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Edward Snowden darf weitere drei Jahre in Russland bleiben und auch frei ins Ausland reisen. Sollte er je
deutschen Boden betreten (was Snowden selbst und viele Deutsche sich wünschen) - nach welchem
Recht würde man diesen Whistleblower hier behandeln? Als in den vergangenen Monaten über
Aufenthaltsmöglichkeiten für Snowden diskutiert wurde, wurden drei Optionen genannt.
Erstens, das Asylrecht - es schied aus, weil ein Antrag auf Asyl nur von einer Person gestellt werden kann,
die sich bereits im Lande aufhält. Eine zweite Möglichkeit wäre, Snowden nach dem Aufenthaltsgesetz
aufzunehmen, das einem Ausländer "aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen eine
Aufenthaltserlaubnis" ermöglichen kann. Dies lehnte die Bundesregierung ab. Auch die dritte Möglichkeit
lehnte sie ab: Den Whistleblower nur für eine Zeugenvernehmung durch den parlamentarischen NSA-
Untersuchungsausschuss ins Land zu lassen.
Die Sicherheitspartnerschaft mit den Vereinigten Staaten ist zentraler Bestandteil der deutschen
Staatsräson. Sie steht gleichsam über Recht und Verfassung.
Die deutschen Ziele korrespondierten mit denen der USA. Nur durch die Einbindung in den Westen war
ein demokratischer Neuanfang möglich. Eine dauerhafte Stationierung amerikanischer Truppen und
spezifisch deutsches NATO-Recht haben die Sonderrechte der USA dauerhaft gesichert und
fortgeschrieben - bis heute. Nicht von ungefähr ist die Bundesrepublik, nach Afghanistan, der größte
amerikanische Militärstandort.
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Die Privilegien der USA reichen von der Steuer- und Zollfreiheit über die Mitfinanzierung der militärischen
Infrastruktur, die Übernahme von Sozialleistungen für deutsche Zivilangestellte bis zu Vergünstigungen
für amerikanische Firmen, die bestimmte Dienstleistungen, unter anderem im Geheimdienstbereich, für
die US-Truppen in Deutschland erbringen. Dazu kommen Sonderrechte im Bereich der
Strafgerichtsbarkeit und Strafverfolgung.
In Deutschland gilt nicht nur deutsches Recht, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel mehrfach betont hat,
sondern auch amerikanisches Recht.
Von Edward Snowden wissen wir, dass er nicht nur für die CIA gearbeitet hat, sondern auch für die NSA
und die DIA (Defense Intelligence Agency), beide unterstehen dem US-Verteidigungsministerium. Es ist
durchaus möglich, dass Snowden, sollte er nach Deutschland kommen, vor einem Militärgericht
angeklagt wird. Denkbar wäre auch, dass die US-Militärbehörden in Deutschland - von welchem Gericht in
den USA auch immer - um Amtshilfe gebeten würden. Die Schwere der Straftaten (Spionage, Verrat von
Amtsgeheimnissen, Diebstahl von geheimen Staatsdokumenten), die Snowden vorgeworfen werden,
lässt dies sogar vermuten. In der Zeit der alten Bundesrepublik ist mancher Straftäter mit Unterstützung
deutscher Behörden in die USA ausgeflogen worden.
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Deutsch-amerikanische Beziehungen USA stehen
Privilegien laut Nato-Statut zu
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Nach Artikel VII des Nato-Truppenstatuts von 1951 haben die amerikanischen Militärbehörden das Recht,
innerhalb der Bundesrepublik "die gesamte Straf- und Disziplinargerichtsbarkeit" über alle dem
amerikanischen Militärrecht unterworfenen Personen auszuüben. Sie haben ferner das Recht, "die
ausschließliche Gerichtsbarkeit in Bezug auf diejenigen Handlungen, einschließlich Handlungen gegen
die Sicherheit dieses Staates, auszuüben, welche nach dem Recht des Entsendestaates, jedoch nicht
nach dem Recht des Aufnahmestaates strafbar sind".
Zu den strafbaren Handlungen gegen die Sicherheit des Staates gehören Hochverrat, Spionage oder
Verletzung eines Gesetzes, das sich auf die Amtsgeheimnisse bezieht oder Geheimnisse im
Zusammenhang mit der Landesverteidigung der Vereinigten Staaten. Die Behörden der Bundesrepublik
und der USA unterstützen sich gegenseitig bei der Strafermittlung, der Sicherung von Beweismitteln,
sowie bei der Festnahme und Übergabe beschuldigter Personen an die zuständigen Militärbehörden
der USA.
Die Zusammenarbeit erstreckt sich "auf die Förderung und Wahrung der Sicherheit sowie den Schutz des
Vermögens der Bundesrepublik, der Entsendestaaten und der Truppen, namentlich auf die Sammlung,
den Austausch und den Schutz aller Nachrichten, die für diese Zwecke von Bedeutung sind". Und - "auf
den Schutz des Vermögens von Deutschen, Mitgliedern der Truppen und der zivilen Gefolge und
Angehörigen sowie von Staatsangehörigen der Entsendestaaten, die nicht zu diesem
Personenkreis gehören."
Immer wieder musste sich die Bundesrepublik in der Vergangenheit verpflichten, Verwaltungsabkommen
und Vereinbarungen mit den USA zu treffen, die die Sicherheit der USA und ihrer Truppen in
Deutschland gewährleisteten.
Ist der Aufenthaltsort bekannt, muss der Verfolgte vorläufig festgenommen und unverzüglich dem Richter
des nächsten Amtsgerichtes vorgeführt werden. Der Richter vernimmt den Verfolgten "über seine
persönlichen Verhältnisse, insbesondere über seine Staatsangehörigkeit". Er teilt ihm die Gründe für die
Festnahme mit und klärt ihn über seine Rechte auf.
Hält der Richter die Voraussetzungen für die vorläufige Festnahme für gegeben und das Ersuchen um
Übergabe für gerechtfertigt, ordnet er an, dass der Verfolgte unverzüglich an die zuständige
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Militärbehörde der USA übergeben wird, andernfalls wird der Verfolgte freigelassen.
Es ist nicht vorzustellen, dass die USA ausgerechnet bei einem so prominenten "Spion" und "Verräter",
den sie in Edward Snowden sehen, auf ihre Rechte und Möglichkeiten verzichten, die ihnen nach
amerikanischem Recht zustehen - dessen Gültigkeit die Bundesrepublik ausdrücklich anerkannt hat.
Sollte die Bundesregierung sich weigern, bei der Festnahme und Übergabe von Edward Snowden zu
helfen, so würde das die über sechzig Jahre gewachsene Sicherheitspartnerschaft in ihre schwerste
Krise stürzen.
So bitter die Erkenntnis für alle ist, die in Edward Snowden einen mutigen Whistleblower sehen, darf er
deutschen Boden nicht betreten. Die Bundesregierung wird seine Auslieferung an die amerikanischen
Behörden nicht verhindern, sondern ermöglichen, ob aus rechtlichen oder politischen Gründen. Denn das
entspricht der deutschen Staatsräson.
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