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DER
APOLLOTEMPEL
zu
BASSÄE m ARCADIEN
UND
BILDWERKE.
DARGESTELLT UND ERLÄUTERT
DURCH
ROM 1826-
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A
INHALT
Seite
Vorbericht....................... °
ERSTE ABTHEILUNG.
DAS TEMPELGEBÄUDE.
Die Grabungen und deren Ergebnisse.
ZWEITE ABTHEILUNG.
DIE BIEDWERKE.
Erster Abschnitt. Die Reliefs des Ionischen Frieses.
1) Mythe.................... 66
2) Darstellung-................... 70
Tracht und Bewaffnung................... 75
Ueber die Färbung des Bildwerks................. 79
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M'"T X J3 /
_ 4 _
Seite
Zwejter Abschnitt. Die Sculpturfragmente der Dorischen Friese und der Tempelstatue.
Gegenstand und Beziehung der Mctopenreliefs ......... ^ ■'•••' ^
Die colossale Acrolithstatue, ein Nachbild.
Deutung derselben ■ •••...«........•'•♦* ®8
Nachricht von dem Erzbilde des Apollo Epicurius.
Beschluß....................... 101
BEYLAGEN.
I. DER LYCÄISCHE BERG. — Zu Seite 4.
Alter des Zeus. Rennbahn. Quellen der Neda.......... 102
II. MESSENE. — Zu Seite 9.
Blick auf Ueberbleibsel und Lage.........* 104
■ >*.
ERSTE ABTHEILUNG.
DAS TEMPELGEBÄUDE,
die Grabungen und deren Ergebnisse.
Am Rande tiefer Bergschluchten, in denen die Neda entspringt, steht auf dem Berge
Cotyliiis in Arcadien der verfallene Tempel des Apollo Epicurius. Die jähe Tiefe, die er überragt,
ist in den Windungen der Schluchten an Quellen mit Platanen, an Berghangen mit Eichwäldern
bedeckt. Aus den dunklen, schattigen Abgründen erheben sich nackte, graue Felsenrücken, über
welche häufig Adler kreisen. Regenströme haben in der Zeiten Dauer tiefe Furchen diesen uralten
Gebirgen eingegraben, ihre durch Verwitterung zerschellten Gipfel Steingerölle in die Furchen ge-
häuft. Die Pfade verlieren sich in der Wildnifs der Gebirgsgegend; vor Alter niedergestürzte Stämme
und Giefsbäche sperren den Zugang; überall stellen sich Schwierigkeiten und Beschwerden der An-
näherung zu dem Tempel entgegen. Der steile Abhang des Cotylius bietet dem Wanderer nur einen
Ruheort, die dem Gipfel nahe Beugung eines kleinen, abgesonderten Bergthals, welches das Ende
der ansehnlichsten Schlucht des Berges ist und das Heiligthum mit seinen Nebengebäuden enthielt.
Dieser Ort hiefs in Dorischer Mundart Bassä1), die Schluchten, und der Name selbst bezeichnet
am Cotylius, Aem von xotvXj], die Höhlung, benannten Berge, vorzugsweise diese Gegend. Hier in
der wTilden Umgebung von Felsengruppen und hohen Eichen überraschen noch jetzt die Gebilde voll-
endeter Kunst, die geregelten, zierlich gearbeiteten Säulen des Tempels; deren glänzende Weifse,
durch das dunkle Laub der Bäume gehoben, einen sanften Schimmer verbreiten, wie die edle Rein-
heit ihrer Form ein stilles, inniges Behagen erweckt. Nichts läfst einen tiefern Eindruck von Ein-
') 'Ev W T(w errejj (xorvllt;)) Jjwo/ov %k tare xaZovfcevov Bäoocu ,XBl u vaoo TOv slnolluvoo tov TSielkqvqIov, Pansan. Till, 41. Von
Nebengebäuden zeugen die weiter unten angeführten Reste.
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— 8 —
samkeit zurück, als dieser Anblick. Selten wird die Stille liier oben unterbrochen und geschieht es
einmal, so ist es entweder die grofse Natur, die sich in mächtigen Lauten hören läfst, oder es ist
ein aufgescheuchtes Wild oder das Rufen eines Schäfers, der seine Heerde vorübertreibt. Auch sind
die Laubhürden, fiarS/jat, (mandrae) herumziehender Arcadischer Schäfer und ihre braunen Zelte,
die von Zeit zu Zeit hier aufgeschlagen werden, die einzigen Zeichen menschlicher Bewohnung. Die
Einsamkeit vermehren selbst die Wolken, die manchmal unterhalb des Tempels sich bildend die
Gegend in Dunkel hüllen, diesen Ort, dem sie allein den Schein der Sonne lassen, gleich einer
Insel mit einem Nebelmeer umschliefsen, und dem Auge den Anblick alles übrigen Landes ent-
ziehen, das sich ringsumher in die Ferne breitet.
Denn der Tempel beherrscht nach allen Seiten weite romantische Aussichten, welche die
Phantasie auf mannigfaltige Weise beschäftigen, indem selbst die Gegend durch heilige und ge-
schichtliche Ueberlieferung und durch Dichtung lebt und zu uns spricht. Nur auf der Nordseite
wird die Ferne zum Schutze des Tempels von den höchsten Gipfeln des Cotylius verdeckt, wo ein
Tempel der Aphrodite stand. Wie alle Gebirge der Gegend sind auch diese Höhen mit verschie-
denen Arten Eichen") bewachsen, vorzugsweise Bäume Arcadiens, die den alten Bewohnern des
Landes, diesem Urvolke des Peloponnes, die erste Nahrung darboten, daher sie Balanophagen hiefsen
und unter den Bäumen die Escheneiche (pr/yos von (fä-ja, ich esse) mit efsbaren Eicheln, ßö.Xaroi,
insbesondre dem Zeus, als der Bedingung des Lebens, dem Odem der Natur, geweiht war. Jenseits
der tiefen Bergschluchten erstreckt sich im Halbkreise vor dem Tempel eine Kette von Bergen.
In Osten erblickt man den Lycäischen Berg, die heilige Höhe oder den Arcadischen Olympus, die
Wiege des Zeus, das in Wolken ruhende, durch Quellen und Bäume nährende, vergötterte Bild
des Zeus selbst 3) nach dem uralten Glauben, den der Pelasgische Naturdienst bey diesem Bergvolke
begründet hatte. Auf jenem Berge unterscheidet sich neben dem ehemals befestigten Engpafs
Diaforti die Cerausische Höhe, an welcher, der Bedeutung des Namens gemäfs, sich oft die gesam-
melten Gewitterwolken in Blitze entladen, und der höchste, allübcrschauende Gipfel der ganzen
Gebirgsgegend mit dem Altar des Höhengottes Zeus Lycäus, in Form eines abgeschnittenen Kegels
aus Asche der Opfer errichtet, zu welchen in der wilden Urzeit und auch wohl in späteren Zeiten
Menschen gewählt wurden4). Lycaon, des Pelasgus Sohn, sollte hier zuerst ein Rind geopfert haben.
P Der Lycäische Berg, (s. die Beilage I.) der Hauptknoten, von dem die Gebirgsverzweigungen aus-
gehen, war einer der ersten Niederlassungen der allmählig in Griechenland sich verbreitenden Völker,
der Ursilz der Bewohner des Peloponnes; Lycosura auf demselben, nach der Arcadier Bericht, die
erste Stadt, welche die Sonne geschaut, und Cretca der Landstrich, wo Zeus erzogen ward. An
dieses Gebirge schiiefsen sich die Nomischen, die Lieder- oder Weideberge des Pan, die noch wegen
ihrer Weiden berühmt, zuerst von den Melodien dieses in Arcadien einheimisch geglaubten und vor-
züglich verehrten Gottes der Heerden und Jagd erklangen; daher ein Ort auf denselben Melpea, der
Singort, genannt wurde, wo er die Syrinx erfand, die als Abzeichen auf den Münzen der musik-
treibenden Arcadier steht. In der Ferne ragen zwischen den Gipfeln dieser Berge die meistens mit
s) Pausan. Till., 12. erwähnt nur drey Arten: die breitblättrigte, die Eschen- und Kork-Eiche; aber man findet mehrere und besonders
in der Form der Blätter zeigt sich eine grofse Mannigfaltiglicit.
3) S. Creuzers Symbolik und Mythologie zw. Ausg. 2 Th. S. 53s ff., wo gezeigt wird, dafs ursprünglich die Griechen den Olympus und
demnach verschiedene Berge, die diesen Namen trugen, ajs Gottheit, als Zeus selbst angeschaut haben.
4) Noch jetzt hat sich die Sage hievon im Volke erhalten, welches diesen Altar nach der Form des Platzes auf demselben und -wegen
der Zerstückelung der unter der Asche vermengten Knochen Moni (Heim) die Dreschtenne, nennt und hiebey ein Märchen von gedroschenen
Menschen erzählt.
Schnee bedeckten Felsenhörner des Tajgetus aus Laconien hervor. In Süden ist die vorliegende
Kette der Berge gesenkt und dem Auge eine der schönsten und heitersten Fernen geöffnet: die
Aussicht auf Messenien, welches rührende Schicksale und Freyheitskampf vor allen auszeichnen.
Durch den klaren, bläulichen Schleier der Luft erblickt man die sanfte Form des Ithome, der
gekrönt mit den von Epaminondas erbauten Mauern der Stadt Messene (s. die Beilage II.) und des
Tempels des Zeus Ithomates aus der weiten, grünenden Ebene des Pamisus sich erhebt, — den Golf
von Messenien in die Ufer der Ebene bis zur vortretenden Landspitze am Fufse des Berges Temathia
bei Corone sich schwingend, und die unabsehbare Fläche des Mittelländischen Meeres, die der
Horizont begränzt. Nach TVesten zieht sich vom Tempel gegen die Stadt Phigalia hinab die erwähnte,
gröfste Bergschlucht des Cotylius. Sie gewährt die Aussicht auf die Lage der Stadt und ihres Dianen-
tempels, auf die tiefgewundenen Ufer der rauschenden Neda am Berge Elaius, welcher mit dem
Cotylius die Anhöhe von Phigalia umschliefst. Die Nymphe dieses ansehnlichsten unter den Berg-
strö'men der Gegend, die geehrteste von allen Nymphen, war der Sage nach die Säugamme des Zeus;
und in Bezug auf den melodischen Fall der Gewässer, (Isidor. Orig. 1. III.) auf das verborgene Wirken
und Leben der Quellen, und die ihnen beygelegte Kraft der Begeisterung scheint es, dafs man sie
auch als die Mutter Arcadischer Musen kannte, der ersten Musen oder Nymphen des Gesangs und
Töchter dieses Gottes 6). Der Nedastrom wendet sich in mannigfaltig geschlungenen Krümmungen,
von den Alten dem Mäander verglichen, gegen das Ionische Meer, dessen Fläche sich hier über den
Berggipfeln zeigt. Am Gebirge unweit der Meeresküste sieht man das ehemalige Cjparissia, jetzt
Arcadia, im angränzenden Messenischen Gebiete liegen; und nur bey dieser Stadt hat sich noch der
Name des vielbesungenen poetischen Landes der Beinheit und Einfalt ursprünglicher Menschheit, des
Paradieses der Hellenen, Arcadiens, im jetzigen Griechenland erhalten.
Das erste Kupferblatt T. I. giebt eine Uebersicht des zwischen Norden und Osten gelegenen
Theils der Gegend und zeigt die Lage des Tempels am Cotylius. Hier erscheint das Gebäude in der
Ferne oberhalb jener grofsen Schlucht, die sich links gegen Phigalia hinabsenkt und wird von einem
der höchsten Gipfel des Berges überragt. Die Bildung der Gegend, die Buchten und Falten, die
ausgebreiteten Eichwälder derselben, enthüllen sich dem Auge in ihrer Verwilderung: alles charak-
terisirt hier ein Land, das frey und ungestört dem Walten der Natur überlassen ist. Bechts steht die
Cerausische Höhe in Gewittern und der conische Bergaltar des Jupiter vom Blitz erleuchtet. Aus der
weitesten Ferne ragt die Bergreihe jenseits der Ebene von Megalopolis und Trapezunt herüber.
Von dem entgegengesetzten Standpunkte wurde die zweyte Aussicht, T. II, aufgenommen,
die als eine Fortsetzung der vorigen betrachtet werden kann. Sie begreift die südliche Seite der
Gegend, das Bergthal von Bassä auf dem Cotylius nebst dem Tempel. In diesem Bilde ist der erste
und überraschende Blick aufgefafst, welchen die Höhe gewährt, wenn man von der Arcadischen
Stadt Andrizene über den Rücken des Berges dem Ruin sich nähert. Dieser wird hier in dem früheren
Zustande der Verschüttung seiner inneren Theile, die vor der Grabung statt fand, gezeigt. Im Thal-
grunde nahe bey demselben sind noch die Mauerreste von den Nebengebäuden des Tempels vor-
handen. Thimianbüsche bedecken den felsigen Boden, aus dem scharfgespaltene Klippen in schiefen
Lagen hervorstechen; nur im Frühjahr stehen an lockeren Stellen kleine Saatfelder, zum Nothbedarf
von den Hirten angelegt. Die manuigfaltigen Formen der Anhöhen, die hier mit starren Felsen-
schichten, dort mit beweglichem Laub der Bäume gekrönt sind, geben der Landschaft eine wech-
s) S. Creuzers Anm. über die Stelle des Cicero de Nat. Deor. III. 21. pag. 592- in der Syrab. u. Mythol. zw. Ausg. 3. Th. S. 271.
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selnde bald ernste, bald anmuthige Zierde. Den Hintergrund derselben, den die tiefe Schlucht
der Neda abtrennt, bildet die angezeigte Aussicht über die Senkung der Nomischen Berge nach
Messenien und dem Mittelmeer. Der Einbug in der Gebirgslinie des Ithome bezeichnet die Lage der
Stadt Messene; der höchste Gipfel dieses Berges trägt die Reste des Tempels Zeus des Ithomaten.
Von einer herrlichen Zusammenwirkung sind im Mittel - und Hintergrunde der Gegend vorzüglich die
schönverschränkten Linien, deren kühne Schwingung in abduftender Ferne allmählig nachläfst und
zuletzt sich in der Meereslinie ausgleicht, wodurch das Gefühl himmlischer Befriedigung und Ruhe
entsteht, die Seele erweitert und ins Unendliche gezogen wird.
Der Zauber des wechselnden Lichts und der Farben, die beym Sinken der Sonne immer mehr
wachsen und sich erhöhen, verbreitet einen so wunderbaren Reiz über diese Gegenden, giebt ihnen
einen so steigenden Ausdruck, dafs es scheint als hätten sie wirklich Seele und Leben, wie der Glaube
der Griechen ihnen beylegte. Noch ruht in dieser Natur ein eigener Genius, der nicht mit der heiteren
Götterwelt entwich. Es ist keine blofse Vermuthung, wenn wir überhaupt in der Gestalt und in der
Physiognomie des classischen Griechenlands selbst eine Uebereinstimmung, ja sogar die erste Veran-
lassung zu jenem Hellenismus der Form und des Charakters finden, welcher in den Kunstgebilden
seiner ehemals begeisterten Einwohner bewundert, aber nicht durch Nachahmung erreicht und an-
derswo einheimisch wird. Denn so wie auf Ausbildung und Farbe der Pflanzen die Mischung des
Bodens, wirkt auf Entwickelung und Stimmung des Geistes der Menschen auch die Beschaffenheit
des von ihnen bewohnten Landes.
An abgesonderte, erhabene Orte stellten die Griechen gern ihre vornehmsten Tempel6), vor-
züglich die der Schutzgötter; nicht allein weil sie über das Gewöhnliche ragen sollen, sondern weil
hier die Natur der Kunst beytritt in der Wirkung auf das Gemüth, in Erhebung des Geistes, in
Erweckung der Idee des Göttlichen. Die feyerliche Stimmung, in welche man sich versetzt fühlt,
mogte oft durch unerklärliche Naturerscheinungen erhöht, in das Gefühl des Wunderbaren über-
gehen und konnte ein Volk, dessen Glaube sich an die sinnliche Natur knüpfte, anleiten, solche
Orte für Wohnsitze der Götter zu nehmen; nach einer Sage waren die Giganten, die Söhne der
Erde, der Gäa, von ihr selbst in himmelanstrebende Berge verwandelt; ja in mehreren Ländern
wurden die höchsten Berge als die Gottheit enthaltend angebetet. Berggeister, Berggenien, Oreaden,
liefs eine spätere Zeit an ihrer Stelle umherschwärmen *). Die Nähe der Wolken mufste vorzüglich
zu diesem Glauben beitragen. Die Phantasie, der sie gleich verkörperten, sichtbaren Träumen sich
darbieten, findet und verfolgt in ihnen so gern das ihr eigene wandelbare und wechselnde Bilden
und ist gewohnt sie ihrer Lage und ihres ganzen räthselhaften Erscheinens wegen mit den himmlischen
Wesen in Verbindung zu denken. Sie sind die den Hören vertrauten Thore des Olympus, die von
selbst sich öffnen und schliefsen (Iliad. VIH. v. 3g3 - 3o,5). Auch vergötterte sie der Naturbelebende
Sinn der Griechen. Es überrascht uns hier ihre Entstehung, Gestaltung und Auflösung unsern
Blicken enthüllt zu sehen. Oft steigen sie bey klarem Himmel aus den quellenreichen Abgründen
beym Tempel hervor, lagern sich tief unter demselben an die Seiten der Berge in aufthürmenden
Massen, oder schweben an ihm vorüber, sammeln sich allmählig zu Schaaren in der Höhe und
überziehen endlich den ganzen Himmel. Ihre Bewegung, die ihnen den Anschein des Lebens giebt,
) Eine schiclüichc Ausnahmt* machen die Jupitertcmpel von Olympia und Nemea, die mitten in dem Umring der Gebirge in der Thal-
bucht stehen, ivo die Feyer der heiligen Spiele vorging
*) In Sarhophagreliefs, die den Traum des Eudymion vorstellen, ist der Berg Lutmus durch eine männliche, auf einer Feisen-Hühe
i ruhende, Figur bezeichnet, in anderen, mit der Fabel des Prometheus, das Gebirge Kaukasus u. f.
— 11 —
folgt einer unsichtbaren Macht und hat etwas Geisterhaftes. Die Alten glaubten darin einen göttlichen
Sinn zu lesen und weissagten aus dem Wolkenzuge. An hohen Gebirgen bemerkten sie Vorzeichen
der Witterung, und auf dem wetterverkündigenden Berge wurde Zeus Semaleos, der Zeichengeber,
verehrt (Pausan. I, 3a.). Des Beherrschers, des Sammlers der Wolken, Zeus Geburtsgegend, wo
sein Eichbaum wächst, sein hochsteigender Adler über den Gipfeln schwebt, stellt sich auch in
solchen wunderbaren Lufterscheinungen dar. Die Priester, welche aus genauer Naturbeobachtung
die Zeit der Wolken-Entstehung vorherwissen mogten, pflegten sie zu ihrer Wunderkunst, zur
Befestigung des Glaubens an die Gegenwart der hier verehrten Götter zu benutzen. Unter den Ge-
wässern, welche von dem Lycäischen Berge in diese Gebirgsgegend ausströmen, sind nächst der
Neda auch Thisoa und Hagno, und die ihnen vorstehenden Nymphen wurden gleichfalls für Ammen
und Pflegerinnen des Zeus angesehen, weil die Gewässer mit der Himmelsluft in stetem Austausch
sie hier gleichsam durch Dünste nähren und das Naturleben befördern. Bey der letztgenannten Quelle
brachten die Priester durch Gebet, durch Einstecken eines Eichenzweigs, ähnliche Wolkenbildungen
hervor, wenn das Land an Mangel des Begens litt7). Man wird an den Chorgesang der Wolken-
göttinnen in der Komödie des Aristophanes erinnert:
Träufelnde Wolken, o hebt,
Erdworts hebet den Fufs,
Auf den Flügeln des Thaus anstrebend,
. Her von der tosenden Flut des Okeanos
Dort auf ragender Berge bewipfelte
Scheitel; von wannen wir
Fernhinerscheinenden Warten des Feldes den
Blick zukehrend, die Früchtegebährerin
Erd' und der heiligen Ströme Geriesel und
Tiefaufrauschend das wogende Meer schaun.
Seht, wie in strahlendem Glänze das Auge der Lufthöh'
Unsrer Erscheinungen Fest feyrt!
Auf, wir entschütteln die regnigte WTolke nun
Unserm unsterblichen Körper, zu sehen mit
Fernspähendem Auge den Erdkreis.
Wolf. •
Die Gemeinschaft der Wolken und ihr ganzes wunderliches Treiben giebt der Gegend etwas
Geheimnifsvolles, Ahndungsreiches, welches auch schon in ihrer Bildung liegt, indem Höhe, Tiefe
und Ferne diese Wirkung auf die Seele machen. Demnach eignete sich Bassä insonderheit zum Sitz
des weissagenden Gottes, denn Klüfte, Schluchten und Quellen-Orte glaubten die Alten von seiner
begeisternden Kraft erfüllt. Bedenkt man nun alle Vorzüge der Lage dieses Apollotempels, wobey
die heiligen Oertlichkeiten, der Begriff des Ursitzes, der Mitte8) des Peloponnes in Betracht kommen,
so kann man ihn in dieser Hinsicht nur mit dem von Delphi vergleichen und vielleicht hatten die
Gründer dieses Heiligthum im Sinne.
Ein freudiges Erstaunen, welches das erste Gefühl beym Anblick des Gebäudes ist, scheint auch
durch die Wahl der Lage vom Künstler beabsichtigt, und dieselbe Absicht in der architektonischen
Anordnung durchgeführt zu seyn. Er suchte diese Wirkung nicht durch extensive, mathematische
Gröfse hervorzubringen. Wenn auch die Mittel der Stadt, welche ihn erbauen liefs, hingereicht
hätten; das Bedürfnifs selbst war dagegen. Nicht eine ganze Gemeinde sollte das Gebäude .fassen,
12
wie der Weihetempel zu Eleusis oder wie unsere christlichen Kirchen, die Aufgabe war: eine passende
Wohnung dem Gotte zu errichten, der im Innern des Heiligthums in Verkörperung stehen sollte,
die Grö'fse und Majestät dessen hervorzuheben, dem dieser Raum geweiht wurde. Die Gröfse die
man der Statue des Gottes bestimmte, mufste berücksichtigt, die Ausdehnung dieses Gebäudes,
wie der Griechischen Tempel im Allgemeinen, konnte deshalb nicht sehr beträchtlich werden.
Während der schönsten Blüthe der Griechen leitete sie ein richtiges Gefühl, auch hierin die Ver-
'hältnifsmäfsigkeit zu beobachten: die prunkendeTJebertreibung der Grö'fse hindert den Kunstgenufs
und ist mehr für den rohen Sinn; in Verbindung mit gesuchter Pracht trat das Colossale, Ungeheure,
in späteren Zeiten an die Stelle des Schönen (vergl. Pausan. I, 18). Durch intensive, ästhetische
Gröfse, die auf Verhältnisse und Formen beruht, erreichte der Künstler jene Wirkung, die das
Gebäude macht. Wenn nun die Länge desselben in der äufseren Säulenstellung nur 124 Londner
Fufs und 11 Zoll, die Breite 37 F., die Höhe von der Oberfläche des Bodens bis zur Giebelspitze
37 F. 6 Z. beträgt, so ist dieses Maafs der Gröfse des Gebäudes auch in Bezug auf die damit in
Verhältnifs tretende Oertlichkeit nach wahren Grundsätzen des Gehörigen und Schicklichen gewählt.
Und so bewundern wir selbst in den Trümmern noch das Imposante, die Grofsheit des Gebäudes,
obgleich der künstliche Zusammenhang der Theile gestört, ein zufälliger entstanden ist und die
Natur sich ihrer Rechte wieder bemächtigt hat.
Wahrscheinlich schüttelten heftige Erdbeben in Jahrhunderten allmählig das Ganze zusammen,
nachdem die Metallgier der Menschen den Tempel sowohl des Schmuckes beraubt, als auch die
Festigkeit, wrelche der Ewigkeit trotzen konnte, aufgelöst hatte. Es stürzten zuerst alle inneren
Theile desselben von oben herab: der innere Fries, die Decken, der gröfste Theil der Mauervor-
sprünge und Halbsäulen, der Antenmauern und Zwischensäulen, dann die äufseren Theile bis an den
Architray der Säulenumstellung und füllten das ganze Innere des Tempels bis zu einer Höhe von
etwa 16 Fufs mit einem Berge gewaltiger Baustücke an. Noch stehen von acht und dreifsig, sechs
und dreifsig Dorische Säulen dieses Pteroma, indem die beyden Ecksäulen in der südlichen Fronte
des Tempels allein niedergestürzt sind; und in der malerischen Vertheilung der Säulenstücke, welche
der"Reihe nach daliegen, sieht man noch die Bewegung des Sturzes. Nur an dieser Fronte fehlten
auch mehrere Stücke aus dem Architrav. An der westlichen Seite des Tempels war die Säulenreihe
in der Mitte nach innen gesunken, doch ohne aus dem Schwerpunkte zu weichen, und so erhält
sie sich noch den Fall drohend aufrecht. Von dieser ernsten Säulenpracht angesprochen, in gänz-
licher Unwissenheit ihrer ursprünglichen Bestimmung, bezeichnen die Hirten den Ruin mit dem
Beynamen Is - tiis - Stylus, {"Ei? tovq otvloix) zu den Säulen. Aus dem inwendigen Haufen der
Trümmer, der sich von allen Seiten nach aufsen verbreitet hatte, ragte nur ein einziges Mauerstück,
mit einer Ionischen Halbsäule geziert, hervor. Indem die Abgelegenheit und die Beschwerde des
Zugangs an diesen hochliegenden Ort zur Erhaltung des Ruins wirkten, verbargen die Trümmer die
ganze innere Baueinrichtung und bewahrten auf unsere Zeit mit der Kenntnifs und Anschauung der-
selben, die wir bey den meisten Architekturresten Griechenlands vermissen, auch den Schatz von
Bildwerken, den sie bedeckt hatten.
In diesem Zustande war der Ruin, den Dr. Chandler in seinem Reisewerk (c. 77.) nach der
Besehreibung des Französischen Architekten Bocher im Jahr i765 zuerst anzeigte, als im Sommer
des Jahrs 18 12 die Ausgrabung und Ausräumung der Trümmer unternommen wurde. Genaue Unter-
suchungen Griechischer Baukunst in ihren vorhandenen Resten hatten schon ein Jahr früher die
Findung der Statuen des bisher für das Panelleuium gehaltenen Tempels zu Aegina (s. die Beil. III.)
— t3 —
veranlafst, wo Chandlers Grabungen ') bis auf ein Fragment der Acroterien fruchtlos gewesen waren.
Die Finder dieser Statuen, die Deutschen Frejherr C. Haller v. Hallerstein und Herr J. Linkh, und die
Englischen Künstler Hr. C. R. Cockerell und J. Foster, gelangten bey Fortsetzung" ihrer Nach-
forschungen in demselben Jahre auch zur Entdeckung eines Stücks des Frieses unter den Trümmern
des Phigalischen Tempels. Bey genauer Betrachtung und Erwägung der Gestalt und der Maafse
jedes Werkstücks in der Verwirrung der grofsen Steinmassen, aus welcher die Symmetrie und Ord-
nung der Constructiou des Gebäudes gefunden werden mufste, waren die Architekten durch ein auf-
gescheuchtes Thier zufälligerweise auf eine Lücke zwischen den Steinen aufmerksam geworden, die
einzige in dem Haufen der Trümmer, welche, nach Wegräumung einiger Stücke, ihnen vergönnte
tief hinabzusehen. Ein Fuchs hatte sich diesen Schlupfwinkel zur Wohnung gewählt, und hier
auf einem Relief, welches die Verfolgung eines Lapithen durch einen Centauren vorstellt, sich
ein friedliches Lager bereitet. So mufste das listige Geschöpf, welches einst den Aristomenes im
Messenischen Kriege l0) zur Befreyung aus dem Grabe des Gefängnisses verhalf, hier denselben
Dienst den Amazonen- und Gentaurenkämpfern leisten. Noch jetzt zeigt die Marmortafel (s. T. XX.
N". i4.) auf w7elcher sich diese Gruppe befindet, in der erlittenen Beschädigung die Fufstapfen ihres
Angebers. Nur mit gröfster Mühe und Gefahr gelang es den Künstlern damals sich in die Lücke
herabzudrängen, um einen Entwurf zu machen von dem Relief, welches die Findung eines ganzen
Frieses ankündigte "). Dieses schlössen sie aus der anscheinlich seit dem Sturz unveränderten Lage
der Steinmassen und aus der Vollständigkeit der Reste des Gebäudes im Allgemeinen. Die herrliche
Architektur desselben versprach ihnen eine interessante Ausbeute. Sie fafsten daher den Vorsatz, die
Ausgrabung des ganzen Tempels sogleich zu beginnen. Da ihnen aber die Archonten des nächsten
Städtchens Andrizene, welche über den ganzen Bezirk, in dem der Tempel liegt, die Verwaltung
haben, nicht nur die Erlaubmfs dazu versagten, sondern auch die Untersuchung der Architektur
verhinderten; da der Winter sie in diesen Gebirgen zu überfallen drohte, bevor sie hoffen konnten
ihren Zweck zu erreichen; so verschoben sie die ferner anzustellenden Versuche auf das Jahr 1812.
Um die Ausführung der Grabung und ihr etwaniges Resultat zu sichern, mufste der Pascha
der Morea selbst, damals Veli, Sohn Ali-Paschas von Joannina, in das Interressc gezogen werden.
Die Unterhandlungen mit demselben übernahm der damals Englische Viceconsul, Herr Gropius aus
Berlin. Glücklicherweise war der Pascha seit dem Verkauf einiger Alterthiimer, die er in der Schatz-
kammer des Atreus zu Mycene gefunden hatte, auf die Liebhabcrey der Grabungen gefallen; Herr
Gropius erlangte daher seine Einwilligung, als er ihm den Vorschlag that, selbst Theil an der Grabung
zu nehmen. Die Hälfte des Fundes mufste er dem Pascha versprechen, der jedoch das Vorrecht
des Ankaufs derselben den Findern zugestand und die Hälfte der Grabungskosten auf sich nahm.
Nach diesem Uebcreinkommen ertheilte der Pascha einen schriftlichen Befehl an die Archonten des
Städtchens Andrizene, in welchem er ihnen die Sorge der Herbeyschaffung von Leuten, Geräth-
schaften und Lebensmitteln auftrug, und sandte Diener von seinem eigenen Hofe ab, die bey der
Grabung gegenwärtig seyn und auf die Befolgung seines Befehls Acht haben sollten. Der Erlaubnifs-
i4
schein, der in Betreff der Grabungen vom Pascha ausgefertigt ward, bezog sich sogar auf sein ganzes
Paschalik, den Peloponnes und Thessalien, und erzeugte die Hoffnung, noch andere, in Ruinen
von Griechenland verborgene, Alterthümer der Runstwelt wiedergeben zu können. Allein diese
Hoffnung verschwand, als bald nachher der Pascha seine Stelle verlor.
Nachdem die Vorkehrungen getroffen waren, kam unserer Verabredung gemäfs die Gesellschaft
der Reisenden Anfangs Juli in Audrizene zusammen. Beym Anblick dieses Städtchens fanden wir in
"der Wirklichkeit erfüllt, was die schaffende Phantasie von der paradiesischen Lage eines Ortes in
Arcadien nur träumen und bilden kann. Auf zwey Anhöhen, die von einer grünenden Bergwand
hervortreten, und zu ihren Füfsen umher, liegt das freundliche Städtchen an abschüssigen Berg-
hängen und tiefen Gründen. Es besteht aus artigen Gruppen durch Gebüsch blickender Häuser,
welche heimlich geschlungene, schattige Pfade und über herabrieselude Quellen führende Stege
ländlich verbinden. Theils schmücken es immer grüne Bäume, die für den sonnigen Süden eigens
erschaffen, in jeder Jahrszeit dichte Schatten bieten, theils hcllbelaubte Obstpflanzungen, aus
denen dunkele Cvpressen emporstarren, und riesenhafte Platanen, ein Wunder der Vegetation").
In solcher malerischen Ausstattung überschaut es eine nebelige Tiefe, wo der Fufs des Gebirges mit
labyrinthischen Windungen der Schluchten sich hinabsenkt, wo niedere Bergreihen mit den Zwischen-
thälern des Alpheus, Ladon und Erymanthus weit verbreitet und jenseits bis zu den fernen Zacken
der Aroanischen Berge und des Pholoe allmählig hinaufgeschichtet liegen. In diesem Städtchen,
welches drey Stunden vom Tempel entfernt ist, mufste den Archonten der Befehl des Paschas über-
geben und alles zur Grabung erforderliche besorgt werden.
Als hierauf die vereinigte Gesellschaft, die mit ihrem Gefolge aus einer Anzahl von vierzehn
Personen bestand, beym Tempel anlangte, erging sogleich an alle Hirten der umliegenden Gegend
die Aufforderung, sich zu der Grabung einzustellen. Erfreut über die günstige Gelegenheit eines
besseren Erwerbes, liefsen sie die Alten, die Weiber und Rinder bey den Heerden zurück und die
rüstige Jugend kam zur Arbeit. Sie war von Eifer für die Unternehmung beseelt, ohne einen höheren
Grund, als die Neugier, zu wissen: was wohl in dieser seltsam - ehrwürdigen Pracht, die hieher-
gezaubert schien, verborgen seyn mögte. Wohl lebt noch jetzt unter ihnen der Ruf der Hellenen,
und mit diesem Namen bezeichnen sie alles Helden- und Riesenmäfsige; aber weit entfernt, sich
selbst als Erben der Glorie früherer Bewohner einzusetzen, worin sich hingegen das Selbstgefühl der
anderen Griechen auch jetzt nicht verläugnet, hält der einfache Sinn dieser Hirten die Hellenen für
Vorfahren der Franken, für kunstfertige Fremde, die einst im Besitz ihres Landes waren, und erklärt
sich hieraus die häufigen Besuche der reisenden Europäer und den Werth, welchen diese auf alle,
von jenen herrührende, Ueberbleibsel legen.
Diese Bergbewohner Arcadiens werden Wlachi genannt, wodurch man ihre Abstammung
(Wallachen) bezeichnet; ein Hirt heifst mit einem Slavischcn Worte Tzupanis, eine Hirtin Tzuppa.
Sie sprechen geläufig Griechisch und Albanisch. Ihrer naturgemäfsen Lebensart zu Folge, haben diese
Hirten sehr wenige Bedürfnisse. Ein Stück braunes Tuch zu einem Zelte, ein Milchkessel, einige
12) Der erstaunliche Wuchs, den diese Bäume in Griechenland und Kleinasien erreichen, wurde schon von manchem bemerht. Nach
Herodot (VII. Polymnia. pag. 5^5. ed. Wesseling.) liefs Xerxes auf seinem Zuge durch Lydien Tor Verwunderung einen Platanus mit goldenem
Schmuch umgehen. Plinius (H. N. 1. 13. c. 1.) erzählt von einem Platanus in Lycien, dessen hohler Stamm innen den Umfang von 81 Fufs
hatte. Chandlcr führt den in "Wostitza (Acgium) berühmten Baum an, doch hat er ihn nicht messen können. Aus dem Vergleiche der Maafse
dieses Platanus mit denen eines anderen bey dem Dorfe Dregoi unweit des Apollotempels, erwies sich, dafs der letzte denselben um einige
Fufs übertrifft. Der Stamm hat den Umfang von /|8 Fufs und die Höhlung des Stammes dient einem Schäfer als Hürde für seine ganze
Schaafheerde.
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Schaafe, ein Hund und ein Gewehr zu ihrer Vertheidigung, sind für eine angehende Haushaltung
hinlänglich. Solche Hirteneinrichtungen heifsen Stänia. Kleider und Geräthschaften werden von den
Hirten und ihren Weibern selbst bereitet. Sic können einen grofsen Theil des Jahrs, wie die von
Plinius angeführten Galactophagen, ohne Brod, mit Milch und Käse sich begnügen. An Einfachheit
und Naivetät gleichen sie jenen, in Idyllen besungenen , Schäfern Arcadiens; doch sind sie zugleich,
wie die alten Landesbewohner, rasche, geübte Jäger, die den Wölfen nachstellen, den Raub ihnen
zu entreifsen wissen, und stets in Kleidern und Waffen schlafend, zeigen sie sich des Kampfes mit
Räubern und Dieben der Heerde gewärtig, jedes Unrecht selbst zu vergelten bereit. Bey diesem mit
dem Schäferstande contrastirenden Charakter - Zuge, kostete es dem durch Armuth und Noth
Bedrängten nur einen Schritt, zum unruhigen Räuberleben überzugehen. Hiezu bot sich die Ge-
legenheit in der Nachbarschaft der freyen, unabhängigen Mainotten dar, welche, in ewiger Fehde
untereinander begriffen, stehende Räuberbanden in ihren Landstrafscn hielten, und ein kriegerisches
Bild der Fehdezeit des Mittelalters (s. die Beylage IV.), als Gegenstück zu dem hiererscheinenden
friedlichen Bilde des Hirtenlebens der Urzeit, aufstellten.
Die Hirtinnen sieht man in unabläfsiger Beschäftigung. Den Spinnrocken in der Hand, drehen
und ziehen sie die Fäden beym Sitzen und beym Gehen, wie im Hause, so auf jeder Wanderung.
Bey diesem Geschäfte wissen sie nicht allein mit blofsen Füfsen den rauhen, zackigen Felsenbodeu
zu betreten, ohne sich zu verletzen, sondern, während sie eines ihrer Kinder auf der Schulter
reiten und mit seinen Aermchcn sich an dem Haupte der Mutter halten lassen, auch noch den
Säugling sammt der Wiege zu tragen. Diese besteht aus einem Schaafvlicfsc, welches zwischen
zwey Stäbe gespannt ist, und hängt an einem über die Schulter gelegten Bande auf ihrem Rücken.
Bey jeder anstrengenden Arbeit befestigen sie, die Wiege an dem Zweige eines schattigen Baumes,
wie Vögel ihre Nester, und lassen sie dort schweben, um den Schlaf des darin ruhenden Kleinen
nicht zu stören.
Schöne Regelmäfsigkeit der Gesichtszüge und der Verhältnisse des Körperbaues, Schlankheit,
Behendigkeit und Lebhaftigkeit der Bewegungen zeichnen dieses Hirtenvolk aus. Das eigenthümliche
Gepräge des Charakters, noch durch keine glättende Erziehung in den Zügen verwischt, hat sieh bey
freyer Naturbildun'g in jedem Antlitz scharf ausgedrückt. Hiedurch entsteht eine auffallende, sprechende
Verschiedenheit in den Physiognomien, die der Rünstlerbeobachtung anziehenden, lehrreichen Stoff
bietet; und auch in diesem Bezüge bleibt der naturgemäfsc, Gewänder- und Farben-reiche Orient
überhaupt immer noch die wahre, lebendige Quelle für die Kunst. In dem Betragen dieser Hirten
zeigt sich eine Unzutraulichkeit, in den Gesichtern ein melancholischer Zug, den Armuth, Mangel
an Verkehr, und überhaupt die Verhältnisse, in denen sie lebten, hervorbrachten. Seltener trifft
man bey ihnen die Neigung zu List, Betrug und Ränken, welche den Griechen im Allgemeinen vor-
geworfen werden; vielleicht stehen sie aber auch an Geistesanlagen gegen diese zurück.
Mau bemerkt sowohl blondes als schwarzes Haar. Die Sitte, dasselbe bis auf einen Schopf an
dem Scheitel abzuscheeren, giebt dem Hirten ein etwas wildes Aussehen, wenn nicht ein gestickter,
mit Franzen und Troddeln reich geschmückter Bund das Haupt bedeckt. In der durchgeheuds weifsen
Kleidun" der Männer und Weiber macht die gelbliche Tinte der Wolle, bei der schneeweifsen der
Baumwolle, eine zarte Scheidung, und der Schmuck farbiger seidener Stickereyen, in welchen die
Purpurfarbe vorherrscht, giebt ihrer Tracht einen besonderen Reichthum. Der Luxus und die Pracht
der Verzierungen, welche die ämsigen Frauen verfertigen, bildet einen sonderbaren Contrast mit der
Armuth und Einfachheit des Hirtenstandes. Vielleicht ist es die Mufse und Sorglosigkeit desselben
:£_£.
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bey einem natürlichen Hange zur Beschäftigung, die diese Prachtliebe veranlafst, oder die Ueppigkeit
des Südens. In der Männertracht haben sich die verbrämte, kurze Ttmica und die geschnürten Sohlen,
bey jungen Mädchen eine Art Phrygischer Mütze aus dem Alterthum erhalten, so wie in den
Verzierungen noch oft antike Motive vorkommen. Die Weiher verstehen ihre gestickten weifsen
Schleier sehr malerisch zu werfen; mit einem runden, gegliederten Gürtel von Messing umgeben sie
die Hüften. Die lichte Bekleidung dieser Menschen macht in der JLaiiascnsaft die trefflichste Wirkung.
üer La
'Die Gattung ihrer Schäferhunde gleicht vollkommen den als Molossische Hunde bekannten Antiken in
Florenz und Rom; sie zeichnet sich aus durch am Halse aufsträubendes, verlängertes Haar und spitze
vorstehende Ohren bey einem gewaltigen Gliederbau.
Durch die herbeygeströmte Menge der Hirten war nun die ganze Gegend lebhaft geworden.
Täglich beschäftigte man hundert und zwanzig, oft auch mehrere derselben. Wegen Entfernung jedes
bewohnten Ortes und Unwcgsamkeit der Gegend, hatte die Gesellschaft den Entschlufs gefasst, sich
für die ganze Dauer der Grabung beym Tempel niederzulassen. Es wurden Zelte errichtet; weil man
aber nur wenige bekommen konnte, aus frischen Eichenzweigen Laubhütten gebaut. Um besseren
Schutz vor Sonne, Wind und Regen zu erlangen, mufstcu sie an weitschattende Eichen oder an
vorragende Fclsstücke gelehnt werden; und so erhielt jede Hütte ein verschiedenes malerisches Aus-
sehen. Man fand sie auch um vieles frischer und heiterer, als die braunen, durchräucherten Zelte
der Hirten, und bald entstand ein ganzes Dörfchen solcher belaubter Hütten neben dem Tempel.
m Auf dem Hauptplatze (s. die Titelvignette) bildete ein über Pfähle ausgespanntes Arcadisches Zelttuch
das Versammlung«- und Speisehaus, in dem Dorische Capitäle und andere Fragmente des Tempels
als Tisch und Sitze dienten. Ein grofser, mit Laubwänden umschlossener Raum vertrat die Stelle des
Museums, zur Aufbewahrung und Anordnung der E ildwerke, die im Tempel gefunden wurden,
bestimmt. Die Aufseher und Bedienten bauten ihre Hütten umher, und auch die Rüche mufste durch
ein Dach von Zweigen vor Wind und Wetter geschützt werden. Alle kamen darin überein, dafs in
diesen Hütten besser als in den ärmlichen, steinernen Häusern der hiesigen Dörfer, wo ein Raum
gewöhnlich Heerd, Lagerstätte und Stall vereint, sich zubringen lasse; obgleich wegen des starken
Thaues und der Kühle, selbst in den Sommernächten eine winterliche Verhüllung erforderlich war.
Der Ruf der Frankencolonie hatte sich sogleich überall verbreitet. Die Vornehmen aus den
nächsten kleinen Städten kamen zum Resuch und safsen auf ihren Teppichen in müssiger Verwun-
derung da, an den Perlen ihrer Rosenkränze ,3), die sie immer in der Hand tragen, spielend, ohne
das Interesse zu begreifen, welches sie an den Steinen des Tempels nehmen sahen. Man empfing sie
nach orientalischer Sitte mit Pfeife und Caffee, den, ebenso wie den Wein, gewöhnlich die Jüngeren
einschenken müssen, lind stets mit anmuthiger Bewegung reichen, indem sie die Hand aufs Herz
legen. Durch die Neugier hcrbevgelockt, blieben auch die Schäferinnen nicht zurück; sie machten
sich das Geschäft Butter und Milchspeisen zu bringen, die ihrer Trefflichkeit wegen mit Recht
berühmt sind- Ganze Schaafe und Ziegen drehten sich täglich an hölzernen Spiefsen, nach völlig
Homerischem Brauche zubereitet. Spielleute waren aus dem entfernten Städtchen auf eigenen Antrieb
herbcygekommen, um nach alter Landessitte durch Musik die Arbeitenden zu ermuntern. Sie wurden
für die ganze Dauer der Grabungen angenommen, und gleichwie bey der Gründung von Theben und
aa Megere, wie bey der Wiedererbauung von Messene, begleitete hier die Musik das muthige Rufen der
J:|) Die Bestimmung derselben ist gleichfalls relif bej manchen ehtet sich die Zahl der Perlen nach den in der Herrlichkeit
Golles vereinigten Eigenschaften.
im
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Arbeitenden und das Rollen der Steine. Auch gab sie jedesmal das Signal zum Anbeginn und zur
Fever. Den Abend jeden Tages beschlofs ein Tanz der Schäfer und Schäferinnen, die sich den Lärm
der Pfeifen und Trommel recht zu Herzen gehen liefsen und in bachantischen Sprüngen, nach ihrer
wilden Art, ihre Freude bezeugten. Die Lustbarkeiten zu theilen kamen aus den nächsten Dörfern
bald immer mehrere herbey. Die wilde verlassene Gegend des Ruins bot manchmal das Schauspiel
und Geräusch einer Kirchmefsfeyer dar: überall vertheilte malerische Gruppen, Rauch und Dampf,
von mehreren Feuerstellen aufsteigend und weit durch die Gegend ziehend, mit Rochen und Braten
Beschäftigte, Umhergelagerte, Essende und Tanzende unter Bäumen; dabey das ermunternde Zu-
rufen und Schreyen der Werkleute, welche in langen Reihen durch Stricke und Hebel die den
Tempel anfüllenden Steinmassen bewegten und zwischen den Säulen hervorzogen, die anfeuernde
Musik und die Schläge der grofsen Trommel, die immer gewaltiger in das Geschrey einfiel und, vom
Wiederhall verdoppelt, weit durch das Gebirge schallte. Manchmal unterbrach den Lärm eine
plötzliche Stille,— dann sah man aus den Trümmern von mehreren Männern ein Stück der Bild-
werke hervortragen, welche der Tempel nun täglich ans Licht gab.
Die Wegräumung der bedeckenden grofsen Steinmassen im Innern des Ruins kostete viel
Anstrengung: die vereinigte Kraft aller zur Arbeit gedungenen Hirten war erforderlich, um mit den
einfachen Werkzeugen einen Stein zu bewegen. Die verschiedenen Lagen der verworrenen Massen
boten immer neuen Wiederstand und neues Hindemifs und erschwerten diiedurch fühlbar die natür-
liche Last derselben. Daher erreichte man nur langsam und enthüllte theilweise den antiken Fufs-
boden des Tempels, der wohlerhalten war. Hier lagen und standen in verschiedenen Richtungen der
Reihe nach vor den Ionischen Halbsäulen die durch den Sturz und das aufruhende Gewicht der
Baustücke in viele Fragmente zersprungenen Reliefs des inneren Ionischen Frieses. Mit gröfster
Vorsicht wurden alle, auch die kleinsten Fragmente, aufgelesen und so ging von ihnen nichts
verloren, was die Verwitterung nicht schon gänzlich aufgelöst hatte. Diese Sorgfalt belohnte sich
bald. Indem die Arbeit immer mehr .vorschritt, fand man durch wiederholtes Ordnen, durch
genaues Anpassen der Brüche und abgesprungenen Theile, aus den Stücken, deren manchmal
dreifsig zusammengehörten, ganze Marmortafeln, ganze Reihen derselben; und nach und nach trat
jedes Fragment an seinen Platz. So war die Erwartung auf die sich entwickelnden Stellungen und
Gruppen in diesen Reliefs lange Zeit gespannt, die Wifsbegier durch das Hervortreten neuer
Schöpfungen der Künstlerphantasie immer wieder gereizt, und der Gesellschaft der herrliche Genufs
gewährt, den Fries, wie unter der Hand des Bildners, unter eigenen Händen allmählig entstehen
zu lassen. Welche Freude hatte sie, als sich auch darin ihre Hoffnung erfüllte, dafs die Messung
des Standorts die Vollständigkeit der Anzahl von Tafeln erwies! Nur die Reihenfolge derselben, und
daher auch der Zusammenhang der Darstellungen, war durch zufällige Vermengung schon beym
Niederstürzen verloren gegangen, und blieb, trotz der bey Findung jeden Fragments genau beob-
achteten Ortbezeichnungen, eine Aufgabe, die man erst nach Abbildung des Ganzen zu lösen
versuchen konnte.
Die zerstreute Lage sämmtlicher herabgestürzten Bildwerke auf dem Fufsboden des Tempels,
und der Mangel aller metallenen Klammern und Stifte, mit denen jede Tafel, wie aus vorhandenen
Zeichen erhellt, unten und oben zweymal gehalten wurde, beweist die erwähnte absichtliche Zer-
störung und Plünderung, die dem Einsturz des Gebäudes vorhergegangen seyn mufs. Noch andere
Zeichen werden in Folgendem diese Bemerkung bestätigen. Der Fufs einer einzelnen Säule mit einem
Blätterknauf war nicht mehr auf dem umherlaufenden Sockel befestigt, sondern aus ihrer Stelle
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gerückt. Das Capital lag neben der Säule in dem abgeschiedenen innersten Räume der Celle und
mehrere Ionische Capitäle der Halbsäulen waren hier zwischen Stücken der gröfsten Cassaturen
(Caissons) der Decke, an welchen sich die deutlichsten Spuren der gemalten Verzierung erhalten
hatten, verstreut. Von einer colossalen Statue des Apollo befanden sich an diesem Orte gleichfalls
Fragmente marmorner Hände und Füfse. Reste der übrigen Theile der Statue waren nicht mehr
vorhanden, auch nicht von ihrem Picdcstal. Der Raum selbst, in welchem man die Fragmente
antraf, scheint nicht zur Aufstellung der Statue eingerichtet zu seyn; denn die einzelne Säule in
der Mitte, gegenüber dem Haupteingange der Celle stehend, hätte den Anblick der Statue ver-
hindert. Rey Ausräumung des Peristvls oder Säulenumgangs und des Pronaos und Opisthodoms,
oder Vor- und Hinterhauses, fand man nichts mehr von dem erhobenen Bildwerk, welches die
Metopen des Dorischen Frieses in den Fronten der letzteren verzierte. Bey dieser Gelegenheit mufste
aus dem Architrav ein Stein, dessen nahen Einsturz man voraussah, zwischen der dritten und
vierten Säule, rechts in der nördlichen Fronte des Tempels, herabgenommen werden, um ein
Unglück zu verhüten; zugleich fiel auch ein zweyter, dessen Gefahr man nicht gekannt hatte, von
selbst; doch schadete diefs der malerischen Wirkung des Ruins nicht, es war ihr vielmehr günstig"»).
Die wenigen noch vorhandenen Uebcrbleibsel des erwähnten Metopenreliefs lagen aufserhalb des
Tempels vor den Hauplfronten zu unterst der Giebelstücke umher. Da sie, ohne die Befestigung
eherner Klammer und Stifte zu bedürfen, zwischen den Triglvphen des Vor- und Hinterhauses in
einen Falz eingelassen, die Metallsuchenden Tempelräuber nicht anlockten, so mufsten sie später
herabgestürzt, zum Theil nicht in den Trümmern verborgen gewesen und daher der Vernichtung
und Verstreuung preisgegeben sevn.
Die Anhäufung der Trümmer vor den bevden Hauptfronten gab Hoffnung zur Findung von
Statuen der Giebel. Uebcr diese Trümmer hatten zwey uralte Eichen ihre mächtigen, umklammern-
den Wurzeln geschlagen und verwehrten die Grabung. Lange wurde darüber gerathschlagt, ob diese
ehrwürdigen Hüter der Ueberreste des Tempels fallen sollten. Aber ihr Untergang liefs sich nicht
vermeiden. Ihre Stellung war übrigens der Ansicht des Ruius ungünstig und sogar hinderlich, ihr
Verlust in der umgebenden Menge der Bäume unmerklich. Es gewahrte ein imposantes Schauspiel,
als über achtzig Hirten, nach Umgrabung der Wurzeln, mit Seilen, die sie vielfach um die Aeste
geschlungen hatten, bey lautem Geschrey an diesen Bäumen zogen und lange vergeblich alle Kraft
anwandten, die immer zurückschwankenden Bäume wie belebte, zum Opfer geschleppte Wesen sich
zu widersetzen, zu sträuben schienen, bis ihre Stämme nachgaben, und die Wipfel, wie vom Sturm
bewegt, langsam herabsinkend unter eigenem Gewicht mit furchtbarem Gekrach zerbrachen. Die
Hirten jauchzten auf gleich Siegern; aber einem schaurigen Gefühl entging keiner, als die Baume
auf dem Boden da lagen und nun gröfser aussahen wie zuvor.
Unter ihren Wurzeln befanden sich, aufser einigen Bruchstücken der Metopen, die schönver-
zierten marmornen Randziegel, die das Gesims der Giebel krönten. Nach diesen Zeichen des Reich-
thums zu urtheilen, welchen der Künstler in Ausschmückung der Giebel bezweckte, können die Giebel-
felder und Ecken nicht leer gestanden haben, wie auch die meisten, selbst gleichzeitigen Beyspiele'")
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l4) Die Genauigkeit darf bey dieser Anzeige um so weniger fehlen, da Herr Dodwell dieselbe in seiner Reisebeschreibung mit einer
Unbestimmtheit giebt, aus der man leicht eine erhebliche Beschädigung muthmafseu könnte. Schon mehreren trefflichen Denlimälcrn des
Altertliums, insonderheit dem Parthenon, war he)' Wegnahme der Sculpturuerlic ein bedeutender Schade zugefügt; dieses verdoppelte die
Sorgfalt der Finder des Frieses für den Ruin von BassK, den sie in einem verschönerten Zustande zuriicldiefscn.
)J) Das Olympeum in Elea, der Tempel der Minerva und des Theseus in Athen u. a. m.
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beweisen. Da sich aber kein Fragment der erwarteten Giebelstatuen und Acroterien zeigte, so ist
zu vermuthen, dafs sie entweder gleich bey Ausplünderung des Tempels weggeführt wurden, oder,
wie die Metopen bis auf wenige Fragmente, so durch den Zufall gänzlich verloren gingen. Die
Trümmer vor den Seitenhallen enthielten, unter anderen Resten des Tempels, verzierte marmorne
Stirnziegel, Theile der Ausschmückung der steinernen Decke, in sechs verschiedenen Cassaturarten
bestehend, und eine grofse Menge mit Stiften versehener Tropfen, auch von Marmor, in theils
schräg-, theils grad- abgeschnittener Cy linderform, die zu dem Hauptgesimse gehörten, wo sie in
vorbereitete Löcher eingesetzt waren. Aufserdem wurden hier wohlerhaltene Lanzenspitzen von der
Form der Olivenblätter gefunden, ferner Reste bronzener und silberner Vasen, ein noch erhaltenes
kleines Bronzgefäfs, eine Münze, eine kleine Beinschiene aus Bronze, (wahrscheinlich ein Exvoto)
ein vergoldet-metallenes Lorbeerblatt aus dem Kranze des im Tempel verehrten Gottes, eine kleine,
steife Bronzfigur desselben im alten conventioneil-religiösen Styl. Viele Stücke irdener und mar-
morner Ziegel von dem Dache des Tempels lagen gleichfalls unter den Trümmern. Jene mögen
gedient haben bev Ausbesserung des Dachs, diese zu ersetzen. Die Stempelinschrift der irdenen
Dachziegel enthielt in den vorhandenen Anfangsbuchstaben: I &IA den veränderten Volksnamen
0IA AE9.N 6) und in den Endbuchstaben Q2IÖS] das Wort AHM02I02, der Gemeine, dem
Volke, dem Staate gehörig, in Bezug auf den Ziegel (xegafiot) selbst. Die Form der Schriftzeichen
ist die in guter Zeit übliche. Auf den Marmorziegcln stehen nur einzelne Buchstaben, auf einem
z. B. 'j 3 > auf einem andern H, und sind die Nummern derselben.
Erwägt man die Gründe, welche die erwiesene, absichtliche Zerstörung des Tempels und der
Statue des Gottes veranlassen konnten, so entsteht zuerst der Gedanke, sie sey der Abschaffung des
Heidenthums zuzuschreiben. Aber diesem Gedanken widerstrebt die Bemerkung, die man in Griechen-
land überall bestätigt findet, dafs bey Einführung des christlichen Glaubens der Grundsatz befolgt
worden, alle heidnischen Heiligthümer, die noch in einem brauchbaren Zustande waren, durch
christliche Weihe und Bauveränderung in Kirchen und Gapellen zu verwandeln, die Ruinen gleichfalls
zu weihen und auf, oder neben denselben Capellen zu errichten. Indem man den alten, herkömm-
lichen Gewohnheiten der Völker einen Ersatz zu geben sachte, das .Neue dem Alten anformte, sogar
in Festen und Gebräuchen die frühere Form beibehielt, verhinderte man das Wiederaufkommen des
falschen Glaubens. Nur wenn ein heidnisches Heiligthum schon verlassen, sein Ruf verschollen war,
und der Götterdienst in demselben aufgehört hatte, bedurfte es keiner Umweihe. So erklärt sich
warum sie bey diesem Tempel unterblieb. Die Epoche der Zerstörung desselben ist daher vor Auf-
bebung des Heidenthums anzunehmen. Eine Bestätigung finden wir in dem untenangezeigten Berichte
des Pausanias über das weggeführte Gnadenbild des Gottes von Bassä, und ein ähnliches Beyspiel in
dem Nemeischen Jupitertcmpel, dessen Statue auch nicht mehr vorhanden, dessen Bau im Verfall
war, und der ebenfalls ungeweiht blieb. Den Einsturz des Daches am höherstehenden Tempel der
Aphrodite auf dem Cotylius und den Mangel des Tcmpelbildes erwähnt schon derselbe Beobachter
ausdrücklich, der während der Regierung Hadrians und der Antonine reisete. Aus den gefundenen
irdenen Dachziegeln, die man zur Wiederherstellung des Apollotempels gebrauchte, läfst sich eine
frühe Beschädigung desselben erweisen. Das Stillschweigen des Pausanias über die im Tempelruin
lö) Die nach ihrem Erbauer Phigalos, dem Sohne des Lycaon, benannte Stadt Phigaiia oder Phigaleia, Phigalea, veränderte während
der Regierung des Phialos, eines Urcnhela des Cvpsclus, ihren Namen in Phialia, Phialea; doch wurde dieser Name nicht allgemein und sie
nahm in der Folge den ersten wieder an (S. Pmisan. VIII. 5. u. 39). Es ist zu beinerlien, dafs auf Münzen der Stadt aus der Zeit des
Achäischen Bundes (S. die Vignett am Ende des Vorberichts) der erste, auf denen aus der Zeit der Imperatoren der zweyte vorhömmt.
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eines Accords zur Auflösung in den Schlufston, welcher, bald die Erwartung hinhaltend, bald sie
befriedigend, abwechselt und immer das Verlangen nach Wiederholung zurückläßt. Das Ganze wird
»leiehtö'hend gesungen nur der mit einer Stimme fortgehaltene Grundton macht nach alterthüm-
licher Weise die Begleitung. Harmonische Zusammenklänge kennen die Griechen und Türken
überhaupt nicht; als ein Rest der ältesten Tonkunst beschränkt sich ihr Musiksystem auf die
Melodie, die aufser ganzen und halben Tönen auch Drittel- und Viertellöne gestattet, und die in
unserem System eingeführte Temperatur der Tonleiter nicht gebraucht. Auch die Takteintheilung
weicht von der unsrigen ab. Indefs sich hiedurch die Bewegungen des Gemüths schärfer und feiner
ausdrücken lassen und eine gröfsere Freyheit eröffnet wird, scheint einem europäischen Ohr diese
ungewohnte Musik, über welche in manchen Reisebeschreibungen Tadel ausgesprochen worden,
Mifsklänge zu enthalten. Von jenem Arcadischen Hirtenliede, wie von einigen anderen Gesängen
und Tänzen des Volkes, so gut sie sich nach dem Gehör auffassen und in unser Tonsystem umsetzen
liefseu, kann Beylage V. einen Begriff ertheilen. Die Verbindung, in welcher dieses Hirtenvolk,
durch harte Behandlung aufs Aeufserste getrieben, ehemals mit den Räuberbanden der Maina stand,
veranlafste wohl, dafs der erwähnten Melodie Räuberlieder untergelegt wurden, von denen dieselbe
den Namen To Klephtikö, der Räubergesang, erhielt und auch das Wort xA«m/s (klephtis aus-
gesprochen) hat unter diesen Umständen an seiner übelen Bedeutung verloren.
Eines Abends wurde eine solche heitere Versammlung aus ihren harmlosen Vercnüsuncen
plötzlich aufgeschreckt. In der Nähe der Hütten hatte sich bey Austheilung des Arbeitslohns wegen
fehlender Grabungsgeräthe ein Streit erhoben. Der Aufseher der Grabungen, zu der Dienerschaft des
Paschas gehörend, hatte wegen des Diebstahls Verdacht auf einen der Hirten gefafst. Der Beschul-
digte warf sich unter die Tanzenden, um seine Rache auszulassen, und trieb sie mit Schmähungen
und Mifshandlungen auseinander. Er entwischte, die Hirten verläugiieten ihn. Einer, der wegen
seines Trotzes vom Diener des Paschas geschlagen ward, wagte, sich gegen ihn zu wehren. Es
entstand ein völliger Aufruhr. Waffen erschienen im Handgemenge, ein Flintenschufs fiej nach dem
andern; das Geschrey und Wehklagen der Weiber vermehrte den Lärm; bald war alles in Kampf,
Flucht und Verfolgung durch Gebirge und Wälder zerstreut. Dieser Vorfall drohte am Ziel des
Grabungsunternchmens eine gänzliche Störung. Die erwähnten früheren, unruhigen Verhältnisse
und Verbindungen der Hirten konnten hiedurch wieder in Anregung kommen. Aber das Zutrauen zu
den Fremden, von denen sie nur Wohlthaten kannten, bewog sie, das Oberhaupt, den Kodziabaschi
des Dorfes Skliru, am folgenden Morgen abzusenden, um Verzeihung und Vermittelung von der
Gesellschaft zu erbitten, und die Auslieferung des Unruhstifters ihr zu versprechen, damit ihn allein
die Vergeltung treffe, welche die Gesammtheit der Hirten von dem Pascha befürchtete. Die Gesell-
schaft schrieb ihm eine Gefängnifssträfe vor und hiemit gelang es ihr, die Sache beyzulegcn.
Die Ruhe des heiteren Aufenthalts in den Laubhütten beym Tempel sollte indefs nicht mehr
fortdauern. Die Gegenparthev des Paschas, die stolzen Türken der Stadt Napli-tis-Romanias, des
alten Nauplia, hatte in dem beyderscitigen Intriguenspiel am Ottomannischen Hofe gewonnen und
seine Absetzung von der Statthalterwürde der Morea ausgewirkt. Auf diese Nachricht kamen in
verschiedenen Gegenden des Peloponnes Räuberbanden zum Vorschein, welche die bevorstehende
Anarchie und Unordnung in dem Zeitpunkt zwischen der Abreise des Paschas und der Ankunft
seines Stellvertreters, benutzen wollten. Der gröfste Theil der Gesellschaft war nach Zante oder
Zäkgethos, wie die Insel noch jetzt von den Griechen genannt wird, geeilt, Anstalten zur schleunigen
Einschiffung und sicheren Ueberfahrt der gefundenen Bildwerke zu machen. Die wenigen am Tempel
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zurückgebliebenen Reisenden mufsten daher die Vorsicht beobachten, Nachts einen Wächter auszu-
stellen, den sie immer aus den Aeltesten der Hirten wählten. Der Nutzen dieser Maasregel erwies
sich einst, als bey dem bevorstehenden Ueberfall einer Räuberrotte die ausgesandten Kundschafter
derselben sich unbemerkt an den Tempel herangeschlichen und hinter Trümmern verborgen hatten.
Alles war in Schlaf gesenkt, der Wächter unterhielt wegen der empfindlichen Kälte der Nächte im
Innern des Tempels ein starkes Feuer, welches den Säulenreihen die wundervollste Beleuchtung gab
•und in der Finsternifs eine schaurige, abentheuerliche Wirkung machte. Zufällig bemerkte er im
Dämmerschein, welchen die Flammen auf die aufsen umherliegenden Trümmer verbreiteten, die
Bewaffnung zweyer, zusammengekrümmter, weifser Gestalten, die er vorher für Ziegen angesehen.
Er befand sich gerade wehrlos, hatte aber die Geistesgegenwart, mit dem wiederholten lauten Zuruf:
fj,tj ealever&i (Mi salevete!) dafs ihr euch nicht rührt! den Hirtenstab als Flinte auf sie anzulegen,
um durch diese Täuschung ihnen Furcht einzuflöfsen, und zugleich die in den Hütten Schlafenden
zu erwecken. Alles rannte mit Waffen herbey; die Räuber flohen, und durch Abfeuerung der
Gewehre wurde ihnen gleichsam die Bestätigung ihrer Furcht nachgesandt. Um sie nun auch sammt
ihrer Rotte von Erneuerung des Versuchs abzuschrecken, liefs der Aelteste nach allen Höhen hinauf,
wo seine Söhne und Enkel bey ihren Heerden schliefen, den Ruf der Schäfer erschallen. Diese
ci'wiedcrtcn seinen Ruf und eilten von den Gipfeln der Berge herab, sie zu verfolgen. Aber die
Räuber, durch die Dunkelheit der Nacht verborgen, konnten weder in Wäldern, noch in Schluchten,
mehr aufgespürt werden und man fand am folgenden Morgen, dafs sie nach mifslungenem Anschlag,
Ziegen aus den Hürden weggeführt hatten. Zu derselben Zeit traf einer aus der Gesellschaft, Herr
Bröndsted, von einem \usflug nach Messene und Sparta unerwartet wieder beym Tempel ein; denn
auf dem Gebirgswege (Langäda) zwischen Mistra und Calamala, hatten ihn Mainottische Räuber-
banden überfallen und ausgeplündert.
L. Die wachsende Kälte der Nächte, und die W olkendünsle, welche schon im Anfang des August
das Schlafen im Freven beschwerlich machten, und an die von den Alten erwähnte Rauheit und
Feuchte des Climas in der Gebirgsgegend Arcadiens erinnerten, wurde gegen das Ende dieses
Monats vollends der Gesundheit schädlich. Die hiedurch verdoppelte nächtliche Gefahr zwang endlich
die Reisenden jeden Abend in das nächste, eine Stunde weit gelegene, Dörfchen Skliru (das von
axh/QUi, rauh, beschwerlich, nach seiner Lage im wilden Gebirge so benannt ist) sich zu begeben
und einige Leute zur Bewachung der Antiken zurückzulassen. Oft, wenn auf der Wanderung durch
diese, vom Geheul des Schakals erschallende Wildnifs, die Nacht einbrach, überraschte es sie die
Felsen, Wurzeln und verschränkten Zweige in dem weglosen Waldgebirge beym Aufgang des
Jupiters zu sehen, der von den Hellenen mit Recht durch den Namen Phaeton 5°), der Leuchtende,
bezeichnet, wie die helle Flamme einer Leuchte sie geleitete und dessen grofses, klares Sternlicht
hier, in damaliger Jahrszeit, sogar einen leichten Schatten von den Gegenständen auf den Boden warf.
Als der Pascha die Anzeige des Erfolgs der Nachgrabungen nebst einer Zeichnung von allen
gefundenen Bildwerken erhielt, hatte ein zuvorkommendes Gerücht schon diese Reliefs von weifsem,
glänzenden Marmor, in Statuen von purem Silber verwandelt und seine Erwartung aufs Höchste
gespannt. Zeichnungen genügten ihm daher keineswegs, er wollte sich mit eigenen Augen von der
Wahrheit überzeugen, und auf sein ausdrückliches Verlangen mufste die Hälfte der Bildwerke in
seine Residenz Tripolitza geschallt werden, obgleich die Schwierigkeit des Transports der gewichtigen
Massen über hohe, unwegsame Gebirge sie manchen Gefahren aussetzte. Trotz aller angewandten
Sorgfalt hatten die Reisenden den Verdrufs, dafs bei diesem Tränsport ein Stück der Bildwerke
verloren ging. Erst ein Jahr darauf ward ,es zufällig von Herrn J. Spencer Stanhope bey einem Land-
manne entdeckt, gekauft, und dem ßrittischen Museum übergeben. Dem Pascha selbst machte
die Uebersendung keine Freude. Beym Anblick der durchs Alter gebräunten Marmorfragmente in
seinen Erwartungen herabgestimmt, fand er so wenig Gefallen an den Bildwerken, dafs er, ohne
das Dargestellte zu begreifen, sie unverzüglich zurückschickte; doch, auf den möglichsten von der
Runstliebe der Franken zu ziehenden Vortheil bedacht, glaubte der Pascha den Zweifel an seine
Kennerschaft dadurch zu entfernen, dafs er beym Rücksenden der Antiken zugleich sein Erstaunen
über die schöne Ausführung und die täuschend-natürliche Darstellung — der Schildkröten berichten
liefs. Dafür hatte er die Schildbewaffneten angesehen. Es konnte nun nicht mehr schwer halten,
von Veli- die Abtretung seiner Ansprüche auf die Bildwerke gegen eine mäfsige Geldsumme zu
erlangen. Hiezu bestimmten ihn vorzüglich seine Abreise und die wegen der Uebergewalt seiner
Feinde zu beobachtende Vorsicht; denn diesen hätte selbst der Antheil an den ausgegrabenen Kunst-
werken Gelegenheit zu ferneren Anklagen dargeboten. Aber dieselbe Vorsicht verhinderte ihn jetzt,
die Einweihung des Tempels und den Bau der Capelle zu gestatten, und bey der nahen Abreise
Velis blieb wenig Hoffnung übrig, jemals den Plan auszuführen, der bey dem verlassenen Tempel
die Wiederkehr festlicher Freuden begründen sollte.
Mit dem Augustmonat erreichte auch das Grabungsgeschäft sein Ende; aber es verging noch
eine geraume Zeit bey der Vorbereitung zum Fortschaffen der Antiken, welche besondere Behutsam-
keit und Sorgfalt erheischte, als das Einnähen der vielen Stücke zersprungener Relieftafeln in Tuch,
die Verfertigung einer grofsen Anzahl von Kisten u. f. Nur durch bedachtsames kluges Verfahren
gelang es, Veli-Pascha zu bewegen, dafs er schriftlich die Erlaubnifs, die Antiken wegzuführen,
und den Befehl an die Hirten ertheilte, sich deshalb sogleich einzustellen; denn auch bey diesem
letzten Geschäfte machten die Archonten mancherley Schwierigkeiten, welche eine Verzögerung bis
nach der Abreise des Paschas drohten. Vermöge des mit ihnen geschlossenen Vertrags übernahmen
sie hierauf die Besorgung des Transports, und, die Unverbrüchlichkeit des Vertrags zu sichern,
blieb der Bruder des Kodziabaschis von Andrizena am Hofe des Paschas in Tripolitza. Die Höhe und
Unwegsamkeit der Gebirgsgegend und das Gewicht der meisten Marmorstücke verwehrte, bey dem
in Griechenland durchgängigen Mangel eines Fuhrwerks, sogar den Gebrauch der Saumthiere zur
FortschafTung der Reliefs. Sie mufsten von Menschen die beschwerlichen Höhen hinab ans Meeresufer
sechs Stunden weit getragen werden, und kaum vermogten sechs bis acht Mann eines der grösseren
Stücke zu heben.
Nicht ohne Rührung sahen die Hirten die Fremden wegziehen, eingedenk des ihnen bezeugten
Wohlwollens und der durch den Aufenthalt derselben genossenen Vortheile. Der Aelteste von Skliru,
zugleich Oberhaupt und Vater des Hirtenstammes, welcher die Bevölkerung dieses Dörfchens aus-
macht, wandte sich mit eigenthümlich- patriarchalischem Ausdruck zu den Reisenden, wünschte
ihnen schöne Stunden ") und versicherte, dafs er bey der Wiederkehr der Sommer ihrer gedenken
würde, dafs seine Kinder seinen Enkeln, diese seinen Urenkeln und so fort, kommenden Geschlech-
tern erzählen sollten, wie die Franken mit ihnen gelebt hätten, bis die Kälte der Nächte eingetreten
und die Heerden von den Bergen herabgezogen wären. Ehe die Wanderung mit den gefundenen
') "QoaiZ y.a?M7s! (Öres hales!) Der gewöhnliche Zuruf der Neu-Griechen beym Abschiede.
— 24 —
Antiken begann, kam Feuer in die Hütten, die mit verdorrtem Laube dastanden. Nun wollte keiner
den ihm liebgewoidenen Wohnsitz halbverbrannt zurücklassen; jeder trug Feuer hinzu und gewann
ihm in der Flamme die letzte Freude ab. Wie ein Traum verschwand plötzlich, selbst bis auf diese
Zeichen, die Belebung dieses Orts, und die grofse, lichte Gestalt des Tempels blieb in ihrer alten
Verödung zurück, dem Wandel der Zeiten trotzend.
Ein langer Zug hatte sich gebildet. Ueber hundert und fünfzig Hirten trugen die Antiken;
viele Personen, unter denen auch die Archonten, begleiteten sie und mufsten auf jeden ihrer Tritte
Acht haben; denn die Unebenheit des Bodens machte die gröfste Vorsicht erforderlich und zwang
nach wenigen Schritten immer wieder zum Stillstand. Bey der Schwere der Lasten konnte sich der
Zug daher nur langsam fortbewegen. Er ging von Bassä durch die Schlucht des Cotylius an der von
Pausanias erwähnten Quelle M) dieses Berges vorbey in die Tiefe des Grundes hinab, wo die roman-
tische Waldcapelle 'JlHp. IIa()a<Ty.evrj (Agia Paraskewi) in Platanenschatten ruht, aus ihren Mauern
einen hellen, sprudelnden Wasserstrahl hervorgiefsend, und der Lymax, der Reinigungsstrom, mit
steinrollendem Gewässer vorüberrauscht. Sein Name erinnert an die Sage von der Geburt des Zeus,
denn in dieses Gewässer sollten die hülfleistenden Nymphen die Xiuwta der Gebährerin Rhea aus-
geschüttet haben, und so erscheint jene Sage auch beym Cotylius. Im Zusammenflufs mit der Neda
umgeben diese Bergströme grofsentheils den Fufs der abgesonderten Anhöhe, auf welcher die Stadt
Plugalia lag. Es kostete viel Mühe und Anstrengung, bis der Zug den steilen Abhang hinauf zu den
wenigen Hütten von Dragoi, dann zu den Resten eines Dorischen Tempels gelangte, und endlich
die Ringmauer der Stadt erreichte, welche man in Uebereinstimmung mit Pausanias Angabe der
Entfernung von 4o Stadien, anderthalb Stunden vom Tempel des Apollo gelegen fand.
Freudig begrüfsten die Reisenden die Ueberbleibsel der ansehnlichen Stadt, der sie den Schatz
von Kunstwerken verdankten. Ihre Ringmauern umschliefsen die ganze felsige Berghöhe zwischen
den ärmlichen Dörfern Ober-, Unter-Pavlitza und Koritza. Sie tragen das Gepräge zweyer verschie-
dener Zeitalter. Ein Theil derselben, welcher ein hohes Alterthum verräth, besteht aus einem Gefüge
polvgoner Steine, und ist mit runden Thürmen und oben zugespizten Thoren versehen, an welchen,
der ältesten Constructionsart gemäfs, eine pyramidalische Stellung der Steine die damals noch nicht
erfundene Bogenwölbung vertritt. Der übrige Theil, ein Werk späterer Zeiten, unterscheidet sich
durch Quadersteine und vierekte Vertheidigungs-Thürme. Diese Verschiedenheit der Mauern scheint
die Epoche der Einnahme und Wiedereroberung der Stadt im Kriege der Spartaner mit den Einwoh-
nern zu bezeichnen, welche in der dreyfsigsten Olympiade sämmtlich aus derselben vertrieben, durch
den Opfertod von hundert freywillig sich weihenden Männern aus Oresthasien ihren alten Sitz wieder-
gewannen 23). Der ebene Platz auf dem höchsten Gipfel innerhalb der Stadtmauern enthält Spuren
antiker Bauwerke und hier lag vermuthlich der vornehmste, der Retterin Artemis geweihte Tempel.
Unter den zerstreuten Trümmern im Stadtbezirk läfst der Zufall bey Umgrabimg des Bodens manch-
mal Münzen des alten Phigalia finden, von denen die Bewohner der erwähnten Dörfer den Reisenden
die bisher noch unbekannten Phigalischcn Münzen aus der Zeit des Achäer-Bundes anboten. Polybius
giebt von den damaligen Thaten der Phigalier Kunde. Diese Münzen (s. die Vignette zu Ende des
Vorberichts) zeigen auf der Vorderseite einen stehenden Zeus, — in der Rechten entweder ein Bild
!
Nike die ihm den Kranz enlgcgcnreicht, oder einen Delphin, in der Linken den Scepter
2S) Diese Quelle, die sieh allmählig verliert, ist höchst wahrscheinlich diejenige, -welche nach dem Berichte dieses Schriftstellers von
einigen irrig für den Ursprung des Lymax angesehen -war.
•>) Pausan. Till, 3o,.
25
haltend, — hiebey der Name der Magistralsperson, der bald KÄEJPKOS, bald KÄEAPXOl ge-
schrieben ist. Auf der Kehrseite thront Demeter, den Scepter in der Linken, in der ausgestreckten
Rechten eine Opferschaale darbietend; die Umschrift: AXälQN (DITAAEilN. Diese Gottheiten,
welche auf den Münzen aller zum Achäerbunde gehörenden Städte vorkommen, sind die Beschützer
und Erhalter desselben, und als solche Zeus Homagirius, der Versammler, Demeter Panachäa, die
Allachäische genannt. Pausanias erwähnt die zu Acgium nebeneinander erbauten Tempel derselben.
Aufserhalb der Ringmauern von Phigalia stehen noch Felsengräber und Xenotaphe, und auch
die heilige Grotte der Demeter Meläne, der schwarzen Demeter, die im Zorn wegen Verfolgung und
Umarmung Poseidons und im Schmerz über die entführte Tochter mit Trauerkleidern verhüllt, sich
in der Einöde verbarg, erkennt man in der Grotte der Panagia, der Mutter Gottes wieder, wo all-
jährlich, als beym gröfsten Feste der ganzen Gegend, eine Panigyri gefeyert wird. Dieser allegorischen
Mythe lagen Erinnerungen aus früher Landesgeschichte zu Grunde, an Ueberschwemmungen des
Meers, an das Ausbleiben der Vegetation des Bodens, welches mit der Idee der jährlich im Winter
trauernden Erde zusammentrifft. Das Bild der Göttin, von den Arcadiern bey Mifswachs und
Hungersnoth gestiftet, war auf einem Felsen sitzend, im engen Gewände, mit Pferdekopf und Mähne,
an dem Schlangen und andere Thiere standen, und mit einem Delphin und einer Taube in den
Händen vorgestellt. Die Grotte ist jetzt nur eng und klein, durch losgerissene Felsenstücke halb
verschüttet, vorn durch eine ärmliche Mauer geschlossen, und innen mit Heiligenbildern bemalt.
Ihre Lage in der schaurigen Höhe einer Felscnkluft am wilden, mit Eichen und Platanen bedeckten,
abschüssigen Ufer der Neda, erlaubt kaum sich ihr zu nahen. Pausanias Beschreibung (VIII, 42)
scheint nur in so fern nicht genau zuzutreffen, als die Grotte nicht eigentlich am Elaischen Berge,
am jenseitigen, sondern zunächst bey demselben, am diesseitigen Ufer der Neda sich befindet.
Daher mag er das Wort ävro~i von der Gegend im Allgemeinen verstanden haben. Einen Nachhall
der Sage von der erzürnten, trauernden Demeter hört man im Munde des Volks, welches erzählt,
die Mutter Gottes habe in Abscheu und Trauer die Menschen gemieden und die Einsamkeit dieses
unbetretbaren Ortes gewählt, als einst eine Mutter von ihrem Sohn mit verbrecherischer Leiden-
schaft verfolgt ward.
Von Phigalia kamen die Träger der Bildwerke den ersten Tag nicht weiter als bis nach Merlina,
einem Dörfchen, bey dem antike Wartthürme aus sorgfältig gearbeiteten Quadern, den Pafs in das
Arcadische Hochland zu bewachen, auf den letzten Berggipfeln stehen. Am folgenden Tage wan-
derten sie fort, und indem sie die Gebirgsgegend verliefsen, zeigte sich die schöne Aussicht über
das fruchtreiche, von krausen, lachenden Hügeln begränzte Thal und die Ebene, durch welche die
Neda, aus der Enge der Schluchten Arcadiens befreyt, immer verschlungenere Züge in dem flacheren
Lande beschreibend, langsam gegen das Meer hingleitet, und Elis von Messenien scheidet.
So wie in Prygischen Auen der lautere Strom des Mäandros
Scherzt und in zweifelndem Laufe gellrüinmt abileufst und zurüchfleufst;
Selbst begegnend sich selbst, erblicht er die kommenden Wasser j
Und nun gegen den Quell, nun gegen das offene Meer hin,
Treibt er die unentschiedene Flut. — —
Ovid. Metamorph. 1. VIH, V. 162. s<j. nach Vofs.
Nicht weit von der Mündung der hierzu einem Flufs angewachsenen Neda, bey den spitzen
Schilfhütten von Busi, setzten die Hirten die Bildwerke nieder. Die Plage unendlicher Mücken-
schwärmc, durch die Ausdünstungen des kaum sich bewegenden Wassers hervorgebracht, nöthigt
die schon am Fieber leidenden, bleichen Anpflanzer der Gegend in Säcke zu kriechen und Bewohner
7
26
der Bäume zu werden; und auch diese, von üppigen Ranken wilder Reben umsponnen, stehen in
I abentheucrlichen Gestalten da. Hier erneuten die Archonten zuletzt ihre gewinnsüchtigen Pläne,
indem sie mehrere Theile der Bildwerke verbargen und herauszugeben sich weigerten. Unter den
Trägern derselben veranstalteten sie zugleich das Spiel eines drohenden Aufstandes gegen die
Fremden, wobey sie selbst die Vertheidiger machten; doch es gelang den Reisenden durch Ent-
schlossenheit ihr Recht zu behaupten und das gute Vernehmen wieder herzustellen. Am nahen
Strande des Meeres lag das Fahrzeug bereit, in welchem nun die Sammlung der Bildwerke nach
Zante eingeschifft wurde. Der damalige englische Befehlshaber der Ionischen Inseln, General Ayre,
hatte durch das freundschaftliche Anerbieten einer Bedeckung von mehrern Kanonierböten die Ueber-
fahrl vor kreuzenden französischen Korsaren gesichert. Aber widrige Winde und dichte Nebel zer-
streuten bald die ungleich segelnden Schiffe und auch nur die Gunst des Geschickes half den
gehobenen Schatz glücklich in den Hafen führen.
Gerade damals plagte die Inselbewohner ein sonderbares Phänomen, dem die abergläubige
Vorwelt eine schreckhafte Auslegung gegeben hätte. Schwere, ziegelrothe Wolken überzogen den
Himmel und regneten einen feinen, fast unmerklichen Staub herab, der sich auf die Kleider und in
den Augenwinkeln ansetzt und eine schmerzhafte Entzündung hervorbringt. Allgemein galt die
Meinung, dafs der Staub aus den Sandwüsten von Afrika herüberwehe, wo um diese Jahreszeit
periodische, heftige Südwinde ihn in die Höhe treiben und dieselben Augenkrankheiten erzeugen.
In Zante blieb die Sammlung bis zum ersten May des Jahrs i8i4 in einem wohleingerichteten
Locale ausgestellt. Die Eigenlhümer derselben (zu denen aufscr den vier obgenannten Findern auch
die Herren Gropius und Legh wegen ihrer Hülfleistungen gezählt wurden) da sie zu verschiedenen
Nationen gehörten, und da überhaupt ein jedes Mitglied der Gesellschaft gleichen Wunsch und Eifer
zeigte, das treffliche Kunstwerk seinem eigenen Vaterlande zu verschaffen, hatten sich zu einem
allgemeinen Ausgebot entschliefsen müssen, und den Kaufwilligen eine zweijährige Frist gelassen.
In einer Beylage des Zantischcn Zeitungsblatts vom September 1812 wurde eine Beschreibung von
dem Kunstwerke gegeben und hiedurch die Findung zuerst bekannt gemacht. Die Hauptbedingung
der Eigenthümer betraf die Lieferung von Gvpsabgüssen des ganzen Frieses für jeden derselben; und
aus den vorhandenen Formen sind schon mehrere Sammlungen in Europa, mit (freylich nur stumpfen)
Abgüssen versehen worden. Bey der Versteigerung, die am festgesetzten Termine im angezeigten
Jahre, der Landessitte gemäfs, auf öffentlichem Platze einen Tag lang währte, entschied bey ein-
brechender Nacht das Auslöschen «hier Kerze über den Besitz, und so erstand der jetztregierende
König von Grofsbrittanien, während der Regentschaft, die Sammlung für die Summe von sechzig-
lausend Spanischen Piastern.
Durch die Grabung war, aufser diesem Schatze der Bildkunst, der Apollotempel aus der Hülle
seiner Trümmer als der schönste Ruin des ganzen Peloponnes hervorgetreten, in Hinsicht der Er-
haltung nur den Gebäuden von Pompeji zu vergleichen. Das Innere des Tempels, vorher ein ver-
wirrter Steinhaufe, hatte nicht nur an Interesse, sondern auch an Imposantem und Malerischem der
1
architektonischen Masse vor dem Aeufseren gewonnen. Von den Säulen der Halle umgeben, steht
es mehrere Fufs hoch wohlerhalten da, als wäre es zur Uebersicht und Erkenntnifs aller Theile des
Ganzen, und zum freyen Durchblick der schönen Gegend und des Himmels, nach der Laune eines
Malers angeordnet. Die Mauern und Halbsäulen sind gerade so weit niedergefallen, dafs sie die
:
Phantasie zu dem Genufs der Ergänzung und Ausfuhrung des Fehlenden leiten, was bey Ruinen im
Allgemeinen den eigenen, abentheucrlichen Reiz erhöht. In diesem Sinne ward auch die innere
— 27 —
Ansicht des Tempels auf T. III. dargestellt. Durch die Wahl eines erhöhten Standpunkts in der Halle
vor dem Pronaos erhält man hier mit dem Gesammteindruck eine Idee von der ganzen Einrichtung
des Gebäudes; nur die Wiederholungen in derselben, wie die Säulenstellung in der Vorfronte, wie der
Opisthodom, vor welchen die umschliefsende Cellenmauer tritt, sind dem Auge entzogen. Zwischen
den Säulen zeigt sich ein Theil der Nomischen Berge, des schneebedeckten Taygetus höchste Spitze,
vor Alters Taletum genannt, der Ithome, die Landspitze von Corone und die unabsehbare Fläche
des Meeres, die bis an einen anderen Wcltlheil reicht. In den verschiedenen Abtheilungen des
Tempels fehlt wenig an der vollkommenen Erhaltung des antiken Fufsbodens, welcher nur im
unbedeckten Schiff der Cella durch die in der Mitte vereinigte gröfste Last der Steinmassen, einsank.
Auf der Kupfertafel mufste der Wahrheit, halben diese Senkung, wie auch die der westlichen Säulen-
reihe , angegeben werden, obgleich sie hier besonders eine unangenehme Wirkung macht. Die
ursprüngliche Schärfe und Sauberkeit der Ausführung in den architektonischen Gliedern blieb, wo
der Schutz der Trümmer sie vor den Einflüssen der Witterung sicherte, überall und erregt die
Bewunderung der Künstler. Umherliegende Stücke der Architektur, wie das Ionische Capital, der
Blätterknauf der einzelnen Säule, welcher umgestürzt auf dem Reste derselben steht, ferner die
Cassatureu und Stirnziegel, können eine Idee von der Art der Verzierungen geben. Das Ionische
Capital der einzigen, fast in ihrer ganzen Höhe erhaltenen Halbsäule liefs die Gesellschaft zu
gröfserer Sicherheit desselben an seinen Platz stellen **).
^
Die Betrachtung der Reste des Tempels und die während der Grabung angestellten Nach-
forschungen gaben im Allgemeinen die befriedigendsten Aufschlüsse über seine ursprüngliche Be-
schaffenheit, und auch hierin entsprach die Grabung den Erwartungen. Der Grundrifs T. IV.,
welcher den Tempel in dem 120"° Theile seiner wahren Gröfse zeigt, und die T. V. gegebene
Ergänzung desselben in geometrischen Aufrissen, sollen die nachfolgende Schilderung seines früheren
Zuslandes unterstützen. (Wie im vorliegenden Buche durchgehends, sind auf diesen Tafeln die
Maafse nach dem Londoner Fufse angegeben.)
Die Gründung des Gebäudes ward durch die Pest veranlafst, die im Peloponnesischen Kriege
zu gleicher Zeit bey den Phigaliern und bey den Athenern wüthete. Von bej'den Völkern wurden in
der öffentlichen Noth dem Apollo religiöse Stiftungen angeordnet *5). Ein gleiches Unheil, das kürz
zuvor in Rom ausbrach a6), bewirkte dort die um dieselbe Zeit, im Jahre der Stadt 323, erfolgte
Weihe eines Heiligthums dieses Gottes. Seinen Pfeilen schrieb man die unbekannte Entstehung der
verheerenden Seuche zu, wie die Darstellung im Anfang der Ilias (v. 44 — 5a in Vofs Uebers.) zeigt:
M) Von den neuesten Reisenden, welche diesen Tempel- Ruin sahen, habe ich leider erfahren müssen, dafs diese Beispiele der
architektonischen Verzierung, einige Bruchstücke der Cassatureu ausgenommen, dort nicht mehr vorhanden, entweder gänzlich zerstört, oder
verschlepjjt sind, — dafs nicht einmal das Ionische Capital auf der Halbsaule diesem Schicksal entging, und dafs die Verwirrung der Trümmer
im Innern jetzt schon wieder begonnen hat. Indessen wurden doch die besten Uebcrbleibsel der verzierten Rand- und Stirnziegel nebst
anderen Studien der Sammlung von Bildwerken beigefügt und dem Brittischen Museum übergeben. Genaue Darstellungen derselben zeigen
die Vignetten der zweyten Abtheilung des vorliegenden Werks; von dem Ionischen Halbcapital und dem Blätterluiauf der Einzclsä'ule sind nur
nacli einem flüchtigen Entwurf versuchte Ergänzungen iu den Vignetten der ersten Abtheilung zu sehen. Wahrend des Hrn. v. Haller und
Hrn. Cockerells gemeinschaftlichen Untersuchungen der Architektur des Tempels entstanden, sowohl von dem Ganzen als von den Einzelheiten,
die genauesten, sorgfaltigsten Zeichnungen und Messungen, deren Bekanntmachung alle Wünsche zu befriedigen vermag, und wodurch-von
jenen, in ihrer Art einzigen, Capitalen wenigstens treue Abbildungen für die Nachwelt bleiben.
") Pausan. VIII, 4»-
-G) Liv. IV. A. 3ai. Pcstilcntia anno aliarum rcrum otium praebuit. aedes Apollini pro valetudine populi vota est. multa duumviri ex
libris, plucendae deum irae, avcrtcndacouc a populo pestis caussa, f'ccere. magna tarnen clades in urbe agrisque, promiscue hominum peca-
rumque pernicie aeeepta-
— 28 —
Durch den Tempelbau hoffte man nun den zürnenden Golt zu versöhnen, ihn für sich zu
gewinnen und gleichsam an den Ort zu knüpfen; denn es herrschte der Glaube, dafs durch die
Weihe der Tempel und Idole der Gott bewogen werde herabzusteigen und darin seinen Sitz zu
nehmen. Dem Ausspruch des Delphischen Orakels zufolge hatte er selbst den Lacedämoniern in
jenem Kriege gegen die Athener seinen Beystand versprochen. Mit dem ersten Einfall der Lacedä-
monier kam das Unheil, welches von Aethiopien nach Aegypten, Libyen, Persien, Lemnos und in
mehrere andere Länder gedrungen war, auch sogleich nach Attica, und nirgends richtete es solche
Verheerungen an *7). Einen physischen Grund zu der Idee, dieses Uebel dem Apollo beyzumessen,
fanden die Völker in der Einwirkung der Sonne auf Krankheiten. Von den Alten s8) wird angeführt,
dafs unmäfsige Hitze Seuchen hervorbringe, mäfsige Wanne Heilung bewirke. In besonderer Be-
ziehung auf die Pest bestätigt sich noch jetzt in Griechenland die Erfahrung, dafs ihr Aufhören von
dem Grade der Zunahme oder Abnahme der Sonnenwärme im höchsten Sommer oder Winter ab-
hängt. Eben so glaubten die Perser der Aussatz rühre von einer Versündigung wider die Sonne
her a'); bey den Athenern wurde dem Apollo auch die Befreyung von der Heuschreckenplage zuge-
schrieben und der Name Parnopius beygelegt, weil durch plötzliche Hitze und Kälte diese Thiere
vertilgt zu werden pflegten (Paus. I, a4). Als die Pest nachliefs verehrten die Athener aus Dankbar-
keit den Apoll unter dem Beynamen Alexikakus, Uebelabwehrer, die Phigalier in diesem Tempel
unter dem Beynamen Epikurius, Helfer.
Die Erbauung des Tempels begann also zwischen dem aton und 3'™ Jahre der 87slcn Olympiade,
und im 2'™ des Peloponnesischen Krieges, 43o Jahr vor Chr. Geb., denn damals brach in Attica die
Pest aus, und im Anfang wandten die noch nicht verzweifelnden Völker alles zur Besänftigung des
Gottes an3"). In Athen, wo der Wetteifer mit Sparta das Genie der Nation sammelte und die gröfsten
Männer der Zeit lebten, stand die zarte Pflanze der Kunst, trotz der andringenden Stürme, in
höchster Kraft und Blüte. Ictinus, der den Parthenon kurz zuvor erbaut hatte 3l), ward daher zu
dem Tempelbau nach Arcadien berufen und vollendete den Pbigaliern das Heiligthum von Bassä Za).
Gröfstentheils bot der Ort selbst das Material zu dem Tempel dar, einen bläulich-weifsen, mit
einigen braunen Adern durchzogenen Kalkstein, der dem Marmor nahe kömmt. Wegen der Schön-
heit und Härte des Gesteins bedurfte das Gebäude keines Anwurfs, wie ihn die Griechischen Tempel,
wenn sie nicht von Marmor waren, erhielten 33). Aber zu allen feinverzierten Theilen der Architektur
und zu den grofsen Ziegelplatten des Daches gebrauchte der Künstler den noch festeren, grob-
körnigen Marmor, den ich für Parischen halte. Im Steinschnitt zeigt sich Schärfe und Feinheit; in
Form und Lage der Mauerquadern herrscht ein angenehmes Gleichmaafs, worauf die Alten so viel
hielten, dafs bey einem Jupitertempel in Cyzicus 34) ein dünner Goldfaden als Zierde die Fugen, die
oft unmerklich sind, andeutete. Nur die untere Steinlage übertrifft die andere an Höhe und ist als
Basament der Mauer angeschen. Der Verband der gewaltigen Baustücke geschah nicht durch Mörtel,
sondern durch inwendig unbemerkte eingesetzte, vor der Luft geschützte Eisenklammern. Ewige
Dauer, edle, reine Gröfse bezweckte sowohl die Wahl dieser Beslandtheile, als das Ebenmaafs und
das genaue Gefüge derselben in dem ganzen religiösen Baue.
Drej ringsumhergehende, am untersten Bande mit zwey eingezogenen Streifen oder Bändern
gezierte Stufen (s. T. V. i.) bildeten den Unterbau und verstatteten von allen Seiten den Zugang in
das Heiligthum. Eine wenig vorspringende vierte Stufe zuunterst derselben mogte in die Fläche des
durch ein breites Steinpflaster geebneten Bodens eintreten. Von einer beym erwähnten Aeginetischen
Tempel und bey den Propyläen in Athen bemerklichen, sanftaufsteigenden Bahn, zu den zwey Mittel-
säulen der Vorfronte geleitet und wegen der Opferzüge gemacht, zeigte sich keine Spur. Aus
diesem Gemeinschaftlichen Fufse wuchsen um das ganze Wohnli des Gottes jene g estreiften Dori-
schen Säulen empor, nach Londoner Maafse 3 F. 9 Z. Durchmesser, io,y2F. %, Z. Höhe, in andert-
halb Durchmesser Zwischenweite. Ihre Stämme haben ao Ranelliruncen und bestehen bis zum
Säulenhals aus 5 Blöcken. Sie umgaben die Cella mit einer offenen Halle oder Peristyl, und trugen
das grofsartige Gebälk, welches Architrav-, Fries- und Kranzgesims begreift und durch sein Verhält-
nifs den Ernst des Gebäudes bestimmt. Gcmäfs dem heiteren Charakter des Apollotempels mifst
dasselbe nur6y2F. oder ein Drittheil der Säuleuhöhe. In dem reinen Dorischen Friese wechselten
mit den Triglyphen einfache, glatte Metopen. Den Unterbalken zierte am obersten Rande das fort-
laufende Band, die Tänia, und die unter den Triglyphen stehenden kurzen Leistchen mit je 6 gerad-
abgeschnittenen Tropfen. Kühn trat das schützende Haupt- oder Kranzgesims hervor, dessen oberster
Band mit einem einfachen Gliede geziert war, dessen gleich dem Dache geneigter, unterer Fläche
an den hängenden Dielenköpfen (Mutuli) jedesmal 3 Reihen von 6 schrägen Tropfen einen üppigen
Reichthum gaben, und warf breite Schatten auf den Fries, von dem es einen beleuchtenden Wieder-
schein empfing. Die beyden 7 F. 7 Z. hohen Giebel krönte über dem Gesims derselben, welches
keine Tropfenfelder schmückten, der an ausgehöhlten, marmornen Randziegeln wellenförmig auf-
steigende Rinnleisten. Er dient ohne dem Zierath der Löwenköpfe an den Giebelenden den Abflufs
des Regens zu leiten, und auf demselben stand das flache Relief einer Reihe von Palmetten und
Lotusblumen in zarten Schattenabstufungen (s. die Vignette über der 3'™ Abtheil.). Dieser so häufig
angebrachte Zierath, von dem wir in Aegvptischen Denkmälern 35) Urformen sehen, erhielt bey den
Griechen stets neue Behandlung; der hier vorkommende übertrifft andere ähnliche durch anmuthige
Einfachheit der Gestaltung. Hiezu stimmten an den Seitenfronten des Tempels, wo kein Rinnleisten
war, (T. V. a.) am äufsersten Rande des Daches die abgesonderten Verzierungen der die Hohlziegel-
reihen beschliefsenden Stirnziegel, Antefixe, (s. die Vignette zu Ende der ate" Abthl.). Die reitenden
Ziegel auf der Firste des Daches, in denselben Reihen stehend, waren nur wie die gedoppelte unver-
zierte Rückseite der Stirnziegel bearbeitet. Die Eindeckung des Daches geschah mit zusammenhän-
gend aus einem Stücke geschnittenen Hohl- und Plattziegeln und weifser Marmor war durchgehends
dazu angewandt, statt der sonst gebräuchlichen gebrannten Erde. Das Verdienst diese Veredlung
J
des Tempelbaues eingeführt zu haben, gehörte dem Byzes von Naxns, der in der 5osto" Olymp, die
Bereitung der Ziegel aus Marmor erfand 36). Pausanias erhebt beym Apollotempel insonderheit den
Vorzug, dafs die ganze Bedeckung von Stein war. Wie schon erwähnt müssen ganze Statuenvereine,
die nach der dreyeckigen Form der Giebel gerichtet, passende mythische Begebenheiten darstellten,
ihre starke Vertiefung ausgefüllt, und auf der mittleren Giebelspitze, wie auf den Seitenecken,
Bildhauerwerke als Uebersätze (Akroteria) gestanden haben. Der Giebel, gleichsam die Stirn des
Gebäudes, erhielt der bedeutenden Stelle wegen, die er einnimmt, den höchsten Schmuck in der
Außenseite desselben.
Nichts eignete sich mehr dazu, Staunen und Ehrfurcht zu erregen, als die ausfüllende
Gruppirung vollrunder, öfters colossaler, Figuren in den Giebeln. Die Zusammenstellung von
Statuen war zugleich für die Bildkunst die gröfstc , vollkommenste Aufgabe; sie entging aber bisher
dem Scharfsinn der Neuern. Da dieselbe bey Gruppirung von Bundbildern doch sonst nur zwey oder
drey Figuren gestattet, so übertraf sie hier sogar die Wirkung colossaler Gemälde. Den ersten Anlafs
zu dieser Zier der Tempel und zu dem Namen der Giebel Aetoma (äercofia, äerbe) gaben die Corinther,
indem sie einen,Adler mit ausgespannten Flügeln, der in das Dreyeck des Giebels pafste, anbrachten,
gleichwie die Aegypter über dem Haupteingange der Tempel den Sperber (teoai;); das Heilige, Gött-
liche, im Allgemeinen anzudeuten. Pindar 3') mufste daher bey dem Lobe Corinths das Verdienst
der Stadt vorzüglich erheben durch den Ausruf: »Wer gab der Gottheit Häusern zwiefach ragend den
König der Vögel?« Nach der herrschenden Meynung, nach welcher Giebel nur den Häusern der
m Götter zukamen ^, kündigten sie schon aus der Ferne die Weihe des geheiligten Baues und durch
die bildlichen Darstellungen Sinn und Bestimmung desselben an.
Bey dem Eintritt in die Halle des Apollotempels mochte die Pracht der steinernen Decke über-
raschen. Bure Verzierung, verschiedenen Arten des Kreuzgebälkes ähnlich, bestand zwischen den
m Deckenbalken aus kleinen Cassaturen von der Form gerader und verschobener Vierecke, deren stark-
verliefte Felder die Einfassung von Gesimschen mit gemaltem Laubwerk hatten; und ohne Zweifel
erhöhte Gold diesen Schmuck, weil es durch den Wiederschein des Lichts in den schattigen Ver-
tiefungen allein die beabsichtigte Wirkung machen konnte. Bey dem Parthenon und Theseium läfst
sich auch noch ein mitten im Felde gemalter Stern erkennen. Es ist unerwiesen, ob die abweichende
Form der Cassaturen den Unterschied der engen Seitenhallen von der viel geräumigeren Vor- und
Hinterhalle bezeichnete, oder ob sie gleichmäfsig im ganzen Peristyl zwischen je zweyen Decken-
balken als ein blofses Spiel abwechselte. Aber aufser der Zweckmäfsigkeit spricht die verschiedene
Bichtung, in welcher die Deckenbalken der Seitenhallen erschienen, für die erste Idee, und zwar
für die Anbringung der verschobenen Vicreckform, in den Seitenhallen. Was die Erweiterung des
Vor- und Hinterraumes im Peristyl betrifft, so folgt diese aus seiner Bestimmung zu religiösen
Umzügen und dient das Gedränge bey den Wendungen und bey dem Eingang zu verhüten.
Die erfinderische Mannigfaltigkeit des Deckenwerks war zur Unterscheidung der verschiedenen
Abtheilungen des Gebäudes auch im Ganzen durchgeführt und zeigte sich in der Gröfse, in reiner
Form, Verhällnifs und Doppelgestalt der Cassaturen, nicht in überladendem Scknitzwerk. Der im
Grundrifs T. IV. angegebene Fufsboden bestand durchgchends aus einer regelmäfsigen Zusammen-
stellung grofser Steinplatten; nur im innersten Baume der Cella ist eine Ausnahme.
erhobene Bildwerk des Frieses verherrlichte den Helfer Apollo durch die Darstellung seines sieghaften
Beystandes in den die gesammten Griechen betreffenden, drohendsten Gefahren: im Kampfe mit
den fanatischen Amazonen und rohen Centauren. Ein schönes Verhältnifs in dieser Bauanordnung
auszumitteln, dient die zunehmende Erhöhung des Fufsbodens, die im Pronaos nur 8 Z., in der Cella
aber noch i F. 4 Z. mehr beträgt. Durch jene auf dem gemeinschaftlichen Sockel ruhenden Mauer-
32
vorspi'ünge entstehen zur Rechten und zur Linken etwas erhöhte Seitennischen oder Nebenräume,
welche oben mit dem kleinsten Cassaturwerk bedeckt waren und vielleicht die Bestimmung hatten,
bey Opfern angezündete Dreyfüfse, Altäre oder Statuen der Musen und anderer Gottheiten auf-
zunehmen. Gröfseren Reichthum und Glanz gab den architektonischen und bildnerischen Zierden
der im Innern einzeln verthcilte Gold- und Farbenschmuck. Aller Wahrscheinlichkeit gemäfs
stand das 12 Fufs hohe Erzbild Apollos, wie die Statue des Parthenon und anderer Tempel, in dem
unbedeckten Schiff, zwar in gehöriger Entfernung von der einzelnen, mittleren Säule, und der Gott
war hier nach abgelegtem Bogen, mit dem er giftige Todespfeile der Pest gesendet, in langem
Cilharödengewande als Musagetes dargestellt, die besänftigende Lcyer haltend, das alte Symbol der
Weltharmonie und Ordnung. Da der Stoff dieses Standbildes den Einflüssen der Witterung wider-
steht, so brauchte der Hvpctralöffnung kein Parapetasma oder Ueberzug vorgespannt zu werden,
wie zum Schutz gegen Sonne und Feuchtigkeit bey Statuen aus Gold und Elfenbein geschah. Aber
ein Vorhang mogte zwischen den beyden letzten, der Decoration wegen schräggestellten, Mauer-
vorsprüngen und der einzelnen Säule herabhängen (s. T. V. 5.), den geschlossenen Hintergrund der
Statue bilden, zugleich einen doppelten Durchgang verstauen und diesen offenen Theil der Cella
von dem daranstofsenden, flachbedeckten Hinterraum scheiden. Indem die angezeigte verschiedene
Richtung der Mauervorsprünge und ihre am Anfang und Ende beyder Reihen ungleichen Zwischen-
zeiten für die Standpunkte vor dem breiten Haupteingang in die Cella berechnet sind, wo das
Symmetriestörende schwindet, deuten sie zugleich die Absicht an, die Betrachtung zu beschränken,
die Wirkung auf dem Platze zu sammeln, an welchen! die Statue stehen mufste. Seihst die schon
erwähnte Erhöhung der Cella trifft hiemit überein. Es ergiebt sich aus dieser scenischen Anordnung,
dafs hier die festliche Pracht nur zur Schau gestellt war, dafs dieser heilige Raum, das Wohngemach
II! der Gottheit, nicht bestimmt war, von anderen, als von denen religiösen Handlungen Geweihten
und Tempeldienern, betreten zu werden. Dem Sinn der ganzen scenischen Anordnung nicht zuwider,
konnte der zwiefache Durchgang, den die Einzelsäule bildet, auf das Hervortreten zweyer Halbchöre
berechnet seyn, welche bey Opfern die Hymnen absangen, indem sie bald abwechselnd, bald
gemeinsam, bey verschiedenen Wendungen und Bewegungen des Chortanzes, Strophe, Antistrophe
und Epode vortrugen.
Weniger noch als der Hypetralraum scheint der durch die schrägen Mauerstücke unregel-
mäfsige und jenes wegen aufgeopferte Hinterraum in der Cella für allgemeinen Zutritt eingerichtet.
Dafs dieser Ort für die Tcmpelstatue sich nicht schickt, beweist aufser der einzelnen Mittelsäule
und der Unregelmäfsigkcit, der Mangel an gehöriger Beleuchtung und Zierde. Vermuthlich blieb
er mehrenthcils der Menge verborgen und diente zur Ertheilung der Orakel, die in einem Apollo-
tempel nicht fehlen konnten, auch zur Aufbewahrung des heiligen Opfer -Geräthes und Opfer-
Gewandes, wie im Parthenon eine zweyte Abtheilung in der Cella zur Niederlage des öffentlichen
Schatzes. Ebendaher mufste aus diesem innersten Gemach (s. T. V. 4-) eine Seitenthüre, kleiner
als die Hauptthüre; und an welche gleichfalls eine breite Thürbekleidung angesetzt war, in das
offene Peristyl führen, und die Cella durch eine Scheidewand gegen das Hinterhaus zu ganz ge-
schlossen seyn. Mit Ausnahme des fehlenden Durchgangs und einer geringeren Tiefe, glich der
südlich gewendete Opisthodom übrigens völlig dem Pronaos. Er pflegte zur Aufstellung der Weih-
geschenke zu dienen, wie öfters auch der Pronaos, und im angeführten Aeginelischen Tempel
enthielt er noch einen Denkstein mit der Liste des Tempelgerathes. Die Aehnlichkeit der Bau-
anordnung erstreckte sich ebenfalls auf die Umgebung der Halle vor demselben; aber der Gegen-
33
stand des erhobenen Bildwerks in den Metopen am Opisthodom liefs sich ans den unscheinbaren
Resten nicht mehr errathen.
Vor der Hinterfronte des Tempels war, ans noch vorhandenen Spuren erkennbar, ein vier-
eckter gepflasterter Platz; und eine Strafse führte in die Niederung des Bergthals hinab zu Gebäuden
aus behauenen Quadern gleich denen des Tempels, wovon noch Mauerstreifen im Boden übrig
blieben. Vermuthlich befand sich hier unter Wohnungen der Priester, dem Gebrauch gemäfs, ein
Versammlungshaus, für Opfermahle derselben3'), ein Pompeion, der Anordnung festlicher Aufzüge
gewidmet, die, von hieraus beginnend, der Strafse nach dem Platze folgten und durch oder um die
Seitenhalle, am Opisthodom vorüber, in den Pronaos gingen, — also einen Theil des Tempels
umwanderten, ehe sie an den Haupteingang kamen. Die Processionen auf der Burg von Athen
mufsten beym Parthenon ebenfalls diese Richtung nehmen4"), und bey den durch Säulenumgänge
von allen Seiten zugänglichen Tempeln kann diefs eben nicht auffallen. Durch eine solche Ver-
anstaltung gewann das Schaugepränge an malerischer Wirkung. Zufolge seiner Stellung von Norden
nach Süden, wandte der Tempel die reiche Seitencolonnade gegen den Aufstieg von der Stadt Phigalia
zu dem Bergthal von Bassä; und, indem er sich hier in seiner ganzen Ausdehnung zeigte, sollte der
erste und Haupteindruck der seiner gröfseren Pracht seyn.
Farbenzierden dienten ohne Zweifel, wie innen die erhaltenen Spuren bezeugen, auch aufsen
an dem Gebäude die Eintönigkeit der lichten Masse des Gesteins zu unterbrechen, und bey der
Wirkung eines anmuthigen SpieLs und Reichthums die architektonischen Theile bestimmter zu
*H
scheiden und geltend zu machen. Das im Ganzen herrschende Verhält.nifs wurde dadurch zugleich
erhoben, die Reinheit, der Formen und der Schattenlinien erhalten, anstatt sie durch verzierende
Sculptur zu stören. Die Farbe, noch jetzt bey allen südlichen Völkern zur Belebung von Architektur-
massen unentbehrlich, wandten die Griechen in der Zeit des vollkommensten Geschmacks selbst
bey Marmortempeln immer an, wie auch die anderen höchsten Meisterwerke der Baukunst aus dem
Perikleischen Zeitalter, sowohl Dorischer als Ionischer Bauart, noch bezeugen: das Theseium, der
Parthenon, der Tempel der Minerva Polias, die Propyläen, wo selbst äufsere Bauverzierungen mit
Farbe aufgetragen waren. Aufserdem lassen sich manche Beyspiele aufweisen in Denksteinen, in
Vasengemälden aus Griechenland, in Wandgemälden aus Pompeji, welche die Allgemeinheit der
Malerauszierung an architektonischen Werken darthun. Das milde Clima begünstigte diesen Gebrauch
und Dorische Tempel erscheinen hiedurch viel reicher geschmückt, als man sich denkt. Seit der
erwähnten Grabung im Aegina ist die Aufmerksamkeit für diesen Gegenstand reger geworden und die
neuesten Untersuchungen Sicilischer Tempel führten zu demselben Ergebnifs. Da die Farbe unter
jenen Tempeltrümmern in völliger Frische geblieben war, so wurde die Art ihrer Anwendung
deutlicher. Man schmückte einzelne Leisten damit und legte auch ganze farbige Grundmassen in
den Vertiefungen an. Gewöhnlich sind zwey Farben mit der weifsen Grundfarbe zur Auszierung
benutzt, Scharlachroth und Himmelblau; wobey bemerkenswert]!, dafs dieselben auch an Gebäuden
Aegvptens häufig vorkommen und dort geheiligte Farben waren. Nicht selten ist Gold ihnen zu-
— 34 —
gesellt, welches alle Farben liebt, erhöht und verbindet. Bey obgenanntem Aegmetisclien Tempel
fand man das Giebelfeld, an welchem bemalte Statuen standen, blau überstrichen, die einfassende
Leiste mit einer Art Blätterwerk, den Kehlungen ähnlich, abwechselnd roth und blau mit wcifsen
Rändern; so war am Kranz des Giebels und am Hauptgesimse die Kehlleiste auf der oberen und
unteren Fläche geziert. Bey den Athenischen und Sicilischen Gebäuden werden Spuren eines ähn-
lichen Ornaments gesehen, welches in Aegyptischen Denkmälern mit denselben Farben an der Kehl-
leiste vorkömmt. Den Rinnleisten und die Stirnziegel schmückte blofs gemalter Blumenzierath. Die
Tropfenfelder an der unleren Fläche des Kranzgesimses hatten eine hellblaue, ihre vertieften Zwischen-
räume oder Gassen, (viae) rothe Farbe, und von den Feldern stachen die Tropfen weifs ab. An
den Triglyphen war wiederum blau, an dem unter denselben durchlaufenden Bande des Unterbalkens,
der Tänia, roth aufgetragen. So wechseln in Eyerstäben meistens diese Farben, die Einfassung der
Oven ist aber weifs oder vergoldet, oft ist an Gesimsen der Wulst mit diesem Zierath ausgemalt, die
fallende Welle aber mit Wasserlaub und die Binde mit Mäandern. Am Tempel der Minerva Polias
haben sich in dem Flechtwerk an den Ionischen Capitälen und an anderen Stellen eingesetzte Streifen
und Punkte von gefärbten Posten, abwechselnd roth, blau und gelb, erhalten. Der Geschmack
für farbige Bauzierden brachte sogar auf Zusammensetzungen verschiedener Metallarten, des blau-
angelaufenen Stahls, des Erzes, Silbers, Goldes u. a. wie die Beschreibung von dem Pallaste des
Alcinous im Homer und manche Bronzen aus Pompeji zeigen.
Die bey der Baukunst, genommene Rücksicht auf Malerey ist aber bisher nicht beachtet worden.
Aus derselben erklärt sich erst wie die mannigfaltigen Formen der Leisten und Stäbe in Gesimsen
entstanden. Sie beruhen nehmlich auf der Gewohnheit eines bestimmten gemalten Tempelschmucks
und richten sich, wie wir schon angedeutet haben, nach der Form desselben. Daher zeigt die Kehl-
leiste recht eigentlich die Gestalt grofser umgebogener Blätter, mit denen sie bemalt wurde, Platten
Lü und Binden haben die geometrischen, geradlinigten Mäanderzüge u.s.f. Durch Symbolik und Priester-
satzungen erhielten die Verzierungen an den Heiligthümern festen Bestand, und gröfstentheils läfst
sich noch ihre Bedeutung nachweisen. Binden und Flechten insbesondere, später auch Perlschnüre,
sind von den Weihnngen und Opfern abzuleiten, bey denen weifse und purpurne Wollenbinden
(infulac, orsfifiara) als eine nothwendige Zuthat vorkommen. In Pflanzen- und anderen Zierden
liegt ein eigener symbolischer Bezug. Die Baukunst gebrauchte die Mannigfaltigkeit der Gliederung
bey dem Formenwechsel oder bey dem Abschluß, wie die Musik die Uebergänge zur Verbindung
verschiedener Tonarten oder zur Einleitung in den Schlufston.
Nach dem Zcugnifs des Pausanias 4") wurde im Alterthum dieses Werk des Ictinus unter allen
Tempeln des Peloponnes, den der Minerva Alea zu Tfigea ausgenommen, nicht nur wegen der Schön-
heit des Materials, sondern wegen der Harmonie des Baues für den vorzüglichsten erklärt. Die Wahrheit
dieses Lobspruchs wird bey genauerer Betrachtung und Beurtheilung der Architektur selbst in einzel-
nen, anscheinend Widersprechenden, einleuchten. Unverkennbar ging das Streben des Künstlers
dahin, zur völligen Eintracht des Ganzen, in dem Bau des Apollotempels höchste Anmuth und Zier-
lichkeit mit jener Kraft und Grofsheit zu vermählen, welche die Dorische, aus der Nacht der Urzeiten
hervortretende Bauart vor allen auszeichnet. Er suchte hiedurch jene Mischung der Heiterkeit und
des Ernstes zu erreichen, die sich in selbstgenugsame Ruhe auflöst, und als Charakter des Sinnlich-
Vollkommenen in der Natur wahrgenommen wird. Mit der allmähligen Aufheiterung der auf die
1) a. a. O. vuwv öl vouv Tlflozioyvqalais üal iura yt TOv iv Tiyia TtQOTifuZtoovzo? av xov U&ov %s h JtßAAos xal zijs üi>[invlas h'ivsy.a.
35 —
Natur begründeten Religion der Griechen, welche vom ursprünglichen Glauben an finstere Erdmächte
zu dem an Licht- und Himmelsgötter übergegangen war, und immermehr in edeler, lebensfroher
Sinnlichkeit stieg, mufste das Bedürfnifs entstehen, das Düstere, Geheimnifsvolle, dem Aegypti-
schen Aehnliche, aus der uralten Architektur der Götterwohnungen, woran priesterliche Satzungen
knüpften, zu verbannen; jüngere Bauarten mufsten demgemäfs ihren besondern Charakter erhalten.
Wir können nicht umhin zu bemerken, dafs der also angeregte Wetteifer der Griechischen
Architekten, Leichtigkeit und Schlankheit in Dorische Formen und Verhältnisse zu bringen, dessen
stufenmäfsigen Fortschritten man in den Uebcrresten der Baukunst des Griechischen Mutterlandes
und der Colonien zum Theil historisch folgen kann, nicht ohne Abnahme des Bedeutungsvollen,
Imposanten, des Heiligen und Religiösen, nicht ohne Verlust des Charakters dieser Bauart war, und
endlich zur Ausartung des Stvls führte. Am längsten findet man bey Völkern des Dorischen Stammes,
und wie es scheint absichtlich, das Alterthümliche beybehalten. Gegen eine irrige Ansicht, welche
den Gipfelpunkt der Griechischen Kunst in die Zeit Alexanders des Grofsen hinausrückt, mit Nach-
setzung der Kunst des Perikleischen Zeitalters, zeugen die vorhandenen Ueberbleibsel noch hin-
länglich. Auf Griechischem Boden sich entwickelnd, theilte jene den Griechen angestammte Bauart
die Geschichte der Nation. Wie sie Anfangs das Gepräge der kräftigen Heldenzeit trug, so nahm sie
in der Menschheit Blüte auch das Gepräge der höchsten auf ächte Cultur beruhenden Verfeinerung,
und zuletzt der Verbildung und Charakterlosigkeit an. So mufste sie endlich bey einreifsender
Prunkliebe anderen, zur Ueppigkeit geeigneten Bauarten nachstehen, vor denen sie die Vorzüge der *
vollkommensten Einheit, das Hauptmerkmal vollendeter Kunst, und der mit wahrer Schönheit
bestehenden Einfachheit hat, worin sich ächte Griechheit offenbart. Einen besonderen Reiz, der aus
Griechischen Gebilden überhaupt, und so auch aus Verzierungen, Geräthen u. f. uns anspricht,
giebt die in die Kunst übergetragene Jugend. Der Vergleich mit Naturgcbilden in Zweckmäfsigkeit,
innerem Zusammenhang, Stätigkeit, Nothwendigkeit, erhält vorzüglich bey Musterwerken aus diesem
Kreise der Baukunst seine Anwendung. Dem Naturprinzip organischer Körpergestaltung gemäfs,
beruht das Wesen der Dorischen Bauart auf einer Charakteristik zweckmäfsiger Construction. Im
Gegensatz zu der nordischen, Gothischen oder romantischen, welche in kühnen und künstlichen
Verknüpfungen die Gränzen des Möglichen zu überschreiten sucht, um das Unbegreifliche, Ueber-
schwengliche geistiger Ahndung auszudrücken, strebt diese südliche Bauart, einer sinnlichen Religion
dienend, das Fafsliche, Klare des Naturvollkommenen zu erreichen.
Wenn sich daher die Griechen in dem blühendsten Zeiträume mit besonderer Vorliebe bey
dem BauMer Tempel an diese, durch Religion und Altherthum geheiligte Bauart hielten, so öffneten
sie dem Künstler den Weg zum Ideal der Baukunst. Auch behauptete sich am Längsten hierin das
Wahre und Folgerechte. Spätere Griechische Architekten verliefsen sie aber wegen mancher Schwie-
rigkeiten, die sich ihnen darboten, und fanden sie unpassend für Ileiligthümer ihrer Zeit. Jetzt
glauben noch manche im Vergleich mit den anderen Bauarten in der Dorischen die Kindheit der
Kunst zu sehen. Die Regeln, welche Vitruv, seinem Zeitgeiste gemäfs, für die Dorische Bauart ' \
angiebt, und die in Lehrbüchern noch zu sehr ihren Einflufs behaupten, finden in allen Griechischen
Denkmälern aus der besten Zeit keine Anwendung, ja sie passen am meisten auf die von verdorbenem
Geschmack4*). Auch bilden diese Denkmäler unter sich Ausnahmen. Sie beweisen, dafs damals
w) An dem Nemcischen Jupilertempcl und dem Delischen Porticus des Philippus, wo die Dorische Bauart gerade dem Verfall nahe Itümmt,
glaubte man daher das Vollhommnerc zu sehen, das Muster für die Ordnung abnehmen zu müssen. In dieser Hinsicht kann ich nicht der von
Hofialh Hirt iu dem AYerlie über die Baukunst der Allen, und neuerdings in der Geschichte der Baukunst ausgesprochenen Meinung bejpllichten.
— 36 —
die Künstler nicht nach Vorschriften verfuhren, die überhaupt nur der Nothbehelf in Zeiten der
sinkenden Kunst sind und die freve Geistesthätiekeit hemmen. Wie in der Natur, wirkte noch der
eigene, achte Bildungstrieb, ein lebendiges Bildungsgesetz, in den Künstlern, welche das Ergebnifs
der gestaltenden Blütezeit waren, und die Folgezeit mufste ihre Hervorbringungen als Muster er-
kennen. Noch fand das ärmliche Verfahren der Neueren nicht Statt, die von verschiedenen Gebäuden,
was ihnen das Vollkommenste scheint, entlehnen und zusammenstellen, und mit ängstlicher Genauig-
keit alle die verschiedenen Abweichungen ausmessen; jede Hervorbringung machte ein unabhängiges
Ganzes aus. Bei dem Ionischen Stamme scheint der neue Dorismus vorzüglich sich entwickelt,
durch ihn sich verbreitet zu haben. Athen behauptete auch darin sein Uebergewicht. Mit welcher
Strenge und Gründlichkeit Ictinus bey seinen Werken verfuhr, bezeugt die Erwähnung einer eigenen
K Schrift43), die er mit einem seiner Gehülfen, Carpion, vermuthlich zur Rechenschaft über den
Parthenon verfafste. Indefs, da der Gipfel der Kunst keinen Stillstand verstattet, da der Zeitgeist
stets seine Einwirkung behält, so konnte Ictinus, selbst bey der bewundernswürdigen Reinheit und
I;.' Strenge des Styls, dem Hinneigen zur Ueberfeinerung des Dorischen nicht entgehen, und in so fern
trifft ihn schon ein Theil des Vorwurfs, dessen Spätere schuldig wurden. Aus seinen vorhandenen
Werken läfst sich eine weitere Entwickelung seiner Ansichten in der Fortbildung des neueren Doris-
mus erkennen. Er scheint mit Freyheit seiner Phantasie und seinem Geschmack gefolgt zu seyn,
und nach Ort, Bedüifnifs und Bestimmung seinen Gebäuden ein gehöriges Ansehen ertheilt zu
haben. Im Vergleich mit Ictinus früherem Werke, dem Parthenon, zeigt daher der Apollotempel
die auffallendsten Verschiedenheiten. Bey jenem hatte er sich manches erlaubt, bey diesem Bau
bewies er einen Hauptzug des Genies, die Originalität, die sich nicht an das Gewöhnliche bindet,
sondern selbstgefällig in neuen Schöpfungen sich ergeht. Es galt den jugendlichen, den strahlenden
Gott der Leyer in Charakter, und Anordnung des Baues selbst anzukündigen.
Am meisten weicht dieser Tempel, sowohl im Plan, als in der Ausführung von den Regeln ab.
Die äufsere Säulenstellung, das Pteroma, zeichnet sich durch das Verhältnifs der Säulenzahl in den
Hauptfronten zu der in den Seitenfronten aus, indem sechs Säulen in der Vor- und Hinterfronte und
fünfzehn, mit Inbegriff der Ecksäulen, in jeder Seitenfronte standen. Der um zwey Säulen erweiterte
Raum der Halle vor dem Pronaos und Opisthodom bewirkt die Verlängerung. Uebrigens war dieser
sechs-säulige Tempel (Hexastylos) zugleich Peripteros (mit einem einfachen Säulenumgang) und
Hypäthros (innen unbedeckt) ohne die gewöhnlichen übereinandergestellten Säulenreihen zur Stütze
der Dachöffnung. Selbst in seiner Stellung von N. nach S. (wobey eine Abweichung von 2 Graden
gegen 0. zu bemerken) ist der religiöse Gebrauch der Alten nicht beobachtet, die ihre Tempel wie
das Antlitz beym Gebet nach Osten zu richten pflegten, dem Vitruv ^) zufolge dergestalt, dafs die
Tempelstatue in Osten zu stehen kam und dem Hereintretenden gleichsam aufzugehen schien; jedoch
den meisten Beyspielen nach stand sie auf der entgegengesetzten Seite, die Thüre war östlich und
liefs die ersten Sonnenstrahlen ein. Ausdrücklich wird zum Beweis für diese Veranstaltung die Oblie-
genheit der Betenden erwähnt''6) sich von der Tempelstatue nach der Himmelsgegend und wieder
herumdrehen zu müssen, und also einen vollen Kreis währenddes Gebets zu beschreiben. Hier
scheint die Veränderung der Stellung des Tempels in der Beschaffenheit des Orts ihren Grund zu
haben und, neben anderen Vortheilen, die Sichtbarkeit aus der Ferne und den Ueberblick der Gegend
zu bezwecken. Bedeutend bleibt aber zugleich die Richtung nach den beyden Polen, und der
Priestersage zufolge kam Apollo aus dem Lande der Hyperboreer. Die dem Aufgang der Sonne zu-
gekehrte Stellung des Nebeneingangs in die Cella trifft mit dem gewöhnlichen Gebrauch überein.
Demgemäfs war es gleichfalls ein religiöses Erfodernifs, die Tempel des Sonnengottes, der Mond-
göttiu und des Luftgottes Jupiter innen unbedeckt zu lassen, wie Vitruv lehrt46) und wie wir
den Phigalischen Tempel fanden. Zu den hervorstechenden Eigenheiten dieses Gebäudes gehören
auch die am Pronaos und Opisthodom angebrachten Triglyphen und verzierten Metopen, wovon der
Concordfatempel zu Girgenti, der mittlere Tempel in Pästum und die Nachrichten von dem Jupiter-
Tempel zu Olympia ähnliche Beyspiele darbieten; ferner die im Peristvl abwechselnden Cassalur-
formen; vor allen die innere scenische Anordnung überhaupt, insbesondere der allmählig erhöhte
Boden, die Anbringung und ungleiche Stellung der in Ionische Halbsäujen ausgehenden Mauer-
vorsprünge und die einzeln zwischenstehende Mittelsäule mit einem Blätterknauf. Eine eben solche
innere Bauanlage kennen wir aus dem früheren Alterthume nicht; jedoch zeigen sich Vergleichungs-
punkte bey einem der gröfseren Tempel zu Selinunt, wo man eine ähnliche Erhöhung des Bodens,
drey Stufen am Eingange der Cella, eine zweyte Abtheilung in derselben hinter dem für die Statue
bestimmten Orte findet; ferner bey zwey Heiligthümern aus späterer Zeit, nehmlich bey dem von
Lucian47) erwähnten Tempel zu Hierapolis, den Stratonice, Gemahlin des Antiochus Soter, erbaute,
und bey dem noch vorhandenen acht-säuligen Tempel zu Heliopolis. Im Inneren des ersteren
standen auf den Seiten Bildsäulen, in der Cella des letzteren, Halbsäulenreihen und Nischen; eine
zweyte Abtheilung, der Thalamos, durch Pfeiler getrennt, mit Bühnenartiger Erhöhung, war den N
Hauptstatuen bestimmt und durfte nur von der höheren Priesterschaft betreten werden 48). Die
Eigeuthümlichkeit des Tempels von Bassä könnte man auch bis in die kleinsten Einzelheiten, in
Verhältnifs, Form der Theile, Profilirung der Glieder verfolgen; besonders verdienen die hier
vorkommenden drey Säulenarten eine nähere Beleuchtung.
Der unterscheidende Charakter der Dorischen Säulen dieses Tempels, deren Höhe 5'/, Durch-
messer der unteren Säulendicke beträgt, ist eine strotzende Fülle, welche durch geringere Verjüngung
des Schafts gegen den Hals der Säule, abweichend von den älteren Grundsätzen bewirkt wurde:
damit dieser bey Erhöhung des Stammes Macht und Breite gewinne; gleichwie die Natur, vorzüglich
bey dem Körperbau des Stiers, und wie die Bildkunst ihre Rraftgestalten auszustatten pflegt. In
diesem Ausdruck der Kraft haben sie einen Vorzug vor den Säulen des Theseustempels, die durch
Grazie des Umrisses, durch Feinheit und Sauberkeit der Ausführung unter allen bekannten Beyspielen
«) L. I, C. 2.
•*") De Dea Syria.
*a) Der Vergleich, tten die innere Einrichtung des Phigalischen Tempels mit der einer christlichen Kirche zulafst, wenn man die
Seitennischen -wie Nebcncapellen, den Ilintcrranm der Cella als das Chor betrachtet, hat bey den bisher fehlenden genauen Nachrichten Ton
dem Gebäude, Herrn Prof. Tölken Änlafs gegeben (in der Abhandlung über das Basrelief, Berlin i8i5, welche auch das Phigalische Denkmal
betrifft) einen christlichen Umbau des Tempels zu vermuthen. Hiezu benennt sich auch Hofr. Hirt in seiner Geschichte der Baukunst, wobey
aber der Irrlhum zu Grunde liegt: die Bildliche waren als Fufsboden gefunden worden, die Hauptthürc, die nördlich steht, habe eine Umän-
derung wegen eines christlichen Altars erlitten, die Scitenthüre und die einzelne Säule mit dein Blattcrknauf rühre aus dem Mittelalter her;
letztere ward deshalb im Grundrisse ganz weggelassen. Den etwanigen Zweifel an die Unverfälschthcit der Bauanlagen zu heben, mufs daher
zu dem Obenerwähnten hier die ausdrückliche Anzeige nachgetragen werden: d.ifs anfser den irdenen Dachziegeln keine Spur einer Abänderung
aus späterer, viel weniger aus christlicher Zeit, zu bemerken war, und schwerlich hätte sie der Betrachtung entgehen können, da die i
Symmetrie und Sauberkeit Griechischer Bauwerke sich auch auf Zusammensetzung und Einrichtung aller einzelnen Werkstücke erstrecht,
deren Form, Zahl und Lagen der Künstler vorher bedacht haben mufste und an denen nicht das mindeste verändert Menden konnte, ohne die
Ordnung des Ganzen zu stören. Uebrigens winden sieb alle christlichen Umänderungen schon aus der Anwendung des Mörtels zum Verband
der Steine erkennen lassen. Die Originalität des Grundrisses stimmt übrigens vollkommen zur Originalität aller einzelnen Theile des Gebäudes,
und die Aehnlicbheit mit manchen christlichen Kirchen ist nur ein Beweis, dafs eine gleiche Einrichtung aus Vorbildern Altgriechischer Tempel
aufgefafst wurde, wie denn Pausanias verschiedene anzeigt, in welchen Atläre und Bildsäulen mehrerer Gottheiten standen, z. B. im Phlvischcn
Ganton in Attica (I, 3l.).
10
— 38 —
sich auszeichnen. Eine besondere Zartheit liegt in der mit der Verjüngung des Säulenschafts zugleich
beginnenden, fast unmerklichen Schwellung, die deshalb auch manchem Beobachter der verfeinerten
Dorischen Ordnung entgangen, als eine Eigenheit der älteren Bauart, die sie sehr stark anzugeben
pflegte, betrachtet und in Nachahmungen verschmäht worden ist. Aber die von den Architekten
Herrn v. Haller und Gockerell angestellten Prüfungen haben die Richtigkeit jener Beobachtung
erwiesen. Diese zarte Enlasis, wie sie mit dem Runstworte heifst, benimmt dem Säulenschaft das
Starre und ertheilt ihm das Ansehen einer organisch-lebendi"en Form. In demselben Sinne sind auch
die übrigen Theile der Säule geformt, und in keiner anderen Bauordnung findet dermafsen ein har-
monischer Zusammenhang der Theile, ein sanfter Ucbergang und eine gleiche Zartheit der Umrisse
Slatt. So scheint das Capital, ungetrennt von dem Schaft die Säule vollendend aus ihm hervor zu
wachsen. Die Einschnitte und Reifchen am Halse und am Wulste oder Echinus der Säule, deuten
nur die Scheidung an. Die Gestalt des Capitäls ist mit so feinem Geschmack auf die Wirkungen des
Lichtes und Schattens berechnet, dafs sie stets die sanftesten Abstufungen.und die angenehmsten
Linien bilden und zu allen Tagszeiten, in gefälligen Spielen wechselnd, diese Gestalt auszieren. Das
Profil des Säulenhalses und Echinus hat den Charakter des Umrisses an jugendlichen menschlichen
vi Körpern; der Echinus, dessen Oberfläche wie ein schwellender Muskel weich geschwungen ist,
scheint einer nachgebenden Blasse gleich unter dem Druck der Platte (Abacus) überzuquellen. Das
blofse Behauen der Ecken eines Würfels zu einem schrägen Ablauf konnte wohl nicht diese Form
veranlassen, welche wir gerade bei den ältesten Dorischen Säulen am meisten ausgebogen und
gerundet, künstlicher gebildet sehen, welche die Architekten späterhin immer mehr zu vereinfachen
strebten, aber in den besten Kunstepochen mit so viel Liebe behandelten und deren bedeutender
Charakter sich dem Betrachter aufdringt.
Bekanntlich gestattet die Baukunst, die von eigenen strengen Gesetzen ausgeht, nur eine
nach diesen modificirte Nachahmung der Naturgegenstände; sie pflegt durch eine Umwandlung in
ihrem Sinne sich die Formen erst anzueignen, die Gegenstände selbst in eine andere, ideelle Natur
überzutragen, so dafs von den Urformen oft nur eine Andeutung bleibt, die in einem Schleyer verbor-
gen, den Anschein der Zufälligkeit annimmt. Daher wird das Nachgeahmte dem Räthsel ähnlich und
reizet ebenfalls zu dem Genufs, aus gegebenen Spuren die Grundidee zu errathen. Die Entstehung
der Dorischen Säulenordnung, die A'ifruv blofs für zufällig hält, während er die Verzierung in den
andern Ordnungen metaphorisch deutet, hat man sich, wie schon angezeigt, aus roher, mechanischer
Bearbeitung, aber unbefriedigend, zu erklären gesucht. Bey der allgemeinen Bedeutsamkeit, welche
der religiöse Sinn des frühesten Alterthums nicht allein in Verzierungsart, sondern oft im Plan der
Heiligthümer durchführte, deucht uns auch diese Säule nicht, ohne höhere, sinnige Absicht ent-
standen zu seyn. Ein in Neapel gefundenes antikes Fragment einer kleinen Säule scheint, das Motiv
treuer wiedergebend, hierüber Belehrung zu ertheilen, und an manchen Aegyptischen Säulen finden
wir, nur in verschiedener Behandlung, dasselbe. Demnach stellte die Säule eine mit einer Platte
überdeckte Garbe Lotuspflanzen vor, die, unter den Blütenkelchen an zwey Stellen mit dreyfacher
Umgürtung gebunden, den schwellenden Knauf und die Reifchen, deren Stengel die Streifen des
Säulenschafts abgaben. Dafs zu den ältesten Dorischen Säulen Holz gedient hat, bezeugt die an der
Hmterhalle des Junotcmpels zu Elis im Althcrthum aufbewahrte Säule 49). So wäre also die zum
A.nwurf nöthige Berohrung hölzerner Säulen, wie in Aegypten die noch in Stein vorhandene, treue
50) S. Proclus de Sacrif. et Mag. ed. Mars. Ficin. ap. Tornaes. Lttgd. 1677.
sl) Sowohl in Aegyntischen Bildwerken, als in Griechischen Vasenbildern u. f.
aa) S. Hirts Gesch. d. Bauliunst.
4o
eine höhere, leichtere Säulenordnung und die volle Masse der Mauervorsprünge, um eine Ueberein-
stimmung in den Verhältnissen zu bewirken. Daher brachte der Baukünstler Ionische Halbsäulen an
und gab ihnen ungewöhnliche Schlankheit, indem er zugleich durch eine zierlich geschwungene Linie
den gestreiften Schaft in den Säulenfufs überführte und diesen, nach unten, fast zu einem vollen
Kreise ausbreitete. Hierbey berücksichtigte er nehmlich eine innige Vereinigung des Mauervorsprungs
mit der Halbsäule, wodurch sie, gleichsam als ein aus demselben entsprossenes Gewächs, als Theil
einer breiten Masse erschien, und trachtete, mit Vermeidung des Kleinlichen in Verhältnissen, dem
Ganzen das Ansehen eines festen und sicheren Standes zu ertheilen. Die Gliederung des Säulen'fufses,
von dem Künstler einfacher, als die regelmäfsige Ionische und Attische Basis ersonnen, bekam
dergestalt eine ungewöhnliche, aber überaus gefällige, reine Form, die sich durch Erweiterung der
Kehle und Verminderung eines obern Wulstes vorzüglich auszeichnet. Auch das Capital der Ionischen
Halbsäulen ward in vorkommendem Falle auf besondere Weise gestaltet (s. die Vignette über der
i'°" Abthl.) und für die Wirkung an seinem Platze berechnet. Die Schwierigkeit, dem Ionischen
Capital in den inneren Ecken eine gehörige Form zu geben, mogte zugleich hierauf und auf die
schräge Stellung der beiden Mauervorsprünge Einflufs haben. Zu bedauern ist, dafs von jenen
Eckcapitälen keins gefunden wurde. Die starke Beleuchtung in welcher die Capitäle standen', machte
die feinsten Biegungen der Form dem Auge fühlbar. Damit nicht starke Schatten ihre Einfachheit
und Grofsheit stören, ist die Arbeit flach gehalten. In der Seitenansicht dieses Capitäls" wiederholt sich
die Hälfte der Vorderansicht statt der Polster, wovon bisher nur sehr späte Beyspiele bekannt sind. So
entsteht die Doppelgestalt vorgewendeter Voluten, welche mit einem einfassenden Gjiede und mit
wenig gehöhltem Canal, durch auffallende Gröfse zu Vereinfachung des Capitäls bey tragen, indem sie,
bis auf einen engen Zwischenraum, nahe zusammentreten und Statt nach oben in einer geraden oder
gesenkten Linie, sich höher in einer flachen Bogenlinie vereinigen. In dem engen Zwischenräume ist
an der Stelle des Wulstes und gewöhnlicher Zierathen nur eine oben geschweifte, sanfte Ausbiegung
und darunter ein Rundstab gebildet. Auch die Platte fehlt, oder erscheint vielmehr mit den sich
herabneigenden Voluten verwachsen; durch vorstehende Ecken ward über der Bogenlinie eine gerade
Fläche ausgeglichen, auf welcher der Architrav zu ruhen kam. Wenn wir nun anderen Ionischen
Capitälen den Vorzug einräumen mögten, so können wir doch nicht aufser Acht lassen, dafs der
Künstler w'eislich das Ganze im Auge behielt und bey den Einzelheiten stets auf das Gehörige bedacht
war, woraus denn jene gepriesene Harmonie des Gebäudes hervorging. Zugleich sind diese Säulen
merkwürdig, weil sie mit denen, fast ganz zerstörten, in den Propvläen von Athen zu den ältesten
Ueberbleibseln Ionischer Ordnung gehören. Hohe Einfalt kündet hier die beginnende Bauordnung
an, die noch frey von allen, erst späteren, Zuthaten sich erhielt.
Was die Verzierung der dem Ionischen Capital charakteristischen Voluten betrifft, welche auf
mannigfaltige, oft abgeschmackte Weise gedeutelt worden, so scheinen sie unzweifelbar von Widder-
hörnern herzurühren. Der Gebrauch, Altäre mit Hörnern, dem Sinnbilde der Macht und Hoheit
zu schmücken, war uralt und entstand cinfacherweise zum Zeichen dargebrachter Opferweihen.
Statt jener setzten die Bildner späterer Zeit ganze Widderköpfe an die Ecken derselben, und in Bau-
zierden mit Perlenschnüren umbundene Schädel von verbrannten Opfern. Apollo, der Lehrer der
Baukunst, sollte zuerst den Altar und die Wände seines Heiligthums zu Delus mit. Hörnern von
Böcken geziert haben53) Auf Altgriechischen Vasen, insbesondere der Athener, des Ionischen
Bey Erwähnung der Ionischen Halbsäulen ist gezeigt worden, wie sie, ihrer Bestimmung
gemäfs, den Mauervorsprüngen als Zierde zu dienen, Basen -von einer eigenthümlichen Gestalt
erhielten; die Basis der einzelnen mufste nun auch einer ganzen Säule angemessen, anders gebildet
werden, obgleich im Hauptmotiv übereinkommend. Die an sich anmuthige, geschwungene Linie,
vermöge welcher die Halbsäulen in den Gliedern der Basen weitauslaufen, hätte an einer frey-
stehenden Säule übertrieben geschienen. Hier wurde sie daher vermindert, die Glieder wurden
zusammengezogen, die Riefen des Schafts aber nicht ganz bis an den Pfühl herabgeführt, damit der
Verlust sich in der Höhe ersetze, ein allmähliger Uebergang des Schafts in den Säulenfufs gleichfalls
entstehe und dergestalt das Vcrhältnifs sich ausmittele. Die Regel, die auch bey Corinthischen Säulen
die Attische Basis vorschreibt, wurde hier also nicht befolgt, oder ihre Gliederung die eine Wieder-
l: '! holung des Pfühls enthält, kam vielleicht später erst auf. Ein schlankeres Capital, als das Ionische,
mufste bey der freystehenden Säule, wegen des Verhältnisses, dem Künstler nothwendig scheinen.
Die Blatter des Säulenknaufs (s. die Vignette zu Ende der itcn Abthl.) sind weder vom Oehlbaum,
noch Aeanthus, sondern vielmehr von einer conventionellen Form, einer Wasserpflanze im Steinsinn
nachgebildet. Dafs auch die Blätter der Aloe als Motiv zu solchen Architekturzierden dienten, beweist
ein Athenisches Vasenbild66), wo sie mit den natürlichen Farben unter der Palmette an einem
Grabpfeiler vorkommen. Ein höherer Grad von Einfachheit und Grofsheit in der Bildung und
Anordnung der Blätter unterscheidet dieses Capital von anderen, zur Corinthischen Ordnung gehö-
renden. Vier eingezacktc grofse Blätter und doppelte, schneckenförmige Auswüchse biegen sich
unter die vier Ecken der Platte hinauf; mit je zwej'cn zwischenstehenden Auswüchsen und der von
;<iü-, diesen getragenen Blume oder Palmette, ragen sie über eine Reihe kleinerer Blätter hervor. Durch
Schneckenwindung und Grofse der Auswüchse wird hier eine Uebereinstimmung zu den Ionischen
Voluten gebildet. Den glatten Grund der Kelchform des Capitäls, zwischen den grofsen Blättern
und den Blumen, füllt die doppelte "Reihe gemalter, Schwerdlilieuähnlicher Blätter, die nebenden
Blumen entspriefsen. Den Abacus oder die Platte schmückt ein gemalter Mäander, ein bedeutsames,
architektonisches Ornament, mit welchem man die verschlungenen Gänge des Labyrinths, den
wiederkehrenden Sonnenlauf durch die Zeichen des Thierkreises dargestellt findet6?). Ueberbleibsel
von Farbe bemerkte man nicht mehr an diesen Malerwerken, auch sonst nirgends, wro dergleichen
bey dem Gebäude vorkamen. Durch Eindringen einer fressenden Beitze scheinen die Verzierungen
in die glatte Oberfläche des Marmors eingeäzt gewesen zu seyn, so dafs eine Rauheit und Vertiefung
zurückblieb, die sie noch vom Grunde unterschied; an anderen Denkmälern erhielten sich aber
zugleich Farbenreste.
In dieser Säule haben wir das früheste bekannte Beyspiel der Säulengattung, welche, dem
Vitruv zufolge, erst später die Corinthische genannt wurde, als der Toraute, Architekt und Maler
Callimachus mit dem Beynamen Katateclmos, der Verkünsteler, oder Kakizoteclmos, der Kunst-
ladler, die Piegeln dieser Säulenordnung festsetzte, von der auch schon Argelius, der mit Hermogenes
und Pytheus (ein Architekt aus der io6tc°Olymp.) genannt wird, Vorschriften des Ebenmaafses angab,
und von der wir Prototypen in Aegypten finden. Eine Erwähnung dieser Säulengattung aus der
Vorzeit des Callimachus, aber später als das hier vorhandene Beyspiel, kömmt in Pausanias Be-
schreibung des von Scopas in der 96"™ Olympiade erbauten Minerveutempels zu Tegea vor, und
",|iil;
SB") Er hatte die Statue des Zeno, des Stifters der Stoischen Seilte, der um diese Zeit lebte, (Biogen. I.aert. VII. segm. 6.) verfertigt
(Plin. N. H. 1. 34- c. 8.), zuerst den Steinbohrer gebraucht (Pausan. I, 26.), wurde dem grofsen Meister weit nachgesetzt und nur wegen seiner
Geschicklichkeit bewundert. Plinius fuhrt ihn in der Reihe der Künstler zuletzt, vor der Periode des Stillstands der Kunst an.
5u) Vitruv. IV, 1.
— 44 —
finden, dafs Callimachus zuerst gewagt, ganze Gebäude in dieser Bauart aufzuführen. Von einem
Corinthiscben Tempel kennen wir aber auch aus jener Zeit in Griechenland kein Beyspiel; wenige
Ionische Ueberbleibsel ausgenommen, sind die übrigen alle Dorisch. So werden wir auf den Gedan-
ken geführt, dafs die Corinthisclie Bauart in der Zeit der höchsten Kunstblüte deswegen nicht
gleichen Eingang gefunden habe, weil sie mit den Foderungen des Ernstes, der Buhe, der hohen
Einfachheit und Reinheit der Form in Griechischen Tempeln sich nicht vertrug, weil sie als eine
Abart, aus der Dorischen und Ionischen Ordnung entstanden, für accessorisch galt, und weil der
strengsondernde Geschmack sie nur in den Fällen anwandte, wo ein Spiel der Phantasie zulässig
war, nämlich an kleinen Monumenten oder im Inneren der Gebäude. Wenn bey Abwechselungen
die bestehende, spröde Ionische Bildung nicht auslangte, so konnte ein Pflanzenwerk, welches sich
mancherley Formen anschmiegen läfst, aushelfen.
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ZWEYTE ABTHEILUNG.
DIE BILDWERKE.
b*
Erster Abschnitt.
Die Reliefs des Ionischen Frieses.
Wie nun alle Einzelheiten der Architektur des Tempels, in. so fern sie als Werke des
Architekts zu hetrachten sind, durch Einfachheit, Grofsheit, Mannigfaltigkeit und Originalität sich
auszeichnen, so enthalten die damit verbundenen Schildereyen des Bildners, der gänzlich in die
Ansichten des Architekts einzugehen, seine Werke ihm anzueignen, ihm unterzuordnen wufste,
dieselben charakteristischen Vorzüge, und stehen daher in vollkommenster Uebereinstimmung mit
dem Ganzen. Diese Gebilde aus einem anderen Reiche der Kunst, gewähren wiederum ein eigenes,
neues Interesse. Der Quelle.gleich, die durch den Hufschlag des Pegasus aus starrem Felsen entsprang,
überraschet hier, durch den Meisel hergezaubert, ein Ergufs wechselnder Bildungen. Sie schmücken
ebenso die starren Massen der Architektur mit den Erscheinungen des regsamen Lebens, der Be-
wegung, ohne welche auch die Natur uns nicht befriedigt. Diese Bestimmung der Friese zeigt schon
die ihnen eigene Griechische Benennung £apöooi (Thierträger, oder Träger des Lebendigen). Zugleich
dienen solche Bildungen besser, als die todten Buchstaben der Inschriften es vermögen, Sinn und
Bedeutung des Gebäudes auszusprechen.
Einen gleichen Zweck erkennen wir auch in den mythischen Darstellungen, die der innere
Ionische Fries der Cella enthält, die wichtigste Ausbeute der Grabungen und der Hauptgegens'tand
dieser Rupfersammlung. Sie sind auf iZ Marmorplatten, die sich in ununterbrochener Reihe zusam-
menfügen lassen , in hohem Relief ausgearbeitet, und so liefern sie die in ihrer Art einzige Tempel-
I.^^Mlil
— 4.6 —
Verzierung, welche, einzelne Beschädigungen unheachtet, uns aus dem Alterthume vollständig blieb.
Eine allgemeine Uebersicht giebt das Rupferblatt T. VI., welches in der Aufstellung sämmtlicher
Marmorplatten nach zusammenhängender Folge, in der Ergänzung fehlender Theile, den früheren
vollkommenen Zustand des Frieses zeigt. Die folgenden 23 Kupferblätter (von T. VII. bis XXIX.)
enthalten die Abbildung jeder einzelnen Marmorplatte für sich, etwa von einem Viertheil der Grö'fse
des Originals, mit Andeutung der Brüche und Beschädigungen, der zur Befestigung angesetzter
Waffen eingebohrten und zum Theil noch mit Metallnägeln versehenen Löcher, wie auch der zur
Haltung der Tafeln für Stifte und Klammern bestimmten Vertiefungen. Diese Blätter veranschaulichen
den Zustand, in welchem der Fries durch Zusammenfügen aller vorhandenen Bruchstücke aus den
Trümmern hervorging.
Die Höhe jeder Marmortafel beträgt nach Englischem Maafse 2 Fufs 1 "/£ Zoll; in der Länge
derselben sind Verschiedenheiten, die sich nach den Gruppen und dem ihnen bestimmten Platze
richten. Die meisten haben mehr als vier Fufs Länge. Die Gesammtheit der Tafeln begreift eine
Längenausdehnung von 101 Lond. Fufs 2 Zoll. Dieses Maafs trifft nach Abzug des Ueberschusses
von 2 Zoll, welcher bey Einsetzung der Platten sich verbarg, mit dem Umfang des Raumes in der
Cella übercin, wo der Fries angebracht war; und wie schon erwähnt, ergiebt sich hieraus die Voll-
ständigkeit der Marmorplatten.
Da man bisher ihre Folge nicht gefunden und hierauf verzichtet hatte, so ist sowohl ihre Voll-
ständigkeit in Zweifel gelassen, als sogar die Meynung geäufsert worden'), dafs kein nothwendiger
Zusammenhang unter ihnen stattfände. Die Ergebnisse meiner Beobachtungen erweisen das Gegen-
theil. Mehrere Platten haben in den Darstellungen selbst Beziehung auf die folgende; bey anderen
deutet eine Vertiefung oder ein freyer Baum die Stelle an, wo die von einigen Platten überragenden
Theile des Reliefs aufzuliegen kamen. Uebrigens setzt schon die wiederholte Abwechselung von
nackten und drappirten, männlichen und weiblichen Figuren, von thierischer und menschlicher
Form, eine harmonische Verbindung voraus; durch die Bestimmung für die Architektur wird eine
gleichmäfsig verzierende Anordnung bedingt; endlich erheischt die Idee des Ganzen selbst eine
gehörige Folge. Die Abtheilung in meistens ähnliche und zwey Gruppen enthaltende, gleichwinkelige
Marmorplatten hat der Künstler wegen der bequemeren Aufstellung und der Notwendigkeit gerad-
linigter Abschnitte beobachtet, welche die Ordnung und Sauberkeit architektonischer Construction
zum Gesetz macht. Zwey Platten (T. XIV. N°. 8 und T. XXVI. N°. 20.) auf denen der Gegenstand
absichtlich gedrängter erscheint, sind um vieles länger, und eine (T. XXV. N°. 19.), die als ein
Anhängsel zu der letzteren gehört, mufste ebendaher die kürzeste von allen werden. Denselben
Grundsatz der Abtheilung befolgte man auch in den Friesen des Parthenon und des Theseustempels.
Dieses beschränkt und erschwert freylich die Gomposition und so haben neuere Künstler sich erlaubt,
die Architektur nicht beachtend, willkührlich in ungeraden Linien an den Figuren oder mitten durch
dieselben die Abschnitte zu machen, wobey der Anschein von Brüchen unvermeidlich entstehen
mufste. In dem vorliegenden Friese half sich der Bildner durch das erwähnte Ueberragen einzelner
Theile der Figuren von einer Platte auf die andere. Bey den verschiedenen Versuchen, die ich
anstellte, um sämmtliche Platten in ihre wahre, richtige Folge zu bringen, zeigte sich immer irgendwo
ein Uebelstand in Anordnung der Figuren, bis die hier T. VI. mitgetheilte meine Federungen allein
1) "Vun Herrn "Wagner : seinen Abbildu des Frieses: Eassorelievi antichi della Grecia eetr. Roma i3i4. Herrn Combe im
Brilt. iitiseenwerk P. IV- pag.
- 47 -
befriedigte. Die Gründe dieser Zusammenstellung werden unten bey Erörterung des Gegenstandes
sieb nocb mehrfacli darthun lassen. Von festen Punkten, welche die Betrachtung des Ganzen dar-
bietet, und von sicheren Anzeigen, welche einzelne Platten enthalten, bin ich hiebey ausgegangen
und habe die übrigen, je nachdem sie mit den anderen in Uebereinstimmung kamen, dazwischen
gereiht. Da nun die Composition dergestalt in ungestörte, gefällige Linien zusammentraf, und einen
dem Heiligthum angemessenen Sinn zeigte, zugleich mit Maafs und Eintheilung des Standorts über-
einstimmte, so glaube ich hierin den Beweis der Richtigkeit erkennen zu dürfen. Die jetzt durch
das Brittische Museenwerk bekannt gewordenen Maafse der Marmorplatten führen diesen Beweis zu
gröfserer Evidenz.
3. IX. . 4 XX. . . 4 5
» 5. » XL . 4 » 4% » » 16. » xxn. . 4 » I »
5o Fufs 7/Zoll.
5o » 6/ »
Gesammtbetrag 101 Fufs 2 Zoll.
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2) Im Einverständnils mit der Ansicht, dafs die Marmorergänzung antüler Kunstwerke oftmals dieselben verdorben wegen der Schwierig-
keit der Auflassung des Styls und Gefahr einer Beschädigung, schlage ich dieses Mittel Tor.
I a) S. den achten der Nemeisehen Siegcsgesange V. i5., Urschrift und Uebers. Ton F. Thiersch.
4) Italuv, Lobgesang, bey Homer Hymnus zur Tilgung eines Uebels.
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iffllt
49 -
Freundes Pirithous Hochzeit. Die Hülfserscheinung der Gottheit macht den Uebcrgang von einer
Vorstellung zur anderen und ein Baumstamm die Scheidung zwischen Anfang und Ende der zu-
sammenlaufenden Binde.
Erhabener und zugleich schicklicher konnte der Gegenstand zu dem Friese eines Tempels nicht
aufgefafst werden, wo der Gott als Helfer, oder, nach Athenischer Benennung, als Uebelabwehrer,
inwohnend verehrt wurde. Die Beziehung auf ihn geht aus dem Ganzen genugsam hervor, obgleich
einige auch hieran zweifeln wollten. Zwar könnte bey dem ersten Anblick die Wahl der Begebenhei-
ten des Attischen Nationalhelden zur Verzierung eines Tempels in Arcadien, in der Noth verheerender
Seuche errichtet, befremden. Im Sinne neuerer Kunst hätte man wohl gar die belieble Darstellung
der Schrecknisse der Pest selbst vorgezogen. Allein, genau betrachtet, liefs sich überhaupt diese
Darstellung nicht mit dem Zweck des Tempelbaues vereinbaren, indem der Gott selbst für des
Uebels Ursache und dieses für eine Strafe von ihm galt. Die Wahl des Gegenstandes beruht auf
einer künstlerischen Ansicht, die sich mit einer religiösen und priesterlichen verbindet. Der Künstler
läfst den Unterschied der Zeiten schwinden: er mufs Vergangenheit und Zukunft in die Gegenwart
ziehen. Wie die Ferne im Baume dem Auge, erscheint auch die Zeitferne dem inneren Sinne in
einem lieblichen Farbenduft, reizender als Nähe und Gegenwart; zumal wenn sie durch die Bilder-
sprache heiliger Sagen in einem wunderbaren Halbdunkel steht. Den Dichtern gleich, die mit
Mythen den Stoff ihrer Hymnen zu verweben pflegten, wovon die vorhandenen Beyspiele zeugen,
gaben daher die Bildner vorzugsweise in diesem symbolischen, heiligen Kreise dem Gegenstande der
Tempelzierden erhöhende, sinnvolle Einkleidung. Die Priesterlehre wies diesen Sagen bey Heilig-
thümern den Vorrang an. Hier konnten sie an den Wandel der Götter unter den Menschen erinnern
und der strebenden Jugend ihre Vorbilder, die Heroen, den Stolz der Griechen, Mittler zwischen
Menschen und Göttern, zeigen. So sehen wir in den Pindarischen Hymnen, nächst den Göttern,
stets die Heroen gefeyert. Der tiefere Sinn, der sich bey näherer Untersuchung in den Darstellungen
findet, war von den Priestern beabsichtigt, zugleich sollte er aber der materiellen Menge verborgen
bleiben und in recht menschlicher Hülle erscheinen. Jede Allegorie wäre kalt und gezwungen gewesen
in Vergleich mit den bedeutsamen Begebenheiten aus der Helden wirklichem Leben.
Nun theilte damals Phigalia mit Athen gleiches Schicksal und Vorhaben und berief dorther den
Meister zum Tempelbau. Sollte der Unterschied der Beynamen, die der Gott bey dieser Gelegenheit
erhielt, Alexikakus in Athen und Epikurius zu Bassä nicht andeuten, dafs zugleich der Dienst des-
selben herübergeführt und zur Hülfe bey den Phigaliern gegründet wurde? Die Athener waren
wegen ihrer Gottesfurcht bekannt. Sie beteten einen Sonnengott6) an, den Sohn des Feuergottes
Hephästus und der Luftgöttin Athene, Apollo Patrous, Ahnherr, Gott ihrer Väter genannt. Diesen
Sonnengott liefsen sie aus Erkenntlichkeit wegen der aufhörenden Pest vor seinem Tempel als
Alexikakus durch Calamis darstellen 6). Jedoch unterschied man Helios von Apollo, indem einmal
die Sonne nach ihrer Erscheinung, am Himmel auf- und niedeifahrend und strahlend, ein andermal
nach ihren Wirkungen personificirt wurde. So trug Apollo die Bevnamen Phöbus, der Leuchtende, 1
Beinigende, prophetisch begeisternde, Thermius, der Wärmende. Er wurde stets bartlos dargestellt,
weil die Sonne mit jedem Morgen sich gleichsam wiederverjüngt (Isidor. Orig. 1. VIH.). Als eine
und
Eigenschaft der Sonne legte man auch die Heilkraft dem Apollo und nicht blofs dem von ihm hlff
r
n
erzeugten Gotte der Heilkunde bey "). Zu Elis hiefs er Aeesius, der Heilende, in derselben Beziehung
wie zu Athen Alexikakus (Pausan. VI, 24-). Er ist die Sonne, führt Pausanias 8) an, die durch ihren
Jahreslauf die Luft gesund macht, und diese heilsame Luft Asklepius. Selbst der Name 'Asiillav
sollte für 'AnBlav gebraucht, von äsrslavvco rüg vöaove (ich vertreibe Krankheiten) herkommen und
so viel als 'Als^ixaKOi bedeuten, zugleich in Hinsicht auf schädliche Einflüsse der Sonne, durch
ünollofu erklärt, Verderber heifsen'). Die Deutsamkeit der Namen sollte den ganzen Dualistischen
Begriff der Gottheit umfassen. Ebenso galt sein Name Ilaiav und 'Jr/ioe in doppelter Bedeutung, indem
der erste sowohl von srata, ich schlage, treffe, hergeleitet, als für staiav, Arzt, genommen werden
konnte, der zweyte sich durch [evai, hinsenden, schiefsen, oder läaäai, gesunden, erklären liefs;
und die Völker nannten ihn bald "Oohos, Gesundheitgeber, bald Aoiftioe, Pestgott.
Ein frommer Verehrer des Athenischen Stammgottes, des Apollo Patrons, war der Athenische
Stammheld Theseus, der schon im Anbeginn seiner Laufbahn durch Darbringung seines Haupthaars
sich ihm geweiht, ihn als Schutzgott erkennend, durch Opfer und Gelübde seiner Unternehmungen
glückliche Vollbringung erlangt, den Dienst desselben verbreitet hatte, ein Muster der Apollodiener.
Sein Geburtsort im Trö'zenischen Gebiete, seine Thaten gaben auch den Peloponnesern Ansprüche
M
auf ihn. Darum war bey Kampfübungen nächst des Merkur und Hercules, Theseus Verehrung all-
gemein eingeführt '") und er glänzte an manchen Heiligthümern aufser Attica. Nach damals schon
entstandener Auslegung der Mythe von diesem Helden erscheint er als die personificirte Sonnenkraft,
ein Sonnen-Held, der gleich dem Herakles die Sonnenbahn im Thierkreise durchwandert und im
Jahreslaufe das Uebel bekämpft ") ; Theseus heifst der Beschauer, Seher, der Setzer, Gesetzgeber
und Ordner. Vor der Wirksamkeit der Sonne weichet die Pest. Der Sinn des Frieses mufste eben-
daher sowohl mythisch, als symbolisch, auf die Sonnenverehrung sich beziehen.
Jedes Uebel kommt dem Menschen wie eine feindlich andringende Gewalt vor, und nahe lag
in ihren Wirkungen der Vergleich der niedermähenden Seuche mit dem der Schlacht. So glaubten
die Römer, dafs von Mars, den man gleichfalls auf die Sonne bezog (Macrob. Sat. I. c. 19), die Pest
herrühre, und ein vom Himmel gefallener Schild war das Zeichen des Heils während derselben")-.
Den Doppelsinn bestimmt schon der vom Orakel ertheilte Anruf: //) oder °ie staiav.' welcher die
Amazonenschlacht entschied (s. unten die Mythe). Die siegende Macht des ferntreffenden und hel-
fenden Gottes liefs sich dergestalt am besten versinnlichen. Lichtgötter wurden stets im Streite
h gedacht, wirkend gegen die schädlichen Mächte der Tiefe, der Finsternifs, des Winters, also auch
ihrer Anhänger, und daher als Retter und Helfer verehrt, (s. Creuzers Symb. 2t(,r Thl. S. 789.
zw. Ausg.)
Jene Amazonen- und Centaurenschlachten gewährten den Griechen gemeinsames Interesse.
!'. I Den Amazonen- und Scythenzug verglich man, als den ersten Einfall der Barbaren, dem Perserzuge.
In einer bedeutsamen Zusammenstellung standen an der Burgmauer zu Athen vier Schlachten, die
I I! •
(
— 5a —
Unglück der Pest und der durch sie veranlassten Unordnungen '7) zu verfallen befürchteten. Der
Künstler fand hier alle erwünschte Gelegenheit durch die Behandlung des Gegenstandes den Sinn des
Heiligthums nahe zu bezeichnen. Er konnte die Empfindungen für eine Gottheit, von der man Hülfe
in der Noth, Rettung erwartet, ausdrücken und schon im voraus die Zuversicht auf die Erfüllung
derselben erwecken. So dachte er denn auch diesen Fries als die Weihe des Heiliglhums, als einen
Sühn- und Lobgesang auf den Ferntreffer, dessen tödtende Pfeile man von sich abzuwenden, zu
eignem Heile den Feinden zuzukehren hoffte, dem man sich als einem Schutzgolte empfahl, ihm
gleichsam mit kindlichem Sinne Beispiele seiner Huld und Wohlthaten im Bilde vorrückend. Bedeu-
tender Weise schliefst daher die ganze Reihe der Rampfvorstellungcn mit Anrufung des Gottes um
Beystand und mit dessen Erfüllung.
Uebrigens waren diefs zu selbiger Zeit Lieblingsgegenstände der Kunst geworden. Für die
Bildnerey vorzüglich geeignet, insbesondere zum verzierenden Relief, boten sie den im ganzen Kunst-
gebiete günstigsten Stoff zu Tempelfriesen dar. Denn bey der Abwechselung und zum Theil wunder-
baren Vereinigung von Thier- und Menschennatur, bey der Verschiedenheit von Geschlecht und
Alter, Charakteren und Gemüthszutänden, von seltsamen Verwickelungen und Bewegungen, bey
diesem Reichthum in Formen und Zusammenstellungen, gestatteten sie eine gleichmafsig wiederho-
lende Fortsetzung. Da sie allgemeine Wichtigkeit und Beziehbarkeit auf alle Götter als Ordner (Seoi)
1 und Culturbegründer hatten, so konnten sie an mehreren der vorzüglichsten Tempel, Statuen und
Thronen verschiedener Gottheiten angebracht werden; und häufig finden wir auch beyde Gegenstände
an demselben Orte vereinigt. In dem äufseren Dorischen Friese des Parthenon erhielten die Metopen
auf der südlichen und östlichen Seite Centauren - , auf der nördlichen und westlichen Seite, noch aus
wenigen Spuren erkennbar, Amazonenkämpfe. Die Gemälde desMicon im Thcscustempel, von denen
in der Eintheihmg und in einem feinen Uebcrzuge an den Marmorwänden noch eine wahrscheinliche
Anzeige blieb, begriffen gleichfalls beyde Schlachten. Am Throne des Zeus zu Olympia hatte Phidias
die Amazonenschlacht, am Giebel des Tempels Alcamenes die Centaurenschlacht dargestellt. Ferner
bildete Phidias auf dem Schilde seiner berühmten Athene Parthenos die erste, auf den Sandalen die
f wlm zweyte Schlacht. Unter die zwölf Arbeiten des Herakles setzte man auch wohl statt des Kampfes mit
den Amazonen, den mit einem Centaur, wie eine grofse Marmorschaale in Villa Albani zeigt. Die
vorzüglichsten bildenden Künstler wetteiferten in Darstellungen aus diesen Kriegen und fast keine
Gelegenheit, sie anzubringen, blieb unbenutzt; nicht nur in genannten Fällen, auch auf Denkmälern
Verstorbener, auf Helmen, Rüstungen, Bechern, Thüren, ja sogar auf Schiffen kamen sie vor.
Dichter bis auf die späteren Römischen Nachahmer hinab, verflochten sie gern in ihre Gesänge. Unter
I li mehreren verlorenen epischen Gedichten, wo diese Gegenstände behandelt waren, wissen wir, dafs
die Theseis beyde Kämpfe enthielt. Da in den Künsten stets eine Wechselwirkung stattfindet, Dichter
und Bildner sich in die Hand arbeiten, da die Lehre der Sagen bey diesem Volke aus dem Munde
priesterlicher Sänger hervorging, so entstand wahrscheinlich dieser Fries auch aus solchen vorhan-
denen Gedichten, die im Gedächtnisse der Menschen lebten.
Wie viel näher lag dem Künstler die Wahl dieser Begebenheiten, wenn er, wie wir Ursache
zu vermuthen haben, ein Athener war, der mit einer gewissen Künstlerreligion seinen Stammeshelden
in beyden Kämpfen verherrlichen, und die erste glorreiche Kriegsthat seiner Nation gegen ein fremdes
Volk einer entfernten Stadt des Peloponncs zeigen konnte, als noch das Andenken an die zweyte
'
53
frisch war. Wenigstens scheint keinem Zweifel unterworfen, dafs der uns angegebene Architekt des
Tempels, dem Perikles den Bau der beyden vornehmsten Heiligthfimer, in Athen und Eleusis,
auftrug, zu dieser Nation gehörte; und so liefse sich diefs auch auf Ictinus beziehen, besonders
da er kurz zuvor in oberwähntem, von Phidias ersonnenem Friese am Parthenon ebendasselbe an-
gebracht hatte.
Die bevden Vorstellungen begreifen, nur mit Uebcrschufs einer einzigen, eine gleiche Anzahl
von Marmorplatten; zwölf gehören zur Amazonen-, eiif zur Centaurenschlacht, die Göttererscheinung
mitgerechnet. Die Ungleichheit der Länge beyder Reihen wird aber nur durch eine Versetzung der
Ueberzahl gehoben; denn es ergiebt sich, dafs die zwevte Reihe gerade um die zwölfte Platte kürzer
ist als die erste. Wenn man also diese Platte, welche die Beendigung der Amazoncnschlacht zeigt,
in die zweyte Reihe vor den Anbeginn des Centaurenkampfes stellt, so entstehen zwey gleiche
Hälften des Frieses. An den vier gegenüberstehend-gleichen Seiten in dem Local waren diese beyden
Hälften dergestalt vertheilt, dafs je eine kurze und eine lange Seite eine der Hälften fafste, mithin
auch die Amazonen- der Centaurenschlacht gegenüber zu stehen kam. Auf der dem Haupteingange
zugekehrten kurzen Seite mufs die Erscheinung der siegbringenden Hülfsgottheit über dem Staud-
bilde ApohVs aufgestellt gewesen sevn, damit dem Hereintretenden der Hauptgegenstand in der
redenden Bilderreihe zuerst ins Auge falle. Folglich zeigte sich, unserer Anordnung der Platten
gemäfs, zur Rechten der Gottheit die Schlacht der Amazonen, zur Linken die der Centauren. Damit
das Auge bey der ermüdenden Ausdehnung der bevden längeren Seiten auf einen Punkt der Betrach-
tung gezogen werde, so drängt sich gegen die Mitte einer jeden die Masse der Gruppen zu einer
N
Haupthandlung: auf der einen Seite, dem Götte zur Rechten, zeigt sich das Beyspiel seiner Gunst
in der siegenden Heldenkraft des Amazonenbändigers Theseus; auf der anderen Seite, dem Gotte
zur Linken, ist das Beyspiel seiner Rache in dem bestraften Uebermuth des den Centauren unter-
liegenden Cäneus jenem entgegengestellt. Gegen das Ende jeder Schlacht tritt als eine Haupthand-
lnng der Kampf bey den beimischen Heiligthümcrn hervor: in der ersten wegen Behauptung eines
Altars des Apollo, in der zweylen wegen des Frevels vor einem Bilde der Hochzeitgöttin.
Dafs der Hauplheld, der durch Kraftgestalt in der Amazonenschlacht vorzüglich ausgezeichnet
ist, nicht Herakles sondern Theseus sey, folglich nicht, wie man vermuthet hat, die am Thermodion
wegen des Gürtels der Königin, sondern die bey Athen gelieferte Schlacht hier sich darbiete, lehrt
genugsam, sowohl der Vergleich der Begebenheiten mit der Darstellung in dem Bildwerke, als die
Verbindung beyder Schlachten in Bezug auf einen Helden und auf Apollo als Helfer. Die im Leben
des Theseus durchgeführte fromme Anhänglichkeit an ihn, seinen Schutzgott, fehlt im Leben des
Herakles und findet sogar einen Gegensatz in demselben. Ihrer Kampfgenossenschaft wegen hatten
sich zwar Dichter erlaubt, sie beliebiger Weise zusammen zu bringen. Die Einmischung des Herakles
in den Attischen Amazonenkrieg verwirft aber Plutarch als eine Freyheit, die sich der Verfasser der
Tlieseis nahm. Nur artistische Gründe können die etwas merklichere Auszeichnung der Gestalt an
1
obenangezeigtem Orte bewirkt haben. Uebrigens wurde Theseus, der Nachahmer des Herakles,
welcher der andere Herakles hiefs, nach seinem Vorbilde dargestellt, doch im Attischen Sinne jugend-
licher, anmuthiger und fast immer unbärtig, wie er hier erscheint.
'I
■4
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54 —
DIE AMAZONENSCHLACHT.
Mjt 11 c.
Der Amazonen kriegerischer Ruf lebte bey den Griechen seit der Nacht der Vorzeiten des
Trojanischen Krieges noch bis zu den Zeiten Alexanders des Grofsen fort ,8). Von dem westlichen
II! i! Ende der damaligen Welt sollten sie ihre Eroberungszüge über Nordafrica nach Kleinasien verbreitet
haben, wo sie Niederlassungen bildeten und mehrere Städte sich ihrer Gründung rühmten. Historische
Angaben fanden ältere und neuere Schriftsteller in der mythischen Ueberlieferung von den Amazonen.
Aus dem in Gegenden ihrer Niederlassungen verbreiteten Cultus der Natur, der mit besonderem
Bezug auf den Mond eine kriegerische Ausbildung erhalten hatte, wird ihr Kriegsleben und Treiben
und auch ihr Name erklärt'9). In Libyen am Tritonischen See, dem Wohnsitz der älteren Amazonen,
nach dem Milesier Dionysius '") pflegten die Jungfrauen alljährlich zu Ehren ihrer Landesgöttin, der
Athene Tritonis, Waffenkämpfe anzustellen, worin manche an denWunden starben, und die Schönste
unter ihnen hielt in voller Hellenischer Rüstung einen Feyerzug "). Iu Cappadocien und Pontus war
die mit Kriegstänzen verbundene Verehrung einer bewaffneten Göttin, Eneyo (Bellona) herrschend,
und ganze Ländereyen nebst einer Unzahl von fanatischen Dienern und Dienerinnen, die förmlich
einen geistlichen Staat abgaben, waren als Leibeigene ihren Tempeln geweiht 22). Da nun in beyden
Göttinnen auch die Idee des Mondes hervortritt a3), so scheinen die Amazonen herumschwärmende
Hierodulen der Mondgottheit zu seyn, welche als Weibmann gedacht, in religiös fanatischer Hin-
gebung durch Annahme männlicher Kleidung und Geschäfte, Pferdebändigung, Waffen- und Kriegs-
übung verehrt wurde; gleichwie anderswo im Sonnendienst ein Mannweib von Männern, in weiblichen
Kleidungen und Verrichtungen 4). Hiezu passen auch ihre charakteristischen Waffen, der gewöhnlich
halbmondförmige Amazonenschild und das Opferbeil, welches als Kriegswerkzeug für ihre Erfindung
■ galt ,5). So feverten sie zuerst in heiligen Waffentänzen da
Himmel gefallene Bild der Ephesi-
schen Diana, weihten es ihrem Tempel und liefsen sich bey demselben nieder, auch stifteten sie
zuerst am Thermodon den Dienst der Diana und des Mars mit den Tauropolien, Stierwürgungen 26).
W:. Daher bildeten die Griechen nach ihnen ihre strenge und keusche Mondgöttin, die jungfräuliche
Artemis, mit Geschofs in männlicher Tracht, und ein Dichter11") vergleicht die Königin der Amazonen
") Arrian. VII. p. i5S. — II. Stephan, exe. i575. — Q. Curt. 1. VI. c. 5. n. =6.
19) S. Creuzers Symb. u. Mythot. zw. Ausg. Tb. II. S. 29. S. 171 u. f. — Tollten über das Basrelief. S. 210. Anm.
20) Diodor. Sic. III, 4. p. »06. ed, Pihodoman.
31) Hciodot. IV. Melponiene. pag. 36o. ed. Wcsseling.
52) Strabo 1. XII. pag. 809. Amstclodami ap. Wollers.
") S. Creuzers Erörterungen in der Symb. u. Mythol.
a+) Wie der Cypriscben Venus, als Mond, geopfert wurde, indem beyde Geschlechter untereinander die Kleidung wechselten. (Phi-
lochorus in der Gesch. Attiea's.)
") Plin. Hist. nat. 1. VII. c. 56.
") Callimach. Hymn. in Dian. y. iS-j. sq. — Pansan. VII, 2- — Diodor. Sic. II, p. 159.
*~) (Juint. Smyrn. I. y. 36. y. 66j.
55
bald dem Mond im Heer der Gestirne, bald der Minerva und Artemis. Diodor (1. IV. p. 224- ed.
Rhodoman.) führt sie als Jagdgesellinnen der Göttin auf. Euripides "8) beschreibt an den zu Delphi
geweihten Gewändern (sristXoi) der Amazonen die eingewebten Bilder des gestirnten Himmels, der
untergehenden Sonne, der Nacht mit den Sternzeichen, des aufgehenden Vollmondes und der
Morgenrö'the. Diodor (1. III. p. 186.) erwähnt, dafs sie bey ihren Kriegsverheerungen in Libyen, die
dem Mond geheiligte Stadt Mf/v?] am Tritonischen See , allein nicht angegriffen hätten. Vermuthlich
gab ihr Leben und Umgang mit dem Reitervolk der Scythen, oder die Africanische Herkunft des
Rosses und der Amazonen, Anlafs zu der von Einigen ihnen beygelegten Erfindung der Pferde -
bändignng und Reitkunst (Lysias Orator), weshalb Neptun Hippius (Pausan. VII, ji.), Minerva
es Chalinitis und Hippia heifst, und daher sieht man sie fast immer zu Pferde vorgestellt, auch nannte
:n man sie Hippades. Die Libyschen und Scythischen Frauen waren als kriegführende Reuterinnen
et bekannt (Pausan. VIII, 43.). Von dem Scythischen Worte Maza ">) bey den Tscherkassen noch
!ie heutigen Tages die Benennung des Mondes, wird der Name Amazonen hergeleitet und in demselben
die Bedeutung Mondsdienerinnen vermuthet. Die Griechen welche aus ihrer Sprache diesem Namen
o.
verschiedene Auslegungen *) gaben, und ihn gemeiniglich durch das gleichlautende Wort (j,aij>s (die
m
Brust) erklärten, fanden darin die Bedeutung Unbrüstige. Bekanntlich unterstützten sie diese Er-
en
klärung durch die Sage der bey den Amazonen üblichen Sitte des Ausbrennens der rechten Brust3"),
b, welche die Kunst hingegen nicht beachtete, sey es nun weil sie das Häfsliche vermied (wozu aber
er die oft vorkommende Verhüllung derselben genügen konnte) oder weil sie den metaphorischen Sinn
ite der Unweiblichkeit in diesen Namen legte und ihn blofs in Charakter, Tracht und Verrichtungen
ar ausdrückte 3l). Ein Gelehrter 3l) glaubt die Fabel durch alte Tempelbüder veranlafst, wo die Form
i; der einen Brust flach, der männlichen ähnlich, die der anderen weiblieh vorragend gebildet war, (wie
ch an einer Figur in den Grotten von Elephante bey Bombay) mit der Absicht, eine symbolische Ver-
einigung beyder Geschlechter anzuzeigen33). Da die Amazonen religiöse Vorschriften34) des Kriegs-
en
lebens, der Keuschheit und Enthaltsamkeit befolgt haben sollen, und überhaupt die Schwärmerey
de
in Kleinasien mancherley Hinopferungen und Verstümmelungen des Körpers heiligte, so erhält die
in-
Vermuthung das gröfste Gewicht, dafs jener häufig berichtete Gebrauch religiöse Weihe und Ver-
Ss"
zichtung auf mütterlichen Stand bey dem, Dienste der strengen Göttin bezeichnete 35).
ien In diesem Vereine kriegerisch begeisterter Priesterinnen, die ausgedehnte, geheiligte Tempel-
ich gebiete besitzend, sie zu erweitern streben mogten, fand die Einbildungskraft der Griechen Stoff
zur Ausmalung eines kriegführenden Frauenstaats, in welchem Männer unter der Herrschaft der
Weiber stehend, die häuslichen, weiblichen Geschäfte, wie Herodot von den Aegyptern meldet,
sie
und die Sorge der Kinder betrieben. Denn sie wurden, erzählte man, im zarten Alter durch
*>
*•) Jon. Act. IV. Sc. I. v. n43 sq.
3be -1*) Gronov. thesaurus Tom. I. Smyrna. — Creuzer a. a. O. — Auch ein Scythisches Vofll der Alazoneh bannten die Alten, welches den
Apoll eifrig verehrte, und Sirabo (1. XII. p. 827. sq. Amstelacdami ap. Joan. Wolters 1707.) bemerlit, dafs bey Einigen dort Alazonen vor-
len kommen, wo bey Anderen Amazonen angeführt sind.
*) In Bezug auf den Weiberstaat, den die Amazonen bildeten, wollte man ihren Namen durch lipct und £ljfv, zusammen leben, deuten.
30) Hippoerates in acribus, locis et aquis. 18. 19. Diesen Gebrauch bey den von den Amazonen abstammenden Weibern der Sauromaten
anzeigend. — Diodor. Sic. a. a. O., Arrian., Q. Curtius. u. a. m.
31) Herodot (1. IV. Melpomene. pag. 33o. ed. Wcsseling.) erwähnt, dafs von den Scythen die Amazonen Oiorpata, Mä'nnermörder,
genannt wurden. Noch jetzt soll in Kainiücliischer Sprache Aömclzainc eine starlic, eine heroische Frau bedeuten.
39) R. Payne Knight Inq. into the Symbol, lang.
33) Diese Meynung wird in der Deseript. of anc. marbl. in the Britt. Mus. F. IV. pag. i4. not. i3 durch Stellen aus Plin. Hist. nat. VII. e.
und Äticustm. de Civit. Dei 1. XVI. c. 8. unterstützt, welche der Androgyncn erwähnen, deren rechte Brust männlich, die linhe weiblich gewesen.
[Pi.;-
34) Hippocrat. a. a. O.
31) Creuzer a. a. O.
— 56 —
Verrenkung derGliedmafscn36) unfähig zu anderer, als sitzender Lebensart gemacht; die Weiber, allein
zum Kriege erzogen, mußten im Jungfraueustande verweilen, bis sie eine bestimmte Anzabl Feinde
erle"t. Die Poesie befestigte diese Ideen an die Ufer des •Tbermodon in Cappadocien, wo Themis-
cyra als ihre Hauptstadt prunkt. Hier war die Regierung des Staats zweyen Königinnen zugetheilt.
Ihren Kriegsruhm erhob man zu so furchtbarer Gröfse, dafs sie sich mit Helden messen konnten,
und man wufsle von fünf berühmten Amazonenschlachten zu erzählen. Belerophon bekämpfte sie in
Lycien (Hom. II. VI, V. 186.). Früher noch hatten sie sich dem Dionysus widersetzt, und von dem
Gotte im Kriege besiegt, an dem Ephesiscben Altare Zuflucht und Verzeihung gefunden37). Auch
sollte er sie zu Samos geschlagen haben, wo das Schlachtfeld von ihrem vergossenen Blute Panama
hiefs (Plutarch. Quaest. Gr. LVI.) Daraufwaren sie ihm nach Indien gefolgt, in dem religiösen
Heereszuge, bey welchem mit Epheublättcrn verhüllte Lanzen die Thyrsusstäbe abgaben, und als
Priesterinnen von der Art begeisterter Schwärmer konnten sie in seinen Thyasos bleibend aufgenom-
men werden38). Dichter verherrlichten dieselben in besonderen Epopöen. Unter verlorenen Homeri-
schen Gedichten wird ein Epos mit Namen Amazonia erwähnt3'), die Athener hatten ein Gedicht
dieses Inhalts, und Cimon beschrieb den Krieg der Amazonen und Athener in einem eigenen Werke40).
Noch besitzen wir Nachklänge: in den Paraleipomenen Homers von dem späteren Dichter Quintus
Smyrnäus schildert das erste Buch des Epos die Amazonen vor Troja. Den Reichthum der Alten
an bildlichen Darstellungen ihrer Kriege haben wir schon erwähnt; zu den Bcyspielen gehört auch
ein Werk der Söhne des Polvkles, der Schild des Standbildes der Minerva Kranea in der Nähe von
Elatea in Phocis, auf welchem die bey der Athenischen Parthenos angebrachte Schlacht der Amazonen
nachgebildet war (Pausan. X, 3?..). Durch sie gewann die bildende Kunst einen Beweggrund, das
Heldenmäfsige im ungebeugten Stolze der Jungfrau hervorzuheben, indem sie männliche Kraft zu
weiblicher Zartheit gesellte, und so schuf sie eine eigene Kunstgestalt. Diese charakterisirt jener
spätere Dichter, dem, wie in seinem Gesänge sich wahrnehmen läfst, manche, gegenwärtigen
ähnliche Erfindungen und Bildungen vor Augen standen, folgendermafsen (V. 54 — 6o):
sie erstaunten gewaltig, sobald die
Tiefumschienete Tochter des uiezuermüdenden Ares,
Himmlischen ahnlich, sie schauten, denn ihr umschwebte das Antlitz
Beydes, wie Schrcckandrohnde, so auch holdselige Miene,
Liebreizvoll anlächelnd, und schmachtend unter den Brauen
Blitzten die Augen umher, zu vergleichen den Himmelsstrahlen;
Sittsamheit umröthete sie, und göttliche Anmulh
Lag mit der Staritc zugleich ihr über die Wangen ergossen.
Eine der prüfenden Arbeiten des Herakles mufste das unausführbar scheinende Wagstück seyn,
den herrschenden Königinnen der Amazonen, die man für des Mars Töchter hielt, das Pfand ihres
Kriegesruhms, den Panzergurt des Gottes zu nehmen. Diesen Schmuck ti*ug die Heldin Hippolyte.
In der Doppelherrschaft des Beichs stand ihr zur Seite eine andere Heldenjungfrau, ihre Schwester
Antiope 4l). Dem Herakles waren Theseus, Pirithous, Telamon u.a. als Kampfgenossen beygesellt.
1
- 57 -
Die Männer trugen den Sieg davon. Herakles tödtete die tapfersten in der Amazonenschaar, nahm
selbst die Königin Hippolyte gefangen, empfing als Kampfpreis ihre berühmten Waffen; nach Einigen
nahm er ihr auch das Leben, nach Anderen schenkte er ihr aber die Freyheit. Den Gürtel brachte
er dem Eurystheus nach Mycen; den gröfsten Theil der Beute, worunter die obgedachten Gewänder
der Amazonen, weihte er dem Delphischen Apoll. Theseus Schönheit, Feindschaft in Liebe ver-
wandelnd, hatte in der Schlacht sogar die Heldenseele seiner königlichen Gegnerinn, der Antiope,
bezwungen. Der Trözenier Hegia's erzählte, dafs sie ihm bey der Belagerung von Themiscyra die
Stadt selbst übergeben habe 4*). So läfst der mythische Bericht bey Aufhebung der Geschlechtsver-
hältnisse noch die Weiblichkeit hervorschimmern und im unnatürlichen Streite bevder Geschlechter
die Natur obsiegen. Die im Kampfe mit Theseus entstandene Neigung der Heldenjungfrau verleitete
sie bey dem siegreichen Abzüge der Griechen ihm, den sie nochmals sehen wollte, bis an das Schiff
zu folgen. Der Anker ward gelichtet, unbewufst ward sie auf Theseus und Pirithous Veranstaltung
entführt, und, ihres Landes Gesetze vergessend, ihr priesterliches Gelübde brechend, vermählte
sie sich mit ihrem Feinde. So erscheint sie ganz in weiblicher Schwäche; doch wird ihre Hoheit
durch einen reinen Zug wieder hergestellt. Während der Reise hatte Soloon, einer der Gefährten
des Theseus, eine unwiderstehliche Leidenschaft zu ihr gefafst; aber sie wies ihn ab und schwieg.
Der Jüngling löschte in einem Flusse, der fortan seinen Namen trug, Liebe und Leben aus43).
Nach einer anderen Sage ^) führten die Griechen, aufser der Antiope, in drey Schiffen auch
alle übrigen Gefangenen fort. Diese ermordeten auf dem Meere die ganze Schiffsmannschaft; aber,
der Seefahrt unkundig, Wind und Wogen preisgegeben, trieben sie umher, bis sie an die Küste der
Scvthen geworfen wurden, wo sie sich auf Pferde schwangen und das Land plünderten. Die Scythen,
die jene für junge Krie aer von e leichem Alter ansahen, entdeckten ihren Irrthum erst nachdem sie
mehrere getödtet. Den Mord bereuend, den Muth der kriegerischen Frauen bewundernd, beschlossen
sie ihrer zu schonen, weil beyde Parteyen sich nicht durch Sprache verständlieh machen konnten,
durch List diese Männerhasser zu zähmen, um von ihnen eine heroische Nachkommenschaft zu erlan-
gen. Eine gleiche Anzahl Jünglinge sehlug, dem Amazoncnlager gegenüber, Zelte auf, lebte wie
jene von Jagd und Raub, befolgte in Kleidung und Sitte genau, was sie bey den Amazonen sah, und
liefs die Feindinnen ungestört, entschlossen bey einem Angriffe vor ihnen zu fliehen. Iudefs beyde
Parteyen nichts feindseliges begannen, rückten die Lager allmählig näher; einzelne begegneten sich
und wurden mit einander vertraut. Diese riefen andere herbey. Bald vereinigten sich die beyden
Lager; Vermählungen wurden gestiftet, eine Niederlassung jenseits des Tanais gebildet; und so gab
der Haufe nach Scythien verschlagener Amazonen dem Volk der Sauromaten seine Entstehung, bey
welchem die Weiber männliche Tracht und Amazonische Gebräuche beibehielten.
Der Verlust des Heeres und Antiopes Entführung entflammte ihre Schwestern in Themiscyra
zur Rache gegen die Griechen, vorzüglich gegen Theseus, den König der Athener. Jetzt tritt hier
eine dritte Heldin auf, ihre Schwester Orithya''5), vermuthlich statt ihrer die entledigte, zwevte
Königswürde einnehmend. Mit Orithya versammelt Hippolyte, durch die erlittene Niederlage nicht
erschreckt, den Rest des zerstreuten Amazonenheers. Die Königinnen bieten alle Kräfte auf, bewegen ls?,r'
ihre Scythischen Bundesgenossen, ihnen zu folgen. Mit grofser Heeresmacht verlassen sie die Ufer
,s) Pausan. I, 2.
3) Plutarch Vit. Theseus. "I
■') Herodot IV. Melpomene. p. 33o. ed. Wesseling
5) Justin. II, 4-
— 58 —
des Thermodon, setzen über den Cimmerisclien Bosphorus nach Thracien über, ziehen durch Hellas,
fallen in Attica ein, sengen und verbrennen das Land, nehmen es in Besitz, ohne dafs jemand ihnen
widerstehen kann, und lagern sich zwischen den Hügeln Pnyx und Musaion, wo sie Stadt und Land
übersehen konnten, dicht vor die Burg Athens.
Es war das erste Mal, dafs die Athener ein fremdes Volk vor ihren Mauern sahen, und gar ein
Frauenheer. Sie betrachteten diese wunderbare Erscheinung als eine Plage, die der Himmel gesendet.
Theseus mufste daher das Delphisehe Orakel befragen. Der Ausspruch desselben gebot ihm, wenn
er dem Phöbus Apollo, dem Stammesgott und Hort der Athener, (dem sie durch Jon, des Apoll
und der Tochter des Erechteus Greusa Sohn, verwandt waren) ein Opfer gebracht, diese Gottheit
mit dem Schlachtruf: l's ode r üj siatäv! als Helfer federnd, die Belagerer anzugreifen46). Der Doppel-
sinn dieser Worte bezeichnete die vereinte Bogenmacht und Heilkraft des Gottes, denn je nach der
Aussprache l'e oder /?} erhält dieser Anruf die Bedeutung: sende und.triff! oder: heile Arzt! Lange
hatten sich bevde Parteyen beobachtet, ohne sich zu bewegen. Jetzt, nach dargebrachtem Opfer,
stürzte Theseus hervor, Antiope in das Treffen mitführend, an der Spitze der Bürger, mit jenem
Schlachtruf zum Lager der Amazonen. Der rachbegierige Schwärm flog ihm entgegen. Der Kampf
begann. Die Kriegerinnen mufsten weichen; die Mehrzahl derselben fiel. Auch Antiope fiel, an
der Seite ihres Gemahls mit Kühnheit für ihn fechtend, nach verfeinerter Athenischer Sage von der
Amazone Molpadia, an welcher sich wiederum Theseus rächte, getroffen47), oder, wie Andere
ii ii i berichten 48), von der Hand des eigenen Gemahls, welcher sie auf Apollo's Geheifs tödten mufste.
So starb sie als Sühnopfer, weil ihre Vermählung der Völker beyderseitiges Verderben bewirkt hatte,
und nach Ansichten der heroischen Zeit war Theseus selbst schuldig das Opfer seiner Liebe dein
Vaterlande darzubringen. Dotdi ihr Tod allein konnte das Schicksal nicht versöhnen. Die Entführung
der Antiope sollte nachher auch an dem Thäter selbst, im Sohne ihrer Ehe, im Hippolyt, Rache
finden; indem Theseus zweyte Vermählung durch jenen unglücklich werden, Phädras strafbare
Leidenschaft sich selbst und den Sohn des Theseus in das Verderben reifsen, und alle seine Liebes-
händel einen übelen Ausgang nehmen mufsten. Der Verfasser der Theseis erzählt daher, dafs Antiope
aus Eifersucht über diese Vermählung den Helden selbst mit einem Amazonenheer angegriffen habe
und im Handgemenge von ihm getödtet worden sey 49). Mit Antiope sank zugleich die Kraft des
Amazonenheers auf immer dahin. Die Athener trugen den vollkommensten Sieg davon und trieben
sie in die Flucht. Wenige, unter ihnen Orithya50), retteten sich in das Lager der Scythen, welche
zurückgeblieben waren. Die Königin Hippolyte floh, wie die Megarer erzählten, nach Megara, und
sterbend vor Gram um verlorene Heimkehr, erhielt sie von ihnen ein Denkmal 6l). Auch bey
Chäronea in Böotien, bey Skotussa und Cynocephalä in Thessalien liefsen sich Amazonen nieder,
und man zeigte ihre Gräber äa). Antiopes Grabhügel glaubt man noch bey Athen zu schauen.
Nur nach späterer Dichtersage erscheinen die Amazonen, wegen des Rufs ihrer Kriegszüge in
Rleinasien, mit Heeresmacht bey der Belagerung von Troja wieder; an ihrer Spitze die letzte der
Töchter des Mars, Penthesilea, von unabsichtlichem Schwestermorde getrieben, den sie auf der Jagd,
nach einem Hirsche zielend, an Hippolyte verübt haben sollte. In Hoffnung die Furien zu versöhnen
Jlil Ii '
'■
59
kömmt sie dem Priamus zu Hülfe, (obgleich dieser Apolloverehrer beym Homer sich aus seiner
Jugend des geleisteten Widerstandes gegen die Amazonen in Pbrygien rühmt) mufs im Kampfe mit
Achill fallen, um dessen Ruhm zu erhöhen, und dieser, indem er der Feindin den Helm abnimmt,
von ihrer Schönheit getroffen, eine schmerzvolle Neigung zu der Getödteten fassen. Diese Vor-
stellung sah man schon am Throne des Jupiters von Phidias.
Mit einem Friedenseide wurde der Krieg in Attica beendigt, und zum Andenken der Platz, wo
der Schwur geleistet ward, Orcomosion genannt. Die Wahlstatt, auf welcher auch Gräber der
Amazonen standen, bekam den Namen Amazoneion und den gefallenen Kriegerinnen wurde ein Opfer
verordnet, welches die Athener, jedesmal einen Tag vor dem monatlichen Feste des Theseus, ihnen
darzubringen pflegten.
Jedoch erst im Süden des Peloponnes bey dem Vorgebirge Malea, wo der Dienst des Apollo
auch einheimisch und Apollo ftlaleates bekannt war, bot sich ihren Zwistigkeiten ein Ziel; und
zum Denkmal, dafs sie ihrer Kriegführung entsagt, standen daselbst zwey Tempel nebeneinander,
welche sie der Diana Astrateia, der Nichtkriegenden, und dem Apollo mit der Benennung Amazonius,
nebst deren hölzernen Schnitzbildern gewidmet hatten 53). Durch diese Weihung wird offenbar ein
Glaubenswechsel, die Annahme der Verehrung der einen und die Vereinigung beyder Gottheiten
beurkundet. Jener Eidschwur und jene religiösen Opfergebräuche in Athen lassen sich hieraus
erklären. Zu einem ähnlichen Bündnifs, mit dem Könige Orus, dem Sonnengotte, Sohn der Isis,
führte der Einfall der Libvschen Amazonen in Aegypten (nach Diodor). Die Sage von den Amazonen-
kriegen wurzelt hauptsächlich in den Sitzen des Apollodienstes, wie die erwähnten Beyspiele gezeigt
haben; denn selbst die Epheser behaupteten, dafs Diana und Apollo von der Latona bey ihnen
geboren sey (Tacitus Ann. a. a. 0.), die Troer, Lycier und die Samier verehrten den Apollo von
Alters her (Panofka Res Samiorum p. 63). Hiemit ist nun auch die Sage des Sieges der das Sonnen-
Gold bewachenden Greife, oder geheiligten Thiere des Apollo, im Hyperboreerlande über die Ama-
zonen zu verbinden, eine Sage, von welcher wir noch manche Kunstdarstellungen besitzen.
Nach dem Plutarch wurde zu Athen am Jahrestage der Schlacht im Monat Boedromion der Sieg
über die Amazonen durch das Fest Boedromia gefeyert, und in der Folgezeit, zum Andenken des
Siegs über die Perser, wo des Theseus Gespenst mitfocht, das Marathonische Fest in denselben Monat
eingesetzt54). Die Befreyung von jenem das Land überschwemmenden Heere wunderbarer, heroischer
Frauen und barbarischer Scythen, der erste Sieg über ein fremdes, die gemeinsamen Griechen
bedrohendes, ihre Selbstständigkeit gefährdendes Volk, konnten die Athener nur dem Rath und
und Beystand des Gottes verdanken, der sie durch das Orakel ermahnt, mit Schlachtgeschrey ihn selbst
zu Hülfe rufend, anzugreifen, und der den Arm des Theseus gelenkt hatte. Sie gaben daher dem Apoll
den Beynamen Boedromius55) (von ßoq-dQO/j.nv mit Geschrey herbeyeilen, zu Hülfe eilen). Der Monat,
in welchem die Schlacht vorfiel, und das Siegesfest ward hienach benannt. So trifft nun auch dieser
Bevname des Apollo mit dem Begriff des Epicurius, des Helfers, zusammen, und erhielt das Gedächtnifs
seines Siegs unter den Athenern und Thebanern, wie der Beyname Amazonius unter den Laconiern.
dei
53) Pausan. III, 25. — Apollo Maleates hatte auch zu Sparta einen Tempel, (daselbst c. 12.) — In den Wiener Jahrbüchern der
ohne» Litteratur (Band XX. vom Jahre 1823) ist im Widerspruch mit Pausanias Angabe die Vcrmuthung geaufsert worden, dafs unter dem Beynamen
Astrateia der Name der Syrischen Göttin Astarte, Asteroth, zu verstehen sey.
54) Andere beziehen das Fest Boedromia auf die Schlacht mit dem Eumolpus, wo Jon den Athenern zu Hülfe eilte. Vielleicht galt es
für beyde Schlachten. Die allgemeinere Wichtigheit und die nächste Beziehung behalt indessen die Amozonenschlacht.
ss) Callimach. hymn. Apoll, v- 69. und der Scholiast. — In Theben wurde gleichfalls Apollo, der Schutzherr der Stadt, unter dem
Namen Boedromius verehrt (Pausan. IX, 17.).
— 6o —
D a r t e 1 1 u b"
Der Künstler, welcher durch die Bilderreihe des Frieses (s. deren ergänzte Uebcrsicht T. VI.)
die heilsamen Wirkungen der Hülfe Apollo's in der Notli der Volker zeigen will, führt uns gleich
Anfangs in den Kampf.
'• Ein gehöriger leergelassener Raum vor der ersten Gruppe auf der Marmorplatte i. bezeichnet
die Ecke der Cella, wo das Ende des Frieses dem Anfang sich anschliefsend, die Fläche des Marmors
traf. Hier sucht eine schon überwältigte und niedergefallene Amazone, die zur Flucht ihren Schild
auf den Rücken gehängt hat, in Zorn und Schmerz den harnäckigsten Widerstand leistend, sich von
dem Arm ihres Ueberwinders loszuriugen, der im Vertrauen auf seinen Vortheil, sie an den Haaren
fortschleifen will. Das im Kampf herabgerissene Gewand entblöfst ihr die rechte Brust bis an den
Gürtel, priesterlich umgiebt eine Binde ihre Stirn. Wie sie ringend den Fufs anstemmt, trifft sie ihre
Kriegsgefährtin, die in Phrygischer Tracht eine Verwundete, ohne Waffen dasitzende, mit dem
2- Schilde gegen den mächtig ausgeholten Schwerdtstofs des in Nummer 2, herandringenden rüstigen
p \\.'\r< Kämpfers schützt. Noch in gleichem Gefechte sind neben ihm Amazonen und Athener. Drohend
schwingt sie das zweyschneidige Beil, dafs ihr Gewand, vom Gürtel gelöfst, um die Hüften fliegt;
:* er wirft ihr die Lanze entgegen und sein mächtiger Rücken wird nur halb vom vorgestreckten Schilde
m bedeckt. Kaum hält sich aber hier eine tödlich Verwundete aufrecht, zu deren Füfsen der verlorene
r Helm des Kriegers in Nummer 3, ihre Tapferkeit bezeugend, liegt. Sie fühlt die Kraft ihrer Knie
weichen, Haupt und Arme neigen sich leblos zur Erde, bald stürzt sie herab, allein und ohne Bey-
m
stand haucht sie die starke Seele aus 56); denn um ihren Gegner selbst zu retten, hat ihre Gefährtin
3. (in Nummer 3.) sie eben verlassen. Wie manchmal beym unnatürlichen Kampfe beyder Geschlechter
die Obergewalt der Natur im Herzen dieser Männinnen ihr Recht erzwang, zeigt diese Gruppe; in der
That ein zu charakteristischer Zug der Amazonenmythe, als dafs der Bildner ihn nicht hätte benutzen
sollen, zumal da er am Ende einer der Seiten der Cella eine Episode anbringen konnte. Derselbe
Gegner, ein Gefangener der Amazonen, des Helms beraubt, durch weibliche Haartracht jugendlicher
und reichlicher bezeichnet, beugt sich auf dem Boden zu den Füfsen seiner Ueberwinderin. Er soll
mit dem Haupte den Mord der Kriegerin büfsen. Vergebens streckt er die Hand flehend aus, denn
schon wird seih eigenes Sehwerdt zur Rache über ihn geschwungen, und es müfste sein Haupt vom
Rumpfe trennen, wäre nicht jene Feindin zur Rettung herbeygeeilt. Sie trägt, wie marschfertige
Krieger pflegten, ihren Schild auf dem Rücken. Dem Feinde geneigt, verwendet sie sich für sein
ä!f Leben, und jener Unerbittlichen die Streitaxt zur Abwehr des Todesstreiehs entgegenhaltend, schützt
sie ihn. Den Sinn der Scene verstärkt die Gegenwart einer zweyten Sterbenden, die aus dem Hand-
I
6) ^IdofiEvtvs öe Bqlftovoctv ivrßuzo SovqaiL ftaxQtp
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Aiue /.WQog- ip.vyij & ifityt] nolvätow uuQcctg.
Q. Sinyrnaeus. 1. I, v. 245 — s5i
— 6r —
gemenge weggeführt, hier durch empfangene Wunden dahinwelkt. An allen Gliedern erschlafft,
sinkt sie zusammen und schliefst die Augen in den Armen ihrer Kampfgenossin, welche, den Köcher
an der Seite tragend, sie gefafst hat, und wieder zu erheben bemüht ist. Der leergelassene Raum
an diesem Relief (vergl. T. IX. N. 3.) deutet die zweyte Ecke der Cella an, wo der von folgender
Platte (s. T. X. N. 4-) vorstehende Falz eingriff.
Auch reifere Männer müssen diesen Männinnen unterliegen und fallen in der Schlacht. Der
Mörder jener sterbenden fand ein gleiches Loos; der Mord war gegenseitig. Dort (auf der eben-
genannten Platte 4-) schleppt den nackten , geplünderten Leichnam ein Mitbürger hinweg, der dem 4-
Gefallenen zu spät zu Hülfe kam. Schwerdt und Schild in eine Hand fassend, lehnt er ihn an das
Knie, mit vorbedächtigem Umschauen, denn ein Zwischentretender brachte augenblicklich erst die-
jenige, welche die Leiche beraubte, zum Weichen. Noch hält dieser an dem aufreifsenden Gewände
die Flüchtige, die mit dem erbeuteten Sclrwerdte des Getödteten tapfer um sich haut. Und glücklich
entkommt sie, weil ein naher Feind (Platte 5.) im Hinterhalte bey seinem Mitstreiter, sich gerade 5.
zur Wehr stellen mufs, Schild und Lanze vorstreckt, gegen eine mit fliegender Chlamvs und erhobener
Axt muthig Herbevrennende, welche der von Herakles erlegten, Aella57), der Sturm genannten,
nachgebildet zu seyn scheint. Vermuthlich kam sie als Rächerin und Befreyerin der Amazone, die
sein Mitstreiter von reiferem Alter, wie der sprossende Wangenbart anzeigt, im Kampfe überwunden
hat, und jetzt, während jene zusammentreffen, niedertritt und mit dem Schwerdte bedroht. Aber
die Besiegte ergiebt sich; sie stützt die Linke auf den Boden, streckt, dem Gebrauche Schutz-
flehender gemäfs, die rechte Hand nach seinem Kinn aus und bittet um ihr Leben. Noch ringen in
Nummer 6. Krieger und Kriegerin. Die Gestürzte an dem Haarknauf fassend, strebt er mit ange- 6.
stemmtem Fufse niederzuziehen, indefs sie unbezwingbaren Muthes bevde Hände gebraucht, die
Gewalt seines Arms zu hemmen, und den Fufs stellt, um ihn zum Falle zu bringen. Eben erst
gelang seinem Nebenmanne sich auf den Knien emporzurichten, und einer aufblitzenden Flamme
gleich, dringt er, mit gezücktem Schwerdte und über das Haupt gehaltenem Schilde auf die Jungfrau
hinan, die ihm den letzten Streich zu versetzen gedachte.
Nur drey Frauen sehen wir gegen die Mitte dieser Schlacht zu Rosse sitzend, vor allen aus-
gezeichnet, da doch in anderen Vorstellungen die gesammte Schaar der Amazonen reitend erscheint*).
Nur die Reichsten und Vornehmsten hatten bey den älteren Griechen den Gebrauch der Pferde,
deren sie sich anfänglieh zum Fahren bedienten; daher die Anführer und Fürsten allein vor Troja zu
Wagen kämpften. So erkennen wir in jenen die drey Schwesterköniginnen, welche den Krieg veran-
lafsten. Für Orithya mufs die erste gehalten werden (Nummer 7.), die ein rascher Jüngling ereilt, 7-
mit dem Schwerdte bedrohend, an den Haaren gefafst hat und nun rücklings vom Pferde herabzieht,
ehe sie das Ziel ihrer Bache, den Theseus, im Gedränge erreichen konnte. Ihr Gewand ist auf-
gerissen und von der entblöfsten Seite flattert es weit in die Luft. Mit den Schenkeln klammert sie
sich andasRofs; es fühlt sich angespornt durch die Reiterin, zurückgehalten durch die Gewalt des
Ziehenden, und da es nicht vorschreiten kann, bäumt es sich hoch. Die Jungfrau aber, die Waffen
und Zügel verloren, biegt in Qual und Entsetzen ihren gelenkigen Körper zurück und strengt unab-
lässig alle Kraft der Arme an, sich dem Arm des Kriegers zu entwinden. Eine eben solche Gruppe
— 62 —
hob der Dichter hervor, als er den am Schilde des Eurypylus dargestellten Kampf des Herakles
besang (Quint. Smyra. 1. VI. v. a4o — 245.):
— neben ihm ferner
War um den Schild her künstlich, gehüllt in der Golter Gestaltung,
Hippolyte gebildet, und diese, mit kräftigen Händen
Zog er, den Gürtel ssur Beute, den Bildergeschmücliten, begehrend
Beym Haupthaare danieder vom flüchtigen Rosse; zur Seiten
Bebten die anderen auch yon der Schaar Amazonen. —
hm'
Herbey läuft aus dem Schlachtgewühl, ihrer Königin Orithya zu Hülfe, eine Heldin mit
erhobener Axt und ausgestrecktem Schild. Mächtig schreitet sie in kampfbegieriger Raserej und
wirft noch das wüthige Auge nach Theseus zurück. Wie ein Felsenriff im Meere, an dem Wog1 um
Woge zerschellt, steht er mitten im Gedränge da (Platte 8.). Auf ihn heran sprengt ihr Rofs die
zweyte Königin, die heldenmüthige Hippoh te, mit dem Beil um sich hauend. In stolzem Bewufst-
seyn ihrer Tapferkeit und Reitkunst scheint sie zu prahlen, und flatternd hebt sich der Mantel im
Sprunge des Thieres. Schon warf sie unter seine stampfenden Hufe den Gegner der vorigen Amazone,
einen Jüngling danieder, dessen Haupt der Pilos bedeckt, und der sich wieder emporzurichten und
heimlich aus der Scheide sein Schwerdt gegen die Königin zu ziehen sucht. Hinter dciu Theseus tritt
eine andere Amazone, die Axt nach ihm schwingend, hervor. Aber mächtig wendet sich der Held,
der gröfser als die Anderen, an Stärke der Glieder einem aus der Heerde vorragenden Stiere gleichet,
und hebt mit der Rechten die Keule zu einem zermalmenden Schlage, indefs die Löwenhaut über
K^ .....I :
die Linke hängt. Aus Schritt und Wendung desselben läfst sich nicht anders schliefsen, als dafs die an
seiner Seite niedergestürzte Antiope von ihm selbst, das Gebot Apollo's zu erfüllen, hingeopfert ward.
■1 l'T Dieser tragischen Uebcrlieferung mufste der Künstler folgen, weil es sein Zweck war zu zeigen, wie
die Lenkung des Gottes der ganzen Macht kriegerischer Weiber und ihren WaiTenthatcu ein Ende
brachte. Vorwärts fällt daher das Rofs, vom Keulenschlage an der Stirn getroffen; darüberhin die
königliche Reiterin entseelt, indem ihrer erschlafften Hand der Zügel entsinkt. Und schon hat ein
Athener den durch männlich-Scythische oder Phrygische Tracht unterschiedenen Leichnam am Arm
und Fufse gefafst, ihn vom Rosse zu werfen. Nicht auf sanfte Art behandelt er ihn, wie es wohl
einer Gemahlin des Theseus zukäme, wäre sie, die Fremde, nicht gerade Lirsache des verderblichen
Krieges; doch ist sein Ausdruck nicht ohne Mitleid58). Auch jene heldenmäfsige Jungfrau (in
38) Vergleichen laTst sieh hiemit die folgende Schilderung des Quintus SmyrnKus von dem Tode seiner Heldin (y. 592 - 598. u. 617 - 627):
Nummer 9.) die an blühender Fülle und Kraft der Glieder strotzet, wird von demArme eines bärtigen 9.
Kriegers in voller Rüstung, überwältigt und niedergedrückt, indem sie umsonst sich windet und die
starken Arme anstrengt, ihn zurück zu drängen. Doch neben ihr wechselt wiederum das Kriegsglück.
Des Schwerdtes beraubt, liegt hier der Jüngling mit hohem Helmbusch auf den Knien; sich am Boden
stützend, sucht er nur der über ihm schwebenden Gefahr auszuweichen, mit dem Schilde noch den
entscheidenden Schwerdtstreich seiner muthigen Besiegerin aufzufangen. Dort, in Nummer 10, ist eine ic
zweyte Haupthandlung hervorgehoben: die Vertreibung von dem Altare des Apollo. Zwey Amazonen
haben sich zu dem Altare begeben, der in dieser Schlacht die wesentliche religiöse Beziehung an-
deuten soll; sie wollen das Heiliglhum des Apollo behaupten. Nicht als blofse Schutzflehende möchte
diejenige gedacht seyn, welche sich waffenlos auf den Altar niedergesetzt hat: der Angriff wäre in
solchem Falle frevelhafte Entweihung. Aber der Gott selbst ist den Kriegerinnen Feind, der Streit
ein Religionsstreit. Von einem Athener wird sie an der heiligen Stätte gefafst; mit Ungestüm fort-
gezogen und mit dem Messer bedroht. Doch sie weichet nicht, stemmt Arm und Fufs gegen ihn und
rhält sich so halb schwebend über dem Altar. Hinter demselben tritt Paar in zweifelhaftem
Gefecht hervor. Die zweyte Kriegerin, die hier im Hinterhalte war, macht den Ausfall, der Krieger
mufs sich zurückziehen, nahe vertheidigt er sich und belauert sie; die Schilde stofsen zusammen und
verdecken zum Theil die Fechtenden. Auf sinnreiche Weise wird die Neugier des Beschauers dadurch
hingehalten, dafs der Künstler ihm aus den Stellungen die Handlung zu errathen giebt. Auch zwey
Andere treffen eben erst nahe zusammen (Nummer 11.). Zur Rache einer verwundeten Kriegsgefährtin 1 1
stürzt sie herbey. Den Arm in die Chlamys gewickelt wehrt sie den Stofs des Gegners ab, der von
der Verwundeten sich wegwendend auf sie eindringt, und schwingt von unten auf ihm die Axt ent-
gegen. Er ist mit Helm, an der Brust halboffener Tunica und Stiefeln, wie die Amazonen gekleidet,
als habe er aus Kriegslist von den Getödteten die Kleidung entlehnt und sich zum Trug unter die
l
Feindinnen gemischt; nur des Helmes Form ist verschieden. Die schon durch ihn tödlich \erwundete
sank während des Gefechts. In den Armen einer Freundin stirbt die Jugend der Amazone dahin.
Wie vom Herbstwind getroffen eine Blumenknospe knickt sie zusammen. Das voii Bändern gehaltene
Haar löfst sich wallend auf und Nacht umhüllt ihre Augen, die Freundin, welche herzulaufend sie
umfafste, sieht, durch doppelte Gefahr bekümmert, sich nach der fechtenden Truggestalt um,
bemüht die Sterbende vom Kampfplatz zu ziehen.
An diefs rührende Bild schwesterlicher Treue, welches auf die dritte Ecke der Cella trifft,
reihet sich eine analoge Darstellung (Nummer 12.), womit eine andere Seite beginnt. Aber es fehlet 12.
hier auf den Platten die vorhinangegebene, bestimmte Bezeichnung der Ecken, und dieser Mangel
erklärt sich wie bey der vierten, durch die Nothwendigkeit des Ansatzes eines Stücks. Die Darstellung
zeigt das Ende des Amazonenkriegs, den friedlichen Abzug der Parteven. Nach dem Siege der Athe-
ner, der aus dem Ganzen hervorleuchtet, war alle Feindseligkeit beygelegt und ein Friede geschlossen
worden. Ruhig gehen daher im Kampf Gerettete auseinander, eingedenk der Sorge für die Todten,
\
Verwundeten und erbeuteten Waffen. Unter der Last des Leichnams gebeugt, trägt hier ein Vater,
ein Bruder oder Freund den in der Schlacht Gefallenen, von Waffen und Kleidern beraubten, auf
dem Rücken fort. Des Todten grofsartige Gestalt fafst er an den Armen, das Haupt sinkt zurück und
ruht ihm auf der Schulter, die Füfse schlottern im Gange des Trägers. Dort schleppt eine Amazone
den Argolischen Schild, den sie ihrem Feinde abgenommen, und ein Verwundeter wird in höchster
Ermattung von seinem Kriegsgefährten geleitet, der ihn mit dem Mantel umhüllt und kräftig umfafst
hält. Er stützt sich auf des Führers Schulter und Lanze, im Tritte wanken seine kraftlosen Füfse und
illllllll
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kaum vermag er das Haupt aufrecht zu erhalten. Diese Vorstellung des Abzugs bildet einen ungezwun-
genen Ueber^ang zu der Gruppe der ebenfalls forteilenden Göller, welche, nach vollführtem Werk
ihres Beystands, in die andere, die Gentaurenschlacht, Hülfe bringen, und dient zugleich dieser
Gruppe den ihr gebührenden, hervorstechenden Plalz, in der Mitte der schmalen Seile, über der
Tempelstatue einzuräumen.
Dic H ü 1 f s g■ ö t t e r.
Zufolge der Darstellung in diesem Friese versetzte die Sage den Apollo, wie einige die Minerva,
auch in den Centaurenkampf. Ebenso trifft man wiederum die Minerva in einer Metope am Parthenon
neben dem Theseus bey dem Amazonenkampf, denn sie ermuthigt die Männer zu jener Grofsthat,
und als Männin, als Tauropolos, als streitende Lichtgöttin, die das Schreckenszeichen des Mondes, das
■
Gorgonenhaupt trägt, steht sie mit den Amazonen-, wie mit den Centaurenkämpfen in Berührung. *)
Aas der Ueberzahl der Marmortafeln und nothwendigen Absonderung der Gegenstände erweiset
4 sich, dafs die Tafel mit der Gruppe der Götter nicht unter die vorigen Kampfvorstellungen gehört.
Die Sage läfst ohnehin den Gott in verschiedene Berührungspunkte auch bey Gelegenheit der Centau-
renschlacht treten. Unvermeidlich war ein schneller und gewaltsamer Tod denjenigen, die mit
Göttern kämpften. An dem übermüthigen Lapithenfürsten Cäneus wird die Herausfoderuug Apollo's
vergolten. Als Zeuge seiner Rache gehört er hierher, als Mitstreiter und Helfer bey der Ausrottung
der unächten Brut aus seinem Stamme, bey der Befreyung Thessaliens von frevelhaften Ungeheuern,
als Stamm- und Schutzgott des Theseus und wie dort der Athener, so hier der Lapithen. Dafs
der Lapithenstamm ihn besonders als Erretter und Befrever verehrte, wie die Athener unter dem
Namen Boedromius, beweisen eine silberne und eine eherne Münze der Stadt Lapitha in Thessalien,
wo auf der Vorseite ein Apollokopf, Lorbeergekrönt, mit Bogen und Röcher hinten, vorn ein
Stern, und die Umschrift: "AstöXXmv 2/brrjg; auf der Kehrseite in einem Lorbeerkränze eine Leyer,
über welche ein A, und umher der Name des Volks (mit Verdoppelang eines Buchstabs): XasistiSov,
steht. 6°) Dieser Beyname Apollo's ist mit dem des Epicurius gleichgeltend. Da er aus der Schlacht
der Amazonen, der pricsterlichen Dienerinnen Dianens in die gestörte Vermählungsfeyer herbey-
kommt, da diese seine Schwester eine der Hochzeitgotthcilen, (Steoi -/auifkioi.) Schutzgottheiten
Neuvermählter ist, so wird die zu seiner Seite abgebildete Göttin Artemis sevn. Jungfrauen hielt
man für der keuschen Göttin Eigenthum. Sie mufsten durch Gebet, Opfer und Weihe ihres Haars,
von der Artemis Lysizonos (der Gürtellöserin) die Heyrathserlaubnifs erbitten. Auf einer Athenischen
Vase in Herrn Fauvels Sammlung zu Athen ist sie daher in einem Brautzuge neben Apollo dargestellt.
;
Den Phigaliern lag überdem der Gedanke an sie bey der Stiftung des Tempels besonders nahe. Jeder
l plötzlich hinraffende Tod wurde je nach dem Geschlecht, entweder Apollo's oder Artemis Pfeilen
beygemessen und die Gestorbene mit den Worten*Aaok\avo- oder 'Hhoß X>/roi, 'AQ-rs^uSo- oder lehjvo
ßjj/roi (von Apoll oder Sonne, von Artemis oder Mond Getroffene) bezeichnet. Die Pfeile bevder
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ll,IK,
— 65 —
■>,%, Gottheiten sind die Sinnbilder der weithintreffenden Strahlen, daher Apollo Hecatäus, Artemis Hecate
n, (von exaSev, weit) genannt; bcyden legte man sowohl die Luft verpestende, als gesundende Kraft
bey, daher wie Apollo Ovltog, auch Artemis Ovlia heifst. Der Name Artemis selbst wird von ägreftt/g
sioieiv, gesund macheu, hergeleitet 6l). Das Phigalische Volk betrachtete sie als Schutzgöttin der
Stadt; auf der Höhe von Phigalia war der vornehmste Tempel ihr mit dem Beynamen Soteira, Erret-
terin, geweiht.63) Schicklicherweise steht sie also hier neben dem Epicurius, dem Helfer, (s. T. XIX.
N°. i3.) und gleichwie jene Artemis Astrateia neben dem Apollo Amazonius, erscheint sie mit ihm in
geschwisterlichem Vereine, den Streit der Völker zu schlichten, der in beyden Schlachten religiösen
Grund und bestimmte Beziehung auf beyde Götter hatte; sonst würde man diese weibliche Figur für
eine ungeflügelte Nike oder Siegesgöttin halten können, denn die gewöhnlichen Auszeichnungen der
Mond - und Jagdgöttin, Köcher und Bogen sind nicht sichtbar.
Hirsche kommen beyden Geschwister-Gottheiten als Attribute zu, der Artemis und dem
Apollo63). Bald zeigte dieses Thier das Jagdgeschäft an, wovon Apollo Agräus, Jäger, Artemis
Agrotera, Jägerin, hiefs (Pausan. I, 4i-)> bald diente es wegen seiner vermeintlichen langen Lebens-
dauer als Sinnbild der Ewigkeit. Durch mährchenhafte Einkleidung der Mythe (Hygin. fab. ao5.)
empfing dieses Attribut einen besonderen Bezug auf Apollo und Diana. Eine Jägerin, Namens Arge,
die Hurtige, war in dieses Thier verwandelt worden, als sie bey Verfolgung eines Hirsches sich
rühmte ihn zu ereilen, wenn er auch der Sonne gleich liefe; der Jäger Aktäon hatte durch solche
Verwandlung den Anblick der keuschen Diana beym Bade gebüfst (Ovid. Metamorph. 1. III. v. i43 seq.),
und die Göttin selbst kämpfte in dieses Thiersymbol verwandelt bey der Gigantenschlacht. Die mys-
tische Bedeutung des gefleckten Behfells (veßofe) ist die gestirnte Himmelsdecke64), und diese
Gottheiten sind die Tag und Nacht wechselnden, grofsen Himmelslichter, die besonders in Hinsicht
ihres Auf- und Niederganges fahrend gebildet, und in antiken Gemälden durch einen Lichtschein
ums Haupt ausgezeichnet wurden, obgleich der volksthiimliche Götterdienst, nach verschiedenen
Beziehungen, beyden mehrere unterscheidende Namen und Aemter zutheilte. Helius und Selene
als besondere Personificationen deuteten ums Haupt vorschiefsende Strahlen bey ersterem, und
aufsprossende Hörner bey letzterer an (Pausan. VI. i\.), doch hatte auch Apollo den Zunamen
Kereates, der Gehörnte (Pausan. VIII, 34-)-
hielt
der Didymäische Apoll des Conachus hatte neben sich dieses Thier; auf PiÜmischen Knisermünzen trägt derselbe Gott ein Hirschhalb in der
Rechten, wie er auch in einer Meinen Marmorstatue des Museums Chiaramonti alterthümlich gebildet vorkömmt, und auf Vasen sieht man es
1
häufig neben ihm angebracht. Ebenso bey der Artemis als Jägerin und Mond. Des Hirschbespannten Wagens der Luna geschieht auch
Erwähnung bey Claudian. de laud. Stil. 1. III, v. 286. Pausanias (VII, 18.) erzählt, dafs in Patra die Priesterin der Diana Laphria mit dem
Hirschgespann einen Feyerzug hielt und Münzen zeigen die Diana mit Hirschen fahrend.
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isclien °*) Diodor. Sic 1. I. pag. u. ed. Rhodoman.
Jeder
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— 66 —
DIE CENTAURENSCHLACHT.
M y t h e.
JL/er historische Grund der alten Sage von den Centauren ist bckanntermafsen ein Geschlecht
M. wilder Bergbewohner, welche auf den Höhen Thessaliens und Arcadiens in der Rohheit der Urzeiten
zurückblieben, während die Thalbewohner, vermöge i hrer Lehensart, eulturmäfsig vorgeschritten
waren. Ueber den waldigen und buchtigen Pelion verbreitet, mufsten sie daher auch mit den be-
nachbarten Lapithen ß), den Anwohnern des Flusses Peneus, in immerwahrendem Streite seyn.
Felsstücke und Baumstämme dienten ihnen statt der Waffen, die Jagd wilder Thiere, deren Fleisch
sie roh afsen, ernährte sie. Der rauhe, behaarte Körper, der thierische Ausdruck in den Gesichtern,
welcher anderen Völkern auffallen mufste, wird von frühen Dichtem, von Homer und Hesiodus,
als Bezeichnung ihrer Gestalt angegeben 66). Da sich bey rohen Naturmenschen durch Naturbeob-
achtuug die ersten, zum Theil den Thieren abgesehenen Erfindungen, als die Kräuterkunde, ferner
Jagd- und Körpergeschicklichkeit vorzüglich entwickeln, so konnte der Centaur Chiron als Erzieher
und Lehrer des Aesculap und der angesehensten Helden betrachtet werden. Thessalien war auch
eines der ersten Länder, wo Phönicischc Seefahrer, mit dem Neptuudienst Pferde einführten und
das Alterthum rühmte vor allen Thcssalische Reiter und Pferdezucht. Das Volk der Centauren soll
daselbst die ersten Rosse gezähmt und das Reiten erfunden haben 6?). Bey Festen waren dort Stier-
kämpfe in religiöser und symbolischer Beziehung gebräuchlich, wo die Kämpfer zu Fufs und zu
Pferde erschienen60); auch die Erfindung des Stierkampfs wird ihnen bevgelegt 6'). Mond- und
Erdgottheiten wurden hiedurch gefeyert und so kommen Stierkämpfe auch zu Ephesus, zu Athen u. a.
Orten vor. Diana und Minerva hatten den Beynamen raiQo§iiloi oder ravposrüloe, Stierwürgerin 7°).
Stierbilder trägt die Ephesische Diana. Theseus bekämpfte noch den Marathonischen Stier und
opferte ihn der Minerva. Von jenen Stierkämpfern, die also gleich den Amazonen einem alten
i Sil '
orgiastischen, insbesondere auf den Mond bezogenen Naturdienste anhängen mogten, leiten Aeltere
und Neuere den Namen Centauren und Hippocentauren (nchmlich von xemm rao/jora, Stiere nieder-
i Mi
stechen, und Xxsrog, das Pferd), wie auch die Fabel dieser Wunderwesen her"'). Die Sa"e, heifst
") Der Name dieser Völlterschaft hat sich noch bey den Nengriechen erhalten; aber in ungehehrtem Verhältnifs bezeichnet das Wort
XiaTli&Fg jetzt die suf dem Pelion und Olymp wohnenden wilden, räuberischen .Votten. Bey den Alten lidmmt das Wort Xuril&rg, wie
Xanlozqg, Xant'^w, Xämofta, in der Bedeutung eines übermütliigen Betragens vor.
66) <7>^ߣe docffxejtj Xap>i~EVTEq. — S. Vofs Mytholog. Briefe.
") Diodor. Sic. IV. 8. p. 272. — Heraclit. de incred. 5.
'«) Sueton. in Claud. c. 31.
°9) Plin. H. N. 1. VIII. c. 6. s. 70. — Beyde Erfindungen scheinen die Thessalischcn Münzen von Larissa u. a. Städten anzudeuten, wo
auf der Vorseite ein Pferd oder Reiter und dabey ein Dreyzach, auf der Kehrseite manchmal auch ein Stierkämpfer abgebildet ist. S. Mionnet
Descript. de mödailles Gr. et Bom. Tom, II.
~°) Creuzers Symb. und Mythol. zw. Ausg. Tbl. 4. S. 300, 290 ff.
71) I'alaephat. de incred. c. 1. — Doch wollten Einige den Namen durch xiniiß zrjv ca'occr, ich stachle oder durchsteche die Luft,
erklären und eine Bezeichnung der Schnelligkeit darin finden. — In dem Museum Chiaramonti im Vatiean N°. 24. steht das Basrelief eines
Sarhopliagdechels mit der Darstellung von Centauren, wie auch von Pegasen und Tritoncn, neben dem Brustbilde des Mondgottes (Dens Lunus).
»1.71.11 I
- 6?
es, verbreitete eine unvollkommene Vorstellung von rohen, an Thierheit gräuzenden Menschen,
welche wilde Stiere des Pelion verfolgend und bezwingend, zuerst als Reiter erschienen, und diese
vollendete die bildende Kunst durch Darstellung einer halbthicrischen Doppelgestalt71). Sie fügte
anfänglich auf ungeschickte Weise den Hinterleib des Rosses an den Menschenkörper, wie älteste
Denkmäler zeigen. Die allmählig entwickelte Kunst erfand eine verschönerte Umbildung; denn sie
erkannte die aus Verbindung verschiedener Formen, des edelsten Thieres und des Menschen, her-
vorgehenden Vorlheile, und suchte das Wunder- und Doppelgeschöpf, dem Verfahren der Natur
gemäfs, durch Verschmelzung der Charaktere und Muskulaturen bis zur täuschenden Wahrschein-
lichkeit eines Naturspicls 73) zu steigern. Indem sie mit der Schulter des Rosses die Hüfte des
Menschen verband, auch wohl dem Menschenhaupte Pferde-Ohren und Pferde-Haar, den Gesichts-
zügen Ausdruck der Wildheit und des Ungestüms, ja sogar den Charakter des Pferdes zu geben
wufste, schuf sie das vollkommenste, halbmcnschliche Wunderwesen, welches im Reiche der Phan-
tasie aufzuweisen ist. Folgender Mafsen malet Ovid74) die Schönheit eines Centauren aus:
Jugendlich sprolstc der Bart und schimmerte golden, und golden
Wallete nieder das Haar his mitten zum Bug von den Schultern.
Reizende Kraft im Gesicht; der Hals und die Schultern, die Hand' auch
Sind wie die Brust der Künstler gelobtesten Bildungen ähnlich,
So weit reichet der Mann: auch dem Rofslci!) drunten ist fehllos
Und unbesehamt vom Manne der Wuchs. Gieh Nachen und Haupt ihm;
Castors werth ist das Bofs 1 So bläht sieh der Buchen, so ragt ihm
Prall vom Fleische die Brust. Ganz dunltclt ihn Schwärze des Peches;
Weils nur schimmert der Sehweif; auch hell ist den Beinen die Farbe.
Die Entstehung dieser Doppelgeschöpfe tragen die Mythendichter auf verschiedene Weise vor.
Einige 7ä), die Erfindung der Reitkunst, die zügellose Rohheit und Begier in die Fabel einkleidend,
gründen die Geburt der Hippocentaurcn auf eine Verbindung der Centauren mit Magnesischen Stuten.
Andere scheinen dieselben theils als eine phantastische Ausgeburt der Sinnentäuschung76) zu be-
zeichnen, indem sie den Göttergenossen Ixion, in der Einbildung, Here zu umarmen, mit einer
Truggestalt aus ihrem Elemente, mit einem ihr gleichenden Wolkengebilde, diese Wunderwesen
erzeugen lassen, theils einen symbolischen Gruud ihnen unterzulegen; denn durch seine Natur ist
das Rofs ein Bild wilder Triebe, ferner ist es ein Sinnbild der Bewe und als ein Neptunisches
Sinnbild, als ein Sinnbild des Wasserreiches, stimmt diese Thierform zu ihrem Ursprünge aus der
Regenwolke. Demnach konnten sie als Wolkensöhne, von der formenwechselndeu Mutter mit Götter-
natur und Sehneiligkeit der Rosse begabt, wie Diodor (1. IV. pag. aao. ed. Rhodoman.) anzeigt, die
Doppelgestalt empfangen haben. Creuzer hält sie daher für Bilder der wildeil Wogen und Sümpfe,
welche durch die Kraft der Sonne vernichtet werden (Symb. 2,orTlil. S. a5i. Anm.); ebenfalls Payne
Knight. Ihr Anblick erinnert an die Mensch- und Thiervereine der frühesten Fabelwelt (wie die
Phigalische Ceres mit dem Pferdekopf), und auch so deuten sie auf einen älteren Naturdienst. Ein
späteres Zeitalter versetzte sie als Symbole wilder Begier und Berauschung gleichfalls in das Gefolge
desDionysus; dann müssen sie den Wagen desselben ziehen, Bachantcn tragen, oder von Cupido
'-) Diodor. Sic. 1. IV. a. a. O. — Die uralten Bildwerlic der Melopcn unter den Trümmern eines Tempels zu Ässus in Kleinasien
enthalten eine Felge von Centauren und Kindern.
73) 'iTiTzog f'?;r äxtxQtfvog, cn'jjp d" dviXsanos fWtro,
"Ovys fpvaig nuijwoa Dwtft ivsxßiTQia&v (Vejtoj.
Epigramm des Evodus auf den Hippocentaurcn Chiron Anthol. 1. IV.
'4) Metamorph. 1. XU., v. 3o5 sq. nach Vofs.
"') Nach Piudar.
~°) Schon die Alten betrachteten sie als fabelhaft, s Lucret. 1. Y. v. 8oo. sq. — Cicero de Nat. Deor. 1. II. c. 2.
f
— 68 —
Fesselung und Züchtigung erdulden77). Ferner wurden sie unter die Sternbilder an den Himmel
gestellt, und' schon auf alten Aegyptischen Denkmälern, wie im Zodiacus zu Tentyra, auf dem Grab-
pfeiler im Garten des Barberinischen Pallastes zu Rom sehen wir das Zeichen des Schützen durch
einen Centauren mit Rofsbeinen angedeutet, (vergl. Macrob. Sat. 1. I. c. ai.).
Beyde Völkerschaften, sowohl die Centauren als die Lapithen, leiteten ihre Abstammung von
n Apollo her. Er sollte mit der Nymphe Stilbe, des Peneus Tochter, den Lapithes und Centaurus
gezeugt haben, beyde von menschlicher Gestalt'8). Der erste liefs sich am Peneus nieder, der
andere auf dem Pelion, und von ihnen trugen die Völker ihre Namen. Ein Urenkel des Lapithes
war Ixion, Vater des Lapithcnfürsten Pirithous, welchen aber Dia heimlich vom Zeus empfangen
haben sollte, und des halbthierischen Centaurenstammes. Wegen Antheils am väterlichen Reiche,
* lautet die Vulgärfabel bey Diodor, erhob sich zwischen dem unächten Stamme dieser Ungeheuer und
den Lapithen ein Krieg. Nach Beendigung desselben vermählte sich Pirithous mit Hippodamia, Tochter
des Bystus79), der schönsten Thessalischer Jungfrauen, und lud zur Hochzeitsfeyer, nächst den
vornehmsten der Lapithen, auch die Centauren ein, unter denen Eurytion oder Eurytus, Nessus
und Pholus die berühmtesten waren 8o). Der Pylier Nestor rühmte sieh gleichfalls sein Hochzeitsgast
4 gewesen zu se}rn, auch Peleus wird erwähnt, und dem Pirithous der liebste, sein Gefährte Theseus
durfte nicht fehlen. Ihre Freundschaft war zum Sprüchwort geworden, wie die des Orest und
Pylades, des Achill und Patroclus. Die tapfersten Helden der Lapithen, die bey der Hochzeit er-
schienen, sind Cäneus, Dryas, Exadius und Polyphemus, Elatus Sohn. Cäneus aber, auch ein
Fürst der Lapithen, ist vor allen berühmt durch Tapferkeit und wunderbare Schicksale8'). Er war
als Weib geboren, Tochter des Elatus, Cänis genannt. Die Schönheit des Weibes hatte der Freyer
viele herbeygelockt; die Stolze schlug jede Bewerbung aus, entschlossen sich keinem Manne zu
ergeben. Als sie am Ufer des Meeres wandelte, überwältigte sie Poseidon, verbarg aber auf ihre
Bitte den angethanen Schimpf durch Aenderung ihres Geschlechts, und ertheilte der Manngewor-
denen auch Unverwundbarkeit. So entstand aus Cänis Cäneus. Der Stolz des Weibes ward im Manne
Uebermuth, der Unverwundbare dünkte sich ein Unsterblicher, wagte mit Apollo im Kampfe sich
zu messen, und obgleich der Gott ihn besiegte, stieg sein Uebermuth bis zum Verlangen nach gött-
licher Verehrung. Unter dem Streite mit Apollo ist nichts anders, als wie unter dem Dreyfufsstreite
des Herakles, ein Angriff auf den Apollodienst verstanden. Cäneus Lanze {Kaiveoz dbqv) wurde
sprüchwörtlich gebraucht. Sein Name bedeutet der Neuerer. Die Strafe der Götter, die Rache
Apollo's, ereilte ihn aber bey der Hochzeit des Pirithous.
Am Fufse des Pelion hatten sich nun alle die Eingeladenen versammelt. Schon safsen die Gäste
bey dem. hochzeitlichen Mahle, die schöne Braut Hippodamia glänzte im Kreise der Frauen, vom
Hymenäus, von festlicher Freude erschallte die Gegend. Da regte sich in den durch Wein berausch-
ten Centauren die wilde rohe Natur.
Als nun die Thiere haum des süfsen Weins mannziihmende Slürlte gewahret
Rasch mit den Händen Iierah die schimmernde Milch von den Tischen
Stiefsen sie. Eignen Drangs aus silbernen Hörnern darauf