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Gewinne statt Gemeinwohl

Der Profit mit der Pflege

Stand: 12.12.2018 03:43 Uhr

Jahrhundertelang war die Pflege Sache der Familie, der Kirchen, der Wohlfahrtsverbände. Inzwischen
drängen internationale Kapitalanleger in den Markt. Auf Kosten der Pflegebedürftigen?

Von Sandra Stalinski, tagesschau.de

Uringeruch, Schimmel, überfordertes Personal: Immer wieder werden unzumutbare Zustände in


deutschen Pflegeheimen bekannt. Bei zwei Häusern der Alloheim-Gruppe beispielsweise wurde vor
einiger Zeit wegen massiver Pflegemängel die Schließung angeordnet. Sie konnten nur weiterbetrieben
werden, weil ein anderer Betreiber sie übernahm. In weiteren Heimen der Gruppe wurden ähnliche
Missstände öffentlich. Auch wenn Alloheim diese teilweise bestreitet.

Alloheim ist mit rund 170 Einrichtungen einer der größten Anbieter auf dem privaten Pflegemarkt.
Zumindest in einigen dieser Einrichtungen scheint Profitmaximierung offenbar Priorität zu haben.
Innerhalb weniger Jahre wechselte das Unternehmen mehrfach den Eigentümer. Inzwischen gehört es
dem schwedischen Finanzinvestor Nordic Capital.

"Heuschrecken quetschen Pflegeheime aus""In den letzten zwei Jahren zeigt sich immer deutlicher ein
Trend, dass große internationale Investmentgesellschaften Einrichtungen aufkaufen und diese auf
'bestclass profitibility' trimmen", sagt der Pflegeexperte Hanno Heil vom Verband der Katholischen
Altenhilfe. Diese sogenannten Heuschrecken würden die Pflegeheime ausquetschen, um sie nach
wenigen Jahren wieder gewinnbringend zu verkaufen.Eine Entwicklung, die so sicherlich niemand im
Blick hatte, als 1995 die Pflegeversicherung eingeführt wurde. Damit wurde der Markt für private
Anbieter geöffnet, nachdem die Pflege zuvor jahrhundertelang eine Sache der Familien, Kirchen und
Wohlfahrtsverbände war. Das Ziel des Gesetzgebers war es, die wachsende Zahl von Pflegebedürftigen
finanziell abzusichern und den Ausbau von dringend benötigten Pflegeeinrichtungen anzukurbeln.
"Markt" und "Wettbewerb" waren die Schlagworte der Zeit."Private Anbieter waren findiger und
engagierter"Ein notwendiger Schritt, meint der Gesundheitsökonom Heinz Rothgang: "Seit Einführung
der Pflegeversicherung haben wir eine beachtliche Expansion der Pflegeinfrastruktur." Die sei getrieben
worden von privaten Anbietern, die in vielen Bereichen schneller, findiger und engagierter gewesen
seien als die gemeinnützigen Träger.Oft waren es engagierte Kranken- oder Altenpfleger, die ihre
Chance sahen, sich selbstständig zu machen, sich Kapital beschafften und ein Pflegeheim eröffneten.
Solche gebe es auch heute noch, die mit viel Herzblut sehr gute Arbeit leisten würden, sagt Heil von der
Katholischen Altenhilfe, die zur Caritas gehört. Andererseits sei es viel schwieriger geworden, heute ein
einzelnes Pflegeheim mit 60 bis 80 Plätzen wirtschaftlich zu führen.

Pflegebranche - ein lukrativer und sicherer Anlagemarkt?Diese Heime sind es nun häufig, die von großen
Betreibergesellschaften aufgekauft werden - mit zum Teil hohen Renditeerwartungen. Die Pflege ist ein
lukrativer Markt geworden. Mehr und mehr Immobilienkonzerne, Pensions- oder Hedgefonds
investieren hier. Denn die Anlage gilt als vergleichsweise sicher. Knapp dreieinhalb Millionen
Pflegebedürftige gibt es schon jetzt. Bis 2050 dürften es Schätzungen zufolge mehr als fünf Millionen
werden. Die müssen versorgt werden. Und wenn sie selbst dafür nicht aufkommen können, springt die
Solidargemeinschaft ein.Gerade deshalb sind Gesundheitsminister Jens Spahn allzu hohe Renditen in
diesem Bereich ein Dorn im Auge. "Zweistellige Renditen für Finanzinvestoren und Kapitalgesellschaften
- das ist nicht die Idee einer sozialen Pflegeversicherung", sagte er in einem Interview mit der "Zeit". Er
könne sich vorstellen, diese Renditen zu deckeln. In der Branche sorgte das für Empörung.Spahn:
"Gewinne auf Kosten der Pflegebedürftigen"Doch die Frage ist angebracht: Wie gerecht ist es, dass
private Kapitalanleger Gewinne aus einem Bereich ziehen, in dem der weit überwiegende Teil der
Leistungen aus Pflegeversicherung oder Sozialhilfe kommt? Also über Beiträge und Steuern finanziert
wird. Zudem äußert Spahn den Verdacht, dass sehr hohe Gewinne quasi zwangsläufig auf Kosten der
Pflegebedürftigen gehen müssten.Das jedoch ist schwer zu belegen. Vergleichsstudien zur Qualität von
Pflegeheimen privater und frei gemeinnütziger Träger können kaum Unterschiede feststellen. "Das
Problem ist, dass es an verlässlichen Instrumenten fehlt, die Pflegequalität zu beurteilen", sagt Rothgang
von der Uni Bremen. Die Pflegenoten hätten versagt. "Es gab Heime, die wegen Pflegemängeln
geschlossen werden mussten, die zuvor Bestnoten erhalten hatten." Derzeit werde an einem neuen
System zur Qualitätskontrolle gearbeitet.

Privat ist nicht gleich schlechtAuch der Vorwurf, private Träger würden schlechter bezahlen, lässt sich
schwer beweisen. Der Markt ist undurchsichtig, es gibt keine einheitlichen Tarife, und vorhandene
Studien stützen sich lediglich auf Stichproben. Bei Personalausstattung und Fachkraftquote schneiden
die privaten Träger sogar minimal besser ab als die frei gemeinnützigen.Die Formel "privat ist gleich
schlecht" und "frei gemeinnützig ist gleich gut", geht also nicht auf. "Es gibt einzelne schwarze Schafe im
Markt, allerdings auf beiden Seiten", sagt der Präsident des Bundesverbands privater Anbieter sozialer
Dienste, Bernd Meurer. "Aber ich kann deswegen nicht ein ganzes System ändern wollen, das viele
Vorteile hat." Seiner Meinung nach sind die gesetzlichen Regelungen und die Kontrollen zur
Qualitätssicherung ausreichend.Klar ist aber auch: Der Anreiz, höhere Gewinne zu machen ist bei
privaten Anbietern höher. Denn gemeinnützige Träger dürfen Gewinne gar nicht an Dritte ausschütten.
Und irgendwo müssen die Gewinne ja herkommen.Niemand weiß, wie viel tatsächlich verdient wirdWie
hoch die allerdings in der Branche tatsächlich sind, kann niemand genau sagen. Der Marktführer Korian,
der in Deutschland rund 230 Pflegeheime betreibt, erzielte 2017 laut eigenen Angaben eine
Nettorendite von drei Prozent. Im Schnitt erzielten private Pflegeheime laut einer Auswertung des
Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung etwa vier Prozent. Von zweistelligen Renditen, wie Spahn sie
anprangert, kann also auf den ersten Blick keine Rede sein.Allerdings gehen Branchenbeobachter
dennoch von teils deutlich höheren Gewinnmargen aus. Durch Unternehmensverschachtelungen sei
allerdings schwer nachvollziehbar, wo tatsächlich wie viel Gewinn anfällt.Laut Verbandschef Meurer
braucht es die privaten Investoren allerdings dringend. "Wir brauchen in den nächsten Jahren an die 100
Milliarden Euro an Investitionen nur in die Infrastruktur." Neue Pflegeheime müssten gebaut, alte
renoviert werden. Wer da Geld hinein gebe, dürfe doch auch eine Verzinsung erwarten. "Wer sonst",
fragt Meurer, "soll denn stattdessen investieren?"
For centuries, nursing care was the responsibility of the family, the churches, and charitable
organizations. Now, international investors are entering the market. At the expense of those in need of
care?

By Sandra Stalinski, tagesschau.de

The smell of urine, mold, overworked staff: unacceptable conditions in German nursing homes are
becoming known time and again. Two homes belonging to the Alloheim Group, for example, were
ordered to close some time ago because of massive nursing deficiencies. They could only continue to
operate because another operator took them over. In further homes of the group similar bad states
became public. Even if Alloheim denies these in part.

With around 170 facilities, Alloheim is one of the largest providers on the private care market. At least in
some of these facilities, profit maximization seems to have priority. Within a few years, the company has
changed hands several times. It now belongs to the Swedish financial investor Nordic Capital.

"In the last two years, there has been an increasingly clear trend for large international investment
companies to buy up facilities and make them 'best-class profitable'," says nursing care expert Hanno
Heil from the Association of Catholic Nursing Care for the Elderly. These so-called locusts would squeeze
out the nursing homes in order to sell them again at a profit after a few years, a development that
certainly nobody had in mind when the nursing care insurance was introduced in 1995. This opened up
the market to private providers, after care had previously been a matter for families, churches and
welfare organizations for centuries. The legislators' aim was to provide financial security for the growing
number of people in need of care and to boost the expansion of urgently needed care facilities.
"Market" and "competition" were the buzzwords of the day. "Private providers were more resourceful
and committed "A necessary step, says health economist Heinz Rothgang: "Since the introduction of
long-term care insurance, we have seen a considerable expansion of the care infrastructure." This has
been driven by private providers, who in many areas have been faster, more resourceful and more
committed than the non-profit providers. Often, it was committed nurses or geriatric nurses who saw
their chance to become independent, raised capital and opened a nursing home. There are still such
people today, who do very good work with a lot of heart and soul, says Heil of Katholische Altenhilfe,
which belongs to Caritas. On the other hand, it has become much more difficult to run a single nursing
home with 60 to 80 places economically.

more than five million. They have to be cared for. And if they can't pay for it themselves, the solidarity
community will step in.That's precisely why Health Minister Jens Spahn is a thorn in the side of
excessively high returns in this area. "Double-digit returns for financial investors and corporations -
that's not the idea of social long-term care insurance," he said in an interview with "Die Zeit." He could
imagine capping these returns. Spahn: "Profits at the expense of those in need of care "But the question
is appropriate: How fair is it that private investors draw profits from an area in which the vast majority
of benefits come from long-term care insurance or social assistance? In other words, they are financed
by contributions and taxes. In addition, Spahn expresses the suspicion that very high profits would
almost inevitably have to be at the expense of those in need of care, but this is difficult to prove.
Comparative studies on the quality of nursing homes run by private and non-profit operators can hardly
find any differences. "The problem is that there is a lack of reliable instruments to assess the quality of
care," says Rothgang from the University of Bremen. Nursing grades have failed, he says. "There were
homes that had to be closed because of care deficiencies that had previously received top marks." He
said work is currently underway on a new system for quality control.

Private does not equal badThe accusation that private providers pay less is also difficult to prove. The
market is opaque, there are no uniform rates, and existing studies are based only on random samples. In
terms of staffing and the ratio of skilled workers, private operators actually perform minimally better
than non-profit operators.The formula "private equals bad" and "non-profit equals good" therefore
doesn't add up. "There are individual black sheep in the market, but on both sides," says the president
of the Federal Association of Private Providers of Social Services, Bernd Meurer. "But I can't want to
change an entire system because of that, which has many advantages." In his opinion, the legal
regulations and the controls for quality assurance are sufficient.However, it is also clear: The incentive to
make higher profits is higher with private providers. This is because non-profit providers are not allowed
to distribute profits to third parties. And the profits have to come from somewhere.No one knows how
much is actually earned, but no one can say exactly how high the profits actually are in the sector.
According to its own figures, the market leader Korian, which operates around 230 nursing homes in
Germany, achieved a net return of three percent in 2017. On average, private nursing homes achieved
around four percent, according to an evaluation by the Leibniz Institute for Economic Research. At first
glance, therefore, there is no question of double-digit returns, as Spahn denounces them.However,
industry observers nevertheless assume that profit margins are significantly higher in some cases.
According to Meurer, the head of the association, there is an urgent need for private investors. "In the
next few years, we need investments of around 100 billion euros just in infrastructure." New nursing
homes need to be built, old ones renovated. Whoever puts money into them should also expect a
return, he says. "Who else," asks Meurer, "should invest instead?"

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