Sie sind auf Seite 1von 1

141. Jahrgang   Nr. 12   Freitag, 12. Februar 2021 www.anzeigervonsaanen.

ch Seite 7

DIE VERANTWORTLICHEN DER MATERNITÉ ALPINE IM INTERVIEW

«Wenn das Geld nicht zusammenkommt, wird das Haus geschlossen»


NACHBARSCHAFT Die Maternité Alpine den Krankenkassen abrechnen zu kön-
ist für den Weiterbetrieb des Geburts- nen. Zudem arbeiten wir in einem
hauses in Zweisimmen auf kurzfristige Zweischichtbetrieb à 12 Stunden, was
finanzielle Unterstützung angewiesen. im Vergleich zum üblichen Dreischicht-
Wie es zu diesem finanziellen Notstand betrieb à 8,4 Stunden Personalkosten
gekommen ist, welche anderen Schwie- einspart und viel Engagement der Mit-
rigkeiten sich zusätzlich in den Weg arbeitenden erfordert. Die Ironie liegt
stellen und mögliche Lösungsansätze darin, dass wir viel zu tun haben, mit
für beide Problemstellungen erklären Arbeit gut ausgelastet sind und den-
Betriebsleiterin Marianne Haueter, Co- noch keine schwarzen Zahlen schrei-
Betriebsleiterin und Hebamme MSc, ben können. Es ist das gleiche Dilem-
Anne Speiser, Präsidentin der Genossen- ma wie in anderen Bereichen der
schaft und Grossrätin, sowie Otto Ryche- Grundversorgung, die nicht «rentabel»
ner, Fachlicher Beirat und ehemaliger betrieben werden können.
Raum- und Ortsplaner, im Interview. Präsidentin der Genossenschaft und Grossrätin
Was passiert, wenn das Geld nicht zusam- Anne Speiser kämpfte seit Beginn für das Geburts-
JENNY STERCHI menkommt? haus Maternité Alpine und macht sich bis heute
Dann wird das Haus geschlossen. Und stark für diese Institution.
Seit wann hat sich diese prekäre Finanzla- wenn das geschieht, wird es nicht so
ge angedeutet? schnell eine Alternative in der Region
Dank grosser Unterstützung und vielen Wie daheim: Die sehr familiäre und private Atmosphäre ist ein häufig genannter Grund für den Entscheid, geben.
kleinen und auch grossen Spenden im Geburtshaus zu gebären. FOTOS: ZVG
konnten und können wir die Defizite Wie ist derzeit die personelle Situation im
der Jahre 2017 bis 2021 decken. Von Geburtshaus?
Anfang an wurde festgelegt, dass nach spielsweise eine Steisslage, Frühge- Eine Wochenbettbetreuung zu Hause Erfreulicherweise sehr gut. Wir muss-
fünf Jahren Bilanz gezogen und das burtlichkeit oder die Schwanger- wird mit 98 bis 100 Franken inklusive ten noch nie einen Franken für Stellen-
weitere Vorgehen festgelegt wird. Es schaftsvergiftung. Wir sind überzeugt, Fahrzeit entschädigt. Bei den Distanzen inserate ausgeben.
soll kein Denkverbot auferlegt werden. dass im künftigen geplanten Campus in in unserer Region sind da schnell zwei
Auch die Schliessung des Geburtshau- Zweisimmen der Betrieb des Geburts- Stunden nötig. Da stellt sich die Frage, Wäre eine Partnerschaft mit anderen Ge-
ses kann in Betracht gezogen werden. hauses mit einer schwarzen Null auch welcher Betrieb heute mit solchen Ta- burtshäusern denkbar und allenfalls effizi-
Wichtig ist zudem, dass Klarheit bei 60 Geburten möglich ist. rifen noch kalkulieren könnte. ent?
herrscht bezüglich der Zukunft des Spi- Alle reden davon, wie wichtig Kinder Die 24 Geburtshäuser arbeiten in der
tals in Zweisimmen. Wir gingen davon Wie sieht dieser geplante Campus in Zwei- sind. Aber im Gesundheitswesen sollen IGGH (Interessensgemeinschaft Ge-
aus, dass bis Ende 2020 die nötigen simmen aus? sie fast nichts kosten und dem Kind als burtshäuser der Schweiz) schon sehr
Entscheide vorliegen. Der Campus ist ein Projekt der Träger- höchstem Gut der Gesellschaft wird gut und eng zusammen. Es wurden zum Marianne Haueter, Co-Betriebsleiterin, schöpft als
schaft Gesundheit Simme Saane, wel- keineswegs entsprochen. Es ist erwie- Beispiel im Bereich der Informatik ge- Hebamme aus einem grossen Erfahrungsschatz in
Wie ist diese Abhängigkeit zu verstehen? ches eine integrierte Gesundheitsver- sen, dass natürliche Geburten für Mut- meinsame Tools zur Leistungserfas- Theorie und Praxis.
Eines ist klar: Wenn das Spital in Zwei- sorgung unserer Regionen vorsieht. Vo- ter und Kind und die gesamte Familie sung, Abrechnung, Personaladminist-
simmen geschlossen wird, muss auch raussetzung für eine lokale geburtshilf- von Vorteil sind. Natürlich ist dies nicht ration und Statistik eingekauft. Dies
das Geburtshaus seine Tore schliessen. liche Vorsorge ist der Zugang zu einem immer möglich. bringt enorme Kosteneinsparungen mit Region eine Grundversorgungsaufgabe
Denn die Nothilfe kann nur das Spital Operationssaal in unmittelbarer Nähe. sich. übernommen, die auch die Ambulante
gewährleisten. Verschiedentlich war Das integrierte Versorgungskonzept Was unternimmt der Verein, um zu Geld zu Auch die Tarifverhandlungen mit Versorgung umfasst, da andere wohn-
das Spital froh, auf die Hebammen zur kommen? den Krankenkassen werden gemein- ortsnahe Alternativen für Mutter und
Mithilfe bei Notfällen zurückgreifen zu Der Verein und die Genossenschaft ar- sam geführt. Die anderen 23 Geburts- Kind fehlen. Deshalb verhandeln wir
können. Ganz allgemein betrachtet sind beiten eng zusammen. Sie erhöhen mit häuser haben aber andere Vorausset- mit den Krankenkassen selber, weil wir
sämtliche Dienstleistungen in unserer «Das integrierte Standaktionen, Zeitungsartikeln und zungen betreffend Fallzahlen und geo- die Vergleichbarkeit (Benchmarking in
grossräumigen, jedoch leider dünn be- aktuell vor allem über die Social-Me- grafischen Lage als die Maternité Alpi- den Tarifen) mit anderen Geburtshäu-
siedelten Region nicht «rentabel», wie Versorgungskonzept, dia-Kanäle Facebook und Instagram ne. Sie sind ergänzende Angebote zur sern als nicht zulässig betrachten und
eben auch das Spital in Zweisimmen. das im Campus den Bekanntheitsgrad des Geburtshau- nahen klinischen Geburtshilfe in Zent- seit Betriebsstart höhere Tarife fordern.
Wenn wir in unserer Region eine ver-
nünftige Grundversorgung haben wol-
Zweisimmen verfolgt ses. Zudem wurde vergangenen Mon-
tag eine Crowdfunding-Aktion auf ei-
ren oder zentrumsnahen Regionen.
Die Maternité Alpine hat in unserer https://www.lokalhelden.ch/maternite-alpine
len, wird man finanzielle Lösungen fin- wird, verspricht eine ner Internetplattform der Raiffeisen-
den müssen. Ansonsten sind wir ein Senkung der Kosten Bank lanciert (siehe Inserat). Es macht
schwarzer Fleck auf der Berner Land- uns stolz, wie viel Unterstützung wir
karte, welche die Grundversorgung im
durch Synergien.» aus der Bevölkerung erfahren und mit
CAMPUS ZWEISIMMEN – EINE DEFINITION

Gesundheitsbereich abbildet. Und das Anne Speiser welchem Einsatz uns all die ehrenamt- Der Campus GSS (Medizinische Grund- und Spitalversorgung im Simmental
ist keine Option, weder für die Betreu- Präsidentin der Genossenschaft lichen Helfer unter die Arme greifen. und Saanenland) besteht aus einem eigentlichen Campus in Zweisimmen als
ung der Schwangeren noch für die Fa- Hub, einem Gesundheitszentrum in Saanen und einem Netzwerk von Leistungs-
milien in unserer Region. Sind Sparmassnahmen auf Betriebsebene anbietern im Gesundheitswesen, die auf verschiedenen Ebenen zusammenar-
geplant und überhaupt möglich? beiten. Mit dem Campus Zweisimmen werden vier Angebote zusammenge-
Wurden im Vorfeld Analysen gemacht, ob verspricht eine Senkung der Kosten Mögliche Massnahmen werden laufend führt:
ein solches Angebot in der Region von den durch Synergien. Leider waren unsere geprüft und umgesetzt. Natürlich könn- – Spital mit Notfallaufnahme, OP-Bereitschaft an 365 Tagen während
Strukturen her auf lange Sicht notwendig Ansprechpartner für den Campus bis- te das Modell 24 Stunden/365 Tage in 24 Stunden und diversen medizinischen Dienstleistungen (psychiatrischer
und gefragt ist? her nicht in Lage, gemeinsam mit uns Frage gestellt werden. Doch diese Ver- Dienst, Labor, Radiologie etc.)
Im Vorfeld wurde ein Businessplan er- verbindliche Zahlen zu erarbeiten und fügbarkeit ist an die Betriebsbewilli- – Geburtshaus Maternité Alpine
stellt, wie es bei jedem neu zu gründen- zu prüfen. Wir gehen davon aus, dass gung geknüpft, um auf der Spitalliste – Alterswohnen Bergsonne
den Unternehmen gemacht wird. Dar- die Entscheide 2022 oder 2023 vorlie- des Kantons geführt zu werden. Dies – Stiftung Alterswohnungen/Wohnen mit Dienstleistungen
in wurde, ausgehend von rund 80 Ge- gen werden. Aus diesem Grund ist es wiederum ist Voraussetzung, um mit
burten im Jahr, mit einer schwarzen nicht zielführend, bereits 2021 einen
Null gerechnet. Diese Frequentierung allfälligen Schliessungsentscheid für
sollte sich nach drei bis vier Jahren ein- das Geburtshaus zu fällen. Wir haben REKLAME

gestellt haben. Die Anzahl Geburten hat bei den Gemeinden beantragt, das Ge-
sich bei 50 bis 60 Geburten pro Jahr burtshaus mit zehn Franken pro Ein-
eingependelt. Erfreulich hoch ist der wohner für die Jahre 2022 und 2023 zu
Anteil aus dem Obersimmental und unterstützen, bis eine klare Ausgangs- Finanzierungsziel: CHF 400 000 | Crowdfunding endet am 21.3.2021
Saanenland, der bei etwa 50  Prozent lage einen Entscheid ermöglicht.
der jährlich erwarteten Geburten in
diesen beiden Regionen liegt. In den Der Förderverein und die Genossenschaft

Retten Sie das Geburtshaus


Geburtshäusern im städtischen Gebie- haben sehr wenige Mitglieder – woran mag
ten liegt der prozentuale Anteil der das liegen?
werdenden Mütter, die im Geburtshaus Die Anzahl der Mitglieder hat zwar

Maternité Alpine vor der Schliessung!


ihr Kind bekommen wollen, bei etwa noch nicht die angestrebte Höhe er-
drei bis fünf Prozent. reicht, sie wächst aber kontinuierlich
und die Aktivität der Mitglieder ist er-
Gibt es Optimierungspotenzial bei den Ge- staunlich hoch. Die Zahl wächst konti-
burtszahlen? nuierlich. Gerne danken wir dem Vor-
Das Geburtshaus ist die einzige Anlauf- stand des Vereins an dieser Stelle für
stelle für werdende Mütter, die an 365 die engagierte und tatkräftige Unter- DAS CROWDFUNDING HAT BEGONNEN!
Tagen 24 Stunden bereitsteht. Sie wird stützung.
von Einheimischen und Gästen rege ge-
Wir sind auf Ihre Spende angewiesen!
nutzt. Die Nachfrage nach einer Geburt Ist es realistisch, das jährliche Defizit von
in der Maternité Alpine ist gross und 150’000 bis 200’000 Franken durch Spen-
würde die nötigen 80 Geburten errei- den/Sponsoren zu generieren? Braucht es Spenden unter: www.lokalhelden.ch/maternite-alpine
chen. Die Risikoselektion, welche wir nicht eher einen grosszügigen Mäzen?
jedoch anwenden müssen, um die Si- Nein, dies ist langfristig nicht realis-
cherheit von Mutter und Kind zu ge- tisch. Prioritär müssten die Kranken-
Sie können das Geburtshaus auch mit einer direkten Spende unterstützen.
währen, beträgt durchschnittlich versicherungen die Geburten und am-
Informationen unter www.maternitealpine.ch
30 Prozent. Gründe, die eine Geburt im bulanten Leistungen angemessen ent-
Geburtshaus ausschliessen, sind bei- schädigen. Zur Veranschaulichung:

Das könnte Ihnen auch gefallen