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Von der Empirie zur Theorie und zurück - Der Matrix-Ansatz als Baustein
einer kulturpsychologischen Ritualforschung
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Henrik Jungaberle
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Henrik Jungaberle
1 Schiepeck (1994) Dynamische Systeme, drs. (1999) Die Grundlage der systemischen Therapie.
2 Ebd., S. 38f.
3 Willke (1983) in: Schweitzer (2003) Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung.
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Wie aber lässt sich ein Überblick über das Ganze von Ritualprozessen ge-
winnen, wie lässt sich ein bestimmtes Ritualgeschehen empirisch gliedern und
dimensional aufschlüsseln?8 Welche Dimensionen sind relevant? Wofür? Die-
se Fragen werden im Fortgang weniger beantwortet als gestellt. Der Vor-
schlag lautet, eine Sammlung und Strukturierung relevanter Dimensionen me-
thodisch über eine Matrix zu verwirklichen.
Die vorgestellte dimensionale Matrix ist nicht an fachdisziplinäre Sicht-
weisen oder Methoden gebunden. Viele der nachfolgend genannten Dimensi-
onen lassen sich sowohl mit den Mitteln der Quellenanalyse als auch durch
die Produktion empirischer Daten mittels Beobachtung oder Erfragung unter-
suchen.
Eine dimensionale Analyse soll dazu dienen, die entscheidenden Aspekte
eines Forschungsbereiches aufzufinden und zu benennen. Gliederung und
Synthese sind dabei dialektisch zu verstehen. Der Begriff Matrix stammt aus
dem Lateinischen (Gebärmutter) und wird umgangssprachlich im Sinne von
Grundgerüst oder -substanz verwendet. Hier interessieren Matrices jedoch vor
allem als wissenschaftliche Methode, die eine mehrdimensionale Zusammen-
stellung von zusammengehörigen Merkmalen meint.
9 In der Medizin wird der Begriff Positivliste für eine Zusammenstellung von Medikamenten be-
nutzt, die – und keine anderen - verordnet werden dürfen.
Von der Empirie zur Theorie und zurück – Der Matrix-Ansatz 65
10 Vgl. Drei Wege des Informationszugangs zu wissenschaftlichen Daten in: Laughlin Jr., McMa-
nus, et al. (1992) Brain, Symbol and Experience.
11 Erfahrung meint hier allgemein: direkte Teilnahme an oder Beobachtung von Ergeignissen durch
ein Individuum sowie das Wissen, das durch diesen Akt gesammelt wurde, sei dieses Wissen
mitteilbar oder nicht. Vgl. für eine ausführliche auch neurowissenschaftliche Diskussion des Er-
fahrungsbegriffs Laughlin Jr., McManus et al. (1992) Brain, Symbol and Experience.
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4. Dimensionale Matrix
Im Mittelpunkt der Formulierung von Matrixdimensionen und Elementen
steht bei diesem Vorschlag die empirische Beobachtbarkeit. Viele Phänomene
sind nicht direkt beobachtbar. Sie müssen indirekt erschlossen werden (z.B.
Quellstudium und Befragung). Die unten stehende Matrix könnte beispiels-
weise am Anfang eines Forschungsprojekts zur Sondierung wichtiger Fragen
oder dem Ausschluss nebensächlicher dienen. Sie kann aber auch zum Ver-
gleich bereits studierter Rituale herangezogen werden, um Ähnlichkeit und
Differenz verorten zu können.
Von der Empirie zur Theorie und zurück – Der Matrix-Ansatz 67
Legende
Ein Pfeil bedeutet, dass ein weiterer Aspekt dieses Punktes an anderer
Stelle der Matrix ausgearbeitet ist
Die Abkürzung Grad in Tabelle 1 verweist darauf, dass eine skalierende,
graduelle Einschätzung hier möglich erscheint.
Dimensionen Elemente
Struktur
formale, strukturelle und graduelle Unterscheidungen
Verhalten
beobachtbares Verhalten und soziale Unterscheidungen
12 Man könnte die Kategorie Tanz ebenso unter die Dimension Interaktionen einordnen. Dies wür-
de die kommunikative Seite des Tanzes in den Mittelpunkt stellen.
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Erfahrung
Unterscheidungen bezüglich ritualevozierten Erlebens und dessen Bewer-
tung
Ac 2 MODALE SELBSTWAHRNEHMUNG
a Wie habe ich mich physisch, emotional, geistig in den verschiedenen Pha-
sen des Rituals gefühlt?
Erfahrungsdynamik b Welche Assoziationen stiegen und steigen in mir auf?
Ac 3 BEWERTUNG DES EIGENEN BEFINDENS
a Habe ich mich als Teilnehmer/Publikumsmitglied wohl gefühlt? Was hat
mir zu einem guten Erlebnis gefehlt?
Erfahrungsdynamik b Was hätte mir aus der Perspektive eines Mitgliedes der beobachteten Ge-
meinschaft gefehlt?
Ac 4 GLOBALE UND NAIVE EINSCHÄTZUNG
Erfahrungsdynamik Wie beurteile ich das Ritualgeschehen als ganzes? (Bspw. strukturiert, kraft-
voll, sicher, getragen, intellektualisiert usw.?
Es versteht sich von selbst, dass eine solche Auswahl von Dimensionen
und Elementen der empirischen Ritualforschung, auch wenn sie in diesem
Fall vewirrend vielfältig scheint, auf den subjektiven Vorentscheidungen des
Autors beruht. Sie kann und soll modifiziert werden.
Literatur
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Braun, T. Russell und McLutcheon. London, Larell: 259-270.
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Press.
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Berlin, LIT-Verlag.
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framing. Framing public life. Perspectives on media and our understanding
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London, LEA: 67-81.
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Cambrige, University Press.
Schiepeck, G. (1994) Dynamische Systeme. Grundlagen und Analysemetho-
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Schiepeck, G. (1999) Die Grundlagen der systemischen Therapie. Theorie -
Praxis - Forschung. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht.
Schweitzer, J. und A. von Schlippe (2003). Lehrbuch der systemischen
Therapie und Beratung. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht.
Zetterberg, H. (1967) Theorie, Forschung und Praxis in der Soziologie. Hand-
buch der Empirischen Sozialforschung. Bd. 1. Stuttgart.