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Zuschnitt Zeitschrift über Holz als Werkstoff und Werke in Holz September 2019 Nr. 75 | 19.

Jahrgang | Euro 8 | isbn 978-3-902926-33-3 proHolz Austria

zuschnitt 75

Potenzial Holz
Wir können mehr mit Holz bauen und dabei mehr
endliche Ressourcen ersetzen, wenn wir ressourcen-
effizientere Lösungen entwickeln, das Material
länger im Kreislauf halten und auch andere Holzarten
vermehrt stofflich nutzen. Das Potenzial von Holz ist
längst noch nicht ausgeschöpft.
Inhalt Seite 3 Themenschwerpunkt
Editorial
Zuschnitt 75.2019 Text Anne Isopp Seite 6 – 7
Seite 4 Nachgefragt Ein- oder
Essay mehrschichtig, hybrid oder
Die Ressourcenwende steht monomateriell?
vor der Tür Text Karin Tschavgova
Text Hermann Kaufmann Seite 8
Einfach bauen Ein Forschungs-
projekt an der tu München
Text Anne Niemann

Zuschnitt 76.2019 Steildach – erscheint im Dezember 2019

Was für ein Abenteuer ist es, auf einen Dachboden zu steigen! Je größer der
Dachstuhl, desto spannender wird es. Die Frage, ob Flachdach oder Steildach,
ist längst keine ideologische mehr. Gerade der moderne Holzbau findet
immer wieder überzeugende Ausdrucksweisen in steilen Dachformationen.
Welche Raumerlebnisse wohl dort im Inneren auf uns warten? Im kommenden
Zuschnitt schauen wir uns das steile Dach genauer an, von den konstruktiven
Lösungen bis hin zur Integration von Solarpaneelen und Belichtung.

Titelbild Impressum Offenlegung nach § 25 Redaktionsteam Fotografien


Holzpavillon auf der Bundes- Medieninhaber und Mediengesetz Anne Isopp (Leitung) icd/itke, Universität Stuttgart
gartenschau in Heilbronn Heraus geber Arbeitsgemeinschaft der Christina Simmel s. 1, 10, 11
proHolz Austria österreichischen Holzwirt- (Assistenz) Matthieu Gafsou s. 2
Zuschnitt Arbeitsgemeinschaft der schaft nach Wirtschafts- Kurt Zweifel Dirk Lindner s. 5
issn 1608-9642 ös terreichischen Holzwirt- kammergesetz (wkg § 16) redaktion @ zuschnitt.at Winkler +Ruck s. 6 li.
Zuschnitt 75 schaft zur Förderung der Hanno Mackowitz s. 6 re.
isbn 978-3-902926-33-3 Anwendung von Holz Ordentliche Mitglieder Fachliche Beratung Sebastian Schels s. 7 li.
Obmann Richard Stralz Fachverband der Holz - Alfred Teischinger, boku Bernd Borchardt s. 7 re.
www.zuschnitt.at
Geschäftsführer indus trie Österreichs Patricia Lucas s. 12
Zuschnitt erscheint viertel- Georg Binder Bundesgremium des Holz- Lektorat Klaus Mauz s. 13 li.
jährlich, Auflage 12.000 Stk. Projektleitung Zuschnitt und Baustoffhandels Esther Pirchner, Innsbruck Hochschule Wismar s. 13 re.
Einzelheft euro 8 Kurt Zweifel Bundesforschungszentrum
Preis inkl. USt., exkl. Versand A-1030 Wien Fördernde Mitglieder Gestaltung für Wald (bfw), Wien s. 14
Am Heumarkt 12 Präsidentenkonferenz der Atelier Andrea Gassner, Wojciech Zawarski s. 16
T +43 (0)1 ⁄ 712 04 74 Landwirtschaftskammern Feldkirch; Reinhard Gassner, Zooey Braun s. 18
info @ proholz.at Österreichs Marcel Bachmann, Werner Sobek mit Dirk E. Hebel
www.proholz.at Bundesinnung der Zimmer- Christopher Walser und Felix Heisel s. 19
meister, der Tischler und Alex de Rijke s. 22
Copyright 2019 bei proHolz andere Interessenverbände Druck Rheinisches Bildarchiv Köln s. 24
Austria und den AutorInnen der Holzwirtschaft Grasl FairPrint, Bad Vöslau An Viet Dung s. 25
Die Zeitschrift und alle in gesetzt in Foundry Journal bfw⁄ Anna-Maria Walli s. 27
ihr enthaltenen Beiträge Editorialboard auf GardaPat 13 Kiara courtesy the artist and Desert X/
und Abbildungen sind Reinhard Gassner, Schlins Lance Gerber s. 28
urheberrechtlich geschützt. Hermann Kaufmann, Bestellung⁄ Aboverwaltung
Jede Ver wendung außerhalb Schwarzach proHolz Austria
der Gren zen des Urheber- Arno Ritter, Innsbruck info @ proholz.at
rechts ist ohne Zustimmung Alfred Teischinger, Wien T +43 (0)1 ⁄ 712 04 74
des Herausgebers unzulässig Dietger Wissounig, Graz shop.proholz.at
und strafbar.
Seite 9 Seite 12 – 13 Seite 16 – 17 Seite 23 Seite 25
Was tun mit dem Brett- Konsistenz, Effizienz und „Recycling ist nicht nur ein Müssen wir Material sparen? Seitenware
sperrholzverschnitt? Suffizienz Zukunftsfähige Thema, es ist eine absolute Warum ein höherer Material- Kreislaufgedanke auf
Forschungsprojekt an der Strategien in Holz Notwendigkeit“ Ein Gespräch einsatz durchaus Sinn ergeben Vietnamesisch
tu Kaiserslautern Text Sabine Djahanschah über das Wieder- und Weiter- kann Text Anne Isopp
Text Jürgen Graf, Stefan Seite 14 verwenden von Baustoffen Text Wolfgang Pöschl Seite 26 – 27
Krötsch und Viktor Zukünftige Baumarten- Text Anne Isopp Seite 24 Wald – Holz – Klima
Poteschkin verteilung bis 2100 Seite 18 – 19 Ein superleichter Stuhl Waldbau zwischen Rendite
Seite 10 – 11 Seite 15 Umgeben von recycelten und Material-, aber nicht ressour- und Risiko

Editorial
Mehr Kubatur mit weniger Holzvorräte in Europa recycelbaren Baustoffen ceneffizient Text Alois Pumhösel

Inhalt
Material Holzpavillon Jährliche Holzernte Wohnen im Forschungslabor Text Alfred Teischinger Seite 28
auf der Bundesgartenschau und -nutzung in Österreich umar Nachgefragt Was sind die For- Holz(an)stoß
in Heilbronn Text Claus Käpplinger schungsfragen der Zukunft? Doug Aitken
Text Achim Menges Seite 20 – 21 Text Anne Isopp Text Stefan Tasch

2
3
Nachgefragt Welches Poten-
zial liegt in der Produktion?

zuschnitt 75.2019
Text Anne Isopp

Editorial

Anne Isopp

Allein schon die Suche nach dem richtigen Titel Das Grundprinzip der Holz- und Forstwirtschaft in
gestaltete sich schwierig. Wie soll dieser Zuschnitt Österreich ist, nur so viel Holz zu ernten, wie nach-
heißen? Materialoptimierung, Ressourcenschonung, wächst, und diesen Rohstoff zu hundert Prozent zu
Suffizienz, Effizienz, adäquater Materialeinsatz? verwerten. Und doch ist das Potenzial von Holz noch
Jeder Begriff stimmt, wurde aber dennoch nach nicht voll ausgeschöpft, wie Hermann Kaufmann im
kurzem Nachdenken wieder verworfen, weil er Essay schreibt. Wenn es uns gelingt, neue ressourcen-
alleine nicht die gesamte Geschichte abdecken effiziente Lösungen zu entwickeln, das Material
kann, die wir hier erzählen wollen. Unser Grund- länger im Kreislauf zu halten und neben der Fichte
gedanke ist, dass wir vermehrt endliche Ressourcen auch andere Holzarten vermehrt stofflich zu nutzen,
durch nachwachsende ersetzen müssen und dass dann können wir mehr mit Holz bauen und zugleich
der Ressource Holz hier eine besondere Bedeutung mehr endliche Ressourcen ersetzen.
zukommt. Deshalb müssen wir mit Holz, auch wenn Wir werden in diesem Heft Möglichkeiten diskutieren
es ein nachwachsender Rohstoff ist, sorgsam um- und Potenziale aufzeigen. Wie bei allen Fragen zum
gehen. Das fordert unsere Verantwortung gegen- Schutz der Umwelt gilt auch hier, dass keine Hand-
über unserer Umwelt und gegenüber dem Wald als lung für sich alleine große Wirksamkeit entfalten
Lebensraum und Ökosystem. kann, nur die Summe und das gemeinschaftliche
Handeln machen den Unterschied aus.

Steigender Holzbauanteil in Österreich

Der Holzbau hat in Österreich in den letzten zwanzig Jahren kontinuierlich


Marktanteile gewonnen. Bezogen auf die gesamten errichteten Nutzflächen im
Gebäudesektor beträgt sein Anteil bereits 24 Prozent. Eine Studie der Univer-
sität für Bodenkultur Wien hat auf Basis der Einreichunter lagen für Baubewilli- Holzbauanteil in Österreich
gungen den Anteil des Holzbaus am gesamten Hochbau in Österreich unter- Nutzfläche gesamt Nutzfläche Mehrfamilienhäuser
sucht. Als Holzbauten wurden dabei Gebäude definiert, bei denen mehr als
50 Prozent der tragenden Konstruktion aus Holz oder Holzwerkstoffen sind. 35 %
Dabei ist in den Jahren 1998 bis 2018 ein signifikantes Wachstum des gesamten 24 %
30 %
Holzbauanteils in Österreich erkennbar. 20 % 25 %
Bezogen auf die errichteten Nutzflächen konnte der Holzbauanteil seit 14 %
20 %
1998 von 14 auf 24 Prozent gesteigert werden. Er verteilt sich zu 53 Prozent 15 % 11 %
auf Wohnbau (neu errichtete Ein- und Mehrfamilienhäuser sowie Zu- 10 %
4%
und Umbauten) und zu 47 Prozent auf Nicht-Wohnbau (Öffentliche Bauten, 5% 1%
Gewer be- und Industriebauten, landwirtschaftliche Zweckbauten). Besonders 0%
im Segment Mehrfamilienhäuser und bei öffentlichen Bauten hat sich der 1998 2008 2018 1998 2008 2018
Holzbauanteil gesteigert.

Weitere Infos: www.proholz.at/holzbauanteil


Essay Die Ressourcenwende steht vor der Tür

Hermann Kaufmann

Die Geschichte lehrt uns, dass der Mensch mit einem Überfluss knapp wird, und wie wir es vermeiden können, den alten Fehler
an Ressourcen noch nie wirklich verantwortungsvoll umgegangen der Übernutzung zu wiederholen.
ist. Nach einer ungehemmten und sorglosen Nutzung oder Aus- Die potenzielle Leistungsfähigkeit von Holz und holzbasierten
beutung folgte postwendend eine Verknappung, die meist zu Produkten ist noch nicht voll ausgeschöpft. Zielsetzung künftiger
gesellschaftlichen Umwälzungen führte. Heute befinden wir uns Forschung im Holzbau muss es sein, Lösungen für nachhaltige
in einer ähnlichen Situation, und das bei allen Ressourcen, die Holzverwendung und die wiederholte stoffliche Nutzung der
der Mensch für die Erhaltung seines gewohnten Lebensstandards daraus erzeugten Produkte zu entwickeln. Die Forderung, den
benötigt. nachwachsenden Rohstoff Holz möglichst effizient zu nutzen,
Im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe besteht derzeit noch kann durch die kontinuierliche Optimierung der Prozesse und
großes Potenzial. Noch haben wir keine wirklichen Engpässe Produkte sowie die Entwicklung innovativer neuer Werkstoffe
beim Holz. Doch die Ressourcenwende steht vor der Tür. Holz erfüllt werden.
als wichtigster nachwachsender Baustoff wird weltweit zuneh- Im Bereich der Baukonstruktionen hat teilweise einseitiges und
mend nachgefragt werden, der Kampf um den Rohstoff wird kurzfristiges wirtschaftliches Denken zu Lösungen geführt, die
auch durch das Interesse anderer Branchen wie Energie, Chemie, nur mit hohem Aufwand wiederverwertbar sind bzw. zu wenig
Textilindustrie, Papier härter werden. Hinzu kommt die Tatsache, auf sparsamen Ressourcenverbrauch fokussieren. Sie sind zwar
dass gewohnte Baumarten durch die klimatischen Verände- derzeit noch wirtschaftlich umsetzbar, weil genügend Ressourcen
rungen unter Druck geraten und damit die Lage verschärft wird. vorhanden sind. Aber das wird sich in absehbarer Zeit ändern.
Es ist ein Gebot der Stunde, jetzt verstärkt darüber nachzuden- Noch haben wir genug Rohstoff in den Märkten und damit auch
ken, wie wir damit umgehen wollen, dass auch diese Ressource Zeit, die richtigen Lösungen zu entwickeln.

Ganz konkret müssen folgende Nutzung potenzieller Holz- Erhöhung der Recyclingquote Anpassung etablierter Bewer-
Themen bearbeitet werden: quellen und Adaption von durch Entwicklung von Bau- tungsmethoden
Bauprodukten aufgrund der methoden mit garantierter Die derzeit gängigen Ökobilan-
Angepasste Lösungen und sich ändernden Holzarten- Rückbaubarkeit und Wieder- zierungen im Bauwesen weisen
Konzepte für gleichbleibende angebote verwendung der eingesetzten Vorteile beim Einsatz großer
oder sogar steigende tech- Wir verwenden derzeit für Rohstoffe: „Design for Recyc- Holzmengen in einem Bauwerk
nische Anforderungen an das Bauwesen hauptsächlich ling, Urban Mining“ aus, weil damit ein Kohlen-
Endprodukte bei gleichzeitig Fichte. Es gibt aber Möglich- Hier liegt der eigentliche stoffspeicher aufgebaut und
reduziertem Materialeinsatz keiten, andere Holzarten, die Schlüssel zur Lösung der Res- das Klima entlastet wird. Ein-
Hier geht es darum, die derzei- derzeit wenig stofflich genutzt sourcenfrage auf lange Sicht. zig die thermische Verwertung
tigen Konstruktionsmethoden werden, für das Bauwesen Wir müssen beginnen, so zu am Ende des Lebenszyklus ist
auf ihre Ressourceneffizienz zu erschließen. Insbesondere konstruieren, dass unsere Neu- die Basis der Berechnungen.
hin zu hinterfragen. Wo setze ihre Integration in Brett- bauten die Rohstoffquellen Hier muss ein geänderter An-
ich welches Material ein und schicht- bzw. Brettsperrholz, der Zukunft sein werden. satz verfolgt werden, der auch
in welcher Menge? Bevor das Furnierschichtholz etc. ist eine Damit werden sich Konstruk- die nachzuweisende Wieder-
gezwungenermaßen durch den relevante Forschungsfrage tions- und Baumethoden sowie verwendung und damit eine
Preis geregelt wird, müssen mit dem Nebeneffekt, dass das „Design“ von Holzwerk- zerstörungsfreie Demontage
wir, auch um konkurrenzfähig die Produkte gleichzeitig leis- stoffen stark verändern. Es ins Kalkül nimmt. Ebenso ist
zu bleiben, jetzt schon Lösun- tungsfähiger werden können. wird eine Rückbesinnung auf eine Quantifizierung nach ver-
gen dafür entwickeln. einfache Konstruktionen erfor- wendeten Holzarten und Holz-
derlich sein, eine Wiederent- qualitäten vorzunehmen, um
deckung monolithischer und dadurch die Erweiterung des
damit schichtenreduzierter Bau- Rohstoffspektrums zu fördern.
teile ist in diesem Zusammen-
hang zu erwarten. Auch wenn
Hermann Kaufmann
dafür mehr Holz notwendig ist,
Architekt mit eigenem Architekturbüro
gleicht die dokumentierte in Schwarzach, seit 2002 Professur
Rückbau- und Wiederverwend- für Entwerfen und Holzbau an der
barkeit diesen Mehrverbrauch Architekturfakultät der tu München
an Material wieder aus.
Das zehnstöckige Bürogebäude von Architects Studio RHE steht in den East India Docks in London ganz in der Nähe der Canary Wharf. Themenschwerpunkt Potenzial Holz
Nachgefragt Ein- oder mehrschichtig,
hybrid oder monomateriell?

Karin Tschavgova

Was verstehen vier ausgewiesene Holzbauspezialisten unter grammiert seien. Sein Ansatz: Aufbauten wieder vereinfachen
Materialoptimierung? Im Gespräch mit den Architekten Tom und reduzieren, im besten Fall auf eine Schicht – auf den Stamm.
Kaden, Martin Mackowitz, Florian Nagler und Roland Winkler. Die Voraussetzung dafür ist auch hier ein Entwurf, der direkt aus
den Eigenschaften des Materials abgeleitet wird. Was anachro-
Eins vorweg: Das Thema Materialoptimierung ist für jeden unserer nistisch klingt, konnten Winkler + Ruck in einem kleinen Ferienre-
Gesprächspartner ebenso aktuell wie komplex und es reicht weit sort im Wald auf der Turracher Höhe umsetzen. Der Baumstamm
über die sparsame, materialreduzierte Verwendung von Holz hinaus. bedingt die Größe und Form der Räume. Nachhaltiger Neben-
„Wir gehen zu verschwenderisch mit allen Ressourcen um“, effekt: Für die drei Blockhäuser – schlank wie Türme – mussten
lautet die Einleitung zu Florian Naglers Plädoyer für einen ökono- nicht mehr als drei Bäume gefällt werden.
mischen Materialeinsatz, den er wie der Berliner Tom Kaden auch Den Gedanken des sinnvollen Vereinfachens können die anderen
darin sieht, Holzarten sinnvoll nach den ihnen innewohnenden Gesprächspartner mittragen, allerdings sehen sie in ihrer Arbeit
Stärken einzusetzen. Während Ersterer auf unsere Vorväter ver- nicht nur die Notwendigkeit des hybriden Bauens, sondern auch
weist, die genau wussten, wofür sich jede Holzart speziell eignet, Vorzüge dieser Bauweise, die Holz, Beton und Stahl ihren Stärken
und das Beispiel des traditionellen Baues von Schlitten mit Esche nach kombiniert. In seinem Selbstverständnis ist Florian Nagler
nennt, ist es bei Kaden + Lager die Verwendung von Buche für dennoch ein „typischer Holzbauer“, der den Weg des reinen Holz-
eine Holzverbunddecke in einem ihrer Mehrgeschossbauten. baus nicht verlässt. Er wolle bei jeder Aufgabe mit den Vorzügen
Sie erlaubte wesentlich schlankere Querschnitte und somit, nur des Holzes auch deshalb zurechtkommen, weil die Ressourcen für
„so viel Holz wie notwendig“ verwenden zu müssen. Stahl und mineralische Stoffe weltweit rasend schnell abgebaut
„Aufgabe und Material müssen sich befreunden“, formuliert es werden. Materialoptimierung im reinen Holzbau ist also auch eine
der in Schlins tätige Architekt Martin Mackowitz poetisch und Lösung für eine nachhaltige Entwicklung des Bauens.
meint damit, dass sich schon die konzeptuelle Lösung dem ge- Für Tom Kaden liegt die Optimierung des Bauens mit Holz für
wählten Material anpassen muss, um effizient bauen zu können. Bauten von bis zu acht Geschossen im Hybridbau – anschaulich
Roland Winkler hat während seiner langjährigen Tätigkeit als gemacht an der Stadtsiedlung Neckarbogen in Heilbronn, die als
Architekt zu einer radikalen Haltung gefunden. Der Holzbau Wohnbau auch hohen Anforderungen an Schall- und Brandschutz
werde in seiner Entwicklung immer wissenschaftlicher, immer genügen muss. Martin Mackowitz lehnt Konstruktionen als zu
komplexer, und die Lehre hinke nach. Das führe zu einer Lücke kompliziert ab, wenn man „dafür Bauphysik studiert haben muss“,
zwischen Wissen und Anwendung. „Davongaloppierende hat jedoch grundsätzlich nichts gegen Hybride und nennt kon-
Normen“ trügen das Ihre dazu bei, dass Bauschäden vorpro- kret die Anschlüsse bei Knoten. Im weitesten Sinn ist Material-

Häuser im Wald Ofenwerkstatt


Standort Turracher Höhe⁄ AT Standort Ludesch⁄ AT
Bauherr Robert Hollmann, Lago Immobilien, Klagenfurt am Wörthersee⁄ AT Bauherr Müller Ofenbau, Ludesch⁄ AT, www.muellerofenbau.at
Planung Winkler + Ruck Architekten, Klagenfurt am Wörthersee⁄ AT, www.winkler-ruck.com Planung Martin Mackowitz, Schlins⁄ AT, www.ma-ma.io
Statik Klaus Gelbmann zt, Villach⁄ AT, www.gelbmann-zt.at Statik merz kley partner, Dornbirn⁄ AT, www.mkp-ing.com
Holzbau Pongauer Holzbau, Altenmarkt⁄ AT, www.humanavita.at, Holzbau Tschabitscher, Holzbau Sutter Holzbau GesmbH, Ludesch⁄ AT, www.sutterholzbau.at
Steinfeld⁄ AT; Tischlerei Weko, Kühnsdorf-Mittlern⁄ AT, www.weko.co.at Fertigstellung 2015
Fertigstellung 2017
Potenzial Holz
optimierung für ihn eine „Veredelung, in der jedes Material sich zeuge wie cnc-Fräsen ermöglichen es, Holzverbindungen präzise

6
7
dort befindet, wo es ruhen kann“ – und seine Stärken ausspielt. und rasch herzustellen, die früher mit großem Aufwand hand-
Die Übung ist, meint er, immer wieder von Neuem dieses Gleich- werklich gefertigt wurden.

zuschnitt 75.2019
gewicht zu finden. Materialoptimierung – das ist die Conclusio aus den Gesprächen –
Für Roland Winkler liegt das Hybride in der Natur der Sache, ist eine komplexe, vielschichtige Herausforderung, an die alle
etwa, indem man dem Holz, das nicht auf dem Boden liegen mag, vier Architekten differenziert und von unterschiedlichen Seiten
einen Sockel aus Stein oder Ortbeton gibt. Wichtig sei, dass bei herangehen. Sie kann nicht pauschal für jede Bauaufgabe gelöst
dieser Reduktion des Bauens auf eine Schicht jeder der Bauteile werden. Aspekte der Ressourcenschonung, der Sparsamkeit und
in guter Qualität und handwerklich sehr gut ausgeführt sein Nachhaltigkeit müssen für die Konzeption eines Entwurfs immer
muss, denn: Rohbau ist Ausbau. Dem Mehrverbrauch an Masse wieder von Neuem durchdacht werden. Nicht allein Tragwerk und
stellt er den geringeren Energieverbrauch gegenüber, weil Gewicht dürfen Kriterien für die Wahl des Materials sein, sondern
Dämmmaterial und Kunststofffolien, die mit hohem Energie- auch seine haptische Qualität und seine gestalterischen Mög-
aufwand hergestellt und transportiert werden, wegfallen. Nach- lichkeiten. „Das Umdenken beginnt schon“, konstatiert Florian
haltigkeit sei auf der Turrach auch dadurch gegeben, dass man Nagler als Lehrender an der tu München. „Wir brauchen noch viel
die Häuser in ferner Zukunft „auf Null abtragen“ kann. Forschung“, fügt Tom Kaden am anderen Ende Deutschlands
Solch konsequente Haltung beeindruckt Tom Kaden, wenngleich zwei Wochen später hinzu. „Über die Beobachtung des Materials
er die Herausforderung nicht in weiteren Leuchtturmprojekten kann ich viel lernen“, meint Martin Mackowitz. „Ein vielfältiges
sieht, sondern darin, Holz im Bereich des Geschossbaus als Geflecht“ sei die Materialoptimierung, findet Florian Nagler.
Selbstverständlichkeit zu etablieren und damit den Anteil am Jeder Zugang ist anders, jeder ist gut.
Holzbau bundesweit zu erhöhen.
Stehen einfaches Bauen und Materialoptimierung einander im
Karin Tschavgova
Wege? Kann sein, meint Florian Nagler. Etwa, wenn einfaches
studierte Architektur in Graz, seit langem freie Fachjournalistin und Architek-
Bauen mit hohem Materialeinsatz einhergeht. Das bringt größe- turvermittlerin, Lehrtätigkeiten an der tu Graz
ren Ressourcen- und Energieverbrauch, etwa durch Transport-
kosten. Sogleich folgt das Aber: Ein Mehr an Speichermasse kann
wiederum gegengerechnet werden.
Technologischer Fortschritt, darin sind sich alle einig, ist kein
Widerspruch zum einfachen Bauen. Im Gegenteil: Digitale Werk-

Hofgut Karpfsee Stadtsiedlung Neckarbogen


Standort Karpfsee 11, Bad Heilbrunn⁄ DE Standort Stadtausstellung Neckarbogen, Heilbronn⁄ DE, www.leben-am-neckar.de
Bauherr Stiftung Nantesbuch, www.stiftung-nantesbuch.de, München⁄ DE Bauherr Stadtsiedlung Heilbronn GmbH, Heilbronn⁄ DE, www.stadtsiedlung.de
Planung Florian Nagler Architekten, München⁄ DE, www.nagler-architekten.de Planung Kaden + Lager, Berlin⁄ DE, www.kadenundlager.de
Statik merz kley partner, Dornbirn⁄ AT, www.mkp-ing.com Statik bauart Konstruktions GmbH & Co. kg, Lauterbach/Hessen⁄ DE, www.bauart-konstruktion.de
Holzbau Obermeier Holzbau GmbH, Bad Endorf⁄ DE, www.obermeier-holzbau.de; Holzbau Ed. Züblin ag, Bereich Heilbronn, Heilbronn⁄ DE, www.heilbronn.zueblin.de
Josef Vogt, Fischbachau⁄ DE, www.vogt-zimmerei.de; Anton Bammer Zimmerei GmbH, Fertigstellung 2019
Gmund⁄ DE, www.zimmerei-bammer.de
Fertigstellung 2017
Einfach bauen Ein Forschungsprojekt
an der tu München

Anne Niemann

Einfach zu bauen, versteht sich als eine Gegenbewegung zur U-Wert von 0,28 W⁄ m2K bereits bei Wandelementen mit einer
steigenden Komplexität von Konstruktion und Gebäudetechnik. Dicke von 23 cm erreicht wird.
In einem Forschungsprojekt wurde an der tu München 2018 die Allerdings zeigte sich in den Simulationen, dass nur ein Holz-
Hypothese überprüft, ob Gebäude mit einfacher und robuster Hybridbau robust genug ist, um in Bezug auf Speichermasse und
Konstruktion und Gebäudetechnik gegenüber Wohngebäuden Wirtschaftlichkeit mit Bauten aus Beton oder Mauerwerk mithal-
in Standard- und Niedrigenergiebauweise überlegen sind. Im ten zu können. Um die Anzahl der Übertemperaturgradstunden
Fokus standen die Umweltwirkung und Lebenszykluskosten über zu senken, wurde für den Holzbau daher eine Betondecke einge-
einen Betrachtungszeitraum von hundert Jahren. plant.
Dabei wurden verschiedene Raumvarianten in den Bauweisen Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass sich die drei Einfach-
Leichtbeton, hochwärmedämmendes Mauerwerk und Massivholz Bauen-Varianten unter normalen Umständen in Bezug auf Umwelt-
untersucht. Die Entscheidung für monolithische Wand- und einwirkung und Kosten etwa vergleichbar mit dem Standard- und
Deckenkonstruktionen wurde bereits in der Antragsphase gefällt. dem Niedrigenergiehaus verhielten. Ändern sich jedoch die Rand-
Grund hierfür war der Wunsch, durch eine einschichtige Bauwei- bedingungen, zeigen die einfachen Bauten eine höhere Robust-
se die Komplexität der Gebäude in der Planungs- und Bauphase, heit sowohl gegen unvorhergesehenes Nutzerverhalten als auch
aber auch während der Instandsetzung und dem Rückbau zu gegen Wetterextreme oder nicht funktionsfähige Haustechnik-
reduzieren. Jeder Knotenpunkt im Detail, jede Übergabestelle systeme. Folgt man der Annahme, dass ein Gebäude hundert
von verschiedenen Gewerken auf der Baustelle birgt das Risiko für Jahre oder mehr Bestand hat, zahlt sich ein etwas größerer Mate-
Fehler. Bei mehrschichtigen Bauteilen übernehmen die einzelnen rialeinsatz in der Konstruktion also langfristig aus.
Schichten jeweils spezielle Anforderungen. Durch die unter- Derzeit entstehen drei Forschungshäuser in einfacher Bauweise
schiedliche Haltbarkeit und Nutzungsdauer der Bauteilschichten in Bad Aibling. In einem Monitoring-Verfahren werden Verbräuche
müssen diese während und auch am Ende der Lebenszeit eines und Raumkomfort gemessen und ausgewertet. Dies ist Teil des
Gebäudes wieder voneinander getrennt werden. laufenden Forschungsprojekts Einfach Bauen 2, das bis Ende
Für den Holzbau bedeutete dies die Wahl eines Vollholzwand- 2020 läuft.
bauteils, das die Anforderungen an die deutsche Energiesparver-
ordnung (EnEV) erfüllen musste, und zwar mit möglichst wenig Anne Niemann
Ressourceneinsatz. Es gibt bereits ein zugelassenes Produkt studierte Architektur und ist seit 2008 an der tu München am Lehrstuhl für Ent-
auf dem Markt, das durch schmale, vertikale Schlitze in den werfen und Holzbau bei Prof. Kaufmann, seit 2017 zusätzlich am Lehrstuhl für
vertikalen Mittellagen des Holzquerschnitts – einem Hohlkam- Entwerfen und Konstruieren bei Prof. Nagler in Forschung und Lehre tätig. Seit
merziegel ähnlich – Lufteinschlüsse ins Bauteil integriert. 2018 hat sie einen Lehrauftrag an der Hochschule Augsburg. Sie leitet das For-
schungsprojekt Einfach Bauen gemeinsam mit Florian Nagler und Tilmann Jarmer.
Durch diese Luftkammern im Querschnitt ist eine Verringerung
der Wärmeleitfähigkeit auf = 0,07 W⁄ mK möglich, womit ein Einfach Bauen. Ein Forschungsprojekt an der tu München, www.einfach-bauen.net

10 cm

Ausführungsplanung für eines der drei Forschungshäuser für Bad Aibling. Architekt Florian
Nagler verwendete hier Vollholzwandbauteile mit schmalen Schlitzen in den vertikalen
Mittellagen. Einem Hohlkammerziegel ähnlich, verringern die Lufteinschlüsse die Wärmeleit-
fähigkeit der Bauteile.
Was tun mit dem Brettsperrholzverschnitt?
Forschungsprojekt an der tu Kaiserslautern

Potenzial Holz
Jürgen Graf, Stefan Krötsch und Viktor Poteschkin

Brettsperrholz ist ein hoch leistungsfähiges, formstabiles und plattenartige Belastung als Deckenelement ist diese Verbindung

9
8
zuverlässig berechenbares Baumaterial für Wand-, Decken- und jedoch nicht geeignet. Dazu wurden zwei unterschiedliche Mög-
Dachelemente aus Massivholz. In der Produktion von Bauteilen lichkeiten untersucht: Die Rest stücke-Elemente werden mit einer

zuschnitt 75.2019
fällt jedoch viel Verschnitt an, einerseits produktionsbedingt aus Lage Vollholzbretter verleimt, sodass ein Verbundelement ent-
der Herstellung und Besäumung der Rohplatten, andererseits steht. Die Vollholzbretter, die in Spannrichtung angeordnet sind,
durch Fenster- und Türausschnitte. Die Produktionsabfälle betra- bilden die Zugzone, die Brettsperrholzreste die Druckzone. Dieses
gen bei vielen Herstellern bis zu 20 Prozent des Rohmaterials. Verfahren könnte den Produktionsmöglichkeiten der Hersteller
Das Forschungsvorhaben Recycling von Brettsperrholz-Produk- entgegenkommen. Die andere Möglichkeit ist, die Resteplatten
tionsabfällen untersucht daher Möglichkeiten, aus den nicht als Sekundärtragwerk einer Balkendecke einzusetzen. Die Balken
vermeidbaren Tür- und Fensterausschnitten neue Decken- und können dabei entweder unterhalb oder zwischen den Brettsperr-
Wandelemente herzustellen, um das hochwertige Material stoff- holzresten angeordnet sein. In beiden Fällen ist geplant, Decken-
lich zu nutzen, statt es wie üblich thermisch zu verwerten. elemente herzustellen, die mechanisch verbunden sind, damit sie
Zunächst wurden Projekte des Praxispartners aus der Holzindus- ihrerseits zerleg- und recycelbar sind.
trie ausgewertet und die häufigsten Formate der Restplatten Natürlich wäre es Aufgabe der Architektur, Ausschnitte in Brett-
ermittelt, die – in etwas kleineren Abmessungen – die Grundmo- sperrholzplatten durch materialgerechtes Entwerfen überhaupt
dule der weiteren Untersuchung wurden. Dabei bestätigte sich zu verhindern oder zumindest zu minimieren. Ein schönes Bei-
die Vermutung, dass bei der Produktion von Wänden deutlich spiel dafür ist die Olpererhütte, deren Fensterreihe im Ober-
mehr Ausschnitte anfallen als bei der Produktion von Decken- geschoss nicht aus Lochfenstern, sondern nur aus Wand oder
elementen. Nichtwand besteht. Nachdem jedoch in der Alltagsarchitektur
Im Abbund kann zukünftig zunächst die Geometrie der weiter viele Ausschnitte vorhanden sind, will das Forschungsprojekt
zu verwendenden Reste einschließlich Ausnehmungen für Ver- einen sinnvollen Umgang mit diesem wertvollen Abfall-Rohstoff
bindungen aus der Rohplatte gefräst werden, bevor die etwas aufzeigen.
größere eigentliche Fenster- oder Türöffnung hergestellt wird.
Um die Reststücke zu neuen Wand- oder Deckenelementen zu
fügen, wurde eine Verbindung mit Fremdfedern aus Buchen- Jürgen Graf, Professor an der tu Kaiserslautern, Fachbereich Architektur,
Furnierschichtholz eingesetzt, die stumpfe Stöße der Restplatten Fachgebiet Tragwerk und Material
und somit eine relativ unkomplizierte Herstellung erlauben. Stefan Krötsch, Professor für Entwerfen und Baukonstruktion an der Hoch-
schule Konstanz Technik, Wirtschaft und Gestaltung (bei Antragstellung war
So entstehen massive flächige Bauteile mit Scheibenwirkung,
Krötsch noch Junior Professor an der tu Kaiserslautern, Fachbereich Architek-
die direkt als aussteifende Decken oder als tragende oder aus- tur, Fachgebiet Tektonik im Holzbau)
steifende Wände einsetzbar sind und, nachdem sie keine Stahl- Viktor Poteschkin, Architekt und Mitarbeiter an der tu Kaiserslautern, Fach-
teile enthalten, wie Vollholz verarbeitet werden können. Für eine bereich Architektur, Fachgebiet Tragwerk und Material

Fremdfeder aus
Buchenfurnierschichtholz

Querzugverstärkung

Wandelement mit Ausschnitten für Fenster und Türen. Die Reststücke


werden zu neuen Wand- oder Deckenelementen mithilfe von Fremdfedern
aus Buchen-Furnierschichtholz gefügt. Als Deckenelemente müssen sie bsp-Produktionsreste
zusätzlich mit einer Lage Vollholzbretter verleimt oder mit einer Balken-
decke kombiniert werden. Brettlamellen

pu-Klebstoff

Forschungsvorhaben: Potentiale der Verwendung von Brettsperrholz-Produktionsabfällen zur Herstellung von Bauteilen im Holzbau
Forschungsinitiative Zukunft Bau, ein Forschungsprogramm des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung
www.architektur.uni-kl.de/tlab/forschungsprojekte/Potentiale-der-Verwendung-von-Brettsperrholz-Produktionsabfaellen
Mehr Kubatur mit weniger Material
Holzpavillon auf der Bundesgartenschau
in Heilbronn

Achim Menges

Der Holzpavillon der Bundesgartenschau Heilbronn Das Streben nach höherer Ressourceneffizienz muss
(buga) besteht aus einer segmentierten Schalen- daher mit der automatisierten Roboterfertigung
konstruktion, die auf biologischen Prinzipien des der Schalensegmente einhergehen. Speziell hierfür
Plattenskeletts von Seeigeln basiert. Seit fast einem wurde eine neuartige, transportable, 14-achsige
Jahrzehnt werden diese biologischen Prinzipien Roboter-Holzfertigungsplattform entwickelt. Diese
vom Institut für Computerbasiertes Entwerfen und ermöglicht die vollautomatisierte Produktion der
Baukonstruktion (icd) und Institut für Tragkonstruk- Holzkassetten, die mit dem Zusammenbau durch
tionen und konstruktives Entwerfen (itke) der Uni- die Roboter beginnt. Dazu gehören die Platzierung
versität Stuttgart erforscht. Natürliche Strukturen von vorformatierten Holzplatten und -balken, das
zeigen, wie man durch „mehr Form“ mit „weniger kontrollierte Aufbringen des Klebstoffs zwischen
Material“ bauen kann, dies ist im Kontext des res- Platten und Balken sowie eine temporäre Lage-
sourcenschonenden Bauens besonders relevant. sicherung mit Buchennägeln für den Trocknungs-
Der Pavillon nutzt dieses biomimetische Prinzip vorgang. In einem zweiten Schritt werden die Keil-
sowohl in Bezug auf die Gesamtkonstruktion als zinkenverbindungen und Öffnungen mit 300 μm
auch auf die einzelnen Segmente. Um Materialver- Genauigkeit in die montierten Segmente gefräst.
brauch und Gewicht zu minimieren, besteht jedes Von der Montage der Balken und Platten über das
Holzsegment aus zwei dünnen Platten, die oben Fräsen mit unterschiedlichen Werkzeugen bis hin
und unten einen Ring aus Randbalken beplanken zur sensorbasierten Prozess- und bildbasierten Qua-
und so hohle, großformatige Holzkassetten mit litätskontrolle geschieht alles in einem vollauto-
polygonalen Formen bilden. Die Leichtbausegmente matischen Ablauf. Dieser wird durch einen Roboter-
sind durch Fingerzinken verbunden, die den morpho- code gesteuert, der aus 2 Millionen Zeilen besteht
logischen Prinzipien an den Rändern der Seeigel- und direkt aus dem computerbasierten Modell er-
platten folgen. Im montierten Zustand wirkt die zeugt wird. Im Durchschnitt dauert das robotische
Holzschale durch ihre ausdrucksstarke, doppelt Fügen 8 Minuten pro Segment. Für das Hochpräzi-
gekrümmte Geometrie als formaktives Tragwerk. sionsfräsen werden weitere 30 Minuten benötigt.
Im Vergleich zu massiven Holzelementen reduzieren Dieses Herstellungsverfahren stellt sicher, dass alle
die Holzkassetten Gewicht und Material deutlich, Holzsegmente wie ein großes, dreidimensionales
erhöhen aber auch die Anzahl der Bauteile signifi- Puzzle zusammengesetzt werden können. Die
kant und führen zu einer komplexeren Fertigung. komplett vorgefertigten Holzkassetten wurden von
einem Team von zwei Handwerkern in nur zehn
Arbeitstagen im freien Vorbau vor Ort montiert,
ohne die sonst üblichen umfangreichen Unterkon-
struktionen oder Stützgerüste zu benötigen. Nach
der Verbindung der Segmente über wiederverwend-
bare Bolzen wurde eine epdm-Folie in acht Streifen
über den Pavillon gelegt und so die Wasserdichtig-
keit sichergestellt. Die sichtbare Außenverkleidung
des Pavillons bilden unbehandelte Lärchenplatten.
Alle Bauelemente sind für leichte Demontage und
Wiederaufbau an einem anderen Ort ausgelegt.
Die tragende Holzkonstruktion des Pavillons besteht
aus 376 maßgeschneiderten Segmentbauteilen
und hat ein Gewicht von gerade einmal 38 kg⁄ m2.
Mit minimalem Materialeinsatz spannt das Holz-
dach 30 Meter über einen der zentralen Konzert-
und Veranstaltungsorte der buga und schafft so
einen einzigartigen architektonischen Raum.

Achim Menges
Architekt und Leiter des Instituts für Computerbasiertes
Entwerfen und Baukonstruktion an der Universität Stuttgart
www.icd.uni-stuttgart.de
Standort Bundesgartenschau Heilbronn, Heilbronn⁄ DE
Bauherr Bundesgartenschau Heilbronn 2019 GmbH, Heilbronn⁄ DE
Planung icd – Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung,
Universität Stuttgart, Stuttgart⁄ DE, www.icd.uni-stuttgart.de;
itke – Institut für Tragkonstruktionen und konstruktives Entwerfen,
Universität Stuttgart, Stuttgart⁄ DE, www.itke.uni-stuttgart.de
Holzbau Müllerblaustein Holzbauwerke GmbH, Blaustein⁄ DE,
www.muellerblaustein.de
Weitere Projektpartner bec GmbH, Pfullingen⁄ DE, www.b-e-c.de
Fertigstellung 2019

Die tragende Schale setzt sich aus Hohlkassettensegmenten aus Fichtenfurnierschichtholz und
einer Dachhaut aus unbehandelten Lärchendreischichtplatten zusammen. „Statt einfacher,
aber massiver Holzbauteile erlaubt der von uns entwickelte, vollautomatisierte Herstellungs-
prozess“, so Achim Menges, „die Realisierung komplexer, aber besonders materialsparender und
leichter Holzkassetten.“
Konsistenz, Effizienz und Suffizienz
Zukunftsfähige Strategien in Holz

Sabine Djahanschah

Die Begriffe der Effizienz, Konsistenz und Suffizienz beschreiben


drei entscheidende Strategien, um eine Zukunftsfähigkeit der
menschlichen Zivilisation zu sichern. Dabei fokussiert der Begriff
der Effizienz auf eine ergiebigere Nutzung von Materie und Im Prinz Eugen Park in München entstehen zahlreiche Wohnbauten in Holzbauweise.
Energie. Die erhöhte Produktivität von stofflichen und energe- Dabei zeigt sich, wie variantenreich effizienter und konkurrenzfähiger Holzbau sein kann.

tischen Ressourcen würde im Bauwesen bedeuten, Gebäude Bauherr Konsortium Prinz Eugen Park, München⁄ DE
Fertigstellung 2021
und Quartiere mit minimiertem Energieverbrauch angemessen
zu klimatisieren und mit einem möglichst geringen stofflichen
Ressourceneinsatz zu bauen und zu sanieren. Die Effizienz setzt
dabei insbesondere auf technische Innovationen und moderne
Arbeitsweisen.
Die Strategie der Konsistenz bezieht sich auf den Einsatz von Effizienz – mit weniger mehr bauen
naturverträglichen Technologien, die daher nicht zwangläufig Im Leitgedanken der Effizienz hieße das für den Holzbau, Trag-
minimiert werden müssen. Stoffe und Leistungen der Ökosysteme werke und Konstruktionsaufbauten mit möglichst wenig Material-
werden genutzt, ohne sie zu zerstören. Hierunter wäre die verbrauch bei hoher Leistungsfähigkeit zu entwickeln. Der Holz-
Nutzung nachwachsender Ressourcen zu fassen, die unter der bau ist prädestiniert für materialeffiziente Bauweisen. Dieser
Voraussetzung einer kreislauffähigen Konstruktion über den ermöglicht energieeffiziente schlanke Außenwände bei geringem
Lebenszyklus eines Bauwerks hinaus hochwertig weiter genutzt Gewicht und kann in der Primärkonstruktion mit geringen Lasten
werden können. und guten Trageigenschaften punkten. Diese Vorteile ermöglichen
Das Ziel der Suffizienz ist eine Verringerung des Ressourcenver- einen hohen Vorfertigungsgrad bei entsprechender Qualitäts-
brauchs durch eine reduzierte Nachfrage nach Gütern. Sie adres- kontrolle und schnelle Bauprozesse. Im Sinne eines effizienten
siert eher die Frage der Lebensstile. Wie viel Konsum braucht der Materialeinsatzes geht es nicht darum, möglichst viel Holz zu
Mensch? Wie viel umbauter Raum wird für eine Nutzung wirklich verbauen, sondern mit dem zur Verfügung stehenden Holz mög-
benötigt? Die nachhaltigen Verbesserungen in lebenswerten lichst viele Gebäude zu errichten. Selbst wenn beim Bauen mit
Quartieren und Gebäuden durch energieeffiziente Konzepte und Holz das gebundene CO2 möglichst lange eingelagert werden
den Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen werden in der kann, entsteht eine effiziente Rohstoffnutzung insbesondere durch
Bilanz wenig nutzen, wenn die beanspruchten Quadratmeter pro die Substitution von Baustoffen mit größerem ökologischen
Kopf an Wohn- sowie Infrastrukturflächen immer weiter steigen. Rucksack.
Das Gutachten des wissenschaftlichen Beirats für Umweltfragen So zielte die Forderung eines umfassenden Holzeinsatzes in der
der deutschen Bundesregierung (wbgu) befasst sich mit den Siedlung Prinz Eugen Park in München auf eine Substitution
Folgen der kommenden weltweiten Urbanisierung. Diese wird von Massivbaustoffen. Die Grundstücksvergabe wurde in einem
zusammen mit dem Wachstum der Weltbevölkerung zu einer Konzeptverfahren an die eingesetzte Holzmenge gekoppelt,
deutlichen Verknappung der Rohstoffe im Bauwesen führen. was den Holzbau auch in der Primärkonstruktion befördert hat.
So werden in den nächsten dreißig Jahren etwa genauso viele Dabei wurden ganz unterschiedliche Lösungen entwickelt. Die
Infrastrukturen geschaffen werden müssen wie im gesamten Außenwand wurde als Holzrahmenbau umgesetzt, um mit wenig
Zeitalter der Industrialisierung. Zur Lösung unserer Zukunftsfra- Holzeinsatz und geringen Wandstärken hoch wärmegedämmte
gen ist daher ein intelligenter und sparsamer Umgang mit Res- Außenwände zu realisieren. Ebenso finden sich vermehrt Brett-
sourcen im Sinne von „aus weniger mach mehr“ unumgänglich. sperrholzwände im Innenbereich, die einen effizienten Lastabtrag
gewährleisten. Das Beispiel zeigt eindrücklich, dass es viele Wege
zum Ziel eines effizienten Holzbaus gibt und der Holzbau auch
im Geschosswohnungsbau konkurrenzfähig ist.
Potenzial Holz
12
13
zuschnitt 75.2019
Die Bauteile des Werkstättengebäudes in Landsberg sind so konzipiert, Nicht neu bauen, sondern das nutzen, was vorhanden ist, lautete die Prämisse der Hochschule Wismar.
dass sie zukünftige Veränderungen erlauben.
Bauherr Hansestadt Wismar, Wismar⁄ DE, www.wismar.de
Bauherr Isar-Würm-Lech IWL, Landsberg am Lech⁄ DE, www.iwl-ggmbh.de Planung igel-Institut Hochschule Wismar, Wismar⁄ DE, www.hs-wismar.de; Architekturbüro Albert
Planung Hermann Kaufmann + Partner, Schwarzach⁄ AT, www.hkarchitekten.at und Baier, Rostock⁄ DE, www.walldienerhaus.de
Statik merz kley partner, Dornbirn⁄ AT, www.mkp-ing.com Fertigstellung 2014
Holzbau Gumpp & Maier GmbH, Binswangen⁄ DE, www.gumpp-maier.de
Fertigstellung 2013

Konsistenz – kreislauffähig konstruieren Suffizienz – weniger ist mehr


Der Konsistenzgedanke setzt auf die Verwendung naturverträg- Die Suffizienzstrategie hingegen zielt auf ein „weniger ist mehr“.
licher Technologien. Hier hat der Holzbau einiges zu bieten, denn Sie hinterfragt das rechte Maß. Sie wird zu Unrecht mit Verzicht
als nachwachsender Rohstoff kann er durch nachhaltige Forst- gleichgesetzt, selbst wenn sie insbesondere auf einen verminder-
wirtschaft bereits in der Produktionsphase wie kaum ein anderer ten Verbrauch durch veränderte Lebensstile setzt. Wenn der
Rohstoff zentrale Umweltleistungen erbringen. Das intelligente Wohnflächenbedarf pro Kopf kontinuierlich auf mittlerweile
Wirtschaften in der Konsistenzstrategie soll ohne Abfälle aus- 45 m2 angestiegen ist, werden Effizienzgewinne z. B. im Energie-
kommen. So soll die derzeit lineare Produktwirtschaft in eine verbrauch gleich wieder aufgezehrt. Kritiker halten Suffizienz-
Kreislaufwirtschaft übergeführt werden. Daher erfordern Konsis- strategien für unrealistisches Wunschdenken. Ein eindrückliches
tenzstrategien nicht zwingend eine Verringerung von Material- Beispiel für eine erfolgreiche Umsetzung dieser Strategie ist die
flüssen und Energieverbräuchen, sondern es geht vielmehr um Analyse der Uni Wismar unter dem Gesichtspunkt der Suffizienz.
die naturverträgliche Gestaltung dieser Stoffströme. Auch hier Für alle Bestandsgebäude wurde erhoben, in welchem Zeitraum
bietet der Holzbau wichtige Vorzüge. Als nachwachsender Roh- welche Räume von wem genutzt werden. Durch eine intelligente
stoff umweltfreundlich erzeugt, kann er durch seine schichtweise Umorganisation konnten letztlich Flächen eingespart und maro-
Fügung und Vorfertigung auch zu kreislauffähigen Konstruk- de Gebäude abgerissen werden. Außerdem wurde das benötigte
tionen weiterentwickelt werden. Ein Beispiel hierfür ist die Audimax der Uni in einem zu sanierenden Altbau mit Ergän-
Behindertenwerkstätte in Landsberg. Schon im Wettbewerb zungsneubauten untergebracht, der der Stadt zugleich als neuer
sollte die Erweiterung mitgedacht werden. Dieser Gedanke wurde Theatersaal und Konferenzgebäude dient. Durch die zeitliche
dann im Sinne einer hochwertigen Wiederverwendung von Verschiebung der Nutzungszeiten ermöglicht die Doppelnutzung
ganzen Bauteilen weiterentwickelt. Die vorgefertigten Wandele- in einem Gebäude deutlich verringerten Raum- und Ressourcen-
mente sind in allen Anschlüssen so konstruiert, dass sie bei einer bedarf. Das Beispiel zeigt eindrücklich, wie Suffizienz nicht
Erweiterung einfach nur versetzt und weiterverwendet werden Verzicht, sondern ein mehr an Qualität bringen kann. Die be-
können. Selbst die Fundamente ziehen mit um. Alle Anschlüsse grenzten finanziellen Ressourcen konnten so in die Schaffung
mussten daher zerstörungsfrei zu lösen und erneut zu verbinden von sinnvollen Qualitäten kanalisiert werden.
sein. Erst am Ende einer langen Nutzungskette sollte dann die
thermische Verwertung stehen.

Sabine Djahanschah
leitet das Referat Architektur und Bauwesen bei der Deutschen Bundesstif-
tung Umwelt. Sie ist Mitglied im Stiftungsrat der Bundesstiftung Baukultur
und im Kuratorium des Fraunhofer ibp.
Zukünftige Baumartenverteilung Anhand dieser Karten lässt sich erkennen, welche Standorte für die betreffenden
Baumarten bisher klimatisch geeignet waren und wie die klimatische Standorttauglich-
bis 2100
keit in Zukunft aussieht. Dabei wurde für das Jahr 2100 von einer moderaten globalen
Erwärmung von rund 2,6 °C ausgegangen. Zu beachten ist, dass diese Karten ausschließ-
lich das potenzielle Vorkommen der Baumarten in Abhängigkeit vom Klima beschreiben.
Andere Standortparameter wie Boden und Exposition sowie waldbauliche Maßnahmen
nicht berücksichtigt.
Standort für jeweilige Baumart
Die Karten wurden im Rahmen des europäischen Forschungsprojekts sustree vom Bundesforschungszentrum für Wald bfw erstellt.
geeignet nicht geeignet Sie können über die Smartphone-App SUSselect im Google Playstore bezogen werden (https://t1p.de/SUSL).

Fichte Buche Kiefer

2019 2019 2019

2100 2100 2100

Lärche Tanne Eiche

2019 2019 2019

2100 2100 2100


Holzvorräte in Europa

Nordeuropa
Vorrat 8.247 Mio. m 3

Potenzial Holz
Zuwachs 247 Mio. m 3
davon Ernte 62,3 %

Zentralosteuropa
Vorrat 10.541 Mio. m 3
Zuwachs 181,7 Mio. m 3

14
15
davon Ernte 78,8 %

zuschnitt 75.2019
Zentralwesteuropa
Vorrat 8.185 Mio. m 3
Zuwachs 273,4 Mio. m 3
davon Ernte 68,1 %

Anteil Laubholz Südwesteuropa Südosteuropa


Anteil Nadelholz Vorrat 2.783 Mio. m 3 Vorrat 4.309 Mio. m 3
Zuwachs 68,0 Mio. m 3 Zuwachs 69,6 Mio. m 3
davon Ernte 45,6 % davon Ernte 44,4 %

Die Holzvorräte in Europa wachsen stetig. Dabei hat Laubholz


schon jetzt einen großen Anteil in Süd- und Mitteleuropa.
Auch in Österreich wird der Anteil an Laubholz steigen. Quelle: State of Europe’s Forests 2015 Report, Ministerial Conference on the Protection of Forests in Europe, Madrid 2015,
Derzeit aber wird nur etwa ein Drittel der Laubholzernte stoff- www.foresteurope.org; Holzeinschlagsmeldung 2018, Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus
lich genutzt.

Jährliche Holzernte
und -nutzung in Österreich
Ernte 2018 Nadelholz Laubholz Gesamt

Rohholz 16,0 3,1 19,1 in Mio.


Erntefestmetern
geerntetes Holz zur stofflichen
ohne Rinde
und energetischen Nutzung

Stoffliche Nutzung
Rohholz für die Sägeindustrie 12,8 1,1 13,9
und andere Zwecke sowie als
80 % 36 %
Industrierundholz für die Span-,
Faserplatten- und Papierindustrie
und für die Textilindustrie.

Energetische Nutzung 3,2 2,0 5,2


Energieholz 20 % 64 %
„Recycling ist nicht nur ein Thema,
es ist eine absolute Notwendigkeit“
Ein Gespräch über das Wieder- und
Weiterverwenden von Baustoffen

Anne Isopp

Was sollen wir mit den Baustoffen tun, die wir nicht
mehr brauchen? Wieder- und Weiterverwenden –
das zumindest fordern die Forscher der umar Unit,
eines Gemeinschaftsprojekts von Werner Sobek,
Dirk E. Hebel und Felix Heisel. Die Forschungs-
und Wohneinheit im Forschungshaus nest der Eid-
genössischen Materialprüfungs- und Forschungs-
anstalt (Empa) zeigt, dass eine konsequente
Wieder- und Weiterverwendung von Baustoffen
bereits heute möglich ist. Wir sprachen mit Felix
Heisel, Projektpartner und Forschungsleiter im
Fachbereich Nachhaltiges Bauen des Karlsruher
Instituts für Technologie (kit), über das Thema
Recycling in der Architektur im Allgemeinen und
im Holzbau im Besonderen.

Warum ist Recycling ein Thema?


Für uns ist es nicht nur ein Thema, wir sehen es als
absolute Notwendigkeit an. Wir haben nicht genug
Ressourcen, um so weiterzubauen wie bisher. Zu-
dem setzen wir die Ressourcen, die wir aus der Erd-
kruste entnehmen, so ein, dass sie nach dem Abriss
größtenteils ihre Wertigkeit verlieren. Eine Lösungs-
möglichkeit ist, den Kreislauf zu schließen. Recyc-
ling ist eine von mehreren Methoden, um unsere
lineare Wirtschaft in eine Kreislaufwirtschaft zu
überführen. Und das ist auch mein persönliches
Hauptforschungsthema, die zirkuläre Bauwirt-
schaft. Wie können wir einen Paradigmenwechsel
einleiten und eine Kreislaufwirtschaft erreichen?

Wie weit sind wir denn von einer Kreislaufwirt-


schaft entfernt?
Wir sind noch weit weg von einer echten Kreislauf-
wirtschaft im Bauwesen. Österreich ist den Deut-
schen in dieser Thematik tatsächlich etwas voraus.
Aber auch hier kann man noch von keiner geschlos-
senen Kreislaufwirtschaft sprechen. Vor zwei Jahren
hat die Ellen MacArthur Foundation erstmals ver-
sucht zu errechnen, wie kreislaufgerecht die Welt
aktuell ist und kam auf die Zahl 9. Das bedeutet,
In diesem Forschungsmodul der Empa wird das recycelbare Bauen erprobt. dass nur 9 Prozent der eingesetzten Mineralien,
fossilen Brennstoffe, Metalle und Biomasse jährlich
wiederverwendet oder gleichwertig wiederverwertet
werden.1 Österreich hat sich nun ebenfalls dieser
Rechenmethode bedient, um zu schauen, wie kreis-
Standort Überlandstrasse 129, Dübendorf⁄ CH
Bauherr Empa, Dübendorf⁄ CH, www.empa.ch laufgerecht es ist, und kam auf 9,7 Prozent.2 Die
Planung Werner Sobek mit Dirk E. Hebel und Felix Heisel Zahl an sich finde ich nicht so wichtig. Aber es ist
Werner Sobek ag, Stuttgart⁄ DE, www.wernersobek.de, eine sehr, sehr kleine Zahl und sie zeigt die Not-
Fachgebiet Nachhaltiges Bauen, kit Karlsruhe, Karlsruhe⁄ DE, nb.ieb.kit.edu
Holzbau kaufmann zimmerei und tischlerei gmbh, Reuthe⁄ AT, www.kaufmannzimmerei.at
wendigkeit auf, dass wir hier dringend etwas tun
Statik merz kley partner, Dornbirn⁄ AT, www.mkp-ing.com müssen.
Fertigstellung 2017
Info www.nest-umar.net
Video www.vimeo.com/248181084 1 The Circularity Gap Report 2019, www.circularity-gap.world
2 Circularity Gap Report – Austria, www.ara.at
3 Eurostat, Recovery rate of construction and demolition

waste 2016, aufgerufen 2019


Potenzial Holz
Was ist das Ziel? Zu hundert Prozent kreislauf- hergestellt und verkauft. Was der Käufer damit

16
17
gerecht zu sein? Geht das überhaupt? macht, kann ich nicht kontrollieren. Es gibt Unter-
Natürlich muss das Ziel hundert Prozent sein. nehmen, die vermieten ihre Produkte nur noch. Ein

zuschnitt 75.2019
Der Weg dorthin besteht aber sicherlich aus vielen Hintergedanke hierbei ist die Unabhängigkeit vom
kleinen Stellschrauben, die wir verändern müssen – Rohstoffmarkt. Wenn ein Hersteller ein zu hundert
zum Wohle der Welt und uns aller. Prozent recycelbares Material verkauft, kann er es
durch eine Rücknahme als hochwertiges Ausgangs-
Sie haben gesagt, dass die Ressourcen knapp material wieder in die Produktion zurückführen.
werden. Welche Rolle spielen hierbei die nach- Diesen Mehrwert gilt es für die Unternehmen zu
wachsenden Rohstoffe? Gilt für sie dasselbe aktivieren. An solchen Geschäftsmodellen besteht
Prinzip – also eine hundertprozentige Wieder- ein großes Interesse.
oder Weiterverwendung zu erreichen? Oder kann
man hier entspannt sagen: Die wachsen sowieso Gibt es so etwas auch in der Holzindustrie?
nach, da brauchen wir keine Ressourcenknapp- Ich kenne derartige Geschäftsmodelle vor allem für
heit zu befürchten? technische Kreisläufe, in denen der Ressourcendruck
Ein Grundprinzip der Kreislaufwirtschaft ist die aktuell höher ist. Das Ziel einer Kreislaufwirtschaft
Trennung des technischen vom biologischen Meta- ist, den höchstmöglichen Wert und Nutzen eines
bolismus. Wenn man wirklich kreislaufgerecht bauen Materials zu erhalten. Das umgangssprachliche
will, dürfen diese beiden Kreisläufe in keinem Pro- „Downcycling“ entspricht in diesem Sinne nicht der
dukt dauerhaft verbunden sein. Ein Beispiel ist Kreislaufwirtschaft, auch wenn es laut eu-Definition
aluminiumkaschierter Holzschaum: Den kann man noch als Recycling gilt. 2016 hat Österreich zum
weder kompostieren noch zu Aluminium einschmel- Beispiel eine Verwertungsrate für Bauabfälle von
zen. Das ist ein verlorener Wert. Der biologische 88 Prozent nach Brüssel gemeldet. 3 Laut der bereits
Kreislauf ist natürlich per se weniger problematisch, genannten Berechnung ist Österreich aber nur zu
unter der Bedingung, dass ich die biologischen 9,7 Prozent kreislaufgerecht. Diese Diskrepanz ent-
Rohstoffe richtig einsetze. Genau hier liegt aber die steht aus den unterschiedlichen Definitionen von
Krux. Denn sehr, sehr wenige der aus nachwachsen- Recycling. Im schlimmsten Fall zählt sogar das
den Rohstoffen hergestellten Produkte sind wirklich thermische Recycling dazu, auch wenn man dabei
wieder zurückführbar. Oft sind sie mit Chemikalien hochwertige Rohstoffe vernichtet. Geschäftsmodelle
behandelt, die aus dem technischen Kreislauf für den biologischen Kreislauf sollten sich insofern
kommen und die eine Kompostierung zum Beispiel auf eine vollbiologische Schließung des Kreislaufs
unmöglich machen. Unbehandelte Vollhölzer hinge- konzentrieren. Hierzu forschen wir unter anderem an
gen kann ich wunderbar wieder zurückführen in biologischen Klebern auf Basis von Pilzmycelium.
die Wertschöpfungskette, indem ich sie entweder
tatsächlich wiederverwende oder kompostiere. Bei Ihrem Forschungsprojekt umar spielt Holz
Das Schöne am biologischen Kreislauf ist, dass er eine tragende Rolle. Warum haben Sie sich für
sehr groß ist. Ein technischer Kreislauf hingegen ist Holz als Baustoff entschieden?
direkter. Nehmen wir als Beispiel die pet-Flasche. Zunächst ist Holz per se ein sehr nachhaltiger Werk-
Die bleibt im besten Falle hochwertiges pet. Wir stoff, der CO2 bindet und für die Herstellung wenig
können aber, zumindest bisher, nicht aus dem pet CO2 verbraucht. Ebenso sprechen ästhetische und
wieder Rohöl herstellen und daraus ein anderes raumklimatische Argumente für Holz. Das Ziel
technisches Produkt kreieren. Im biologischen dieser Unit war, alle Materialien zu hundert Prozent
Kreislauf bin ich weder an ein Produkt noch an ein wieder sortenrein in ihre Kreisläufe zurückzuführen. Circularity Gap Report 2019
Material gebunden, sondern kann die Moleküle Das unbehandelte Vollholz der Units lässt dies pro- Die Weltwirtschaft ist nur zu
durch Photosynthese wieder neu kombinieren. blemlos zu. Zusätzlich sind zum Beispiel fünf der 9 Prozent kreisförmig – nur
9 Prozent der 92,8 Milliarden
sieben Module, die wir eingebaut haben, baugleich.
Tonnen Mineralien, fossilen
Welche Anreize gibt es überhaupt für die Die können natürlich auch direkt als Module an Brennstoffe, Metalle und Bio-
Industrie und die Nutzer, über kreislaufgerechte anderen Orten wieder eingesetzt werden. Die Wie- masse, die in die Wirtschaft
Produkte nachzudenken? derverwendung ist eine Lösung, die der Modulbau gelangen, werden jährlich
Aktuell spüren wir ein sehr großes Interesse von sicherlich erleichtert. wiederverwendet.
Seiten der Nutzer und der Industrie. Bei dieser The-
matik ist, glaube ich, ein Punkt besonders interes-
Felix Heisel
sant: Wir sprechen über eine Kreislaufwirtschaft.
ist Architekt und Forschungsleiter am Fachgebiet Nachhal-
Und das Wort Wirtschaft steht hier nicht umsonst. tiges Bauen des kit Karlsruhe. Er ist Teil des Forschungsteams,
Es geht darum, neue Geschäftsmodelle zu entwi- das für die Konzeption und Ausführung der Forschungseinheit
ckeln. In der linearen Wirtschaft wird ein Produkt umar im Forschungsgebäude nest der Empa verantwortlich ist.
Umgeben von recycelten und recycelbaren Baustoffen
Wohnen im Forschungslabor umar

Claus Käpplinger

Klimaschutz ist das Gebot der Stunde, das nicht nur Schüler zu dungen zugunsten leicht auflösbarer Schraub-, Klemm- und
„Fridays for Future“-Demonstrationen bewegt, sondern auch Steckverbindungen verzichtet. Tragwerk und Fassade des Moduls
Wissenschaft und Industrie verstärkt nach neuen Wegen des entstanden weitgehend aus unbehandeltem Holz, das nach
Bauens suchen lässt. Die Eidgenössische Materialprüfungs- und dem Rückbau problemfrei wieder verwendet oder kompostiert
Forschungsanstalt (Empa) baute hierfür 2016 in Dübendorf eine werden kann. Um Abfälle deutlich reduzieren zu können, vari-
offene Versorgungsstruktur aus vier aufeinandergeschichteten ieren beispielsweise die Dielenbreiten ihrer Holzböden zwischen
Plateaus, die Platz für bis zu 15 Forschungsmodule bietet. Mit 6 und 30 cm, wodurch Baumstämme optimaler und mit weniger
Next Evolution in Sustainable Building Technologies (nest) will Zuschnittverlusten verarbeitet werden konnten.
man Technologien und Materialien der Zukunft erproben und Zu einem großen Teil setzt sich umar zudem aus Rezyklaten zu-
einer breiteren Öffentlichkeit präsentieren. sammen, die auf ganz unterschiedliche Weise aus Altmaterialien
Als siebtes Forschungsmodul von nest entstand 2018 die Urban gewonnen wurden. Ein Beispiel ist die Unterkonstruktion für die
Mining und Recycling Unit (umar), die als Labor und Schau- Lehmputzwände, die aus myceliumgebundenen Isolierplatten
fenster Materialien und Verfahrenstechniken einer nachhaltigeren besteht. Mycel ist ein Pilz, dessen feines Netzwerk dabei als
Kreislauf-Bauwirtschaft gewidmet ist. Dirk E. Hebel, der sich natürlicher Kleber für Stroh und andere Agrarabfälle dient. Das
mit seinem Team am Karlsruher Institut für Technologie (kit) Produkt wächst dabei in vorgegebene Formen und wird zum
mit nachwachsenden Baustoffen und Recyclingmaterialien be- Abschluss erhitzt und dadurch abgetötet.
schäftigt, entwickelte das Konzept von umar gemeinsam mit Der fertige Bau steht nun allen Gruppen offen, die die Zukunft
seinem Forschungsleiter Felix Heisel und dem Architekten einer nachhaltigeren Kreislaufwirtschaft am Stadtrand Zürichs
Werner Sobek. Dabei brachte Werner Sobek, Deutschlands wohl studieren wollen. Teil des Programms waren auch Kooperationen
bekanntester Streiter für nachhaltige Architektur, sowohl seine mit vielen Partnern, woraus auch eine umfangreiche Dokumen-
langjährige Erfahrung mit Prototypen als auch das von ihm ent- tation in Form einer zugänglichen Materialbibliothek im Düben-
wickelte Nachhaltigkeitskonzept für Gebäude ein, das definiert, dorfer Modul resultierte.
welche Anforderungen in energetischer und materieller Hinsicht
zu erfüllen sind, um wirklich nachhaltig zu sein. Die drei Archi-
tekten setzten dazu ganz auf neue, leicht zu trennende Material- Claus Käpplinger
verbindungen, neue Recyclingprodukte und -kombinationen. lebt als freier Architektur- und Stadtkritiker in Berlin und lehrt seit 2012 am
So wurde bei umar auf jederlei Verbundstoff oder Klebeverbin- Institut für Entwerfen und Gebäudelehre der tu Braunschweig.
1 nest Unit Urban Mining and Recycling
2 sieben vorgefertigte und vor Ort 4
gekoppelte Module
3 Schienensystem zum Ein- und Ausfahren
der Module im nest
4 Diagonalschalung Weißtanne
5
5 Primärkonstruktion Weißtanne

Potenzial Holz
6 Dämmung Steinwolle
7 Dämmung Denim (Jeans)
8 Dämmung Hanf
9 Holzständer Weißtanne 6
10 Dampfsperre pe überlappend geklemmt
11 Leitungsebene sortenrein metallisch
und Solarthermie

19
18
12 Heiz- und Kühldecke Aluminium
13 Abwasserleitungen pe 10
14 Trägerplatte ecor

zuschnitt 75.2019
15 Unterkonstruktion Weißtanne
16 Teppichfliesen Desso
17 Dielenboden Braunkernesche 4
18 Fußbodenwanne Badezimmer Edelstahl
19 Trockenbauplatte Lehm
20 Unterputz Lehm
21 Feinputz Lehm
11
22 Dämmplatten MycoFoam
23 Wandverkleidung Filz
24 Trägerplatte ReWall
25 Akustikpaneele Reapor
26 Rahmen Stahl 12
27 Backsteine StoneCycling
28 Stahlrechen 4
29 Portalrahmen Kupfer 28 8
40
30 Schiebetüren Weißtanne 9
38 21 27 25
31 Türglas 39 10
32 Fensterglas 20 26 24 14
33 Klemmprofile Aluminium 23
36 19
34 Absturzsicherung Edelstahl
2
35 Wandverkleidung Black Dapple 35
36 Wandverkleidung Magna Glaskeramik 37
37 Klemmhalterungen Edelstahl 1
38 Rückwand analog 4, 7, 9, 10
39 Materialschubladen
40 Materialmuster und Datenblätter
29

30
21 31
20 32
22 16
17 33
10
18 34
9
7
14
4
15

10

13

3
Nachgefragt Welches Potenzial liegt in der Produktion?

In der Holzindustrie werden hundert Prozent eines Baumstamms verwertet. Ein runder
Baumstamm wird dabei so zersägt, dass eine größtmögliche Ausbeute an Schnittholz,
der sogenannten Hauptware, herauskommt. Derzeit wird mehr als die Hälfte des
Volumens eines Baumstamms zu Schnittholz verarbeitet. Der Rest wird als Neben-
oder Koppelprodukte weiterverarbeitet oder energetisch verwertet. Wir haben mit
österreichischen Unternehmen gesprochen, die Sägewerk und Weiterverarbeitung
in einem Werk integrieren. Wir haben sie gefragt, wie ressourceneffizient sie die
Fertigung einschätzen und ob sie Optimierungspotenzial sehen.

Anne Isopp

Derzeit werden rund 60 Prozent des Volu- utopisch, doch bin ich davon überzeugt, Die Verarbeitungsketten von Holz ent-
mens eines Baumstamms zu Schnittholz dass wir uns in zehn bis 15 Jahren wun- wickelten sich im Laufe der Zeit in enger
ver arbeitet, der Rest wird zu Neben- und dern, wie sorglos wir in der Vergangenheit Verbindung zu technologischen Neue-
Koppelprodukten weiterverarbeitet. Sehen mit unserem wertvollen Holz umgegangen rungen. Worüber wird derzeit nachge-
Sie hier Optimierungsmöglichkeiten? sind. Was man bei alledem nicht verges- dacht? Welche weiteren Entwicklungen
sen darf: Die aus den Optimierungen sind zu erwarten?
Reinhard Binder Mit der entsprechenden resultierende Reduktion der Sägeneben-
Technik, Erfahrung und dem Verständnis produkte wird es auf einer anderen Seite Herbert Jöbstl Für die Sägeindustrie sehe
zum Produkt kommt man auf über 60 Pro- wieder „spannend“ machen. ich großes Potenzial in der Digitalisierung
zent Schnittholz-Ausbeute. und der Verfolgung der Qualitätsmerk-
Bei der Weiterverarbeitung von Schnitt- male des Rohmaterials während des ge-
Christoph Kulterer In durchschnittlichen holz zum Beispiel zu Brettsperrholz fallen samten Prozesses bis zum Endprodukt.
österreichischen Sägewerken beträgt erneut Produktionsreste an. Kann man Damit kann man spezifisch für das End-
die Ausbeute an Schnittholz ungefähr das vermeiden? produkt vorsortieren und es wird deutlich
60 Prozent vom Rundholz, ohne Rinde weniger „Anfallware“ produziert. Des
gemessen. Einschnitt-Optimierung be- Herbert Jöbstl Auch wenn die Schnittholz- Weiteren bin ich überzeugt, dass es in den
schäftigt sich grundsätzlich mit der Qua- ausbeute ein wichtiger Indikator ist, geht kommenden fünf bis zehn Jahren neue
dratur des Kreises, und daher werden es ja darum, die Wertschöpfung und die Produktionstechniken geben wird, die den
in der Sägeproduktion immer Koppelpro- Effizienz unseres Rohstoffs auf ein best- Anteil an hochwertigen Produkten und
dukte erzeugt werden. Das Gute daran ist, mögliches Maß zu erhöhen, um den Stamm deren Effizienz deutlich erhöhen.
dass diese kein Abfall sind, sondern immer wirtschaftlich effizient und gleichzeitig
sinnvoll weiterverwertet werden können. nachhaltig zu nutzen. Michael Pfeifer Eine bessere Rohstoffaus-
Es sind Rohstoffe für die Plattenproduk- Die Papier- und Plattenindustrie erzeugt nutzung und Effizienzsteigerung ist durch
tion, für die Papierherstellung oder für die beispielsweise hochwertige Produkte noch mehr Automatisierung, Vernetzung
energetische Nutzung. Die individuelle aus Faserholz und Resthölzern. Auch für und Optimierung der Schnittstellen der An-
Wertoptimierung ist Sache der einzelnen unsere Industrie gibt es gute Möglich- lagen sowie durch Digitalisierung möglich.
Unternehmen. keiten zur Weiterverarbeitung dieser
Produkte, die bisher jedoch noch wenig Richard Stralz Das Zusammenspiel zwi-
Michael Pfeifer In unserem Unternehmen genutzt werden. schen Qualitätssortierung und Säge wird
gibt es keinen Abfall, ein Großteil des unter Einsatz von wegweisenden Techno-
Schnittholzes wird in unserer Weiterver- Christoph Kulterer Ein genereller Trend logien effektiver werden. Die Art der
arbeitung zu Naturholzplatten, Brett- ist die auftragsbezogene Produktion und Zerspanungstechnologie in der Holzverar-
schichtholz, Schalungsplatten und Scha- Lieferung direkt auf die Baustelle. So kann beitung wird sich ändern und moderner
lungsträgern und ab August 2019 zu zusätzlicher Verschnitt am effizientesten werden, um die Ausbeute in der Säge
Brettsperrholz weiterverarbeitet. Aus dem vermieden werden. Eine optimale Abstim- wesentlich zu verbessern. In der Weiter-
anfallenden Restholz wie Sägespänen mung zwischen Planer, Holzbauer und Lie- verarbeitung muss das Vorprodukt so
und Hackschnitzeln werden Paletten- ferant ist dafür eine wesentliche Voraus- ankommen, dass die Hobelung minimiert
klötze, Pellets und Holzbriketts produziert. setzung. und die Kappung reduziert werden
Die anfallende Rinde wird in unseren können.
Kraftwerken zu Energie umgewandelt. Michael Pfeifer Wir haben in den letzten
Jahren unsere Produktionsprozesse in
Richard Stralz Mit den Technologien in unseren Werken laufend optimiert, in der
Säge- und Weiterverarbeitung, die wir der- Holzweiterverarbeitung in Dünnschnitt-
zeit einsetzen, sind uns Grenzen gesetzt. anlagen investiert, weiters haben wir in
Es gibt viele Denkansätze und Versuche, unseren Sägewerken die Ausbeute opti-
unseren Wertstoff Holz besser zu verwen- miert, um Holz zu sparen. Hohe Festig-
den, und ich bin zuversichtlich, dass der keitsklassen von Brettschichtholz bsh
technische Fortschritt, gepaart mit dem (GL 28c, GL 28h, GL 30c, GL 32c) erlauben
holztechnischen Ingenieurswissen in den eine Holzersparnis. Auch Brettsperrholz
kommenden Jahren zu den notwendigen sollte in Zukunft mit weniger Holz pro-
Optimierungen und zu starken Effizienz- duziert werden, Fenster- und Türenaus-
steigerungen führen wird. Ausbeutewerte schnitte sollten bei der Produktion schon
nahe 90 Prozent klingen zwar heute berücksichtigt werden.
Reinhard Binder, Geschäftsführer von Binderholz
Herbert Jöbstl, Geschäftsführer von Stora Enso Wood Products, Vorsitzender der österreichischen Sägeindustrie
Christoph Kulterer, Geschäftsführer von Hasslacher Holding
Michael Pfeifer, Geschäftsführer von Pfeifer Holding
Richard Stralz, Geschäftsführer von Mayr-Melnhof Holz Holding, Obmann von proHolz Austria

Potenzial Holz
20
21
zuschnitt 75.2019
Im Hinblick auf eine optimale Material- Herbert Jöbstl Die Wiederverwertung Richard Stralz Verfügbarkeiten und
und Maschinenausnutzung wird gerne die spielt eine wesentliche Rolle bei der Ver- Effektivität einer Gesamtanlage (oee) sind
Papierindustrie als Vorbild herangezogen. sorgung des zukünftigen globalen Bedarfs wunde Punkte unserer Branche: In der
Was kann die Holzbranche von diesem an Rohstoffen. Die Papierindustrie mit der Papierindustrie sind Nutzungsgrade über
oder anderen Industriezweigen im Hinblick Altpapierverwertung und die Plattenindus- 98 Prozent Standard, in der Holzindustrie
auf Effizienzsteigerung und Rohstoffaus- trie mit dem Einsatz von Altholz sind dabei gilt ein „Neuner“ davor als Wunder, wie
nutzung lernen? auf einem guten Weg. Aber auch der Be- es auch eines in der Papierindustrie vor
reich Biocomposites wird für unsere Indus- zwanzig Jahren war. In der Holzindustrie
Reinhard Binder Wir brauchen von ande- trie Möglichkeiten bieten, tolle Produkte werden wir den Schritt zum „normalen
ren Industriezweigen bezüglich Rohstoff- für verschiedenste Anwendungsbereiche Neuner“ etwas schneller gehen.
ausnutzung wirklich nichts zu lernen. Wir aus Restholz oder Altholz zu erzeugen.
verarbeiten heute entlang der gesamten
Wertschöpfungskette alle Anfallprodukte Christoph Kulterer Gerade die mitteleuro-
zu Energieträgern und Schnittholz zu Final- päische Holzindustrie war immer schon
produkten. Und schlussendlich werden getrieben durch hohe Rohstoffkosten.
am Ende eines Lebenszyklus Holzprodukte Aus diesem Grund gehört sie auch zu den
wiederum zu hundert Prozent verwertet. effizientesten der Welt. Die wichtigste
Prämisse bei der Rohstoffbeschaffung be-
ginnt im Forst und muss die nachhaltige
Nutzung unserer Wälder sein.

Nutzbarer Stammholzanteil
Während 80 Prozent des geernte-
ten Nadelholzes stofflich verwen-
det werden, ist es beim Laubholz
nur ein Drittel. Das liegt in der
Stamm- und Astausbildung der 20 %
Rest (Äste⁄ Nadeln)
Baumarten begründet: Laubbäume
weisen ein umfangreicheres Ast-
werk und Blätt erdach auf und 80 %
Stammholzanteil
einen geringer nutzbaren Stamm-
holzanteil.
55 %
Quelle: Schwierigkeiten und Chancen in der Laub-
Rest (Äste⁄ Blätter)
holzverarbeitung, Verena Krackler, Peter Niemz,
Holztechnologie 52, ihd Dresden, 2011
45 %
Stammholzanteil

Fichte Buche
Haus für einen Künstler in London von drmm Architekten. Die farbig bedruckten Birkensperrholzplatten des Künstlers Richard Wood kamen in seinem eigenen Haus
nun als Treppenstufen zum Einsatz.
Müssen wir Material sparen?
Warum ein höherer Materialeinsatz
durchaus Sinn ergeben kann

Potenzial Holz
22
23
zuschnitt 75.2019
Wolfgang Pöschl

Es gibt verschiedene Gründe, Material zu sparen: einer ist, das Statt dem alten Handwerk nachzutrauern, müssen wir die neuen
Endprodukt möglichst leicht zu halten wie im Flugzeugbau. Möglichkeiten mit Fantasie nutzen und Neues entwickeln.
Auch bei Sesseln, Besteck und Verpackungen kann ein geringeres In früheren Zeiten war der Weg vom Baum im Wald bis zum Brett
Gewicht, verbunden mit einem geringeren Materialeinsatz, von in der Werkstatt oder auf der Baustelle weit und mühsam. Die
Vorteil sein. Stärkstes Motiv, mit einem Material sparsam umzu- Materialaufbereitung hat sich schnell mechanisiert und industria-
gehen, ist aber ein hoher Preis. Gespart wird vor allem bei teuren lisiert, Materialien wurden dadurch relativ verbilligt. Wenn ein
Materialien. Zudem zeigt uns die rapid zunehmende Globalisie- höherer Materialeinsatz den Arbeitsaufwand insgesamt verein-
rung schwer ignorierbare Grenzen auf und macht Sparsamkeit facht und verringert, wandert die Wertschöpfung vom immer
zu einer Frage der Effizienz und Intelligenz. Die Blicke auf den noch sehr handwerklichen Bauen und Fügen zur industriellen
suv-Fahrer in Wiens erstem Bezirk kippen von Bewunderung in Materialaufbereitung, und das Endprodukt wird tendenziell
Mitleid. Die Grenzen der Verfügbarkeit müssen mehr und mehr kostengünstiger. Manche empfinden das als Bedrohung; es kann
ökologisch definiert werden. Scheinbar unbeschränkt und billig aber genauso als Verbesserung und Befreiung von aufreibender
Verfügbares wird zur Mangelware. Schon ist absehbar, dass aus Knochenarbeit gesehen werden. Die Eleganz liegt heute im Zu-
Schottergruben bald Goldgruben werden. sammenspiel einiger Zimmerleute mit einem Autokran genauso,
Das Furnier war ursprünglich ein Weg, Material zu sparen – wie sie früher in kunstvollen Holzverbindungen lag.
eine teure dünne Schicht auf einem billigen konstruktiven Holz. Wie schon angedeutet, kann ein größerer Materialeinsatz, um
Als komplizierte Massivholzkonstruktionen durch die Spanplatte ein Produkt zu verbessern und zu verbilligen, ökologisch kontra-
ersetzt wurden, sollte das Furnier Massivholz vortäuschen. Die produktiv sein, wenn er zum Raubbau an begrenzten Rohstoffen
Empfindlichkeit des Furniers machte eine aufwendige Oberflä- führt. Holz nimmt da als nachhaltig nachwachsendes Material eine
chenbehandlung notwendig – eine Materialverirrung, an deren Sonderstellung ein und relativiert die Tugend der Sparsamkeit.
Anfang die Absicht stand, teures Material zu sparen. Insgesamt ist Sparen allein aber schon lange zu wenig. Die
Wie wohltuend ist dagegen ein Möbel aus chemisch unbehandel- begrenzten Ressourcen haben die Materialflüsse längst in Kreis-
ten Massivholzplatten. Das gleichmäßige Raumklima von der läufe gezwungen. Wieder- und Mehrfachverwertung sind die
Materialaufbereitung bis zur zentralbeheizten Wohnung hat die großen Schwestern der Sparsamkeit. Auch da hat Holz einen
Probleme, die das Biedermeier mit dem Massivholzmöbel hatte, entscheidenden Vorteil. Wo andere Materialien technisch auf-
verschwinden lassen. Die Massivholzplatte scheint auf den ersten wendig wiederaufbereitet werden müssen und immer noch
Blick eine Materialverschwendung zu sein, auf den zweiten ist Unmengen von Kohlendioxid anfallen, bindet Holz Kohlendioxid
sie die bei weitem intelligentere und sinnlichere Anwendung, die als Baum und Bauwerk für Jahrzehnte. Holz entsteht im Wald
viel technischen Aufwand überflüssig macht. aus Wasser, Luft und Sonnenlicht. Und selbst in der schädlichs-
Die gleiche Geschichte ließe sich mit traditionellen Zimmer- ten Verwertung, der Verbrennung, ist es noch klimaschonend,
mannskonstruktionen, die materialsparend sind, und dem schein- weil für jeden verbrannten Baum schon ein neuer nachwächst.
bar verschwenderischen Brettsperrholz erzählen. Dort kann der
größere Holzeinsatz hochkomplexe Fügung und materialintensive
Vielschichtigkeit mit großen bauphysikalischen Schwächen und
Risiken verringern. Wie die Massivholzplatte im Möbelbau er- Wolfgang Pöschl
fordert auch das Brettsperrholz im Holzbau ein Umdenken. lebt und arbeitet als Architekt in Tirol.
Nachgefragt Was sind die Forschungsfragen
der Zukunft?

Anne Isopp

Worin sehen Sie im Hinblick auf einen sparsamen Ressourcen-


verbrauch und das sich ändernde Holzartenangebot Forschungs-
bedarf?

Alfred Teischinger Effizienter Ressourcenverbrauch und ein sich


änderndes Holzartenangebot sind zum Teil miteinander verknüpfte
und zum Teil voneinander unabhängige Entwicklungen.
Auf der Basis von Forschungen zur Material- und Technologieent-
wicklung lässt sich der Rohstoff Holz effizienter nutzen. Je nach
Fortschritten in der Technologie über alle Holznutzungen hinweg
können zwischen 25 und 50 Prozent an Rohstoffeinsatz einge-
spart werden. Neue Technologien der Rohstoffaufbereitung bzw.
-umwandlung stehen dabei im Vordergrund, auch die Entwick-
lung leistungsfähiger Holzwerkstoffe und Werkstoffverbunde
wird vorangetrieben. Dazu kommen Forschung und Technologie-
entwicklung in Bezug auf neue Holzarten für Baustoffe und Bau-
teile sowie der kombinierte Einsatz unterschiedlicher Holzarten
und anderer Werkstoffe. Höchste Priorität hat aber ein Design
Der Stuhl „Superleggera“ für Wiederverwendung und Recycling. Dieses schafft einen gänz-
von Gio Ponti wiegt nur 1,7 Kilogramm. lich neuen sekundären Rohstoffpool für die Zukunft, auch wenn
Ein superleichter Stuhl der Mix von Holzarten und anderen Materialien Forscher dabei
vor größere Herausforderungen stellt.
Material-, aber nicht
ressourceneffizient Manfred Brandstätter Im Zuge des unumgänglichen Waldum-
baus ist bei der Baumartenauswahl auch darauf zu achten, dass
das Holz der zukünftig verfügbaren Bäume für die Verwendung
im modernen Holzbau geeignet ist. Das betrifft vor allem die
technologischen Eigenschaften, aber auch die Wuchsform und
Alfred Teischinger die Verarbeitbarkeit in industriellen Anlagen. Da die Holzarten-
vielfalt zunehmen wird, wird sich auch die Frage nach der Kombi-
Generell zeigt die Holzwirtschaft bei der Ressourcen- und Mate- nation unterschiedlicher Holzarten in den Bauteilen stellen.
rialeffizienz in Technologie und Produktgestaltung noch enormen Um den Ressourcenverbrauch zu minimieren, sind Bauteile hin-
Nachholbedarf. Dabei scheint – in Anlehnung an Ernst Ulrich von sichtlich des Materialeinsatzes zu optimieren. Material soll nur
Weizsäckers Thesen – ein Faktor 4, also doppelter Wohlstand bei dort verwendet werden, wo es wirklich nötig ist. Auch wenn
halbiertem Naturverbrauch, durchaus möglich. Ressourceneffi- Holzbauten eine lange Nutzungsdauer haben, werden uns die
zienz in einer Prozesskette und im Produktdesign ist in letzter Möglichkeiten eines Rückbaus, der Zerlegung in Einzelteile und
Konsequenz nur mit erhöhtem fertigungstechnischen Aufwand eine Wiederverwendung der Einzelkomponenten zunehmend
erzielbar. Doch wie ist das zu bewerten? beschäftigen.
Ein Beispiel mag das verdeutlichen: Schon 1951 konstruierte der
Designer Gio Ponti einen Stuhl aus Eschenholz mit ausgeklügelten Stefan Winter Unter dem Druck des Klimawandels wächst das
Verbindungsmitteln für die Konstruktion und einem Gewicht von Interesse am Holzbau und der Ressource Wald. Daher müssen wir
nur 1,7 Kilogramm. Dieser Stuhl ist ein Meisterwerk an mecha- unbedingt in die Entwicklung neuer, ressourceneffizienter Werk-
nischer Leistung von Holz bei Erfüllung hoher ästhetischer und stoffe und Komposite investieren. Im Mittelpunkt stehen hybride
funktionaler Ansprüche im Design. Dennoch wurde der Stuhl, der Materialien aus Nadel- und Hartholz sowie Bauteilquerschnitte,
auch heute noch produziert wird, wegen seines hohen Herstel- die anders als Brettsperrholz heute Material nur dort aufweisen,
lungsaufwandes inklusive der hohen Zuschnitts- und Bearbeitungs- wo es zur Lastabtragung erforderlich ist. Die damit entstehenden
verluste für die Holzteile (geringe Materialproduktivität) und des Hohlräume machen jedoch erweiterte Brandschutzmaßnahmen
damit verbundenen Preises nie ein erfolgreiches Massenprodukt. nötig, um das Eindringen eines Brandes zu verhindern. Zugleich
Dieses Beispiel zeigt dennoch recht eindrucksvoll, was 1,7 Kilo- erfordern die neuen Werkstoffe erweiterte Kenntnisse zu Herstel-
gramm Holz grundsätzlich zu leisten vermögen. Übliche Stapel- lung, Verarbeitung und Verbindungstechnologie, einschließlich
stühle aus Metall und Holz bzw. Metall und Kunststoff wiegen it und roboterbasierter Fertigung.
zwischen 4 und 7 Kilogramm.
Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Artikel „Ressourceneffiziente Holznut- Manfred Brandstätter, Leiter der Holzforschung Austria
zung? Technologische Einsparungspotenziale im Spannungsfeld von Material- Alfred Teischinger, Holztechnologe und Professor am Institut für Holztechno-
und Ressourceneffizienz und der kaskadischen Nutzung von Holz“, erschienen logie und Nachwachsende Rohstoffe der Universität für Bodenkultur Wien
in Lignovisionen Nr. 29, 2015, S. 21 – 27. Stefan Winter, Professor für Holzbau und Baukonstruktion an der tu München
Seitenware

Potenzial Holz
Seitenware
25
24
zuschnitt 75.2019
Standort An Hung New Urban Area, Duong Noi, Ha Dong, Hanoi⁄ VN
Planung Farming Architects, An Viet Dung, Hanoi⁄ VN, www.farmingarchitects.com
Fertigstellung 2018

Kreislaufgedanke auf Vietnamesisch

Anne Isopp

In einem Garten, mitten in Hanoi, fließt Wasser, Der hölzernen Struktur kommt dabei eine besonde-
leben Fische, gibt es Bücher und die Möglichkeit, re Bedeutung zu. Sie beruht auf einem modularen
in einem hölzernen Gerüst zu klettern. Anstatt Rastersystem, das eine flexible Anordnung der
diesen Garten – so wie es der Bauherr ursprünglich Bücherregale, Pflanzgefäße und Beleuchtungs-
wollte – im klassischen Sinne zu gestalten, schlugen boxen erlaubt. Darüber hinaus kann diese Struktur
Farming Architects eine Kombination aus Freiluft- erweitert oder für andere Stellen in der Stadt
bibliothek, Tier- und Pflanzenzucht in einem bio- dupliziert werden.
logischen Kreislaufsystem vor. Ihre Idee war, dass Das Herz der Anlage ist das Aquaponiksystem, das
sich hier die Bewohner der umliegenden Wohnhäu- die Aufzucht von Fischen mit Hydrokulturen kombi-
ser treffen, die Kinder klettern, lesen und zugleich niert. Aquaponiksysteme sind geschlossene Kreis-
landwirtschaftliche Grundprinzipien studieren laufanlagen, bei denen die Exkremente der Fische
können. „Die Vietnamesen lieben es, Bäume zu als Nährstoffe für die Pflanzen dienen. Dabei geht
pflanzen und Landwirtschaft zu betreiben“, erzählt kein Wasser verloren, es wird mithilfe von Pump-
Architekt An Viet Dung von Farming Architects. anlagen recycelt und rezirkuliert. Hier kommt auch
„Das Landleben und die Landwirtschaft sind ein das transparente Dach mit den integrierten Solar-
wichtiger Bestandteil der vietnamesischen Kultur. modulen ins Spiel, die es erlauben, die Pumpen mit
Durch die zunehmende Urbanisierung tritt diese erneuerbarer Energie zu betreiben.
Tradition jedoch immer mehr in den Hintergrund.“
Wald – Holz – Klima Waldbau zwischen Rendite und Risiko

In dieser Rubrik steht der Wald im Mittelpunkt, der Wald als Rohstofflieferant
und seine Wechselwirkungen mit dem Klima und der stofflichen Nutzung von Holz.
Dass ein von Fichten dominiertes Portfolio ein erhebliches Risiko birgt, haben
viele Waldbesitzer in den letzten Jahren erleben müssen. Deshalb lautet auch
die meistgestellte Frage dieser Tage: Welche Baumart soll man nun anpflanzen?
Das ist laut einer Studie der tu München eine Frage von Rendite und Risiko.

Alois Pumhösel

An die Stelle der Fichtenmonokulturen sollen resilien- Zentral für das Errechnen optimaler Waldzusam-
tere Mischwälder treten, was die Forstwirtschaft mensetzungen ist für Knoke die Risikobewertung
jedoch um ihre Umsätze fürchten lässt. Eine Studie einzelner Baumarten. Neben dem Marktrisiko steht
der tu München geht nun der Frage nach, welche das Naturalrisiko im Vordergrund – also dass ein
Mischung von verschiedenen Baumarten angesichts Bestand durch Borkenkäferbefall, Feuer, Wind oder
der sich verändernden klimatischen Bedingungen Schneebruch entwertet wird. Tanne und Douglasie
optimal wäre. Thomas Knoke, Professor für Waldin- benötigen gerade in der ersten Zeit mehr Aufmerk-
ventur und nachhaltige Nutzung, und seine Kolle- samkeit. Der Tanne setzt der Wildverbiss zu, die
gen stellten umfassende Modellrechnungen an. Douglasie ist dagegen besonders anfällig für Frost
Diese fokussieren auf den bayerischen Raum, der und Dürre.
dem österreichischen sehr ähnlich ist. Einerseits Während die Tanne im Mischwald ähnliche Deckungs-
kalkulierten sie eine Waldzusammensetzung, die beiträge wie ein Bestand aus 80 Prozent Fichte
den finanziellen Ertrag optimiert, andererseits aber und 20 Prozent Buche – bei ähnlicher Risikobewer-
auch eine, die „multiple Funktionen“ des Waldes tung – erreicht, steigen bei der Douglasie sowohl
optimiert, also neben wirtschaftlichen auch ökolo- Ertragsmöglichkeit als auch Risiko stark an. „Bei
gische Gesichtspunkte in den Mittelpunkt stellt der Douglasie kommt es durch Ausfälle bei der
(siehe Grafik). Die Ertragseinbußen dieser Ökologi- Anpflanzung zu hohen Schwankungen“, sagt Knoke.
sierung liegen dann bei etwa 40 Prozent. „Hohe Flächenanteile ergeben also auch ein hohes
Beim Umbau des Waldes in Richtung Mischwald finanzielles Risiko. Es geht darum, den Bestand
wird oft zu Laubbäumen geraten. Sie bringen öko- verantwortungsvoll auszubalancieren.“ Dennoch
logische Stabilität, aber zum Preis schlechter Wirt- ergeben die Modelle, dass selbst bei geringer Risiko-
schaftlichkeit. „Der Nachteil ist, dass die Holzindus- bereitschaft noch immer ein Douglasien-Anteil von
trie nicht darauf eingestellt ist“, sagt Knoke. 25 Prozent sinnvoll ist.
Betriebswirtschaftliche „Fichte und Laubholz alleine werden nicht ausrei- Ein derartiger Umbau des Waldes geht nicht von
Chancen und Risiken der chen. Deshalb gehen wir stark in die Richtung, heute auf morgen. „Die Modelle sind Visionen, die
Fichtenwirtschaft im auch alternative Nadelholzarten zu verwenden, man über siebzig, achtzig Jahre hinweg verfolgen
Klimawandel, Thomas Knoke, die sonst oft vergessen werden.“ Zum einen setzen kann“, sagt Knoke. Erste Schritte sollten durchaus
tu München, Wissenschafts-
die Wissenschaftler auf die Tanne, die auch von bereits gesetzt werden: „Auf Flächen mit intakten
zentrum Weihenstephan,
www.lwf.bayern.de/forst- Naturschutzseite gut akzeptiert ist, zum anderen Fichtenbeständen würde ich bei der Verjüngung
technik-holz/betriebswirt- auf die Douglasie, deren Zusammenspiel mit gezielt Tanne beteiligen. Bei Schadflächen ergibt es
schaft/173098 heimischen Ökosystemen bereits gut erforscht ist. Sinn, auf Douglasien zu setzen.“

Alois Pumhösel
geboren 1976, ist freier Journalist mit Schwerpunkt Wissen-
schaft, Umwelt und Technologie. Er verfasst u. a. regelmäßig
Beiträge für die Tageszeitung Der Standard.

Baumartenzusammensetzung Baumartenzusammensetzung
ökonomisch optimiert ökonomisch und ökologisch optimiert
Deckungsbeitrag 305 Euro (pro ha⁄ Jahr) Deckungsbeitrag 174 Euro (pro ha⁄ Jahr)

Douglasie – 35 % Totholz-Typ – 26 % Douglasie – 24 %


Buche – 7 % Fichte – 37 % Fichte – 17 %
Tanne – 21 % Tanne – 9 %

Buche – 17 %
Eiche – 7 %
Wald – Holz – Klima
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zuschnitt 75.2019

Auch die Österreichischen Bundesforste (ÖBf) forsten mit Douglasie auf an Standorten, „die dafür geeignet sind und mit geeigneten Forstpflanzen“,
so ÖBf-Vorstand Rudolf Freidhager. Insgesamt soll sich der Anteil der Douglasien in den Wäldern der ÖBf auf 1,4 Prozent erhöhen.
Holz(an)stoß Doug Aitken

Stefan Tasch

Doug Aitken, geboren 1968 Der in Kalifornien geborene Künstler und Surfer Doug Hauses bezieht sich auf die in dieser Gegend
in Redondo Beach, Kalifornien, Aitken thematisiert in seinen Arbeiten die Auswir- omnipräsenten Einfamilienhäuser im „Ranch-style“.
lebt und arbeitet in Venedig kungen menschlicher Zivilisation auf die Umwelt und Mit einfachsten Mitteln und unter sparsamem
und New York
die Natur. Mittels Film, Architektur, Performance Einsatz lokaler Materialien wie Lehmziegeln und
und Skulptur schafft Aitken synästhetische Environ- Holz erlebte diese Bauform ihren Höhepunkt in
Einzelausstellungen ments. Vor allem seine Arbeiten im öffentlichen den 1950er und 1960er Jahren. Die Raumflüsse, hori-
(Auswahl) Raum verdeutlichen sein Konzept des räumlich- zontale Linienführung sowie Flach- oder Walmdach
2019 Mirage Gstaad, Elevation grenzenlosen Ausstellens. Zu seinen bekanntesten sollten das Gebäude möglichst unauffällig in die
1049, Frequencies, Gstaad
Arbeiten zählt die Aktion „Station to Station“ von Landschaft integrieren. Aitken steigerte diese Prin-
2018 New Era, 303 Gallery,
New York 2013, die aus einer Zugfahrt von New York nach San zipien noch einmal radikal, indem er das ganze
2017 Mirage, Desert X, Palm Francisco mit insgesamt neun Stationen bestand. Haus bis auf den Holzboden zur Gänze mit Spiegel-
Springs An dem nomadischen Happening mit Konzerten, paneelen verkleidete. Mirage funktioniert wie ein
2016 ⁄ 17 Electric Earth, Museum Performances und temporären Ausstellungen waren begehbares Kaleidoskop, das weder Fenster noch
of Contemporary Art, unzählige Künstler beteiligt. Ein weiteres Beispiel Türen aufweist und sich ständig verändert, abhän-
Los Angeles
2015 Schirn Kunsthalle, Frankfurt
für Aitkens Interesse an unkonventionellen Ausstel- gig von der Lichtsituation, dem Wetter und der
lungsorten ist „Underwater Pavilions“ von 2016. Tageszeit. Wie in einem Dialog spiegeln sich das
Aitken kreierte drei polygone Skulpturen circa 5 Meter Coachella Valley und die Besucher in der Außen-
Gruppenausstellungen
(Auswahl) unter der Meeresoberfläche. Nur im Tauchgang fassade, werden Teil der begehbaren Skulptur, und
2019 303 Gallery: 35 Years, New York ließen sich diese Arbeit, die Reflexionen des Sonnen- die Skulptur wird Teil der Landschaft. Aitken hat
2018 Oceans. Imagining a Tidalectic lichts und des Meeresuntergrundes an der verspie- „Mirage“ auch noch in anderen Zusammenhängen
Worldview, Museum of Modern gelten Innenfläche betrachten. gezeigt, zuletzt 2019 in der verschneiten Landschaft
Art Dubrovnik, Dubrovnik In vielen Arbeiten Aitkens sind die Übergänge von von Gstaad in der Schweiz.
2017 14th Lyon Biennale: Floating
Innen- und Außenräumen fließend. Die hier abge-
Worlds, Lyon
2016 Summer Exhibition 2016, bildete Arbeit „Mirage“ entwarf Aitken 2017 für Stefan Tasch
Royal Academy of Arts, Desert X, ein Ausstellungsprojekt in der Wüste des Studium der Kunstgeschichte in Wien und Edinburgh,
London Coachella Valley in Südkalifornien. Die Form des Arbeit in verschiedenen Museen und Galerien

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