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AUF DEM WEG

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magazin

Unterwegs. Sein.

Patricia Kelly
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„Der Klang meines Lebens“
Inhalt
Interview mit Patricia Kelly

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Ein Dialog über die großen Fragen des Lebens
Pater Anselm Grün im Gespräch mit seiner Nichte

Eine neue Sicht der Dinge


Endlich bei mir selbst ankommen ������������������������������������������������������������������������� 18
Wo willst du hin?
Das Leben des Franz von Assisi . Erzählt von Titus Müller ��������������� 28

Foto Patricia Kelly: Peter Becher / Foto: Anselm Grün & Andrea J. Larson: Kristin Moore / Foto Andreas Felger: Ralf Baumgarten
Ungewöhnliche Perspektiven
Eva Jung erzählt, wie sie Got t gesucht und gefunden hat ������������������������ 36
Vaterseelenallein
 Wohin es führt, wenn der Vater fehlt ������������������������������������������������������ 40

52
Jahrzehnte des Schaffensdrangs
Der Künstler Andreas Felger

Der Diener
Ein neuer Roman von „ Josh“-Autor Tom Reichel ��������������������������������������������� 58
Editorial

Ein brennendes Herz

„Das Wichtigste für mich ist, dass man auf


dem Weg bleibt. Auf dem Weg der großen
Liebe. Der Rest kommt von allein.“
Patricia Kelly

Vor vielen Jahren fand Patricia Kelly in


einem Haus in Spanien einen alten Druck.
Er lag zusammengefaltet auf dem Fußboden:
ein Jesus-Bild mit dem Symbol des „brennen­
den Herzens“. Dieses Bild hat sie nicht mehr
losgelassen, sie trägt es seitdem mit sich.
Es begleitet sie auf ihren Konzertreisen, es
hängt hinter der Bühne, in ihrer Wohnung.
Mit ihren Eltern und Geschwistern ist
Patricia Kelly durch ganz Europa gezogen,
war auf vielen Kontinenten unterwegs, hat
leidenschaftlich Musik gemacht, Höhen und „Das brennende Herz“, Eberhard Münch, 2013, Atelierfoto

Tiefen, bahnbrechende Erfolge und schwere


Krankheiten hinter sich. Am Ende, so Und auch das neue Buch von Titus Müller
schreibt sie, bleibt die Liebe. Ihre Biografie und Eberhard Münch legen wir ihnen be-
ist etwas ganz Besonderes. sonders ans Herz: „Glücklich der Mensch“.
Darin geht es um einen der großen Gott­
Auch sonst haben wir wieder einige „Lieb- sucher und Poeten – Franz von Assisi.
haberstücke“ für Sie vorbereitet. In ihrem
gemeinsamen Buch „Sag mal, Onkel Willi“, Danke, dass Sie mit uns auf dem Weg sind!
befragt Andrea J. Larson ihren Onkel,
Pater Anselm Grün, zu den großen Themen
des Lebens.

Samuel Koch hat Teile seines Best­sellers


„Zwei Leben“ eingelesen. Es ist bewegend, Ralf Markmeier Stefan Wiesner
die Texte aus seinem Mund zu hören. Verlagsleiter Programmleiter

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Foto: Peter Becher
„Der Klang meines Lebens“
Interview mit Patricia Kelly

Patricia Kelly, Mitglied der legendären Kelly Family, stand schon als 5-Jährige auf der Bühne.
Rund 20 Jahre reiste die Kelly Family als Straßenmusiker durch die USA und Europa, bevor
sie 1994 ihren großen kommerziellen Durchbruch erzielte. Auf den Straßen und Bühnen der
Welt hat Patricia Kelly viel erlebt und tiefe Einsichten gewonnen. Nun hat sie ihre Biografie
„Der Klang meines Lebens“ veröffentlicht.

Frau Kelly, Sie haben lange gezögert, Ihre Denis hatte völlig Recht, darüber hatte
Biografie zu schreiben. Warum haben Sie sich ich nie nachgedacht. Damit war die
nun doch dazu entschieden? Entscheidung getroffen. Ich wollte
meinen beiden Jungs etwas hinterlassen,
Es war lange Zeit einfach so, dass ich einen Einblick in das Leben ihrer
keinen richtigen Sinn darin gesehen Mama. Deshalb habe ich ihnen das
habe, meine Biografie zu schreiben. Ich Buch gewidmet und ihnen einen kleinen
bin grundsätzlich kein Mensch, der sein Brief als Nachwort geschrieben.
Privatleben in großem Umfang öffentlich
macht. Und eine Biografie lebt zum großen Zur Vorbereitung haben Sie einige Orte Ihrer
Teil ja genau davon. Dann aber geschahen Vergangenheit besucht. Wie hat sich das
zwei ganz einschneidende Dinge. Kurz angefühlt, zu Stationen Ihrer Lebensreise
nacheinander habe ich den plötzlichen zurückzukehren?
Tod eines sehr jungen Menschen und
den fast tödlichen Unfall eines anderen Das war sehr spannend, aber auch auf
erlebt. Das hat mich sehr bewegt und ganz eigene Art tief bewegend. In gewissem
zum Nachdenken gebracht. Ich habe mir Sinne war ich ja zum Beobachter geworden.
die Frage gestellt, was ich denn eigentlich Eine ganz neue Rolle! Zunächst hatte ich
hinterlasse, wenn ich einmal sterbe. ein bisschen Angst, dass sich mein Leben
Was nehme ich mit an Erfahrungen, die rückblickend gar nicht so zeigen würde,
ich nicht mit anderen geteilt habe? wie ich es bisher in Erinnerung hatte.
Dann war aber genau das Gegenteil der
In dieser Phase hatte ich dann ein sehr Fall. Die Orte und Menschen, die ich in
intensives Gespräch mit Denis, meinem Spanien, Frankreich und Irland besucht
Mann. Und er war es auch, der mir das habe, haben mich viele Dinge aus meiner
entscheidende Argument geliefert hat: Vergangenheit noch schöner, ungewöhn-
Sollte ich plötzlich sterben, wie viele licher und reichhaltiger sehen lassen. Das
Geschichten, wie viele Erfahrungen hätte Ergebnis war große Dankbarkeit. Mir ist
ich dann nicht mit meinen Kindern geteilt? einfach noch einmal klar geworden, wie
Das traf mich wie ein Blitz. dankbar ich für mein Leben sein darf.

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In Ihrem Buch sprechen Sie auch sehr aus­
führlich über dunkle Phasen Ihres Lebens.
Was war die Motivation dahinter?

Zunächst mal wäre es ja überhapt nicht


wahrhaftig gewesen, wenn ich nur über die

Foto: Patricia Kelly, privat


schönen und guten Seiten meines Lebens
geschrieben hätte. All die dunklen Zeiten
und Erfahrungen haben mich als Mensch
zutiefst geprägt. Und ich habe gelernt,
sie anzunehmen. Die langen Phasen der
Krankheit, die mein Leben mitbestimmt Young Lovers in Paris, 1999
haben, waren auch immer eine Vorbereitung
für ganz wichtige Entscheidungen und Sehr ausführlich und humorvoll erzählen Sie
Richtungswechsel. Ich habe viele Narben auch von Ihrer Liebesgeschichte mit Ihrem
davongetragen, aber keine von ihnen heutigen Ehemann Denis. Warum haben Sie
bedaure ich. Sie haben mich als Mensch beschlossen, diese besonders persönlichen
reicher gemacht. Und dafür bin ich Erinnerungen mit den Lesern zu teilen?
mindestens genauso dankbar wie für
die vielen schönen Erfahrungen. Das ist ganz einfach zu beantworten: Ich
konnte nicht anders. Unsere Liebesge­
schichte ist mir sozusagen aus den Fingern
geflossen. Während des Schreibens habe
ich so vieles noch einmal durchlebt, was
natürlich besonders schön war. An manche
Details konnte Denis sich sogar noch besser
erinnern als ich selbst. Am Ende ist mir
dann klar geworden, wie extrem romantisch
das alles war, ein bisschen wie in einem
kitschigen Liebesfilm oder einem Märchen.
Ich glaube aber, es ist schön zu zeigen,
dass einem das Leben manchmal Träume
erfüllen kann, von denen man eigentlich
glauben würde, dass es sie nur im Kino gibt.
Für mich ist es die Zentralaussage meines
Foto: Marion Schröder

Buches: Man kann sein Leben lang nach


der Liebe suchen, aber sie entscheidet selber,
wann sie zu einem kommt. Und dann ist sie
manchmal wie ein Feuerwerk.

Kelly Family, 1978 in Hamburg Frau Kelly, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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Foto: Thomas Stachelhaus

„Stille Nacht“-Tour, 2012


In der Metro
AUSZUG AUS DER BIOGRAFIE VON PATRICIA KELLY

I love Paris in the winter …“ Unsere Stim-


men hallten durch die langen Tunnel der
Metro. Es war eine trostlose Zeit. Wenn wir
Wir erreichten unser Ziel mit Müh und Not,
ohne Geld in der Tasche und mit einem
Gefährt, das reif für den Schrottplatz war.
sangen, schien das nur ein Klang von vielen Wir waren ganz unten angekommen. In der
zu sein. Es herrschte rege Betriebsamkeit. Metro schienen wir nur zu spielen, um ig-
Das Klackern eiliger Schritte auf glattem noriert zu werden. Die vorbeieilenden Leute
Beton war dauerpräsent und wurde nur ab würdigten uns nicht einmal eines flüchtigen
und an von dem Quietschen und Rattern Blickes.
vorbeirauschender Züge überlagert. Nie- „Eines Tages“, schworen wir uns damals,
mand blieb stehen. Kein einziger Passant „eines Tages werden wir ein Stadion mit
hielt an, um uns zuzuhören. Menschen füllen!“

Es war ein eiskalter Winter. Nach Mutters Hätte ein Außenstehender uns zugehört, er
Tod hatten wir unser Glück eine Zeit lang wäre vermutlich zu dem Schluss gekommen,
in Norditalien auf der Straße versucht, aber dass wir nicht nur arm waren, sondern auch
die Temperaturen waren zu weit herunter­ den letzten Rest Verstand verloren hatten.
gegangen, um draußen auch nur eine Doch das wäre uns egal gewesen. Wo genau
Handvoll mehr Geld zu verdienen als das, dieser Traum von einem vollen Stadion her-
was wir gerade so zum Überleben brauch- kam, weiß ich nicht mehr. Ich vermute aber,
ten. Alles, was wir noch besaßen, um unsere es war wieder einmal eine Vision meines
Instrumente, Kleidung und ein bisschen Vaters.
Spielzeug für die Kleinen zu transportieren,
war ein alter Lieferwagen, der langsam den Was unser Überleben anging, waren es
Geist aufgab. So konnte es nicht weitergehen. angstvolle Zeiten, aber unser Stadion-Traum
Irgendwann beschlossen wir aufzubrechen leuchtete wie ein Licht am Ende des Tunnels.
und abzureisen. Wir sangen mit aller Kraft und ignorierten
die stickige Luft, die dort unten herrschte.
„Wir müssen hier weg! Ab in den Wagen, Und wir wussten, dass wir gute Stimmen
Kinder!“ Mein Vater fuhr mit voller Kon- hatten und dass sie die Menschen in der
zentration 14 Stunden lang ohne Unterbre- Metro früher oder später erreichen würden.
chung von Padua nach Paris. Ich verstand Bei alledem war mein Herz erfüllt von
nicht, warum er so strikt dagegen war, eine Mutters letzten Worten. Sie erinnerten mich
längere Pause einzulegen. Doch er hatte nur daran, dass wir eine Familie waren, die
das eine Ziel im Kopf: Paris zu erreichen, nichts voneinander trennen konnte. Wir
bevor der Wagen komplett auseinanderfiel. waren Hinterbliebene mit einem Pakt, den

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Buchtipp
niemand brechen konnte. Wir glaubten an
uns, und das war von entscheidender Bedeu-
tung, um uns früher oder später aus dieser In großer Offenheit und Empathie teilt Patricia
Situation herauszubringen. Kelly, Mitglied der legendären Kelly Family, mit
Im Vergleich zu dieser schwierigen Zeit in dem Leser die Höhen und Tiefen ihres Lebens und
der Metro ist rückblickend vieles andere halb ihres Glaubens. Als sie 12 Jahre alt war, starb ihre
so wild gewesen. Vielleicht war es der typisch Mutter an Brustkrebs. Im Jahr 2009 wurde auch
irische Kampfgeist der Kellys, der damals bei Patricia eine aggressive Brustkrebs-Vorstufe
zum Vorschein kam. Seit jenen Tagen hat er diagnostiziert, und erfolgreich operiert.
uns jedenfalls nie im Stich gelassen.
Auf den Straßen und Bühnen der Welt hat Patricia
An einem jener trostlosen Nachmittage Kelly viel erlebt und tiefe Einsichten gewonnen.
sprach uns ein Obdachloser an.
„Ihr müsst zu unterschiedlichen Zeiten
spielen, um die Rushhour zu vermeiden“,
lautete sein gut gemeinter Ratschlag, „denn
dann wollen die Leute nichts anderes, als
pünktlich ihre Bahn erreichen und haben
keine Zeit für euch.“
Ein einstmals charismatischer Mann,
jetzt dem Alkohol verfallen und mit einer
gebrochenen Nase, war zu uns herüber-
gekommen. „Hi, ich heiße Michel“, stellte
er sich vor. „Man nennt mich Le Roi des
Clochards hier in Paris – den König der
Obdachlosen. Wo kommt ihr her?“
„Aus Irland“, antworteten wir ihm.
„Und ihr seid alles Geschwister?“
„Ja, das sind wir.“
„Oh, was für eine prächtige Familie!“, rief
er begeistert aus.

Rasch wurde er ein guter Freund, der uns Patricia Kelly


morgens stets gern den besten Platz in der Der Klang meines Lebens
Metrostation St. Michel frei hielt. […] Erinnerungen an stürmische und sonnige Zeiten
Nr. 835001, € 18,99
Gekürzter Auszug aus dem Buch Gebunden • Schutzumschlag
„Der Klang meines Lebens“ von Patricia Kelly 312 Seiten inkl. 24 Seiten farbiger Bildteil
ISBN 978-3-86334-001-8

A Auch als eBook erhältlich


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Ein Dialog über die großen Fragen des Lebens
Das persönlichste Buch von Pater Anselm Grün

Andrea J. Larson schreibt Briefe an ihren Onkel Willi – einen der bekanntesten Autoren
unserer Zeit. Die Rede ist von Pater Anselm Grün. Auf der einen Seite die junge Mutter
von drei Kindern, die in Amerika lebt und in einem Leben voller Freiheiten auch viele
Begrenzungen sieht – auf der anderen Seite der alte Mönch, der sich als junger Mensch
für das Leben im Kloster entschieden und in der Begrenzung riesige Freiheiten entdeckt
hat. In ihrem sehr persönlichen Dialog geht es um die großen Fragen des Lebens.
Lesen Sie hier einen Auszug.

Foto: Kristin Moore


Lieber Onkel Willi, Liebe Andrea!

ich freue mich richtig darauf, Dir persönliche Du fragst mich nach meinem Namen. Da
Fragen zu stellen und Dich als Mensch noch muss ich unterscheiden zwischen meiner
einmal von einer neuen Seite kennenzu- emotionalen Haltung zu den beiden
lernen. Außerdem erhoffe ich mir von Dir Namen und der eher spirituellen Haltung.
die eine oder andere Weisheit, auf die Du Willi haben mich meine Eltern genannt
vielleicht in der Stille des Klosters gestoßen und meine Geschwister. Und die ersten
bist. Eine Stille, die mir als Mutter von drei 19 Jahre wurde ich nur so genannt. Das
Kindern in meinem Alltag fast vollständig war meine Identität. Als ich ins Kloster
abhandengekommen ist. Ich bin gespannt, eingetreten bin, sollten wir uns ja einen
wie sich unsere Erfahrungen und Lebensein- Ordensnamen wählen. Ich habe lange über-
stellungen überlappen, wie sie sich vielleicht legt. Dann bin ich auf Anselm gekommen,
ergänzen oder sogar im Konflikt miteinander denn Anselm von Canterbury hat mich
stehen. Ich habe aber das Gefühl, dass wir fasziniert. Damals wusste ich von ihm
uns im Kern nicht unähnlich sind, trotz der noch nicht so viel. Ich wusste nur, dass er
deutlichen und zahlreichen Unterschiede: der größte Theologe im Benediktinerorden
Du bist der Bruder meiner Mutter, also eine war. Damals nach dem Abitur war ich sehr
Generation älter als ich. Als Mann und Frau ehrgeizig. Ich wollte auch ein großer Theo-
sind wir ohnehin grundverschieden. Du lebst loge werden. Erst später habe ich mich mit
im Kloster und hast Spiritualität und Reli- Anselm mehr beschäftigt. Da sind mir zwei
gion zu deinem Lebensmittelpunkt gemacht, Aspekte seiner Person aufgefallen.
ich bin nach Amerika ausgewandert, um Er war ein klarer Denker, aber zugleich
meiner Liebe zu folgen, und habe meine ein betender Theologe. Sein Programm
Familie zu meiner Hauptaufgabe gemacht. [...] war: Fides quaerens intellectum, das
heißt: „Der Glaube sucht nach Einsicht“.
Eigentlich müssen wir zu allererst einmal
klarstellen, wie es zu dem Buchtitel kam Der Glaubende gibt sich nicht damit zufrie-
und dass es in unserer Familie eine Spaltung den, etwas zu glauben, was ihm von außen
gibt: der eine Teil nennt Dich nämlich seit vorgesetzt wird. Er möchte eindringen in
Deiner Profess bei Deinem Ordensnamen das, was er glaubt. Und er möchte es mit
Anselm, der andere Teil bleibt weiterhin bei seinem Verstand in Einklang bringen. Das
Deinem Taufnamen Wilhelm, so wie ich ist sicher auch ein wichtiges Programm
auch. […] Wie fühlt es sich an, wenn man meiner Theologie. Ich möchte immer
seinen Vornamen, den man seit Kindesbei- fragen: Was bedeutet das für mich? Welche
nen trägt, plötzlich ablegt? Wird man mit Erfahrung steckt hinter dieser Aussage?
einem neuen Namen auch zu einem neuen Und zu welcher Erfahrung möchte mich
Menschen? Und wieso hast Du Dir eigent- dieser Glaubenssatz führen? Der zweite
lich den Namen Anselm ausgesucht? Aspekt: In seiner Lebensbeschreibung
heißt es, dass Anselm der liebenswürdigste
Mensch seiner Zeit war. Das kann ich

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natürlich nicht kopieren. Aber eine Her-
ausforderung ist es für mich schon, dass
ich ganz und gar Mensch bleibe und nicht
abhebe in meiner Theologie.

Da ich jetzt schon 49 Jahre mit dem Namen


Anselm lebe, fühle ich mich mit diesem
Namen innerlich verbunden. Und ich erlebe
meine Identität in diesem Namen. Aber
wenn mich meine Geschwister und Neffen
und Nichten „Willi“ nennen, kommt da auch
etwas Vertrautes in mir hoch. Ich bin auch
als Mönch einer aus der Familie Grün. […]

In den letzten Jahren habe ich mich mehr


mit der Etymologie der Namen beschäftigt.
Wilhelm heißt: der willige Schützer. Mein
Vater hat ja Wilhelm geheißen. Und von ihm
habe ich den Namen übernommen, obwohl
ich ja nicht der älteste Sohn bin, sondern erst
der dritte. Mein Vater war der Schützer für
unsere Familie. Er hat auch uns Kindern den
Rücken gestärkt. So begegnet mir in diesem
Namen etwas sehr Vertrautes. In meinem
ganzen Wesen wollte ich auch immer andere
schützen. Ich konnte es nie vertragen, wenn
jemand vor anderen lächerlich gemacht wur-
de. Das weckte immer meinen Beschützer-
instinkt. Anselm heißt: der von den Göttern
Geschützte. Das hat mich sehr erstaunt, als
ich diese Parallele in den beiden Namen sah.
Im Namen Anselm erkenne ich, dass ich von
Gott geschützt bin. Und weil ich von Gott
geschützt bin, traue ich mir manches zu. Die
Erfahrung von Gottes Schutz nimmt mir die
Angst davor, etwas Neues zu probieren. Und
diese Angstfreiheit verbindet mich auch mit
meinem Vater. Er war ein mutiger Mann.
Foto: Kristin Moore

Er ist ja ohne Geld aus dem Ruhrgebiet ins


katholische Bayern gezogen und hat da aus
nichts ein Geschäft aufgebaut. […]

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Beide Namen sagen für mich etwas Wesent-
liches über meine Identität aus. Der neue
Namen hat sicher etwas in mir in Bewegung
gebracht. Aber er hat mich nicht von meinem
ursprünglichen Namen entfremdet.


Du sprichst von der Verbindung zu Deinem
Vater durch Euren gemeinsamen Vornamen
– aber auch durch die Ähnlichkeit in Eurem
Wesen. Leider ist er gestorben, bevor ich ge-
boren wurde. Ich weiß, dass er auch mit dem
Gedanken gespielt hatte, selbst ins Kloster zu
gehen, dann jedoch siebenfacher Familien-
vater geworden ist. Sicherlich kam im Alltag
mit den vielen Kindern seine geistige und
spirituelle Seite nicht so zum Zuge, wie er es
sich vielleicht gewünscht hätte. Carl Gustav
Jung sagte einmal: „Nichts hat einen stärke-
ren Einfluss auf das Leben der Kinder als das
ungelebte Leben der Eltern.“ Es ist ja häufig
so, dass wir unbewusst Sehnsüchte unserer
Eltern aufnehmen und dann selbst ausleben.
Daran finde ich generell auch nichts Schlech-
tes, denn oft sind wir uns ja auch im Wesen
ähnlich – und unseren Eltern war es vielleicht
einfach nicht möglich, diesen Träumen nach-
zugehen. Siehst Du Dich jetzt, im Rückblick
auf deine eigene Entscheidung, schon als
junger Mann Mönch zu werden, als eine Art
„Traum-Träger“ für Deinen Vater?


In der Spiritualität war ich sicher meinem
Vater ähnlich. Ich konnte mich genauso wie
er begeistern für die Schönheit der Natur
Foto: Kristin Moore

und für die Schönheit der Liturgie und für


das Geheimnis Gottes. Dass ich das unge-
lebte Leben meines Vaters im Kloster lebe,

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daran habe ich noch nie gedacht. Aber als ich Neugier auf andere Kulturen auszuleben,
den Satz, den Du von C. G. Jung zitierst, dar- weil sie als junge Frau nicht die Freiheit
aufhin nochmals meditiert habe, bin ich doch hatte, einfach zu gehen. Ich war damals ganz
nachdenklich geworden. Es kann durchaus überrascht, denn ich meinte bis dahin, stolz
sein, dass ich mit meinem Wunsch, ins Klos- meinen ganz eigenen, anderen Weg gegangen
ter zu gehen, etwas von seinen ungelebten zu sein. Und doch sehe ich unsere Gemein-
Träumen ausgelebt habe. Mein Vater war ja samkeiten, dass wir zumindest in Bezug auf
Kaufmann. Seine drei Geschwister waren alle unsere Lebensneugier einfach aus demselben
Benediktiner. […] Mein Vater erzählte mir, Garn gestrickt sind, so wie Du es auch mit
dass er als Junggeselle mal nach St. Ottilien Blick auf die Spiritualität Deines Vater erlebt
kam und dort um Aufnahme ins Kloster bat. hast. Als Mutter erlebe ich jetzt selbst, dass
Er wurde dem Novizenmeister vorgestellt. man unbewusst sicherlich auch Sehnsüchte
[…] Der fragte ihn nur kurz: Was sind Sie von und nicht nur ähnliche Fähigkeiten weitergibt.
Beruf? Als er antwortete, er sei Kaufmann,
meinte P. Erhard, Kaufleute könnten sie im Natürlich gehen wir unsere Wege zu allererst
Kloster nicht gebrauchen. Daraufhin hat sich einmal für uns selbst, weil sie uns innerlich
mein Vater dann anders orientiert und nach ansprechen, irgendwas in uns berühren. Ich
einer Frau Ausschau gehalten. Und ich denke, wollte mit meiner Auswanderung etwas ganz
er hat mit seiner Familie dann doch großen Neues erleben, andere Menschen und ihre
Segen gestiftet […] Kultur von Grund auf verstehen lernen, mich
herausfordern und mich noch einmal neu
Auch wenn ich vielleicht eine Art „Traum- erfahren – oder vielleicht sogar neu erfinden.
Träger“ für meinen Vater bin, habe ich das  Aber vielleicht gehen wir unsere Wege auch,
Gefühl, dass dieses Leben für mich stimmt. um Menschen mit denselben Sehnsüchten in
Mein Vater war natürlich stolz, dass ich Bene- ihrem Wesen besser zu verstehen. Vielleicht
diktiner geworden bin. Aber leider ist er kurz empfinden wir es unbewusst so, als ob wir
vor meiner Priesterweihe gestorben. Er hatte ihnen dadurch besonders nahe sein könnten.
schon die Rede schriftlich vorbereitet, die er
an meiner Primiz halten wollte. Da ist sicher
sein eigener Traum in Erfüllung gegangen. Ich
empfinde es heute so, dass ich von meinem Ja, ob Du willst oder nicht, Du vermittelst
Vater die spirituelle Sehnsucht mitbekommen Deinen Kindern nicht nur das, was Du gerne
habe. Aber es ist heute meine persönliche möchtest, sondern auch das, was in Dir lebt,
Sehnsucht, die ich als Mönch zu leben suche. und das, was Du manchmal nicht so leben
kannst, wie Du es vielleicht gerne möchtest.
Ich finde das ganz normal. Unsere Aufgabe
ist nur, dass wir uns dessen bewusst werden.
Ähnlich empfinde ich meinen Weg auch: Keiner von uns beginnt am Nullpunkt. Wir
Meine Mutter hatte mich vor längerer Zeit haben immer etwas mitbekommen von
einmal gefragt, ob ich denn das Gefühl hätte, unseren Eltern. Irgendwann müssen wir uns
unbewusst ihre Liebe für das Ausland und die dann entscheiden, ob wir das, was wir von

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Buchtipp
den Eltern unbewusst angenommen haben,
bewusst so weiterleben möchten oder ob
wir uns in Freiheit für unseren persönlichen Der Briefwechsel zwischen Pater Anselm Grün
Weg entscheiden, der gar nicht so viel anders und seiner jungen Nichte Andrea J. Larson ist in
sein muss als der Weg der Eltern. Aber es ist Buchform erschienen. In ihrem sehr persönlichen
dann unser eigener Weg. Dialog geht es um Liebe, Beziehung, Gemeinschaft,
Einsamkeit, um Verantwortung für sich selbst

und die Welt, um Glauben und Zweifel – kurz: um


das Leben mit all seinen Facetten. So entsteht
Schon als Zehnjähriger hast Du Dich für ein ein faszinierendes Bild der Möglichkeiten für ein
Klosterinternat entschieden – in einem Alter, gelingendes Leben.
in dem meine Kinder mich noch regelmäßig
bitten, ob ich mich abends zum Kuscheln zu Ein lebendig geschriebenes Buch voller Weisheit.
ihnen ans Bett setzen will. Wie kam es zu die-
ser Entscheidung, die ja einen Abschied aus
Deiner großen Familie mit sechs Geschwistern
bedeutete? […]


Ich konnte mich damals schnell begeistern.
Und so bin ich in dieser Begeisterung mit
zehn Jahren ins Internat gegangen. Am
Anfang hatte ich schon ziemlich großes
Heimweh, denn die Welt im Internat war
wesentlich rauer als in unserer Familie. Und
manche Essgewohnheiten machten mir
zu schaffen. Aber es hielt mich immer der
Gedanke, dass ich später einmal Mönch und
Missionar werde. Was damit alles verbunden
ist, war mir natürlich damals nicht so recht
klar. Aber es war in mir der Drang, die Welt
zu verändern, zu verbessern, die christliche Anselm Grün / Andrea J. Larson
Botschaft überallhin zu tragen. […] Sag mal, Onkel Willi
Ein Dialog über die großen Fragen des Lebens
Nr. 835003, € 16,99
Gekürzter Auszug aus dem Buch „Sag mal, Onkel Willi“ Gebunden • Schutzumschlag • 192 Seiten
von Anselm Grün und Andrea J. Larson ISBN 978-3-86334-003-2
In Kooperation mit dem Vier Türme Verlag, Münsterschwarzach

A Auch als eBook erhältlich


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„Die Hoffnung aufgeben? Nie.“
SAMUEL KOCH

Samuel Kochs Schicksal bewegt, obwohl er sich nicht bewegen


kann: Er ist vom Hals abwärts gelähmt. Sein Kopf jedoch funk-
tioniert noch sehr gut. Authentisch, nachdenklich und zugleich
humorvoll reflektiert der 26-Jährige über seine Erfahrungen vor,
während und nach dem Unfall bei „Wetten, dass..?“. Dabei vertraut
er den Lesern einige seiner Gedanken über Risiko, Freiheit und
einen Glauben an, der auch Zweifel zulässt.

Sein Buch ist eine Einladung, die Kostbarkeit des Lebens neu zu
schätzen und ein gesundes Bewusstsein für die wesentlichen Dinge
DIE BIOGRAFIE zu entwickeln.

# 1-SPIEGEL-Bestseller
Nr. 814253, € 17,99
232 Seiten • inkl. 24 Seiten Bildteil
ISBN 978-3942208-53-6

A Auch als eBook erhältlich

„Heulen ist nicht mein Ding.


Foto: Markenfilm GmbH & Co. KG / Maximilian Kempe

Man kann auf jedem Niveau klagen —


aber auch glücklich sein.“
Samuel Koch
NEU
Die Hörbuch-Fassung des Bestsellers

Samuel Koch / Christoph Fasel


Samuel Koch – Zwei Leben (Hörbuch)
Gekürzte Fassung, gelesen von Samuel Koch
Nr. 835007, € 19,99*
4 CDs ∙ Laufzeit: ca. 260 Min.
ISBN 978-3-86334-007-0

Samuel Koch und Samuel Harfst gemeinsam auf


Tour: Koch liest aus seiner Biografie. Harfst präsen-
tiert Lieder aus seinem neuesten Album. Die DVD
zeigt einen Live-Mitschnitt der Konzertlesung.

Samuel Harfst & Samuel Koch


Konzertlesung
Nr. 835000, € 19,99*
DVD • Laufzeit: ca. 130 Min.
EAN 978-3-86334-000-1

Samuel Koch
* unverbindliche Preisempfehlung

Jahrgang 1987. Schon früh galt seine Begeisterung dem Sport. Bereits mit sechs Jahren begann
er als Geräteturner, nahm später an Geräte- und Kunstturn-Wettkämpfen in der Regionalliga teil.
Im Anschluss an das Abitur studierte er Schauspiel an der Hochschule für Musik, Theater und
Medien in Hannover. Nach seinem Unfall bei „Wetten, dass..?“ wurde er im Schweizer Paraplegiker-
Zentrum in Nottwil behandelt. Seit April 2012 setzt er sein Studium in Hannover fort.

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Eine neue Sicht der Dinge
ENDLICH BEI MIR SELBST ANKOMMEN

Entscheidungen stehen an, aber es fehlt an Klarheit. Was macht mich aus? Wohin soll ich
gehen? In ihrem neuen Ratgeber nimmt Gabriella Pahud den Leser mit auf die Reise zur
eigenen Persönlichkeit. Als passionierte Bergsteigerin und Gleitschirm-Pilotin ist sie es
gewohnt, die Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten – im wahrsten Sinne des
Wortes von oben. Lesen Sie einen Auszug.
B ergell (Schweizer Alpen), Juli 1981.
Seit vier Uhr in der Früh sind wir
unterwegs – mehr als 14 Stunden ohne
Pause. Ich bin müde, jeder Schritt schmerzt.
Vor Stunden standen wir auf dem Gipfel
des Piz Badile und schauten auf die umlie-
genden Berge der stark zerklüfteten Bon-
dasca-Gruppe. Ich war von Glück erfüllt
und zufrieden: „Nun hast du endlich dein
so lange angestrebtes Ziel erreicht!“ Ich war
gerade mal zwanzig Jahre alt. Und naiv.

Ich glaubte noch allen Ernstes, wenn ich auf


dem Gipfel stünde, hätte ich es geschafft.
Dabei weiß jeder Bergsteiger, dass der
Abstieg die größere Herausforderung
darstellen kann als der Aufstieg. […] Kurz
vor Mittag hatten mein Freund und ich den
Gipfel erreicht. Nach einer kurzen Stärkung
mit ein paar Trockenfrüchten und einer
halben Tafel Schokolade machten wir uns
an den Abstieg.

Drei Stunden später waren wir irgend-


wo, wo wir ganz sicher nicht hätten sein
sollen. Die blauen Punkte, die die Route in
größeren Abständen markieren, hatten wir
verloren. Wir waren drei Alpinisten gefolgt,
die ein paar hundert Meter über uns ihren
Weg durch den Fels nahmen. Die waren
modern ausgerüstet, älter, bestimmt um
die 40, und bewegten sich so, also wüssten
sie genau wo es langgeht. „Wir folgen
denen, dann sind wir bestimmt bald wieder
auf einem sicheren Weg“, dachten wir.

Endlich finden wir so etwas wie einen Weg.


Ab und zu ein blauer Punkt. Der Moment,
in dem wir Hoffnung spüren, verfliegt
jedoch schnell: Schlagartig ändert sich
die Wetterlage. Plötzlich, aus hellheiterem

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Himmel und innerhalb einer Viertelstunde mittendrin. Den Schmerz in den Füßen spü-
sind wir komplett von Nebel umzingelt. Der re ich nicht mehr, er ist der nackten Angst
Nebel ist jetzt so dicht, dass wir nichts, aber gewichen. Sie ist im Moment das Einzige,
auch gar nichts mehr erkennen können. Es was ich wahrnehme. Angst – und eine von
gibt auch keine blauen Punkte mehr, es gibt Nebelschwaden umhüllte Steinwüste.
nur noch meinen Freund und mich und die
weiße Nebelwand. Die Lage ist angespannt. „Ganz in unserer Nähe muss eine Biwak-
Das berauschende Gipfelglücksgefühl ist schachtel sein“, versucht mein Freund mich
längst verebbt. Nach meinem Zeitempfinden zu beruhigen. Er richtet den Kompass
liegt dieses Ereignis Tage zurück. südwärts. „Südwärts?“, flüstere ich beinahe.
„Nordwärts geht’s ins Tal! Wir müssen noch
Zum Glück haben wir vor ein paar Minuten über den nächsten Pass, dann ins sichere
die Karte studiert und mit der zu dem Zeit- Tal!“„Es geht jetzt nicht mehr darum, ins
punkt noch sichtbaren Umgebung abgegli- Tal zu kommen, sondern in Sicherheit! Also
chen. Wir wissen also in etwa, wo wir uns südwärts!“, kontert mein Freund. Innerlich
befinden. Mit Hilfe von Kompass und Hö- schalte ich auf Rebellion. „So ein Mist! Ich
henmesser versuchen wir, die Orientierung will nach Hause!“ Ich denke auch an meine
nicht ganz zu verlieren. Innerlich beginne Eltern, sie werden sich zu Tode ängstigen,
ich zu beten. Und gleichzeitig beobachte ich wenn ich mich nicht melde. „Lieber in
mich verwundert wie von außen. „Ist ja wie- Sicherheit und sich nicht melden als tot ge-
der einmal typisch! meldet werden.“ Mein
Du erinnerst dich im­ Begleiter hat ganz klar
mer an Gott, wenn du Den Schmerz in den Füßen die besseren Nerven
etwas von ihm willst …“ spüre ich nicht mehr, er ist der als ich. Seelenruhig
Ich ärgere mich über setzt er einen Fuß
nackten Angst gewichen.
mich selbst und ver- vor den anderen, den
suche mir einzureden, Kompass immer in
dass das für Gott schon in Ordnung ist, we- die richtige Richtung haltend. Er weist mich
nigstens noch für dieses eine Mal. Wenn ich an, alle paar Meter ein kleines Steinmänn-
hier heil rauskomme, werde ich ein besserer chen zu errichten, für den Fall, dass wir noch
Mensch werden. Das muss doch für Gott ein einmal den Weg verlieren. So würden wir
guter Deal sein! wenigstens an den letzten Ort zurückfinden,
den wir von der Karte her kennen. „Wenn
Hinter meinem Rücken surrt es. Die Luft ist wir nur vor Einbruch der Dunkelheit in der
elektrisch geladen. Ich löse meinen Eispickel Biwakschachtel sind, wenn uns nur der Blitz
vom Rucksack und trage ihn in der Hand, verschont, wenn, wenn, wenn …“ […]
aus Angst, er könnte den nächsten Blitz an-
ziehen. Das Gewitter bricht über uns herein. Orientierungslos und ausweglos, so fühlte
Blitz und Donner wechseln sich im Sekun­ ich mich nicht nur damals, sondern auch in
dentakt ab. Es gibt keine Distanz mehr meinem späteren Leben noch ab und zu. –
zwischen uns und dem Unwetter. Wir sind Gefangen in negativen Gedanken. Aber es

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geht auch anders. Wir müssen uns nicht Aber du tust es nicht. Du redest viel, planst
durch solche Gedanken und Verhaltens- viel, beschäftigst dich mit deinen Träumen:
muster ausbremsen lassen, sondern können tagelang, wochenlang, ein Leben lang.
lernen, unsere Talente einzusetzen und das Obwohl du glaubst, ganz viel für dein Glück
Beste aus uns herauszuholen. Mein Buch zu tun, ändert sich nichts. Auf dem Weg
soll nicht einfach nur ein Ratgeber sein. Es zu deinem Glück bleibst du wie in zähem
soll ein Reisebegleiter auf deinem persön- Schlamm stecken. Irgendetwas hindert dich
lichen und individuellen Weg zu dir selbst daran, tatsächlich in die Gänge zu kommen.
sein – in Richtung Ichwärts. Was ist das genau? […]

Ich selbst bin Mutter von fünf wunderbaren, 1. Stolperstein: Ignorieren. Tatsachen zu
zwischenzeitlich erwachsenen Kindern und verleugnen ändert nichts an der Realität –
in zweiter Ehe sehr glücklich verheiratet. auch wenn es für eine Weile guttun mag.
Seit über zwanzig Jahren führe ich eine
therapeutische Praxis, seit 15 Jahren bin In Situationen, in denen es um Leben und
ich als Coach tätig. Menschen auf ihrem Tod geht, ist das Ignorieren eine wirkungs-
Lebensweg zu begleiten und zu unterstüt- volle Strategie, um die wie ein Rammbock
zen empfinde ich als meine Berufung. Den heranstürmende Realität zumindest zeit-
Ausgleich zu meiner Arbeit finde ich in der weise abzumildern. Und genau das ist der
Natur und beim Reisen. Bergtouren, Skitou- Knackpunkt: Ignorieren macht höchstens
ren und Gleitschirmfliegen sind meine ganz kurzfristig einen Sinn! Tatsachen über einen
große Leidenschaft. Die Stunden und Tage längeren Zeitraum oder sogar für immer
der Einsamkeit und der Ruhe in der Natur nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen,
inspirieren mich immer wieder zu Neuem, bringt dich ins Stolpern, bevor du überhaupt
schenken mir kreative Gedanken und we- losgegangen bist. […]
cken Ideen für spannende Projekte.
Ich habe meinen Weg gefunden, und wenn Gleis 6. Du hast im Internet nachgeschaut:
ich heute auf mein Leben blicke, fühle ich Der Zug fährt um 19.12 Uhr. Warum
mich erfüllt, zufrieden und dankbar. Ich kommt er nicht? Dass du ganz allein wartest,
will auch dir helfen, deinen persönlichen macht dich stutzig. Jetzt ist es 19.20 und
Lebensweg zu finden. Geh mit mir auf diese immer noch kein Zug in Sicht. Die könnten
Reise zu deinem Selbst. Du wirst erstaunt wenigstens durchsagen, dass der Zug verspä-
sein, was du alles entdecken, lernen und tet eintrifft. Endlich entschließt du dich, ei-
erreichen kannst. nen Blick auf den Fahrplan zu werfen. 19.12
fährt der Zug. Jeden Tag – außer sonntags.
Warum ändert sich nichts?
Meine persönlichen Glückszerstörer Es ist bestimmt jedem schon mal passiert,
dass er auf dem Bahnsteig stand und auf
Eigentlich wäre es doch ganz leicht: Der einen Zug wartete, der niemals kommen
falsche Job? Kündigen. Der falsche Partner? würde. Aber niemandem würde es einfallen,
Verlassen. Die falsche Stadt? Umziehen. zu ignorieren, dass der Zug nicht kommen

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Gabriella Pahud

wird. Niemand bleibt 24 Stunden auf dem bisschen. Gefühlsmäßig. Doch eben nur
Bahnsteig stehen, bis 19.12 Uhr am Montag. gefühlsmäßig. „So schlimm ist es nun auch
Spätestens nach einer Viertelstunde wird wieder nicht“ gewährt Aufschub. Das ist
er sich eingestehen, dass er sich vertan hat. dann aber auch schon alles; es bleibt trotz-
Nach einem kurzen Blick auf den Fahrplan dem alles so, wie es ist. Wenn du pleite bist,
wird er einen anderen Zug nehmen, auch bist du pleite und wenn das Dach undicht ist,
wenn er dafür das Gleis wechseln muss. ist es undicht.Tatsachen verändern sich nun
Aber es gibt hundert andere Situationen, mal nicht durchs Schönreden. Das ist, als
in denen über Jahre hinweg die Realität würdest du auf die blinkende Ölanzeige dei-
verleugnet wird. Dauerhaft die Augen zu nes Autos schauen und dir einreden: „Alles
verschließen, kann nur ein unglückliches kein Problem, der Ölstand ist in Ordnung.
Leben zur Folge haben. […] Nur das Öllämpchen ist kaputt!“ Die nächs-
ten paar Kilometer fährst du noch fröhlich
Und da sind wir auch schon beim zweiten vor dich hin. Aber mit jedem gefahrenen Ki-
Stolperstein, der mit dem Ignorieren eng lometer näherst du dich dem Kolbenfresser.
verwandt ist. Hier geht es aber nicht darum,
die Realität vollständig auszublenden, Auch dieser Stolperstein hält dich davon ab,
sondern sie so umzudeuten, dass der Drang ins Handeln zu kommen. Solange es nur um
zum Handeln, genauso wie beim Ignorieren, den Ölstand oder ein undichtes Dach geht,
erstickt wird. Ich meine das Schönreden. ist das mit dem Schönreden nicht weiter
tragisch. Ein Auto und die Einrichtung der
2. Stolperstein: Schönreden. Wenn Ignorie- Dachstube sind ersetzbar. Anders sieht es al-
ren nicht mehr möglich ist, biegen wir uns lerdings mit den Lebensirrtümern aus. […]
die Tatsachen so zurecht, dass sie weiter in
unsere heile Welt passen. Was mich fassungslos macht: Rosarote
Brillen werden einem überall mit der Auf-
Sich etwas schönzureden ist unglaublich forderung: „Sieh es doch einfach positiv!“
easy. Die Devise: Wenn etwas nicht ist, wie angeboten; „Konzentrier dich auf das, was
es sein sollte, mach es anders – mit Worten gut ist!“ und »Nicht alles ist schlecht!“ In
und Gedanken. Schönreden hilft. Ein Wirklichkeit meinen all diese Ratschläge:

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„Geh in das Gefängnis! Und mach die Tür eine Entscheidung noch für eine Hand-
hinter dir zu!“ Das hat für mich nichts mit lung. […] in deinem Käfig, der dich daran
Optimismus zu tun, sondern mit fahrlässi- hindert, dich im Leben in Richtung Glück
ger Lebenszerstörung. zu bewegen.

Also Schluss mit dem Ignorieren! Und Ignorieren, Schönreden und Ausreden
runter mit der Brille, die dir dein Leben lassen dich dein Glück nicht finden, denn
schönfärbt! Aber ist es damit getan? Oder sie halten dich vom Handeln ab. Mit ihnen
gibt es etwa noch weitere Stolpersteine? im Gepäck wirst du in deinem Leben nur
hin- und hergeworfen und niemals aktiv die
„Ich war’s nicht“ Richtung einschlagen können, die dich zu
„Natürlich ist die Wohnung zu teuer für uns, deiner persönlichen Erfüllung bringen wird.
aber mein Freund wollte unbedingt im Zen­ Diese drei Glückszerstörer haben einen
trum wohnen. Ich hätte ja weiter gesucht …“ gemeinsamen Mechanismus: Sie halten dich
„Ich hätte gar nicht genug Zeit, um für die von der Realität fern.
Prüfung zu lernen.“
„In meinem Alter habe ich doch sowieso Gekürzter Auszug aus dem Buch
keine Chance auf dem Arbeitsmarkt.“ „Ichwärts“ von Gabriella Pahud

Ausreden sind eine gesteigerte Form des


Schönredens. Beim ersten Stolperstein, dem
Ignorieren, hast du dich geweigert, die Reali-
tät anzuerkennen. Beim zweiten Stolperstein,
dem Schönreden, kannst du die Tatsachen
nicht mehr leugnen, aber du siehst sie durch
eine rosarote Brille. Nun geht es noch einen
Schritt weiter. Du erkennst genau, wie mies
die Realität für dich ist, und findest jede
Menge Gründe dafür, warum es genau so
sein muss und warum es gar nicht anders
sein kann.

3. Stolperstein: Ausreden. Das sind nur an


den Haaren herbeigezogene Rechtfertigun- Gabriella Pahud
gen, die dir erlauben, etwas Schlechtes so Ichwärts
zu lassen, wie es ist. Endlich bei mir selbst ankommen
Nr. 835004, € 17,99
Jede Ausrede bedeutet nichts anderes, als Gebunden • Schutzumschlag ∙ 256 Seiten
dass man nicht bereit ist, die Verantwortung ISBN 978-3-86334-004-9
zu übernehmen. Weder für das, was gerade
ist, noch für das, was sein könnte. Weder für A Auch als eBook erhältlich
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adeo magazin • 1 | 2014
Das Buch „Bin am Meer“ haben wir inzwischen dreimal nachgedruckt. Wir freuen uns mit
Udo Schroeter, einem faszinierenden Autor, der viel zu sagen hat. Hier einige Leserstimmen:

„‚Bin am Meer‘ ist eines der besten Bücher zum Thema ‚Vermeidung des Ausbrennens‘
oder ‚Lebenshilfe in der Sinnkrise‘, was ich je gelesen habe … Ich bin hin und weg.“

„Dieses Buch liefert nicht nur die lichtvolle Analyse des getriebenen erfolgreichen
Mannes der Gesellschaft von heute. Es tut viel mehr: Es bietet auch den Ausweg dazu an.
Einen Ausweg, präsentiert ohne Ideologie, ohne Schwulst, ohne Männerpathos.
Das Geheimnis dieses Buches lautet: Es hilft dir Mann, dich selber anzuschauen.
Und weist dich auf die kleinen einfachen Schritte hin, die dein Leben bereithält, es in
Zukunft mit weniger Angst und Druck von außen wahrhaftig und selbstbestimmt zu leben […].“

„Ein ganz besonderes Buch für die gehetzten Sinnsucher unserer Tage.“

Udo Schroeter
Bin am Meer
Eine Erzählung für Männer
Nr. 814271, € 17,99
* unverbindliche Preisempfehlung

Gebunden • Schutzumschlag
240 Seiten inkl. 16 Seiten farbiger Bildteil
ISBN 978-3-942208-71-0

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adeo magazin • 1 | 2014
Foto und Text: Udo Schroeter, Bornholm · © adeo Verlag, www.adeo-verlag.de Foto und Text: Udo Schroeter, Bornholm · © adeo Verlag, www.adeo-verlag.de Foto und Text: Udo Schroeter, Bornholm · © adeo Verlag, www.adeo-verlag.de Foto und Text: Udo Schroeter, Bornholm · © adeo Verlag, www.adeo-verlag.de

Foto und Text: Udo Schroeter, Bornholm · © adeo Verlag, www.adeo-verlag.de Foto und Text: Udo Schroeter, Bornholm · © adeo Verlag, www.adeo-verlag.de Foto und Text: Udo Schroeter, Bornholm · © adeo Verlag, www.adeo-verlag.de Foto und Text: Udo Schroeter, Bornholm · © adeo Verlag, www.adeo-verlag.de

Motivauswahl aus dem Postkartenbuch

„Wenn du dich von deinem Herzenswissen tragen lässt,


kannst du dich dem Strom des Lebens vertrauensvoll hingeben.“
Udo Schroeter

Für alle, die Sehnsucht nach Meer haben, gibt es nun auch ein Postkartenbuch mit
Fotos und kurzen Textimpulsen von Udo Schroeter. Ein wunderbares Geschenk
für mich selbst – und für andere.

NEU

Udo Schroeter
Bin am Meer. Postkartenbuch
Nr. 5572924, € 9,99*
Postkartenbuch mit
20 verschiedenen Motiven
Format: 14,8 x 10,50 cm

Udo Schroeter
lebt und arbeitet in der Natur und gibt als Coach sein tiefes
Verständnis zentraler Lebenszusammenhänge in Seminaren
Foto: Justine Hoegh

weiter. Mit seiner Frau und den beiden Kindern ist er nach
Bornholm ausgewandert, wo er auch eine Fotogalerie betreibt.
www.udoschroeter.com

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  Buchempfehlungen  

Warum ist das Wort „Weltverbesserer“ heutzutage


eigentlich negativ besetzt? Margot Käßmann spricht
die Sprache des Herzens. Sie ist sich sicher: Unsere
Welt braucht genau diese visionären Menschen. Es geht
ihr nie um political correctness oder den moralischen
Zeigefinger – sondern um die Sehnsucht nach einer
besseren Welt. Eine Welt, in der Versöhnung auch mit
den schlimmsten Feinden möglich ist, eine Welt, in der
es Hoffnung und Gerechtigkeit wider alle Vernunft gibt.

Für die einen bleibt es eine Utopie, für


den, der glaubt, wird es zum Traum seines
Lebens. Ein leidenschaftliches Plädoyer
für ein Leben mit anderer Perspektive.

Mit Messerschnitten von Martin Glomm. Margot Käßmann


Mehr als Ja und Amen
Nr. 814277, € 17,99
272 Seiten • ISBN 978-3- 942208-77-2

A Auch als eBook erhältlich

„Sprachlich ist dieses Buch „Ein wunderschönes, leises, Ein Buch, das Mut macht,
eine Perle, die Cartoons des glücklich stimmendes Buch trotz aller Enttäuschung
Herrn Plaßmann sind dazu über ganz normale Dinge immer wieder neu zu hoffen,
die Sahnecremehäubchen.“ des Alltags.“ neu zu vertrauen und das
Leserstimme Leserstimme Leben zu lieben.

Sebastian Moll Titus Müller Anne und Nikolaus Schneider


Du sollst nicht atmen Glück hat tausend Farben Vertrauen
Nr. 814205, € 14,99 Nr. 814257, € 9,99 Nr. 814278, € 16,99
128 Seiten • ISBN 978-3-942208-05-5 176 Seiten • ISBN 978-3- 942208-57-4 176 Seiten • ISBN 978-3- 942208-78-9

A Auch als eBook erhältlich A Auch als eBook erhältlich A Auch als eBook erhältlich

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adeo magazin • 1 | 2014
  aktuell
„Nimm. Du musst leben.“
Mit diesen Worten legte
adeo mini-magazin
Der besondere Newsletter
eine sterbende Frau der
Neben dem großen adeo-magazin,
damals 16-jährigen Magda
das zweimal im Jahr erscheint,
Hollander in Auschwitz vier gibt es ein digitales mini-magazin,
Stückchen Brot in die Hand. das sechs- bis achtmal im Jahr
erscheint.
Magda überlebt den Holo-
caust. Ihr Bericht ist eine Aus dem Inhalt:
Magda Hollander-Lafon
Hymne an das Leben … Vier Stückchen Brot • Interessante Interviews
Nr. 814208, € 12,99 mit A­ utoren und Künstlern
144 Seiten • ISBN 978-3-942208-08-6
• D ie Geschichten hinter
A Auch als eBook erhältlich
unseren Büchern

• Informationen zu Ausstellungen
„Mal nur eine Sache machen, nichts anderes nebenher, und und Lesungen
dann erst zur nächsten übergehen. Das, was man gerade tut, • E xklusive Angebote, wie zum Beispiel
ganz tun. ‚Monotasking‘ hat sich die Autorin dieses ver- von Autoren und Künstlern hand­
gnüglichen und ebenso tiefsinnigen Buches für 10 Wochen signierte Bücher, limitierte Kunstdru-
auf die Fahnen geschrieben, und darüber führt sie Tagebuch. cke und andere, besondere Geschenke
Ohne erhobenen Zeigefinger, mit viel Humor und spürbarer
• G ute Impulse, Buchbesprechungen
Authentizität erzählt sie von mehr oder weniger gelungenen
und Leseproben
Alltagssituationen. Doch das entpuppt sich bald als ein Spiegel,
in dem ich – der Leser – mich immer öfter wiedererkenne. • Neuigkeiten aus dem Verlag
Und während ich anfänglich an meinem Schreibtisch mit
gleichzeitig flimmerndem Bildschirm lese, wechsele ich bald Sie können sich ganz einfach auf
in den bequemen Sessel und merke, wie ich es der Autorin den E-Mail-Verteiler setzen lassen:
auch in anderen Dingen nachmachen möchte.“ www.adeo-verlag.de/mini-magazin
Prof. Ulrich Giesekus
Oder schreiben Sie eine E-Mail an:
mini-magazin@adeo-verlag.de

Hanna Schott
Monotasking
Nr. 814206, € 14,99
176 Seiten • ISBN 978-3942208062

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Leseproben unter www.adeo-verlag.de

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Glücklich der Mensch,
der seinen Nächsten trägt
in seiner ganzen Gebrechlichkeit.
Wie er sich wünscht,
von jenem getragen zu werden
in seiner eigenen Schwäche.
Franz von Assisi
Zeichnung von Eberhard Münch
Wo willst du hin?
DAS LEBEN DES FRANZ VON ASSISI
Erzählt von Titus Müller

K rank und schwach kehrte er heim. Als


Versager kam er zurück nach Assisi,
gescheitert, müde. Er würde ein Schwäch-
unseren Besitz, als gäbe es kein Morgen.
Ein Nichtsnutz bist du! Und ein Feigling
obendrein!“
ling sein in den Augen der Leute. Der Abend Franziskus wurde heiß im Gesicht. Alles,
dämmerte, als er durchs Stadttor nach Assisi was er sich zur Erklärung zurechtgelegt hat-
hineinritt. Verwirrt sah man ihn an. Man te, war plötzlich weg. Er wusste, der nächste
tuschelte. Satz würde sein Leben verändern. Nachdem
Er stieg vor dem Tuchgeschäft vom er sich kurz gesammelt hatte, sagte er:
Pferd, band es an und betrat den Verkaufs- „Gott hat zu mir gesprochen.“
raum. Vater erklärte gerade einem Kunden „Gott!“ Vater schrie noch lauter. „Das
einen neuen Samtstoff und strich werbend wird ja immer schöner. Du machst uns zum
darüber. Als er Franziskus erblickte, stutzte Gespött der ganzen Stadt, mich machst du
er. Das Verkaufsgespräch wurde plötzlich zum Gespött! Willst du uns ruinieren? Wer
kühl, er zählte dem Kunden noch ein paar kauft bei den feigen Bernardones noch Stof-
Vorzüge auf und entließ ihn dann, er solle fe? Wer treibt Handel mit einer Familie, die
morgen noch einmal wiederkommen, wenn ihr Kreuzzugsgelübde gebrochen hat? Glaub
er über die Sache geschlafen habe. ja nicht, das schöne Leben mit Festen und
Kaum hatte der Mann den Laden ver- Mädchen und Tanzgelagen geht jetzt für
lassen, fragte Vater: „Was machst du hier? dich weiter. Du wirst schuften, jeden Tag, bis
Wolltet ihr nicht zu Walter von Brienne die Ehre der Familie wiederhergestellt ist!“
reisen und euch mit seinem Heer nach Jeru- „Ja, Vater.“ Er machte kehrt. Die Tränen
salem einschiffen?“ verschleierten ihm die Sicht, aber irgendwie
„Ich hab die Reise abgebrochen.“ schaffte er es nach draußen.
„Wie meinst du das, abgebrochen? Hast du „Wo willst du hin?“, brüllte der Vater
Fieber? Ist Matteo etwas zugestoßen?“ ihm nach. „Es gibt Tuch abzumessen! Und
„Er fährt ins Heilige Land. Nur meine in Foligno wartet ein Schneider auf eine
Pläne haben sich geändert.“ Lieferung!“
„Den Diener habe ich für eine Woche im Er ging. Er brauchte Schutz, musste allein
Voraus bezahlt! Und was ist mit der Rüstung?“ sein. Der Kopf dröhnte ihm. Durch das
Er übergab den Beutel mit Münzen, die Stadttor ging er hinaus, lief über die Felder,
ihm der Schmied gegeben hatte. entlang der Olivenbäume. Die Sonne stach
Vater sah hinein, dann schrie er: „Das ihn. Um auszuruhen, zog sich Franziskus in
ist nicht mal die Hälfte meines Geldes! Ich die Kirchenruine von San Damiano zurück.
arbeite hier Tag um Tag, damit du’s zu was Im Schatten der Mauern setzte er sich auf
bringen kannst, und du verschleuderst einen Stein und weinte.

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Colorierte Skizze von Eberhard Münch
Als er keine Tränen mehr hatte, fühlte er
sich leer und ausgelaugt. Er wischte sich mit
der Armbeuge das Gesicht ab. Vater hatte ja
recht, er hatte nur gefeiert und geschwelgt,
ein besonders fleißiger Arbeiter war er nie
gewesen. Er hatte Matteo enttäuscht, seine
Familie entehrt, und für die Schwächsten,
die Leprakranken und die Hungernden,
hatte er nur Spott und Fußtritte übrig.
Ihn ekelte vor sich selbst.
Sein Blick fiel auf das Kreuz, das immer
noch in der alten, verfallenen Kirche hing.
Die Bauern hatten zwar Steine entwendet
und Mauern eingerissen, aber das Kreuz
wegzunehmen, hatten sie nicht gewagt.
Jesus.

Colorierte Skizze von Eberhard Münch


Man hatte ihn auf das Übelste misshan- Buchtipp
delt damals, hatte ihn ausgepeitscht und
ihm Dornen ins Gesicht gedrückt. Am Ende
war er am Kreuz erstickt. Warum hatte er Jorge Mario Bergoglio, Papst Franziskus, hat
nicht die Legion von Engeln gerufen, die sich seinen Namen sehr bewusst gewählt.
doch zu seiner Verfügung stand? Er hätte im Es ist mehr als ein Name.
Triumph wieder vom Kreuz steigen können. Es ist ein Lebensprogramm.
Er hätte die Hügel Judäas zusammenfalten
können, hätte die Wälder in einem Wirbel- Titus Müller erzählt in seinem neuen Buch die
sturm zu Kleinholz zerknicken und aufs Geschichte einer leidenschaftlichen Gottessuche
Meer hinausschleudern können. Er hätte die und einer großen Liebe zu den Menschen und der
Spötter auf die Knie zwingen können mit ganzen Schöpfung.
einem überirdischen donnernden Schall.
Aber er war still gestorben. Gottes Sohn Mit faszinierenden Bildern von Eberhard Münch.
hatte seine Arme ausgestreckt und sich
festnageln lassen, er hatte sich die demü-
tigenden Witze angehört und die Angst in
den Augen seiner Jünger erduldet, hatte es
verkraftet, dass sie ihn alle verließen aus
Sorge um ihre eigene Haut.
Für dich, sagte eine Stimme in seinen
Gedanken. Ich habe das für dich getan.
„Aber ich verdiene es nicht“, flüsterte er.
Das ist Gnade. Ein Lächeln schwang in
der Stimme mit, als sie das sagte. Ich bin aus
Liebe behutsam mit euch.
Da musste er ebenfalls lächeln. Ein zöger­
liches, unscheinbares Lächeln war es nur.
Ein fragendes Lächeln. Er fühlte sich, als
nähme man ihm ein tonnenschweres Pan-
zerhemd von den Schultern. Vor Rührung
musste er schlucken. „Und jetzt?“, fragte er.
„Was tue ich jetzt?“ Titus Müller / Eberhard Münch
„Setze meine Kirche instand.“ Glücklich der Mensch
Oh, wie gern wollte er das tun! Er Geschichten und Bilder aus dem Leben des Franz von Assisi
betrach­tete die zerrütteten Mauern, den Nr. 835006, € 14,99
rissigen Putz, und die Brust wurde ihm weit, Gebunden • Schutzumschlag
er bekam Luft, weil er wusste: Vor ihm lag 176 Seiten, durchgehend fünffarbiger Druck
eine erfüllende, gute Aufgabe. ISBN 978-3-86334-006-3

Gekürzter Auszug aus dem Buch


„Glücklich der Mensch“ von Titus Müller
A Auch als eBook erhältlich
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adeo magazin • 1 | 2014
Einladung ins Atelier
der künstler eberhard münch öffnet seine türen

Seit der Eröffnung der Galerie im Herbst Eberhard Münch und Maria Acconci-
2013 haben schon viele Freunde der Kunst Münch erwarten Sie nach vorheriger
von Eberhard Münch den Weg in dessen Anmeldung am Samstag, den 10. Mai und
Wiesbadener Atelier gefunden. An den am Samstag, den 14. Juni 2014, jeweils von
TAGEN DES OFFENEN ATELIERS ist 14 bis 19 Uhr. Bitte melden Sie sich per
Gelegenheit für interessante Begegnungen E-Mail an: ateliermuench@t-online.de.
und Gespräche. Original-Bilder und
-Zeichnungen können erworben werden – Atelier für Wandmalerei · Didierstraße 5
unter anderem auch die neuen Bilder aus 65203 Wiesbaden-Biebrich.
dem Zyklus zu Franz von Assisi (siehe
Abbildungen auf den vorherigen Seiten in Auch an anderen Tagen ist ein Galerie­
diesem Magazin). besuch nach vorheriger Anmeldung möglich.

Weitere Informationen finden Sie unter www.blog.atelier-muench.de

34
adeo magazin • 1 | 2014
Eberhard Münch
Himmelsboten
Nr. 5572915, € 16,–*

© 2013 adeo Verlag


Eberhard Münch Zehn Kunstkarten (fünf Motive). www.adeo-Verlag.de
Himmelsboten Doppelkarten mit weißen Umschlägen.
Schmuckkartons mit Kunst-Doppelkarten.
Set, Nr. 5572915 Motive wie abgebildet.

Diese hochwertigen Schmuckkartons im Format 12 x 17 cm mit weißen


enthalten jeweils zehn Kunst-Doppelkarten Umschlägen. Wenn alle Karten verschickt
mit Motiven des Künstlers Eberhard Münch sind, bleibt Ihnen ein „Schatzkästchen“ für
(je zweimal fünf verschiedene Motive) kleine, schöne Dinge …

Eberhard Münch Eberhard Münch


Zeichen der Hoffnung Blüte
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© 2012 adeo Verlag


Eberhard Münch Zehn Kunstkarten (fünf Motive). © 2013 adeo Verlag
www.adeo-Verlag.de
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Nr. 5572916 Motive wie abgebildet. Set, Nr. 557 2907 Motive wie abgebildet.

Ein großes Sortiment von Kunstkarten mit Motiven von Eberhard Münch finden Sie im Buchhandel oder unter www.adeo-verlag.de

35
adeo magazin • 1 | 2014
Ungewöhnliche Perspektiven.
Die Hamburger Kreative Eva Jung erzählt,
wie sie Gott gesucht und gefunden hat

Karottenjeans mit Bundfalten, Fruit-of- Plastikförmchen, Sonnencreme, Luft-


the-Loom-Sweat-Shirts und Sie sind der matratzen … und die Krönung: „Lustige
Meinung: „Das war spitze!“ Herzlich will- Taschenbücher“ wie Sand am Meer.
kommen mitten in den Achtzigern. In dieser
Zeit war ich gerade (und hauptsächlich) Für Ein- bis Fünfzehnjährige paradiesisch.
damit beschäftigt, Teenager zu sein. Aber jetzt war der Tag gekommen: Nein,
ich muss da echt nicht noch mal hin! Hatte
Wie in den 20 Jahren zuvor, so auch in im ersten Jahrzehnt meines Lebens diesen
diesem Jahr verbrachten meine Eltern Strand zu Genüge umgegraben, literweise
getreu dem Motto „Bloß keine Abwechs- Salzwasser geschluckt und ab jetzt wurde
lung“ ihren Sommerurlaub in Bibione. gestreikt. Basta. Die großen Ferien nach
Italienische Adria. Unglaublich touristisch. meinem Gusto gestalten – das schien mir
Badeort – was für ein Wort? Von Ort keine das perfekte Alternativprogramm.
Spur. Ein Konglomerat von Sandstrand,
Liegestühlen, Sonnenschirmen, Hotel- Viele Diskussionen später hatte ich mich
bunkern und noch und nöcher Läden mit durchgesetzt: Yeah, Sommerferien allein zu
Boccia-Kugeln, Softball-Tennisschlägern, Hause! Mehr oder weniger. Mein elf Jahre

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adeo magazin • 1 | 2014
älterer Bruder fuhr schon lange nicht mehr ihm meinen Kram zu besprechen. Und
mit. Apropos Bruder. Der Knabe war seit ich wurde das Gefühl nicht los, dass mein
neuestem auf einem komischen Trip. Er ty- crazy Teenie-Alltagskram nicht ungehört im
rannisierte unsere Familie beharrlich damit, Universum verhallte. Es ist schon seltsam:
dass das mit Gott gar nicht so schräg sei, wie Der Konfirmandenunterricht, der mir ein
er immer dachte. Womit er uns unterstellte, paar Jahre zuvor verabreicht wurde, nutzte
dass wir das auch so sehen würden – womit am Ende nur zur Befüllung meines Spar-
er gar nicht so verkehrt lag. Ausnahmsweise. schweins. Was die mir sonst noch vermitteln
wollten, ging weitgehend an mir vorbei.
Zum Nachlesen hatte er mir ein paar Mona- Doch dieser Sommer 1984 sollte einen Wen-
te zuvor eine Bibel übereignet. Nicht so eine, depunkt in meinem jungen Leben darstellen.
wie meine Eltern hatten, die einen Dank die-
ser uralten gotischen Schrift zum Analpha- Und warum gerade dieser Gott? Und nicht
beten degradiert, sondern eine neue, lesbare. einer von den anderen? Buddha, Krishna
Und nun drei volle Wochen selbstbestimmte oder wer da sonst noch so parat steht? Es ist
Freizeit. Wie wär’s mit bisschen lesen? Wo ganz schlicht: Die anderen haben die Chan-
hatte ich noch mal diese Bibel hingepackt? ce verpasst. Kein Gott hatte sich bis dato die
Ich begann, darin herumzublättern. Gar Mühe gemacht, bei mir anzuklopfen. Dieser
nicht so übel, was ich da vorfand. Gott, der mich beim Stöbern in der Bibel
ansprach, begegnete mir auf Augenhöhe.
Was wäre, wenn es Gott gibt? Und kann Und völlig anders, als er mir bis dahin in der
ich dich, Gott, mal was fragen? Dachte ich. Kirche präsentiert wurde, schien er sich für
Und tat ich. Indem ich einfach begann, mit mein Leben ganz praktisch zu interessieren.

Damals war ich zwar zu Hause geblieben.


Doch die Reise, auf die ich mich in diesen
großen Ferien begeben hatte, bestimmt
mein Leben bis zum heutigen Tag. Kein
Wunder, bei dem Reisebegleiter!

Eva Jung
 Aus ihrem Buch „Alltagstourist. An un­scheinbaren
Orten dem tieferen Sinn auf der Spur.“
http://alltagstourist.de

Ungewöhnliche Perspektiven – das zeichnet


die Arbeiten und die Produkte von Eva Jung
aus. Auf den folgenden beiden Seiten
finden Sie einige der schönen Dinge. Und
im Buchhandel oder auf unserer Homepage
www.adeo-verlag.de noch viel mehr.

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adeo magazin • 1 | 2014
Gott liebt uns
nicht, weil wir
Jesus Christus: In der Welt habt ihr Angst, so wertvoll sind,
aber lasst euch nicht entmutigen: Ich habe die
Welt besiegt! Johannes 16,33 sondern wir sind
so wertvoll, weil
Gott uns liebt.
Helmut Thielicke

Der Engel des Herrn stellt sich schützend


vor alle, die Gott ernst nehmen, und bringt
sie in Sicherheit. Psalm 34,8
bei euCh SinD SoGar Die haare auF Dem KopF alle
GeZÄhlt. Darum SeiD ohne FurCht! Matth 10,30

Alle Reisen
haben eine
heimliche
Bestimmung,
die der
Reisende
nicht ahnt.
Martin Buber

DAS LEBEN IST SCHÖN.


EWIGES SCHON LANGE. E.B.JUNG

Wenn Christentum nichts anderes bedeutet als noch


ein bisschen guter Ratschläge mehr, dann wäre es von
unerheblicher Bedeutung. C.S. Lewis

s e n de pa u s e
Don’t tell
GoD you
have a biG
problem.
tell your
problem
Nur bei Gott komme ich zur Ruhe; you have AUCH WENN UNSERE GEFÜHLE
a biG GoD.
er allein gibt mir Hoffnung. Psalm 62,6
KOMMEN UND GEHEN, GOTTES
LIEBE TUT ES NICHT. C.S.LEWIS

Motivauswahl aus den Tiefsinnkarten

NEU

T iefsinnkarten
* unverbindliche Preisempfehlung

20 ungewöhnliche Motive
von Eva Jung
Nr. 5572925, € 9,99*
Postkartenbuch mit 20 Karten
im Format 14,8 x 10,50 cm
Hochwertige Kartonverpackung

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adeo magazin • 1 | 2014
Verblüffende Motive und Aha-Erlebnisse
Geschenkideen der preisgekrönten Designerin Eva Jung

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Wertvollwort. Die Bibel
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Türsteher. Johannes 10,9


Johannes 10,9
Ja, ich bin das Tor. Wer durch mich
hineingeht,
wird gerettet werden. Wo er auch hinkommt,
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© 2011 adeo Verlag

Eva Jung
F ingerabdruck. Schreibbuch
Mit Bibelversen
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Vaterseelenallein
Wohin es führt, wenn der Vater fehlt

Jenseits jeglicher Elternromantik analysiert Peter Ballnik in seinem Buch „Vaterseelenallein“


den Kern vieler gesellschaftlicher Probleme. Denn wem das väterliche Vorbild fehlt, der hat
es schwer im Leben, gerät oftmals in große Konflikte. Thesenstark zeigt der Psychotherapeut,
auf welchem fatalen Weg wir uns befinden, weil wir dabei sind, die Vaterrolle mehr und
mehr zu vernachlässigen.

F ehlt Menschen eine innere, richtungs-


weisende Stimme – nennen wir sie
ruhig „Gewissen“ – die ihnen sagt, was Gut
was ich in diesen Familien sehe und erlebe,
verschlägt mir oft die Sprache.
Vaterlosigkeit wird im Allgemeinen völlig
und Böse ist, was mein und dein ist, was unterschätzt. Viel zu viele Menschen leben
richtig und falsch ist, dann entwickeln sich vaterseelenallein. Insbesondere scheint
starke negative, unheilbringende Emotio- niemand die fatalen Auswirkungen zu
nen wie Neid, Eifersucht, Rache und Hass. sehen, die sich in einer solchen Gesellschaft
[…] Denn ohne sich einander zugehörig zu niederschlagen. Es existiert diesbezüglich
fühlen und zu begreifen, verliert die Gesell- in der öffentlichen Diskussion eine partielle
schaft ihre Vertrauensbasis – und fällt frü- Blindheit. Es handelt sich wohl um ein Tabu,
her oder später auseinander. Der Kitt jeder über das man in unserer Gesellschaft weder
Gemeinschaft ist letztlich das Gewissen. reden noch schreiben darf, ohne sofort
Diese innere Stimme, die Orientierung missverstanden zu werden, absichtlich oder
schenkt und maßregelt, ist immer leiser unabsichtlich. Ein Tabu, das auch verhindert,
geworden oder auch schon ganz verstummt – sich mit Themen wie Wirtschaftskrisen,
und zwar bei sehr vielen Menschen. […] Kriminalität, Amokläufen und Terroran-
Für mich hat sie einfach und offensichtlich schlägen wirklich gründlich auseinanderzu-
mit der zunehmenden Vaterlosigkeit in setzen. […] Denn wenn dabei heraus käme,
unseren Familien wie unserer Gesellschaft dass die Vaterlosigkeit des Täters etwas mit
zu tun. In meiner täglichen Arbeit als seinem Werdegang zum Täter zu tun haben
Psychotherapeut, der besonders Probleme könnte, würde man damit ein riesiges Fass
mit der Rolle des Vaters fokussiert, kommen aufmachen: Wie halten wir es in unserer
zu mir Angehörige von Familien, deren Gesellschaft mit den Männern? Insbesonde-
Vaterbild beschädigt oder verschwunden re mit den Vätern? – Und diese Debatte will
ist. Manchmal sind es die Männer selbst, keiner!
die als Vater ihre bzw. keine Rolle mehr Außerdem würde jeder, der diese Frage
spielen. Manchmal Frauen, die ohne einen stellt, automatisch Angriffsfläche bieten:
väterlichen Mann an ihrer Seite im Alltag Willst du die schreckliche Tat etwa recht-
alleine kämpfen. Oft sind es die Kinder, die fertigen? – Natürlich nicht. Aber bei der
ohne Vaterfigur aufwachsen müssen. Und ernsthaften Suche nach den Ursachen von

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Fotot: shutterstock.com

Leid und Gewalt kommt ja vielleicht zum ziemlich aufschauen, um in sein Gesicht zu
Vorschein, dass es tatsächlich nicht nur den sehen.
einen Schuldigen gibt, den man so bequem Paul ist guter Dinge, frohgemut setzt er
öffentlich verurteilen kann. Und sofort sich auf die Couch. Er macht es sich gerne
befindet man sich öffentlich auf vermintem bequem. Bis er seine Sitzposition gefunden
Terrain. Dieses Wegsehen und diese hat, dauert es eine Weile. Wie oft in letzter
Empörungs-Shows habe ich satt. […] Zeit kann er sich einen leichten Seitenhieb
auf meine Kleidung nicht ersparen:
„Ich nehm‘ mir was ich kriegen kann“ „Hey, diese weiße Cordhose stammt ja
– Warum Menschen kriminell werden – wohl noch aus den Achtzigern…“
„Stimmt“, antworte ich, „wenn nicht sogar
Die Unterlagen von Paul liegen vor mir. aus den Siebzigern. Aber du siehst heute gut
Der Satz am Ende meiner Notizen von der aus.“
letzten Sitzung mit dem Sechzehnjährigen „Ja, alles neu“, erzählt Paul stolz und
lautet: „Paul zeigt immer noch keine Reue.“ schaut an sich herunter. „Die schwarze
Es läutet. Jeans“, die wie jede Hose an ihm weit unten
Da ist er. Leicht außer Atem und wieder hängt, „ist von Fishbone. Aber vor allem
einmal ein wenig verspätet. Ich reiche ihm der Gürtel“, dabei zeigt er auf das weiße
die Hand. Mittlerweile muss ich schon Prachtstück mit einer überdimensionierten

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grauen Metallschnalle, die wie eine kleine Lächeln: „Du hast es nötig, du mit deiner
Ziegelmauer aussieht, „die ist von Jeans only, weißen Hose!“ Lachend beschließen wir
der letzte Schrei.“ unser Eingangsritual.
Ich stutze. Der letzte Schrei – das ist doch „Letzte Woche hatte ich unwahrscheinli-
ein Ausdruck aus den Siebzigern. So redet ches Glück“, sagt Paul.
doch heute kein Jugendlicher! Stellt sich „Wie zeigte sich denn dein Glück?“, frage
dieser Junge etwa so gut auf mich ein? Will ich nach.
er auch mich so manipulieren, wie er es mit „Also, ich habe dir doch erzählt, dass ich
allen Menschen in seiner Umgebung macht? ein Sparbuch gefunden habe. Das gehört
Einen Moment lang fühle ich mich düpiert, einem alten Bauern im Altersheim. Der liegt
aber dann sage ich mir selbst: Warum sollte im Koma und stirbt wahrscheinlich in den
gerade ich eine Ausnahme sein? nächsten Tagen.“
Paul schaut mich kurz etwas irritiert an „Ich dachte, du wolltest das Sparbuch
und fährt dann fort: „Mein Hemd“, eben- zurückgeben“, setze ich nach.
falls schwarz und im Militärlook, „ist auch „Wieso, der hat doch keine Erben und er
von Fishbone, war nicht billig!“ Stolz zeigt selber kann damit nichts mehr anfangen.“
Paul dann noch sein schwarzes Superman- „Ja, aber ohne Passwort hast du keine
Leibchen. In diesem Moment sehe ich vor Chance.“
mir das Bild, wie Paul als Erwachsener, „Mein Lehrer, der war Rechtspfleger, und
perfekt gestylt im Maßanzug, gestandene der meint, dass in so einem Fall ein Toten-
Wirtschaftsmanager über den Tisch zieht. schein ausreicht, damit die 12.534 Euro mir
gehören.“
Die Summe schockiert mich, die Höhe
war mir neu. „Was du machst, ist nicht in
Ordnung, das ist nicht legal“, beziehe ich
Stellung.
„Ja, ja“, meint Paul, „aber ich tue doch
niemanden weh, ich schade niemandem.“
„Und den Erben? Du kannst nicht sicher
sein, dass es keine gibt.“
„Um den Mann hat sich doch niemand ge-
kümmert, also gehört das Geld mir. – Aber
das ist nur ein Teil meines Glücks“, fährt
Paul fort. „Mein Opa war letztes Wochen-
„Aber die Socken“, dabei zeige ich ende mit seinem Fahrrad am Kirchenfloh-
schmunzelnd auf seine alten, leicht zerfled- markt und dort hat man ihm sein Rad ge-
derten hellgrauen Frotteesocken, „das ist ja stohlen. Weil er so an seinem Rad hängt, ein
Foto: shutterstock.com

ein richtiger Stilbruch. Sind die von Aldi?“ Erbstück von seinem verstorbenen Bruder,
„Ich hatte es eilig“, antwortet Paul hat er mir eine Belohnung von 150 Euro ver-
auffallend ruhig. Dann kontert er spiele- sprochen, wenn ich das Rad wieder auftreibe.
risch aufgebracht mit einem schelmischen Ich habe dann im Pfarramt angerufen. Sein

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Rad war gar nicht gestohlen worden. Ich Was geht in so einem Menschen vor? Es
habe es einfach abgeholt, aber das habe ich scheint, als würde in seiner Persönlichkeit
ihm natürlich nicht gesagt. Hundert Euro eine Lücke klaffen, als würde ein komplettes
habe ich schon gekriegt, die restlichen 50 Stück vom Ich fehlen. Ein Stück, das wir
bekomme ich morgen, dann gibt es wieder Menschen brauchen, um friedlich zusam-
neue Klamotten.“ […] menleben zu können und das dafür sorgt,
dass wir ehrlich bleiben. Warum hat Paul
diese Instanz in seinem Innern nicht, die ihm
Was geht in so einem
sagt, wie er urteilen soll, die ihm zuflüstert,
Menschen vor? wie er handeln soll? Was hat ihn daran gehin-
dert, den Unterschied zwischen Gut und Böse
Paul stiehlt und lügt schon sehr lange. zu erlernen? Welche Faktoren gaben dafür
Bereits in der Schule steckte er wahllos den Ausschlag? Sein Elternhaus? Ist es ein
Buntstifte, Füllfederhalter, Radiergummis Problem der sozialen Schicht? Wäre es anders
und Comichefte der Mitschüler ein. Nichts geworden, wenn er in geordneten Verhältnis-
war vor ihm sicher. Nicht einmal die Geldta- sen und Wohlstand aufgewachsen wäre?
sche der freundlichen, schon etwas betagten
Nachbarin, die ihn dann doch anzeigte. Für Gekürzter Auszug aus dem Buch
diesen Diebstahl musste Paul im Rahmen „Vaterseelenallein“ von Peter Ballnik

eines außergerichtlichen Tatausgleichs


soziale Dienste in einem Kinderheim leisten.
Dafür hat er der alten Frau das Blumenbeet
verwüstet, was zu einer weiteren Strafanzei-
ge führte.
Paul kennt keine Reue. Vom Verstand
her weiß er sehr wohl, was legal und was
illegal ist, was Mein und Dein ist. Aber es
schert ihn nicht die Bohne. Obwohl er in
den Momenten, in denen er seinen reichlich
vorhandenen Intellekt gebraucht, ganz klar
einschätzen kann, welche Konsequenzen
sein Verhalten für ihn selbst und für andere
haben kann, gelingt es ihm nicht, auf der Peter Ballnik
richtigen Seite des Gesetzes und des An- Vaterseelenallein
stands zu bleiben. […] Ich mache mir keine Warum Kinder einen Vater brauchen
Illusionen: Auch mich würde er betrügen, und wohin es führt, wenn er fehlt
wenn er dazu die Gelegenheit bekäme. Und Nr. 835002, € 17,99
von seiner Seite aus würde so etwas unser Gebunden • Schutzumschlag · 288 Seiten
Verhältnis nicht einmal trüben, geschweige ISBN 978-3-86334-002-5
denn zerstören, denn so etwas steht für ihn
auf einem ganz anderen Blatt. A Auch als eBook erhältlich
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„Polemisch, witzig, sarkastisch, durchdacht“ (pro)
STIMMEN ZU BIRGIT KELLES BUCH „DANN MACH DOCH DIE BLUSE ZU“

In ihrem Ende 2013 erschienenen Buch „Dann mach doch die Bluse zu“ tritt die Publizistin
Birgit Kelle ein für Mütter, die ihre Kinder zu Hause erziehen und macht deutlich, dass der
Alt-Feminismus die Mehrheit der Frauen nicht mehr vertritt. Mit ihrer klaren Haltung ist die
Mutter von vier Kindern auf großes Interesse gestoßen.

FAS: „Gleichstellungsfemi- „Kelle bittet mit ihrem sehr persönlich ge-


nistinnen sagen, Frauen schriebenen Buch jene Frauen und Männer
würden in die Mutterrolle wieder zurück an den Verhandlungstisch,
gezwungen, viele Mütter die sich bisher überrollt fühlten von dieser
klagen, sie würden aus oft nervenaufreibenden – auch von immer
ihrer Mutterrolle gedrängt. mehr Frauen als aggressiv empfundenen
Wer zwingt hier wen?“ – eingefahrenen feministischen Dialektik.
Birgit Kelle: „Frauen zwin- ‚Dann mach doch die Bluse zu‘ hat das Zeug,
gen andere Frauen, das ist eine von Alice Schwarzer, Bascha Mika oder
neu. Früher musste Frau darum kämpfen, Elisabeth Badinter dominierte Debatte zu
aus dem bürgerlichen Leben ausbrechen zu beleben – und tatsächlich zum Bestseller
dürfen. Heute muss Frau es verteidigen, in zu werden. Einem längst überfälligen.“
einem traditionellen oder konservativen Fa- TAZ
milienbild verbleiben zu dürfen. Mein Leben
als Hausfrau und Mutter ist aus feministi-
scher Sicht ein emanzipatorischer Supergau.“
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung,
Interview mit Birgit Kelle
(Titel: „Eltern zweiter Klasse“)

„Nun legt Kelle nach und veröffentlicht ein


Buch, das sich neben dem Thema Sexismus
auch mit der Frauen- und Familienpolitik
beschäftigt. Es liest sich […] unterhaltsam
provozierend, polemisch, sarkastisch. Und
mit einer gehörigen Wut im Bauch gegen-
über den Alice Schwarzers der Nation, die 4. Auflage!
jeden abstrafen, ‚der nicht mitzieht bei der Birgit Kelle
Befreiung der Frau oder jedenfalls bei dem, Dann mach doch die Bluse zu
Foto: Kerstin Pukall

Nr. 814209, € 17,99


was sie dafür halten‘.“ 224 Seiten • ISBN 978-3-942208-09-3
Focus Online
A Auch als eBook erhältlich

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adeo magazin • 1 | 2014
Ausgeträumt – Die Lüge vom sozialen Staat
INTERVIEW MIT BERND SIGGELKOW

Sieben Jahre nach dem Bestseller „Deutschlands vergessene Kinder“ hat Bernd Siggelkow,
Gründer des Kinder- und Jugendwerks Die Arche, gemeinsam mit Martin P. Danz das Buch
„Ausgeträumt – Die Lüge vom sozialen Staat“ veröffentlicht. ERF Online hat mit Bernd
Siggelkow gesprochen. Lesen Sie einen gekürzten Auszug des Interviews.

Herr Siggelkow, warum beschäftigen Sie sich ihre Potenziale sehen, sie
so intensiv mit den Schlaglöchern unseres stärken und ihnen zeigen,
Sozialsystems? dass sie geliebt und wert-
voll sind. Wir sind eine
Seit vielen Jahren kämpfen wir gegen Kinder- Beziehungsorganisation,
armut in Deutschland. Doch die Armuts- denn wir wissen, dass der
zahl der Kinder hat sich eher vergrößert Schlüssel des Herzens
als verkleinert. Mit unserem aktuellen nicht in erster Linie ein
Buch wollen wir also einerseits Politiker pädagogisches Konzept ist,
wachrütteln und sie aufrufen, endlich gute sondern Liebe und Bezie-
Rahmenbedingungen zu schaffen, damit hung. Dabei ist der Glaube
Kinder sich in der Gesellschaft vernünftig unser Motor, der uns bewegt.
entwickeln können. Die Politiker sollen in
das Bildungs­system investieren und nicht Das Interview führte Nelli Löwen für ERF Online
immer mehr Geld in die Familienpolitik
stecken. Andererseits wollen wir auch die
Wirtschaft mobilisieren. Kinder sind die
Zukunft. Sie sind die Arbeitnehmer von
morgen. Wenn wir gemeinsam an Lösungs-
ansätzen arbeiten, werden unsere Kinder
eine bessere Zukunft erleben.

Was wollen Sie durch Ihr Projekt Die Arche


erreichen?

Mein Ziel wäre es, die Arche zu schließen,


weil es das Problem der Kinderarmut in
Deutschland nicht mehr gibt. Doch das ist Bernd Siggelkow / Martin P. Danz
eine Zukunftsvision, die wir in den nächs- Ausgeträumt
Foto: Peter Müller

Nr. 814201, € 17,99


ten 30 Jahren nicht erreichen werden. Wir 240 Seiten • ISBN 978-3-942208-01-7
wollen Kinder fit machen für das Leben,
A Auch als eBook erhältlich

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Gesammelte Augenblicke
Für Alltagsabenteurer, Schätzesammler und Lebenspilger

„Ich sammle Augenblicke. Sie finden mich auf Reisen und zu


Hause. Ich fange sie auf mit Augen und Ohren, Herz und Händen,
mit Kamera und Stift. Ob in Kairo oder New York, in Riga oder
Rom, in Berlin oder bei mir Zuhause – sie warten überall.
Häufig auf Umwegen und in Seitengassen. Kleinigkeiten werden
mir dann zur Hauptsache und Kurioses zur Kostbarkeit.“
Foto: Anna Blume

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adeo magazin • 1 | 2014
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adeo magazin • 1 | 2014
Quaerere Deum
Sie suchen das Endgültige
hinter dem Vorläufigen.

Sucht den Herrn,


dann werdet ihr leben.
Amos 5,4

Gottsucher
GEDANKEN VON FREDDY DERWAHL

Warum faszinieren uns die Menschen, die sich dazu entschließen,


ihr Leben im Kloster zu verbringen in ganz besonderer Weise?
Was unterscheidet sie von uns, die wir — manchmal ohne es aussprechen
zu können — unser ganzes Leben lang auf der Suche nach Gott sind?
Wo liegen die Gemeinsamkeiten? Was können wir voneinander lernen?
Wo ist Gott zu Trappistenkloster. Beim Auszug der Mönche
finden? nach der Vesper sah ich sie von ganz nahe.
Hinter dem hohen Eisengitter glichen sie
Gibt es Orte, an einer kampfbereiten Armee. Männer mit
denen wir ihm kahlen Schädeln und mit langen Bärten.
Foto: David Hagemann

besonders nahe Robuste Entschlossenheit, ein Hauch Frem-


kommen, ihn denlegion.
erleben können?
Eine schweigende Gemeinschaft, verborgen
Ich bin mir sicher, dass Gott überall und zu hinter hohen Mauern.
jeder Zeit präsent ist. Und doch glaube ich,
dass es oft die richtige Stunde, den richtigen Ich hatte in jenen Jahren in der Familie
Ort und vor allem ein offenes Ohr und ein einige erschütternde Todesfälle erlebt, die
wachsames Herz braucht, um ihn wirklich auf die Lebenszuversicht eines Kindes
hören zu können. Unser Leben, unser Alltag, dunkle Schatten warfen. Bei den Trappis-
unser eigenes Sein steht uns selbst oft laut ten von Mariawald zu erfahren, dass sie
lärmend im Weg. nichts anderes wollten als „Gott allein“, gab
meinem Leben eine andere Perspektive. Das
Mein Buch nimmt Sie mit auf die Reise zu wollte ich auch – mich bei Gott geborgen
zwölf französischen Klöstern, besonderen wissen. Als meine Eltern spürten, dass mein
Orten, an denen seit Jahrhunderten Gott- Wunsch, sonntags die Abtei zu besuchen,
sucher zusammenkommen. Orte voller einem ernsthaften Interesse entsprang,
Licht und Schatten. Heimat faszinierender haben sie mir derartige Fantasien auszure-
Menschen, deren Geschichten ich für diesen den versucht und schließlich verboten. Es
Band zusammengetragen habe. war die erste schwere Verletzung meines
Lebens. Mir den Herzenswunsch aus der
Ohne es zu wissen, hat mich dieses Buch Seele reißen zu müssen, brannte wie eine
ein Leben lang begleitet. Immer wieder kam Feuerprobe. Der Wunsch, in das Kloster der
die Inspiration. Krame ich in alten Kisten, schweigenden Mönche einzutreten, geriet
finden sich Briefe und Tagebuchaufzeich- in eine Art Untergrund. Er unterlag einem
nungen, die darüber berichten. Da ist eine strengen Verbot und wurde zugleich stärker.
heimliche, doch unverkennbare Lebensspur. So tobte ein Kampf zwischen Hoffen und
Auch ein Lebensschmerz, so, wie man an Bangen, der für einen Jugendlichen nur sehr
eine erste, leidenschaftliche und unglück- schwer zu ertragen ist.
liche Liebe denkt. Dann nistet sich dieser
Schmerz tief im Herzen ein, nimmt mit der Auf der einen Seite das radikale Leben der
Zeit ab, kommt wieder und bleibt. Gottsucher, auf der anderen die Verlockun-
gen der Welt mit all ihren Glücksverheißun-
Als Kinder fuhren wir sonntags mit Vaters gen. Das sind existenzielle Konfrontationen.
neuem VW in die Eifel und kamen so Sie mögen abnehmen und in Vergessenheit
nach Mariawald, dem einzigen deutschen geraten, doch wird man sie nicht mehr los.

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Das Kloster Sénanque in Frankreich

Die entscheidende Frage ist, wie man damit winden. In ihren Briefen nach Algerien und
umgeht. Das muss man erst lernen. in die USA entdeckte ich eine Freiheit, die
alle Zwänge der Vergangenheit ablegte und
Meine Erfahrung war, dass die Gnade einer sich für neue Wege öffnete. Das Kloster, das
Berufung ihre Zeit hat, dass man sie verspie- mich bis in die Träume verfolgte, war nicht
len, verpassen oder vergeuden kann. War sie mein Bestimmungsort. Doch sollte ich in
echt, hat sie gebrannt, kann man sie jedoch diesem Spannungsfeld eine besondere Kraft
nicht mehr vergessen. Ich hatte mir nicht finden, über diese Sehnsucht zu schreiben.
zugetraut, meinen Eltern einen Trennungs- Die Suche nach „Gott allein“ blieb, doch
schmerz zuzumuten. Nun musste ich ihn fand sie in einer siebenköpfigen Familie und
allein tragen. in hektischen Medien statt und nicht im
Kreuzgang eines kontemplativen Klosters.
Selbst mitten im Leben als Journalist und Frère Roger Schutz hat mich in Taizé in die-
mit Frauen ernsthaft liiert, blieb die unter- ser Orientierung bestärkt: Es gibt eine Form
drückte Sehnsucht nach dem geistlichen des verinnerlichten Mönchtums mitten in
Leben im Kloster. Hin und wieder ein Stich. der Welt. Ohne die Jugendliebe zu verraten,
weiter Gott suchen.
Ich hatte gute Freunde, die als Mönche oder
Einsiedler lebten. Ich pilgerte zum Heiligen Frankreich spielte dabei eine wichtige Rolle.
Berg Athos und in die koptischen Wüsten- Die literarische Bewegung des „Renouveau
klöster Ägyptens. Bei den Trappisten in catholique“, der katholischen Erneuerung in
Aiguebelle, Genesee und Tibhirine klopfte ich dem ehemals christlichen Land, übte einen
an. In Umbrien zog ich zu den Kamaldulen- starken Einfluss aus.
sern. In der Kartause von Sélignac litt ich wie
ein Hund. Doch die Chance war dahin, es Ich übersetzte Gedichte von Francis Jammes,
war zu spät. Es sollte nicht mein Leben sein. steckte für die Lektüre von Léon Bloy Ohr-
feigen ein, verschlang die Bücher von Paul
Meine spätere Frau hat mir vollkommen Claudel, François Mauriac und Georges
selbstlos geholfen, diesen Zwiespalt zu über- Bernanos. Der Existenzialist Albert Camus

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schrieb über das Mönchtum wie ein Prophet.
Überall das Christentum als dunkle Flam-
me. Ergreifende Kartage in Taizé. Staunen
vor den Chagall-Fenstern in der Kathedrale
von Reims. Heinrich Böll ermutigte mich,
weiterzuschreiben.

So entstand schon sehr früh der Wunsch


einer französischen Klosterreise. Einer
Suche nach den verborgenen Quellen einer
spirituellen Landschaft. Die Einöde von
Cîteaux, das Bergkloster La Verne, Solesmes,
wo die Pariser Dichter im beginnenden 20. Freddy Derwahl
Jahrhundert neue Inspirationen fanden. Das Gottsucher
alte Lérins vor der Mittelmeerküste. Suche Was Menschen im Kloster suchen und finden
nach Gottsuchern und Gottsucherinnen in Nr. 814203, € 19,99
der Einsamkeit. Worte finden für ein radi- 192 Seiten • ISBN 978-3-942208-03-1
kales Leben. In die Gesichter derer sehen,
die ein solches Wagnis auf sich nehmen. Auf A Auch als eBook erhältlich
die Stille hören. Entdecken, dass Gottsuche
nicht das Reservat von Erwählten ist, son-
dern eine tagtägliche Chance für uns alle.
Nähe des Mysteriums und des Heiligen in
einer tobenden Welt der Gottvergessenheit.

Älter werdend hielt ich diesen Plan zuneh-


mend für verrückt, doch waren die Verant-
wortlichen im adeo Verlag anderer Mei-
nung. So wurde ein wunderbares Projekt
ermöglicht. Die kontaktierten Mönche und
Schwestern staunten und lächelten. Sie wa-
ren überall sensible Gastgeber, Männer und
Frauen guten Rates. Neben all dem Schönen
und Außergewöhnlichen war das vielleicht
die stärkste Erfahrung: der Tiefgang dieser
Menschen, von der Welt getrennt und doch Freddy Derwahl
allen nahe. Gottsucher voller Leidenschaft Der letzte Mönch von Tibhirine
und Demut. Nr. 814269, € 17,99
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Auszug aus dem Buch „Gottsucher“


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adeo magazin • 1 | 2014
Fotos: Ralf Baumgarten

Jahrzehnte des Schaffensdrangs


Der Künstler Andreas Felger

W er den Künstler Andreas Felger beim


Malen im Atelier K beobachtet, be-
kommt eine Vorstellung davon, woher seine
dessen Reflexionen sich in gesellschaftliche
wie spirituelle Weiten ausdehnen.

Bilder ihre besondere Vitalität beziehen. Sei- Es ist die selten anzutreffende Paarung von
ne Arbeitsstätte in der ehemaligen Kapelle Beständigkeit und Leidenschaft, die das
in Bad Sebastiansweiler liegt inmitten einer Faszinosum des künstlerischen Werks von
malerischen Alblandschaft. Andreas Felger ausmacht. Seit über fünf
Jahrzehnten ist der gelernte Textilmuster-
Entspannt und doch hoch konzentriert ist er zeichner aus dem baden-württembergischen
bei der Sache, scheint sich treiben zu lassen Mössingen ununterbrochen als freier Kunst-
und trotzdem eine klare Vision vor Augen schaffender tätig. Wenn er am Neujahrstag
zu haben. Jeder Pinselstrich verrät die Rou- 2015 seinen 80. Geburtstag feiert, wird er auf
tine des künstlerischen Handwerks und zu- ein Œuvre von druckgrafischen Arbeiten,
gleich die Neugier auf das entstehende Werk. Aquarellen, Skulpturen und Ölgemälden zu-
Man spürt, dass hinter der Arbeit der Hände rückblicken, dessen Umfang seinesgleichen
an der Leinwand, unter der Oberfläche des sucht. An der Schnittstelle von Figurati-
Bildes, ein tief empfindender Geist steckt, on und Abstraktion reicht das Spektrum

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adeo magazin • 1 | 2014
Andreas Felger in seinem Atelier K in Bad Sebastiansweiler

seines Schaffens von kleinen Skizzen bis zu Skulpturen, Arbeiten in Keramik und Glas
meterhohen Leinwänden, von Bildern mit sowie Buchprojekte in Zusammenarbeit
kraftvoller Gestik zu ruhiger Fläche, von re- mit Dichtern und Schriftstellern. Für den
alitätsnahem Abbild zu abstrakten Formen. Kirchenpavillon der EXPO 2000 entwirft
Der Blick auf sein Gesamtwerk zeigt auch, Felger neun Kammern mit begehbaren
mit welcher Kontinuität es dem Künstler Holzreliefs. Seit Ende der 1990er Jahre
in jeder Schaffensphase aufs Neue gelingt, malt er vorwiegend große Bilder in leuch­
seinen Ideen in der ihm eigenen autonomen tenden Ölfarben. Über 1500 Ölgemälde
Bildsprache Ausdruck zu verleihen. entstanden in den letzten 30 Jahren.

Dabei lässt die Intensität, mit der sich der In unserem Programm geben wir der
Künstler seinen Themen widmet, in kei- Vielfalt des künstlerischen Schaffens von
ner Phase nach. In den Holzschnitten des Andreas Felger Raum. Die Prämierung
Frühwerks ist Andreas Felger vor allem seines Holzschnitt-Kalenders auf der
von Landschaften, biblischen Motiven und internationalen Kalenderausstellung ist ein
musikalischen Kompositionen inspiriert. Beispiel für den Erfolg der Zusammenarbeit.
Um 1980 beginnt er die Ausdruckskraft Die Andreas Felger Kulturstiftung, gegrün-
des Aquarells in allen Facetten zu erkunden, det im Jahr 2002, kümmert sich nicht nur
Farbe wird zum zentralen Thema, Natur um die Dokumentation, wissenschaftliche
und Lyrik finden Eingang in seine Bilder. Aufarbeitung und Vermittlung der Werke
In jener Zeit entstehen auch zahlreiche des Künstlers, sondern verfolgt auch einen

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adeo magazin • 1 | 2014
übergeordneten gemeinnützigen Zweck: Im Herbst 2014 erscheint im adeo Verlag ein
die Förderung von Kunst und Kultur, insbe- Bildband mit Engeldarstellungen von Andreas
sondere der Bildenden Kunst, im Sinne ihres Felger. Engel spielen seit jeher eine zentrale
Stifters. Mit einem durch die Andreas Felger Rolle im Werk des Künstlers. In den unter-
Kulturstiftung initiierten Kunstpreis, der im schiedlichsten Gestalten treten sie als Begleiter,
Anschluss an das Geburtstagsjahr 2015 erst- Tröster, Erzähler und Botschafter auf. Obwohl
malig ausgelobt wird, sollen zeitgenössische ihr menschenartiges Wesen sie uns nahe bringt,
Maler und Malerinnen unterstützt werden. tragen sie stets die Aura des Geheimnisvollen.

Anlässlich des 80. Geburtstages von Andreas


Felger plant die Stiftung zahlreiche Aktivi-
täten. Eine Ausstellung in den Räumen der
ehemaligen Pausa AG in Mössingen wird
im Frühjahr 2015 ein Schlaglicht auf die
Textilentwürfe aus Andreas Felgers Frühzeit
werfen. Im Museum am Dom in Würzburg
wird es eine als Retrospektive angelegte
Ausstellung geben, die Höhepunkte aus allen
Schaffensphasen präsentiert. Eine umfas-
sende Monografie wird die Ausstellungen
publizistisch begleiten.

Von Kunstsammlern sehr geschätzt, ist


Andreas Felger sowohl in zahlreichen
privaten als auch öffentlichen Sammlungen

Aquarell „Engel“, 2003


vertreten. Sein Werk wurde in über 500
Ausstellungen gezeigt und ist vielfach
publiziert. Weitere Informationen finden
Sie unter www.af-kulturstiftung.de.

Wenn Sie Fragen haben oder am Kauf von


Kunstwerken Felgers interessiert sind, Filmtipp
wenden Sie sich bitte an die
„Ich habe nur Lieblingsfarben.“
Andreas Felger Kulturstiftung Der Maler Andreas Felger
Mohrenstr. 63
10117 Berlin In diesem einfühlsamen, 15-minütigen Dokumentar-
Telefon: 030 / 467 967 12 film folgt der Kurzfilmpreisträger Wolfram Huke
info@af-kulturstiftung.de dem Blick des Malers Andreas Felger auf seine
Welt und lässt uns eintauchen in einen künstle-
rischen Schaffensprozess, dem ein vielfarbiger
Bild­kosmos entwächst. Erhältlich für € 15,– bei
der Andreas Felger Kulturstiftung.
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Ausstellungen Tage des offenen Ateliers

Andreas Felger 12. April 2014


CREDO 11 – 18 Uhr
26. September bis 7. Dezember 2014 25. Mai 2014
St. Vinzentius-Kirche, Bochum  13 – 18 Uhr
29. November 2014
Dezember 2014 bis Januar 2015  11 – 18 Uhr
Dom, Diözesanmuseum Rottenburg
Im Atelier K, Hechinger Str. 26
Andreas Felger 72116 Mössingen-Bad Sebastiansweiler
LANDSCHAFTSAQUARELLE
Herbst 2014
Kunstverein Rottenburg Ausblick

Andreas Felger Andreas Felger


BILD UND STOFF RETROSPEKTIVE
Frühjahr 2015 23. Oktober 2015 bis 10. Januar 2016
PAUSA-Quartier, Mössingen Museum am Dom, Würzburg

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adeo magazin • 1 | 2014
NEU
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Der Diener
Ein neuer Roman von „ Josh“-Autor Tom Reichel
Lesen Sie hier einen Auszug

Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht,


wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht?
1. Johannes 4,20

I n diesen Fluren atmete man die Zeit.


Heinrich mochte diesen Geruch: Das
Aroma des Kamelienöls, das die Brüder
Trotzdem legte er dabei meist einen der
alten, schweren Folianten in seinen Schoß.
Ohne ihn aufzuschlagen. Er liebte es einfach,
regelmäßig zur Pflege der dunklen Holztäfe- das Gewicht der Weisheit mit eigenen Hän-
lungen auftrugen, mischte sich mit dem Duft den spüren zu können. Draußen tobte eine
alter Akten. Dazu eine Note von Lavendel, Welt, die Wissen in Terrabyte maß, es se-
ein Hauch Jasmin. Und trotz aller Mühe der kundenschnell über Ozeane funkte und ihm
dienstbaren Geister lag ewig eine Spur von jede Schwere genommen zu haben schien.
Staub in der Luft. Der Staub von Jahrhun- Doch hier war es von Gewicht. In diesen
derten, dachte Heinrich. Hier konnte man Mauern wurden Gedanken noch zu Papier,
die Arbeit von Generationen riechen. Papier zu Akten und Akten zu Ordnern.
Der Diener war noch für einen Moment Und das Wichtigste wurde zu Büchern ge-
in der Bibliothek gewesen, bevor er sich bunden. Das, was überdauern sollte. So dass
auf den Weg in das Zimmer des Subpriors man etwas in der Hand hatte. Für die Zeit
machte. Aber nicht, um zu lesen. Heinrich danach, hatte ein Mitbruder gesagt, wenn
nutzte diesen Ort mehr, um zur Ruhe zu die Welt nicht mehr in Einsen und Nullen
kommen. Gerade vor einem neuen Auftrag. zerlegt wird oder in An und Aus, sondern

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wieder in Richtig und Falsch. Heinrich hatte Doch der Mann ging nicht darauf ein.
nur leicht den Kopf geschüttelt. Er glaubte „Ich weiß, dass es am Anfang immer ein
nicht, dass all die Technik eines Tages wie- bisschen schwer ist. Gerade für einen Mann
der verschwinden würde. Dafür war er zu wie Sie. Hilfe anzunehmen ist nicht jeder-
lange draußen gewesen. Er war ein Diener. manns Sache.“
„Hilfe? Ich brauche keine Hilfe.“
„Ja, das sagen sie alle. Und weil Sie jetzt
sicher fragen wollen, wie ich das meine, drü-
„Was wollen Sie von mir?“ cke ich mich, wenn Sie es erlauben, einmal
Sie waren schweigend den Flur hinun- in Ihrer Sprache aus: Sie sind sozusagen
tergelaufen, dieser Verrückte in seinem nicht mein erster Patient.“ Dabei hielt er
Kostüm immer einen halben Schritt hinter dem Arzt ein dickes, versiegeltes Kuvert
Armin, aber jetzt mussten sie außerhalb der unter die Nase. „Meine Referenzen.“
Hörweite seines Chefs und dessen Büro sein. Referenzen! Armin wurde es langsam zu
„Also, was wollen Sie?“ bunt. Er schob den Umschlag von sich. Er
Der Mann blieb stehen. Und als Armin hatte keine Lust auf Spielchen und außer-
ihn musterte, stellte er fest, dass sein Gegen- dem keine Zeit.
über kleiner wirkte, als es ihm auf den ers- „Natürlich“, nickte der Mann, der sich
ten Blick erschienen war. Der ist bestimmt seinen Diener nannte, ihm zu. „Sie haben
einen halben Kopf kürzer als ich, dachte er noch einen Weg zu erledigen, müssen sich
und streckte sich unwillkürlich. Trotz der umziehen. Ich verstehe schon. Falls Sie
perfekten Aufmachung des Mannes fehlte beim Wechsel Ihrer Garderobe keine Hilfe
irgendetwas an ihm! Doch Armin kam nicht wünschen, würde ich am Wagen auf Sie
darauf, was es war. warten.“
„Ich habe Sie was gefragt.“ „Am Wagen?“
„Mit Verlaub …“, begann er. „Sie werden ihn schon erkennen.“ Der
„Mit Verlaub? Können wir das nicht Mann schickte sich doch tatsächlich an,
lassen?“ einfach loszugehen. „Wenn Sie stattdessen
„Wie Sie wünschen. Ich hatte gehofft, lieber den Bus nehmen wollen, steht Ihnen
mich klar und verständlich ausgedrückt zu das natürlich frei. Sie sind der Boss! Aber
haben.“ Er blickte Armin offen an. „Ich bin ich denke, wir hängen dem Plan schon ganz
Ihr ergebenster Diener. Heinrich Vaterstatt. schön hinterher. Mit Verlaub.“
Mit Doppel-T wie in anstatt und nicht wie
Stadt. Aber Sie müssen sich natürlich nur Dann ging er wirklich. Was weiß der von
Heinrich merken.“ Und ehe Armin etwas sa- meinen Plänen? Kopfschüttelnd sah Armin
gen konnte: „Mich schickt die Dienerschaft; ihm nach und fragte sich, ob das ein Traum
vielleicht haben Sie schon von uns gehört.“ sein könnte. Doch Träume sind geruchsfrei
Der Arzt lachte laut: „Die Dienerschaft? und der Krankenhausduft, der in der Luft
Hören Sie doch auf. Die Dienerschaft ist ein lag, war real. Genauso real wie das leichte
Märchen, das man Kindern erzählt. Genau Humpeln des Mannes, der sich auf den Weg
wie das von den Heinzelmännchen.“ nach Werweißwohin machte.

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Nein, einen hinkenden Schauspieler in noch gar nicht begreifen, dass meine Kleine
einem Butlerkostüm habe sie nicht gesehen! morgen schon so ein großes Mädchen wer-
Bei der anderen Frage schaute Schwester den soll.“
Sabine verlegen zu Boden. So sollte es zu- Und weil er wusste, dass Frauen es gern
mindest aussehen. Armin war klar, dass sie hörten, wenn er darüber sprach, erzählte
ihren eigenen Kopf hatte und sich völlig im er ihr, wie er Dorothea das erste Mal in den
Recht fühlte. „Ich habe nichts Schriftliches Händen gehalten hatte und dabei von Liebe
an die Schröders aus der Hand gegeben, nur zu ihr wie geflutet wurde. Dass er nicht ein-
geredet haben wir.“ mal eine Ahnung gehabt hatte, zu welchen
Der Arzt wusste, dass sie ihn nie belügen Gefühlen er fähig war, und ihr zwölfter
würde. Und außerdem musste er ihr ja fast Geburtstag für ihn fast eine Art Abschied
dankbar sein, so wie die Dinge sich entwi- sein würde. Denn ein Kind war sie bald
ckelten. Trotzdem konnte er sich einen klei- nicht mehr, auch wenn sie natürlich immer
nen Vorwurf nicht verkneifen: „Aber dass sein Kind sein würde.
ich Ihretwegen jetzt fast zwei Stunden später Nichts, was er sagte, war falsch, trotz-
nach Hause komme, ist Ihnen schon klar?“ dem war ihm klar, dass er auch aus Kalkül
Der Anflug eines echten schlechten Ge- so mit der Schwester sprach. Er übte ein
wissens stand diesmal in ihren Augen. Doch wenig. Wenn er erst Chefarzt war, würde er
statt einer Entschuldigung ging sie zu einem Verbündete brauchen. Es funktionierte. Das
der Schränke und holte ein Paket heraus, sah er an ihren leuchtenden Augen. „Was
das in buntem Geschenkpapier leuchtete. wünscht man sich heutzutage eigentlich,
„Sagen Sie bitte Ihrer Tochter alles Gute von wenn man zwölf wird?“, fragte Schwester
mir zum Geburtstag?“ Sabine.
Armin schluckte. Eigentlich neigte er „Was sich andere Mädchen wünschen,
nicht zu Sentimentalitäten, doch alles, was weiß ich nicht“, antwortete Armin. Dann
mit seiner Tochter zusammenhing, rührte zwinkerte er ihr verschwörerisch zu, mur-
ihn. Sicher war ihm das vorhin auch bei melte etwas von „Großes Geheimnis“ und
Lucius passiert! Doch daran wollte er jetzt beugte sich zu ihr hinunter.
nicht denken und wischte den Gedanken Dann Flüstern. „Aber zu keinem ein
fort. „Danke, Schwester Sabine. Ich kann Wort.“ „Ehrlich?“

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adeo magazin • 1 | 2014
Buchtipp

Wer träumt nicht davon, dass ihm in einer schwie-


rigen Situation jemand hilfreich zur Seite tritt?
Heinrich ist so jemand. Ein Diener.

Eine Geschichte über das Neu- und Dennoch-


Vertrauen, brillant geschrieben von Tom Reichel,
dessen Erstlingswerk „Josh“ viele begeistert hat.

Die Frau suchte nach Worten. „Das hat


sich Ihre Tochter gewünscht? Und Sie schen-
ken es ihr? Das ist ja … Sie sind ein toller
Vater, wissen Sie das?“
Klar, dachte Armin, weiß ich. Der Form
halber aber schlug er die Augen nieder und
gab sich bescheiden. Und ob ich das bin!
Und ein toller Chefarzt werde ich auch sein.
Bevor sie sich verabschiedeten, zog die
Krankenschwester ein zweites Päckchen
aus ihrer Kitteltasche. „Und das ist für Sie.“
Armin brauchte einen Moment, um zu
begreifen. „Für mich?“
Ein Nicken folgte. „Wir haben gesam-
melt, die ganze Station hat ein bisschen was
zusammengelegt. Und andere Kollegen.
Schließlich haben Sie auch Geburtstag, oder
nicht?“
Natürlich, dachte Armin, als er das kleine,
in dunklen Samt geschlagene Geschenk
aus ihrer Hand nahm: Am selben Tag wie
Dorothea. Wenn das kein Zufall ist! Zum Tom Reichel
siebenundzwanzigsten Geburtstag war die Der Diener
Kleine sein Geschenk gewesen. Aber laut Roman
sagte er etwas anderes: „Um mich geht es Nr. 835005, € 16,99
doch gar nicht.“ Gebunden in goldgeprägtem Samt,
eingelegtes Titelschild · 224 Seiten

Auszug aus dem Buch „Der Diener“ ISBN 978-3-86334-005-6


von Tom Reichel

A Auch als eBook erhältlich


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Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Galater 5,1

zumutung

im alltag verfangen sein


verlier ich mich endlich sein
zwischen terminen
und erwartungen frei will
steuererklärungen ich sein
und geburtstagseinladungen
dem käsekuchenrezept frei von erwartungen
und der bescheinigung von druck
für den arbeitgeber von zu erledigendem
von dem
alltag eben was man von mir will
zu erledigen
zu funktionieren und da höre ich das wort
zu machen zur freiheit hat uns
zu tun christus befreit

und ich erledige zur freiheit


ich funktioniere befreit
ich mache weil es
ich tu eine mitte
gibt
und verlier mich
und find mich nicht
und sehne mich
und will

34
aus:
Andrea Schwarz
Reise in die Sehnsucht
Nr. 814204, € 19,99
240 Seiten, durchgehend farbig
814204_Schwarz_Münch_Reise in die Sehnsucht_Satz.indd 34 29.07.2013 10:40:23
ISBN 978-3-942208-04-8

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zur freiheit
befreit
weil es
ihn
gibt

zur freiheit
befreit
um zu
sein

so, wie ich bin


herausgerufen
eingeladen
geliebt

zur freiheit berufen


mutet gott sich zu

gott mutet mich


mir zu

zur freiheit
berufen
mutet mir gott
das leben zu

35
Andrea Schwarz Skizze: Eberhard Münch

814204_Schwarz_Münch_Reise in die Sehnsucht_Satz.indd 35 29.07.2013 10:40:24

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Fotot: shutterstock.com
Bruder Feuer
Ein Nachwort

Z wei seiner besten Freunde sind gekom-


men, ihn zu holen. Um ihn zurück-
zuholen nach Hause, ans wärmende Feuer.
demütig verhalten, sich darauf beschränken
sollen, um den päpstlichen Segen für den
jungen Orden zu bitten. Doch angesichts der
Wortreich malen sie ihm vor Augen, was prachtvoll gekleideten Würdenträger packt
ihm entgeht. Aber er, er will nicht. Nein, Franz von Assisi die Leidenschaft. Er kann
hier wartet eine große Aufgabe auf ihn, hier nicht anders, als dem Papst und all seinen
ist sein Platz. Er ist sich seiner Sache sicher. Würdenträgern von der Schönheit des Rei-
Barfuß steht er im Schnee und wuchtet Stein ches Gottes, die sich in den kleinen Dingen
um Stein auf die Mauer. In den Ruinen der offenbart, zu predigen. Reichtum und Ruhm,
verfallenen Kapelle soll neues Leben entste- all das ist nichts im Angesicht Gottes.
hen. Mit ihm ist eine kleine Schar zerlump-
ter Gestalten am Werk. Sie besitzen nichts. „Was wagt sich dieser kleine Mönch?“
Aber sie lächeln dem Glück entgegen. „Er verspottet uns! Hinaus!“

Enttäuscht wenden sich die beiden Boten Als Zuschauer hält man den Atem an. Wer-
zur Rückkehr in die Stadt. Dann geschieht den sie alle als Ketzer auf dem Scheiterhau-
das Unerwartete: Einer von ihnen dreht sich fen enden, so wie sie beim Hineingehen ein
im Gehen um. Franziskus’ Blick hat ihn ge- Ratgeber gewarnt hat?
troffen. Er hat Feuer gefangen. Er kann nicht
mehr zurück. Er weiß, wo er hingehört. Er Doch auch jetzt kommt es anders. Papst
bleibt und packt mit an. Innozenz steigt von seinem Thron, geht die
Treppe hinab, beugt sich zu Franziskus, der
Jahre später ist die Kapelle wiederhergestellt. auf dem Boden liegt hinab und segnet ihn.
Die Glocke ruft zum Gottesdienst und die
Menschen strömen in Scharen herbei. Von Am Ende sieht man Franziskus allein in
überall her kommen sie – Arme, Kranke, einer großen Ebene. Er geht seinen Weg.
Staunende. Es ist ihre Kirche, ein Ort, an Mit der Musik von Donnovan endet der
dem sie zu Hause sind. Film „Bruder Sonne, Schwester Mond“
aus dem Jahr 1972.
Eine zweite Szene:
Der päpstliche Palast in Rom. Würdenträger, Viele Jahre zuvor hatte ich das Buch von
Wachen, Prunk und Pomp. Am Ende des Luise Rinser, „Bruder Feuer“ gelesen. Und
Saales führt eine breite Treppe hoch hinauf auch damals war ich fasziniert. Feuer, Sonne,
zum Thron des Papstes. Die kleine Schar Mond, Wind … die Schönheit der Schöp-
zerlumpter Gestalten tritt unsicher näher. fung. Motive aus dem Sonnengesang des
Man hat ihnen eingeschärft, dass sie sich Franziskus.

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Wenn wir doch nur ein wenig von seiner Be- Darauf wandte Jesus sich wieder an seine
geisterung in unseren Alltag hinüberretten Jünger: „Deshalb sage ich euch: Sorgt euch
könnten. Von seiner Schlichtheit, seiner Art, nicht um Alltägliches – ob ihr genug zu
sich den Menschen in Liebe zuzuwenden, essen oder anzuziehen habt, denn das Leben
auch die kleinsten Dinge zu achten – besteht aus weit mehr als Nahrung und Klei-
Christus nachzufolgen. dung. Seht die Raben an. Sie brauchen nicht
zu säen, zu ernten oder Vorratsscheunen zu
Nachdem der Film zu Ende ist, mache ich bauen, denn Gott ernährt sie. Und ihr seid
einen Spaziergang, es ist Abend geworden. ihm doch weit wichtiger als irgendwelche Vö-
Meine Gedanken kreisen um das, was ich gel! Können all eure Sorgen euer Leben auch
gesehen und gehört habe. All die eindrück- nur um einen einzigen Augenblick verlängern?
lichen Bilder. Was für ein Leben. Wieder zu Natürlich nicht! Und wenn euer Sorgen schon
Hause, nehme ich nachdenklich meine Bibel in so geringen Dingen nichts bewirkt, was
zur Hand, lasse die Seiten durch die Finger nützt es da, sich um größere Dinge zu sorgen?
laufen, wie ich es häufig mache. Stopp. Ich
beginne zu lesen. Seht doch die Lilien, wie sie wachsen. Sie
arbeiten nicht und nähen sich keine Kleider,
Ist es Zufall? Warum bin ich im 12. Kapitel und doch war Salomo in all seiner Pracht
des Lukasevangeliums bei Vers 22 hängen- nicht so schön gekleidet wie eine von ihnen.
geblieben? Wenn Gott schon für die Blumen so wun-

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Fotot: shutterstock.com
derbar sorgt, die heute blühen und morgen Reich Gottes zu schenken. Verkauft, was ihr
bereits verwelkt sind, wie viel mehr wird er habt, und gebt es den Bedürftigen. Auf diese
da für euch sorgen? Euer Glaube ist so klein! Weise sammelt ihr euch Schätze im Himmel!
Und die Geldbörsen des Himmels haben kei-
Macht euch keine Gedanken über eure Nah- ne Löcher. Dort ist euer Schatz sicher – kein
rung – was ihr essen oder trinken sollt. Macht Dieb kann ihn stehlen und keine Motte ihn
euch keine Gedanken darüber, ob Gott euch zerfressen. Wo immer euer Reichtum ist, da
damit versorgen wird. Diese Dinge beherr- wird auch euer Herz sein.*
schen das Denken der meisten Menschen,
doch euer Vater weiß, was ihr braucht. Er Stefan Wiesner
wird euch jeden Tag alles Nötige geben, wenn
das Reich Gottes für euch das Wichtigste ist.
Hab also keine Angst, kleine Herde. Denn es
macht eurem Vater große Freude, euch das * Übersetzung: Neues Leben Bibel

IMPRESSUM

Herausgeber:
adeo Verlag • Gerth Medien GmbH
in der Verlagsgruppe Random House
Dillerberg 1 · 35614 Asslar Geschäftsführer: Ralf Markmeier
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magazin@adeo-verlag.de • www.adeo-verlag.de Layout & Gestaltung: Daniel Eschner
Alle Angaben Stand: Februar 2014. Irrtum und Preisänderungen vorbehalten. Foto Titelseite: Peter Becher, Rückseite: Kristin Moore • Alle Rechte vorbehalten. Abdruck von Texten, Interviews oder Auszügen daraus nur mit vorheriger, schriftlicher Genehmigung des adeo Verlags.
„Heute suchen alle nach Glück. Und sie meinen,
sie würden es darin finden, sich möglichst viel zu
gönnen. Doch Glück finde ich nur dort, wo ich im
Einklang bin mit mir selbst und wo ich in einem
Größeren geborgen bin. Das Staunen vor dem
Wunderbaren des Seins gehört zum Glück. Und
dieses Staunen weist immer über uns hinaus.“
Anselm Grün

Mit freundlicher Empfehlung

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