Sie sind auf Seite 1von 16

See discussions, stats, and author profiles for this publication at: https://www.researchgate.

net/publication/265514244

Von der Empirie zur Theorie und zurück - Der Matrix-Ansatz als Baustein
einer kulturpsychologischen Ritualforschung

Chapter · January 2006


DOI: 10.13140/RG.2.1.3701.5128

CITATIONS READS

0 55

1 author:

Henrik Jungaberle
MIND Foundation
91 PUBLICATIONS   449 CITATIONS   

SEE PROFILE

Some of the authors of this publication are also working on these related projects:

EUPC - Das Europäische Präventionscurriculum View project

Psychedelic Research: Treatment, Basic Research, Philosophy, Implementation View project

All content following this page was uploaded by Henrik Jungaberle on 08 June 2015.

The user has requested enhancement of the downloaded file.


Jungaberle, Henrik. (2006). Von der Empirie zur Theorie und zurück - Der Matrix-Ansatz als Baustein einer
kulturpsychologischen Ritualforschung. In H. Jungaberle & J. Weinhold (Eds.), Rituale in Bewegung. Rahmungs- und
Reflexivitätsprozesse in Kulturen der Gegenwart. Berlin: LIT Verlag.
61

VON DER EMPIRIE ZUR THEORIE UND ZURÜCK –


DER MATRIX-ANSATZ ALS BAUSTEIN EINER
KULTURPSYCHOLOGISCHEN RITUALFORSCHUNG

Henrik Jungaberle

1. Rituale als Systeme


Ritualtheorien selber stellen Rahmen dar, mit denen sich Beobachter dem
Phänomen Ritual nähern. Diese „großen Rahmen“ sind für einen empirischen
Zugang zu Ritualen nicht unproblematisch, da sie in der Regel mit der Til-
gung vieler empirischer Phänomene verbunden sind – ohne dass dies unbe-
dingt eine Frage der wissenschaftlichen Relevanz dieser Phänomene wäre.
Nachfolgend wird vorgeschlagen, Rituale als Systeme mit Komponenten
(Elementen) zu betrachten, deren Vielzahl und gegenseitiger Einfluss es un-
wahrscheinlich macht, dass eine monoperspektivische Theorie (wie die Per-
formanztheorie/n) „Rituale“ hinreichend beschreibt. Die Verwendung einer
„Matrix“, als Zusammenstellung relevanter Merkmale von Ritualkomplexen,
kann dabei helfen unbegründete Vorfestlegungen zu vermeiden.

Alle komplexen biologischen, psychischen und sozialen Systeme zeichnen


sich durch Vernetzheit und Rekursivität ihrer Komponenten und Prozesse aus.
Dadurch gewinnen sie eine graduell verschiedene Autonomie – trotz ihrer
gleichzeitigen Offenheit gegenüber Umwelten, Kontexten, anderen Syste-
men1. Das Verhalten eines Systems kann einerseits als Funktion der Umwelt
betrachtet werden, andererseits ist aber auch die Umwelt eine Funktion des
Systems, „im Sinne einer Selektions- und Konstruktionsleistung systemspezi-
fischer Umwelten“2. Systeme kann man als ganzheitlicher Zusammenhang
von Teilen verstehen, „deren Beziehung untereinander quantitativ und quali-
tativ produktiver sind als ihre Beziehungen zu anderen Elementen. Diese Un-
terschiedlichkeit konstituiert eine Systemgrenze, die System und Umwelt des
Systems trennt“3.
Dies ist auch bei Ritualen der Fall, die eigene Strukturen und Dynamiken
entwickeln, wenn man so will eine „Eigenlogik“, die sie sowohl von nicht
oder kaum ritualisierten sozialen Formen unterscheiden als auch voneinander.

1 Schiepeck (1994) Dynamische Systeme, drs. (1999) Die Grundlage der systemischen Therapie.
2 Ebd., S. 38f.
3 Willke (1983) in: Schweitzer (2003) Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung.
62 Henrik Jungaberle

Damit sind die Unterschiede zwischen rituellen „Eigenlogiken“4 angespro-


chen. Diese können sich beispielsweise am Grad der erwarteten und evozier-
ten Emotionalität, an der Art und dem Umfang der Formalität oder vielen an-
deren Elementen äußern. Der Kulturvergleich zwischen Ritualen eines ähnli-
chen Typus offenbart hier beispielsweise die Bedeutung von kulturellen Men-
talitäten für die Ausformung ritueller Eigengesetzlichkeiten. Solche Mentali-
täten können als systemexterne Einflussgröße betrachtet werden.
Merkmale des Systems, die zusammenspielen, um ein Ganzes zu ergeben
lassen sich durch Elemente wie sie in der weiter unten ausgeführten Matrix
stehen beschreiben.

Es ist schwierig bis sinnlos das Phänomen „Rituale“ in einer einheitlichen


Definition zu fassen5. Sinnvoller scheint es, von einem mehrgliedrigen Pro-
zess der Ritualisierung sozialer Handlungen auszugehen, der zu mehr oder
weniger Komplexität und damit Autonomie des Systems Ritual führt. Die
„Glieder“ oder Wirkkräfte dieses Prozesses lassen sich durch ritualtypische
Merkmale beschreiben. Dies sind die Gestaltbildungs- und Kommunikations-
strategien von Ritualen: (1) Formalisierung (stilisierte Form- oder Formelhaf-
tigkeit von Handlungen und Sprechakten), (2) Wiederholung (von Gesten,
Worten, Ritualsequenzen, ganzen Ritualen), (3) performatives Handeln (das
sich vermehrt körpersprachlicher Signale bedient und von einem kulturell un-
terschiedlich gearteten „Alltag“ durch Quantität und Qualität abhebt), (4)
raum-zeitliche Ordnung (besondere Plätze und kalendarische Zeiten werden
ausgewählt), (5) erhöhte Suggestivität (durch Imititationsdruck in Gruppen,
soziale Bedeutungszuschreibung oder spezieller Techniken des Selbst), (6)
erhöhte Selbstreferentialität (beispielsweise durch die Ausbildung ritualspezi-
fischer Symboliken).6
Komplexe Rituale beinhalten in der Regel mehrere Subsysteme, also bei-
spielsweise kleinere Riten (Gesten, Sprachformeln etc.). Aus den oben ge-
nannten Hauptdimensionen leiten sich viele andere Merkmale von Ritualen
ab, die jedoch je nach Funktion des Rituals in seiner Systemumwelt stark dif-
ferieren können. Beispielsweise „benötigen“ viele Rituale keine spezifische
„rituelle Haltung“, manche, insbesondere religiöse und dort wiederum Rituale
mit transformativem Anspruch, machen ausführlich Gebrauch von einer „ritu-
al stance“7.

4 In systemtheoretischer Begrifflichkeit wird hier meist von „Eigengesetzlichkeit“ oder „Eigendy-


namik“ gesprochen. Ein im rituellen Zusammenhang ebenfalls bedeutsamer Aspekt ist die Ent-
wicklung von „Eigenzeitlichkeit“, die ein besonderes Merkmal lebender, bewusstseinsfähiger
Systeme darstellt.
5 Vgl. Grimes (2000) The notion of ritual.
6 Vgl. Rappaport (1999) Ritual and Religion in the Making of Humanity; Jungaberle und DuBois
(2006) Risk and ritual - two frames for drug use.
7 Humphrey und Laidlaw (1994) The Archetypal Actions of Ritual.
Von der Empirie zur Theorie und zurück – Der Matrix-Ansatz 63

Empirische Annäherung an komplexe Rituale


Die Komplexität von Ritualen ist also sowohl zu würdigen wie auch her-
unterzubrechen auf methodisch und darstellungstechnisch bewältigbare For-
men. Metaphorisch gesprochen: aus der Gesamtkonfiguration eines Rituals
sind wichtige Baupfeiler, die zur Statik des Ganzen beitragen, herauszuarbei-
ten.
Jeder Forscher tritt mit seinem Beobachtungsgegenstand in eine Interakti-
on. Die neuere Systemtheorie schlägt vor, die Unterscheidungsleistung des
Systembeobachters als Teil des Prozesses der Wirklichkeitskonstruktion zu
würdigen: Systeme – in unserem Fall soziale Aufführung wie Rituale – gibt
es nicht einfach, sie werden durch Entscheidungen und Vereinbarungen der
Beobachter von einer Umwelt abgegrenzt. Ritualtheorien dienen dabei als
maximale „Frames“, die Aufmerksamkeit beispielsweise auf Aspekte der Per-
formanz oder der subjektiven Situationsdeutung durch die Akteure lenken.
Nachfolgend soll also der einzeltheoretische „Rahmen“ gebrochen und vor
allem auf den Zusammenhang von Theoriebildung und empirischer Beobach-
tung aufmerksam gemacht werden. Dadurch sollte es auch gelingen die Stel-
lung von Framing-Konzepten innerhalb des Untersuchungsfeldes Rituale zu
bewerten.

Wie aber lässt sich ein Überblick über das Ganze von Ritualprozessen ge-
winnen, wie lässt sich ein bestimmtes Ritualgeschehen empirisch gliedern und
dimensional aufschlüsseln?8 Welche Dimensionen sind relevant? Wofür? Die-
se Fragen werden im Fortgang weniger beantwortet als gestellt. Der Vor-
schlag lautet, eine Sammlung und Strukturierung relevanter Dimensionen me-
thodisch über eine Matrix zu verwirklichen.
Die vorgestellte dimensionale Matrix ist nicht an fachdisziplinäre Sicht-
weisen oder Methoden gebunden. Viele der nachfolgend genannten Dimensi-
onen lassen sich sowohl mit den Mitteln der Quellenanalyse als auch durch
die Produktion empirischer Daten mittels Beobachtung oder Erfragung unter-
suchen.
Eine dimensionale Analyse soll dazu dienen, die entscheidenden Aspekte
eines Forschungsbereiches aufzufinden und zu benennen. Gliederung und
Synthese sind dabei dialektisch zu verstehen. Der Begriff Matrix stammt aus
dem Lateinischen (Gebärmutter) und wird umgangssprachlich im Sinne von
Grundgerüst oder -substanz verwendet. Hier interessieren Matrices jedoch vor
allem als wissenschaftliche Methode, die eine mehrdimensionale Zusammen-
stellung von zusammengehörigen Merkmalen meint.

8 Vgl. Zetterberg (1967) Theorie, Forschung und Praxis in der Soziologie.


64 Henrik Jungaberle

2. Verwendung einer Matrix


Man kann mithilfe von Matrices systematisch vergleichen. Beispielsweise:

Einzelne Merkmalen verschiedener Rituale, die einer gleichen funktionalen


Kategorie angehören (z.B. bei Investiturritualen die Übergabe von Herrscher-
symbolen, bei Heilrituale die Extraktion eines Krankheitsobjekts, bei Initiati-
onsritualen die Symbolisierung des Übergangs).

Die Ausprägung von Merkmalen zu verschiedenen Zeitpunkten, an denen


„das selbe“ Ritual vollzogen wird (Wiederholungs-Perspektive). Beispiele:
Haben sich die verwendeten Symbole von Investitur zu Investitur verändert?
Wer hat die Veränderung jeweils ausgehandelt? Wie hat sich die kognitiv-
emotionale Involviertheit verändert, nachdem ein Teilnehmer bereits fünf,
fünfzig oder fünfhundertmal an einem Heilritual teilgenommen hat?

Merkmalen desselben Rituals zu verschiedenen Phasenzeitpunkten des Ri-


tualprozesses. Beispiel: Wie verändert sich innerhalb des beobachteten Ritu-
als, z.B. im Laufe von drei Stunden, das Expressivitätsniveau der Ritualge-
meinschaft? Wie verändert sich die Rolle und Tätigkeit der Ritualspezialisten
im Laufe des Rituals (Hohe Aktivität zu Beginn, dann eher rezeptiv etc.)?

Ein Set von heuristischen Elementen und empirischen Phänomenen kann


den Blick lenken und dazu dienen, Aspekte im eigenen Material zu finden, die
vorher nicht gesehen wurden.
Eine weitere Hauptfunktion der dimensionalen Aufschlüsselung besteht
darin, einen dialektischen Schaukelprozess zwischen Bekanntem und Unbe-
kanntem anzustoßen. Einen kreativen Prozess. Man darf eine Gliederung von
Ritualelementen nicht als „Positivliste“9 auffassen, im dem Sinne, dass nur,
was dort genannt, ist beachtenswert sein soll. Im Gegenteil kann eine Auflis-
tung des Bekannten die Aufmerksamkeit auf das bislang nicht Systematisierte
lenken, auch auf das Ungefähre und nicht Systematisierbare. Weitere konkre-
te Umgangsweisen und Funktionen dieser Matrix sind:

• Erweiterung des Wahrnehmungsspektrums


• Sensibilisierung für das Forschungsfeld (Feld- und Quellenstudium)
• „Findeliste“: die Matrix systematisiert Elemente des Ritualgesche-
hens, die man unmöglich alle gleichzeitig präsent haben kann (für das
Quellenstudium oder die Nachbereitung einer Feldforschungsaktivität)

9 In der Medizin wird der Begriff Positivliste für eine Zusammenstellung von Medikamenten be-
nutzt, die – und keine anderen - verordnet werden dürfen.
Von der Empirie zur Theorie und zurück – Der Matrix-Ansatz 65

• Systematische Dokumentation der Beobachtung (z.B. Feldforschung)


• Auswertungshilfe bei der Kategorisierung von Datenmaterial
• Systematische Vergleiche mehrerer Ritualprozessen
• Identifikation der dynamischen und stabilen Dimensionen

3. Dreiteilung des Untersuchungsfeldes


Wir unterteilen das Untersuchungsfeld „Ritual“ in folgender Tabelle in
drei wissenschaftstheoretisch begründete Einheiten: Struktur, Verhalten und
Erfahrung10. Dies kann bei der praktischen Arbeit aufgelöst werden und ist
keinesfalls ausschließend gedacht.
Keine empirische Fragestellung bewegt sich ausschließlich auf nur einer
dieser Einteilungen, die lediglich Wege des Informationszugangs zu wissen-
schaftlichen Daten sind. Kein Zugang ist a priori dem anderen unter- oder
überlegen.
Struktur meint die Aufgliederung des Untersuchungsfeldes, z.B. in mate-
rielle, physiologische oder zeitliche Einheiten (z.B. das Auftreten oder die
Häufigkeiten bestimmter Aktionen, Phasen, Abfolgemuster). Verhalten ist als
beobachtbare Aktivität zu verstehen. Erfahrung11 kann introspektiv oder über
die Berichte anderer studiert werden.
In Abb. 1 werden die herausgearbeiteten Dimensionen von Ritualtät diesen
drei Unterscheidungen zugeordnet.

10 Vgl. Drei Wege des Informationszugangs zu wissenschaftlichen Daten in: Laughlin Jr., McMa-
nus, et al. (1992) Brain, Symbol and Experience.
11 Erfahrung meint hier allgemein: direkte Teilnahme an oder Beobachtung von Ergeignissen durch
ein Individuum sowie das Wissen, das durch diesen Akt gesammelt wurde, sei dieses Wissen
mitteilbar oder nicht. Vgl. für eine ausführliche auch neurowissenschaftliche Diskussion des Er-
fahrungsbegriffs Laughlin Jr., McManus et al. (1992) Brain, Symbol and Experience.
66 Henrik Jungaberle

Abb. 1: Dimensionen von Ritualität

Die in Abb. 1 genannten Begriffe nennen wir Dimensionen. Sie werden in


der nachfolgenden Tabelle in weitere Elemente aufgeschlüsselt und somit
praktisch fassbarer. Zu den genannten Elementen werden beispielhafte (For-
schungs)Fragen genannt.

4. Dimensionale Matrix
Im Mittelpunkt der Formulierung von Matrixdimensionen und Elementen
steht bei diesem Vorschlag die empirische Beobachtbarkeit. Viele Phänomene
sind nicht direkt beobachtbar. Sie müssen indirekt erschlossen werden (z.B.
Quellstudium und Befragung). Die unten stehende Matrix könnte beispiels-
weise am Anfang eines Forschungsprojekts zur Sondierung wichtiger Fragen
oder dem Ausschluss nebensächlicher dienen. Sie kann aber auch zum Ver-
gleich bereits studierter Rituale herangezogen werden, um Ähnlichkeit und
Differenz verorten zu können.
Von der Empirie zur Theorie und zurück – Der Matrix-Ansatz 67

Zur Verdeutlichung von Verknüpfungen zwischen bestehenden oder aus-


zuarbeitenden Theorien und der Empirie wurden einige Theoriebegriffe in der
Spalte „Dimensionen“ zusätzlich genannt (kleingedruckt, rechtsbündig).
Die Vielzahl der Dimensionen und Elemente braucht dabei nicht zu er-
schrecken oder zu verwirren.

Legende
Ein Pfeil  bedeutet, dass ein weiterer Aspekt dieses Punktes an anderer
Stelle der Matrix ausgearbeitet ist
Die Abkürzung Grad in Tabelle 1 verweist darauf, dass eine skalierende,
graduelle Einschätzung hier möglich erscheint.

Dimensionale Matrix zur Beschreibung von Ritualen


(DIMAX)
Version 3.3.

Dimensionen Elemente

Struktur
formale, strukturelle und graduelle Unterscheidungen

ZEITLICHE A1 ZEITPUNKT DES RITUALS


STRUKTUREN a Wann findet das Ritual statt (Jahres-, Monats-, Tageszeitperspektive)?
A2 FREQUENZ
a Wie oft? (Häufigkeit solcher Rituale – bezogen auf die Gemeinschaft etc.)
Zeitdynamik b In welchen Abständen findet das Ritual statt? (Tage, Wochen, Monate,
Jahre?)
c Werden die zeitlichen Abstände geplant oder sind sie zufällig?
A3 KOSMOLOGISCHE VERKNÜPFUNG DER ZEITDIMENSION
Handlungsschemata a Wird eine explizite zeitliche Verbindung zu kosmologischen oder lebens-
Kodierung weltlich relevanten Ideen und Ereignissen hergestellt?
Transzendierung B Werden Anlässe genannt? (Sommersonnwende, Geburtstage, Tod eines
Angehörigen etc.).  Grad
A4 PHASEN
(Handlungs)abfolgen a Welche zeitliche Binnenstruktur wird dem Ritual gegeben?
(Unter Nennung der Kriterien für eine Einteilung in Phasen) 
A5 GRAD DER GESTALTUNG VS. ARBITRARITÄT
Dynamisches Framing a In welchem Ausmaß wird der Ablauf gestaltet (oder z.B. von ungeplanten
Autorschaft & Hand- Spontanereignissen dominiert, wie im Falle von psychoaktiven Substanzen
lungsmacht im Ritual etwa von der Substanzmetabolisierung)? 
Contingency b Sind Unterschiede zwischen verschiedenen Ritualausführungen als beab-
sichtigt oder beliebig zu erkennen?
Grad
68 Henrik Jungaberle

A6 VOR- UND NACHBEREITUNG


Dynamisches a Gibt es explizite Phasen der Vor- und Nachbereitung direkt und weniger
Framing direkt vor dem Ritual? Welche? (Wie genau bereiten sich Leute vor? Einzeln
oder in Gruppen? Schriftliche Dokumente, Gespräche etc.?)
Grad
A7 DAUER DES RITUALS
Erfahrungsdynamik a Über welchen Zeitraum erstreckt sich das Kernritual
A8 MARKIERUNG VON ABSCHNITTEN UND GRENZEN
Schwellen, Wechsel a Wie werden einzelne Phasen innerhalb des Rituals markiert?
Transzendierung B Wodurch lässt sich eine Kernhandlung von Vor- und Nachbereitung unter-
scheiden?
ORTS- UND RAUM- B 1 BESCHREIBUNG DER ÖRTLICHKEIT
BEZOGENE a Wo? (Werden besondere Orte gewählt vs. „es ergibt sich“? Wohnungen,
STRUKTUREN Natur etc. Warum findet das Ritual gerade dort statt? Ortswechsel während
des Rituals?)
b Welche Verhaltensmöglichkeiten bietet der konkrete Raum an, verhindert
er? 
B2 GESTALTUNG DER ORTE / DES RITUELLEN RAUMS
Dynamisches Framing a Werden diese Orte verändert bzw. besonders gestaltet? Werden sie dadurch
Transzendierung zu einem rituellen Ort gemacht? (Symbolische und künstlerische Gestaltung?
Altare etc.)  Grad
B3 SYMBOLISCHE KARTOGRAPHIE DES RAUMES
Dynamisches a Werden der Raum oder Teile des Raumes symbolisch besetzt bzw. kar-
Framing tographiert? (z.B. Altarraum ist kein Sitzraum etc., Zentrum und Peripherie)
Transzendierung Grad
B4 LOKALISIERUNG IN RELATION ZUR RITUALHANDLUNG
Performanzdynamik a In welcher Nähe zur Ritualhandlung befinden sich welche Teilnehmer? Ist
das wichtig für den Ablauf der Ritualhandlungen?
GRUPPENSOZIOLO- C 1 GRUPPENGRÖßE
GISCHE UND SOZIA- Wieviele Teilnehmer?
LE STRUKTUREN Teilnehmerzahl begrenzt oder zufällig?
C2 GRAD DER BEKANNTHEIT UNTER DEN TEILNEHMERN
Erfahrungsdynamik a Wie gut kennen sich die Teilnehmer? (Einzelne, einige, die meisten, alle)
Performanzdynamik b Wer ist seit wie langer Zeit Mitglied einer wie festen Gemeinschaft?
Grad
C3 ERFAHRENE VS. NEULINGE
a Wie viele Teilnehmer haben welche Vorerfahrungen mit dem Ritual?
B Wird dieses Verhältnis gesteuert oder beruht es auf Zufall? (Wie wurden
die Teilnehmer zusammengestellt?)
C4 GRUPPENLEITUNG VS. SELBSTORGANISATION
Performanzdynamik a Gibt es einen offiziellen Gruppenleiter, wie z.B. bei schamanisch geleiteten
Handlungsmacht Ritualen?
B Gibt es einen inoffiziellen Gruppenleiter?
C Gibt es komplexere abgestufte Hierarchien? (Oder herrscht formale
Gleichrangigkeit aller Teilnehmer?) 
C5 TYPEN VON RITUALTEILNEHMERN / ROLLENDIFFERENZIERUNG
Handlungsmacht a Welche Gruppen von Teilnehmern lassen sich differenzieren?
(Haupt- und Nebenrollen. Helfer (wie rekrutieren diese sich?), Teilnehmen-
de, Publikum etc.)
C6 FÜRSORGE
Erfahrungsdynamik a Gibt es jemanden der für Handreichungen, äußerliche und innere Sicherheit
der Teilnehmer zuständig ist? (Sind dies die Leiter des Rituals oder Helfer
etc.?)  Grad
Von der Empirie zur Theorie und zurück – Der Matrix-Ansatz 69

C7 ALLGEMEIN: HANDLUNGSORIENTIERUNG AN NORMEN UND


Handlungsmacht SANKTIONEN
Erfahrungsdynamik a Kann man beobachten, dass Regeln, Normen und Sanktionen die Interakti-
onen steuern? (z.B. besondere Sprechweisen, Tabu-Räume oder – themen
etc.)  Grad
C 8 GRAD DER NORMSTEUERUNG DES EINZELVERHALTENS
a In welchem Ausmaß wird das Verhalten Einzelner von Normen und Sank-
tionen der Gruppe dominiert?
Grad
C 9 SPRACHLICHES REPERTOIRE
a Welches spezifische Repertoire sprachlicher Formen kann beobachtet wer-
den? Besonderes Vokabular, Grammatik, Syntax in der beobachteten Grup-
Performanzdynamik pe? (RISA spezifisch z.B. „Medizin“ oder „Dope“ für die psychoaktive Sub-
stanz“?
C 10 GENDER-ISSUES
Rollendifferenz a Welche geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen und Strukturen lassen
sich ausmachen?
FUNKTIONALE D 1 FUNKTIONALE ORGANISATION
STRUKTUREN a Wird eine explizite, offizielle Funktion des Rituals bekannt gemacht (in
Dynamisches Framing Sprache, Bild, Text etc.)?
Transzendierung Von wem? Wie? 
D 2 FUNKTIONALE DIFFERENZIERUNG
a Werden weitere, diskrete oder abweichende Funktionen des Rituals er-
Dynamisches Framing kennbar?
Von und bei wem? Wie?  Grad
SYMBOLISCHE E 1 KONSTITUTIVE SYMBOLIK
STRUKTUREN a Welche Symbole und Zeichen werden in den Mittelpunkt und die Periphe-
Kodierung rie der Ritualhandlung gerückt? (Schmuck, Lichter etc.) 
Kernhandlung /
Dekor
Transzendierung
E 2 KLEIDUNG
Transzendierung a Gibt es spezifische Ritualkleidung?
Kodierung B Bei wem?
C Welche Bedeutung im Prozess?
E 3 GESTALTUNG DES KÖRPERS
Dynamisches Framing a Wird der physische Körper der Ritualteilnehmer wegen und in der Ritual-
Transzendierung handlung symbolisch gestaltet? (z.B. Piercings, Brandings, Tattoos)
Kodierung b Vor oder während des Rituals?
SKRIPTE/RITUAL- F 1 SKRIPTE (Z.B. HANDBÜCHER)
REPRÄSENTATION a Welche Form von schriftlicher Ritualaufzeichnungen bestehen? (Schriftli-
Autorschaft che, mündliche Weitergabe etc.)
Textualität b Welche Versionen sind derzeit für wen gültig?
F 2 MNEMOTECHNIK
Autorschaft a Welche Formen von Gedächtnisprozeduren gehören zu einem bestimmten
Erfahrungsdynamik Ritualgeschehen? (z.B. Versrezitation, Liedgut)
70 Henrik Jungaberle

Verhalten
beobachtbares Verhalten und soziale Unterscheidungen

FORMEN VON G1 KATEGORIALE TYPISIERUNG VON VERHALTENSWEISEN


VERHALTENS- a Was wird während dieses Rituals getan? Welche Sequenzen von Verhal-
WEISEN tensweisen lassen sich differenzieren? (z.B. Sitzen, Tanzen, Musizieren,
Performanzdynamik Liegen, Rezitieren, Sprechen, Schweigen etc.)
Erfahrungsdynamik b Welche hier denkbaren Verhaltensweisen werden evtl. nicht gezeigt oder
Transzendierung tabuisiert?
G2 REPETITIVE VERHALTENSWEISEN
Iterativität a Gibt es Wiederholung z.B. auf der Ebene der Sprache, Gesten, Verhaltens-
weisen?
INTERAKTIONEN H1 KATEGORIALE TYPISIERUNG VON INTERAKTIONEN
a Welche Art von Interaktionen zwischen den Teilnehmern gibt es während
Performanzdynamik des Rituals? (Kleingruppengespräche, informeller Austausch von Nachbarn,
Erfahrungsdynamik Pausezeiten, Sharings im Kreis, Aufforderung zum Reden nur an jene, die
Rollendifferenz etwas sagen möchten? Usw.)
b Wer beteiligt sich?
H2 MUSIKALISCHE INTERAKTIONEN
Performanzdynamik a Gibt es bei diesem Ritual Musik?
Erfahrungsdynamik b Welche Musik bzw. Lieder werden gespielt bzw. gesungen?
Transzendierung c Wer beteiligt sich wie am musikalischen Geschehen? (spezielle Musiker,
oder alle Teilnehmer, oder Konserven etc.)
H3 VERHALTEN GEGENÜBER UNERFAHRENEN
Rollendifferenz a Werden Neulinge gesondert behandelt? Wie?
H4 SPONTANEITÄT VERSUS EINSTUDIERTE INTERAKTIONEN
Performanzdynamik Wirken die beobachteten Interaktionen in der Regel gesteuert oder spontan?
H5 INTERAKTION MIT UND REAKTION AUF FORSCHUNGSAKTIVITÄ-
TEN
a Wie reagieren die Teilnehmer auf die Forschungsinteraktionen? (Skepsis,
Desinteresse, Akzeptanz usw.)
a Gibt es spezifische Teilnehmer, welche die Forschungsinteraktionen beson-
ders tragen?
b In welchem Grad haben die Forschungsaktivitäten einen besonderen Ein-
fluss auf den Ablauf und die Art des Rituals?
Grad
REZIPROZITÄT
Rollendifferenz a Finden Tauschhandlungen und Geschenkgaben statt?
Handlungsmacht b Welche materiellen Objekt zirkulieren?
Performanzdynamik c Welcher Wert wird diesen Objekten und Tauschhandlungen innerhalb des
Ritualprozesses zugesprochen?
KÖRPERLICHE UND I 1 GESTIK UND KÖRPERHALTUNG
MIMISCHE EXPRES- a Welche ritualspezifische Gesten und Körperhaltungen werden während des
SIVITÄT Prozesses eingenommen?
b Sind diese vorgeschrieben?
c Gibt es Platz zum Liegen, Stehen, Tanzen, Sitzen etc.?
Performanzdynamik
Transzendierung
Von der Empirie zur Theorie und zurück – Der Matrix-Ansatz 71

I2 TÄNZERISCHE UND MUSIKALISCHE EXPRESSIVITÄT12


Performanzdynamik a Wird bei diesem Ritual getanzt?
Transzendierung b Wer tanzt und wie wird getanzt? (Spezifische Tanzschritte etc.)
c Individualisierter oder formalisierter Tanz?
I1 MIMISCHE EXPRESSIVITÄT
Performanzdynamik a Gibt es auffällige, spezifische Gesichtsausdrücke, die während des Rituals
Erfahrungsdynamik (von einigen Teilnehmern?) gezeigt werden? (Ernsthaftigkeit, Lachen, Ver-
rücktheit, Ungerührtheit etc.)
SYMBOLBEZOGENE J 1 SYMBOLISCHE VERHALTENSWEISEN
VERHALTENS- a Welche spezifisch symbolischen Verhaltensweisen können beschrieben
WEISEN werden? (z.B. Niederwerfungen)
Transzendierung
J2 SYMBOLBEZOGENE VERHALTENSWEISEN
Performanzdynamik a Wie gehen die Teilnehmer mit den konstitutiven Symbolen des Rituals um?
(z.B. Vermeidung einem Götterbild den Rücken zuzudrehen)
VERHALTEN IN BE- K 1 RITUELLE RAUMGESTALTUNG
ZUG AUF DEN ORT a Durch wen und in welcher Art werden Orte bzw. rituelle Räume verändert
UND RAUM bzw. besonders gestaltet? (Symbolische und künstlerische Gestaltung? Altäre
Performanzdynamik etc.)
Framing b Wie werden Verhaltensänderungen für die ganze Gruppe markiert?
K2 MOBILITÄTSRICHTUNG DES RITUALS
a Gehen die Teilnehmer zum Ritual? Oder kommt das Ritual ihnen nach
Hause?
SOZIOSTRUKTUR- L1 VERHALTEN GEGENÜBER HIERARCHISCHEN GRUPPENSTRUKTU-
BEZOGENES REN
VERHALTEN a Welchen Formen von Respekt und Unterwerfung sind zu beobachten?
b Wie werden Gruppenstrukturen vermittelt?
C Wie wird formale Gleichrangigkeit aller Teilnehmer praktisch demonst-
riert? 
L2 VERHALTENSSTEUERUNG UND RITUAL-GESTALTUNG
Performanzdynamik a Durch welche Handlungen genau wird der Ablauf gestaltet oder geprägt (-
Agency bzw. wird er von ungeplanten Spontanereignissen dominiert, z.B. der Sub-
stanzmetabolisierung)?
b Durch wen? Wer setzt welche Marker?
L3 HANDLUNGSLEITENDE ATTRIBUTION VON MACHT UND AUTORI-
Handlungskern TÄT
Agency a Wer misst wem Kompetenz und Durchsetzungskraft bei? Wie zeigt sich
das?
GRUPPENKOHÄSI- M1 WIR-GEFÜHL
VES VERHALTEN a Welche Verhaltensweisen tragen zur Etablierung von Gleichheit und Zu-
Erfahrungsdynamik sammengehörigkeitsgefühl bei?
Communitas b Welche Teilnehmer entziehen sich – geplant oder ungeplant – dieser
„Communitas“?
NORMBEZOGENES N1 NORMEN UND SANKTIONEN
VERHALTEN a Welche normativen Strukturen und Regeln leiten das Handeln der Akteure?
b Wie werden diese Normen vollzogen?

12 Man könnte die Kategorie Tanz ebenso unter die Dimension Interaktionen einordnen. Dies wür-
de die kommunikative Seite des Tanzes in den Mittelpunkt stellen.
72 Henrik Jungaberle

N2 NORMVOLLZUG UND MODIFIKATIONEN


a Welche normativen Routinen zeigen sich oder werden außer Kraft gesetzt?
In welcher Art und Weise werden diese „vollzogen“?
Mimesis Vollzug
Performanzdynamik Durchbrechen/Abweichen
Erfahrungsdynamik Ignorieren
Nicht-Kenntnis (bei Einzelnen – wie sanktioniert)
Umdeutung
FÜRSORGLICHES O1 FÜRSORGE
VERHALTEN a Wie genau wird für die Sicherheit und das Wohlbefinden der Teilnehmer
Erfahrungsdynamik gesorgt?
INDIVIDUALITÄT P1 MANIFESTATION INDIVIDUELLER THEMEN UND MOTIVE
VERSUS a Wie kommt Persönlichkeit, Biographie und Individualität zum Ausdruck?
KOLLEKTIVITÄT b Wie wird eben dies verhindert?
Rollendifferenz Grad
Erfahrungsdynamik
P2 MANIFESTATION KOLLEKTIVER THEMEN UND MOTIVE
a Durch welche Verhaltensweisen manifestieren sich überindividuelle The-
men? (z.B. Hissen einer Nationalflagge während eines Rituals)
TRANSGRESSIVES Q1 MANIFESTATION VON TRANCE- ODER VWB-ZUSTÄNDEN
VERHALTEN a Wodurch lässt sich auf der Verhaltensebene auf Zustände veränderten
Transzendierung Wachbewusstsein (VWB), ekstatische oder enstatische Zustände schliessen?
Performanzdynamik b Sind diese VWB-Zustände substanzgebunden oder unabhängig von der
Erfahrungsdynamik Einwirkung einer psychoaktiven Substanz?
c Sind bewusstseinsverändernde Techniken beschreibbar?
Q2 SOZIALE TRANSGRESSIONEN (NORMÜBERSCHREITUNGEN, TABU-
Dynamisches Framing BRUCH)
Performanzdynamik a Werden Verhaltensweisen beobachtet, die mit gesellschaftlichen Moralvor-
stellungen nicht übereinstimmen? (z.B. öffentlicher Geschlechtsverkehr,
Unreinheit)

Erfahrung
Unterscheidungen bezüglich ritualevozierten Erlebens und dessen Bewer-
tung

FUNKTIONALE R1 FUNKTIONALE UND KAUSALE ÄUßERUNGEN


ATTRIBUTION a Welche Funktion (auch abweichend von den offiziellen Funktion) hat das
Geschehen (oder Teile daraus) aus Sicht der Beteiligten?
b Warum findet das Ritual aus Sicht des Teilnehmers (evtl. abweichend von
Erfahrungsdynamik der offiziellen Begründung oder Sicht der Gemeinschaft) gerade jetzt statt?
Rollendifferenzierung
MOTIV UND MOTI- S 1 MOTIVATIONALE ÄUßERUNGEN
VATION a Wie begründen Teilnehmer Ihre Teilnahme? (Wirkt diese Begründung
Erfahrungsdynamik glaubwürdig?)
SUBJEKTIVE BE- T1 BEDEUTSAMKEIT
DEUTSAMKEIT a Wie notwendig oder vernachlässigbar ist das konkrete Ritual für die Auf-
rechterhaltung der Lebenswelt des Ritualteilnehmers?
NORMREFLEXION U1 NORMATIVE ÄUßERUNGEN
a Auf welche Normen und Werte verweisen die Teilnehmer bei der Be-
schreibung des Ritualgeschehens, dessen Funktion etc.?
Von der Empirie zur Theorie und zurück – Der Matrix-Ansatz 73

SYMBOL- V1 SYMBOLVERSTÄNDNIS - VERINNERLICHUNG


ELABORATION a Inwieweit wird die im Ritualprozess verwendete Symbolik von den Teil-
nehmern verstanden?
b Welcher Grad der Verinnerlichung/Einverleibung der kosmologischen
Mimesis Konzepte bzw. der symbolischen Strukturen während des Ritualgeschehens
Kernhandlung ist erkennbar? („Selbstverständlichkeit“)  Grad
Transzendierung
V2 KOSMOLOGISCHE ÄUßERUNGEN
Kernhandlung a Welche weltanschaulich-lebensphilosophischen Konzepte werden zur In-
Rollendifferenz terpretation des Ritualgeschehens herangezogen? (religiöse, psychologische,
Mimesis philosophische, esoterische Frames etc.) Widersprechen diese der „offiziel-
len“ Interpretation von zentralen Symbolen?
ERFAHRUNGS- W 1 INDIVIDUELLE DIFFERENZ
DIFFERENZ & a Wie verschieden erleben die Teilnehmer einen Ritualprozess?
-HOMOGENITÄT b Führt ein abweichendes Erleben verschiedener Teilnehmer zur Distanzie-
Erfahrungsdynamik rung vom Ritualgeschehen ( Ritualkritik)?
Framing b Widersprechen Aussagen einzelner Teilnehmer über ihr Erleben offiziellen
Agency Äußerungen zur Funktion und Reichweite des Rituals?
W 2 HOMOGENITÄT
a Wie homogen wird ein Ritualprozess erlebt ( beschrieben)?
b Wie homogen sind die Aussagen verschiedener Teilnehmer eines Rituals?
Rollendifferenz (bzgl. Funktion, Motivation, Kosmologie etc.)
SELEKTIVE X 1 SELEKTIVE FOKUSSIERUNG
WAHRNEHMUNG a Welche Teile und Phasen des Rituals werden von welchen Teilnehmern
hervorgehoben oder verschwiegen?
b Welche individuellen Erfahrungen während des Rituals werden von Teil-
Erfahrungsdynamik nehmern hervorgehoben oder verschwiegen?
WAHRNEHMUNG Y 1 GRUPPENKOHÄSION VERSUS HIERARCHIE
VON GRUPPENKO- a Wie und wie stark wird von den Akteuren das kollektive Erlebnis hervor-
HÄSION UND HIE- gehoben?
b Wie werden hierarchische Strukturen erlebt oder verschwiegen?
RARCHIE
Agency
Transzendierung
Communitas
VERÄNDERTE Z 1 MANIFESTATION VON VERÄNDERTEN WACHBEWUSSTSEINSZU-
WACHBE- STÄNDEN (VWB)
WUSSTSSEINS- a Welche außergewöhnlichen Bewusstseinszustände werden berichtet?
ZUSTÄNDE (VWB) b Wann, wodurch, wie wurden diese aus den Berichten der Teilnehmer aus-
gelöst?
c Welche Bedeutung nehmen diese VWBs für die Akteure ein?
d Wie wichtig sind diese VWBs für die Durchführung und Effektivität des
Rituals?
Z 2 BEZIEHUNG ZUM TRANSZENDENTEN
Handlungsschemata a Welchen Stellenwert hat das Unerklärliche, Transzendente, Eintretende in
den Äußerungen der Teilnehmer?
ERFAHRUNGSMODI Aa 1 EMOTIONALE, KOGNITIVE, MOTORISCHE ERLEBENSMODI
a Wie werden in den Erlebensbeschreibungen transpersonale, emotionale,
Erfahrungsdynamik physische und die Beschreibung kognitiver Vorgänge gewichtet?
b Welche Modi werden hier betont oder ausgeklammert?
DIVERGENZ- Ab 1 EFFEKTE VON DIVERGENZEN ZUM ERWARTETEN RITUALABLAUF
ERLEBEN a Welche Auswirkungen haben zufällige oder geplante Abweichungen von
Contingency den Erwartungen an das Ritual (bzw. vom Skript) auf das Erleben der Teil-
Sozialdynamik nehmer gehabt?
SELBSTBEOBACH- Ac 1 ATMOSPHÄRE
TUNG Welche Stimmung bzw. Atmosphäre herrschte in der Gruppe? (Wechselte
DES FORSCHERS diese über die Zeit? Wodurch?)
74 Henrik Jungaberle

Ac 2 MODALE SELBSTWAHRNEHMUNG
a Wie habe ich mich physisch, emotional, geistig in den verschiedenen Pha-
sen des Rituals gefühlt?
Erfahrungsdynamik b Welche Assoziationen stiegen und steigen in mir auf?
Ac 3 BEWERTUNG DES EIGENEN BEFINDENS
a Habe ich mich als Teilnehmer/Publikumsmitglied wohl gefühlt? Was hat
mir zu einem guten Erlebnis gefehlt?
Erfahrungsdynamik b Was hätte mir aus der Perspektive eines Mitgliedes der beobachteten Ge-
meinschaft gefehlt?
Ac 4 GLOBALE UND NAIVE EINSCHÄTZUNG
Erfahrungsdynamik Wie beurteile ich das Ritualgeschehen als ganzes? (Bspw. strukturiert, kraft-
voll, sicher, getragen, intellektualisiert usw.?

Tab. 1: Dimensionale Matrix (DIMAX) zur Beschreibung von Ritualen

Es versteht sich von selbst, dass eine solche Auswahl von Dimensionen
und Elementen der empirischen Ritualforschung, auch wenn sie in diesem
Fall vewirrend vielfältig scheint, auf den subjektiven Vorentscheidungen des
Autors beruht. Sie kann und soll modifiziert werden.

5. Fazit und Einordnung des Framing-Ansatzes


Eine kulturpsychologische Theorie rituellen Verhaltens – oder wenn man
nicht soweit gehen möchte, ein kulturpsychologischer Pfad innerhalb des
Denkens über Rituale - stellt die Frage in den Mittelpunkt wie sich der Ein-
zelne durch die Teilhabe an spezifischen Ritualen (oder Ritualkulturen) kon-
stituiert oder transformiert, also welche biopsychosozialen Effekte von Ritua-
len auf den ganzen Organismus13 zu beschreiben sind. Zu fragen ist aber auch
umgekehrt, welche Dispositionen, emotionalen und kognitiven Zustände zur
wirkungsvollen Etablierung eines Rituals erst beitragen. Eine dimensionale
Matrix kann verhindern, dass wesentliche Fragen in einem Forschungsfeld
aus Unerfahrenheit oder theoretischer Blindheit ignoriert werden. Sie trägt zur
Einordnung von Erkenntnissen bei.
Der im vorliegenden Band behandelte Framing-Ansatz ermöglicht es, Un-
terscheidungen herauszuarbeiten, die Ritualakteure im Vorfeld und während
eines rituellen Prozesses treffen. Diese Unterscheidungen können rein indivi-
dueller Natur sein, betreffen aber auch die Wahrnehmungen und Interpretati-
onen einer ganzen Gruppe, indem sie kommuniziert werden, insbesondere
solche Frames, die zeitliche Markierungen betreffen. Viele Frames werden
nur unbewusst verhandelt und treten erst in die bewusste Wahrnehmung ein,
wenn Abweichungen und Fehler geschehen.

13 Der Begriff „Organismus“ wird hier nicht biomedizinisch-reduktionistisch gebraucht, sondern


ontologisch den Mensch in seinem So-Sein beschreibend.
Von der Empirie zur Theorie und zurück – Der Matrix-Ansatz 75

In der oben skizzierten Matrix sind durch den Framing-Ansatz beispiels-


weise die Elemente „Erfahrungsdifferenz – und homogeneität“ (W1), „Ver-
halten in Bezug auf Ort und Raum“ (K1) oder die „funktionale Organisation
(D1) angesprochen. Der Framing-Ansatz überwindet damit mühelos die ge-
troffene Trennung der Elemente in Struktur, Verhalten und Erfahrung. Bezüg-
lich der Funktionen, die ein spezifisches Ritual erfüllen kann, lässt sich etwa
fragen, ob eine kollektiv zu teilende „Bedeutung“ bekannt gegeben (markiert)
wird, ob eine solche bei vielen oder allen Akteuren abrufbar ist oder eine star-
ke Individualisierung der Deutungen vorzufinden ist.
Der Framing-Ansatz ist aus dieser Sicht eine Theorie mit guter Erklä-
rungskraft, da sie sowohl individuelle Prozesse (Etikettierung) wie auch kol-
lektives Handeln zu adressieren vermag.

Literatur
Grimes, R. (2000) The Notion of Ritual. Guide to the Study of Religion. W.
Braun, T. Russell und McLutcheon. London, Larell: 259-270.
Humphrey, C. und J. Laidlaw (1994). The Archetypal Actions of Ritual. A
Theory of Ritual illustrated by the jain rite of worship. Oxford, Clarendon
Press.
Jungaberle, H. und F. DuBois (2006) Risk and ritual - two frames for drug
use. Rituale in Bewegung. Rahmungs- und Reflexivitätsprozesse in Kultu-
ren der Gegenwart. H. Jungaberle und J. Weinhold. Münster-Hamburg-
Berlin, LIT-Verlag.
Laughlin Jr., C. D., J. McManus, et al. (1992) Brain, Symbol and Experience:
Toward a Neurophenomenology of Human Consciousness. New York, Co-
lumbia University Press.
McCombs, M. und S. Ghanem (2001) The convergence of agenda setting and
framing. Framing public life. Perspectives on media and our understanding
of the social world. S. Reese, O. Gandy und A. Grant. Mahwah, New York-
London, LEA: 67-81.
Rappaport, R. A. (1999) Ritual and Religion in the Making of Humanity.
Cambrige, University Press.
Schiepeck, G. (1994) Dynamische Systeme. Grundlagen und Analysemetho-
den für Psychologen und Psychiater. Heidelberg, Roland Asanger Verlag.
Schiepeck, G. (1999) Die Grundlagen der systemischen Therapie. Theorie -
Praxis - Forschung. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht.
Schweitzer, J. und A. von Schlippe (2003). Lehrbuch der systemischen
Therapie und Beratung. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht.
Zetterberg, H. (1967) Theorie, Forschung und Praxis in der Soziologie. Hand-
buch der Empirischen Sozialforschung. Bd. 1. Stuttgart.

View publication stats

Das könnte Ihnen auch gefallen