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Deutsch von
Karl Georg
GOLDMANN VERLAG
Die amerikanische Originalausgabe erschien 1994
unter dem Titel »Lost Moon« bei
Houghton & Mifflin, New York
Deutsche Erstausgabe Oktober 1995
Copyright © 1994 by Jim Lovell und Jeffrey Kluger
All rights reserved
JIM LOVELL
JEFFREY KLUGER
Prolog
Die Vorbereitungen für den Start von Apollo 8 wurden von der
NASA überaus geschickt in Szene gesetzt. Nur zwei Tage,
bevor die 68 Meter hohe Saturn-1-B-Rakete mit Apollo 7
gestartet wurde, ließ die Raumfahrtbehörde die Saturn 5 aus
der Halle rollen, eine gigantische, 110 Meter hohe
Trägerrakete, die benötigt wurde, um die Raumkapsel aus der
Erdatmosphäre in Richtung Mond zu schießen. Die NASA
versuchte das Ereignis herunterzuspielen – aber die meisten
Leute nahmen sehr wohl wahr, daß die Rakete gerade zu dem
Zeitpunkt herausgerollt wurde, als Kameraleute aus aller Welt
wegen des Starts von Apollo 7 zugegen waren.
Die Presse geriet in helle Aufregung. »USA bereiten
Mondflug für Dezember vor«, verkündete die New York Times.
»Apollo 8 bereit für Mondumrundung«, verhieß der
Washington Star und fügte in kleineren Buchstaben hinzu, daß
der Flug »offiziell noch immer als zweiter Start in die
Erdumlaufbahn bezeichnet wird«.
Bei der NASA hingegen zierte man sich nach wie vor und
räumte lediglich ein, daß ein Mondflug von Apollo 8 möglich
sei, mehr aber nicht. Bevor Apollo 7 sicher gewassert sei,
werde keine diesbezügliche Entscheidung gefällt. Borman,
Lovell und Anders wußten natürlich seit langem, daß der Flug
zum Mond beschlossene Sache war, und Lovell war über diese
Entwicklung begeistert. Obwohl es einiges gab, das für die
Erprobung der Mondfähre in der äußeren Erdumlaufbahn
sprach, befürchtete Lovell, daß dieser Einsatz etwas öder
ausfallen könnte, als ihm recht war. Als Pilot der
Kommandokapsel müßte er im Apollo-Mutterschiff bleiben,
während Borman und Anders die vorgeschriebenen Tests mit
dem LEM durchführten. Wenn nun statt dessen ein Flug ohne
LEM in die Mondumlaufbahn stattfinden sollte, würden die
Aufgaben der drei Besatzungsmitglieder völlig neu verteilt
werden. Und da Lovell offiziell als Navigator bei dieser ersten
translunaren Mission vorgesehen war, könnte ihm die
interessanteste Aufgabe zufallen.
Die Reaktion von Borman, dem Kommandanten bei diesem
Flug, war etwas zurückhaltender. Borman, bekannt für seine
blitzschnellen Reflexe und seine Entscheidungsfähigkeit, galt
als einer der besten Piloten der NASA. Aber er neigte auch zur
Vorsicht.
Der Colonel der Air Force und Gemini-7-Veteran wurde von
seinen Astronautenkollegen immer wieder wegen der
vorsichtigen Route aufgezogen, auf der er mit seiner T-38 von
Houston nach Cape Kennedy flog. Aufgrund einer strengen
Sicherheitsvorschrift waren die Piloten angehalten, immer über
dem Festland zu bleiben und niemals über den Golf von
Mexiko zu fliegen. Doch die meisten Männer – die von Berufs
wegen ihr Leben in unerprobten Flugzeugen aufs Spiel setzten
– kümmerten sich nicht um diese ihrer Ansicht nach
übertriebene Vorsichtsmaßnahme und riskierten lieber eine
Abkürzung über den Golf, wenn sie Zeit sparen wollten.
Borman indessen hielt sich im allgemeinen an die Regel und
wählte die trockenere, wenn auch umständlichere Route
entlang der Küste von Texas, Louisiana, Mississippi, Alabama
und schließlich Florida. Niemand verlor je ein Wort darüber,
daß dieser Umweg auf mangelnden Mut hindeuten könnte, und
darum ging es auch nicht. Man fand sich vielmehr damit ab,
daß der Mann, der so vehement um Aufnahme ins
Astronautenkorps ersucht und gemeinsam mit Jim Lovell
206mal die Erde umkreist hatte, keinerlei Grund sah, ein
Risiko einzugehen, wenn man sicher genauso zum Ziel kam,
Bill Anders, das unerfahrenste Mitglied im Team, reagierte auf
die Ankündigung, daß sie zum Mond fliegen sollten, mit
ähnlich gemischten Gefühlen wie Borman, wenn auch aus
anderen Gründen. Als Pilot der Mondfähre hatte sich Anders
darauf gefreut, den Großteil der Testmanöver mit dem noch in
der Erprobung stehenden Raumfahrzeug zu überwachen und
dafür zu sorgen, daß die Fähre einsatzfähig würde. Nun, da die
Fähre am Boden bleiben sollte, hatte er erheblich weniger zu
tun und mußte lediglich auf das Haupttriebwerk des
Versorgungsteils und den Zustand der
Kommunikationssysteme und der Elektrik an Bord achten.
Auch diese Arbeit war wichtig, aber sie ließ sich nicht
annähernd mit dem Steuern der Mondfähre in einer Höhe von
sechseinhalbtausend Kilometern vergleichen.
Nun blieb den Astronauten nur noch die heikle Aufgabe, es
ihren Frauen zu sagen. Valerie Anders und Marilyn Lovell
reagierten mit verhaltener Zustimmung auf die Neuigkeit.
Nicht so jedoch Susan Borman. Susans Ansicht nach – so
jedenfalls gingen die Gerüchte – war ein Flug mit Apollo 8 ein
unwägbares Risiko, und sie legte auch keinen Wert darauf, daß
ihr Gatte als Kommandant auserkoren war. Zwar hatten die
Frauen der Astronauten so gut wie keinen Einfluß auf die
Einsatzplanung, aber innerhalb der engen Gemeinschaft der
NASA konnten sie ihren Mißmut deutlich zum Ausdruck
bringen. Susan, so hieß es, habe sich vor allem auf Chris Kraft
eingeschossen und ihm klargemacht, daß er kein freundliches
Wort mehr von ihr zu erwarten habe, selbst wenn Frank diesen
aberwitzigen Flug überleben sollte.
Frühjahr 1945
April 1970
Wally Schirra hatte sich den ganzen Abend lang auf einen
Cutty Sark mit Soda gefreut. Vier Stunden lang hatte er sich
mit purem Soda begnügt, ein freundliches Gesicht gezogen
und allen möglichen Leuten die Hände geschüttelt, während
die munter einen draufmachten. Jetzt kam endlich auch er
dazu, sich einen hinter die Binde zu gießen. Schirra störte es
nicht besonders, daß er der einzige Nüchterne bei einem
offiziellen Empfang war. Für Wally war das heute Arbeit,
einer von zig Abenden, bei denen man herumgereicht wurde.
Wenn der Abend vorbei war, konnte er tun und lassen, was er
wollte, aber solange er hier war, befand er sich im Dienst.
Schirra nahm dienstlich an einem Empfang des American
Petroleum Club in New York teil. Er war nicht nur ein
besonderer Partygast, sondern auch der gefeierte Redner des
Abends. Normalerweise hetzte ein Ex-Astronaut nicht einfach
wegen irgendeines Empfanges nach New York; aber er mochte
diesen Verein ziemlich und nahm gerne an dessen
Veranstaltungen teil. Außerdem hatte er ohnehin in die Stadt
gemußt. Nach seinem Ausscheiden bei der NASA Anfang
1969 hatte er einen Vertrag mit CBS geschlossen, wonach er
Walter Cronkite bei der Berichterstattung über die Apollo-
Mondlandungen beistehen sollte. Im Juli 1969, bei Apollo 11,
war er zum erstenmal im Einsatz gewesen, danach im
November bei Apollo 12. Erst vor zwei Tagen hatten er und
Cronkite über den Start von Apollo 13 berichtet. Morgen
würden sich Jim Lovell, Jack Swigert und Fred Haise für die
Landung auf dem Mond bereitmachen, und Schirra sollte
wieder seinen Beitrag zur entsprechenden Sendung leisten.
Doch das war morgen. Jetzt jedoch beendete Schirra seinen
Auftritt beim Petroleum Club und begab sich quer durch die
Stadt zu Toots Shors Laden an der West 52nd Street. Wally
kannte Toots gut, und obwohl es bereits spät war, wußte er,
daß der gesellige Kneipenbesitzer wahrscheinlich wieder ein
ziemlich volles Haus hatte. Schirra betrat das Restaurant,
begab sich an die Bar und bestellte einen Cutty mit Wasser.
Wie erwartet, war der Laden voll. Und wie erwartet, tauchte
zeitgleich mit dem Drink auch Toots auf, der sich eilig einen
Weg durch die Kneipe bahnte. Wally lächelte ihm entgegen,
aber seltsamerweise lächelte Toots nicht zurück.
»Wally, rühr den Drink nicht an«, sagte Shor, sobald er bei
ihm war.
»Stimmt was nicht, Toots?«
»Wir haben eben einen Anruf gekriegt – unten in Houston ist
der Teufel los.«
»Was ist passiert?«
»Ich weiß nichts Genaues, aber sie haben irgendein Problem.
Ein großes Problem, Wally. Draußen wartet ein Wagen der
CBS auf dich. Cronkite will auf Sendung gehen, und du sollst
ihm beistehen.«
Schirra stürmte aus der Tür und sah das Auto. Im nächsten
Moment war er schon auf dem Weg zu CBS. Dort
angekommen rannte Schirra ins Studio, wo Cronkite gerade
auf Sendung gehen wollte.
Der Nachrichtenmoderator sah gar nicht gut aus. Er rief
Schirra zu sich und schob ihm einen Stapel Agenturberichte
zu. Eilig überflog Schirra den Text und wurde von Satz zu Satz
blasser. Das war schlimm. Das war schlimmer als schlimm.
Das war… noch nie dagewesen. Er hatte tausend Fragen, aber
dafür war keine Zeit.
»Wir fangen in einer Minute an«, erklärte ihm Cronkite,
»aber so können Sie nicht auf Sendung gehen.«
Schirra blickte an sich herab und stellte fest, daß er noch
immer offizielle Abendgarderobe trug. Cronkite schickte einen
Boten zu seinem Umkleideraum, und kurz darauf brachte er
eine Tweedjacke mit Ellbogenflicken und eine schmuddelige
Krawatte. Schirra ließ sich kurz schminken und zog dann
Cronkites Sachen über sein gestärktes Rüschenhemd.
Der Journalist und der Astronaut nahmen ihre Plätze ein.
Sekunden später blinkte das rote Licht an der Kamera auf, und
die Fernsehzuschauer im ganzen Land sahen einen ruhigen
Walter Cronkite und daneben den leicht benommenen Wally
Schirra. Cronkite begann seinen Text vorzulesen, und erst da,
zeitgleich mit allen anderen Amerikanern, erfuhr Schirra das
ganze Ausmaß der Krise an Bord von Apollo 13.
Auf der anderen Seite der Stadt war noch nicht einmal das
Eis in Wallys verwaistem Drink geschmolzen.
Januar 1958
Gerald Griffin war jetzt seit über fünf Stunden für den Flug
verantwortlich, und bislang war alles relativ ruhig verlaufen.
Während der Schicht von Kranz’ Team hatte sich die
Explosion des Sauerstofftanks ereignet, als Lunneys Team
Dienst hatte, waren das Abschalten der Energie in der Kapsel
und der Einschuß in die Freiflugbahn erfolgt, und während der
Schicht von Windlers Team würde die PC+2-Zündung in
Angriff genommen werden.
Griffin war klar, welche Aufgabe er hatte: Das Schiff
funktionsfähig zu halten, dazu beizutragen, daß es keine
weiteren technischen Komplikationen gab, und dafür zu
sorgen, daß es soweit wie möglich bereit war für die Zündung
um PC+2. Bis auf letzteres löste Griffins Gruppe ihre
Aufgaben bislang gut.
Die vorherigen Bemühungen von Lunneys Team, die
Kreiselplattform trotz der das Schiff umgebenden
Partikelwolke auszurichten, waren fehlgeschlagen, und als
Lunney beschlossen hatte, die Zündung zum Einschuß in die
Freiflugbahn alleine aufgrund der aus der Kommandokapsel
übertragenen Daten durchzuführen, hatten die Männer im
Kontrollraum lediglich die Achseln gezuckt und das Beste
gehofft. Die Brennphase würde, wie sie wußten, nur kurz sein,
und falls sich bei der Ausrichtung der Plattform Fehler
eingeschlichen haben sollten, würde das keine allzu großen
Folgen nach sich ziehen. Bei der Zündung um PC+2 jedoch
war das anders. Die vorgesehene Brennphase würde nicht nur
weit länger dauern, sondern sie würde auch nahezu achtzehn
Stunden später erfolgen. Das Trägheitsführungssystem neigte
mit der Zeit zu Abweichungen, und selbst wenn die
Koordinaten, die Lovell gestern nacht um 22 Uhr aus der
»Odyssey« übertragen hatte, um 2 Uhr 45 morgens noch
stimmen sollten, wären sie am kommenden Abend um 20 Uhr
10 mit Sicherheit verfälscht.
Daher hatten Griffin und sein Team den Großteil der
vergangenen sieben Stunden über in ständigem Kontakt mit
den Technikern im Simulationsraum des Space Center
gestanden, wo Charlie Duke und John Young
Lösungsmöglichkeiten für die Ausrichtung zu finden
versuchten, auf die die Führungs- und Navigations-Offiziere
noch nicht gekommen waren. Bislang waren die Ergebnisse
nicht ermutigend.
Egal, wie die beiden Piloten sich auch drehten, die simulierte
Sonne tauchte die Partikel rund um das LEM in gleißendes
Licht, so daß nicht einmal die nächsten Sterne zu erkennen
waren. Als der Nachmittag anbrach und der neueste
deprimierende Bericht aus dem Simulationsgebäude eintraf,
saßen Chuck Deiterich, Dave Reed und Ken Russell
zusammengesackt an ihren Konsolen in der vordersten Reihe
der Mission Control und wußten nicht mehr weiter.
»Und was sollen wir jetzt machen?« fragte Reed und sah
Deiterich und Rüssel an. »Was empfehlt ihr als nächstes?«
»Ich bin für alle Ratschläge offen«, sagte Deiterich.
»Ich nehme an, wir geben die Sache mit den Sternen auf«,
erklärte Russell.
»Wenn wir sie nicht sehen können, können wir uns auch
nicht an ihnen orientieren«, bemerkte Deiterich.
»Ich vermute, wir könnten immer noch warten, bis wir hinter
dem Mond sind«, sagte Russell. »Sobald sie im Dunkeln sind,
leuchten die Partikel nicht mehr so stark.«
»Damit wird die Zeit aber ziemlich knapp, oder?« gab Reed
zu bedenken. »Die haben nur eine halbe Stunde Dunkelheit,
und danach sind es nur mehr zwei Stunden bis zur Zündung.
Wenn etwas schiefgeht, haben sie keine Zeit mehr, es
auszubügeln.«
»Seien wir doch mal ehrlich«, sagte Russell. »Das einzige,
was wir da draußen sehen können, ist die Sonne, und die
verursacht den ganzen Ärger.«
»Ganz genau«, rief Deiterich. »Warum benutzen wir sie dann
nicht, wenn sie schon da ist? Sie ist doch ein Stern, oder? Der
Computer akzeptiert sie doch, oder? Egal, wie viele Partikel da
draußen herumfliegen, bei der Suche nach der Sonne ist
garantiert kein Irrtum möglich.«
Er schaute zu Reed und Russell, die ihm ihrerseits skeptische
Blicke zuwarfen. Normalerweise kam es bei der
Feineinstellung der Führungsplattform auf absolute
Genauigkeit an. Da sich der Sternenhimmel im Umkreis von
360 Grad dreidimensional rund um das Schiff erstreckte, kam
ein einzelner Stern dem platonischen Ideal des geometrischen
Punktes sehr nahe: Er war unendlich klein, unendlich genau,
und eine unendliche Anzahl davon ergab einen Winkel von
einem Grad. Wenn man ein paar dieser hellen Himmelspunkte
anpeilte, konnte man die Plattform so genau einstellen, daß die
Fehlerquote beim Navigieren praktisch bei null lag.
Etwas ganz anderes war es hingegen, wenn man statt der
Sterne die Sonne benutzte. Zunächst einmal war sie riesengroß
und mit einem Durchmesser von rund 1,4 Millionen
Kilometern nur etwa 150 Millionen Kilometer – nach
kosmischen Maßstäben gerechnet, ist das lediglich eine
Armeslänge – von der Erde entfernt. In ihre riesige Masse, die
am Himmel einen halben Gradwinkel einnahm, paßten
Dutzende kleiner Sternenpunkte. Deiterich, das war Reed und
Russell auf der Stelle klar, wollte nicht etwa, daß sie die
Plattform neu auf diesen groben Punkt hin ausrichteten; er
schlug lediglich vor, sie sollten anhand der Sonne die bereits
vorliegende Ausrichtung überprüfen. Aber Deiterich hatte
seinen Vorschlag kaum geäußert, da bekam er bereits Zweifel.
»Wir haben es natürlich mit einem ziemlich großen Objekt zu
tun, nicht?« sagte er.
»Einem sehr großen«, sagte Russell.
»Und was ist mit der Optik?« fragte Deiterich. »Wenn man
ein zur Sternenbeobachtung gedachtes optisches Gerät auf die
Sonne richtet, brät man sich die Augen.«
»Die haben Filter, mit denen sich das verhindern läßt«, sagte
Russell. »Trotzdem bin ich von dem Vorschlag noch nicht
ganz überzeugt. Das ist ein ziemliches Provisorium, was wir
hier vorhaben, Jungs. So was geht im Simulator, aber wollt ihr
euch bei einem Flug wirklich darauf verlassen?«
»Nicht unbedingt«, sagte Deiterich. »Aber haben wir eine
andere Wahl?«
Russell und Reed blickten einander an.
»Keine«, sagte Russell.
Zwei Reihen weiter oben saß Griffin und sah, daß die beiden
Männer in der vordersten Reihe über irgend etwas heftig
diskutierten. Er hoffte von ganzem Herzen, daß es um einen
Plan zur Ausrichtung ging. Griffin führte wie alle anderen
Flugdirektoren ein Logbuch, in das er bei allen entscheidenden
Phasen einer Mission die entsprechenden Daten eintrug.
Bislang war die Stelle, wo er die Angaben zur Feinabstimmung
notieren wollte, noch leer, und er wurde allmählich nervös. Bis
zu PC+2 waren es noch sieben Stunden, aber in gut vier
Stunden würde es zum Abreißen des Signals kommen, wenn
das Raumfahrzeug hinter dem Mond verschwand. Die
Führungs- und Navigations-Offiziere mußten ihm zumindest
einen guten Vorschlag liefern, und zwar möglichst schnell. Die
Männer in der vordersten Reihe gluckten noch etliche Minuten
zusammen, standen dann plötzlich auf und kamen zu Griffin.
»Gerry«, sagte Russell, als sie neben seiner Konsole standen,
»wir werden die bestehende Ausrichtung anhand der Sonne
überprüfen müssen.«
Schweigend blickte Griffin seine Männer an. Schließlich
bemerkte er: »Und etwas Besseres fällt uns dazu nicht ein?«
»Uns jedenfalls nicht«, gab Russell zurück. »Sobald wir in
den Mondschatten kommen, werden wir sehen, ob ein paar
Sterne auftauchen, und dann noch mal eine kurze Überprüfung
vornehmen. Aber das ist nur eine Ausweichmöglichkeit.«
»Und wie wohl ist Ihnen bei einer Ausrichtung allein nach
der Sonne zumute?« fragte Griffin.
»Ziemlich wohl«, erwiderte Russell mit soviel
Selbstsicherheit, wie er nur aufbringen konnte.
»Ziemlich wohl?«
»Ja«, pflichtete Deiterich bei. »Aber mehr können wir
wahrscheinlich auch nicht erwarten.«
Griffin musterte seine Führungs- und Navigations-Offiziere.
»Rufen Sie Charlie Duke und John Young«, sagte er
schließlich. »Die sollen die Sache im Simulator ausprobieren.«
Die drei Astronauten im Cockpit der »Aquarius«
verschwendeten keinen Gedanken auf die Sonne. Der
Himmelskörper, der ihre ganze Aufmerksamkeit forderte, war
vierhundertmal kleiner – obwohl er unendlich viel größer
wirkte –, nicht einmal annähernd so weit entfernt und rückte
von Minute zu Minute näher. Während John Young und
Charlie Duke im Mondfähren-Simulator ihre Versuche
machten, war die wirkliche Besatzung knapp 20000 Kilometer
vom Mond entfernt und flog mit etwa 4800 Kilometern pro
Stunde darauf zu. Je näher Apollo 13 dem Mond kam, desto
häufiger ertappten sich die Astronauten dabei, wie sie
verstohlen aus dem Fenster blickten. Zunächst hatten sie dem
Drang nicht nachgegeben, zumal sie eigentlich keine Zeit dazu
hatten. Das Kommunikationssystem forderte noch immer ihre
ganze Aufmerksamkeit, das Raumfahrzeug mußte wegen der
Temperaturregelung ständig gedreht werden, das
Energiehochfahren vor der PC+2-Zündung stand unmittelbar
bevor, und außerdem mußten sie die Partikelwolke ständig im
Auge behalten, falls doch irgendwo ein Stern
hindurchschimmern sollte. Die riesige, gipsgraue Halbkugel
jedoch, die vor ihnen schwebte, konnte keine noch so dicke
Wolke aus glitzernden Partikeln verdecken.
Der Mond, auf den die Besatzung zuflog, war zu drei
Vierteln voll, so daß nur ein breiter, sichelförmiger Streifen an
seiner Westseite im Dunkeln lag. Aus dieser Nähe sah man
durch die kleinen Dreiecksfenster des LEM nur Ausschnitte
dieser gewaltigen Mondmasse, so daß sich die Astronauten
nach vorne beugen und den Hals soweit wie möglich recken
mußten, wenn sie den ganzen Himmelskörper erfassen wollten.
Lovell bereitete diese große Nähe allmählich Sorgen.
Der Kommandant wandte sich vom Fenster ab und drehte
sich nervös zu Haise um.
»Was meinst du, wie die mit der Ausrichtung klarkommen,
Freddo?« fragte er.
»Toll kann’s nicht sein, sonst hätten wir schon was gehört«,
erwiderte der Pilot des LEM.
»Nun ja, unsere Fehlertoleranz schwindet ziemlich schnell
dahin.«
»Mit genau 1300 Metern pro Sekunde«, bemerkte Haise mit
einem Blick auf die Geschwindigkeitsanzeige seines
Computers.
»Was hältst du davon, wenn wir sie anfunken und zusehen,
ob wir die Sache nicht ein bißchen beschleunigen können?«
fragte Lovell. Doch bevor Haise auf Sendung gehen konnte,
schaltete sich Houston ein.
»Aquarius, hier Houston«, meldete sich der CAPCOM. Der
Stimme nach zu urteilen, hatte Vance Brand, ein weiterer
angehender Astronaut, Joe Kerwin an der Konsole abgelöst.
»Schießt los, Houston«, sagte Haise.
»O.K. wir haben ein Verfahren für eure Ausrichtung
ausgearbeitet«, erklärte Brand. »Und zwar möchten wir, daß
ihr bei ungefähr 74 Stunden eine Überprüfung anhand der
Sonne durchführt. Wir geben euch die Daten in Kürze durch,
und wir gehen davon aus, daß die Plattform O.K. ist und keine
weitere Ausrichtung erfordert, wenn ihr innerhalb von einem
Grad am Zielpunkt liegt. Falls der Sonnencheck O.K. ist,
geben wir euch danach einen Stern zum Sicherheitscheck auf
der Rückseite, wenn ihr im Dunkeln seid. Over.«
Haise wiederholte die Anweisungen sicherheitshalber,
unterbrach dann die Verbindung und wandte sich mit fragender
Miene an Lovell und Swigert, die in der Kunst der
Himmelsnavigation weitaus erfahrener waren.
»Was haltet ihr davon?« fragte Haise.
Lovell pfiff leise. »Nun ja, es müßte unsere Ausrichtung
bestätigen.« Er wandte sich an Swigert. »Was hältst du
davon?«
»Ziemlich unpräzise Methode, meinst du nicht?« sagte
Swigert.
»Sehr unpräzise«, pflichtete Lovell ihm bei. »Was für eine
Fehlertoleranz wollen sie uns geben?«
»Ein Grad.«
»Das macht zweimal die Sonne. Das ist ja so, als würde man
auf ein Scheunentor zielen.«
»Die Frage ist nur«, sagte Swigert, der, ohne es zu wissen,
fast die gleichen Worte gebrauchte wie Reed unten auf der
Erde. »Hast du eine bessere Idee?«
Lovell schwieg. »Keine«, erwiderte er schließlich. »Und
du?«
»Nein.«
»Ruf zurück«, wies Lovell Haise an. »Machen wir uns
bereit.«
Haise meldete sich wieder bei Brand, und der CAPCOM gab
dem LEM-Piloten die Techniken für den Sonnencheck durch.
Das von Deiterich, Russell und Reed erdachte und von Duke
und Young getestete Verfahren war relativ problemlos. Lovell
würde in den Computer eingeben, daß er sein
Navigationsteleskop auf die Sonne richten wollte, und der
Genauigkeit wegen den exakten Quadranten angeben – oder
das »Feld«, wie es die Navigatoren bezeichneten. In diesem
Fall hatten Reed, Russell und Deiterich das nordöstliche Feld
ausgesucht. Im Führungssystem war die Sonne nicht als
Ausrichtungspunkt gespeichert, aber es konnte sie finden.
Wenn der Computer den Befehl entgegengenommen hatte,
würden die sechzehn Steuerdüsen der Mondfähre automatisch
zünden und das Raumfahrzeug dorthin schwenken, wo der
Computer die Sonne vermutete. Wenn das obere rechte Feld
der Sonne danach bis auf ein Grad genau im Fadenkreuz des
mit starken Filtern versehenen Teleskops stand, wußte Lovell,
daß die Ausrichtung zufriedenstellend war. Wenn nicht, dann
steckten sie in der Klemme.
Lovell, so wurde entschieden, sollte sich um den
Navigationscomputer kümmern, die für den Sonnencheck
notwendigen Daten eingeben und die Lageanzeige im Auge
behalten, um festzustellen, ob sich das Raumfahrzeug in die
geplante Richtung bewegte. Swigert würde sich rechts von
Haise ans Fenster begeben, auf die Sonne achten und Lovell
Bescheid geben, sobald sie in Sicht kam. Haise sollte das
Navigationsteleskop übernehmen und notieren, auf welchen
Punkt der Sonne das Fadenkreuz gerichtet war.
Das Team in Houston begab sich ebenfalls an seine
Arbeitsplätze. Griffin bat um Ruhe im Netz und forderte die
hinter den Konsolen stehenden Männer auf, ihre diensttuenden
Kollegen nicht zu stören. Er zog das Logbuch zu sich und trug
in der Spalte »GET« (Ground Elapsed Time; die seit dem
Augenblick des Abhebens verstrichene Zeit) »73:32« ein, und
unter »Anmerkungen« schrieb er: »Beginn Sonnencheck«. Im
Raumfahrzeug justierte Fred Haise das
Kommunikationssystem ein letztes Mal und schaltete – sei es
absichtlich oder zufällig – auf Vox. Sofort hörte man am
Boden die knackenden Stimmen der miteinander sprechenden
Astronauten.
»Ich habe kein allzu großes Vertrauen in die Sache«, sagte
Lovell gerade leise.
»Wir werden es hinkriegen«, erwiderte Haise.
»Sei da nicht so sicher. Könnte immer noch sein, daß ich
mich letzte Nacht verrechnet habe.«
Lovell gab die Daten, die Brand ihm übermittelt hatte, in den
Computer der »Aquarius« ein. Der Computer akzeptierte die
Angaben, verarbeitete sie langsam und wartete dann, daß der
Kommandant auf »Proceed« – Ausführen – drückte. Nach
einem kurzen Blick zu Haise und dann zu Swigert drückte
Lovell auf die Taste. Eine Sekunde lang tat sich gar nichts,
dann war durch die Fenster der feine Dunst der hypergolischen
Gase zu erkennen, als die Düsen des Landefahrzeuges
zündeten. Die Astronauten konnten spüren, wie das Schiff
träge beidrehte. Lovell ließ die Nadeln der Lageanzeige nicht
aus den Augen.
»Wir rollen«, rief er. »Jetzt kommt Gieren – Rollen, Nicken –
wieder Gieren. Houston, empfangt ihr das alles?«
»Negativ, Jim«, sagte Brand. »Wir bekommen vom
Computer keine hohen Bit-Werte heruntergefunkt.«
»Roger«, bestätigte Lovell und wandte sich nach rechts.
»Kannst du schon was erkennen, Jack?«
»Nichts«, antwortete Swigert.
»Ist da drüben irgendwas?« fragte er Haise.
»Nein.«
Russell, Reed und Deiterich, die in der vordersten Reihe der
Mission Control saßen, hörten der Besatzung wortlos zu. Auch
Brand saß schweigend an der Konsole des CAPCOM, bis er
wieder gerufen wurde. Griffin zog sein Logbuch zu sich und
notierte »Sonnencheck eingeleitet«. Über den Boden-Bord-
Funk hörte man weiter die Gesprächsfetzen der Besatzung.
»Gieren rechte Seite«, konnte man Haise hören. »FDI des
Kommandanten.«
»Trägheitseinstellung – «, erwiderte Lovell.
»Plus 190«, sagte Haise. »Plus 08526.«
»Gib mir 16 – «
»Ich habe HP auf dem FDI – «
»Zwei Diameter draußen, nicht mehr – «
»Zero, zero, zero – «
»Gib mir das AOT, gib mir das AOT – «
Etwa acht Minuten lang dauerte dieses Gemurmel der
Besatzung an, während die »Aquarius« herumschwenkte und
die Controller schweigend mithörten. Dann meinte Swigert, er
habe auf der rechten Seite des Schiffes etwas entdeckt: Ein
schwaches Blinken, dann nichts, dann wieder ein Blinken.
Plötzlich sah er eindeutig einen kleinen Ausschnitt der
Sonnenscheibe in der einen Ecke seines Fensters. Er riß den
Kopf nach rechts, wollte sich dann nach links umdrehen und
Lovell darauf aufmerksam machen, aber bevor er etwas sagen
konnte, fiel ein greller Sonnenstrahl auf das Armaturenbrett,
und der Kommandant, der immer noch die Anzeigen
überwachte, blickte abrupt auf.
»Sag an, Jack!« sagte er. »Was siehst du da?«
»Wir haben eine Sonne«, sagte Swigert.
»Wir haben etwas Großes«, erwiderte Lovell lächelnd.
»Siehst du irgend etwas, Freddo?«
»Nein«, sagte Haise, während er durch das Teleskop spähte.
Dann drang Licht in das Glas, und er rief: »Ja, vielleicht ein
Drittel Diameter.«
»Sie kommt noch«, sagte Lovell mit einem Blick aus dem
Fenster, bevor er sich etwas abdrehte, als die Sonne einfiel.
»Ich glaube, sie kommt noch.«
»Schon fast da«, sagte Haise.
»Wir haben sie«, rief Lovell. »Ich glaube, wir haben sie.«
»O.K.«, sagte Haise, während er zusah, wie die Sonne über
das Fadenkreuz des Teleskops und dann nach unten glitt.
»Schon fast da.«
»Hast du sie?« fragte Lovell.
»Schon fast da«, wiederholte Haise.
Durch das Teleskop sah er, wie sich die Sonne den Bruchteil
eines Grades weiterbewegte, dann noch einen Bruchteil. Die
Steuerdüsen liefen einen Moment weiter und stellten sich dann
ab, so daß das Raumfahrzeug – und die Sonne – zum Stillstand
kamen.
»Was hast du da?« sagte Lovell. »Was hast du da?«
Haise sagte gar nichts. Dann wandte er sich langsam vom
Teleskop ab und drehte sich mit einem breiten Grinsen zu
seinen Kollegen um. »Den rechten oberen Rand der Sonne«,
verkündete er.
»Wir haben es!« schrie Lovell und riß die Faust hoch.
»Wir sind drauf!« sagte Haise.
»Houston, hier Aquarius«, meldete sich Lovell.
»Schießt los, Aquarius«, antwortete Brand.
»O.K.«, sagte Lovell. »Sieht so aus, als sei der Sonnencheck
in Ordnung.«
»Wir haben verstanden«, sagte Brand. »Wir sind froh, das zu
hören.«
In der Mission Control ertönte zuerst ein Johlen aus der
ersten Reihe, wo der RETRO, der FIDO und der GUIDO
saßen, in das nach und nach immer mehr Controller
einstimmten, bis schließlich der ganze Raum in begeisterten
Applaus ausbrach.
»Houston, hier Aquarius«, ertönte Lovells Stimme über den
Lärm hinweg. »Habt ihr das empfangen?«
»Empfangen«, sagte Brand breit grinsend.
»Ist nicht ganz zentriert«, meldete der Kommandant.
»Steht etwas weniger als einen Radius seitlich.«
»Klingt gut, klingt gut.«
Brand blickte nach hinten und lächelte Griffin zu, der
zurückgrinste, ohne sich um den Tumult um ihn herum zu
kümmern. Normalerweise sollte es in der Mission Control
keine Unruhe geben, aber Griffin wollte wenigstens ein paar
Sekunden lang ein Auge zudrücken. Er zog das Logbuch zu
sich und schrieb »73:47« in die freie Spalte unter »GET«.
Unter »Anmerkungen« trug er »Sonnencheck erfolgt« ein.
Dabei bemerkte er zum erstenmal, daß seine Hände zitterten
und die letzten drei Eintragungen in seinem Buch unleserlich
waren.
»Hier ist die Apollo Control bei einer Flugzeit von 119
Stunden und 17 Minuten«, meldete sich Terry White kurz nach
der Mittagspause von der Konsole des NASA-Sprechers aus.
»Das Raumfahrzeug ist jetzt 112 224 Seemeilen von der Erde
entfernt. Die Geschwindigkeit beträgt derzeit 5993 Kilometer
pro Stunde und nimmt weiter zu. Wir rechnen mit Beginn des
Wiedereintritts nach 142 Stunden, 40 Minuten und 42
Sekunden, das sind ab jetzt noch 23 Stunden und 22 Minuten.
Etwa 5 Stunden vor dem Wiedereintritt wird wahrscheinlich
eine Brennphase zur Mittkurskorrektur von etwas weniger als
0,6 Meter pro Sekunde erfolgen.
Heute nachmittag um 15 Uhr wird Neil Armstrong, der
Kommandant von Apollo 11, im großen Auditorium der
Mission Control eine Pressekonferenz halten, bei der diverse
technische Aspekte von Apollo 13 zur Sprache kommen
werden. Außerdem hat der Präsident des Chicago Board of
Trade folgende Nachricht an die Mission Control gesandt: ›Die
Chicagoer Börse hat heute morgen um 11 Uhr für eine Minute
ihre Geschäfte unterbrochen, um des Mutes und der Tapferkeit
von Amerikas Astronauten zu gedenken und für ihre
Unversehrtheit bei der Rückkehr zur Erde zu beten.‹ Hier ist
die Apollo Control.«
Chuck Deiterich stand vor der Schiefertafel im
Bereitschaftsraum gleich neben der Mission Control. Wohin er
auch blickte, überall sah er, wie es schien, einen FIDO, einen
RETRO oder einen GUIDO.
In den letzten vierundzwanzig Stunden hatte Deiterich bei der
Zusammenarbeit mit den erfahrenen Navigations-Offizieren
viel Glück gehabt, und er hoffte, daß es auch an diesem
Nachmittag noch etwas anhielt. Während Bostick, Reed und
Bill Peters sich mit der wieder flacher werdenden Flugbahn
von Apollo 13 befaßt und über eine Möglichkeit nachgedacht
hatten, die Mondfähre zur Zufriedenheit der
Atomenergiekommission im Ozean zu versenken, war
Deiterich mit anderen Problemen beschäftigt gewesen.
Am wichtigsten war jetzt die Frage, wie die Besatzung ihren
ausgefallenen Versorgungsteil und das intakte LEM abtrennen
konnte, wenn es Zeit wurde, die Kommandokapsel für den
Wiedereintritt in die Erdatmosphäre auszurichten. Wäre der
Flug von Apollo 13 planmäßig verlaufen, dann hätte sich die
»Odyssey« mit Hilfe der Steuerdüsen am Versorgungsteil von
der »Aquarius« entfernt, und das Landefahrzeug wäre in der
Mondumlaufbahn zurückgelassen worden. Nach dem gleichen
Prinzip wäre auch der Versorgungsteil von der
Kommandokapsel abgetrennt worden, wenn es an der Zeit war,
den Hitzeschild freizulegen und mit dem Wiedereintritt zu
beginnen. Doch bei diesem Flug lief längst nichts mehr
planmäßig, und die Steuerdüsen, auf die es bei diesen
Manövern ankam, funktionierten schon seit geraumer Zeit
nicht mehr.
Deiterich und seine Kollegen hatten jedoch einige elegante
Lösungsmöglichkeiten gefunden. Sie entschieden, daß Jim
Lovell und Fred Haise im LEM bleiben sollten, wenn der
Versorgungsteil abgetrennt wurde, während Jack Swigert in
die Kommandokapsel umsteigen sollte. Kurz vor dem
Abtrennen sollte Lovell die Steuerdüsen des LEM einmal kurz
betätigen, so daß die aneinandergekoppelten Schiffe
vorwärtsgeschoben würden. Danach sollte Swigert auf den
Knopf drücken, mit dem die kleinen Explosivkörper zwischen
Versorgungs- und Kommandoteil gezündet wurden, und die
Kapsel abtrennen. Gleichzeitig würde Lovell die Steuerdüsen
erneut auslösen, diesmal allerdings in die entgegengesetzte
Richtung, so daß sich das LEM und die daran angekoppelte
Kommandokapsel – mit Swigert an Bord – rückwärts vom
Versorgungsteil entfernten.
Einfacher, aber nicht weniger elegant, war das Verfahren
zum Abtrennen des LEM. Bei einem normalen Flug schlossen
die Astronauten vor dem Zurücklassen der Mondfähre sowohl
die Luke im Landefahrzeug als auch in der Kommandokapsel,
so daß der Tunnel von beiden Schiffen aus abgedichtet war.
Daraufhin öffnete der Kommandant ein Ventil im Tunnel, blies
die Atemluft aus und paßte den Druck an die Verhältnisse im
Weltall an. Dadurch konnten beide Schiffe voneinander
getrennt werden, ohne daß es zu einem unkontrollierten,
explosionsartigen Entweichen der Luft kam.
Während des Fluges von Apollo 10 im letzten Frühjahr hatten
die Controller erstmals mit einem teilweise unter Druck
stehenden Tunnel experimentiert. Wenn man die
Verbindungen löste, durch die beide Raumfahrzeuge
aneinandergekoppelt waren, so ihre Vorstellung, müßte das
LEM vom Mutterschiff weggedrückt werden, aber weitaus
langsamer und weniger unkontrolliert, als wenn der Durchgang
zwischen Kapsel und Mondfähre unter vollem Druck stünde.
Nach Ansicht der Controller wäre diese Methode durchaus
nützlich, falls einmal die Steuerdüsen am Versorgungsteil
ausfallen sollten. Jetzt, ein Jahr später, waren die Düsen
ausgefallen, und die Flugdynamik-Offiziere waren froh, daß
sie das Manöver in den Flugplänen für eventuelle Notfälle
abgeheftet hatten. Gestern hatte man Jack Lousma das
Verfahren erklärt, und er hatte es stolz an Lovell übermittelt.
»Wenn wir das LEM abtrennen«, hatte er berichtet, »gehen
wir genauso vor wie bei Apollo 10 – die Gute wird einfach
losgemacht.«
»O.K«, hatte Lovell weitaus skeptischer zurückgefunkt.
Jetzt, am Donnerstag nachmittag, mußte Deiterich ein
weiteres neues Verfahren mit seinen Kollegen abklären.
Diesmal ging es um das Führungssystem von Apollo 13. Bevor
die Kommandokapsel in die Atmosphäre eindringen konnte,
mußte das Führungssystem aktiviert und dann – mit Hilfe einer
Teleskop-Peilung auf Sonne und Mond – ausgerichtet werden.
Das konnte eine mühselige Arbeit sein, und da sämtliche
optischen Geräte durch Kondenswasser beeinträchtigt waren,
würde sie diesmal wahrscheinlich noch mühsamer werden.
Trotzdem waren Deiterich und die anderen Flugdynamik-
Offiziere zuversichtlich, daß es die Besatzung ohne allzu große
Schwierigkeiten schaffen müßte.
Zur Sicherheit müßte die Ausrichtung, sobald sie erst
vorgenommen war, noch einmal überprüft werden.
Normalerweise behielt der Pilot der Kommandokapsel dabei
durch das Fenster den Horizont der vorbeiwandernden Erde im
Blick. Wenn die Ausrichtung des Raumfahrzeuges stimmte,
deckte sich die Erdkrümmung mit Gradmarkierungen, die in
bestimmtem Abstand ins Fenster eingraviert waren. Bewegte
sich der Planet wie vorgesehen, dann konnte während des
Wiedereintritts der Computer die Steuerung übernehmen.
Wenn nicht, wußte die Besatzung, daß mit der Kreiselplattform
etwas nicht stimmte, und das Raumfahrzeug mußte per Hand
durch die Atmosphäre zur Landestelle gesteuert werden. Das
Problem bei Apollo 13 jedoch war, daß man kurz vor dem
Wiedereintritt keinen Horizont würde anpeilen können. Weil
man das Raumfahrzeug so rasch wie möglich zurückholen
wollte, näherte sich Apollo 13 der Erde von der Nachtseite aus,
so daß die Astronauten zum kritischen Zeitpunkt allenfalls eine
dunkle Masse würden erkennen können.
Aber Chuck Deiterich hatte eine Idee. »Männer«, sagte er zu
den andern Flugdynamik-Offizieren im Bereitschaftsraum,
»morgen mittag werden wir ein Problem bekommen – genauer
gesagt, wir werden unsere Ausrichtung anhand eines nicht
vorhandenen Horizonts überprüfen müssen.«
Er drehte sich zur Tafel um und zeichnete einen langen, nach
unten verlaufenden Bogen, der den Rand der Erdkugel
darstellen sollte. »Nun wird zwar die Erde nicht zu sehen sein,
aber die Sterne sind immer da«, sagte er und malte über dem
Erdhorizont ein paar Kreidepunkte auf die Tafel. »Aber bei der
hohen Geschwindigkeit des Schiffes bleibt uns vielleicht nicht
genügend Zeit, um festzustellen, mit welchen wir es zu tun
haben.« Er wischte die Sterne mit dem Schwamm weg.
»Natürlich steht uns da draußen auch noch der Mond zur
Verfügung«, sagte Deiterich. Oberhalb des Erdumrisses malte
er einen kleinen Mond auf die Tafel. »Während das
Raumfahrzeug den Planeten umkreist und sich der Atmosphäre
immer mehr nähert, wird es so aussehen, als ginge der Mond
unter.« Deiterich malte einen zweiten Mond unter den ersten,
dann einen weiteren, dann noch einen und immer mehr, wobei
jeder näher an dem mit Kreide gezeichneten Erdhorizont lag,
bis der letzte teilweise von ihm überlagert wurde.
»An einem bestimmten Punkt«, sagte er, »wird der Mond
hinter der Erde untergehen und verschwinden. Er wird immer
zum gleichen Zeitpunkt verschwinden, egal, ob es Tag ist oder
Nacht, ob wir den Horizont sehen können oder nicht.« Der
RETRO berührte die Tafel nur mit der Kante des Schwammes
und wischte vorsichtig den langgezogenen Bogen weg, der den
Horizont darstellte, ließ aber die Monde stehen. Er deutete auf
den Mond, der zuvor halb vom Horizont verdeckt gewesen
war.
»Wenn wir auf die Sekunde genau wissen, wann der Mond
verschwindet, und wenn uns der Pilot der Kommandokapsel
mitteilt, daß er tatsächlich verschwindet, dann, Gentlemen, ist
unsere Ausrichtung für den Wiedereintritt punktgenau.«
Es war über einen Tag her, seit die Besatzung von Apollo 13
aus den Fenstern der Kommandokapsel hatte blicken können.
Die Sicht aus der Mondfähre war natürlich seit Montag etwas
eingeschränkt gewesen, da durch die ständigen Ausdünstungen
der Astronauten die Luftfeuchtigkeit gestiegen war und sich
wegen der niedrigen Temperatur Kondenswasser an den
Dreiecksfenstern niedergeschlagen hatte.
Die Kommandokapsel war lange davon verschont geblieben
– hauptsächlich deshalb, weil sich die Astronauten den
Großteil des Fluges über unten in der »Aquarius« aufgehalten
hatten.
Jetzt, als für Apollo 13 der letzte Abend im All anbrach, war
die Temperatur in der Kommandokapsel niedriger als je zuvor,
und es kam trotz der beträchtlich niedrigeren Luftfeuchtigkeit
zu Kondenswasserbildung. Beunruhigt stellte die Besatzung
fest, daß sämtliche Fenster, Wände und Instrumente in dem
klammen Cockpit mit perlengroßen Wassertropfen bedeckt
waren. Aufgrund der Schwerelosigkeit konnten die Tropfen
nicht zu Boden fallen, aber sobald sich die irdische
Schwerkraft bemerkbar machte, würden sich die Astronauten
in der »Odyssey« vorkommen wie in einer Karsthöhle.
Lovells Ansicht nach bedeutete dies Ärger. Wenn die
Fenster, die Wände und die Instrumente derart naß waren,
dann drang die Feuchtigkeit garantiert auch hinter das
Armaturenbrett, wo alles voller Drähte, Glühbirnen und
elektrischer Anschlüsse war. Die Ingenieure von North
American Rockwell hatten zwar dafür gesorgt, daß die
zahllosen Stromanschlüsse des Schiffes wasserfest waren, aber
das Isoliermaterial schützte nur vor der unter normalen
Umständen in der Kabine herrschenden Luftfeuchtigkeit.
Niemand hatte es für notwendig gehalten, die Elektronik so zu
isolieren, daß ihr auch derartige Mengen von Kondenswasser
nichts anhaben konnten. Wenn das Schiff morgen angeschaltet
wurde und die Instrumente wieder unter Strom standen, konnte
es durchaus geschehen, daß wegen eines einzigen blanken
Drahtes oder einer porösen Isolierung das ganze System
zusammenbrach.
Als es Zeit zum Abendessen wurde, schlürfte Lovell in dem
unwesentlich wärmeren LEM lustlos kalte Suppe aus einem
Verpflegungsbeutel, gab es dann auf und machte sich auf den
Weg zur Kommandokapsel, um den Zustand des Schiffes zu
überprüfen.
»Was hast du vor?« fragte Haise, der Lovells Ansicht nach
fiebriger aussah – und sogar klang – als gestern.
»Die Kondensation oben überprüfen«, sagte Lovell.
»Ich komme mit«, bot Haise an.
»Warum bleibst du nicht hier? Du siehst schlecht aus,
Freddo, und da oben ist es eiskalt.«
»Mir geht’s gut«, sagte Haise.
Lovell sprang durch den Tunnel nach oben. Haise folgte ihm,
und die beiden Männer schwebten zum Fenster auf der linken
Seite, der Seite des Kommandanten, durch das Lovell vor
zweiundsiebzig Stunden das Ausblasen entdeckt hatte. Jetzt
konnte man durch das nasse Glas überhaupt nichts erkennen,
und als Lovell mit dem Finger darüber strich, lösten sich ein
paar Tropfen und trieben in der Luft.
»Das ist vielleicht eine Sauerei«, sagte er kopfschüttelnd.
»Eine Sauerei«, wiederholte Haise.
»Nun ja, wir werden erst Bescheid wissen, wenn wir den
Strom einschalten.«
»Und den Strom werden wir nicht einschalten, bevor sie uns
die Checkliste durchgegeben haben.«
Seitdem Lovell und Haise die Geräte aus der »Aquarius« in
die »Odyssey« umgeladen hatten, forderte Lovell in Houston
die Liste an, an der John Aaron und Arnie Aldrich so lange
gearbeitet hatten. Sie wußten, daß die Übermittlung Stunden
dauern konnte, da Swigert jeden einzelnen Schritt aufschreiben
und zur Bestätigung noch einmal vorlesen mußte.
Als der Kommandant den diensttuenden CAPCOM, Kerwin,
das erste Mal nach der Liste gefragt hatte, reagierte dieser
ausweichend.
»Sie existiert«, sagte Kerwin.
»Sie existiert«, hatte Lovell Haise zugeraunt, und dann
zurückgefunkt: »O.K. das ist gut.«
Als Lovell sich das letzte Mal erkundigt hatte – mit
nachdrücklichem Hinweis darauf, daß es mittlerweile
Donnerstag sei und Freitag mittag die Landung erfolgen
sollte –, hatte Brand versucht, ihm gut zuzureden. »Wir sind
fast fertig«, hatte der CAPCOM mit einem entschuldigenden
Lachen gesagt. »Spätestens am Samstag oder Sonntag haben
wir sie für euch vorliegen.« Der Kommandant fand das gar
nicht komisch.
Jetzt, am Donnerstag abend um 18 Uhr 30, achtzehn Stunden
vor der Landung, reichte es Lovell. Er schwebte, gefolgt von
Haise, durch den Tunnel zurück und rief nach Swigert.
»He, Jack, bist du bereit, dich an die Arbeit zu machen?«
»Sehe ich etwa so aus, als wäre ich beschäftigt?« antwortete
Swigert.
»Dann hol die Jungs an die Strippe und laß dir die
Betriebsverfahren durchgeben. Ich habe die Warterei satt.«
Lovell drückte auf die Sprechtaste.
»Houston, hier Aquarius.«
»Schieß los, Jim«, meldete sich Brand.
»Ich möchte daran erinnern, daß ich auf die
Betriebsverfahren zum Hochschalten warte, damit ich sie mit
der Crew einmal durchspielen und sichergehen kann, daß wir
eure Weisungen kapiert haben.«
»Jim, wir werden sie euch garantiert noch durchgeben«, sagte
Brand.
»O.K…« Lovells Tonfall verriet, wie ärgerlich er war.
»Wir haben sie so gut wie fertig.«
»O.K…«
»Wir müßten sie in… etwa einer Stunde haben.«
»Ich warte darauf«, sagte Jim Lovell und schaltete sich mit
einem heftigen Druck auf die Taste aus.
Obwohl er Brands Versprechen nicht glaubte – und
wahrscheinlich glaubte Brand selbst nicht einmal daran –,
sagte der CAPCOM, wie sich herausstellen sollte, die
Wahrheit. Sobald Lovell die Verbindung unterbrochen hatte,
ging hinten in der Mission Control die Tür auf, und Aaron,
Aldrich und Gene Kranz tauchten auf.
Aaron reichte Brand eine Kopie der Checkliste, woraufhin
Brand augenblicklich über Boden-Bord-Funk das Schiff rief.
»Houston, Aquarius.«
»Schießt los, Houston«, meldete sich Lovell.
»O.K. wir sind soweit, daß wir euch den ersten Teil der
Checkliste durchgeben können.«
»In Ordnung, Vance. Ich verbinde dich mit Jack, also bleib
dran.«
Lovell gab Swigert ein Zeichen, daß er seinen Kopfhörer
aufsetzen sollte, besorgte sich zwei oder drei überflüssig
gewordene Flugpläne, holte einen Stift heraus und überreichte
alles dem Piloten der Kommandokapsel. »Du bist dran, Jack.«
»O.K. Vance«, sagte Swigert über Funk. »Ich bin
empfangsbereit.«
»O.K. Jack«, antwortete Brand, »aber du mußt dich noch
einen Augenblick gedulden. Wir wollen den Flugdirektoren
und dem EECOM ebenfalls eine Kopie der Checkliste
zukommen lassen, und das kann ein, zwei Sekunden dauern.«
»Roger, Houston.« Swigerts Tonfall war kaum weniger
scharf als Lovells.
Aaron griff zum Telefon an der Konsole des CAPCOM und
bestellte weitere Kopien. Zwei Minuten lang herrschte
Funkstille, während die Männer an der CAPCOM-Konsole auf
und ab gingen, die Besatzung im Raumfahrzeug wartete und
die Leute in der Mission, Control gelegentlich zur Tür
schielten, um nachzusehen, ob die Kopien eintrafen. Kranz, der
zunehmend ungeduldiger wirkte, gab Brand ein Zeichen, daß
er weitersprechen sollte.
»Sag mal, Jack«, meldete sich der CAPCOM bei Swigert.
»Wie sieht’s mit dem Wasser in der Kommandokapsel aus?
Habt ihr noch Wasserbeutel übrig?«
»Negativ. Ich bin hochgegangen und wollte den Trinkwasser
tank ablassen, aber da ist nichts rausgekommen.«
»Ah«, sagte Brand. »Uns war schon klar, daß im
Trinkwassertank nichts mehr drin ist, aber wir haben uns
gefragt, ob vielleicht noch Beutel übrig sind?«
»Nein.«
»O.K.«
Brand dachte gerade über weitere Gesprächsthemen nach, als
die Tür zur Mission Control aufgerissen wurde. Die Männer an
der Konsole des CAPCOM, die damit gerechnet hatten, einen
Ingenieur mit einem Stapel Kopien hereinstürmen zu sehen,
stöhnten auf, als statt dessen ein halbes Dutzend Controller
zum CAPCOM hingingen. Diese Männer wollten ebenso wie
Kranz, Aaron und Aldrich zugegen sein, wenn ihr Meisterstück
an die Astronauten durchgegeben wurde, und natürlich wollten
sie alle eine Kopie der Vorlage haben.
»Jack, wir werden uns wahrscheinlich noch fünf Minuten
gedulden müssen. Wir bekommen hier immer mehr Zuhörer.
Dieses Betriebsverfahren ist von allerhand Leuten erarbeitet
worden, und ein paar davon haben es ausprobiert, und die
hätten wir gern dabei, während wir es durchgeben.«
Brand wartete auf eine Antwort, erntete aber nur ein fünf
Sekunden langes, frostiges Schweigen. Auf einmal schaltete
sich eine andere Stimme in den Boden-Bord-Funk ein. Es war
Deke Slayton, und Brand war froh darum. Als Astronaut –
auch wenn er bislang noch nicht ins All geflogen war –
erkannte Brand anhand des Tonfalls, daß die Besatzung
allmählich aufsässig wurde, und er wußte, daß er nur begrenzte
Autorität hatte. Slayton als Chefastronaut hatte – auch wenn er
ebenfalls nie ins All geflogen war – sicher mehr Einfluß.
»Wie sieht’s mit der Temperatur da oben aus, Jack?« fragte
Slayton wie beiläufig. »Seid ihr schon mächtig am
Holzhacken?«
Swigerts Tonfall änderte sich auf der Stelle. »Deke, im LEM
liegt sie derzeit bei 10 Grad, glaube ich«, sagte er so freundlich
wie lange nicht mehr. »In der Kommandokapsel ist sie
niedriger.«
»Ein schöner Herbsttag, was?«
»Ganz genau. Und nur damit du es weißt: Anhand eurer
vorigen Checkliste wurde alles in der Kommandokapsel
verstaut. Ausgenommen die Hasselblads, weil wir mit denen
den Versorgungsteil fotografieren wollen, wenn wir ihn
abtrennen.«
»Roger. Habe verstanden, Jack.«
»Im LEM ist ebenfalls alles gut verstaut, ausgenommen die
paar Sachen, die wir noch rüberschaffen müssen.«
»Roger. Habe ebenfalls verstanden.«
Slaytons Eingreifen bewirkte bei Swigert genau den
Umschwung, den sich der Chefastronaut erhofft hatte.
Lovell hingegen ließ sich von Deke Slayton nicht so leicht
beschwichtigen.
»Hör zu, Vance«, blaffte der Kommandant, der Slayton
einfach überging und sich, wie es das Protokoll vorschrieb,
direkt an den CAPCOM wandte, »du mußt dir darüber
klarwerden, daß wir uns hier oben an unsere Arbeits- und
Ruhezeiten halten müssen. Wir können nicht ständig
herumsitzen und warten, bis du uns die Betriebsverfahren
durchgibst. Wir müssen sie vor uns liegen haben, sie uns
anschauen, und wir müssen unsere Leute ins Bett schicken.
Also denk dran und sieh zu, daß du uns die Checkliste
durchgibst.«
Viereinhalb Minuten lang herrschte buchstäblich Funkstille
zwischen Apollo 13 und der Bodenkontrolle. Dann flog ein
weiteres Mal die Tür zur Mission Control auf, und ein
atemloser Ingenieur mit einem Stapel Checklisten kam
hereingestürmt. Von 19 Uhr 30, Ortszeit Houston, bis fast
zwanzig nach neun wurde die endlose Checkliste
durchgegeben, und Swigert schrieb alles mit. Fünfzehn
Stunden vor dem errechneten Zeitpunkt der Landung und
etwas mehr als zwölf Stunden vor Beginn des Hochschaltens
wurde die letzte Anweisung übermittelt, und Swigert klappte
sein Buch zu.
»O.K. Jack«, sagte der CAPCOM. »Ich wundere mich ja
selber, aber allem Anschein nach haben wir alles unter Dach
und Fach.«
»In Ordnung«, sagte Swigert. »Falls wir noch Fragen haben
sollten, melden wir uns wieder.«
»O.K. Wir haben das alles im Simulator durchgespielt, und
unserer Meinung nach dürfte nichts Unvorhergesehenes mehr
passieren.«
»Das will ich doch hoffen«, sagte Swigert, »weil es morgen
nämlich darauf ankommt.«
Trotz all der Schlafperioden, die man in Houston für die Crew
ansetzte, kam keiner der Männer in der Apollo 13 groß zum
Schlafen. Jedesmal wenn einer der Astronauten sich nach drei-
oder vierstündiger Ruhezeit wieder zurückmeldete, fragte ihn
der CAPCOM beiläufig, wie viele Stunden er tatsächlich
geschlafen habe. Und fast immer bekam er die gleiche
Antwort: Eine Stunde, vielleicht ein bißchen mehr. Aber
meistens war es erheblich weniger.
Der Flugarzt hatte die von den Männern genannte
Stundenzahl mitgeschrieben, und das Ergebnis beunruhigte ihn
zunehmend. Seit Montag abend hatte die Besatzung pro Tag
durchschnittlich etwa drei Stunden am Stück geschlafen. Jetzt
war Freitag morgen um 2 Uhr 30, zehn Stunden vor der
Landung, und Swigert hatte diesen Durchschnitt noch nicht
erreicht. Lovell und Haise anscheinend auch nicht, dem
rastlosen Herumrumoren nach zu urteilen.
»Fred«, meldete sich Lousma bei dem Astronauten, der wach
sein sollte. »Schläfst du gerade?«
»Schieß los«, grummelte Haise, öffnete die Augen und setzte
den Kopfhörer auf.
»Ich habe ein paar Minuten Arbeit für euch. Ein paar
Änderungen in der Anordnung der Schalter auf der
Checkliste.«
»O.K.«, sagte Haise. »Ich hole Jack.«
Als Swigert dies hörte, meldete er sich sofort. »O.K.
Houston, hier Aquarius«, sagte er müde.
»Wie lange hast du dich ausgeruht, Jack?« fragte Lousma.
»Oh, ich schätze, etwa zwei oder drei Stunden«, log Swigert.
»Es war furchtbar kalt, und ich habe nicht besonders gut
geschlafen.«
»Roger. So wie es aussieht, kannst du es noch etwa zwei
Stunden lang versuchen, bevor wir uns mit der
Mittkurskorrektur befassen müssen.«
»Na ja«, sagte Swigert, »versuchen können wir’s ja, aber es
ist furchtbar kalt.«
Swigert stupste Lovell an, der gar nicht geweckt werden
mußte.
»Es gibt Arbeit«, sagte er.
»Toll«, erwiderte Lovell.
Die drei Astronauten rafften sich auf und begaben sich
schwerfällig auf ihre Positionen. Die Controller in der
Bodenstation tauschten besorgte Blicke aus. Deke Slayton
schaltete sich ein.
»He, Jim. Da du gerade auf bist und im Augenblick alles
hübsch ruhig ist, möchte ich dir ein, zwei Dinge sagen, über
die du nachdenken kannst. Vor allem eins. Ich weiß, daß
keiner von euch vernünftig schläft, und vielleicht solltet ihr
den Sanitätskasten aufmachen und zwei Dexedrin-Tabletten
pro Nase auspacken.«
»Nun ja… ich habe das noch nicht angesprochen«, sagte
Lovell. »Es wäre… es wäre eine Überlegung wert.«
»O.K.« Slayton schwieg kurz. »Ich wünschte, uns fiele etwas
ein, wie wir euch eine Tasse mit heißem Kaffee hochschaffen
könnten. Würde euch jetzt wahrscheinlich ziemlich gut
schmecken, nicht wahr?«
»Ja, mit Sicherheit. Du kannst dir nicht vorstellen, wie kalt es
hier drin werden kann, vor allem, wenn die PTC langsamer
wird. Im Augenblick steht die Sonne auf der Düse des
Haupttriebwerks vom Versorgungsteil und kommt überhaupt
nicht bis zum LEM herunter.«
»Haltet aus«, sagte Slayton wenig überzeugend. »Es wird
jetzt nicht mehr lange dauern.«
›Nicht mehr lange‹ war, wie Slayton sehr wohl wußte, ein
relativer Begriff. Da die Mittkurskorrektur frühestens in vier
Stunden erfolgen sollte, würde es mindestens noch drei
Stunden dauern, bis die Mondfähre wieder hochgeschaltet und
damit auch wärmer werden würde. Für die dreißig Männer, die
zur Frühschicht in der Mission Control arbeiteten, waren drei
Stunden keine lange Zeit, aber den Astronauten in der eiskalten
Apollo 13 mußte es wie eine Ewigkeit vorkommen.
Slayton hatte wie alle anderen Männer im Raum seit Montag
den Energieverbrauch der »Aquarius« überwacht, und
angesichts der übermittelten Daten wurde er zunehmend
zuversichtlicher.
Slayton meldete sich über das Controller-Netz beim
Flugdirektor und fragte Milt Windler, ob es vielleicht möglich
wäre, ein bißchen überschüssige Energie aufzuwenden, um das
LEM etwas früher einzuschalten.
Das Team des TELMU führte ein paar rasche
Energieberechnungen durch und meldete sich mit einer guten
Nachricht zurück: Die Besatzung durfte das Schiff einschalten.
Windler leitete dies an Lousma weiter. »CAPCOM, sagen Sie
ihm, er soll das Licht anschalten.«
»Aquarius, hier Houston«, meldete sich Lousma.
»Schießt los, Houston«, antwortete Lovell.
»O.K. Skipper. Uns ist etwas eingefallen, wie ihr euch
warmhalten könnt. Wir haben beschlossen, sofort mit dem
Hochfahren der Energie im LEM zu beginnen. Nur im LEM
allerdings, nicht in der Kommandokapsel. Nehmt euch also die
Checkliste zum Klarmachen des LEM vor und schlagt die
Dreißig-Minuten-Aktivierung auf. Verstanden?«
»Äh, verstanden«, sagte Lovell. »Und ihr seid sicher, daß wir
ausreichend Energie für so etwas haben?«
Slayton schaltete sich ein. »Jim, ihr steht mit allen Systemen
bei 100 Prozent.«
»Das klingt ermutigend.«
Der Kommandant wandte sich an seine Kollegen, hob beide
Daumen und machte sich dann mit Haises Hilfe daran, in aller
Eile die entsprechenden Schalter umzulegen, so daß sie für das
halbstündige Hochschalten der Energie nur einundzwanzig
Minuten brauchten. Kaum waren die Systeme der »Aquarius«
wieder in Betrieb, spürte die Besatzung, wie die Temperatur in
dem kalten Cockpit langsam stieg. Sobald dies geschah, sorgte
Lovell dafür, daß sie noch schneller stieg.
Er faßte zum Lagesteuerungsgriff, der jetzt wieder aktiviert
war, und drehte das Raumfahrzeug so herum, daß die Sonne
mitten auf das LEM schien. Fast augenblicklich strömte gelb-
weißes Licht ins Cockpit. Lovell hob den Kopf, schloß die
Augen und lächelte.
»Houston, die Sonne fühlt sich wunderbar an«, sagte er. »Sie
scheint genau durch die Fenster, und hier drin wird es bereits
wärmer. Habt vielen Dank.«
»Im Ansitz wird es immer wärmer, wenn die Enten fliegen«,
sagte der CAPCOM.
»Genau.« Lovell schlug die Augen auf. »Und wenn ich aus
dem Fenster schaue, Jack, dann kommt uns die Erde
entgegengedüst wie ein D-Zug. Ich glaube nicht, daß viele
LEMs die Erde aus dieser Perspektive gesehen haben. Ich halte
immer noch Ausschau nach dem Fra Mauro.«
»Nun denn«, sagte Lousma, »dann fliegst du in die falsche
Richtung, Mann.«
Als am Freitag die Sonne aufging und auf der Straße vor dem
Haus der Lovells wieder die Reporter und Kamerateams
aufmarschierten, fanden sich im Wohnzimmer erneut allerhand
Freunde, Astronauten und Familienangehörige ein.
Gemeinsam saßen sie vor dem Fernseher und sahen sich die
Sonderberichte an.
»Apollo 13 ist jetzt 60000 Kilometer von der Erde entfernt
und fliegt mit einer Geschwindigkeit von 11200 Kilometern
pro Stunde.« Mit diesen Worten eröffnete Korrespondent Bill
Ryan die Today-Show. »Der Kurs steht nun fest, so daß in
etwa sechs Stunden mit einer Landung im Pazifik zu rechnen
ist. Der Helikopterträger ›Iwo Jima‹ ist vor Ort in Position
gegangen, und das Wetter, das ein paar Tage lang wechselhaft
war, hat sich nun wieder beruhigt.
Noch steht dem Raumfahrzeug eines der kritischsten
Manöver bevor. 8 Uhr 23 Ostküstenzeit sollen die Astronauten
den Versorgungsteil absprengen, und um 11 Uhr 53 gilt es, die
Mondlandefähre abzutrennen, die ihnen als Rettungsboot
diente, seit die Energieversorgung im Mutterschiff ausfiel.
Alan Bean, ein Astronaut von Apollo 12, erklärte in diesem
Zusammenhang, wenn etwa eine Stunde vor der Landung die
Mondfähre abgetrennt und der Wiedereintritt wie gewohnt
erfolgen werde, sei der eigentliche Notfall überstanden…«
Plötzlich hörte Marilyn Lovell aufgeregte Stimmen im
Vorgarten, dann so etwas wie Applaus. Sie stürzte ans Fenster
und sah gerade noch, wie sich etliche Nachbarn, die offenbar
Sektkisten trugen, durch den Reporterpulk drängten und über
den Rasen kamen. Marilyn lächelte etwas skeptisch. Sie war
ihnen dankbar für diese Geste und freute sich über den Besuch.
Aber den Sekt würde sie noch eine Weile auf Eis liegenlassen,
zumindest vorerst.
In der Mission Control herrschte keinerlei Aufregung, als Jim
Lovell die Lagesteuerungsraketen kurz zündete, um eine
leichte – und, wie er hoffte, letzte – Kurskorrektur
vorzunehmen und das Raumfahrzeug genau in die Mitte des
etwa 40 Kilometer breiten Wiedereintrittskorridors zu
dirigieren. Die vier Steuerdüsen hatten fünf Tage lang
einwandfrei funktioniert, und daher bereitete den Controllern
auch die jetzige kurze Zündung keinerlei Kopfzerbrechen,
auch wenn diesmal das Überleben der Astronauten beim
Wiedereintritt davon abhing. Aber die Männer an den
Konsolen waren an diesem Morgen mit nichts anderem
beschäftigt als mit dem Überleben der Astronauten beim
Wiedereintritt. In der Mission Control in Houston ging es um
kurz nach 7 Uhr morgens – als gerade die zweite Stunde der
Today-Show anbrach und Jim Lovells Manöver mit den
Steuerdüsen gelang – zu wie in einem Ameisenhaufen. Drei
Stunden zuvor hatte laut dem Plan, den Gene Kranz während
der Woche ausgearbeitet hatte, Milt Windlers Team die
Konsolen verlassen, und zum erstenmal seit der PC+2-
Zündung am Dienstagabend traten wieder Kranz’ Controller an
– jetzt nicht mehr als Tiger Team. Windlers Team räumte auf
der Stelle seine Plätze für sie, aber keiner der Männer verließ
den Kontrollraum. Statt dessen standen sie in der Nähe ihrer
Konsolen herum oder lehnten an der Wand und tranken
Kaffee. Der Großteil der Männer aus den beiden anderen
Teams schloß sich ihnen an. Keiner wollte den diensttuenden
Controllern in die Quere kommen, aber niemand hatte Lust,
das Auditorium zu verlassen. Kranz’ Männer stöpselten ihre
Kopfhörer ein, drehten sich zu den Monitoren um und nahmen
sich ihr erstes und vielleicht kitzligstes Manöver an diesem
Tag vor: Das Absprengen des Versorgungsteils.
»Aquarius, hier Houston«, meldete sich Joe Kerwin, der
diensttuende CAPCOM.
»Schieß los, Joe«, antwortete Fred Haise.
»Wenn du mitschreiben willst: Ich habe Lage und Neigung
für Abtrennung des Versorgungsteils. Dafür brauchst du
keinen Block, ein einfacher Notizzettel tut es auch.«
Lovell, Haise und Swigert befanden sich auf ihren gewohnten
Positionen im Raumfahrzeug, allesamt wach und halbwegs
munter. Lovell hatte sich gegen die Dexedrin entschieden, die
Slayton seiner Crew letzte Nacht verordnen wollte. Er wußte,
daß die stimulierende Wirkung bald vorüber sein würde, und
danach ginge es ihnen nur um so schlechter. Im Augenblick, so
hatte der Kommandant beschlossen, mußten sie sich mit ihrem
Adrenalin begnügen. Haise, dessen Gesicht noch immer fiebrig
rot war, brauchte einen Adrenalinstoß am allernötigsten, und
allem Anschein nach bekam er gerade einen.
»Schießt los, Houston«, sagte er, riß ein Blatt aus einem
Flugplan und zückte seinen Stift.
»O.K. die Vorgehensweise ist folgendermaßen: Erstens, LEM
in folgende Lage manövrieren: Rollen, 000 Grad; Nicken, 91,3
Grad; Gieren, 000 Grad.« Haise schrieb eilig mit und reagierte
nicht sofort. »Soll ich diese Lagedaten wiederholen, Fred?«
»Negativ, Joe.«
»Danach soll Jim mit den vier Steuerdüsen des LEM einen
Schub um 0,15 Meter pro Sekunde auslösen, Jack die
Trennung vornehmen lassen, und dann einen Schub um 0,15
Meter pro Sekunde in die Gegenrichtung auslösen. Hast du
das?«
»Ich habe es. Wann sollen wir das tun?«
»In etwa dreizehn Minuten. Manöver ist aber nicht
zeitkritisch.« Lovell schaltete sich ein. »Können wir es
jederzeit vornehmen?«
»Wird bestätigt. Ihr könnt abtrennen, wann immer ihr soweit
seid.« Sobald die Freigabe von der Bodenstation vorlag, sprang
Swigert durch den Tunnel hinauf in die »Odyssey« und bezog
seine Position vor den Absprengschaltern in der Mitte des
Armaturenbretts. Lovell und Haise begaben sich an ihr
jeweiliges Fenster. Neben den drei Männern schwebten
griffbereit Kameras, da sie hofften, den vermutlich durch eine
Explosion beschädigten Versorgungsteil fotografieren zu
können. Swigert hatte bereits vorsichtshalber das
Kondenswasser an sämtlichen fünf Fenstern der »Odyssey«
abgewischt, damit die Sicht nach draußen nicht beeinträchtigt
wurde.
»Houston, hier Aquarius«, meldete sich Lovell. »Jack ist jetzt
in der Kommandokapsel.«
»Sehr schön, sehr schön«, sagte Kerwin. »Fahrt jederzeit
fort.«
»Jack!« rief der Kommandant durch den Tunnel hinauf. »Bist
du bereit?«
»Alles klar, wenn ihr es seid«, schallte es zurück. »In
Ordnung, ich zähle von fünf rückwärts, und bei Zero drücke
ich auf die Tube. Wenn du die Bewegung spürst, trennst du sie
ab.«
Swigert rief sein »Roger«, ergriff mit der linken Hand die
große Hasselblad und legte den Zeigefinger der rechten Hand
über den mit SM JETT gekennzeichneten Schalter. Im LEM
nahm Lovell die Kamera in die linke Hand und legte die rechte
um den Griff für die Steuerdüsen. Haise hielt seine Kamera
ebenfalls bereit.
»Fünf«, rief Lovell durch den Tunnel, »vier, drei, zwei, eins,
zero.« Der Kommandant schob den Griff nach oben, löste so
die Düsen aus und setzte die aneinandergekoppelten
Raumfahrzeuge in Bewegung. In der Kommandokapsel
reagierte Swigert sofort und betätigte den Schalter für den
Versorgungsteil.
»Absprengung!« verkündete er.
Die drei Besatzungsmitglieder hörten den dumpfen Knall und
spürten gleichzeitig den Ruck. Lovell zog daraufhin den
Steuergriff nach unten und aktivierte so die in Gegenrichtung
wirkenden Düsen.
»Manöver ausgeführt«, rief er.
Lovell, Swigert und Haise beugten sich aufgeregt ans
Fenster, hoben die Kameras und suchten den Himmel ab.
Swigert hatte sich für das große, runde Lukenfenster in der
Mitte der Kapsel entschieden, aber als er jetzt die Nase
dagegen drückte, sah er… gar nichts. Er stürzte nach links,
zum Fenster des Kommandanten, und sah auch von dort aus
nichts. So schnell wie möglich schwebte er zur anderen Seite
des Raumfahrzeugs, spähte durch Haises Bullauge ins All
hinaus, soweit dies möglich war, und entdeckte wieder nichts.
»Nichts, verdammt!« brüllte er durch den Tunnel nach unten.
»Gar nichts!«
Lovell stand an seinem dreieckigen Fenster, drehte den Kopf
hin und her und sah ebenfalls nichts. Er blickte zu Haise, der
ebenso fieberhaft wie er Ausschau hielt und auch nicht mehr
entdeckte. Leise vor sich hin fluchend wandte sich Lovell
wieder dem Fenster zu und mit einem Mal sah er es: Links
oben trieb ruhig und elegant, fast wie ein großes Kriegsschiff,
ein riesiger silberner Körper am Fenster vorbei.
Er machte den Mund auf, um etwas zu sagen, brachte aber
kein Wort heraus. Der Versorgungsteil schwebte genau an
seinem Fenster vorbei, füllte es vollkommen aus, und als er
langsam zurückfiel, geriet er ins Rollen, so daß man ein
Teilstück der vernieteten Außenhülle sehen konnte. Als er
weiter abtrieb, drehte er sich noch mehr und zeigte ein weiteres
Teilstück. Dann, nach einer weiteren Sekunde, riß Lovell
angesichts dessen, was er sah, die Augen weit auf. Der riesige
silberne Zylinder hatte sich gerade wieder weitergedreht, als
ein besonders greller Sonnenstrahl auf die Stelle fiel, wo’ sich
Teilstück Nummer vier befand – oder hätte befinden sollen.
Statt dessen klaffte dort ein Loch, ein riesiger Schlitz, der
sich über die ganze Länge des Versorgungsteils erstreckte.
Teilstück vier, immerhin ein Sechstel der gesamten
Außenhülle des Versorgungsteils, war wie eine Tür
konstruiert, die man aufklappen konnte, damit die Ingenieure
Zugang zu den technischen Apparaturen im Inneren hatten,
und die vor dem Start fest verschlossen wurde. Jetzt war diese
ganze Tür allem Anschein nach fort, losgerissen und vom
Schiff weggesprengt. Aus dem dabei entstandenen Riß hingen
dicke Bündel gekappter Drähte, aufgeringelter
Gummidichtungen und in Fetzen gerissenes, in der Sonne
funkelndes Mylar-Isolationsmaterial. Darunter lagen die
lebenswichtigen Organe des Schiffes: Die Brennstoffzellen,
die Wasserstofftanks, dazwischen die zahllosen Rohre, die sie
miteinander verbanden. Und in der anderen Hälfte dieses
Segments, dort, wo Sauerstofftank Nummer zwei hätte sein
sollen, befand sich, wie Lovell voller Erstaunen feststellte, nur
mehr ein großes, schwarzes Loch.
Der Kommandant packte Haise am Arm, schüttelte ihn und
deutete hinaus. Haise sah, worauf der Kommandant deutete,
und riß ebenfalls die Augen auf. Hinter Lovell und Haise kam
Swigert hektisch aus dem Tunnel getaucht und brachte seine
Hasselblad mit.
»Und die halbe Seite des Raumfahrzeugs fehlt!« teilte Lovell
Houston per Funk mit.
»Stimmt das?« sagte Kerwin.
»Gleich neben der – schau mal da, siehst du das? Gleich
neben der S-Band-Antenne. Die ganze Außenverkleidung
wurde weggerissen, fast bis hinunter zum Triebwerksboden.«
»Habe es notiert«, sagte Kerwin.
»Sieht so aus, als hätte die Düse des Haupttriebwerks
ebenfalls etwas abgekriegt«, sagte Haise, packte Lovell am
Arm und deutete auf die große Triebwerksglocke, die unten
aus dem Versorgungsteil herausragte. Lovell sah eine lange
braune Brandspur an der konischen Düse.
»Ihr meint, es hat die Glocke erwischt, ja?« fragte Kerwin.
»So sieht es jedenfalls aus. Ist eine richtige Sauerei.«
»O.K. Jim«, sagte Kerwin. »Wir möchten, daß ihr ein paar
Bilder schießt, aber wir möchten auch, daß ihr Treibstoff spart.
Führt also keine unnötigen Manöver durch.«
Bei diesem Funkspruch riß Lovell sich zusammen, als ihm
klarwurde, daß es hier vor allem darum ging, Bilder zu
machen, und bislang hatte die Besatzung noch keine. Der bei
der Explosion beschädigte Versorgungsteil trieb bereits davon.
Lovell bewegte sich nach links, packte Swigert am Arm und
zog ihn ans Fenster. Augenblicklich nahm der Pilot der
Kommandokapsel per Teleobjektiv ein Foto nach dem anderen
auf. Lovell setzte seine Kamera an und knipste ebenso
fieberhaft durch den schmalen Fensterausschnitt, der für ihn
übrigblieb. Auf der rechten Seite des Schiffes fotografierte
Haise ebenfalls. Die Besatzung ließ den Versorgungsteil nicht
aus den Augen, bis er nur mehr wie ein torkelnder Stern
wirkte, der Hunderte von Metern vom Schiff entfernt durchs
All trieb. Erst über zwanzig Minuten, nachdem Swigert den
mit SM JETT gekennzeichneten Schalter betätigt hatte, lösten
sich die drei Astronauten vom Fenster.
»Mann«, murmelte Haise vor sich hin, »das ist ja
unglaublich.«
»Tja, James«, meldete sich Kerwin, »wenn ihr nicht besser
auf ein Raumfahrzeug achtgebt, können wir euch vielleicht
keins mehr geben.«
»Hier ist die Apollo Control, Houston, bei einer Flugzeit von
138 Stunden, 15 Minuten. Apollo 13 ist derzeit 34350
Seemeilen von der Erde entfernt und fliegt mit einer
Geschwindigkeit von 11600 Kilometern pro Stunde.
Mittlerweile versammeln sich immer mehr Menschen im
Zuschauerraum der Mission Control. Bereits eingetroffen sind
Dr. Thomas Paine, der Chef der NASA, Mr. George Low,
einer der stellvertretenden Leiter der NASA, die Abgeordneten
George Miller aus Kalifornien, zugleich Vorsitzender des
Raumfahrtkomitees des Repräsentantenhauses, Olin Teague
aus Texas und Jerry Pettis, ebenfalls aus Kalifornien.
Anwesend sind ferner die Astronauten Dave Scott und Rusty
Schweickart von Apollo 9 sowie Lew Evans, der Präsident von
Grumman. Man muß nicht eigens darauf hinweisen, daß all
diese hochrangigen Besucher im Kontrollraum sehr an dem
Bericht von Apollo 13 über den Zustand des Versorgungsteils
interessiert waren, als sich die Besatzung nach dem Abtrennen
davon entfernte. Hier ist die Apollo Control, Houston.«
Um die Position des EECOM hatten sich etliche Controller
versammelt, als der Zeitpunkt zum Hochschalten der
»Odyssey« gekommen war. John Aaron war natürlich schon
seit 4 Uhr morgens da, als das Tiger Team aus Zimmer 210
gekommen war und die Plätze an den Konsolen wieder
eingenommen hatte. Aber gegen 10 Uhr morgens – etwa drei
Stunden vor der Wasserung des Raumfahrzeuges – nahm die
Anzahl der Männer an der EECOM-Konsole in der zweiten
Reihe zu. Zuerst tauchte Sy Liebergot auf, zog sich einen Stuhl
heran und nahm links von Aaron Platz, dann gesellten sich
Clint Burton und Charlie Dumis dazu. An den meisten anderen
Konsolen hielt sich mindestens ein Angehöriger eines anderen
Teams neben dem diensttuenden Controller auf, aber nur an
der EECOM-Konsole waren die Ingenieure in voller Stärke
vertreten.
»Flight, EECOM«, meldete sich Aaron über Funk, während
er einen Blick auf die drei anderen Controller warf, die ihn
umlagerten.
»Los, EECOM«, antwortete Kranz.
»Wenn die Crew bereit ist, können wir jederzeit die Energie
hochfahren.«
»Roger, EECOM«, sagte Kranz. »CAPCOM, Flight.«
»Los, Flight«, antwortete Kerwin.
»Der EECOM sagt, die Kommandokapsel kann jederzeit in
Betrieb genommen werden.«
»Roger, Flight«, sagte Kerwin. »Aquarius, Houston.«
»Schießt los, Houston«, antwortete Lovell.
»Ihr habt GO zum Hochschalten der ›Odyssey‹.«
Im Cockpit der »Aquarius« sah Lovell Swigert an und winkte
ihn zum Tunnel. Im Gegensatz zum Aufzeichnen der
Checkliste vor vierzehn Stunden war die Ausführung relativ
einfach, und der Pilot der Kommandokapsel sollte nicht mehr
als eine halbe Stunde dafür benötigen.
Als der erste Schalter umgelegt wurde und wieder Strom
durch die kalten Drähte floß, machte Lovell sich darauf gefaßt,
daß es jeden Augenblick knallen und zischen könnte, falls sich
tatsächlich Kondenswasser auf einem ungenügend isolierten
Kabel niedergeschlagen hatte und einen Kurzschluß auslöste.
Aber als das Hochschalten der Kapsel weiterging, als Swigert
den ersten Trennschalter umlegte, dann den zweiten, den
dritten und so weiter, vernahmen die Besatzungsmitglieder
lediglich ein beruhigendes Summen und Glucksen, was darauf
hindeutete, daß ihr Raumfahrzeug wieder zum Leben
erwachte. Wenn es bei diesem Vorgang überhaupt irgendwo
Aufregung gab, dann eher an John Aarons Konsole als an Bord
von Apollo 13. Aarons Berechnungen zufolge durfte das Schiff
nicht mehr als 43 Ampere verbrauchen, wenn es über
genügend Strom für den zwei Stunden dauernden
Wiedereintritt verfügen sollte. Aber da er sich bei der
Diskussion in Zimmer 210 durchgesetzt hatte, als es um den
Zeitpunkt zum Einschalten der Telemetrie gegangen war,
würde er erst dann wissen, ob er sich im Bereich des Erlaubten
befand, wenn sämtliche Systeme in der Kommandokapsel in
Betrieb waren und die Datenübermittlung zur Erde wieder
funktionierte. Sollte sich herausstellen, daß die »Odyssey«
mehr als 43 Ampere verbrauchte, und sei es auch nur für kurze
Zeit, dann bestand die Gefahr, daß die Batterien noch vor der
Landung im Wasser leer waren.
Als Lovell Swigert hinauf in die »Odyssey« schickte, beugten
sich Aaron, Liebergot, Dumis und Burton gespannt über die
EECOM-Konsole. Zwanzig Minuten lang fand so gut wie kein
Funkverkehr mit dem Schiff statt. Schließlich meldete Lovell
der Bodenkontrolle, die letzten Schalter seien umgelegt,
darunter auch die für die Telemetrie. Langsam wurde der
Bildschirm des EECOM wieder hell. Als die Ampere-Daten
auftauchten, zuckten die vier EECOMs zurück, als hätten sie
sich die Finger verbrannt. Dort stand die Zahl 45.
»Mist«, fluchte Aaron. »Was, zum Teufel, haben diese 2
Ampere da zu suchen?«
»Ich habe keine Ahnung«, sagte Liebergot.
»Ich würde was dafür geben, wenn ich’s wüßte«, ließ sich
Burton vernehmen.
»Tja, die haben da jedenfalls mit Sicherheit nichts verloren.
Wir sind weit über unserem Limit!« Aaron meldete sich bei
seinem Unterstützungsteam. »Elektronik, EECOM.«
»Los, EECOM«, tönte es zurück.
»Wir verbrauchen hier 2 Ampere zuviel.«
»Ich sehe es, EECOM.«
»Geht die Checkliste durch und seht nach, was wir noch
wegnehmen können.«
»Roger.«
Aaron unterbrach die Verbindung und beugte sich zur
Führungs- und Navigationskonsole. »Ist bei euch irgend etwas
an, das nicht laufen sollte?«
»Nein, soweit ich sehen kann, John.«
»Gut, überprüft es. Irgend etwas schluckt 2 Ampere.«
Während Aaron sich mit seinem GNC unterhielt, verteilten
sich Liebergot, Dumis und Burton in den vorderen drei Reihen
und sahen nach, ob möglicherweise ein anderer Controller ein
Instrument angelassen hatte, das jetzt unnötig Strom
verbrauchte. Noch bevor jemand anders reagieren konnte,
meldete sich Aarons Unterstützungsteam zurück.
»EECOM, ECS«, sagte der Controller.
»Schieß los.«
»Wir haben es. Es sind die B-MAGs, die Ersatzkreisel. Sag
dem GNC, die Crew soll sie abstellen.«
Aaron beugte sich sofort wieder nach links. »Check deine B-
MAGs, GNC. Sind sie an?«
Der Führungs- und Navigationsoffizier blickte auf seinen
Bildschirm und sackte zusammen. »Ach, verflucht«, stöhnte
er.
»Flight, EECOM«, meldete sich Aaron. »Sagen Sie dem
CAPCOM, er soll die Crew die Ersatzkreisel abstellen lassen.«
Joe Kerwin gab Aarons Nachricht an die »Odyssey« weiter,
wo Swigert den entsprechenden Schalter betätigte, worauf die
Ampere-Daten am Bildschirm des EECOM wieder auf 43
sanken. Aber wie Aaron befürchtet hatte, waren ein paar
kostbare Ampere vergeudet.
Mit dem Hochschalten der Kommandokapsel – auch wenn
dies nur teilweise erfolgte – war die Mondfähre »Aquarius«
entbehrlich geworden. Nach einer Flugzeit von 140 Stunden
und 52 Minuten – weniger als zwei Stunden vor der Landung –
war Apollo 13 25 000 Kilometer von der Erde entfernt und
näherte sich ihr mit einer Geschwindigkeit von mehr als 15
000 Kilometern pro Stunde. Die Erde war längst nicht mehr
eine in weiter Ferne liegende Scheibe inmitten von Sternen,
sondern eine riesige blaue Masse, die, vom dreieckigen Fenster
des LEM aus betrachtet, den ganzen Himmel ausfüllte.
Während er durch das Bullauge hinausblickte, sagte Lovell:
»Freddo, es wird Zeit, daß wir aus dem Schiff hier abhauen.«
Von Haise kam kein Ton.
»Freddo?«
Lovell drehte sich zu seinem Kollegen um und erschrak bei
dessen Anblick. Haise stützte sich mit aschfahlem Gesicht an
das Schott.
Er hatte die Augen geschlossen, die Arme um den
Oberkörper geschlungen und zitterte am ganzen Leib vor
Kälte.
»Fred!« sagte Lovell. Es klang besorgter, als er beabsichtigt
hatte. »Du siehst furchtbar aus.«
»Vergiß es«, sagte Haise abwinkend. Es fiel wenig
überzeugend aus. »Vergiß es. Mir geht’s gut.«
»Genau«, sagte Lovell und schwebte zu ihm hin. »Du siehst
einfach Klasse aus. Kannst du noch zwei Stunden
durchhalten?«
»Ich kann so lange durchhalten, wie ich muß.«
»Zwei Stunden, das reicht allemal. Danach treiben wir im
Südpazifik, machen die Luke auf, und draußen hat es 27
Grad.«
»Siebenundzwanzig Grad«, wiederholte Haise etwas
verträumt und fing wieder an zu zittern.
»Mann«, murmelte Lovell, »du bist völlig fertig.« Der
Kommandant stellte sich hinter Haise und legte die Arme um
ihn, damit er etwas von seiner Körpertemperatur abbekam.
Zuerst schien es nichts zu bewirken, aber nach und nach legte
sich das Zittern.
»Fred, warum gehst du nicht nach oben und hilfst Jack?«
sagte Lovell. »Ich mache hier alles fertig.«
Haise nickte und wollte in den Tunnel springen. Aber vorher
hielt er inne und sah sich eine ganze Weile im Cockpit der
»Aquarius« um. Plötzlich schwebte er zu seinem Platz. Dort
hing ein großes Netzgewebe an der Wand, mit dem verhindert
wurde, daß kleinere Gegenstände hinter das Armaturenbrett
treiben konnten. Haise packte das Netz, zog einmal heftig
daran und riß es ab.
»Als Souvenir«, sagte er achselzuckend, knüllte das Gewebe
zusammen, stopfte es in die Tasche und verschwand im
Tunnel.
Sobald er alleine in der Mondfähre war, blickte Lovell sich
ebenfalls lange um. In den vier Tagen, die sie auf engstem
Raum gemeinsam verbracht hatten, hatte sich im Cockpit
allerhand Müll angesammelt, und das am Montagabend noch
makellose Mondlandefahrzeug »Aquarius« sah mittlerweile
aus wie ein galaktischer Schrottkahn. Lovell watete durch
Papierfetzen und Abfälle zu seinem Fenster. Bevor er selbst
das Schiff verließ, hatte er noch etwas zu erledigen: Er mußte
die aneinandergekoppelten Schiffe in die von Jerry Bostick
vorgegebene Lage steuern, damit das LEM vor der
neuseeländischen Küste im Ozean versank.
Lovell packte ein letztes Mal den Lagesteuerungsgriff und
zog ihn zur Seite. Das Schiff gierte leicht, und einige
herumtreibende Blätter gerieten in Bewegung. Ohne den
Versorgungsteil, durch den der Schwerpunkt so weit nach
hinten verlagert worden war, ließ sich die »Aquarius« weitaus
besser steuern. Sie war jetzt fast so wendig, wie Lovell es von
der Arbeit am Simulator in Houston und Florida her in
Erinnerung hatte. Mit ein paar gekonnten Steuermanövern
brachte er das Landefahrzeug in die gewünschte Position und
meldete sich dann bei der Bodenkontrolle.
»O.K. Houston, Aquarius. Ich bin in der für das Abtrennen
des LEM gewünschten Lage und gedenke jetzt auszusteigen.«
»Etwas Besseres fällt mir auch nicht ein«, erwiderte Kerwin.
Lovell schaltete die letzten Systeme ab und beschloß dann,
ebenfalls ein Souvenir mitgehen zu lassen. Er streckte die
Hand aus, ergriff den über dem Fenster angebrachten
Sextanten und drehte einmal daran. Er ließ sich leicht
abschrauben, und Lovell steckte ihn ein. Als er sich in dem
Stauraum hinten im Cockpit umschaute, sah er den Helm, den
er auf dem Mond hätte tragen sollen, ergriff ihn und klemmte
ihn sich unter den Arm. Schließlich nahm er sich das andere
Fach vor und holte die Plakette heraus, die Haise und er am
vorderen Landebein des LEM befestigen wollten, sobald sie
ausgestiegen und zur Erkundung losgezogen wären.
Lovell hielt seine Beute fest, sprang durch den Tunnel in die
untere Ausrüstungs-Bucht der »Odyssey«, packte seine
Souvenirs in eine Staukiste und begab sich zu den Couchs. Er
wollte sich instinktiv zum Platz auf der linken Seite begeben,
doch als er sich aus der Ausrüstungs-Bucht hervorwand, stellte
er fest, daß Haise sich zwar auf der Couch an der rechten Seite
angeschnallt hatte, Swigert aber den Platz des Kommandanten
eingenommen hatte. Während der Abstiegs- und
Wiedereintrittsphase nach einem Mondflug war es üblich, daß
der Kommandant seinen gewohnten Platz dem Piloten der
Kommandokapsel überließ. Da die kritischsten Aufgaben bei
diesen Flügen dem Kommandanten und dem Piloten der
Mondfähre zufielen, wurde der Kapselpilot häufig übersehen.
Während des Wiedereintritts jedoch, wenn das LEM, mit dem
die beiden anderen Astronauten zum Mond geflogen waren,
längst abgetrennt war, übernahm grundsätzlich der Pilot der
Kommandokapsel die Verantwortung. In Anerkennung seines
fliegerischen Könnens und als Ausgleich für die undankbare
Aufgabe, die er bislang übernommen hatte, durfte er die
Kapsel landen. Deshalb mußte der Kommandant dieser
Mission jetzt, als der Wiedereintritt näherrückte, mit der
mittleren Couch vorliebnehmen.
»Skipper meldet sich an Bord«, sagte Lovell zu Swigert.
»Aye-aye«, antwortete Swigert etwas befangen.
Lovell setzte seinen Kopfhörer auf und nickte, dann meldete
sich Swigert über Funk.
»O.K. Houston, wir sind bereit zum Schließen der Luke.«
»O.K. Jack. Hat Jim sämtliche Filme aus der Aquarius
mitgenommen?«
Lovell nickte Swigert zu.
»Ja«, sagte Swigert. »Wird bestätigt. Und wir haben auch
daran gedacht, Jim rauszuholen.«
»Gut gemacht, Jack«, sagte Kerwin. »Dann wollen wir jetzt,
daß ihr die Luke verschließt und den Tunnel bis auf etwa 3 psi
ausblast. Wenn die Luke den Druck etwa eine Minute
zurückhält, ist das O.K. und ihr könnt die Aquarius
abtrennen.«
»O.K.«, sagte Swigert. »Habe verstanden.«
Lovell bedeutete Swigert, er solle an seinem Platz bleiben,
stand von seiner Couch auf und schwebte zur unteren
Ausrüstungs-Bucht. Er tauchte in den Tunnel, klappte die Luke
zum LEM zu und legte den Hebel um. Dann zog er sich in die
»Odyssey« zurück, holte die Luke, die er am Montag abend
entfernt und gesichert hatte, und paßte sie wieder ein.
Falls die Luke sich als ebenso widerspenstig erweisen sollte
wie vor vier Tagen, konnte das LEM nicht abgetrennt werden,
und der Wiedereintritt konnte nicht so erfolgen wie geplant.
Selbst wenn die Luke schließen sollte, würde es ein paar
Minuten dauern, bis die Drucksensoren bestätigten, daß alles
dicht war und das Schiff keine Atemluft verlor. Ohne diese
Bestätigung wäre der Wiedereintritt natürlich nicht möglich.
Argwöhnisch betrachtete Lovell die Luke und betätigte den
Verschlußmechanismus. Mit einem satten Klicken rastete die
Verriegelung ein. Er stellte den Schalter zum Ausblasen des
Tunnels ein und ließ die Atemluft ins All entweichen, bis nur
mehr ein Druck von 2,8 psi herrschte. Dann kippte er den
Schalter zurück und schwebte wieder zu seiner Couch.
»Dicht?« fragte Swigert.
»Ich hoffe es«, sagte Lovell.
Auf diese laue Bestätigung hin betätigte der Kapselpilot
etliche Schalter am Armaturenbrett und nahm das
Sauerstoffsystem in Betrieb, worauf frisches CO2 ins Cockpit
strömte. Mehrere Sekunden lang starrte er gespannt auf die
Anzeige.
»O nein«, stöhnte Swigert auf.
»Stimmt etwas nicht?« fragten Lovell und Haise fast
einstimmig.
»Der Zustrom ist zu hoch. Sieht so aus, als hätten wir ein
Leck.«
John Aaron, der in der Bodenkontrolle über den Bildschirm
des EECOM gebeugt war, entdeckte den Sauerstoff-Wert zum
gleichen Zeitpunk wie Swigert.
»O nein«, stöhnte er.
»Stimmt etwas nicht?« fragten Liebergot, Burton und Dumis
fast einstimmig.
»Der Zustrom ist zu hoch. Sieht so aus, als hätten wir ein
Leck.«
Swigert meldete sich über den Boden-Bord-Funk: »O.K.
Houston, wir haben hohen O2-Zustrom.«
»Roger, Jack«, antwortete Kerwin. »Wir überprüfen es.«
Während Swigert den Blick nicht von den Instrumenten
nahm, meldete sich Aaron bei seinem Unterstützungsteam. Er
und die anderen Ingenieure unterhielten sich leise über die
mögliche Ursache eines Lecks, während die drei anderen
EECOMs in der zweiten Reihe laut miteinander diskutierten.
Nach wenigen Minuten meinte Aaron das Problem gelöst zu
haben. Im LEM herrschte etwas weniger Druck als in der
Kommandokapsel. Da während der letzten vier Tage die Luke
offen und die »Odyssey« abgeschaltet gewesen war, war der
Druck in beiden Raumfahrzeugen von der »Aquarius« aus
geregelt worden. Als die Kommandokapsel hochgeschaltet war
und die Luke verschlossen wurde, stellten die Drucksensoren
den Unterschied fest, worauf sofort der Zustrom erhöht wurde,
um den üblichen Kabinendruck herzustellen. In wenigen
Augenblicken, so dachte sich Aaron, müßte dieser Wert
erreicht sein, und dann sollte auch der hohe Zustrom aufhören.
»Reißt euch mal eine Minute zusammen«, sagte er zu den
Umstehenden. »Ich glaube, es regelt sich von selbst.«
Vierzig Sekunden später pendelten sich die Daten auf dem
Bildschirm des EECOM und im Raumfahrzeug ein.
»O.K.«, sagte Swigert hörbar erleichtert, »er sinkt jetzt, Joe.«
»Roger«, meldete sich Kerwin. »In diesem Fall könnt ihr das
LEM abtrennen, wenn ihr dazu bereit seid.«
Lovell und Swigert blickten auf den Zeitnehmer am
Armaturenbrett. Ihre Flugzeit betrug jetzt 141 Stunden und 26
Minuten.
»Kann ich’s in vier Minuten machen?« fragte Swigert.
»Eine hübsche runde Zahl«, antwortete Lovell.
»O.K. Houston«, meldete sich Swigert. »Wir trennen ab bei
141 plus 30.«
Von den fünf Fenstern in der Kapsel aus konnten die
Astronauten lediglich das silbern spiegelnde Dach der
»Aquarius« sehen. Dreieinhalb Minuten verstrichen.
»Dreißig Sekunden bis zum Abtrennen des LEM«, sagte
Swigert.
»Zehn Sekunden.«
»Fünf.«
Swigert griff zum Armaturenbrett.
»Vier, drei, zwei, eins, zero.«
Der Kapselpilot legte den Kippschalter um, und die drei
Besatzungsmitglieder vernahmen einen dumpfen, beinahe
komisch klingenden Knall. Von ihren Fenstern aus sahen sie,
wie die Mondfähre zurückfiel, und sie sahen den
Verbindungstunnel, dann die S-Band-Antenne, danach die wie
Grasbüschel abstehenden anderen Antennen. Langsam
vollführte die jetzt nicht mehr angekoppelte »Aquarius« eine
anmutige Rolle vornüber.
Lovell blickte gebannt hinaus auf das sich drehende Schiff,
sah die Fenster, die Lagesteuerungsraketen. Er konnte die
vordere Luke erkennen, durch die Haise und er nach der
Landung im Staub der Fra-Mauro-Berge ausgestiegen wären.
Er erkannte das Trittbrett, auf dem er gestanden hätte, um die
Ausrüstungsbucht zu öffnen, bevor er den Fuß auf den Mond
gesetzt hätte. Und er sah, wie die neunstufige Leiter, über die
er hinabgestiegen wäre, beinahe höhnisch in der Sonne
glitzerte. Das LEM rollte sich weiter ab, so daß es kopfüber
hing und mit den vier ausgestellten Landebeinen zu den
Sternen deutete, während die knittrige goldene Haut der
Abstiegsstufe das Licht einfing und zur »Odyssey« warf.
»Houston, LEM-Abtrennung ist erfolgt«, verkündete Swigert.
»O.K. habe verstanden«, sagte Kerwin leise. »Lebwohl,
›Aquarius‹, und vielen Dank.«
Nach dem Abtrennen des Landefahrzeugs war nur mehr der
Grundbaustein von Apollo 13 übrig. Ohne die 36stöckige
Saturn-5-Rakete, mit der es von der Rampe abgehoben hatte,
die 14,5 Meter lange dritte Raketenstufe, mit der der Einschuß
in die Mondbahn erfolgte, dem etwas über 8 Meter langen
Versorgungsteil, das Atemluft und Energie hätte liefern sollen,
und das 7 Meter hohe LEM, mit dem Lovell und Haise zum
Mond fliegen sollten, war von dem Raumfahrzeug lediglich
noch die dreieinhalb Meter hohe Kapsel übrig, die nun auf die
Erde zusteuerte, wo sie nach einem kontrollierten Rücksturz
durch die Atmosphäre im Meer landen würde. Vorher jedoch
mußte die Besatzung noch eine Aufgabe erledigen.
»Wie sieht es mit dem Monduntergangs-Check aus?« fragte
Haise Lovell.
»Bist du bereit dafür?« fragte Lovell Swigert.
»Sobald wir auf der Nachtseite sind«, antwortete Swigert.
Die von Swigert angesprochene Nachtseite der Erde war nur
noch einige Minuten entfernt, aber obwohl der Planet unter
ihnen hell erleuchtet war, konnten Lovell, Swigert und Haise
nichts erkennen. Apollo 13 näherte sich der Erde rückwärts.
Das Raumschiff mußte mit dem Heck voran in die
Erdatmosphäre eindringen, denn dort befand sich der
Hitzeschild, der die dabei entstehende Reibungsenergie
ableitete. Während der letzten Stunde näherten sich die
Astronauten deshalb der Erde im Blindflug und in Rückenlage.
Lediglich ihre Instrumente verrieten ihnen, wie hoch sie sich
noch über dem Ozean befanden.
Die Kapsel blieb mehrere Minuten lang auf diesem Kurs,
dann schwenkte sie in die Erdumlaufbahn ein, flog bei
Dämmerung über Westeuropa und Westafrika hinweg und bei
Dunkelheit über den Nahen Osten. Das Raumfahrzeug näherte
sich der Erde immer mehr, und die dunkle Masse unter seinem
Heck breitete sich zunehmend aus. Schließlich sahen auch die
Astronauten von ihren Fenstern aus den großen, abgerundeten
Schatten, und sie wußten, sie waren wieder zu Hause. Darüber
hing – ungewohnt klein – ein weißer, zu drei Vierteln voller
Mond.
»Houston«, meldete sich Swigert, »nehmen Monduntergangs-
Check vor.«
Der Kapselpilot warf einen Blick auf seine 8er Kugel, um
sich von der Lage der »Odyssey« zu überzeugen, und sah dann
aus dem Fenster auf den Mond. Als die Kapsel zunehmend an
Höhe verlor und der Horizont immer höher aufragte, sank der
Mond tiefer und tiefer.
»Er geht unter, Joe«, meldete sich Swigert bei Kerwin. »Wir
sind jetzt auf etwa 45 Grad runter, und er geht weiter unter.«
»Roger.«
»Jetzt ist er auf 38 Grad.«
»O.K. Jack. Klingt sehr gut.«
Lovell und Haise achteten auf den Flugzeitnehmer am
Armaturenbrett, während Swigert aus dem Fenster schaute.
Der Mond sank von 38 auf 35 Grad, dann auf 20 und noch
tiefer. Der Zeitpunkt, zu dem laut Jerry Bostick der Mond
untergehen sollte, rückte immer näher. Schließlich blieben nur
mehr fünfzehn Sekunden.
»Siehst du irgend etwas, Jack?« fragte Lovell.
»Bis jetzt nicht.«
»Jetzt?«
»Negativ.«
»Jetzt? Nur noch drei Sekunden.«
»Noch nichts«, antwortete Swigert. Dann, genau zu dem vom
FIDO vorausgesagten Zeitpunkt, sank der Mond noch ein
Stück, und mit einem Mal tauchte am unteren Rand eine
dunkle Einkerbung auf. Mit einem breiten Grinsen drehte sich
Swigert zu Lovell um.
»Monduntergang«, sagte er und ging auf Sendung. »Houston,
Lage ist gecheckt und O.K.«
»Gut gemacht«, sagte Joe Kerwin.
Jim Lovell drehte sich zu den links und rechts von ihm
sitzenden Männern um und lächelte. »Gentlemen«, sagte er,
»wir sind kurz vor dem Wiedereintritt. Ihr solltet euch auf
einiges gefaßt machen.«
Der Kommandant überprüfte unwillkürlich die Sitzgurte um
Schulter und Schoß und straffte sie etwas. Swigert und Haise
taten instinktiv das gleiche.
»Joe, wie weit draußen sind wir jetzt?« fragte Swigert den
CAPCOM.
»Ihr fliegt mit einer Geschwindigkeit von 40000 Kilometern
pro Stunde und seid so nahe an der Erde, daß wir euch auf
unserer Projektionswand kaum mehr sehen können.«
»Ich weiß, daß wir alle euch für die prima Arbeit danken
wollen, die ihr geleistet habt«, sagte Swigert.
»Wird bestätigt, Joe«, stimmte Lovell zu.
»Ich will euch eins sagen«, erwiderte Kerwin. »Wir haben
das gerne getan.«
Daraufhin schwieg die Besatzung im Raumfahrzeug, und
auch im Kontrollraum in Houston kehrte Stille ein. In vier
Minuten würde die Kapsel in die obersten Schichten der
Atmosphäre eindringen, und aufgrund der Reibungshitze
würden Temperaturen bis zu knapp 3000 Grad auf den
Hitzeschild einwirken. Wenn die dabei entstehende Energie in
Elektrizität umgewandelt würde, entspräche sie einer Leistung
von 86000 Kilowatt-Stunden, genug, um Los Angeles
anderthalb Minuten lang mit Strom zu versorgen. An Bord des
Raumfahrzeugs jedoch hätte diese Hitze nur eine Wirkung: Mit
steigender Temperatur würde die Kapsel von einer Schicht aus
ionisierter, elektrisch leitender Luft eingehüllt, so daß etwa
vier Minuten lang die Funkverbindung zwischen Schiff und
Bodenkontrolle abreißen würde. Erst hinterher, wenn der
Funkkontakt wiederhergestellt wurde, würden die Controller
am Boden erfahren, ob der Hitzeschild intakt geblieben war
und die Crew überlebt hatte. Wenn nicht, mußten sie davon
ausgehen, daß die Besatzung den Hitzetod gestorben war. An
der Konsole des Flugdirektors stand Gene Kranz auf, zündete
sich eine Zigarette an und setzte sich mit seinen Controllern in
Verbindung.
»Sprechen wir vor dem Wiedereintritt noch einmal alles
durch«, verkündete er. »EECOM, haben Sie GO!«
»GO, Flight«, antwortete Aaron.
»RETRO?«
»GO.«
»GUIDO?«
»GO.«
»GNC?«
»GO, Flight.«
»CAPCOM?«
»GO.«
»INCO?«
»GO.«
»FAO?«
»Wir haben GO, Flight.«
»CAPCOM, Sie können der Crew mitteilen, daß sie GO für
den Wiedereintritt haben.«
»Roger, Flight«, sagte Kerwin. »Odyssey, hier Houston. Wir
hatten gerade eine letzte Konferenzschaltung, und jeder sagt,
daß ihr großartig ausseht. In etwa einer Minute wird das Signal
abreißen. Willkommen daheim.«
»Vielen Dank«, sagte Swigert.
In den folgenden sechzig Sekunden starrte Swigert wie
gebannt aus dem linken Fenster, Haise richtete den Blick zum
rechten Fenster des Raumfahrzeugs und Lovell zum mittleren.
Draußen wurde ein schwaches rosa Schimmern erkennbar, und
gleichzeitig spürte Lovell die ersten Anzeichen der wieder
einsetzenden Schwerkraft. Dann ging die rosa Farbe in einen
Orangeton über, und die eher andeutungsweise vorhandene
Schwerkraft stieg auf etwa ein g. Langsam verwandelte sich
der Orangeton in ein sattes Rot, als sich glühende Partikel vom
Hitzeschild lösten, und die Schwerkraft stieg auf zwei, drei,
fünf g, und erreichte kurzfristig Spitzenwerte von bis zu sechs
g. In Lovells Kopfhörer ertönte nur statisches Rauschen.
Auch die Männer an den Konsolen in der Mission Control
empfingen über ihre Kopfhörer nichts als dieses Rauschen.
Sobald es einsetzte, wurden sämtliche Gespräche auf dem Netz
des Flugdirektors, zwischen den Controllern und ihren
Nebenkontrollräumen und auch im Auditorium selbst
eingestellt. Der digitale Flugzeitnehmer an der Stirnseite des
Raumes stand bei 142 Stunden und 38 Minuten. Sobald er bei
142 Stunden und 42 Minuten angelangt war, würde Joe Kerwin
das Raumfahrzeug rufen. Während der ersten beiden Minuten
ohne Funkkontakt gab es im Kontrollraum und auf der
Besuchergalerie keinerlei Bewegung. Als die dritte Minute
verstrich, rutschten etliche Controller unruhig auf ihren Sitzen
hin und her. Als die vierte Minute sich dem Ende zuneigte,
reckten einige Männer im Kontrollraum den Hals und blickten
zu Gene Kranz.
»In Ordnung, CAPCOM«, sagte der Flugdirektor und drückte
die Zigarette aus, die er sich vier Minuten vorher angezündet
hatte. »Teilen Sie der Crew mit, daß wir auf Meldung warten.«
»Odyssey, Houston wartet auf Meldung, over«, meldete sich
Kerwin.
Vom Raumfahrzeug war nichts als statisches Rauschen zu
hören. Fünfzehn Sekunden verstrichen.
»Versuchen Sie es noch mal«, ordnete Kranz an.
»Odyssey, Houston wartet auf Meldung, over.« Weitere
fünfzehn Sekunden vergingen.
»Odyssey, Houston wartet auf Meldung, over.« Weitere
dreißig Sekunden verstrichen.
Die Männer an den Konsolen starrten gebannt auf ihre
Bildschirme. Die Gäste auf der VIP-Galerie sahen einander an.
»CAPCOM, versuchen Sie es noch mal«, befahl Kranz.
Langsam vergingen weitere drei Sekunden, dann auf einmal
änderte sich das Rauschen in den Kopfhörern der Controller.
Eigentlich war es nicht mehr als eine leichte
Frequenzschwankung, aber sie war deutlich feststellbar.
Unmittelbar darauf ertönte unverkennbar eine menschliche
Stimme.
»O.K. Joe«, meldete sich Jack Swigert.
Joe Kerwin schloß die Augen und atmete tief durch, Gene
Kranz stieß die Faust in die Luft, und die Menschen auf der
VIP-Galerie umarmten sich und klatschten.
Die Astronauten in der nicht länger vom Kontakt mit der
Außenwelt abgeschnittenen Kapsel verbrachten einen relativ
ruhigen Flug. Als sich der Ionensturm um das Schiff legte,
hatte die immer dichter werdende Atmosphäre den zunächst
40000 Stundenkilometer schnellen Sturz bis zu einem
vergleichsweise sanften freien Fall bei knapp 500 Kilometern
pro Stunde abgebremst. Das feurige Rot vor den Fenstern war
in einen hellen Orangeton übergegangen, dann in ein Hellrosa
und schließlich in den altbekannten Blauton. Während der
letzten Minuten der Funkstille hatte die Kapsel die Nachtseite
der Erde verlassen und flog in den Tag hinein. Lovell schaute
auf die Schwerkraft anzeige: Dort stand 1,0 g. Er warf einen
Blick auf den Höhenmesser: Er zeigte 35000 Fuß an, etwa
10500 Meter.
»Bereitmachen für die Bremsfallschirme«, sagte Lovell zu
seinen Kollegen. »Und wollen wir hoffen, daß sie richtig
zünden.« Der Höhenmesser fiel von 28000 auf 26000 Fuß,
knapp 8000 Meter. Bei 24000 Fuß hörten die Astronauten
einen dumpfen Knall. Sie blickten aus den Fenstern und sahen
zwei helle Stoffstreifen. Dann blähten sie sich auf.
»Wir haben zwei geöffnete Bremsfallschirme«, meldete
Swigert der Bodenkontrolle.
»Roger«, antwortete Kerwin.
Inzwischen flog die Kapsel zu langsam und zu niedrig, als
daß sich Geschwindigkeit und Höhe am Armaturenbrett
ablesen ließen, aber Lovell wußte, daß sie sich laut Flugplan
im Augenblick knapp 20000 Fuß (etwa 6000 Meter) über dem
Wasser befanden und mit einer Geschwindigkeit von lediglich
280 Kilometern pro Stunde fielen. Vor weniger als einer
Minute hatten sich die beiden Bremsfallschirme von selbst
abgesprengt und drei weitere waren ausgelöst worden, gefolgt
von den drei Hauptfallschirmen. Einen Sekundenbruchteil lang
schossen diese Stoffbahnen durch die Luft, dann blähten sie
sich so ruckartig auf, daß die Astronauten an ihre Couchen
gepreßt wurden. Lovell warf instinktiv einen Blick zum
Armaturenbrett, aber der Geschwindigkeitsmesser zeigte keine
Veränderung an. Er wußte jedoch, daß ihre
Sinkgeschwindigkeit jetzt nur mehr 32 Kilometer pro Stunde
betragen müßte.
An Deck der USS »Iwo Jima« blickte Mel Richmond
blinzelnd zum Himmel, sah aber nichts als blauen Äther und
weiße Wolken. Der Mann links neben ihm suchte ebenfalls
schweigend den Himmel ab und stieß dann einen leisen Fluch
aus, was darauf hindeutete, daß auch er nichts sah. Dem Mann
rechts von ihm ging es genauso. Die Matrosen traten an Deck
an und richteten nach allen Seiten Laufplanken aus.
Plötzlich schrie jemand hinter Richmonds Rücken: »Da ist
sie!«
Richmond drehte sich um. Nur ein paar hundert Meter
entfernt sank ein winziger schwarzer Kegel, der an drei
riesigen Fallschirmen hing, dem Wasser entgegen. Er jubelte,
und die Männer links und rechts von ihm fielen ebenso ein wie
die Matrosen an Deck. Die in der Nähe stehenden
Kameramänner folgten ihren Blicken und stellten ihre
Objektive ein. In der Mission Control flackerte der riesige
Projektionsschirm an der Stirnseite des Raumes auf und zeigte
die herabschwebende Kapsel. Auch hier stimmten die Männer
Jubelrufe an.
»Odyssey, hier Houston. Wir sehen euch an den
Hauptfallschirmen«, rief Joe Kerwin, der sich das eine Ohr
zuhalten mußte. »Sieht wirklich großartig aus.« Kerwin
wartete auf eine Antwort, konnte aber bei dem Lärm rundum
nichts hören. Er wiederholte den eigentlichen Sinn der
Mitteilung: »Wir haben euch im Fernsehen, Jungs!«
Von der Kapsel aus, der der Applaus der Männer in der
Mission Control und auf der »Iwo Jima« galt, funkte Jack
Swigert ein »Roger« zurück, aber er achtete weniger auf die
Stimme im Kopfhörer als auf den rechts von ihm liegenden
Mann. Jim Lovell, der einzige in der Kapsel, der so etwas
schon mitgemacht hatte, warf einen letzten Blick auf den
Höhenmesser und hielt sich dann unwillkürlich am Rahmen
der mittleren Couch fest. Swigert und Haise taten instinktiv das
gleiche.
»Festhalten«, sagte der Kommandant. »Wenn es so ähnlich
geht wie bei Apollo 8, kann es etwas ruppig werden.«
Dreißig Sekunden später spürten die Astronauten, wie sie
abrupt, aber schmerzlos abgebremst wurden, als die Kapsel –
ganz anders als Apollo 8 – glatt ins Wasser tauchte. Sofort
blickten die drei Besatzungsmitglieder zu den Bullaugen auf.
Vor allen fünf Scheiben sahen sie Wasser.
»Männer«, sagte Lovell, »wir sind wieder daheim.«
Weihnachten 1993
APOLLO 7
Besatzung: Wally Schirra, Kommandant Donn Eisele,
Kapselpilot Walt Cunningham, Pilot der
Mondfähre
Start: 11. Oktober 1968
Landung: 21. Oktober 1968
Auftrag: Erste Erprobung des Apollo-Versorgungs- und
Kommandoteils in der Erdumlaufbahn. Ohne
Mondfähre
APOLLO 8
Besatzung: Frank Borman, Kommandant Jim Lovell,
Kapselpilot Bill Anders, Pilot der Mondfähre