wollen ja eine gewisse Gerechtigkeit
Zudem ändere sich nur das Verfahren: „Im Prinzip ist es haben und die kann ich nicht erzielen aufs Blaue hinaus,
nichts anderes als das, was wir jetzt machen“ (Abteilungs sondern da brauche ich Zahlen, Daten, Fakten.“
leiter Metall 2). Nur dass es zukünftig „direkt im System“ (Inhaber Metall 1)
geschehe und nicht in Papierform ausgewertet werde
(Abteilungsleiter Metall 2). Mit anderen Worten: Auch jetzt
hätte man schon die Möglichkeit, Leistungen zu kontrollie- Im Unterschied zu den hier zitierten Interviewauszügen
ren – wenngleich mit einem höheren Aufwand. aus KMU ist die Frage der Kontrolle in den Großunterneh-
men in der Regel ein Thema zwischen Management und
Gleichzeitig gibt es auch Stimmen aus dem Management, Betriebsräten und meist in Betriebsvereinbarungen geregelt.
die nicht verhehlen, dass die neuen Potenziale in bestimm-
ten Fällen auch genutzt werden sollen. Als erstes wird häu- Kontrolle ist für die Beschäftigten eine ganz zentrale
fig genannt, dass man die Daten zur Nachkalkulation der Befürchtung, die sich negativ auf die Einstellung zu Indus
Aufträge benötigen würde. Gerade in KMU existieren keine trie 4.0 auswirkt. Gerade in den KMU gab es aufgrund des
exakt ermittelten Vorgabezeiten, sie werden auf der Grund- geringeren IT-Einsatzes (etwa keine Betriebsdatenerfas-
lage früherer Aufträge und Erfahrungswerte geschätzt. sung) und der fehlenden Ressourcen für die genaue Ermitt-
Außerdem will man wissen, wo genau sich die Aufträge zu lung von Vorgabenzeiten immer noch gewisse Freiräume,
einem bestimmten Zeitpunkt befinden (Tracking & Tra- die die Beschäftigten nutzen konnten und um die sie jetzt
cing): „Die Daten sind da. Ich sag mal, die Abteilungsleiter, die fürchten. Aber ähnlich wie beim Thema Qualifikation füh-
sind ab und an mal daran interessiert. (…) Es geht eigentlich ren auch diese Befürchtungen nicht dazu, dass die Beschäf-
weniger um den Menschen, was der gemacht hat. Es geht nur tigten offen gegen Industrie 4.0 opponieren, wenngleich
um das Teil. Was ist diesem Teil widerfahren? Das ist die der Unmut hier am stärksten erscheint: „Da steckt ein biss-
Frage, die dahintersteckt“ (Technischer Leiter Möbel 1). chen Sprengstoff drin“ (Inhaber Metall 2).
„(…) Roboter, den haben wir jetzt seit fast zwei Jahren „Ja, und dann eben, die machen jetzt mehr Meter. Früher
dort hinten im Einsatz. Die haben sehr stark wahrgenom- mussten sie sich die Wagen hinterherziehen. Da hast du
men die ganze Halle, alle Produktionshelferinnen (…), es im Rücken gehabt, weil du sie durch die Gänge durch-
aber wirklich die ungelernten, die dort arbeiten, die sich gezogen hast. Immer die Wagen selber gezogen. Das
ja eventuell am meisten bedroht fühlen müssten hiervon, brauchst du ja heute nicht mehr, aber heute musst du
die haben relativ schnell wahrgenommen: ‚Mensch, der dafür ein paar Meter mehr laufen. Was ist jetzt besser?
macht eine Arbeit, die wir eh nicht gemocht haben, die Ich danke mal, das Laufen ist besser als den Wagen
teilweise sogar, also das war eine sehr monotone Arbeit, hinterherzuziehen.“ (Betriebsrat Möbel 1)
die dann auf den Körper ging, die an den Fingern wehge-
tan hat, das ist eine Erleichterung für uns.‘ Aber wie „Was dem Mitarbeiter wichtig ist: Dass er sagt, er wird
gesagt, ich glaube, die Reaktion wäre eine ganz andere, schon mal entlastet, weil es eine ergonomische Arbeits-
wenn die anderen Kollegen mitgekriegt hätten: ‚Ach übri- platzgestaltung gibt. Es werden die Arbeitsplätze kom-
gens diese zwei Leute, die wir jetzt nicht mehr brauchen, plett neu konfiguriert, wir haben Arbeitsplätze, wo das
die brauchen wir aber bei Elektro 2 nicht mehr‘, die wären Tray rüberkommt. Er muss nicht mehr groß was lupfen.“
draußen und das ist halt nicht der Fall.“ (Betriebsleiter Möbel 2)
(Einrichter Elektro 2)
Diese Grundtendenz lässt sich in den meisten untersuchten Betriebliche Veränderungsprozesse verlaufen in der Praxis
Unternehmen beobachten: Unabhängig von betrieblicher selten nach einem einmal gefassten Plan. Es ist immer mit
Funktion, Qualifikation, Geschlecht, Nationalität oder Alter nicht funktionierender Softwarekompatibilität, neuen
werden – trotz anfänglicher Zweifel – neue Technologien Kundenanforderungen oder eben auch Akzeptanzproble-
begrüßt, wenn sie für die Beschäftigten Nutzen stiften und men der Beschäftigten zu rechnen. Mit anderen Worten:
ihre Arbeit erleichtern. Dabei kann der Nutzen sehr unter- Die Aussicht auf Vorteile im täglichen Arbeitsprozess ver-
schiedlicher Natur sein und hängt unter anderem von dem zögert sich in manchen Fällen auf unbestimmte Zeit. Das
konkreten Arbeitsplatz ab: Kommissioniererinnen und kann zu Akzeptanzproblemen bei den Beschäftigten füh-
Kommissionierer oder Montagebeschäftigte werden kör- ren, wie folgende Äußerungen aus den Befragungen wider-
perlich entlastet, andere Beschäftigten bekommen mehr spiegeln.
und bessere Informationen oder Suchaufwände reduzieren
sich.
„(…) also Stand heute, dadurch dass es halt noch instabil
läuft und wir gefühlt nicht immer verfügbar sind, ist es
„Und da hab‘ ich jetzt so die Rückmeldung von den Mit- jetzt natürlich der Punkt, wo man sagt, wo ich merke,
arbeitern bekommen: ‚Ach, das ist super!‘ Und dass man dass, wenn wir das jetzt nicht mal langsam durch die Tür
das jetzt bestellen kann, finden sie ganz toll, wobei sie am kriegen, dass die Akzeptanz tatsächlich geringer wird (…)“
Anfang gesagt haben: ‚Ach, jetzt hier wieder was Neues (Engineering Elektro 2)
und was Anderes und über dieses Ding da bestellen, früher
ging es doch auch ganz gut mit einem Telefonat. Es hat
doch alles soweit funktioniert.‘“
(IT-Verantwortlicher Metall 1)
A K Z E P TA N Z V O N I N D U S T R I E 4 . 0 23
„Und jeder ist auch überzeugt vom Nutzen, den es brin- die nicht funktionierende Technik wieder loszuwerden.
gen kann. Aber es müssen halt alle Daten dahinter auch Das klappte jedoch nicht, da ansonsten das gesamte Indus
sein. Für alle Aufträge, damit man es überwiegend nutzen trie 4.0-Projekt gescheitert wäre. Die zugrundeliegende
kann.“ (Geschäftsführer Elektronik 2) Problematik in den Unternehmen beschreibt Experte 4
anschaulich:
„Und auch die Erfassung von den Betriebsdaten ist noch
umständlich. Ist jetzt nicht so, wie man sich das vielleicht
wünschen würde, dass einer einfach einen Barcode scannt „Dass das System nicht funktioniert, wird oft nicht mitbe-
und dann direkt fertig ist, sondern der muss noch in dieses rücksichtigt, oder dass es dann ein Update braucht oder
System reingehen, dann irgendwo seinen Arbeitsgang dass mal irgendeine Funktion mal nicht erreichbar ist
auswählen, den Barcode scannen, seinen Namen eintragen. usw. Da wird immer gesagt: ‚Ja, das ist aber im Normal-
Was für viele Arbeitsschritte einfach unverhältnismäßig fall nicht der Fall.‘ Aber dass dieser Normalfall nicht
lang ist.“ (Abteilungsleiter Metall 2) immer der Fall ist, das ist ein Problem. Es wird immer
davon ausgegangen: ‚Oh, das ist noch die Beta-Version,
aber bald haben wir das Problem auch gelöst. Dann
Zwar ist vielen Beschäftigten bewusst, dass es Probleme bei funktioniert es vollständig.‘ Das ist immer so eine Argu-
der Einführung neuer Technologien geben kann, sie akzep- mentation, dass ein System im Optimalzustand gedacht
tieren auch Erklärungen wie „Wir sind noch im Serien wird. Aber in der Praxis funktionieren Systeme nicht
anlauf“ (Engineering Elektro 2), aber irgendwann ist der hundertprozentig im Optimalzustand. (…) Und das sind
schmale Grat verlassen und die Akzeptanz der Beschäftig- so Sachen, Störungen, Fehler, die die Mitarbeiter, die
ten sinkt: „Also auf unbestimmte Zeit läuft das nicht“ dann versuchen, produktiv zu arbeiten, auch eigenständig
(Führungskraft Metall 2). zu arbeiten, extrem nerven. Wenn dann bei ihnen die Fehler
auftreten, die irgendwo anders verursacht wurden, aber
Droht diese Gefahr, brechen die Unternehmensverantwort- dann bei ihnen zu Blockaden, den Prozess blockieren und
lichen den Umstellungsprozess durchaus auch ab, insbe- ihre Zeit rauben.“ (Experte 4)
sondere wenn sie selbst einsehen, dass im konkreten Fall
die Digitalisierung zu weit getrieben wurde: „Gerade wenn
man jetzt zum Beispiel ans Reinigen denkt: Ein Reinigungs-
prozess, der ist sehr schnell durchgeführt und die Erfassung Fazit: Beschäftigte zwischen Skepsis und Neugier
dauert fast genauso lang. So dass wir das an der Stelle auch
wieder abgeschafft haben“ (Abteilungsleiter Metall 2). In Der Generalbefund dieser explorativen Studie in Bezug auf
diesem Fallbeispiel fiel der Abbruch den Verantwortlichen die Akzeptanzsubjekte, das heißt die Beschäftigten, lautet,
vergleichsweise leicht, da die Daten aus diesem Fertigungs- dass sie (und letztlich auch die betroffenen Führungskräfte)
abschnitt für das angestrebte Industrie 4.0-Ziel nicht ent- dem Industrie 4.0-Implementierungsprozess verhalten
scheidend waren und der Rückbau außerdem Kosten gegenüberstehen. Direkt wurde von keiner Gesprächspart-
sparte. nerin und keinem Gesprächspartner geäußert, dass sie oder
er selbst um den Arbeitsplatz fürchtet oder andere Besorg-
An diesem Fallbeispiel zeigt sich zudem, dass sich Akzep- nisse hätte. Aber natürlich hatte jede beziehungsweise jeder
tanz im Zeitverlauf verändern kann. Zunächst waren die von anderen gehört, dass sie Ängste hätten oder die Neue-
Beschäftigten indifferent. Nach der Umsetzung lehnten sie rung überflüssig fänden:
die Maßnahme ab, da sie aus ihrer Sicht Zeit kostete und
ihnen keinen erkennbaren Mehrwert brachte. Auch Argu-
mente seitens der Projektverantwortlichen halfen nicht „Es sind Leute, die gleich das Haar in der Suppe suchen,
weiter: „(…) dass wir einfach den Mitarbeitern sagen: ‚Okay, die grundsätzliche Ablehnung haben, aber dann doch
hör mal zu. Natürlich ist das für dich jetzt ein Mehraufwand, nicht gleich die Ablehnung äußern, sondern die Gründe
da noch den Barcode einzuscannen, aber fürs Unternehmen finden wollen, warum sie was ablehnen. (…) die bei jedem
macht es Sinn. Weil andere haben davon einen größeren Nut- neuen Ding sofort sagen: ‚Ist eh nichts, bringt nichts. Wir
zen, als für dich der Mehraufwand einfach ist‘“ (Abteilungs- haben es schon immer so gemacht, warum jetzt plötzlich
leiter Metall 2). Nicht überraschend ist, dass auch Beschäf- anders?‘“ (Geschäftsführer Elektronik 2)
tigte anderer Abteilungen hofften, in diesem Fahrwasser
24 A K Z E P TA N Z V O N I N D U S T R I E 4. 0
Solche und ähnliche Äußerungen finden sich in vielen feld befürchteten. Weder verloren sie ihren Arbeitsplatz,
Interviews. Die Mehrheit der Projektverantwortlichen oder noch verschlechterte sich ihre Arbeit; sie wandelte sich
Geschäftsführungen bringt dieses Verhalten indes nicht vielfach nur, was sich im Regelfall mit entsprechenden
sonderlich aus der Ruhe, da sie solche Erfahrungen wieder- Qualifizierungsmaßnahmen und einer Umgewöhnungszeit
holt bei größeren Veränderungsprozessen gemacht haben. bewältigen ließ. Die Streiks zur Abwehr technisch-organi-
Lediglich das Unternehmen Elektronik 1 agierte präventiv satorischer Rationalisierungsmaßnahmen in den 1970er-
aus Sorge über massive Akzeptanzprobleme und den sich und 1980er-Jahren, etwa in der Druckindustrie, auf den
daraus ergebenden Folgen: Werften oder in der Stahlindustrie,52 sind selbst bei älteren
Beschäftigten kaum mehr im Gedächtnis verankert. Der
Gegensatz von Kapital und Arbeit wich einem stärker
„Das waren aus HR heraus getriebene Themen, weil man kooperativen, sozialpartnerschaftlichen Modell, das seine
eben spürte, dass aus technischer Hinsicht Veränderungen „Regulierungskraft“53 aufgrund der gesetzlichen Regelun-
kommen, über die man eben die Leute informieren wollte gen betrieblicher Mitbestimmung bis heute nicht einge-
und mitnehmen wollte, dass sie damit auch nicht über- büßt hat. Das Co-Management mag als besondere Ausge-
fordert sind. Man erkannte, dass, wenn man das nicht staltung dieses neuen Verhältnisses von Belegschaft,
intensiv kommunikativ begleitet aus HR-Sicht, so eine Betriebsrat und Management gelten, wobei insbesondere
Abwehrhaltung entstehen kann und die Menschen auch die Betriebsräte sich professionalisiert haben.54
Ängste davor generieren und diese Ängste können sich
auch sehr negativ für das Unternehmen auswirken, bis hin In den vielfach betriebsratsfreien KMU existieren andere
zu Krankheitsbildern, die angst- oder stressbedingt auf- Beziehungen zwischen Belegschaft und Inhabern,55 die in
treten können und das wollte man eben frühzeitig und der Regel trotz verschiedener Unternehmertypen, die sich
präventiv vermeiden.“ (Human Resources Elektronik 1) deutlich von denen großer Unternehmen unterscheiden,56
wenig konfliktär sind: So lassen sich einer älteren Studie57
zufolge 45 Prozent der befragten Unternehmen als „aufge-
Angesichts der Arbeitsplatzverluste bei Elektronik 1 über- klärtes Patriarchat“ bezeichnen, die den Dialog mit den
rascht diese Vorsichtsmaßnahme nicht, allerdings bildet Beschäftigten suchen, so dass sich der betriebliche Verän-
das Unternehmen damit eine Ausnahme. Bemerkenswert derungsprozess als „ein politischer Aushandlungsprozess in
ist, dass in allen sonstigen Gesprächen weder helle Begeis- den Betrieben (…), ob man bestimmte Szenarien akzeptiert
terung für noch tiefempfundene Ablehnung gegen Indus oder nicht“ (Experte 4), beschreiben lässt. Das Gegenstück
trie 4.0-Projekte zu spüren waren. Die von Schäffer und zum aufgeklärten Patriarchen auf der Inhaberseite sind die
Keppler51 formulierten Einstellungen „Duldung“ und Beschäftigten, die teilweise einen bestimmten „Aufopfe-
„Indifferenz“ treffen auf die Mehrheit der befragten Beschäf rungswillen für das Unternehmen“ hätten: „Also das gibt es
tigten und Führungskräfte am besten zu – mit teilweise durchaus, dass Mitarbeiter sagen: ‚Ich weiß, dem Unterneh-
leichten Abweichungen in Richtung „Ablehnung“ oder men geht es nicht gut und wir müssen jetzt da leider in den
„Befürwortung“. In den Bereich der Aktionen „Widerstand“ sauren Apfel beißen‘“ (Experte 4).
oder „Unterstützung“ (siehe Abbildung 2) gehen die Einstel-
lungen der befragten Beschäftigten jedoch nicht. Grosso modo changieren die Einstellungen der Beschäftig-
ten zwischen „erstmal offen und neugierig“ (Projektmanage-
Die Gründe dafür sind zusammengefasst: Für die meisten rin Automatisierer 1) bis hin zur Unsicherheit, „Es ist frag-
Beschäftigten ist es nicht die erste größere Veränderungs- lich, inwieweit es funktionieren wird, weil doch ziemlich viel
maßnahme; bei den bisherigen haben sie festgestellt, dass Technik“ (Montagebeschäftigter Möbel 2) im Spiel sei. Ins-
sich für sie meist nicht so viel veränderte, wie sie im Vor- gesamt pendeln sie sich in der Mitte zwischen den positi-
ven und negativen Polen der beiden Dimensionen Bewer- Führungskräfte zählen, steigt und fällt nicht nur der Erfolg
tung und Handlung ein. Die indifferente Haltung der der technisch-organisatorischen Umsetzung einer Indus
betroffenen Beschäftigten kann somit kaum ein wesent trie 4.0-Veränderungsmaßnahme, sondern auch die Akzep-
licher Faktor sein, warum manche Industrie 4.0-Technik- tanz der (betroffenen) Beschäftigten. Eindrücklich belegt
einführungen besser und andere schlechter verlaufen oder dies nicht zuletzt die schier unüberschaubare Ratgeber
sogar scheitern. Die Annahme ist, dass dies in erster Linie literatur zum Change Management.58
von dem Akzeptanzkontext abhängt.
Einführungsprozesse sind immer ein Grund für Auseinan-
dersetzungen zwischen den verschiedenen Akteursgruppen
3.3 Akzeptanzkontext – Partizipation und im Betrieb. Das Management hat aus seiner Sicht die
neue Führungskultur Beschäftigten ausreichend und rechtzeitig informiert (zur
Partizipation siehe unten), während die Beschäftigten sich
Die Untersuchungsergebnisse zu den Dimensionen Akzep- meist unzureichend, zu spät oder gar nicht informiert
tanzobjekt (siehe Kap. 3.1) und -subjekt (siehe Kap. 3.2) fühlen.
lassen keine eindeutigen Rückschlüsse zu, warum die in der
Erhebung vorgefundene verbreitete Einstellung der Beschäf
tigten zu Industrie 4.0-Techniken so indifferent ist. Die Hin- „(…) da haben wir in den ersten zweieinhalb Jahren Rich-
weise lassen sich so interpretieren, dass aus Sicht der tung Kommunikation halbjährlich mit allen Mitarbeitern
Beschäftigten – mit Ausnahme des Unternehmens Elektro- von Operations Veranstaltungen gehabt, die wir auch
nik 1 – die Gefahren durch Industrie 4.0 im jeweiligen Ein- sehr aktiv vorbereitet haben. Und genau solche Themen,
führungszeitrahmen durchaus überschaubar waren: Industrie Strategieausrichtung, was gibt´s für Veränderungen oder
4.0-Technik wurde Schritt für Schritt eingeführt, insbeson sowas, sehr aktiv in der Kommunikation zu sein. Das
dere in den KMU handelte es sich um Techniken, die eher heißt nicht dezentral in ein, zwei Meisterstellen oder so,
frühen Digitalisierungsphasen zuzurechnen sind, so dass sondern wirklich zentral von der O-Führung weg inklu-
Dequalifikationen, verschlechterte Entgelteingruppierungen sive Geschäftsführer.“ (Segmentleiter Elektro 2)
oder Arbeitsplatzverluste – nicht zuletzt vor dem Hinter-
grund einer seit der Überwindung der Finanzkrise von „Das ist ein Allgemeinproblem. Ich spreche jetzt nicht nur
2008/2009 boomenden Wirtschaft – zwar grundsätzlich für mich, ich spreche, glaube ich, für alle, alle Mitarbeiter,
drohten, aber wenig wahrscheinlich waren. Die negativen die wir hier haben. Wenn bei Elektro 2 irgendwie was
Erfahrungen der Beschäftigten resultierten eher aus Mehr- geplant wird und es kommt eine neue Maschine oder es
aufwänden, die auf sie zukamen, teilweise nicht erkennba- wird einfach was Neues geplant: Die letzten, die das mit-
rem Nutzen sowie der ungeklärten Frage der Leistungskon kriegen, das sind die Leute, die damit arbeiten.“
trolle, die zu Vorsicht und Skepsis führten. (Einrichter Elektro 2)
gesehen. Demzufolge professionalisieren insbesondere die tigten betrifft (siehe Kap. 3.2), ist die rechtzeitige Bereitstel-
Großunternehmen diesen Kommunikationsprozess, um lung von Ressourcen für die Einführung: Beispielsweise
Ängste abzubauen und Zustimmung zu sichern, wie diese sollten Informationsveranstaltungen während der Arbeits-
Äußerung aus einem Interview zeigt: zeit stattfinden oder ein vielfach erforderlicher Mehrauf-
wand nicht zu Lasten der Beschäftigten gehen:
Oder das Beispiel einer Äußerung aus einem mittelgroßen Auch hier ist einerseits die fortgesetzte Informierung der
Familienunternehmen: „Über diese ganze Zeit war das ein Beschäftigten über den Stand der Umsetzungsmaßnahme
kontinuierlicher Prozess, dass wir immer wieder die Kollegen zentral, andererseits darf nicht der Eindruck entstehen,
informiert haben, abgeholt haben, was wir denn vorhaben“ dass die Kommunikation nur vorgeschoben ist und zur
(Technischer Leiter Möbel 2). Beruhigung dient: „Jaja, das ist nur ein Legitimitätsdiskurs,
aber faktisch geben wir keine Zeit und Gelder dafür frei“
Trotz der Professionalisierung insbesondere in den Groß- (Experte 5).
unternehmen und der etwas pragmatischeren Herange-
hensweisen in vielen KMU bleiben Einführungsprozesse
schwierig. Ein Problem ist die Wahl des richtigen Zeit- Partizipation: „eines der Kernthemen im Unternehmen“
punkts für die Informierung der Belegschaft. Selbst ein (Betriebsrat, Möbel 1)
Gewerkschaftsvertreter plädiert im Interview dafür, früh,
aber nicht zu früh zu informieren: Die Informierung der Beschäftigten gilt vielfach als Mini-
malanforderung der Beteiligung der Belegschaft und der
betrieblichen Interessenvertretung. Effektiver, so die vor-
„Wobei ich auch nicht unbedingt einen Beteiligungspro- herrschende Meinung, ist jedoch, die Beschäftigten aktiv
zess schon anstoßen würde, wenn etwas in so einer Grob- am Einführungsprozess zu beteiligen und ihr Know-how
planung ist, wo man selber auch noch gar nicht so genau zu nutzen.59
weiß, ob man das in dem Betrieb einführen muss. Es
muss hinreichend konkret sein, dass man etwas hat, was
man den Leuten auch offerieren kann.“ (Experte 3) „Es ist seit zwei Jahren eine Maschine in Planung, die
kommt im Juli, die ist von [Firma XY], die wird hier hinge-
stellt. Und dann kommen die, wenn irgendwelche Prob-
Betrieblicherseits zu konkretisieren, wann der richtige Zeit- leme sind, und fragen uns dann: ‚Was kann man anders
punkt für die Informierung der Belegschaft ist, hängt von machen?‘, wenn die Maschine schon gekauft ist, wenn die
verschiedenen Faktoren ab, beispielsweise von der Qualifi- schon fertig ist. Was sollen wir denn da noch mit unseren
kationsstruktur der Beschäftigten oder von der Unterneh- Ideen? Wissen Sie, worauf ich hinauswill? (…) Eigentlich
menskultur. schon, weil es ist ja unsere Maschine, wo wir nachher mit
betroffen werden, wo wir tagtäglich mit arbeiten.“
Ein weiterer Aspekt, der nicht nur den Einführungsprozess (Einrichter Elektro 2)
selbst, sondern auch die Nutzenerwartungen der Beschäf-
Ähnlich deutliche Klagen über Nichtbeteiligung sind in „Wir haben alles praktisch berücksichtigt, weil, wie
den anderen untersuchten Unternehmen nicht geäußert gesagt, lieber fünf Meinungen und eine ziehen wir raus
worden. Verbreitet war nicht nur die Bereitschaft des und die ziehen wir dann durch bis zu einem gewissen
Managements, die Beschäftigten zu informieren, sondern Punkt. War es eine Fehlentscheidung, probiert man die
auch das Bestreben, die Beschäftigten aktiv miteinzubin- nächste selbstverständlich. Also nicht alles so mit dem
den: „Was wir natürlich machen, wir sprechen mit den Mitar- Hammer durch, sondern tatsächlich guckt, also getestet,
beitern, wir beziehen die auch bei der Lösungsfindung mit ein kontrolliert, war’s die richtige Entscheidung, und wenn
(…), sodass sie selber von Anfang an in diesen Prozessen invol- man gesagt hat: ‚Es war die richtige Entscheidung‘, dann
viert sind“ (Projektmanagerin Automatisierer 1). ging’s weiter (…)“ (Abteilungsleiter Möbel 2)
Betriebsräte bleiben unverzichtbar die Augen gucken können und sagen können, wir machen
hier keine Show, wir wissen schon, was wir tun“ (Produkti
In den Großunternehmen wird der Betriebsrat von den vitätsmanager Elektronik 1). Das schien in dem betrieb
Vertreterinnen und Vertretern des Managements als wich- lichen Veränderungsprozess nicht von Beginn an der Fall
tiger Partner im Industrie 4.0-Einführungsprozess betrach- gewesen zu sein:
tet.60 Informations- und Beteiligungsprozesse machen die
Unternehmen „auch immer wieder mit dem Betriebsrat
gemeinsam. Wir haben ganz, ganz selten eigentlich Aktivitä- „Damit mussten wir uns beschäftigen, weil das einfach
ten durchgeführt, die ausschließlich vom Unternehmen nicht funktioniert hat, wie wir das am Anfang gedacht
kamen“ (Human Resources Automatisierer 2). Im Sinne des haben, dass es funktionieren würde. Das war für jeden
oben erwähnten Co-Managements und der Akzeptanzsi- sichtbar und die Leute waren unzufrieden und der
cherung wird seitens des Managements darauf geachtet, Betriebsrat hat uns das auch zurückgespielt. Das Ganze
dass Management und Betriebsrat gemeinsam agieren: geht überhaupt nur zusammen mit dem Betriebsrat (…)“
„Das bin nie ich alleine, der da vorne steht, das ist nie der (Produktivitätsmanager Elektronik 1)
Betriebsrat alleine, wir machen das eigentlich immer zusam-
men“ (Human Resources Automatisierer 2).
Offenbar gelang es dem Management zunächst nicht, eine
Verhandelt werden zwischen Management und Betriebsrat Veränderung erfolgreich einzuführen. Das war erst in
vorrangig die klassischen Themen Arbeitsplatzsicherheit, Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat möglich.
Entgelt (siehe Kap. 3) und Datenschutz (insbesondere im
Hinblick auf Leistungskontrolle, siehe Kap. 3.2): „Ich weiß Auch wenn im Fall Elektronik 1 der Betriebsrat aufmerk-
nur, dass der Betriebsrat von mehreren Mitarbeitern ange- sam war und seine Mitwirkungsrechte einforderte, verwei-
sprochen wurde, ob man das dann personenbezogen die sen die befragten Fachkundigen mit Recht darauf hin, dass
Daten auswerten kann. Und das wurde von denen sicherge- auch die Rolle des Betriebsrats nicht immer eindeutig ist:
stellt, dass das nicht so ist“ (Vorarbeiter Elektro 2). Fragen „Also meine Erfahrung ist (…), dass manchmal der Betriebsrat
der Gestaltung, etwa Möglichkeiten der Aufwertung von durchaus eine dubiose Rolle spielen kann, also weniger kri-
un- und angelernten Tätigkeiten oder der Qualifizierung, tisch sein kann als die Mitarbeiter zum Beispiel, kann aber
spielen offenbar für die Betriebsräte keine Rolle. Über die auch blockieren an einzelnen Punkten, wie Datenschutz oder
Gründe lassen sich auf Basis der vorliegenden Empirie nur so etwas“ (Experte 4). Dieser Betriebsratstyp ist seit Kotthoff
Vermutungen aufstellen. Zum einen könnte es sein, dass typisiert als „Organ der Geschäftsleitung“61, tauchte aber in
die Betriebsräte ihrem traditionellen Selbstverständnis den untersuchten Unternehmen in dieser Prägnanz nicht
nach, trotz teilweise weiter fortschreitender Taylorisierung auf. Bei aller Vorsicht lassen sich die Betriebsräte in unse-
(etwa bei Möbel 1, Möbel 2) eher quantifizierbare, beschäf- rem Sample den etwas generalisiert in Anlehnung an Kott-
tigungsrelevante Themen, wie Entgelt oder Arbeitszeit, in hoff als „vertretungswirksam“ bezeichneten Betriebsrats
den Fokus stellen als qualitative Aspekte wie Aufgaben typen zuordnen.
anreicherung oder Jobrotation. Zum anderen sind die
Standort- und damit verbunden die Wettbewerbsfähigkeit Auf einen anderen Aspekt der Partizipation, der mit dem
und Beschäftigungssicherung angesichts von Globalisie- Thema Betriebsratstypen zusammenhängt, weist ein weite-
rung und Outsourcing als Handlungsmaxime übermächtig rer Experte hin, indem er überlegt, ob nicht bei Industrie
geworden. Außerdem sind in einigen Fällen die konkreten 4.0-Technologien andere Kooperationsweisen beziehungs-
Industrie 4.0-Techniken eher unspektakulär, so dass die weise Konfliktformen zwischen den betrieblichen Akteu-
Betriebsräte keinen Anlass sehen, ihre bewährte Vorge- ren erforderlich werden:
hensweise zu überdenken.
„Dass man aber auch, glaube ich, eine gute Arbeitsweise Einflussreiche Rolle der Führungskräfte
zwischen Management und Betriebsrat schafft. Ich
glaube, so das klassische Modell: Das Management erar- Die Führungskräfte sind die Vermittler beziehungsweise
beitet ein Konzept, das kommt dann in die Gremien, beim Knotenpunkte zwischen dem oberen Management, der
Betriebsrat wird da gewälzt und nach einem Jahr gibt es Industrie 4.0-Projektgruppe und den Beschäftigten, inso-
dann eine Betriebsratsposition und handelt eine Betriebs- fern spielen sie eine zentrale Rolle für die Frage der Akzep-
vereinbarung aus, das stößt natürlich an Grenzen. Weil tanz bei den Beschäftigten. „Von oben“ werden sie, wenn es
relativ häufig experimentiert werden muss, um da wirk- gut läuft, informiert und müssen die Informationen „nach
lich gute Prozesse zu schaffen, wo man sagt: ‚Okay, wir unten“ weitertragen. Für die Beschäftigten sind die Füh-
probieren was aus, aber Betriebsrat und Management rungskräfte die ersten Ansprechpartner bei betrieblichen
sind beide von Anfang an Hand in Hand dabei.‘ Die Veränderungsmaßnahmen: Entscheidend ist,
Betriebsräte sind dabei, so dass man beim Betriebsrat das
Vertrauen schafft: ‚Okay, ihr könnt permanent das beglei-
ten und ihr könnt auch am Ende nochmal sagen, wenn es „(…) wie sich die Entscheider, also die betrieblichen Füh-
dann doch nicht klappt. Dass ihr euch erstmal darauf rungskräfte, zu den Maßnahmen und den Technologien,
einlasst, bedeutet schon nicht, dass ihr das abgesegnet die eingeführt werden sollen, stellen. Also die können,
habt.‘ Also so ein gegenseitiges Vertrauen, dass man von glaube ich, Akzeptanz sehr begünstigen durch ihr Verhal-
Anfang an so die ganzen Prozesse bearbeitet und dieses ten – oder eben genau das Gegenteil bewirken. Also das
Trial and Error gemeinsam begleitet. Das ist, glaube ich, ist meine Überzeugung. Aber ist eher eine Binsenweisheit,
ein gutes Modell, benötigt aber von beiden Seiten, glaube ich.“ (Experte 2)
Management wie Betriebsrat, eine Änderung der Arbeits-
weise.“ (Experte 5)
Dem Experten ist insofern zuzustimmen, als dass in den
Interviews deutlich wurde, dass diese Einschätzung allge-
Empirisch lässt sich aus den vorliegenden Ergebnissen kein mein geteilt wurde: „Wenn Sie als Führungskraft nicht über-
Hinweis auf Umsetzung dieses Vorschlags finden, aber er zeugt sind von dem Thema, dann werden die Mitarbeiter
weist angesichts der Schwierigkeiten der Unternehmen, die mitnichten sagen: ‚Hurra, das setzten wir um!‘“ (Human
Digitalisierung in den Griff zu bekommen, tatsächlich auf Resources Automatisierer 2). Die Führungskräfte müssten
ein ernstzunehmendes Problem hin: Taugen die bewährten ihren Beschäftigten deutlich machen: „Ich möchte das“
Verfahrensweisen noch, angesichts der Unsicherheiten, (Human Resources Automatisierer 2). Sollten die Führungs-
Neujustierungen und Iterationsschleifen bei der Digitalisie- kräfte diese Auffassung überzeugend vertreten, würden die
rung der Prozesse in den Unternehmen? Engineering Elek- Zweifler und Skeptiker unter den Beschäftigten auch zu
tro 2 beschreibt den typischen Einführungsprozess neuer überzeugen sein.
Systeme anschaulich: „Wir sind im Serienanlauf, es dauert
alles länger als gedacht, die Komplexität ist höher als gedacht In den untersuchten Unternehmen waren die Führungs-
und wenn wir alles an die Serie übergeben haben, dann kön- kräfte von den Industrie 4.0-Maßnahmen überzeugt,
nen wir uns gerne zwei Monate später darüber unterhalten, gleichwohl zeigen die Ergebnisse auch Probleme auf: Zum
ob das System in Ordnung ist oder ob das System Scheiße ist.“ einen betrifft das die Auswahl der Führungskräfte, die
Müssten für die Einführung von Industrie 4.0-Technologien häufig vorrangig nach fachlichen Gesichtspunkten auf Vor-
nicht – im Unterschied zu Investitionen in klassische, gesetztenpositionen rücken und weniger aufgrund ihrer
arbeitsplatzbezogene Automatisierungstechnik – tatsäch- Personalführungsqualitäten: „Ich glaube, bei den meisten ist
lich neue Verfahrenswege entwickelt werden? Das von auch nicht das Verständnis dafür da, dass es relevant wäre“
Experte 5 angesprochene Vertrauen wäre dafür sicherlich (Führungskraft Metall 2). Hinzu kommt, dass die Führungs-
eine notwendige Vorbedingung. Fraglich ist indes, inwie- kräfte – insbesondere in den KMU – nicht auf ihre neue
weit die Betriebsräte nicht Lenins Devise anhängen, dass Funktion vorbereitet werden, sondern stattdessen auf Lear-
Vertrauen gut, Kontrolle aber besser sei. Aber auch hierfür ning-by-Doing oder den gesunden Menschenverstand ver-
gäbe es zumindest Hilfsmittel beispielsweise Rahmenbe- traut wird. Zum anderen sind die Führungskräfte Unsicher-
triebsvereinbarungen, die in angepasster Form genutzt heiten und Belastungen ausgesetzt: Zunächst ist nicht
werden könnten.62 selbstverständlich, dass sie „einschätzen können: ‚Was
kommt jetzt Neues? Was passiert da mit meinem Bereich?‘“ gien. Das von Experte 5 bei betrieblichen Beteiligungspro-
(Experte 5), so dass auch bei Führungskräften Ängste oder zessen eingeforderte Vertrauen zwischen den betrieblichen
Unsicherheiten entstehen können. Eine Unsicherheit ist Akteuren, um den Spezifika des Veränderungsprozesses
die Herausforderung, die Beschäftigten zu überzeugen: gerecht zu werden, schlägt sich in der Unternehmenskultur
und in besonderer Weise in der Metapher der „Familie“
nieder. Die Unternehmenskultur ist insbesondere in den
„Und [die Führungskräfte] werden sagen: ‚Von meinen elf betriebsratslosen Unternehmen relevant, da die Beschäftig-
Leuten kommen sechs Leute mit dem iPad überhaupt ten hier nicht auf die gesetzlich verankerte betriebliche
nicht klar. Ich bin frustriert. Ich kriege alles ab.‘ So, dann Interessenvertretung vertrauen können. Der Prozess des
ist es meine Aufgabe, die Person dann wieder zu überzeu- Aushandelns von Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
gen, dass es eben ein längerer Prozess ist. Wenn das dann muss somit auf andere Mechanismen als das Betriebsver-
wirklich läuft, dass es eine unheimliche Erleichterung ist.“ fassungsgesetz (BetrVG) zurückgreifen.
(Produktionsleiter Metall 1)
Unternehmenskultur hat in den 1980er- und 1990er-Jahren
„einen hohen Aufmerksamkeitswert erhalten“63 und kann
Ähnlich wie bei den Beschäftigten müssen auch die Füh- ungeachtet der „populärwissenschaftlichen Mode“64 als ein
rungskräfte diese Aufgaben on top erledigen, obwohl „die Aspekt zur Erklärung von Unternehmensverhalten dienen.
Vorgesetzten der mittleren Ebene durch ihre Zielsysteme da Dierkes fasst in seinem Überblicksaufsatz Unternehmens-
gar keine Zeit dafür freispielen können“ (Experte 5). Ein kultur als „die gemeinsamen Wahrnehmungen, Weltsichten,
weiteres Problem betrifft die Karriereaussichten bei Miss- Symbole, Denk- und Verhaltensweisen, die die Menschen
erfolgen: „Okay, und wenn ich scheitere, wenn ich zeige, dass in einem Unternehmen in ihrem auf dieses bezogene Den-
ich da gar nichts mit den neuen Sachen anfangen kann, was ken und Handeln prägen“65. Das daraus gebildete Muster
passiert dann mit meiner Karriere?“ (Experte 5). von Grundannahmen gilt aus Sicht der Unternehmens
mitglieder als erfolgreich und wird beispielsweise neu
Die Aussagen der Fachkundigen und der Interviewten zeigen, rekrutierten Beschäftigten vermittelt. In Großunternehmen
dass die Bedeutung der Führung für die Akzeptanz einerseits können dies etwa „Kommunikations- und Abstimmungs
eine „Binsenweisheit“ (Experte 2) ist, andererseits ist diese Auf- prozesse, unternehmensweit aufgelegte Rationalisierungs-
gabe für die Führungskräfte selbst alles andere als einfach: programme sowie gewandelte Prinzipien der Personal-
Gerade in KMU werden sie vielfach allein gelassen und müs- politik“66 sein. In KMU dominiert der Begriff des „Familien-
sen sich neben ihren täglichen Aufgaben mit der Industrie unternehmens“, wobei nicht nur die Eigentumsverhältnisse
4.0-Einführung auseinandersetzen. Das kann zu Überforde- gemeint sind, sondern auch das Zusammengehörigkeitsge-
rungen führen, insbesondere wenn die Führungskräfte unter fühl, das dem der Familie als Keimzelle der Gesellschaft
Umständen selbst zweifelnd sind: „Das Digitale, ich bin ein entspricht.67 In diesem Sinne wurde auch in den Interviews
Fan davon, aber in der Praxis klappt das nicht so, würde ich immer wieder auf diese Metapher zurückgegriffen.
sagen. Warum auch immer. (…) Wir haben es auch nie so konse-
quent umgesetzt, dass wir wirklich zu Ergebnissen gekommen
sind“ (Abteilungsleiter Automatisierer 2). „Man muss bedenken, wir sind ein familiengeführtes
Unternehmen und Zuversicht, Sicherheit und auch
Zusammengehörigkeit wird ganz großgeschrieben.“
Unternehmenskultur: „Wir sind ein Familienbetrieb“ (Projektmanagerin Automatisierer 1)
(Abteilungsleiter Möbel 2)
In zweierlei Hinsicht müssen Unternehmen jedoch mit Zum anderen wollen die Beschäftigten informiert werden;
Akzeptanzproblemen der Beschäftigten rechnen: Zum hier ist auf jeden Fall immer noch Nachholbedarf festzu-
einen, wenn sie keinen Nutzen für sich erkennen. Funktio- stellen. Auch wenn alle Unternehmen sich auf die Fahnen
niert die jeweilige Industrie 4.0-Umsetzung nicht oder ver- geschrieben haben, die Beschäftigten und den Betriebsrat
zögert sich und sind die Beschäftigten über längere Zeit frühzeitig zu informieren, gab es kritische Stimmen:
mit aus ihrer Sicht unnötiger Mehrarbeit belastet, sinkt die „Das Projekt ist ja nie so richtig vorgestellt worden hier in
Akzeptanz. Diese Situation verschärft sich, wenn sie zudem [Standortname]“ (Abteilungsleiter Elektro 2).
neue Aufgaben übernehmen müssen, deren Sinnhaftigkeit
sich für sie nicht erschließt:
33
Mit der Einführung von Industrie 4.0-Lösungen eng ver- „‚Das passt mir nicht‘, ‚Ich war daran nicht beteiligt‘, ‚Es stiftet
bunden ist die Frage, wie sie in den Unternehmen akzep- mir keinen Nutzen‘, ‚Ich verstehe den Kontext nicht‘ und ‚Ich
tiert werden und wie diese Akzeptanz möglichst dauerhaft bin nicht involviert‘“ (Human Resources Automatisierer 2).
gesichert werden kann. Verbreitet herrscht Konsens darüber,
dass nur über eine breite Akzeptanz dieser Lösungen ihre
nachhaltige Umsetzung und Anwendung erreicht werden 4.1 Akzeptanzobjekt: anwenderorientierte
kann. Offen ist dabei jedoch, welche Bedingungen zur Her- Gestaltung
stellung und Sicherung von Akzeptanz bei der Einführung
von Industrie 4.0-Lösungen zu beachten sind. Hierzu sollen Die Gestaltung einer Industrie 4.0-Lösung ist vielfach vor
im Folgenden mögliche Antworten und Handlungsem allem technikgetrieben. Dabei werden oft technisch mach-
pfehlungen gegeben werden. bare Lösungen bevorzugt, die die eigentlichen Anwender
auf der operativen Ebene weniger im Blick haben. So wer-
Faktoren, die die Entstehung von Akzeptanz beeinflussen, den anwenderorientierte Gestaltungen oft ausgeblendet,
sind in der Akzeptanzforschung von besonderem Inter- was zu Skepsis oder gar Ablehnung der Lösung führen
esse,69 da sich über diese Akzeptanzfaktoren Einfluss auf kann. Vor diesem Hintergrund sind folgende Handlungs-
die unterschiedlichen Dimensionen der Akzeptanz (Sub- empfehlungen sinnvoll:
jekt, Objekt und Kontext) nehmen lässt.70 Im betrieblichen
Kontext können, so die einschlägige Ratgeberliteratur,
Akzeptanzhindernisse gezielt vermieden werden bezie- Anwenderorientierte Gestaltung der Mensch-
hungsweise Akzeptanztreiber unterstützt werden. Dabei ist Maschine-Schnittstelle: „(…) aber lasst uns das doch mal
jedoch grundsätzlich davon auszugehen, dass Akzeptanz gemeinsam ausprobieren.“ (Experte 3)
kein unveränderlicher Zustand ist, sondern als „instabiles
Konstrukt“71 immer wieder neu ausgehandelt werden Eine am Anwender ausgerichtete Auslegung von Schnitt-
muss. stellen wird von den interviewten Beschäftigten und Fach-
leuten als zentrales Moment angesehen. Dabei sind die
Der Managementaufgabe, für ein Akzeptanzobjekt bei den Erfahrungen und Kenntnisse der Beschäftigten bereits im
betroffenen Beschäftigten Zustimmung herbeizuführen, Planungsprozess zu berücksichtigen und nicht erst nach
haftet implizit vielfach etwas Negatives an, als sollen mit- Auslegung und Inbetriebnahme der neuen Technologie.
tels „Manipulation der Belegschaften durch Scheinpartizi- Die Anwenderorientierung muss bereits vor der eigentli-
pation (Befriedungsstrategie)“72 diese „ruhiggestellt“ wer- chen Nutzung beziehungsweise der Anwendung in einer
den. Gefordert wird demgegenüber insbesondere von Testumgebung (Ausprobieren der neuen Lösung) passieren,
Gewerkschaftsseite eine „echte“ Beteiligung der Beschäftig- um so Anlaufschwierigkeiten minimieren zu können: „Und
ten: Management und Beschäftigte sollen sozialpartner- ich glaube, dass dann die Bereitschaft, das zumindest zu pro-
schaftlich den betrieblichen Veränderungsprozess gestalten, bieren und mal darauf einzulassen, groß ist“ (Geschäftsfüh-
um so die Chancen zu erhöhen, gute Arbeit als Ergebnis zu rer Elektronik 2).
erzielen. An dieser Vorstellung orientieren sich die nachfol-
genden Hinweise, mit welchen Methoden es Unternehmen
schaffen können, eine möglichst hohe Akzeptanz der Beleg
schaften für geplanten Maßnahmen zu erreichen. Die
Handlungsempfehlungen werden entlang der Akzeptanz
dimensionen formuliert und sollen helfen, auf Aussagen,
wie die folgenden reagieren zu können, die die Herausfor-
derungen, Akzeptanz zu erreichen auf den Punkt bringen:
Umgang mit der Kontrollproblematik Dieses Zitat des Beschäftigten illustriert, wie es häufig in
den Unternehmen läuft: Eine Planung des Einführungs
Ein grundlegendes Problem bei der Einführung von Indus- prozesses ist selten zu erkennen, langfristig ist sie meist
trie 4.0-Systemen ist der Umgang mit den fast zwangsläufig auch nicht, sondern eher „ad hoc“ (Projektmanagerin
generierten Daten. Diese Datensammlungen werden Automatisierer 1). Eine unzureichende Planung führt nicht
zunehmend von den Beschäftigten und Betriebsräten mit selten zu der oben beschriebenen Problematik, dass die
Skepsis gesehen. Befürchtet wird, dass mit den Daten Leis- Einführungsprozesse vielfach aufgrund komplexer Verän-
tungskontrollen durchgeführt werden können. In Betrie- derungen länger dauern als geplant war. Daher ist auf ver-
ben mit Betriebsrat greift das BetrVG. Nach § 87 BetrVG hat schiedene Aspekte zu achten: Zunächst ist eine konsistente
der Betriebsrat bei der „Einführung und Anwendung von Strategie unumgänglich, die klar definierte Ziele vorgibt
technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das und den Nutzen für die Beschäftigte deutlich werden lässt.
Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu über Sodann ist die Belegschaft nicht mit zu kurzen Einfüh-
wachen“ ein Mitbestimmungsrecht. Transparenz und der rungszeiträumen und/oder mehreren Einführungsprozessen
eindeutige Umgang mit den Daten können zu einer breite- gleichzeitig zu überfordern. Eine Folge derartiger Einfüh-
ren Akzeptanz bei den Beschäftigten führen, insbesondere rungsprozesse ist oft die zunehmende Unglaubwürdigkeit
wenn sie nicht zur Leistungskontrolle ausgewertet werden. der Strategie hinter den Veränderungsprozessen und eine
Schwieriger wird es naturgemäß in KMU ohne betriebliche daraus resultierende zunehmende Skepsis innerhalb der
Interessenvertretungen. Hier sollte das Management klare Belegschaft. Ein weiterer Bestandteil eines geplanten Ein-
Regeln aufstellen und definieren, ob und wenn ja, welche führungsprozesses muss die kontinuierliche und früh
Daten erhoben werden, wie sie ausgewertet werden und zeitige Einbindung der Belegschaft und des Betriebsrats
wozu das dient. Umfassender ist die Lösung der Kontroll- sein.
frage über „Privacy by Design“73, einem Standard, der den
Datenschutz bereits im Entwicklungsstadium technisch in
die Industrie 4.0-Lösung integriert. Information und Kommunikation: „Hemmnisse
oft da sind, wo keine Informationen vorliegen“
(Projektmanagerin Automatisierer 1)
„[Wir] haben dann auch eine Kommunikationskampagne übergangen fühlen könnten, ist es ratsam, die Kommuni-
dazu geführt, also nicht nur in dem Bereich, wo das Thema kation über die Zielsetzungen und die möglichen sozialen
umgesetzt worden ist, sondern auch über die Bereiche hin- Konsequenzen der geplanten Technologieeinführung mög-
weg“ (Human Resources Automatisierer 2). Dabei ist darauf lichst breit zu führen und auch nicht direkt betroffene
zu achten, dass bei möglichen Iterationsschleifen in der Gruppen einzubeziehen. Eine wichtige Belegschaftsgruppe
Umsetzung vor allem eine kontinuierliche und transpa- ist dabei die der unteren Vorgesetzten, da sich ihre Füh-
rente Kommunikation erfolgen sollte, die es allen Beteilig- rungsrolle durch Industrie 4.0-Lösungen besonders stark
ten erlaubt, den jeweiligen Stand der Umsetzung zu erfas- verändern kann. Da sie als wichtige Impulsgeber im
sen, aber auch offene Fragen formulieren zu können: „Und betrieblichen Kontext anzusehen sind, ist ihnen besondere
wenn man dieses Nichtwissen durch Wissen aufbereitet oder Aufmerksamkeit zu widmen. Sodann ist bei Veränderungs-
auch näher bringt, hilft das enorm. Und da haben wir in der prozessen der Betriebsrat als wichtiges Gremium einzube-
Regel die besten Erfahrungen mit gemacht“ (Projektmanage- ziehen. Er verfügt aufgrund seiner Mitbestimmungsrechte
rin Automatisierer 1). über vielfältige Möglichkeiten, den Einführungs- und
Umsetzungsprozess zu beeinflussen. Gleichzeitig ist er in
der Lage, große Teile der Beschäftigten zu mobilisieren und
Partizipation: „Beteiligung. Tatsächlich Beteiligung“ kann auf ein akzeptanzförderliches Klima hinwirken. Ein
(Betriebsrat Elektro 1) verbindlicher Gestaltungsrahmen für Technik und Arbeit,
der in einer Betriebsvereinbarung zwischen Management
Die fortlaufende Information und Kommunikation über und Betriebsrat festgehalten wird, schafft eine wichtige
geplante Industrie 4.0-Technologien sollte durch eine enge Voraussetzung für ein solches Klima.
Beteiligung der Beschäftigten und des Betriebsrats unter-
mauert werden. So können über die frühzeitige Beteiligung
der Beschäftigten beispielsweise Gestaltungen der Mensch- Unternehmenskultur
Maschine-Schnittstelle oder von Aufgabenzuschnitten
bereits in der Planungsphase so ausgelegt werden, dass sich Zusammenfassend lässt sich für den Akzeptanzkontext
diese im Regelbetrieb nahtlos in bisherige Anwendungen festhalten, dass auf lange Sicht Unternehmen gut beraten
einfügen. So werden die Erfahrungen und das Anwender- sind, eine Innovations- und Beteiligungskultur zu etablie-
wissen der Beschäftigten bereits früh aufgenommen und in ren. Nur wenn Industrie 4.0-Lösungen im sozialpartner-
die Auslegung integriert. Weiterhin kann über einen fehler- schaftlichen, partizipativen Dialog zwischen Management
toleranten Umgang und eine fortlaufende Anpassung der und Belegschaft gestaltet und umgesetzt werden, lassen
neuen Technologie im laufenden Betrieb auf mögliche sich nachhaltige betriebliche Win-win-Situationen herstel-
Schwachstellen reagiert werden. Gelingen kann dies zum len. Dafür sind verschiedene Faktoren74 erfolgsrelevant:
Beispiel über die Möglichkeit, neue Technologien und
Anwendungen auszuprobieren und die Erfahrungen dar- zzAnerkennen innovativer Leistungen der Beschäftigten
aus zurückzumelden, die dann für eine ständige Nachjus- zzverbindliche Regeln
tierung der neuen Industrie 4.0-Technik genutzt werden zzdefinierte Ziele
sollten. zzPartizipation bei Entscheidungen und Zugang zu rele-
vanten Informationen
Das setzt voraus, dass die Planung einer Industrie 4.0-Lösung zzentsprechend ausgebildete Führungskräfte, die partner-
auf sämtliche mittelbar und unmittelbar betroffenen schaftlich agieren, für die Qualifizierung ihrer Beschäf-
Belegschaftsgruppen ausgerichtet sein sollte. Um Situa tigten sorgen etc.
tionen zu vermeiden, in denen sich einzelne Abteilungen zzausgeprägte Fehlerkultur
5 Ausblick
Die hier vorgelegten Ergebnisse des Forschungsprojekts methodisch und zeitlich begrenzten Rahmens der Studie
sind keineswegs abschließend zu verstehen. Dies beruht vor zunächst als begründete Arbeitshypothesen zu verstehen,
allem auf der methodischen Begrenztheit der Untersuchung, die in weitergehenden systematischen Untersuchungen
die als explorative Studie zunächst das Themenfeld grob überprüft werden sollten. Solche weitergehenden Studien
erschließen sollte. So kann die Studie nur ein erstes Schlag- sind allein schon aus zwei Gründen sinnvoll:
licht auf die Herstellung und Sicherung von Akzeptanz
bei der Einführung von Industrie 4.0 werfen und daraus zzZum einen konnte der Einfluss von unterschiedlichen
Handlungsempfehlungen für eine akzeptanzorientierte Industrie 4.0-Anwendungssituationen auf die Herstel-
Einführung neuer digitaler Technologien auf der opera lung und Sicherung von Akzeptanz nicht systematisch
tiven Ebene von Produktionsunternehmen geben. bearbeitet werden. Es ist zu vermuten, dass unterschied-
liche Industrie 4.0-Lösungen mit jeweils verschiedenen
Trotz der begrenzten methodischen Basis machen die sozialen Effekten zu ebenso unterschiedlichen Akzep-
Ergebnisse zweierlei deutlich: tanzsituationen führen. Zudem kann angenommen wer-
den, dass unterschiedliche Betriebsstrukturen, vor allem
zzMit dem Thema Digitalisierung und der Einführung von unterschiedliche Qualifikations- und Kompetenzniveaus
Industrie 4.0 sind in den Unternehmen weithin indiffe- der operativ Beschäftigten, zu teilweise deutlich unter-
rente bis skeptische Grundhaltungen verbunden. schiedlichen Herausforderungen führen. Sinnvoll wäre
hier die Entwicklung einer Klassifikation unterschied
zzZugleich ist auch Neugierde auf die neuen Technologien, licher betrieblicher Situationen mit je verschiedenen
oftmals gepaart mit der Bereitschaft, sich damit ausein- Konsequenzen für Partizipations- und Einführungspro-
anderzusetzen, unübersehbar. zesse.
Skepsis bedeutet keineswegs nur Ablehnung oder führt gar zzZum anderen bleiben die Effekte der schnellen techno-
in einen irgendwie gearteten Widerstand gegen die Einfüh- logischen Entwicklung in vielerlei Hinsicht offen. So
rung der neuen Technologien. Wenn die Beschäftigten der konnte im Rahmen der vorliegenden Studie nicht end-
Überzeugung sind, dass Industrie 4.0 sowohl dem Unter- gültig geklärt werden, ob Akzeptanz unter den besonde-
nehmen insgesamt als ihnen selbst bei der Arbeit einen ren Bedingungen von Industrie 4.0 im Vergleich zu
spürbaren Nutzen bringt, weicht die Skepsis. Diese Situa- früheren Situationen des technologischen Wandels eine
tion lässt sich in den meisten untersuchten Unternehmen grundlegend neue Herausforderung darstellt oder ob
beobachten: Trotz anfänglicher Zweifel werden neue Tech- dies nicht der Fall ist. Die empirische Basis der Studie
nologien begrüßt, wenn sie für die Beschäftigten Nutzen lässt darüber keine Rückschlüsse zu, da teilweise ältere,
stiften und ihre Arbeit erleichtern. Dabei kann der Nutzen als „Industrie 3.0“ zu bezeichnende Lösungen als „Indus-
sehr unterschiedlicher Natur sein und hängt unter ande- trie 4.0“ beschrieben werden. Hier eröffnet die Studie
rem von dem konkreten Arbeitsplatz ab: Kommissioniere- aber das Feld für weitere Untersuchungen, die der Frage
rinnen und Kommissionierer oder Montagebeschäftigte nachgehen, ob die Herausforderung Akzeptanz im Umfeld
werden körperlich entlastet, andere Beschäftigte bekom- von „echter“ Industrie 4.0 im Vergleich zu früheren
men mehr und bessere Informationen oder Suchaufwände Situationen eine neue Qualität gewinnt. Diese Frage
und Stress reduzieren sich. Und genau hier muss in Einfüh- stellt sich insbesondere auch im Hinblick auf zukünftige
rungsprozessen angesetzt werden, um Widerstände zu ver- dynamische Entwicklungstrends wie den Einsatz KI-
meiden, das Interesse der Beschäftigten zu wecken und ihr basierter autonomer Systeme.
Erfahrungswissen für einen optimalen technisch-organisa-
torischen Wandel zu nutzen. Die vordringliche Aufgabe ist Festzuhalten bleibt, dass der Akzeptanzbegriff im Rahmen
daher, die Beschäftigten in einen transparenten, informati- von Industrie 4.0 und der Entwicklung und zukünftigen
ven und überzeugenden betrieblichen Change-Prozess ein- Anwendung von KI-basierten Systemen einer weiteren
zubinden. Dass dabei vor allem ein neues partizipationsori- Präzisierung unterzogen werden muss. In der populären
entiertes Führungsverständnis von den Führungskräften Debatte erweist er sich als diskussionswürdig und defizitär,
gefordert ist, machen die Forschungsergebnisse hinrei- da den Beschäftigten allzu oft die Rolle der zu überzeugen-
chend deutlich. den Objekte zugewiesen wird. Wie aber gerade auch die
Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen, sollten die
Freilich sind die hier vorgelegten Forschungsergebnisse Beschäftigten als aktive und kompetente Subjekte in Inno-
zum Thema Akzeptanz von Industrie 4.0 auf Grund des vationsprozesse einbezogen werden.
38
Literatur