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Der Beitrag widmet sich Fragen der so genannten Compli- II. Zum Begriff der Compliance
ance aus strafrechtlicher Sicht. Er zeigt die Bedeutung des Compliance ist zunächst im juristischen Kontext als Handeln
§ 130 OWiG als wesentliche (im weiteren Sinne) strafrechtli- im Einklang mit dem geltenden Recht, also Rechtsbefolgung,
che Grundlage auf und gibt einen Überblick über unterneh- zu übersetzen. Der Begriff hat aber eine besondere Prägung
merische Maßnahmen zur Erfüllung der Anforderungen an erhalten und bezeichnet nunmehr die Gesamtheit aller Maß-
eine gerichtsfeste Unternehmensführung. nahmen, um ein rechtmäßiges Verhalten aller Unternehmen,
ihrer Organmitglieder, ihrer nahen Angehörigen und der
I. Einleitung Mitarbeiter im Blick auf alle gesetzlichen Gebote und Verbo-
Das Problemfeld der strafrechtskonformen Gestaltung des te zu gewährleisten.7 Gegenstand der Betrachtung sind unter-
Unternehmensbetriebes gewinnt in der Unternehmenspraxis nehmensinterne Managementprozesse mit dem Ziel, jederzeit
immer größere Bedeutung. Vor allem die verschiedenen die Einhaltung aller für das Unternehmen relevanten Rechts-
Aspekte des Siemens-Skandals, aber auch andere spektakulä- vorschriften dokumentiert sicherzustellen. Mit dieser Sicht-
re Strafverfahren gegen Unternehmensführer haben zu einer weise aus der Perspektive des Unternehmers korrespondiert
Intensivierung der wissenschaftlichen und unternehmens- die staatliche Sicht, der es rechtsgüterschützend darum geht,
praktischen Diskussion geführt. Das Stichwort Compliance rechtliche Instrumente zur Sicherung der Rechtsbefolgung zu
mag hierbei bisweilen inflationär gebraucht werden und ein schaffen. Insofern geht es oftmals auch um Instrumente, die
gewisses Modethema sein1; der Konflikt zwischen dem bisher nur nicht Compliance genannt wurden.
obersten Unternehmensziel der Gewinnerwirtschaftung und Im Sprachgebrauch der Unternehmen bezeichnet Compli-
dem vom Staat vorgegebenen rechtlichen Ordnungsrahmen ance schließlich auch die besonders ausgewiesene Unterneh-
ist aber in der Tat für die Unternehmen (als so genannte mensabteilung, in deren Zuständigkeit die Sicherung der
Compliance-Schuldner bzgl. der Wahrnehmung unterneh- Rechmäßigkeit allen Handelns fällt.
mensbezogener Pflichten) von existenzieller Wichtigkeit.
Hierbei geht es vor allem um Vorfeldberatung – es steht also III. Folgen der Non-Compliance
noch kein strafrechtlicher Vorwurf im Raum, es liegt noch Unter Non-Compliance sind hier betriebsbezogene Straftaten
kein Ermittlungsverfahren einer Strafverfolgungsbehörde vor von Unternehmensangehörigen im (vermeintlichen) Unter-
–, d.h. um verstärkte Bemühungen zur Prävention und Ge- nehmensinteresse zu verstehen (sog. Entlastungskriminalität).
richtsfestigkeit2 der wirtschaftlichen Tätigkeit. Nachteilige Folgen von Normverstößen führen dazu, dass im
Natürlich ist es eine Binsenweisheit, dass das Recht ein- Grunde jede sanktionierende Norm eine Rechtsgrundlage für
zuhalten ist.3 Die Gefährdungssituation der Unternehmens- die praktische Gebotenheit von Compliance-Maßnahmen im
führer ist in einer Zeit strafrechtlicher Extension auf Vorfeld-, Unternehmen ist. Zu unterscheiden sind im Folgenden Sank-
Fahrlässigkeit- und Unterlassensstraftaten bedrängende Rea- tionen gegen das Unternehmen als solches (Business Risks)
lität.4 Angesichts einer Fülle von Haftungsgefahren und einer und Sanktionen gegen den einzelnen Unternehmensangehöri-
Flut von Normen ist die Rechtsbefolgung kein Selbstgänger gen (Personal Risks).
und ohne organisatorische Vorkehrungen nicht zu bewerk-
stelligen.5 Ist erst einmal ein Ermittlungsverfahren aufge- 1. Business Risks
nommen, so ist das Kind schon in den Brunnen gefallen,
a) Strafrechtliche Nachteile
gerade auch in finanzieller Hinsicht.6
Eine Verbandsstrafe existiert in Deutschland (noch) nicht. Es
gibt allerdings Abschöpfungsinstrumente, mit denen dem
Unternehmen die Vorteile der Tat genommen werden sollen.
Dies sind Verfall (§ 73 Abs. 3 StGB) und Einziehung (§§ 75,
* Der Autor ist wiss. Assistent am Lehrstuhl für Strafrecht 76a StGB)8. Das Unternehmen wird im Strafverfahren zum
und Strafprozessrecht (Prof. Dr. Andreas Hoyer) an der Nebenbeteiligten, §§ 430 ff. StPO. Es muss ggf. auch eine
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. vorläufige Arrestierung nach § 111d StPO dulden. Auch
1
Wessing, Steueranwaltsmagazin 2007, 175; hieran dürften Strafverfolgungsmaßnahmen gegen einzelne Unternehmens-
auch die Werbezwecke der Beratungsunternehmen mitschul- angehörige – Verhaftungen, Durchsuchungen, Sicherstellun-
dig sein. gen etc. – können das Unternehmen gravierend beeinträchti-
2
Adams/Johannsen, BB 1996, 1017. gen, man denke hierbei etwa an beschlagnahmte Akten oder
3
Schneider, ZIP 2003, 645 (646). Computer.
4
Wessing, in: Volk (Hrsg.), Verteidigung in Wirtschafts- und
Steuerstrafsachen, 2006, § 11 Rn. 1.
5
Kiethe, GmbHR 2007, 393 (396).
6 7
Schon 1992 für das Umweltrecht: Knopp/Striegl, BB 1992, Schneider, ZIP 2003, 645 (646); Kiethe, GmbHR 2007, 393
2008 („vorbeugend schon diejenigen Kosten zu sparen, die (394).
8
sich durch reaktives Verhalten häufig vervielfachen“). Vgl. auch §§ 34, 34a GWB, 10 WiStG.
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Von großer finanzieller Bedeutung sind ferner Strafver- einen Wettbewerbsfaktor14 dar und erzeugt Kundenbindung.
fahrenskosten. Hier entstehen Verteidigerkosten, Berater- Großunternehmen und weltweit operierende Konzerne stehen
rechnungen und Reisekosten. Auch kann der Beschuldigte im Rampenlicht der Öffentlichkeit.15 Teilweise wird diese
sich nicht mehr ohne weiteres auf seine Aufgaben konzentrie- Prangerwirkung der Öffentlichkeit auch gezielt genutzt, so in
ren, weil das Strafverfahren erhebliche Teile seiner Zeit und der Publizitätspolitik des Bundeskartellamts16, bereits bei
Konzentration beanspruchen kann.9 Verfahrenseinleitung Namen der Unternehmen und Personen
bekannt zu geben. Nichtregierungsorganisationen (NGOs)
b) Ordnungswidrigkeitenrecht und insbesondere die Medien leisten hier Aufklärungsarbeit.
Dem Unternehmen droht ferner eine Unternehmensgeldbuße Besondere Brisanz beinhaltet das Internet dadurch, dass eine
nach § 30 OWiG. Diese kann auch selbständig nach § 30 Verbreitung weltweit in Sekundenschnelle möglich ist.17
Abs. 4 OWiG festgesetzt werden. Anlasstat eines Unterneh- Das Unternehmen erleidet bei seinen Stakeholdern Scha-
mensangehörigen kann insbesondere auch eine Aufsichts- den. Hinsichtlich der Kunden droht eine Schädigung des
pflichtverletzung nach § 130 OWiG sein. Es kann ein Verfall Markenimages, Abwanderung, schlimmstenfalls ein Boykott.
nach § 29a OWiG angeordnet werden. Auch den Lieferanten ist an stabilen Geschäftsbeziehungen
gelegen. Insbesondere aber zum Rating angehaltene Finan-
c) Sonstige rechtliche Nachteile ciers werden Rechtsbrüche im Unternehmen durch schlechte-
re Konditionen sanktionieren. An den Finanzmärkten werden
Je nach verwirklichter Tat kommen vielfältige Sanktionen in
Investoren abgeschreckt, der Kurs sinkt. Versicherungen
Betracht:
erhöhen ihre Prämien. Mitarbeiter und Anwohner verlieren
- kartellrechtliche Nachteile (vgl. §§ 1, 32, 33, 81 GWB,
ihr Vertrauen.
EU-Geldbußen)10,
- wettbewerbs- und vergaberechtliche Nachteile sowie
2. Personal Risks
Marktbeschränkungen, vgl. nur die Eignungsprüfung nach
§§ 25 Nr. 1 Abs. 2 VOB/A, 25 Nr. 1 Abs. 2 lit. b VOL/A und a) Strafrechtliche Nachteile
die Ausschlussgründe (zwingend oder fakultativ) nach §§ 8 Dem delinquierenden Mitarbeiter drohen Geldstrafen und
Nr. 5, 8a Nr. 1 VOB/A, 7 Nr. 5, 7a Nr. 2 VOL/A, 11 I VOF11, Freiheitsstrafen.
Auftragssperren (§§ 6 AEntG, 21 SchwArbG, Art. 4 Abs. 3 Denkbar sind ferner Geldauflagen (§§ 56b Abs. 2 Nr. 1
Bayerisches Bauaufträge-Vergabegesetz, § 9 Abs. 3 Verga- StGB i.V.m. 153a Abs. 1 S. 1 StPO, 56b Abs. 2 Nr. 2 StGB,
begesetz Bremen, § 8 Landesvergabegesetz Niedersachsen), 56b Abs. 3 StGB, 57 Abs. 3 i.V.m. 56b Abs. 2 StGB, 59, 59a
sog. Blacklisting12, i.V.m. 56b Abs. 2 StGB und 153a StPO). Schließlich kom-
- steuerrechtliche Nachteile, vgl. § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG, men auch Einziehung und Verfall in Betracht. Hinsichtlich
- gewerberechtliche Nachteile, §§ 35, 51 GewO, strafprozessualer Zwangsmaßnahmen nimmt die Untersu-
- zivilrechtliche Nachteile, insbesondere Vertragsstrafen chungshaft nach §§ 112 ff. StPO eine wesentliche Rolle ein.
(§§ 339 ff. BGB), Schadensersatz (§§ 280 Abs. 1 BGB, 823
Abs. 1 BGB, Eingriff in eingerichteten und ausgeübten Ge- b) Ordnungswidrigkeitenrecht
werbebetrieb), 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz Verübt der Mitarbeiter eine Ordnungswidrigkeit, insbesonde-
(z.B. §§ 263, 266, 298, 299 StGB), § 826 BGB, Gefähr- re § 130 OWiG, so drohen eine Geldbuße, Verfall und Ein-
dungshaftung, ggf. unter Einschluss von Schmerzensgeld; ziehung, zumindest aber ein Verwarnungsgeld (§§ 56 ff.
Unterlassungsansprüche; Unwirksamkeit (§§ 134, 138 BGB, OWiG).
Rechte zur fristlosen Kündigung und zum Rücktritt) und
Rückabwicklung von Verträgen13 (vgl. auch § 817 S. 2 c) Sonstige rechtliche Nachteile
BGB); Auflösung des Verbands (§§ 396 AktG, 62 GmbHG,
Zivilrechtlich macht sich der Täter u.U. schadensersatzpflich-
81 GenG, 43 BGB, vgl. auch § 17 i.V.m § 3 VereinsG, § 39
tig. Die unternehmerische Praxis bestimmt insbesondere die
Abs. 2 iVm §§ 13 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG, 87 VAG).
Verpflichtung des Vorstands nach § 93 Abs. 2 AktG sowie
des Aufsichtsrats nach § 116 i.V.m. § 93 Abs. 2 AktG. Nach
d) Reputation
allgemeinem Zivilrecht liegen eine Verletzung des Dienstver-
Ein ökonomisch besonders wichtiger Nachteil der Non- trags (§§ 280 Abs. 1, 611 BGB) sowie unerlaubte Handlun-
Compliance ist der Verlust des guten Rufs des Unterneh- gen (§§ 823 ff. BGB) vor.
mens. Andersherum bietet Rechtstreue Imagewerbung, stellt
9 14
Zum Management-Aufwand vgl. Bürkle, BB 2005, 565 Vgl. auch FAZ vom 16.6.2008, S. 20 („Klimaschutz als
(566). Wettbewerbsfaktor“).
10 15
Hierzu Lampert, BB 2002, 2237; Hauschka, BB 2004, Vgl. Bayer AG, Corporate Compliance Policy, abrufbar
1178; Pampel, BB 2007, 1636. unter http://www.bayer.de/de/corporate_compliance_de.pdfx,
11
Vgl. Ohrtmann, NZBau 2007, 201 und 278. S. 7.
12 16
Hefendehl, ZStW 119 (2007), 816 (835); Eidam, Straftäter Schünemann, in: Dornseifer u.a. (Hrsg.), Gedächtnisschrift
Unternehmen, 1997, S. 61 ff. für Armin Kaufmann, 1989, S. 629 (648).
13 17
Hierzu Kappel/Kienle, WM 2007, 1441 (1443). Vgl. Bürkle, BB 2005, 565 (566).
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In verkammerten Berufen können berufsrechtliche Tätig- ne gesetzliche Organisationspflichten sind daher nur Aus-
keitsverbote verhängt werden. Auch kann die Gewerbeer- druck einer allgemeinen Verpflichtung zu einem Legal Ma-
laubnis mangels Zuverlässigkeit entzogen werden. nagement, hiervon geht auch § 130 OWiG aus.24 Ziel der
Arbeitsrechtlich wird oft mit Kündigung zu rechnen sein.18 Compliance-Forschung muss daher eine überpositivistische
Durchdringung der Pflichten sein. Dies birgt das Risiko des
d) Reputation interdisziplinären Dilettantismus, ist aber zur Erarbeitung
Die Öffentlichkeit des Strafprozesses und eine Pressebericht- einer Best Practice im Sinne eines umfassenden Unterneh-
erstattung schädigen den Ruf des Mitarbeiters und schränken mensverhaltensrechts25 unverzichtbar. Die Einhaltung des
dessen Lebensführung ein. Eine ggf. lange Prozessdauer sorgt Strafrechts allein ist sinnlos, wenn die Normen anderer
für eine erhebliche Belastung, der Angeklagte steht in allge- Rechtsgebiete verletzt werden und ähnlich schädliche Sankti-
meiner negativer Beurteilung.19 onen verursachen. Natürlich ist der strafrechtliche Ausschnitt
im Rahmen der Compliance (Criminal Compliance) – das
IV. Strafrechtliche Rechtsquellen der Compliance Ziel, nicht Objekt staatsanwaltlicher Ermittlungen zu werden
– ein besonders wichtiger, vor allem, wenn im Kernstrafrecht
1. Rechtsgrundlagen der Compliance-Anforderungen: Allge-
Freiheitsstrafen der Manager im Raume stehen.
meines
Die einzige (im weiteren Sinne) strafrechtliche explizite
Bereits die negativen Folgen der Non-Compliance veranlas- Organisationsnorm ist § 130 OWiG. Darüber hinaus ist jede
sen Unternehmen dazu, ihre Organisation risikovermeidend strafrechtliche Norm eine Compliance-Norm, da jede Straf-
zu gestalten. Hinzu kommen betriebswirtschaftliche Vorteile, barkeit der Unternehmensführung Manifestation einer Verlet-
die sich durch eine bessere Fundierung unternehmerischer zung der Pflicht sein kann, die Gefahrenquellen der unter-
Entscheidungen, Qualitätssicherung, Innovation einstellen, nehmerischen Tätigkeit abzuschirmen. Da aber in aller Regel
insbesondere eine Wertsteigerung durch Risikomanagement, kein aktives Tun und auch kein Vorsatz vorliegt (oder nach-
Kosteneinsparungen durch Effizienzsteigerung20, Erkennen zuweisen ist, gerade bei größeren Unternehmen), beschränkt
von Chancen (Ausschöpfen latenter und existierender Chan- sich die allgemeine strafrechtliche Compliance-Diskussion
cenpotentiale)21. Dies wiegt ggf. wirtschaftliche Nachteile, im Wesentlichen auf das fahrlässige Unterlassungsdelikt.
wie etwa dadurch, dass mangels Bestechung Konkurrenten Dessen Probleme (vor allem hypothetische Kausalität, Garan-
gewisse Aufträge erhalten, auf. Von bloßer ökonomischer tenstellung des Betriebsinhabers und Anforderungen an die
Zweckmäßigkeit sind Rechtspflichten zu unterscheiden, die Sorgfaltsbemühungen zur Erfolgsvermeidung) sollen aber
die Unternehmensorganisation determinieren. Dem Juristen nicht im Mittelpunkt dieses Beitrags stehen; sie kulminieren
darf aber nicht verborgen bleiben, dass Rechtspflichten zur ohnehin in § 130 OWiG. Die Compliance-Diskussion reaktu-
Einführung von Compliance-Systemen in der Praxis letztlich alisiert allgemeine Probleme des Unterlassungsdelikts und
als sekundär angesehen werden, da der Schutz des Unter- der Fahrlässigkeit. Die Rechtsprechung zu § 130 OWiG prägt
nehmens vor Folgen der Non-Compliance Grund genug dafür hier vielfach auch Auslegung kernstrafrechtlicher Normen.
ist, alles Mögliche und Vertretbare zu versuchen.22 Freilich
schützt dies nicht davor, dass Staat und Management unter- 2. § 130 OWiG als zentrale strafrechtliche Compliance-Norm
schiedlich urteilen, was möglich und vertretbar ist.
§ 130 OWiG lautet:
Viele Rechtsgebiete halten Verhaltens- und Sanktions-
(1) Wer als Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens
normen gegen eine fehlerhafte Unternehmensführung bereit.
vorsätzlich oder fahrlässig die Aufsichtsmaßnahmen unter-
Ein grundlegendes Problem jeder Compliance-Diskussion ist
lässt, die erforderlich sind, um in dem Betrieb oder Unter-
daher die Frage, ob das Ergebnis einer Pflichtenzusammen-
nehmen Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern,
stellung nicht eine Abbildung der Gesamtrechtsordnung ist.
die den Inhaber treffen und deren Verletzung mit Strafe oder
Das Strafrecht – immer auch eingedenk der Einheit der
Geldbuße bedroht ist, handelt ordnungswidrig, wenn eine
Rechtsordnung – ist nur ein Element eines Regelungskom-
solche Zuwiderhandlung begangen wird, die durch gehörige
plexes, der mit Blick alleine auf das Strafrecht gar nicht zu-
Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre.
reichend verstanden werden kann.23 Die Rechtsgebiete sind
Zu den erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen gehören auch die
verflochten, letztlich wird die Differenzierung zwischen
Bestellung, sorgfältige Auswahl und Überwachung von Auf-
Straf-, Öffentlichem und Privatem Recht eingeebnet. Einzel-
sichtspersonen.
(2) Betrieb oder Unternehmen im Sinne des Absatzes 1 ist
18
Zimmer/Stetter, BB 2005, 1445 (1449). auch das öffentliche Unternehmen.
19
LG Aachen JZ 1971, 507 (519). (3) Die Ordnungswidrigkeit kann, wenn die Pflichtverlet-
20
Hucke/Just, ZCG 2007, 5 (11); Feldhaus, NVwZ 1991, 927 zung mit Strafe bedroht ist, mit einer Geldbuße bis zu einer
(933; Selbstkontrolle durch Erkennen von Schwachstellen); Million Euro geahndet werden. Ist die Pflichtverletzung mit
Schwartz, Strafrechtliche Produkthaftung, 1999, S. 152; FAZ Geldbuße bedroht, so bestimmt sich das Höchstmaß der
vom 16.6.2008, S. 20 („Climate Value Added“). Geldbuße wegen der Aufsichtspflichtverletzung nach dem für
21
Wolf, DStR 2002, 1729 (1730). die Pflichtverletzung angedrohten Höchstmaß der Geldbuße.
22
Hauschka, DB 2006, 1142.
23 24
Vgl. Pieth, in: Prittwitz u.a. (Hrsg.), Festschrift für Klaus Lü- Schneider, ZGR 1996, 225 (230).
25
derssen zum 70. Geburtstag, 2002, S. 317 (319). Preußner, NZG 2004, 57 (59).
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Satz 2 gilt auch im Falle einer Pflichtverletzung, die gleich- weiteren Zweck. Die Gegenauffassung35, die auf die rechtli-
zeitig mit Strafe und Geldbuße bedroht ist, wenn das für die che Selbständigkeit der Tochterunternehmen verweist und
Pflichtverletzung angedrohte Höchstmaß der Geldbuße das Zurechnungskaskaden auf rechtlich ungesicherter Basis be-
Höchstmaß nach Satz 1 übersteigt. fürchtet, überzeugt zumindest pauschal nicht. Das Direktions-
recht kann sich nämlich auf innere Strukturen der Tochterge-
a) Täterkreis sellschaften erstrecken, der Konzern faktisch also so struktu-
Die 1968 geschaffene und immer wieder ausgedehnte Norm26 riert sein, dass die Muttergesellschaft in einzelne Entschei-
begründet eine Ordnungswidrigkeit, das Ordnungswidrigkei- dungen hineinwirken kann.36 Faktische Durchgriffsrechte
tenrecht zählt zum (Wirtschafts)Strafrecht im weiteren Sinne. machen dann den Konzern zu einer (unfreien) Hierarchie, die
Ein Grund zur Verharmlosung besteht angesichts teilweise – auch im Kernstrafrecht, vgl. mittelbare Täterschaft und
erreichter Bußgeldhöhen nicht.27 Geschäftsherrenhaftung – umfassender Grund strafrechtlicher
Täter kann nur der Betriebs- oder Unternehmensinhaber Vertikalhaftung ist.
sein. Die Vorschrift begründet eine garantenähnliche Stellung
des Betriebsinhabers.28 Dies meint die oberste Leitungsebene, b) Ratio
nicht etwa Aktionäre. 29 § 9 OWiG statuiert eine Vertreter- Die Aufsichtspflicht nach § 130 OWiG ist eine Vorstufe der
haftung. klassischen Beteiligtenhaftung, eine Erweiterung der Garan-
Betrieb ist eine nicht nur vorübergehende organisatori- tenstellung des Unternehmers durch Lockerung des Schuld-
sche, meist auch räumlich zusammengefasste Einheit von zusammenhangs.37 Der Mensch (bzw. die Zusammenfassung
Personen und Sachmitteln unter einheitlicher Leitung zu dem von Personal und Produktionsmitteln) wird in der modernen
arbeitstechnischen Zweck, bestimmte Leistungen hervorzu- arbeitsteiligen Gesellschaft als Risikofaktor angesehen.38
bringen oder zur Verfügung zu stellen30, ein Unternehmen ist Zwar sind wirtschaftsrechtliche Ge- und Verbote eigentlich
eine rechtlich-wirtschaftliche Einheit, die auf kaufmännische an den Betriebsinhaber gerichtet, sie sind allerdings so zahl-
Tätigkeit gerichtet ist31. Gewinnerzielungsabsicht ist nicht reich und vielschichtig, dass dieser sie nicht alle selbst wahr-
erforderlich.32 Öffentliche Unternehmen sind nach § 130 nehmen kann, es droht Überforderung. Aus der gesteigerten
Abs. 2 OWiG erfasst. Ob Konzerne Unternehmen i.S.d. § 130 Betätigungsmöglichkeit, die der Betrieb mit sich bringt und
Abs. 1 OWiG sind, ist strittig.33 Die h.M. bejaht dies34: Kon- die dem Inhaber Vorteile verschafft, sowie aus der typischen
zerne seien faktisch wie Unternehmen organisiert (reale Kon- Situation, dass andere Personen den Wirkungskreis des Inha-
zern-Verbandspersönlichkeit), hätten eine einheitliche Lei- bers ausfüllen, ergibt sich für diesen eine erhöhte Pflichten-
tung, auch für den außenstehenden Betrachter bildeten sie stellung dahin gehend, dass Aufsichtsmaßnahmen notwendig
eine planvoll lenkende Wirtschaftseinheit mit einem eigenen werden, damit die vorrangig ihm obliegenden Pflichten ein-
gehalten werden.39 § 130 OWiG stellt eine Kompensation für
Lücken dar, einerseits im Bereich der Zurechnung, da der
unmittelbar Zuwiderhandelnde ggf. auch nicht über §§ 9
26
Zur Historie Maschke, Aufsichtspflichtverletzungen in OWiG, 14 StGB Normadressat ist40, andererseits Rechtsfol-
Betrieben und Unternehmen, 1997, S. 6 ff.; Achenbach, gelücken wegen §§ 40 Abs. 2, 46 Abs. 2 StGB, 17 OWiG, da
wistra 2002, 141; zu früheren Anwendungsschwierigkeiten die Höhe des Bußgelds nach den Verhältnissen des wirt-
wegen des Kausalitätserfordernisses Schünemann, Unter- schaftlich meist schwächer gestellten Täters zu bemessen ist
nehmenskriminalität und Strafrecht, 1979, S. 124 f.; Kohl- und die eigentliche Ursache für Gesetzesverletzung in der
mann/Ostermann, wistra 1990, 121 (124). mangelhaften Organisation und Beaufsichtigung des Betriebs
27
Schmidt, wistra 1990, 131 (133) („schwindelnde Millio- liegt.41
nenhöhen“); Bosch, Organisationsverschulden in Unterneh- § 130 OWiG wirkt auch ggf. haftungserweiternd, da eine
men, 2002, S. 312 Fn. 992. fahrlässige Aufsichtspflichtverletzung ausreicht42. Besondere
28
Lemke/Mosbacher, Ordnungswidrigkeitengesetz, Kom- Bedeutung hat der Haftungsdurchgriff auf das Unternehmen
mentar, 2. Aufl. 2005, § 130 Rn. 2; Kohlmann/Ostermann,
35
wistra 1990, 121 (124); Alexander, Die strafrechtliche Ver- König, in: Göhler (Hrsg.), Ordnungswidrigkeitengesetz,
antwortlichkeit für die Wahrung der Verkehrssicherungs- Kommentar, 14. Aufl. 2006, § 130 Rn. 5a.
36
pflichten in Unternehmen, 2005, S. 226. Bohnert (Fn. 32), § 130 Rn. 7.
29 37
Rogall, in: Senge (Hrsg.), Karlsruher Kommentar zum Ge- Alexander (Fn. 28), S. 227.
38
setz über Ordnungswidrigkeiten, 3. Aufl. 2006, § 130 Rn. 23. Rogall (Fn. 29), § 130 Rn. 2.
30 39
Lemke/Mosbacher (Fn. 28), § 130 Rn. 6. Rogall (Fn. 29), § 130 Rn. 3; König (Fn. 35), § 130 Rn. 2;
31
Lemke/Mosbacher (Fn. 28), § 130 Rn. 7. vgl. auch schon Kleinewefers/Boujong/Wilts, in: Rotberg
32
Bohnert, Ordnungswidrigkeitengesetz, Kommentar, 2. Aufl. (Hrsg.), Ordnungswidrigkeitengesetz, Kommentar , 5. Aufl.
2007, § 130 Rn. 4. 1975, § 130 Rn. 1.
33 40
Überblick bei Alexander (Fn. 28), S. 305 ff. König (Fn. 35), § 130 Rn. 2; Rogall (Fn. 29), § 130 Rn. 4.
34 41
Schneider, ZGR 1996, 225 (244); Lemke/Mosbacher König (Fn. 35), § 130 Rn. 3.
42
(Fn. 28), § 130 Rn. 7; Rogall (Fn. 29), § 130 Rn. 25; Kauf- Ransiek, Unternehmensstrafrecht, 1996, S. 99, 346; König
mann, Möglichkeiten der sanktionenrechtlichen Erfassung von (Fn. 35), § 130 Rn. 1; vgl. schon Demuth/Schneider, BB
(Sonder-)Pflichtverletzungen im Unternehmen, 2003, S. 144 f. 1970, 642 (647).
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selbst, was zu einer extensiven Handhabung der Aufsichts- möglich. Es ist nicht einleuchtend, dass der Unwert nicht von
pflichten führen kann, um eine Unternehmenshaftung nach der (drohenden) tatsächlichen Rechtsgutsverletzung abhän-
§ 30 OWiG auszulösen.43 Freilich dürfen die aufsichtspflich- gen soll56, zumal die fehlerhafte Organisation eines Betriebs
tigen Personen nicht als Mittel zum Zweck eines verstärkten alltäglich ist.57
staatlichen Interesses an der Verhängung von Geldbußen
gegen Unternehmen missbraucht werden.44 d) Pflichten, die den Inhaber als solchen betreffen
Mag auch die Sicherung von Zurechnung als Rechtsgut Pflichten, die den Inhaber als solchen treffen58, dies meint
nicht ausreichend sein45, so ist die Norm doch genau so kon- auch Verbote,59 können nach zutreffender h.M.60 nicht nur in
zipiert46, um mittels der Ordnung im Betrieb47 die durch die Gestalt von Sonderdelikten vorliegen61; vielmehr kommen
einzelnen betriebsbezogenen Straf- und Bußgeldvorschriften alle betriebsbezogenen Delikte in Betracht. Der Verweis der
geschützten Rechtsgüter zu schützen.48 Dies ergibt sich dar- Gegenauffassung auf den Wortlaut des § 130 Abs. 1 S. 1
aus, dass der Bußgeldrahmen an die Zuwiderhandlung ge- OWiG62, auch in Gegenüberstellung zu §§ 30 Abs. 1 OWiG
koppelt ist, es sich insofern um erfolgsbezogene Verpflich- 63
, 70 Abs. 1 S. 1 StGB, überzeugt insofern nicht, als der
tungen handelt.49 Dies schließt nicht aus, von einem eigen- Inhaber als solcher gerade auch von besonderen Sorgfaltsan-
ständigen Schuldgehalt50 der Aufsichtspflichtverletzung zu forderungen aufgrund strafrechtlicher Allgemeindelikte be-
sprechen, da die Zuwiderhandlung als objektive Bedingung troffen ist (mittelbare Täterschaft, Garantenstellung, Sorg-
der Ahndung lediglich indizielle Bedeutung als praktische faltspflichten in Gestalt von Unternehmensorganisations- und
Notwendigkeit (Kontrollmechanismus ähnlich einem Strafan- -führungspflichten u.a.). Nicht nur bei Sonderdelikten folgt
tragserfordernis) hat.51 eine Gefahr aus der Delegation.64 Jede Arbeitsteilung kann
die Wahrscheinlichkeit einer Rechtsgutsverletzung erhöhen.
c) Tathandlung: Aufsichtspflichtverletzung Dem entgegen zu wirken ist gerade Zweck des § 130
Tathandlung ist das Unterlassen der erforderlichen und gehö- OWiG.65
rigen Aufsichtsmaßnahmen nach einem Akt der Delegation.
Es handelt sich um ein echtes Unterlassungsdelikt. Entgegen e) Zuwiderhandlung
der wohl h.M. handelt es sich nicht um ein abstraktes Ge- Die Zuwiderhandlung des Mitarbeiters66 kann sich aus einer
fährdungsdelikt52, sondern wegen des beschriebenen Zusam- Vielzahl von gesetzlichen Pflichten ergeben. Eine in der
menhangs von Aufsichtspflichtverletzung und Zuwiderhand- Vergangenheit besonders praxisrelevante Fallgruppe war die
lung um ein konkretes Gefährdungsdelikt53, dahingehend, Einhaltung der Ruhezeiten nach dem FPersG.67
dass – in teleologischer Reduktion der Norm – die nahe Ge- Die Feststellung eines bestimmten Täters der Zuwider-
fahr von betrieblichen Zuwiderhandlungen eines bestimmten handlung ist nicht erforderlich.68 Die Zuwiderhandlung muss
Typus Tatbestandsmerkmal ist.54 Dies verringert auch die in der Person des Handelnden selbst nicht auch geahndet
Bedenken hinsichtlich des Bestimmtheitsgrundsatzes nach werden können, der äußere Geschehensablauf ist ausrei-
Art. 103 Abs. 2 GG55: ein sorgfältiges Verhalten an sich gibt chend69, im Unterschied zu §§ 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB, 1
es nämlich nicht, die gebotene Aufsicht lässt sich immer nur Abs. 2 OWiG.
im Hinblick auf bestimmte Rechtsgüter bestimmen, erst dann
wird eine substantielle Verhaltensbeschreibung überhaupt
43 56
Bosch (Fn. 27), S. 314; Rogall (Fn. 29), § 130 Rn. 6; vgl. Schünemann, in: ders./Suárez González (Hrsg.), Bausteine
auch Maschke (Fn. 26), S. 29 f.; Ransiek (Fn. 42), S. 109; des europäischen Wirtschaftsstrafrechts, 1994, S. 265 (276).
57
Tessin, BB 1987, 984 (985); krit. auch v. Freier, Kritik der Mittelsdorf, Unternehmensstrafrecht im Kontext, 2007, S. 138.
58
Verbandsstrafe, 1998, S. 42. Hierzu Ransiek (Fn. 42), S. 103 ff.; Hellmann/Beckemper,
44
Schürmann, Aufsichtspflichtverletzungen im Spannungsfeld Wirtschaftsstrafrecht, 2. Aufl. 2008, Rn. 891 ff.; Bosch
zwischen dem Strafrecht und dem Zivilrecht, 2005, S. 113. (Fn. 27), S. 341 ff.; Rogall (Fn. 29), § 130 Rn. 77 ff.
45 59
Bosch (Fn. 27), S. 318 f.; Rogall (Fn. 29), § 130 Rn. 12. König (Fn. 35), § 130 Rn. 18.
46 60
Maschke (Fn. 26), S. 19, 21 ff. Vgl. König (Fn. 35), § 130 Rn. 18.
47 61
So BGHZ 125, 366. So aber Schünemann (Fn. 26), S. 112 ff.; Bottke, wistra
48
Lemke/Mosbacher (Fn. 28), § 130 Rn. 3; König (Fn. 35), 1991, 81 (87); Rogall (Fn. 29), § 130 Rn. 84 f.
62
§ 130 Rn. 3a. Ransiek (Fn. 42), S. 103.
49 63
Rogall (Fn. 29), § 130 Rn. 13 f. Ransiek (Fn. 42), S. 103.
50 64
Bosch (Fn. 27), S. 324. So aber Ransiek (Fn. 42), S. 104 f.
51 65
Bosch (Fn. 27), S. 326 ff. Hellmann/Beckemper (Fn. 58), Rn. 892.
52 66
Vgl. nur Bohnert (Fn. 32), § 130 Rn. 1. Zur Bestimmung des Kreises der Zuwiderhandelnden Ro-
53
Rogall (Fn. 29), § 130 Rn. 16; König (Fn. 35), § 130 Rn. 9. gall, ZStW 97 (1986), 573 (606); Rogall (Fn. 29), § 130
54
Rogall (Fn. 29), § 130 Rn. 17 f. Rn. 92; Alexander (Fn. 28), S. 263; a.A. König (Fn. 35), § 130
55
Schünemann (Fn. 26), S. 121, 217 ff.; ders., wistra 1982, Rn. 19.
67
41 (48); ihm folgen Kohlmann/Ostermann, wistra 1990, 121 Hierzu König (Fn. 35), § 130 Rn. 27a.
68
(130) bzgl. eines Tatbestandsentwurfs der Aufsichtspflicht- König (Fn. 35), § 130 Rn. 20.
69
verletzung; vgl. auch Bottke, wistra 1991, 81 (86). Többens, NStZ 1999, 1 (5); König (Fn. 35), § 130 Rn. 21.
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Strafrechtliche Aspekte der Compliance-Diskussion
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f) Wesentliches Erschweren als operationale Größe abzustecken, nicht nach.84 Der Unter-
Die Aufsichtsmaßnahme muss die Zuwiderhandlung wesent- nehmer (als Rechtslaie) braucht im Moment der Entschei-
lich erschwert haben. Durch das Abstellen auf ein wesentli- dung zuverlässige Leitlinien, Kontinuität, verlässliche Maß-
ches Erschweren ist die Risikoerhöhungslehre hier Gesetz stäbe, Erwartungssicherheit und hinreichend deutliche Pflich-
geworden70; Grund sind die praktischen Vorteile71, da die tenpotentiale85. Er braucht die Gewissheit, dass bestimmte
Feststellung eines hypothetischen Kausalzusammenhangs Organisationsmodelle gerichtsfest sind. Es droht eine Verun-
nachträglich nur schwer möglich ist.72 Eine wesentliche Er- sicherung der Betroffenen: diese können mit allgemeinen
schwerung liegt vor, wenn die gehörige Aufsicht zur Beseiti- Imperativen wenig anfangen, die Konkretisierungsleistung
gung der betriebstypischen Zuwiderhandlungsgefahr geeignet wird dem Pflichtigen selbst abverlangt – unter Strafe der
war73, dies erfordert eine substantielle Reduzierung der Falschbestimmung.86
Wahrscheinlichkeit der Zuwiderhandlung.74 Ökonomen brauchen harte Vorgaben, da sie betriebswirt-
schaftlich denken müssen; Berechenbarkeit ist Voraussetzung
g) Rechtsfolge allen wirtschaftlich-sozialen Handelns. Wie soll sich ein
Wirtschaftssubjekt ökonomisch rational verhalten können,
Die Geldbuße wird nach Maßgabe des § 130 Abs. 3 OWiG
wenn strafrechtliche Kosten nicht kalkulierbar sind?87 Nicht
bestimmt. Maßgeblich ist der individuelle Vorwurf gegen-
ohne Grund berücksichtigte das Gericht im Contergan-Fall88
über dem Betriebsinhaber, d.h. das Gewicht der Aufsichts-
die schwierige Situation, das tatsächlich Gebotene zu erken-
pflichtverletzung.75 Zu berücksichtigen ist im Lichte des
nen.
Zwecks des § 130 OWiG auch die Bedeutung und Schwere
Der Hinweis darauf, dass die Rechtsprechung zur Kon-
der im Betrieb begangenen Zuwiderhandlung.76
kretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe berufen ist89, hilft
den volkswirtschaftlich unentbehrlichen Unternehmen inso-
V. Die Grundlagenprobleme bei der Bestimmung der
fern wenig weiter, als hinter jedem Urteil ein Verurteilter
Anforderungen
steckt, auf dessen Rücken offene Fragen ausgetragen wurden.
Der Begriff der Aufsichtsmaßnahme ist farblos, er liefert Ein Unternehmen darf und will das Wagnis nicht eingehen,
keine Hilfestellung zur Konkretisierung von abstrakt erfor- sich selbst auf dem Altar der Rechtsfortbildung zu opfern.90
derlichen Aufsichtsmaßnahmen77; es besteht die Gefahr, dass Im Fallvergleich gibt es ohnehin immer nur ähnliche Ent-
das Delegationsrecht ausgeschaltet wird78, da sich irgendeine scheidungen.91 Ziel muss es doch sein, eine eigenverantwort-
unterlassene Aufsichtsmaßnahme immer finden lässt.79 Es liche Rechtsfindungsleistung zu ermöglichen. Das Strafrecht
gibt keine Aufsichtspflicht als solche, diese ist immer auf darf bei einer Gesellschaftsentwicklung, die durch rasche
bestimmte betriebliche Situationen und Verrichtungen zuge- Veränderungen mit erhöhtem Gefahrenpotential geprägt ist,
schnitten.80 Ein solcher Generaltatbestand weckt auch Zwei- nicht so angewendet werden, dass alle neuen Risiken demje-
fel hinsichtlich der Präventionswirkung.81 Aufgabe von Wis- nigen auferlegt werden, der erhöht riskant handelt.92
senschaft und Praxis ist es, dem Konflikt von Flexibilität Verschärft wird das Ganze durch die Schwierigkeiten fai-
(also Unbestimmtheit) und Rechtssicherheit (also Lückenhaf- rer nachträglicher Verantwortungszuschreibung93, vor allem
tigkeit) durch Standardisierung rechtlich anerkannter Verhal- durch die Gefahr, dass die Aufsichtspflichtverletzung von der
tensweisen Rechnung zu tragen.82 Die Rechtsprechung be-
gnügt sich zu häufig mit der Feststellung, dass die getroffe- 84
nen Vorkehrungen nicht ausreichend gewesen sind, ohne die Bosch (Fn. 27), S. 440 Fn. 1396.
85
in dem jeweiligen Einzelfall gebotenen Maßnahmen zu kon- Vgl. Hassemer, Produktverantwortung im modernen Straf-
kretisieren83 und kommt ihrer Pflicht, den Sorgfaltsmaßstab recht, 2. Aufl. 1996, S. 55; Kuhlen, in: Roxin u.a. (Hrsg.), 50
Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft,
Bd. 4, 2000, S. 647 (656 f.) („Das hier liegende Problem ist
70
Maschke (Fn. 26), S. 74. sehr ernst zu nehmen. Strafbewehrte Verhaltenspflichten
71
Mittelsdorf (Fn. 57), S. 138. müssen klar erkennbar sein.“).
72 86
König (Fn. 35), § 130 Rn. 22a. Hassemer (Fn. 85), S. 69; vgl. auch Rotter, in: Brünner
73
Hellmann/Beckemper (Fn. 58), Rn. 901; König (Fn. 35), (Hrsg.), Korruption und Kontrolle, 1981, S. 113; Alexander
§ 130 Rn. 22a. (Fn. 28), S. 144.
74 87
Rogall (Fn. 29), § 130 Rn. 101. Bosch (Fn. 27), S. 473.
75 88
König (Fn. 35), § 130 Rn. 28a. LG Aachen JZ 1971, 507 (518).
76 89
KG wistra 1999, 359; König (Fn. 35), § 130 Rn. 28a; Boh- Schünemann, in: Küper u.a. (Hrsg.), Festschrift für Karl
nert (Fn. 32), § 130 Rn. 38. Lackner zum 70. Geburtstag, 1987, S. 367 (390).
77 90
Bosch (Fn. 27), S. 337, 347 ff. Lüderssen, Entkriminalisierung des Wirtschaftsrechts
78
OLG Düsseldorf wistra 1999, 115 (116); Bosch (Fn. 27), Bd. 2, 2007, S. 141 f.
91
S. 353. Hilgendorf, Strafrechtliche Produzentenhaftung in der
79
Ransiek (Fn. 42), S. 102 (107); Bosch (Fn. 27), S. 307, 337. „Risikogesellschaft“, 1993, S. 162.
80 92
Maschke (Fn. 26), S. 32. Dannecker, in: Amelung (Hrsg.), Individuelle Verantwor-
81
Bosch (Fn. 27), S. 348. tung und Beteiligungsverhältnisse bei Straftaten in bürokrati-
82
Bosch (Fn. 27), S. 358. schen Organisationen, 2000, 209 (226).
83 93
Alexander (Fn. 28), S. 29, 235. Kuhlen (Fn. 85), 647 (658).
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begangenen Zuwiderhandlung her bestimmt wird94, das Ge- Tatsächlich oder rechtlich101 Unmögliches wird nicht ver-
richt also im rückwärtsgewandten Blick95 eine erfolgsorien- langt.
tierte Betrachtung vornimmt und so eine Forderung nach Die Erforderlichkeit determiniert geeignete Maßnahmen,
Sündenböcken befriedigt. Es handelt sich um die ganz also solche, die aufgrund ihrer verhaltensbeeinflussenden
menschliche Tendenz, jemanden für die Schädigung auch Wirkung die Wahrscheinlichkeit dafür senken, dass unter-
dann verantwortlich zu machen, wenn zweifelhaft ist, ob er nehmensbezogene Verfehlungen stattfinden. Die Maßnahmen
sich, ex ante beurteilt, wirklich fehlerhaft und pflichtwidrig haben sich daran zu orientieren, dass betriebsbezogene
verhalten hat96; die Betrachtung ex post97 versperrt den unbe- Pflichten aller Voraussicht nach eingehalten werden.102 Zwi-
fangenen Blick auf die Pflichtwidrigkeit einer Handlung98; es schen mehreren gleich geeigneten Maßnahmen darf der Auf-
erfolgt keine Prüfung der Risikoerhöhung, sondern lediglich sichtspflichtige die mit der geringsten Belastungswirkung
eine nachträgliche Analyse einer Risikoverwirklichung.99 (also mit dem geringsten Aufwand, vor allem finanziell)
wählen.103
VI. Möglichkeit, Erforderlichkeit, Zumutbarkeit Die Zumutbarkeit von Aufsichtsvorkehrungen ist objekti-
1. Grundsätze ves Tatbestandsmerkmal. Für § 130 Abs. 1 S. 1 OWiG ergibt
sich dies aus dem Begriff der „gehörigen“ Aufsicht.104 Der
Geschuldet werden alle möglichen, erforderlichen und zu-
Begriff dient dazu, erlaubte Risikosetzungen von unerlaubten
mutbaren Maßnahmen.100
zu unterscheiden. Zu ahnden ist nur die Schaffung einer nicht
mehr tolerierten Gefahr gegenüber einem Rechtsgut, es gibt
keine Pflicht, jedes Risiko zu vermeiden.105 Die Verhältnis-
94 mäßigkeit zwischen Aufwand der Aufsichtsmaßnahme und
Ransiek (Fn. 42), S. 107; Bosch (Fn. 27), S. 340; Alexander
der Wahrscheinlichkeit einer Normverletzung ist zu bestim-
(Fn. 28), S. 32; Große Vorholt, Wirtschaftsstrafrecht, 2. Aufl.
men. Überspannte Anforderungen106 sind im Interesse geord-
2007, Rn. 1574.
95 neter Betriebs- und Volkswirtschaft zu vermeiden. Es muss
Maschke (Fn. 26), S. 33; Bosch (Fn. 27), S. 350.
96 akzeptiert werden, dass strafrechtlich nur ein gewisses
Kuhlen, JZ 1994, 1142 (1146).
97 Grundmaß an Organisationspflichten abgesichert werden
Vgl. z.B. Schünemann (Fn. 26), S. 251 („vom Erfolge
kann, kein umfassender Rechtsgüterschutz.107 Compliance-
rückblickend die zu seiner Vermeidung notwendigen und
Systeme dürfen keine übermäßige interne Regulierung be-
zumutbaren Maßnahmen ermittelt und durch eine Interessen-
wirken.108
abwägung bewertet“); Brammsen, GA 1993, 97 (108: „kann
Die Balance zwischen Sicherheitsinteressen und Wert-
die Pflichtwidrigkeit eines rechtsgutsgefährdenden Verhal-
schöpfungszielen erfordert die Bestimmung der wirtschaftli-
tens nicht vom Eintritt eines rechtlich unerwünschten Erfol-
chen Vertretbarkeit. Hierbei ist eine Quantifizierung der
ges her bestimmt werden“ und „wertwidriger Erfolg keinerlei
Schutzanforderungen in möglichst großem Maße anzustre-
Schlussfolgerungen bezüglich der Pflichtwidrigkeit seiner
ben. Dies führt zu einer Bestimmung der Zumutbarkeit mit-
Herbeiführung erlaubt“); Heine, Die strafrechtliche Verant-
tels Risikomanagements, d.h. mathematischen (Anforde-
wortlichkeit von Unternehmen, 1995, S. 44, 129; vgl. auch
rungs)Ermittlungen: (Straf)Recht als Risikomanagement.
ganz allgemein Jakobs, GA 1996, 253 („Fehlt trotz rechts-
widrigen Verhaltens ein Ausdruck kommunikativ relevanten
2. Gesetzliche Konkretisierung
Sinns falschen Inhalts, so ist strafrechtlich nichts zu veranlas-
sen, wie groß auch immer der ansonsten zu ermittelnde Scha- Vorrang hat natürlich die staatliche Sicherheitsgesetzgebung,
den, etwa als Rechtsgutsverletzung, sein mag und wie ange- d.h. Sondervorschriften bzgl. einzelner Aspekte der Risiko-
bracht Schadensersatzleistungen oder Präventionen weiteren verminderung, wie z.B. im Straßenverkehrsrecht umfassend
Schadens sein mögen.“); zu einer gefährlich schillernden vorhanden. Hierbei handelt es sich um demokratisch legiti-
Betrachtungsweise vgl. aber etwa Heine (Fn. 97), S. 298 mierte Manifestationen von (tatsächlichen oder intuitiven)
(„Dabei orientiert sich das Urteil zunächst einmal an dem ex Risiko-Berechnungen, Definition eines Sicherheitsniveaus,
ante verfügbaren Risikowissen. Darüber hinaus aber berück- dessen Unterschreitung eine missbilligte Risikoschaffung ist.
sichtigt es auch den im Entscheidungszeitpunkt verfügbaren Diese Bewertung von Risiken ist verbindlich, auch für den
Wissensstand einschließlich der aus dem Störfall selbst ge- Strafrichter, das Strafrecht darf in diesen Bereichen keine
wonnenen Erkenntnisse.“).
98 101
Vgl. auch Hauschka, AG 2004, 461: „Wenn man vom Rogall (Fn. 29), § 130 Rn. 38.
102
Rathaus kommt, ist man immer schlauer“; Maschke (Fn. 26), BGHSt 25, 158 (163); BGH NJW 1973, 1511 (1513 f.);
S. 54 (nachträglich ergebendes Sonderwissen, das im Zeit- OLG Zweibrücken NStZ-RR 1998, 311 (312); OLG Stuttgart
punkt des Unterlassens noch gar nicht zur Verfügung stand); NJW 1977, 1410; Alexander (Fn. 28), S. 238.
103
Kohlmann/Ostermann, wistra 1990, 121 (128); Heine Rogall (Fn. 29), § 130 Rn. 38, 48.
104
(Fn. 97), S. 127 f.; Schürmann (Fn. 44), S. 34 („Nachher ist Rogall (Fn. 29), § 130 Rn. 49.
105
man immer schlauer.“); Große Vorholt, Behördliche Stel- Dannecker (Fn. 92), 209 (214); vgl. schon RGSt 30, 25 (27).
106
lungnahmen in der strafrechtlichen Produkthaftung, 1997, OLG Koblenz MDR 1973, 606; OLG Düsseldorf NStZ-
S. 96 („Perspektive des im Nachhinein Klügeren“). RR 1999, 151.
99 107
Maschke (Fn. 26), S. 91. Bosch (Fn. 27), S. 501.
100 108
Vgl. nur BGH NStZ 1997, 545 (546). Bürkle, BB 2005, 565 (566).
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weitergehenden Pflichten statuieren.109 Auch eine große An- Rechtsgüterschutzes. Bei neuen Risken und Erkenntnissen
zahl an Sicherheitsregeln kann aber nicht verbergen, dass der existiert kein Vergleichsmaßstab.119 Schon ganz grundsätz-
Staat in modernen Risikogesellschaften immer weniger in der lich ist unklar, wie eng der zu betrachtende Kreis gezogen
Lage ist, Sicherheit zu garantieren und dementsprechend werden darf.120 Ohnehin ist keine Deskription (Empirie)
Verantwortung zu übernehmen; stets können nämlich auf- gemeint: die Branche hätte es in der Hand, durch gemeinsa-
grund besonderer Umstände weiter gehende Vorkehrungen me einheitliche Nachlässigkeit die Anforderungen immer
geboten sein.110 weiter herunterzuschrauben121, so dass die Gefahr bestünde,
Wichtige Orientierung liefern auch (private) Verkehrs- dass eine Bestimmung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt
normen und Branchenstandards, etwa DIN-, VDE- oder VCI- durch die Beschreibung der tatsächlich aufgebrachten Sorg-
Normen.111 Diesen kommt eine Indizfunktion112 zu, eine falt ersetzt wird.122
widerlegbare Vermutung der grundsätzlichen Verkehrsrich- Fruchtbarer sind unternehmensbezogene Kriterien, die
tigkeit für die Lösung der zu treffenden Entscheidungen. den Grad der erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen von be-
Weil es aber lediglich Mindeststandards sind113, beantworten stimmten Größen der Geschäftstätigkeit abhängig machen.123
sie strenggenommen die Sorgfaltsfrage nicht eindeutig und Dies sind vor allem:
sind so ggf. nutzlos. Auch bestehen nach wie vor grundle- - Unternehmensgröße, Zahl der Beschäftigten124,
gende Bedenken gegen die Selbstregulierung, vor allem auf- - Betätigungs-, Geschäftsfeld/Art der Tätigkeiten: Gefah-
grund des Interessenkonflikts insofern, als die Risikosetzer renträchtigkeit der Geschäftstätigkeit, Gefahr der Verursa-
über das Maß der erforderlichen Riskoverminderungsmaß- chung besonders hoher Schäden125,
nahmen entscheiden.114 - bereits vorgekommene Verstöße und Schadensfälle126.
Im Einzelfall können auch behördliche Entscheidungen
und Stellungnahmen das Maß des erlaubten Risikos festle- 4. Ökonomische Konkretisierung
gen.115 Hierin steckt der richtige Grundsatz wirtschaftlicher Propor-
tionalität: je größer der Erwartungswert einer Rechtsgüterbe-
3. Konkretisierung durch Maßfiguren und unternehmensbe- einträchtigung, desto mehr Aufsicht zur Wahrscheinlichkeits-
zogene Kriterien reduzierung ist geboten. Kern der Konkretisierung zumutba-
Oft mangelt es an staatlichen Entscheidungen zum Ausmaß rer Maßnahmen ist eine Bedachtnahme auf die Einsichten der
erforderlicher und zumutbarer Aufsichtsmaßnahmen. Man Ökonomie. Criminal Compliance leistet so einen Beitrag zur
behilft sich dann mit unternehmensbezogenen Kriterien und methodisch-ökonomischen Fundierung des strafrechtlichen
Maßfiguren. Rechtsgüterschutzes, indem es alle Verhältnismäßigkeitsprü-
Beim Maßfigurenmodell wird eine zu ermittelnde durch- fungen und Abwägungen in möglichst großem Maße quanti-
schnittliche Sorgfalt eines Unternehmers in der entsprechen- fiziert. Wunder sind von der Wirtschaftswissenschaft freilich
den Lage behauptet.116 Einen Erkenntnisgewinn liefert dies nicht zu erwarten: bis heute gibt es wenig eindeutige theoreti-
nicht117: als maßgerecht wird das festgelegt, was man im sche Aussagen zur Unternehmensorganisation, das empiri-
jeweils zu bewertenden Fall als angemessen erachtet118, erst sche Bild ist uneinheitlich127, gesicherte Erkenntnisse über
recht angesichts des manchmal übermächtig erscheinenden
119
Bosch (Fn. 27), S. 399.
109 120
Dannecker (Fn. 92), 209 (219, 221). Bosch (Fn. 27), S. 400.
110 121
Alexander (Fn. 28), S. 83. Schwartz (Fn. 20), S. 77.
111 122
Bosch (Fn. 27), S. 411 ff.; vgl. auch Schwartz (Fn. 20), Bosch (Fn. 27), S. 396.
123
S. 151 f.; Kassebohm/Malorny, BB 1994, 1361 (1368 f.). Kleinewefers/Boujong/Wilts (Fn. 39), § 130 Rn. 3; Boh-
112
Schünemann, JA 1975, 575 (577); vgl. ders. (Fn. 89), nert (Fn. 32), § 130 Rn. 18; König (Fn. 35), § 130 Rn. 10;
S. 367 (386); Bosch (Fn. 27), S. 413. Lemke/Mosbacher (Fn. 28), § 130 Rn. 12; Demuth/Schneider,
113
Vgl. OLG Hamm NJW 1971, 442 (443); Heine (Fn. 97), BB 1970, 642 (648); Scharpf, DB 1997, 737 (739); Maschke
S. 285; Doms, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Un- (Fn. 26), S. 50; Lensdorf, CR 2007, 413 (416); Alexander
ternehmers für den Arbeitsschutz im Betrieb, 2006, S. 148. (Fn. 28), S. 235; OLG Zweibrücken NStZ-RR 1998, 311;
114
Schünemann (Fn. 89), S. 367 (370, 377 f.); vgl. auch Ale- OLG Düsseldorf wistra 1991, 38 (39); OLG Düsseldorf
xander (Fn. 28), S. 99. wistra 1999, 115 (116); OLG Hamm – 1 Ss OWi 634/03;
115
Hierzu Große Vorholt (Fn. 98). OLG Hamm wistra 2003, 469.
116 124
Siehe etwa zu § 130 OWiG OLG Düsseldorf wistra 1999, OLG Stuttgart NJW 1977, 1406: „Kleinbetrieb mit einer
115 (116) („Sorgfalt, die von einem ordentlichen Angehöri- überschaubaren und damit leicht kontrollierbaren Anzahl von
gen des jeweiligen Tätigkeitsbereiches verlangt werden kann, Angestellten“.
125
um die Verletzung betriebsbezogener Pflichten zu verhin- Vgl. auch Ransiek (Fn. 42), S. 41: „Je höher aber das
dern.“); vgl. König (Fn. 35), § 130 Rn. 12; schon Kleinewe- betroffene Rechtsgut zu bewerten ist, desto weiter ist der
fers/Boujong/Wilts (Fn. 39), § 130 Rn. 3. Pflichtenkreis.“; S. 108: „Je größer der drohende Schaden,
117
Bosch (Fn. 27), S. 395 ff.; vgl. auch Schünemann, JA desto stärkere Anforderungen sind an die Aufsichtspflicht zu
1975, 575; Maschke (Fn. 26), S. 38; Demuth/Schneider, BB stellen“.
126
1970, 642 (648); Tessin, BB 1987, 984 (986). Mittelsdorf (Fn. 57), S. 66.
118 127
Hilgendorf (Fn. 91), S. 155; Alexander (Fn. 28), S. 100. Füser/Gleißner/Meier, DB 1999, 753 (757).
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128
Vgl. Mittelsdorf (Fn. 57), S. 150 f., 212.
129 134
Mittelsdorf (Fn. 57), S. 212. Zum Ganzen Scharpf, DB 1997, 737 (740); Kromschrö-
130
Heine (Fn. 97), S. 134. der/Lück, DB 1998, 1573 (1574 f.); Füser/Gleißner/Meier,
131
Vgl. Mittelsdorf (Fn. 57), S. 151. DB 1999, 753.
132 135
Kromschröder/Lück, DB 1998, 1573 (1574). Heine (Fn. 97), S. 132; Prittwitz, Strafrecht und Risiko,
133
Vgl. Richtlinie der Bundesregierung zur Korruptionsprä- 1993, S. 92 f.
136
vention in der Bundesverwaltung vom 30.7.2004, Pkt. 2. Wolf, DStR 2002, 1729 (1731).
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che und geistige Fähigkeit zur sachgerechten Aufgabenwahr- satz, dieser gilt aber nur sehr eingeschränkt, so dass die Auf-
nehmung151) und persönlicher Zuverlässigkeit152 ausschöp- sichtsanforderungen für Vorgesetzte viel strenger sind als bei
fen. Regelmäßig reicht es aus, wenn der Aufsichtspflichtige horizontaler Arbeitsteilung.
auf Grundlage seiner eigenen Lebens- und Berufserfahrung Man muss dem Vorgesetzten ein nicht unbeträchtliches
die Fähigkeiten und Zuverlässigkeit der einzustellenden Per- Maß an berechtigtem Vertrauen gegenüber seinen Unterge-
son einschätzt153, wenn aber ein Einzustellender mit Wirkung benen zubilligen: er muss nicht alles nachvollziehen, was der
nach innen und außen eigene Dispositionsbefugnisse erhält Delegat getan hat, sondern nur umrisshaft begleiten, sonst
oder die geplante Tätigkeit zwangsläufig Gefahren für Dritte hätte ein Einsatz anderer Personen keinen Sinn161, das beste-
mit sich bringt (Vertrauensstellungen), kann es erforderlich hende Delegationsrecht darf nicht faktisch ausgeschlossen
sein, sachdienliche Auskünfte über einzustellende Person werden. Bei Überspannung des Ausmaßes an Pflichten wäre
einzuholen.154 Auf dem Markt angeboten werden regelrechte die Wirtschaftlichkeit im Unternehmen in Frage gestellt, der
Strafbarkeitsanfälligkeitstests (integrity tests) und Pre-Employ- Einsatz von Mitarbeitern wäre sinnlos.162 Trotz gebotener
ment-Screenings. Zurückhaltung bleibt die risikoverringernde Funktion der
Überwachung zu berücksichtigen: Beschäftigte arbeiten in
b) Instruktion der Regel sorgfältiger, wenn sie wissen, dass sie überwacht
Der Betriebsinhaber hat Instruktionspflichten gegenüber werden.163
seinen Mitarbeitern155; er muss erforderliche Weisungen, Sie sind nicht ständig und lückenlos zu beaufsichtigen164;
Belehrungen, Informationen erteilen.156 Stichproben165 aber sind erforderlich, und zwar regelmäßig
Dies betrifft einerseits Betriebliches: Den Mitarbeitern innerhalb angemessener Zeiträume.166 Diese halten den Be-
sind durch jederzeit zugängliche Information klare Konturen triebsangehörigen vor Augen, dass Verstöße entdeckt und
für ihr Vorgehen vorzugeben157, erforderlich ist eine exakte gegebenenfalls geahndet werden.167 Natürlich müssen diese
Mitteilung von Inhalt und Umfang der Pflichten.158 überraschend sein.168
Zum anderen betrifft dies Rechtliches: Eine fortlaufende Die Bestimmung des ganz konkret Erforderlichen errech-
Unterrichtung über rechtlich gebotenes Verhalten.159 net sich aus dem betriebswirtschaftlichen Aufwand und dem
Auch das Androhen von Sanktionen ist Instruktion: Dem Risiko und Ausmaß von Rechtsgutsverletzungen.
Personal ist deutlich vor Augen zu führen, dass es dem Un- Die Fallgruppen erhöhter Kontrollanforderungen sind le-
ternehmer Ernst um die Einhaltung der Vorschriften ist und diglich typische Fälle:
dass es bei Missachtung fühlbare Unannehmlichkeiten mit - Verdachtsmomente,
dem Arbeitgeber zu befürchten hat.160 - Unsicherheit bzgl. Eignung und Zuverlässigkeit169,
- Unregelmäßigkeiten und Verstöße in der Vergangenheit170,
c) Aufsicht - schwierige Rechtsfragen171,
- Verletzung kann besonders gravierende Folgen haben172,
Die Unternehmensführung als solche ist natürlich nicht auf
erhöhte Gefahrenlage173, Gefahrengeneigtheit, Gewicht der
nachgeordnete Mitarbeiter zu übertragen, erforderlich ist
zu beachtenden Vorschriften,
daher eine Überwachungskette, vgl. § 130 Abs. 1 S. 2 OWiG.
Untergebene sind zu beaufsichtigen. Über das notwendige
161
Maß herrscht Unsicherheit. Ansatz ist der Vertrauensgrund- Alexander (Fn. 28), S. 204.
162
Dannecker (Fn. 92), 209 (225).
163
BayObLG NJW 2002, 766 (767).
151 164
Vgl. auch BayObLG wistra 2001, 478 (479); Herzberg, Vgl. schon RGSt 57, 148 (151).
165
DB 1981, 690 (693). Vgl. schon OLG für Hessen StrS Kassel NJW 1947/48,
152
Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlich- 350; BGHSt 25, 163.
166
keit der Verbände, 1933, S. 168; Herzberg, DB 1981, 690 BGH wistra 1982, 34 (35) m. Anm. Möhrenschlager.
167
(693). OLG Köln wistra 1994, 315.
153 168
Alexander (Fn. 28), S. 238; Lemke/Mosbacher (Fn. 28), Maschke (Fn. 26), S. 40; Herzberg, DB 1981, 690 (693);
§ 130 Rn. 11. OLG Köln wistra 1994, 315; OLG Hamm – 1 Ss OWi
154
Lemke/Mosbacher (Fn. 28), § 130 Rn. 11. 634/03; Demuth/Schneider, BB 1970, 642 (648); Dannecker
155
Große Vorholt (Fn. 94), Rn. 1589 ff.; Maschke (Fn. 26), (Fn. 92), 209 (225); Lemke/Mosbacher (Fn. 28), § 130 Rn. 12.
169
S. 39, 51; KG wistra 1999, 357 (359). Brenner, DRiZ 1975, 72 (75); zum Beispiel der Abfallent-
156
Schünemann (Fn. 26), S. 98; vgl. auch Richtlinie der Bun- sorgung Hecker, MDR 1995, 757 (760: „Tatsachen bekannt
desregierung zur Korruptionsprävention in der Bundesver- werden, die Zweifel an der Zuverlässigkeit oder technischen
waltung vom 30.7.2004, Pkt. 7 (Sensibilisierung und Beleh- Kompetenz des Beseitigers aufkommen lassen“); vgl. auch
rung der Beschäftigten); vgl. schon RGSt 58, 130. BGH NJW 1964, 1283 (1284); NStZ 2002, 421 (423).
157 170
KG wistra 1999, 357 (359). Brenner, DRiZ 1975, 72 (75); Demuth/Schneider, BB
158
Demuth/Schneider BB 1970, 642 (649); Alexander 1970, 642 (648); OLG Zweibrücken NStZ-RR 1998, 311;
(Fn. 28), S. 39; vgl. auch Koller (Fn. 145), § 33 Rn. 8. Maschke (Fn. 26), S. 41, 50; KG VRS 1986, 29 (30); Doms
159
Hellmann/Beckemper (Fn. 58), Rn. 895; König (Fn. 35), (Fn. 113), S. 196; Dannecker (Fn. 92), 209 (225); König
§ 130 Rn. 12; Bohnert (Fn. 32), § 130 Rn. 20. (Fn. 35), § 130 Rn. 13.
160 171
OLG Düsseldorf NJW 2008, 930 (931). BGHSt 27, 196 (202); OLG Stuttgart wistra 1987, 35.
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ZIS 2/2009
78
Strafrechtliche Aspekte der Compliance-Diskussion
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ZIS 2/2009
80
Strafrechtliche Aspekte der Compliance-Diskussion
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