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POLITIK 3.

März 2011 DIE ZEIT No 10 11

Fotos (Auschnitt): Tom Lynn/Reuters; Carlos J. Ortiz/EPA/picture-alliance/dpa; Darren Hauck/Reuters


Gouverneur Scott
Walker und seine

Tea Party für Linke


Gegner im
Kapitol in Madison

Im US-Bundesstaat Wisconsin tobt ein Kampf zwischen Gewerkschaftern und Republikanern – ein Vorgeschmack auf die Präsidentenwahl 2012 VON MARTIN KLINGST

M/W sche Gesundheitsreform und Staatshilfen für Wer nicht mehr verhandeln darf, wird nicht Ian’s Pizza-Service, der die Kapitolsbesetzer Tag und nicht besonders beliebt. Das stärkt den radikalen
o beinhart wünschen sich viele Repu- marode Konzerne trieb Zehntausende von gebraucht. Nacht mit wagenradgroßen Salamipizzas versorgt, Veränderungswillen der Republikaner.

S blikaner ihre Politiker. »Ich gebe nicht Menschen auf die Straße und vor die Regie-
nach«, brüllt Wisconsins konservati- rungsgebäude ihrer Bundesstaaten. Bei den
ver Gouverneur Scott Walker ins Mi- Wahlen im November wählte diese Bewegung
krofon. »Kein Jota!« Ohrenbetäuben- Hunderte von knallharten Sparmeistern in die
der Lärm dringt durch die schweren Eichentüren Parlamente.
in sein von Polizisten gesichertes Büro. Draußen, Seit gut zwei Wochen demonstrieren wieder
in der marmornen Halle des Kapitols, schlagen Heerscharen von Menschen. Doch ihr Protest
Im Kapitol von Wisconsin herrscht derzeit Still-
stand. Schon vor zwei Wochen haben die demokra-
tischen Senatoren Wisconsin fluchtartig verlassen,
um eine Abstimmung über das Gesetz zu verhin-
dern. Ohne sie wird das notwendige Quorum nicht
erreicht. Scott Walker jagte sofort seine Polizei hin-
terher, aber die Senatoren waren längst über alle
hat aus 17 Nationen Geldspenden erhalten, auch
aus Ägypten. Und einer der Organisatoren des Pro-
tests, dessen Eltern einst aus dem Nildelta einwan-
derten, erzählt mit stolzgeschwellter Brust, dass er
auf dem Tahrir-Platz demonstriert habe.
Der Aufstand der linken Tea Party ist eine Mi-
schung aus Revolte, Woodstock, Karneval und Ma-
Es gibt aber einen zweiten Teil der Umfragen.
Danach sind zwei Drittel gegen eine Aushebelung
des Tarifrechts. Sie haben die ideologischen Gra-
benkämpfe satt und fordern ein Einlenken.
Berauscht von ihrem Wahlsieg, drohen die Repu-
blikaner den Bogen zu überspannen und in die gleiche
Falle zu geraten, in die vor zwei Jahren noch Barack
Demonstranten auf Trommeln und blasen in richtet sich gegen das, was diese erbarmungs- Berge. Jetzt droht er, sollten sie nicht unverzüglich rathon. Seit 14 Tagen wird pausenlos getrommelt, Obama und seine Demokraten tappten. Damals
Trillerpfeifen. Tausende skandieren: »Kill the losen republikanischen Sparkommissare jetzt an- zurückkehren, mit Massenentlassungen von Leh- die Abgeordneten haben ohne Unterbrechung 61 glaubten auch sie, das Mandat für einen grundsätzli-
bill!«, Weg mit dem Gesetz! richten. Gegen den Rotstift, der überall die Bil- rern und Polizisten. »Ich lasse mich nicht erpressen«, Stunden lang im Parlament debattiert. In den Gän- chen Wandel erhalten zu haben. Sie haben sich geirrt.
Wisconsin ist eine der letzten Bastionen der dungs- und Sozialetats zusammenstreicht. Gegen sagt er, »und ich werde nicht einlenken.« gen laufen Studenten als Freiheitsstatuen umher Amerikas politische Mitte wollte nach den Verhee-
Gewerkschaftsbewegung. In Wisconsin wurde eine Politik, die den Staat klein halten, die Steu- oder in Kostümen der Boston Tea Party von 1773. rungen der Bush-Ära zwar einen demokratischen Prä-
die erste Vertretung des öffentlichen Dienstes ge- ern senken und die Gewerkschaften entmachten Der Protest ist eine Mischung aus Niemand kann sagen, ob ihr Protest Erfolg haben sidenten und eine demokratische Kongressmehrheit,
gründet und die 38-Stunden-Woche durch- will. Es ist eine linke Tea Party, die da entsteht Revolte, Karneval und Marathon wird und Amerika ebenso verändern wird wie der aber keine radikale politische Kehrtwende. Obama
gesetzt. Wer hier die Machtprobe verliere, warnt und aufbegehrt. Vor dem Kapitol in Madison Aufstand des rechten Pendants. erhielt bei den nächsten Wahlen dafür die Quittung.
ein Redner auf den Treppen des Kapitols von standen sich beide Bewegungen neulich erstmals Vor einigen Tagen gestand Walker ein, dass er an- Manchmal wirkt es, als stemme sich die Linke Vor ein paar Tagen zog eine Handvoll Komö-
Madison, verliere das ganze Land. Die Schlacht gegenüber. Zunächst starrten sie sich verblüfft fangs Störer in die Demonstrationen einschleusen ein letztes Mal verzweifelt gegen den Wandel. Nur dianten mit einem Kamel namens Scott vors Kapi-
um Wisconsin prägt bereits den nahenden Prä- an, dann brüllten sie sich an. Die Rechten zogen wollte. Ein ebenso peinlicher wie beängstigender zwölf Prozent aller amerikanischen Lohnempfänger tol von Madison. Auf glattem Eis verfing sich das
sidentschaftswahlkampf 2012. bald ab, die linken Demonstranten sind derzeit Vorgang. Seither finden Fotos reißenden Absatz, tragen noch einen Gewerkschaftsausweis. Die letz- Tier mit einem Hinterbein im Absperrgitter,
Präsident Barack Obama bangt um die Unter- in der Überzahl. die den Gouverneur mit dem davongejagten Auto- ten Säulen sind die Staatsdiener, von denen noch rutschte aus und fiel zu Boden. Manche sehen da-
stützung und die großzügigen Spenden der Ge- Zwei völlig unterschiedliche Welten prallen kraten Hosni Mubarak vergleichen. Unter großem jeder Dritte dazugehört. Deshalb wird um sie auch rin ein Menetekel für Gouverneur Walker und die
werkschaften. Er nennt Scott Walkers Gesetz des- da aufeinander. In nächster Zeit werden sie das Jubel wird die Solidaritätsadresse einer ägyptischen so erbittert gekämpft. Doch gerade der öffentliche kompromisslosen Republikaner – zu sicher jeden-
halb einen »Angriff« auf Amerikas Arbeitnehmer. öfter tun, denn es gibt viel Anlass für Streit. Die Gewerkschaft verlesen: »Wir stehen hinter euch!« Dienst, besagen Umfragen, ist bei Amerikanern falls sollten sie sich nicht fühlen.
Derweil stärken seine republikanischen Widersa- Republikaner im Kongress wollen Obama bald
cher allesamt Walker den Rücken. Die rechte Tea den Geldhahn zudrehen, wenn er nicht ihren
Party ruft zu Solidaritätskundgebungen auf, und einschneidenden Sparplänen zustimmt. Dann
konservative Publizisten schreiben Lobeshymnen würde der Bundesstaat viele seiner Leistungen
auf die neue Kompromisslosigkeit. Beide Seiten einstweilen einstellen müssen. Außerdem wird
sprechen vom »Madison-Moment«. demnächst auch über den nächsten Billionen-
Scott Walker, erst im November ins Amt ge- Dollar-Haushalt für 2012 verhandelt und darü-
wählt, ist der neue Held der amerika- ber, ob die Obama-Regierung noch
nischen Rechten. Je lauter der linke mehr Schulden machen darf. Viele
Protest, desto entschiedener gibt er Republikaner, vor allem die An-
sich. Mit den Gewerkschaften hänger der Tea Party, wollen
verhandeln? Warum? »Jetzt re- Wisconsin das verhindern. Die Demo-
Wisconsin
gieren wir Republikaner in kraten sagen, dann würden
Wisconsin, wir haben die wichtige Investitionen aus-
Mehrheit!« Selbstverständlich USA bleiben, die Wettbewerbs-
werde er im öffentlichen Dienst fähigkeit wäre zerstört.
radikal einsparen. »Mein Staat Amerika blickt derzeit auf
ist pleite!« Selbstverständlich ma- Madison, wo an den vergange-
che er Schluss mit dem Tarifver- nen Wochenenden jeweils mehr
tragsrecht für die Gewerkschaften. als 70 000 Menschen aufmar-
»Wir lassen uns von denen keine unbe- schierten. Doch der Protestfunke ist
zahlbaren Wohltaten mehr aufzwingen.« längst auf andere Bundesstaaten übergesprun-
Kameras übertragen Walkers Kompromiss- gen. Zwischen Atlantik und Pazifik gehen
losigkeit in die Halle. Pfeifkonzerte ertönen, die Hunderttausende auf die Straße.
Demonstranten recken ihre Fäuste und brüllen: An radikalen Einsparungen kommen ange-
»Hey, hey, ho, ho, Scott Walker has got to go!« Dann sichts des gewaltigen Schuldenbergs allerdings
singen sie das alte Bürgerrechtslied We shall over- auch demokratische Gouverneure nicht vorbei.
come! Walker trommelt im Takt mit seinem rech- Mit 175 Milliarden Dollar stehen Amerikas
ten Zeigefinger aufs Rednerpult. Ein Reporter fünfzig Bundesstaaten in der Kreide. Ein wenig
will von ihm wissen, warum er Feuerwehrleute haben die Gewerkschaften deshalb auch in
und Polizisten von seinen drakonischen Maß- Wisconsin bereits eingelenkt. Ihre Mitglieder
nahmen ausnehme. »Ich kann unsere Sicherheit sind damit einverstanden, künftig weit mehr
nicht durch Streiks gefährden«, antwortet er. aus der eigenen Tasche in die Kranken- und
Rentenkassen zu zahlen, wenn der Gouverneur
Demonstranten beider Lager im Gegenzug den Gewerkschaften das Tarif-
brüllen einander an recht lässt.
Doch Scott Walker will nicht nachgeben. Es
»Er lügt, er lügt«, wird draußen gerufen. Hand- geht ihm nicht nur ums Sparen. Er will den
zettel werden verteilt und geben Auskunft Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes an
darüber, wie viel Geld die Feuerwehr- und Poli- den Kragen und ihr Tarifrecht aushebeln. Vor
zeigewerkschaften für Walkers Wahlkampf ge- vielen Jahrzehnten haben sie sich das Recht er-
spendet haben. Trotzdem beteiligen auch sie kämpft, auch Nebenleistungen kollektiv aus-
sich am Protest. Mit großem Beifall werden ihre zuhandeln. Die teuren Krankenkassen- und
uniformierten Abordnungen begrüßt. Eine Rentenbeiträge zählen dazu, auch Urlaubs- und
Lehrerin stellt sich auf einen umgestülpten Plas- Krankheitstage.
tikeimer und preist laut die Vorzüge Wisconsins: Walker verteidigt sein Radikalprogramm
gute öffentliche Schulen, Platz zwei in Amerika! als Notmaßnahme. Würde er nicht die Macht
Überdurchschnittlich viele College-Abschlüsse! der Gewerkschaften brechen, sagt er, könne er
Unterdurchschnittliche Arbeitslosigkeit! »Das den Staatshaushalt nicht sanieren. Seine Geg-
haben wir auch dem öffentlichen Dienst und ner bestreiten das und rechnen ihm vor, seine
den Gewerkschaften zu verdanken!« – »Yeah«, Halsstarrigkeit komme Wisconsin weit teurer
rufen die Leute und stimmen die Nationalhym- zu stehen. Sie fürchten, die neue Republika-
ne an. Ein Mädchen kämpft sich mit einem nergarde wolle die Gewerkschaften beerdigen.
großen Schild durch die Menge. »Mein Urur- Indiana hat vor sechs Jahren den Anfang ge-
großvater half 1934, die Gewerkschaft zu grün- macht. Der konservative Gouverneur be- DÜSSELDORF - KONIGSALLEE, 24 - TEL. 211 17051000
den«, steht darauf. schränkte das Tarifrecht, wenn auch nicht so
BRIONI.COM
Vor einem Jahr feierte die Tea Party ihre ers- radikal, wie es Walker beabsichtigt. Seitdem
ten Erfolge. Die Wut über milliardenschwere verloren die Gewerkschaften des öffentlichen
Konjunkturprogramme, über eine bürokrati- Dienstes dort 90 Prozent ihrer Mitglieder.

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