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Herausgegeben von
Burkhard Mojsisch und
Orrin F. Summerell
Zwischen 1999 und 2003 fand unter der Schirmherrschaft des Deutsch-Ameri-
kanischen Akademischen Konzils bzw. der Alexander-von-Humboldt-Stiftung
das internationale TransCoop Forschungsprogramm Piatonismus im Deutschen
Idealismus. Ideenlehre und Subjektivitätstheorie zwischen historischer Rezep-
tion und systematischer Transformation statt. Ziel des Programms war es, die-
sem schillernden Thema philosophischer Wirkungsgeschichte noch schärfere
Konturen zu verleihen, indem inhaltliche und methodische Fragen aus den un-
terschiedlichen Perspektiven und Traditionen der deutschen und nordamerikani-
schen Teilnehmer untersucht und im Rahmen eines gemeinsamen Kolloquiums
diskutiert wurden. Vom 18. bis zum 21. Juli 2002 haben sich die am Programm
beteiligten Forscher zur gleichnamigen Tagung in Bochum versammelt, die von
einer Reihe ertragreicher Forschungsaufenthalte in Deutschland bzw. den USA
begleitet wurde. Nun werden die Ergebnisse des Programms der Öffentlichkeit
vorgelegt.
An erster Stelle möchten wir dem Deutsch-Amerikanischen Akademischen
Konzil (Bonn - Washington, D. C.) sowie der Alexander-von-Humboldt-Stif-
tung (Bonn) sehr herzlich für ihre großzügige Unterstützung des Programms
über die letzten Jahre danken. Unser Dank gilt weiterhin Herrn Dr. Christoph
Asmuth (Berlin) für seinen wesentlichen Beitrag zur ursprünglichen Konzeption
des Programms sowie Frau Prof. Dr. Dorothea Frede (Hamburg) und Herrn Prof.
Dr. Klaus Düsing (Köln), die das Vorhaben durch Gutachten befördert haben.
Zudem möchten wir unseren nordamerikanischen Kollegen Herrn Dr. Thomas
H. Curran (University of King's College) und Herrn Prof. Dr. Edward C. Halper
(University of Georgia) danken, die durch den Erwerb von Matching Funds
einen substantiellen Beitrag zum Programm geleistet haben. Gern möchten wir
uns auch bei den Wissenschaftlern bedanken, die sich am Programm beteiligt
und ihre Arbeiten zur Veröffentlichung bereitgestellt haben. Schließlich sei Frau
Dr. Elisabeth Schuhmann vom Saur Verlag für die gute Zusammenarbeit und
Herrn Thomas Zimmer (Bochum) für die Durchsicht der Beiträge und die Er-
stellung der Register sowie weitere redaktionelle Unterstützung gedankt.
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ORRIN F. SUMMERELL
Einleitung.
Die Platonische Tradition
in der klassischen deutschen Philosophie
„Die ιδέα, der Piatonismus und der Idealismus": Durch diesen provokativen
Titel will Martin Heidegger die nach seiner Ansicht zwei wichtigsten Momente
in der Geschichte der abendländischen Metaphysik in ihrer wesentlichen Ein-
heitlichkeit zusammenfassen. Für Heidegger zeichnet sich das Denken, das sich
zwischen Piaton und seinem Schüler Aristoteles einerseits und andererseits den
Vertretern der klassischen deutschen Philosophie: Immanuel Kant, Johann Gott-
lieb Fichte, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Georg Wilhelm Friedrich He-
gel, aber auch Arthur Schopenhauer und sogar Friedrich Nietzsche, entfaltet hat,
durch die Idee aus. Damit soll allerdings nicht behauptet werden, daß dieses
Denken wirklichkeitsfremd sei. Vielmehr ist nach Heidegger der antike Plato-
nismus sowie der neuzeitliche Idealismus der Idee als dem vermeintlich wahren
Sein verpflichtet, und zwar auf eine Weise, welche die philosophische Tradition
entscheidend geprägt hat. „Im Sinne des streng geschichtlichen Begriffes des
.Idealismus' war Plato", so Heidegger, „niemals .Idealist', sondern .Realist',
d. h. aber nicht, daß er die Außenwelt an sich nicht leugnet, sondern die Ιδέα als
das Wesen des öv, als realitas der res lehrte. Aber der .Idealismus' freilich ist,
gerade als neuzeitlicher, Piatonismus, insofern auch fur ihn die Seiendheit aus
dem ,Vorstellen' (νοεΐν), d. h. in Verkoppelung mit Aristotelischen Anstößen
aus dem λόγος als διανοεΐσθαι begriffen werden muß, d. h. aus dem Denken,
das nach Kant ist das Vor-stellen von etwas im Allgemeinen (Kategorien und
Urteilstafel; Kategorien und das Sichselbstwissen der Vernunft bei Hegel).
Überhaupt: maßgebend für die ganze Geschichte der abendländischen Philoso-
phie, Nietzsche Inbegriffen: Sein und Denken."1 Weil Idealismus das Sein aus
dem Denken begreift, ist er nach Heidegger Piatonismus, und dieser selbst Rea-
lismus, dem die Realität - die Wirklichkeit des Wirklichen - als ideel konstru-
iert gilt. Nun kritisiert Heidegger an dieser philosophischen Tradition gerade
dies, daß darin das Sein im Hinblick auf ein mit dem Sich-Vorstellen gleichbe-
deutendes Denken verstanden wird, d. h., daß im Piatonismus sowie Idealismus
die Vorstellung, d. h. die Idee - schließlich das sich selbst begreifende Denken - ,
1 M. Heidegger, Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis), in: ders., Gesamtausgabe, Bd.
65, hrsg. von F.-W. von Herrmann, Frankfurt a. M. 1989, 215.
zum Maß aller Dinge wird, ohne daß die Voraussetzungen dieser Identifikation
adäquat reflektiert werden.
Man wird die sowohl systematisch als auch philosophiegeschichtlich um-
strittene Position Heideggers, in der sich zentrale Gedanken der antiken Platoni-
schen Prinzipien- und Ideenlehre sowie der modernen Subjektivitätstheorien
selbst auf unreflektierte Weise wiederfinden, nicht teilen müssen, um erkennen
zu können, welche Brisanz der Themenkomplex ,Piatonismus im Idealismus'
besitzt. Dadurch wird angedeutet, daß eine Wesensverwandtschaft zwischen
zwei Epochen der Philosophiegeschichte und zwei epochalen Denkweisen be-
steht, die noch heute bedeutsam ist. Nun hat die Natur dieser Wesensverwandt-
schaft neuerdings größere Aufmerksamkeit auf sich gelenkt, und dies nicht nur
wegen der Kritik Heideggers. Denn der Themenkomplex ,Piatonismus im Idea-
lismus', in dem die Rezeption und die Transformation tradierten Gedankengutes
eng miteinander verbunden sind, inkludiert eine Aktualität, die weit über eine
bloß philosophiegeschichtliche Dokumentation oder die Vertretung einer einzi-
gen systematischen Position hinausgeht: Grundfragen zur prinzipiellen Bedeu-
tung des autonomen Subjekts bzw. des unvordenklichen Seins gehören zu den
wichtigsten Anliegen der Metaphysik und Erkenntnistheorie, und besonders im
Hinblick auf die Frage nach der Einheit von Theorie und Praxis formulieren
Piatonismus und Idealismus einen Wahrheitsanspruch, in dem ethische sowie
ästhetische Prinzipien fundiert sind.
Im weitesten Sinne fuhrt der Piatonismus - die Philosophie Piatons selbst
sowie deren Fortfuhrung im Mittel- und Neuplatonismus der Spätantike, ferner
deren Weiterentwicklung in der Geistesgeschichte des Mittelalters, der Renais-
sance und der Moderne - das Empirische auf das Intelligible erklärend zurück.
Für die Denker des sogenannten Deutschen Idealismus - dessen vielfältige For-
men sich als Subjektivitätstheorien bezeichnen lassen werden - hat der Plato-
nismus eine elementare Bedeutung: In ihm erkennen sie ihre eigenen Leitmotive
und die primäre Bestimmung ihres Problemhorizontes wieder, mit ihm setzen
sie sich grundlegend auseinander, um die eigene Position zu profilieren oder gar
allererst zu entwickeln, zu ihm bekennen sie sich bisweilen auf innigste Weise,
von ihm setzen sie sich gelegentlich aber auch pointiert ab. In der Philosophie
Piatons und in den sich daran anschließenden Systemkonstruktionen der Mittel-
und Neuplatoniker entdecken sie unmittelbare Geistesverwandte; es findet nicht
nur eine historische Rezeption antiker Philosophie, sondern zugleich eine geziel-
te Transformation in die eigenen Konzepte statt. Zudem liegt im Hintergrund
dieser Aneignung der Platonischen Tradition ein komplexer Gesprächszusam-
menhang, dessen Rahmenbedingungen - wie etwa Schulbildung, Fächerkanon
und philologische Kenntnisse, aber auch der Philhellenismus, politische Revolu-
tion und Romantik - entscheidende Rollen spielen.
Die zwölf Beiträge zum vorliegenden Bande haben es sich zur Aufgabe
gemacht, die Platonischen Dimensionen des als .Idealismus' tradierten neuzeit-
lichen Denkens anzusprechen, um neue Einsichten in die Konstitution der klas-
sischen deutschen Philosophie zu gewinnen. Dabei orientieren sie sich nicht nur
an den Leitfiguren dieser Epoche, sie berücksichtigen auch andere Personenkrei-
se, die an der deutschen Platon-Renaissance mitgewirkt haben. Die ersten zwei
Beiträge widmen sich dieser Aufgabe, indem sie die unmittelbaren wissenschaft-
lichen Voraussetzungen darlegen, welche die gewaltige Umdeutung des Plato-
nismus in den transzendentalphilosophischen und spekulativen Denkweisen des
ausgehenden 18. und des frühen 19. Jahrhunderts ermöglichen. Indem Tanja
Gloyna die Frage: „Idee - Substanz oder Begriff? Zum Wandel des Piaton-
Verständnisses im 18. Jahrhundert" stellt, zeigt sie, in welcher Bandbreite sich
die moderne Auffassung der Platonischen Idee bewegt, auch wenn diese auf
antike und spätantike Interpretationen - so etwa bei Pseudo-Plutarch - zurück-
greift. Mit Hinblick auf die führenden Philosophiehistoriker - darunter Johann
Jacob Brucker, Johann Jakob Engel, Anton Friedrich Büsching, Friedrich Victor
Lebrecht Plessing, Dieterich Tiedemann, Wilhelm Gottlieb Tennemann, Georg
Gustav Fülleborn und David August Suabedissen - legt Gloyna dar, inwiefern
das in der klassischen deutschen Philosophie thematisierte Spannungsverhältnis
von Idealismus und Realismus - zwischen Substanz und Begriff - durch diese
philosophiegeschichtliche Fragestellung vorbereitet wird.
Die sorgfaltige Unterscheidung zwischen dem Denken Piatons und den
Auslegungen desselben durch seine Nachfolger und Anhänger ist eine Leistung
der modernen philosophischen Geschichtsschreibung, die freilich fur lange Zeit
zum Nachteil der letzteren Gruppe wirkt. „Der Neuplatonismus in den philoso-
phiehistorischen Arbeiten der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts", wie der
Beitrag von Michael Franz dokumentiert, besitzt verschiedene Facetten, welche
spätere systematische Überlegungen nachhaltig beeinflußen. Diese Facetten
reichen von der strengen Kritik am neuplatonischen Eklektizismus seitens Bruk-
kers oder der scharfen Ablehnung der philosophischen Vielgötterei durch Chri-
stoph Meiners bis zu den ersten Anzeichen einer positiven Darstellung des Neu-
platonismus bei Georg Gustav Fülleborn. Über die Beanstandung der vielbe-
schworenen Schwärmerei der Neuplatoniker hinaus entdeckt Fülleborn, so
Franz, im Emanationsbegriff einen neuen Zugang zu den Inhalten, die diese
früheren Denker bewegt haben: eine Art prozessualer Subjektivität, welche we-
sentliche Aspekte der Würdigung des Piatonismus bzw. Neuplatonismus bei
Schelling und Hegel vorwegnimmt.
Die systematische Wiederbelebung des Piatonismus am Ausgang des 18.
Jahrhunderts verdankt sich nicht allein der sich noch entwickelnden Disziplin
der Philosophiegeschichte: Es sind auch die Ansätze einer neuen Metaphysik,
welche den damaligen Platon-Lektüren neue Kräfte verleihen. Den wichtigsten
liefert er einen Umriß der Stellung des Absoluten im Piatonismus, der gerade die
Differenz zwischen dem Einem und dem Sein zur Geltung bringt, danach eine
Darstellung von Fichtes Theorie des Absoluten unter Einbeziehung der neupla-
tonischen Deutung des Einen, schließlich einen Blick auf die transzendentale
Logik, die im Ausgang von Fichte Johann Baptist Schad entwickelt hat. Darin
treten neuplatonische Grundsätze, die sich im Denken des Proklos ausmachen
lassen und welche auch - obwohl nicht als solche anerkannt - die Wissen-
schaftslehre Fichtes prägen, noch deutlicher hervor. Aber bereits bei Fichte will
Cürsgen eine Schwerpunktverlagerung der Wissenschaftslehre vom Ich auf das
Absolute bzw. das absolute Wissen finden, die dem neuplatonischen Aufstieg
von Seele zu Geist und Einem durchaus analog ist.
Im darauffolgenden Beitrag setzt sich Johann Kreuzer mit „Hölderlins
Kritik der intellektuellen Anschauung. Überlegungen zu einem Platonischen
Motiv" auseinander. Bei Hölderlin kommen nicht allein die philosophischen
Wurzeln des ästhetischen Piatonismus zum Vorschein, in dem als Schönheit
bezeichnete Augenblicke plötzlicher Sinnevidenz thematisch werden, es kommt
auch die im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert sich anbahnende philo-
logische Wende zu den ursprünglichen Quellen des Piatonismus zum Ausdruck,
welche auch für die damalige Philosophie so fruchtbar ist. Hölderlin kombiniert
fast alle Tendenzen: Er will etwa den Phaedrus Piatons in einem Aufsatz über
die ästhetischen Ideen kommentieren. In der philosophischen Arbeit Hölderlins
erfährt dann das Theorem der intellektuellen Anschauung, wie es bei Kant, Fichte
und Schelling auftritt, große Anerkennimg und scharfe Kritik. In Anbetracht der
Begriffe, die bei Hölderlin die Bedeutung der intellektuellen Anschauung struktu-
rieren, geht Kreuzer den Stationen seiner philosophischen sowie dichterischen
Auseinandersetzung mit ihr: Einheit und Differenz, Erinnerung der Einheit, gött-
licher Begeisterung und Sprache als Vermittlung, einzeln nach.
Die nächsten zwei Beiträge untersuchen die vielfältigen Verbindungslinien
zwischen Piaton bzw. Plotin und Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, der von
Anfang an in seiner philosophischen Karriere durch Piaton direkt beeinflußt ist.
Ausgewählte „Perspektiven der Schwärmerei um 1800. Anmerkungen zu einer
Selbstinterpretation Schellings" erläutert Orrin F. Summereil. Vor dem Hinter-
grund konzeptueller Assoziationen zwischen Piatonismus, Enthusiasmus und
Schwärmerei, die sich besonders im Dialog Ion finden, sowie mit Bezug auf den
Streit zwischen Kant und Johann Georg Schlosser über die kritische Philosophie
einerseits und andererseits die Auseinandersetzung zwischen Fichte und Schel-
ling über die Naturphilosophie wird demonstriert, inwiefern aus einer Kampfvo-
kabel der Aufklärung gegen den Aberglauben, die auch gegen die Platoniker
eingesetzt wird, ein Schlagwort gegen den einseitigen - d. h. subjektiven - Idea-
lismus wird. Somit kann Schellings spätere Selbstauslegung, welche die Nähe
seiner eigenen Transzendentalphilosophie zum originalen Denken Piatons -
läge im Platonischen Dialog. Bekanntlich ist der Parmenides für Hegel nach
eigener Angabe das größte Kunstwerk der alten Dialektik. Schrittweise analy-
siert Halper die Konsequenz von Hegels Behandlung des Dialogs, das Problem
der Teilnahme in der Philosophie Piatons und die Bedeutung von Dialektik -
positive sowie negative - bei Piaton und Hegel. Unter Einbeziehung des Platoni-
schen Sophistes kommt er zu dem Schluß, daß Hegel Pluralität und Negativität
als Momente idealer Form ausdrücklich begreift, während Piaton dieselbe ei-
gentlich als einfach und damit außerhalb der Dialektik, d. h. dem Denken grund-
sätzlich transzendent, betrachtet. Piaton und Hegel trennen sich also im Hinblick
auf die Definition der Natur des ersten Prinzips sowie dessen Verhältnis zu dem,
was in ihm begründet ist: Einfachheit und Vollkommenheit, insofern beide Prin-
zipien sich selbst erklären können, scheinen gleichberechtigte philosophische
Konkurrenten zu bleiben.
Schließlich legt Thomas H. Curran eine Untersuchung von „Hegel on
World History after Socrates: Necessary, Providential, Rational" vor. Mit Rück-
sicht auf das Problem der Rationalität der Welt bei Anaxagoras, Aischylos und
dem Platonischen Sokrates sowie bei Darwin und Nietzsche stellt Curran die
neuplatonische Konzeption der göttlichen Vorsehung bei Plotin und Augustin
dar, um daraufhin eine angemessene Deutung von Hegels Auffassung der Welt-
geschichte zu unternehmen. Indem Curran die vielfältigen Platonischen Dimen-
sionen dieser Auffassung aufzeigt, macht er zugleich die Wechselseitigkeit der
Bestimmungen .Notwendigkeit' ,Vorsehung' und Rationalität' deutlich, welche
die Philosophie Hegels insgesamt und die Weltgeschichte insbesondere seiner
Meinung nach auszeichnet. Hegels Terminus für diese Reziprozität und damit
für die grundlegende Dynamik der Weltgeschichte selbst lautet derart: Versöh-
nung.
Piatonismus im Idealismus: Durch diesen Themenkomplex soll nicht
nur der philosophiegeschichtliche Blick auf die tiefen Wurzeln der klassischen
deutschen Philosophie in der antiken und spätantiken Gedankenwelt gerichtet,
sondern auch eine Wesensverwandtschaft zwischen zwei Epochen der Philoso-
phiegeschichte und zwei epochalen Denkweisen unterstrichen werden, deren
schöpferische Möglichkeiten - dies gegen die skeptische Auffassung Heideggers
- immer noch nicht ausgeschöpft worden sind. Denn das dynamische Verhältnis
von Prinzipien- und Ideenlehre einerseits und andererseits modernen Subjektivi-
tätstheorien stellt - dies verdeutlichen die Beiträge zum vorliegenden Band - ein
Zusammenspiel von historischer Rezeption und systematischer Transformation,
Aneignung und Umdeutung dar, welches das aktuelle Anliegen einer engen
Verknüpfung von Ethik und Ästhetik sowie Erkenntnistheorie und Metaphysik
neu zu beleben vermag. Philosophisches Denken - besonders wenn es systema-
tische Ansprüche erhebt - muß sich selbst als geschichtliches erfassen, um In-
novatives erkennen und - immer situationsbezogen - sich in die Tat setzen zu
„Was hat die Philosophie in der Erforschung der Natur der menschlichen Er-
kenntniß existirender Dinge nach Plato und Aristoteles Neues geleistet?" refor-
mulierte der Marburger Philosophieprofessor David August Suabedissen in
seiner preisgekrönten Antwort eine Frage, die zuvor von der Gesellschaft der
Wissenschaften zu Kopenhagen gestellt worden war. Daß diese Frage im Jahr
1801 ausgeschrieben wurde, ist ebensowenig zufallig wie der Umstand, daß
Suabedissens Beitrag mit einer „Vergleichung der Kantischen Theorie" 1 mit der
Piatons und Aristoteles' endete: Beides steht am Ende einer Entwicklung im 18.
Jahrhundert, die sowohl die stete Darstellung der Platonischen Philosophie in
philosophiegeschichtlichen Zusammenhängen beinhaltete wie auch die Aner-
kennung Kantischer Erkenntnistheorie als höchstmöglicher Stufe des Philoso-
phierens. Die Arbeiten zur Philosophie Piatons gingen letzthin über den Versuch
einer historisch-kritischen Zuordnung hinaus und stellten den Bezug auf die
,aktuelle', sprich: die Philosophie Kants her. Die Weichen fur die .historische'
Betrachtungsweise der Philosophie Piatons waren für die Autoren des 18.
Jahrhunderts von Johann Jacob Brucker gestellt worden: Auf seiner Suche nach
dem „System" der Platonischen Philosophie hatte er ihre Vorgeschichte und ihre
Rezeption erörtert, um das System Piatons genauer bestimmen zu können. 2 Die
nun folgende Skizze, wie sich im Laufe des Jahrhunderts das Verständnis der
Ideen in der Philosophie Piatons veränderte, ist eine Möglichkeit, dem Einfluß
Bruckers nachzugehen und gleichzeitig darzulegen, auf welchem Weg - nämlich
durch Emanzipation von seinen Vorgaben mittels Aufnahme aktueller philoso-
phischer Strömungen - die anfängliche historische Betrachtungsweise zu einem
Vergleich alter und neuer Theorien geführt hat.
1 D. Th. A. Suabedissen, Resultate der philosophischen Forschungen über die Natur der
menschlichen Erkenntniß von Plato bis Kant, Marburg 1805, 326.
2 Näheres zu Brucker bei Jacob Brucker (1696-1770): Philosoph und Historiker der eu-
ropäischen Aufklärung, hrsg. von W. Schmidt-Biggemann, Th. Stammen, Berlin 1998.
Zum historischen Zusammenhang vgl. M. Wundt, Die Wiederentdeckung Piatons im
18. Jahrhundert, in: Blätter für deutsche Philosophie 15 (1941), 149-158.
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2 Tanja Gloyna
3 J. J. Brucker, Historia philosophica doctrinae de ideis qua tum veterum imprimis Grae-
corum tum recentiorum philosophorum placita enarrantur, o. O. 1723, 4.
4 Brucker, Historia, 4-5.
5 Brucker, Historia, 36, 40.
6 Zur Terminologie vgl. beispielsweise Brucker, Historia, 142.
7 J. J. Brucker, Kurtze Fragen aus der Philosophischen Historie, von Anfang der Welt,
biß auf die Geburt Christi, mit Ausführlichen Anmerckungen erläutert, Erster Teil, Ulm
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Idee - Substanz oder Begriff? 3
Das bedeutete auch für Piaton die Darstellung der „Philosophie insgemein" und
der einzelnen Disziplinen nach ,,Haupt-Lehr-Sätze[n]", wie er sie von seinen
Vorgängern „gelernet,ο und aus diesem [in] sein Systema Philosophicum zusam-
men getragen" hatte. Im Sinn dieser kurz und bündig formulierten Grundsätze
schrieb Brucker beispielsweise in seinen Kurtzen Fragen aus der Philosophi-
schen Historie, von Anfang der Welt, biß auf die Geburt Christi, mit Ausführli-
chen Anmerckungen erläutert von 1731: „Die Intelligibilia können entweder für
sich betrachtet werden, und werden ideae genennet, oder so ferne sie bey der
Materie sind, und ihr das Wesen geben, und dann heissen sie Species."9 Damit
differenzierte er deutlich die beiden Wesenszüge, die er bereits in der Historia
philosophica doctrinae de ideis problematisiert hatte - nun allerdings, ohne eine
Priorität zu setzen. Das war aber auch nicht mehr nötig, weil Brucker in dieser
Formulierung „Intelligibilia" zum Oberbegriff von Platonischen „ideae" (= Sub-
stanzen) und allgemeinen Begriffen („species") erhoben hatte. Dieser Grundsatz
im System Piatons war ihm so wichtig, daß er ihn 1736 in den Auszug aus den
Kurtzen Fragen ... zum Gebrauch der Anfanger übernahm, 10 auch wenn er in
seiner Prägnanz noch viel weniger argumentativ belegt war als in der Historia
philosophica doctrinae de ideis.
Wichtig wurden in der Rezeption Bruckers auch zwei weitere, nunmehr
unsere Erkenntnisweisen betreffende Grundsätze, die im System Piatons gewis-
sermaßen konkurrieren und zudem die Spannung der Frage ,Idee - Substanz
oder Begriff?' widerspiegeln. So habe die „Seele des Menschen", ehe sie „in den
Leib gekommen", einerseits „die selbständige[n] Dinge" - Ideen als Substanzen
- „schon gewußt", so daß „ihre Erkantnis nur eine Wieder-Erinnerung" sei;
andererseits war sie nach Piaton „wie eine wächserne Tafel", der erst sinnlich
Wahrgenommenes eingeprägt werden mußte, um schließlich, gleichsam induk-
tiv, zur Erkenntnis einer Idee qua Begriff zu führen. 11 In der ausführlichen Dar-
stellung der Kurtzen Fragen von 1731 wollte Brucker die Funktion der „wäch-
serne[n] Tafel", 12 die der Anamnesis-Lehre zu widersprechen schien, mit letzte-
rer in Einklang bringen bzw. ihr unterordnen: „Wenn die Eindrückungen der
Sinnen fest bleiben, daß sie nicht ausgelöscht werden, so wird es das Gedächtnis
genennet, welches nebst den Sinnen die Meinung oder Wahrscheinlichkeit her-
vor bringt ... Wann das, was wir durch die Sinne begreiffen und erkennen, mit
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4 Tanja Gloyna
dem, was wir davon im Gedächtnis haben, übereinkommt, so wird daraus eine
wahre, wo es aber nicht damit übereinkommt, eine falsche Meinung." 13
Bevor in der Folgezeit ausdrücklich erörtert wurde, ob denn nun unter den Ideen
nach Piaton Substanzen oder Begriffe zu verstehen seien, und bevor die Ana-
mnesis-Lehre im 18. Jahrhundert als wesentliches Moment der Platonischen Phi-
losophie akzeptiert wurde, kam von einer anderen Seite Bewegung in die
deutschsprachige Diskussion: Für diese Seite neuzeitlichen Philosophierens wa-
ren mit der Ablehnung „angeborener Ideen" die Anamnesis-Lehre sowie die
Auffassung der Ideen als Substanzen hinfällig. Entsprechend wurden zum einen
Ideen nach Piaton als Begriffe aufgefaßt, zum anderen wurde das Bild der
„wächsernen Tafel" hervorgehoben und zudem durch das der „tabula rasa"
abgelöst: Dieser Wechsel entstand infolge der Rezeption englischer
empiristischer bzw. sensualistischer Philosophie, vor allem der John Lockes. 14
In diesem Zusammenhang kam es, so ζ. B. in Michael Hissmanns Geschichte
der Lehre von der Association der Ideen von 1773, zu einer Psychologisierung
von ,Idee', die insofern mit .Vorstellung' gleichgesetzt wurde. 15 Zudem konnte
- unter dem Einfluß der Philosophie Lockes - auch die Darstellung der
Platonischen Philosophie nur auf einem Grundsatz beruhen: „Nihil in intellectu,
quod non ante fuerit in sensu." 16 Entsprechende Arbeiten wurden so auch zu
einem Beispiel für die Bezugnahme der Platonischen Philosophie auf neuere
Entwürfe. Gleichenteils konnten solche Darstellungen durch den Autor gestützt
werden, der über Jahrhunderte die Antike-Rezeption bestimmt hatte: Aristoteles.
Deutlich wurde dies auch in Johann Jakob Engels Versuch einer Methode
die Vernunftlehre aus Platonischen Dialogen zu entwickeln (1780). 17 In diesem
„Versuch, die Begriffe und Regeln der Vernunftlehre" - in der Prägung aristote-
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Idee - Substanz oder Begriff? 5
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6 Tanja Gloyna
Eine bewußte Vergleichung der griechischen Philosophie mit der neuern nahm
nach eigenem Bekunden als erster Anton Friedrich Büsching vor.24 Nachdem
1772/1774 sein Grundriß einer Geschichte der Philosophie und einiger wichti-
ger Lehrsätze derselben veröffentlicht worden war, in dem er sich stark auf Bru-
cker bezogen hatte, trat Büsching 1785 mit dieser Arbeit hervor, in der er auch
thematisierte, was in der Antike, dann vor allem aber bei Leibniz, Locke und
Malebranche unter ,Idee' verstanden worden ist.25 Büschings Vergleichung der
griechischen Philosophie mit der neuern beruhte auf der Annahme, letztere be-
stehe eher „in der genauem Bestimmung, deutlichem und vollständigem Ent-
wicklung, guten Erläuterung, und gründlichen Bestätigung, der philosophischen
Wahrheiten", die die Alten erkannt hatten, „als in der selben Erfindung" bzw.
„als in der Aussinnung neuer wichtiger philosophischer Grund- und Lehr-
sätze". 26 In einer ,,allgemeine[n] Wahrheit" zum Thema ,Idee' folgte Büsching
der bereits genannten Auffassung, die an dieser Stelle folgerichtig allerdings mit
Aristoteles und auch Cicero zu belegen war: „Alle Begriffe kommen ursprüng-
lich durch die Sinne in die Seele."27 Davon setzte er vehement die Ansicht Pia-
tons ab, welcher zwar an der einen Stelle des Theaetetus die „Seele ... vermit-
telst der Kräfte des Körpers" Dinge habe erkennen lassen; letzthin konnte die
Seele nach Piaton aber doch „gewisse Dinge ... als die Substanz, das änliche
und unänliche, das gleiche und ungleiche, das schöne und hässliche, das gute
und böse, das einander entgegengesetzte" nur „durch sich selbst" erkennen, d. h.
nur durch Erinnerung der jeweiligen „Ιδέα des Plato" - welche letztlich, wie bei
Büschings Vorbild Brucker und seiner Historia philosophica doctrinae de ideis,
als „eine unkörperliche Substanz (ούσία ασώματος)" zu bestimmen war, „wel-
che durch sich selbst bestehet, und die Materie gebildet hat".28 So unterschied
Büsching die Ideen nach Piaton auch von dem modernen - und durch Engel
betonten - „Wort Idee in dem weitesten Verstände, für jede Bestimmung der
Seele, deren sie sich selbst bewußt ist".29
Wichtig für das Verständnis von ,Idee' bei Piaton war auch Büschings Ver-
such einer generellen Abgrenzung gegenüber den ,Ιδέαις' der Stoiker, die näm-
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Idee - Substanz oder Begriff? 7
lieh als ,έννοήματα ήμέτερα' den Charakter von Begriffen (Vorstellungen) hat-
ten. 30 Dennoch belegte er seinerseits den griechischen Ausdruck mit dieser Be-
deutung: „Man muß εϊδη und ιδέας nicht mit einander verwechseln, jene sind
die Formen der Dinge, diese die Begriffe." 31 Das Widersprüchliche in Büschings
Bestimmung der Platonischen Ideen wurde durch eine weitergehende Bewertung
unterstrichen: „Plato lehrete, daß diese Ideen (ιδέας) in den Vorstellungen und
in der Einbildungskraft d. i. in dem Verstände Gottes wären, (έν τοις νοήμασι,
κ α ι έν τ α ΐ ς φ α ν τ α σ ί α ι ς του θεοΰ, τοΰτ έστι του νου, ΰφεστώσας)." 3 2 Da-
mit referierte Büsching eine weitere philosophiehistorische Position, nämlich
Pseudo-Plutarchs Darstellung von ,Idee' bei Sokrates und Piaton einerseits, die
bereits in der Auffassung von ,Idee' als , ο υ σ ί α α σ ώ μ α τ ο ς ' angeklungen war,
und Zenon, dem Stoiker, andererseits (έννοήματα ήμέτερα). 3 3 Methodisch
lehnt sich Büsching in diesem Verfahren, antike Kommentare zur Erläuterung
von Bedeutung und Sinn griechischer Begriffe heranzuziehen, wiederum an
Brucker an, und möglicherweise sind sogar diese Zitate seinen an Belegen so
reichen Texten entnommen. Sachlich allerdings zeigt sich Büsching in seiner
Ambivalenz der Auffassung von ,Idee' zwischen Substanz und Begriff bei Pia-
ton wohl eher von dem psychologisierenden Verständnis seiner Zeitgenossen
beeinflußt: Indem er nach dem Vorbild Pseudo-Plutarchs Ideen „in der Ein-
bildungskraft ... Gottes" (,,έν τ α ΐ ς φ α ν τ α σ ί α ι ς του θεοΰ") verortete, lenkte er,
anders als seine Zeitgenossen bisher, die Aufmerksamkeit lediglich auf das
höchste Denkende und seine Vorstellungen bzw. Begriffe.
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8 Tanja Gloyna
35 Dazu vgl. T. Gloyna, Kosmos und System. Schellings Weg in die Philosophie, Stuttgart-
Bad Cannstatt 2002, 80-114.
36 F. V. L. Plessing, Ueber den Aristoteles; Untersuchungen über die Platonischen Ideen,
in wie fern sie sowohl immaterielle Substanzen als auch reine Vernunftbegriffe vorstell-
ten, in: Denkwürdigkeiten aus der philosophischen Welt, hrsg. von Κ. A. Cäsar, Bd. 3,
Leipzig 1786, 1-109 bzw. 110-190.
37 Plessing, Untersuchungen über die Platonischen Ideen, 111.
38 Plessing, Untersuchungen über die Platonischen Ideen, 110-111.
39 Plessing, Untersuchungen über die Platonischen Ideen, 112, 113.
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Idee - Substanz oder Begriff? 9
tes ,Idee'; so ging man „von der Bedeutung", „die dasselbe bey uns hat - nach
der es so viel als Begriff vorstellt - aus, und sagte daher, daß nach Platonischer
Lehre die Menschen in ihrem vormaligen Zustande die Begriffe in Gottes Vers-
tände angeschaut hätten". 40 Hinzuweisen ist an dieser Stelle aber auch auf Ples-
sings Verschiebung der Frage ,Idee - Substanz oder Begriff?' zu der, in wel-
chem Verhältnis unsere Vorstellungen/Begriffe zu den (Platonischen) Ideen/-
Substanzen stehen.
Plessing verwies nicht nur hier auf .Anschauungen'; denn der Stellenwert,
welcher jeweils der , Anschauung' zugeschrieben wurde, markiert für ihn einen
grundsätzlichen Unterschied antiker und moderner Philosophie. Mit der Annah-
me der unveränderlichen Substanzen, die nicht sinnlich wahrnehmbar sind, ging
laut Plessing in der Philosophie der Alten eine Voraussetzung einher, um diese
Ideen, auf denen „wahre Wissenschaft" sich gründet, dem Erkenntnisvermögen
des Menschen zugänglich zu machen: „Sie schrieben daher dem Verstände, eben
so wie den Sinnen, ein unmittelbares Anschauungs-Vermögen zu; (nach unserer
neuern Philosophie aber legen wir dem Verstände keine Anschauungskraft bey,
nehmlich auf eine den Sinnen ähnliche Weise, die Dinge unmittelbar wahrzu-
nehmen und anzuschauen; wir beschränken dies Anschauungs-Vermögen blos
auf die Sinne); dieser habe die genannten Substanzen in einem vormaligen Le-
bens-Zustande unmittelbar angeschaut." 41 So konnte Plessing die Ideen eindeu-
tig als Substanzen verstehen, auf denen unsere „reinen Verstandes-Begriffe"
gründeten, und zugleich seine Kritik an der modernen Philosophie vorbringen:
„Pythagoras, die Eleatiker, Plato und Aristoteles, dachten unter reinen Verstan-
des-Begriffen ganz etwas anders als wir. Ihre reinen Verstandes-Begriffe grün-
deten sich auf wirklich substantielle Gegenstände, welche der Verstand unmit-
telbar angeschaut habe; denn sie legten dem letztern eine unmittelbare Anschau-
ungskraft bey; allein dieses thun wir, nach unserer neuen Philosophie, nicht. Die
Alten dachten hierin in der That weit konsequenter als wir: Denn wie können
Begriffe, ohne vorhergegangene Anschauungen, statt finden?" 42
Um die Notwendigkeit der Annahme einer intellektuellen Anschauung -
damals wie heute - zu untermauern, zog Plessing ausgerechnet Kant heran: Da
für Plessing die Alten so, wie beschrieben, „über den Ursprung der menschli-
chen Erkenntniß" dachten und ihr „gewisse Original-Anschauungen" zugrunde
legten, „die sie als Ur-Principien derselben betrachteten, auf welche sich alle
Wissenschaft und Erkenntnisse gründen müsse", die ihrerseits „nicht erwiesen
oder demonstrirt werden könnten", hätten sie gedacht wie Kant. 43 Belege der
Übereinstimmung entnahm Plessing den Prolegomena zu einer jeden künftigen
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10 Tanja Gloyna
Metaphysik sowie der Kritik der reinen Vernunft: „Auf welche Art und durch
welche Mittel sich auch immer eine Erkenntniß auf Gegenstände beziehn mag,
so ist doch diejenige, wodurch sie sich auf dieselbe unmittelbar bezieht - und
worauf alles Denken, als Mittel, abzweckt - die Anschauung. Diese aber findet
nur statt, so fern uns der Gegenstand gegeben wird. Dieses aber ist wiederum
nur dadurch möglich, daß er das Gemüth auf gewisse Weise afficiere." 44 Also
im Sinn der Alten: Anschauung eines Gegenstands, der Substanz-Idee, als Vor-
aussetzung und Ziel jeder wahren Erkenntnis. Entsprechend zitierte Plessing
Kant: „Alles Denken muß sich, es sey gerade zu (directe); oder im Umschweife
(indirecte), auf Anschauungen beziehn." 45 Und schließlich führte er zur Erläute-
rung des Verhältnisses von Begriff - Gegenstand (welchem Idee/Substanz ent-
sprach) an: „Zu jedem Begriff wird erstlich die logische Form eines Begriffs
(des Denkens überhauptQ], und denn zweytens auch die Möglichkeit, ihm einen
Gegenstand zu geben, darauf er sich beziehe, erfordert. Ohne diesen letztern hat
er keinen Sinn, und ist völlig leer an Inhalt. - Nun kann der Gegenstand einem
Begriff nicht anders gegeben werden, als in der Anschauung." 46
Die Dopplung Gegenstand - Begriff sah Plessing von Piaton dadurch be-
dacht, daß „Ideen aus einem zwiefachen Gesichtspunkt betrachtet werden müss-
ten, einmal als immaterielle Substanzen, und dann wieder als Begriffe". 47 Unter
letzteren verstand er freilich unsere „Vorstellungen ... die sich auf diese imma-
teriellen Substanzen beziehn, und die, nach Plato's Philosophie, der Verstand
vormals durch unmittelbare Anschauung erlangt habe." 48 Die Ideen „als Begriffe
genommen", d. h. „als auf „Ur-Anschauungen sich gründende Vorstellungen",
sah Plessing in „Definitionen und Principien der Wissenschaft" ausgedrückt. 49
So konnte er die Ideen (nach Piaton) nicht nur als Substanzen auffassen, sondern
sie auch begründeter Wissenschaft voraussetzen und zugleich als deren Ziel
bestimmen, weil wahres Wissen und Wissenschaft - auch mit Blick auf Aristo-
teles - in Form von Definitionen die „Ideen der an und für sich selbst bestehen-
den Dinge" 50 begrifflich klar erfassen sollte.
44 Plessing, Untersuchungen über die Platonischen Ideen, 115, mit Verweis auf I. Kant,
Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, Riga 1783, 52.
45 Plessing, Untersuchungen über die Platonischen Ideen, 116. Vgl. I. Kant, Kritik der rei-
nen Vernunft, 1. Aufl., in: ders., Gesammelte Schriften, hrsg. von der Königlich Preußi-
schen Akademie der Wissenschaften, Bd. 4, Berlin 1911, A19.
46 Plessing, Untersuchungen über die Platonischen Ideen, 116. Vgl. Kant, Kritik der rei-
nen Vernunft, A239.
47 Plessing, Untersuchungen über die Platonischen Ideen, 176.
48 Plessing, Untersuchungen über die Platonischen Ideen, 177.
49 Plessing, Untersuchungen über die Platonischen Ideen, 177.
50 Plessing, Untersuchungen über die Platonischen Ideen, 179.
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Idee - Substanz oder Begriff? 11
V. Dieterich Tiedemann
51 D. Tiedemann, Geist der spekulativen Philosophie, Bd. 2, Marburg 1791, 89. Näheres
zu Tiedemann bei Braun, Geschichte der Philosophiegeschichte, 193-203.
52 Tiedemann, Geist der spekulativen Philosophie, 166.
53 Tiedemann, Geist der spekulativen Philosophie, 166.
54 Tiedemann, Geist der spekulativen Philosophie, 191, 192.
55 Zu Tennemann vgl. Braun, Geschichte der Philosophiegeschichte, 254-266.
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12 Tanja Gloyna
das Denken allein könne man dem Wesen der Dinge an sich näher kommen".
Das „Wesen der Dinge" übersetzte Tennemann kurzerhand in „wesentliche
Merkmale der Dinge an sich", welche Piaton mittels der Ideen/Begriffe verstan-
den wissen wollte - diese seien es, welche bestenfalls als „das Denkbare ...
durch die Vernunft vorstellbar" würden.59 Insofern habe Piaton die Ideen „nicht
... zu wirklichen Substanzen" gemacht, auch wenn er angenommen habe, daß
ihnen „etwas wirkliches, außer dem Vorstellungsvermögen existirendes" korre-
spondiere.60 Die geeignete rhetorische Frage, um die Auffassung der Ideen als
Substanzen zurückzuweisen, lautete: „Wie hätte er auch die Gegenstände der
Ideen von Tugend, Gerechtigkeit, Weisheit, Schönheit hypostasiren, in Substan-
zen metamorphosiren können?"61 Außerdem stand für Tennemann fest, daß
Piaton zwar „in dem Felde der Erfahrung die Vorstellungen von ihren Gegen-
ständen durch besondere Ausdrücke" unterschieden habe - „in dem Felde des
Denkbaren aber nicht!"62
Welches .Wirkliche', das außer unserem Vorstellungsvermögen existiert,
konnte unter dieser Voraussetzung den menschlichen Vorstellungen korrespon-
dieren? Als Vorbild menschlicher Vernunft galt die „höchste Vernunft" - Gott,
der im „Weltideal", in einer ,,intelligible[n] Welt" alle „Ideen, die sich auf Welt
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Idee - Substanz oder Begriff? 13
beziehen", vereinigt. 63 Sofern diese „Gottheit als reine Vernunft gedacht" wur-
de, waren ihre Ideen als „die reinsten Vernunftbegriffe der obersten Intelligenz"
vorzustellen, nach denen sie, „ihrer stets bewusst", „blos allein" handeln wür-
de. 64 Die Gottheit wirkte demnach Piaton zufolge einerseits als „eine die Welt
nach einer Idee sich vorstellende Kraft", andererseits als tatsächlich „Weltbil-
dende", nämlich Materie prägende Kraft. 65 Daher wurden auch Ideen von Piaton
„in einer gedoppelten Bedeutung" verwendet - „einmal: als Vernunftbegriffe
der Gottheit, welche im Zusammenhange das Weltideal ausmachen, alsdann
aber auch: als Urbilder und Gesetze, nach welchen die Gottheit wirkte, und die
Welt bildete, wodurch sie der geformten Materie gleichsam aufgedrückt worden,
und woher wir sie noch erkennen können." 66 Es fand also mit Tennemann nicht
nur derjenige Modus unseres Denkens, in welchem gemäß Piaton eine Vorstel-
lung nicht von ihrem Gegenstand unterschieden werden kann, in der göttlichen
„reinen Vernunft" und ihren „reinsten Vernunftbegriffe[n]" das Vorbild, son-
dern es war mit diesen göttlichen Weltideen auch „etwas wirkliches" ausge-
macht, mit dem sowohl die Gesetze der Welt als auch die menschlichen Vorstel-
lungen korrespondierten, ohne daß dieses .Wirkliche' als Substanz vorgestellt
werden mußte. 67
Als Substanzen wurden Ideen nach Piaton aber an anderer Stelle noch immer
betrachtet: Der Herausgeber der Beyträge zur Geschichte der Philosophie
(1791-1799), Georg Gustav Fülleborn, nahm diese Position im Zusammenhang
einer dort 1792 vorgetragenen systematischen Kritik der Ideenlehre der Antike
ein, in welcher er zu dem Ergebnis gelangte: „Alle die Beweise für die Existenz
der Ideen gelten meiner Meinung nach nichts." 68 Andere Einwände Fülleborns
bezogen sich auf die vieldiskutierte Frage nach dem Systemcharakter der Plato-
nischen Philosophie: Ein System war in der Philosophie Piatons insbesondere
seit Brucker gesucht worden, und nunmehr stellte Fülleborn in der Rezeption
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14 Tanja Gloyna
des Systembegriffs von Kant und seinen Nachfolgern fest, daß die Philosophie
der Alten, d. h. auch Piatons, gar kein System darstellt. So sei es „unverkennbar,
daß der alten Philosophie das Systematische fehlt"; Fülleborn meinte „damit
nicht, allen Zusammenhang der Sätze und Ideen unter einander, sondern die
Verbindung des Ganzen, die von Einem Grundsatze ausgeht und alle Theile
genau zusammenhält". 69 Kurz: Es fehlte ihr an einem „Principe". 70
Relevant für die weitere Entwicklung des Piaton-Verständnisses war vor al-
lem Fülleborns Beitrag „Ueber die Verschiedenheit der alten und neuen Philo-
sophie", in dem er Elemente der Philosophie Piatons und Aristoteles' direkt auf
die Kants bezog. Allerdings mußte Fülleborn auch „Aehnlichkeit" zugeben, die
von der Übereinstimmung „der Hauptgegenstände der Philosophie" bis zum spe-
ziellen Verständnis beispielsweise von Sinneswahrnehmung, Zeit und „kosmo-
logische[n] Grundsätze[n]" reicht. 71 Hingegen würden sich die Alten grundsätz-
lich dadurch von Ansätzen „der Neuern" unterscheiden, daß sie „die Grenzen, in
welchen die Vernunft bleiben soll, überschritten, und die Ideen derselben zu Er-
kenntnissen erhoben". 72 An anderer Stelle korrigierte Fülleborn den Ansatz Ten-
nemanns, weil er nämlich „wesentliche Unterschiede zwischen alter und neuer
Philosophie" darin sah, „daß die Alten ihre Philosophie" gerade „nicht mit der
Untersuchung des menschlichen Erkenntnisvermögens anfiengen". 73 Insofern
bot Fülleborns Beitrag mehrere Neubewertungen der Philosophie Piatons, indem
er sie von der Kantischen abgrenzte - und wohl auch deshalb auf die alte Be-
stimmung der Ideen nach Piaton als Substanzen zurückgriff. 74
Die hier skizzierte Entwicklung von Brucker bis Fülleborn verdeutlicht, daß die
Philosophie Piatons am Ausgang des 18. Jahrhunderts in philosophiegeschichtli-
chen Zusammenhängen, und d. h. auch in bezug auf die aktuelle theoretische
Philosophie, thematisiert wurde. Die eingangs erwähnte Frage der Gesellschaft
der Wissenschaften zu Kopenhagen von 1801 in der Formulierung Suabedis-
sens: „Was hat die Philosophie in der Erforschung der Natur der menschlichen
Erkenntniß existirender Dinge nach Plato und Aristoteles Neues geleistet?",
69 G. G. Fülleborn, Ueber die Verschiedenheit der alten und neuen Philosophie, in: ders.,
Beyträge, Viertes Stück, Züllichau, Freystadt 1794, 187-219, zit. 205.
70 Fülleborn, Ueber die Verschiedenheit der alten und neuen Philosophie, 205.
71 Fülleborn, Ueber die Verschiedenheit der alten und neuen Philosophie, 194, 196, 198.
72 Fülleborn, Ueber die Verschiedenheit der alten und neuen Philosophie, 196.
73 Füllebom, Ueber die Verschiedenheit der alten und neuen Philosophie, 199.
74 Zum Zusammenhang .Brucker - Kant' und insofern auch ,Piaton - Kant' vgl. G. Mol-
lowitz, Kants Platon-Auffassung, in: Kant-Studien 40 (1935), 13-67.
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Idee - Substanz oder Begriff? 15
erweist sich damit als ebensowenig zufällig wie seine „Vergleichung der Kanti-
schen Theorie" mit der von Piaton und Aristoteles in der Antwort. Der Ver-
gleich blieb hier wiederum - siehe Fülleborn - problematisch; so betonte auch
Suabedissen, worin sich die Philosophien unterscheiden. Allerdings nannte er
mit Nachdruck den Hauptgrund, der einen Vergleich dennoch provoziert: termi-
nologische Überschneidungen. Von daher stellte er, der seine Abhandlung selbst
als „historisch" klassifizierte, der „Vergleichung" eine Darstellung der Ge-
schichte der Philosophie voran, die auch den Zweck hatte, die Begriffe der ver-
schiedenen Theorien des Erkennens voneinander zu unterscheiden. Leitfaden
der Untersuchung war für Suabedissen die Einteilung der Geschichte der Philo-
sophie in drei Perioden: Die erste „Haupt-Periode", die „von Plato und Aristote-
les bis Locke" reichte, habe „nur einzelne helle Blicke in die Tiefe des Erkennt-
niß-Vermögens" genommen. 75 Die zweite, von „Locke bis Kant", machte zwar
„die Erforschung der Natur der Erkenntniß zu einem Hauptgegenstande des
Philosophirens", doch erst die dritte, „von Kant bis auf die jetzige Zeit (1801)" -
die „Periode der Transscendentalphilosophie" - , sei weit „in den verborgensten
Mechanismus des menschlichen Geistes" eingedrungen. 76
In der „Vergleichung ... zwischen der Theorie der Critik und beiden Sy-
stemen der griechischen Weltweisen", die sich der auführlichen „historischen"
Darstellung dieser Perioden anschloß, stellte Suabedissen folgendes klar: Die
„mannichfaltigefn] Aehnlichkeiten" seien Schein - entstanden, weil die neue
Theorie „aus beiden" anderen „manche Begriffe hernahm, welche sie jedoch in
einem mehr oder weniger verschiedenen Sinn und Zusammenhang brauchte". 77
In bezug auf Piaton hieß das beispielsweise, daß er „so wie Kant, alle Aeußerun-
gen des Erkenntnißvermögens im Allgemeinen in αισθήσεις (Empfindungen,
Anschauungen) und διανοίας (Begriffe) theilte und ihnen gemäß das ganze
menschliche Erkenntnißvermögen aus den beiden Hauptvermögen, der Sinnlich-
keit und dem Verstand, bestehen ließ". 78 Auch habe er angenommen, der „Ur-
sprung ... der sinnlichen Vorstellung" sei ein Gegenstand, der „die Sinnlichkeit
afficire", und daß „die Seele, dem erhaltenen Eindruck gemäß, ein Bild hervor-
bringe". 79 Allerdings hätte Piaton im Unterschied zu Kant gar nicht daran ge-
dacht, die Sinnlichkeit als besonderes „Vermögen des Gemüths" anzuerkennen
und einer eingehenden Untersuchung zu unterziehen - was auch an der Ver-
nachlässigung von Raum und Zeit deutlich werde. 80
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16 Tanja Gloyna
Eine sichere Differenz lag für Suabedissen in der Auffassung von ,Idee'.
So habe zwar auch Piaton, „wie Kant, die διανοίας (Begriffe im weitern Sinn)
in φαντασίας, deren Gegenstand in der Erfahrung gegeben ist, und νοήσεις
oder ιδέας, deren Gegenstand übersinnlich ist", eingeteilt und zudem „den
Verstand, in sofern er die letztern, die Ideen, besitzt, νουν, φρόνημα (Vernunft)"
genannt. 81 Doch habe Piaton, anders als Kant, „diesen Ideen ... übersinnliche
objektive Realität" zugesprochen, „indem er sie in der übersinnlichen Welt oder
wenigstens in der göttlichen Vernunft als die Muster der Sinnendinge existiren,
und sich's nicht einfallen ließ, sie, wie Kant, theils als Produkte der Einbil-
dungskraft aus der Vergleichung mehrerer Erscheinungen, theils als regulative
Principien der Vernunft zur Leitung des Verstandesgebrauchs zu betrachten, und
so ihren Gebrauch und Zweck auf Vervollkommnung der Erfahrungserkenntniß
zu beschränken". 82 Und auch die Einsicht beider, „daß sich das Feste, Bleiben-
de, Nothwendige in unserer Erkenntniß nicht von der Erfahrung ableiten lasse",
habe Piaton zuschanden gemacht, indem er annahm, daß nur durch die Erkennt-
nis dieser übersinnlichen Ideen „Festes, Nothwendiges in unsere Erkenntnisse
und Urtheile" komme, d. h. die Ideen den „Grund und die Principien alles Wis-
sens und aller Erkenntniß" darstellten. Hingegen durfte auf Kantischer Grund-
lage dieses „Feste" nicht aus den Vernunftideen abgeleitet werden, sondern nur
„aus der eigenthümlichen Natur der Sinnlichkeit und des Verstandes, der das
dargebotene Mannichfaltige auf gewisse bestimmte Weisen aufnehmen und ver-
knüpfen müsse". 84
Schließlich trage auch Piatons Bewertung der „όντως οντα, νοητά (die
Dinge an sich, Verstandeswesen)" im Gegensatz zu „den φαινομενοις, αισθη-
τοις (Erscheinungen, Sinnenwesen)" einen gänzlich anderen Charakter als
Kants Unterscheidung von Ding an sich und Erscheinung: „Denn nach Kant ist
das Ding an sich der unbekannte Grund der Erscheinung, der nur als solcher
gedacht werden kann und muß, ohne weiter im geringsten bestimmt werden zu
können" - also „= x" ist - , während die Erscheinung „der einzig erkennbare
QC
Gegenstand" sei. Hingegen waren Piaton die Ideen/Dinge an sich die einzig
möglichen Gegenstände des Wissens und „das Aufsteigen zu ihnen ... Wissen-
schaft, das Denken oder Anschauen derselben die höchste und allein untrügliche
Erkenntniß"; die Erscheinungen der „Sinnenwelt" hingegen waren ihm der „In-
81 Suabedissen, Resultate der philosophischen Forschungen, 328. - Eine jüngere und dif-
ferenzierte Darstellung findet sich bei H. Heimsoeth, Piaton und Kants Werdegang, in:
Studien zu Kants philosophischer Entwicklung, hrsg. von H. Heimsoeth, D. Henrich,
Hildesheim 1967, 124-143.
82 Suabedissen, Resultate der philosophischen Forschungen, 329.
83 Suabedissen, Resultate der philosophischen Forschungen, 329, 330.
84 Suabedissen, Resultate der philosophischen Forschungen, 330.
85 Suabedissen, Resultate der philosophischen Forschungen, 331 -332.
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Idee - Substanz oder Begriff? 17
86
begriff von Schein". Wie schon für Kant-Anhänger vor Suabedissen, war also
auch für ihn das Übel an Piaton seine Schwärmerei. 87 Dementsprechend sah er
es als Verdienst Kants, das „Verirren in übersinnliche Regionen" und „Ver-
wechseln der Phantasie mit der Vernunft und ihres Gebildes mit der Erkenntniß,
als das was es ist, als Selbsttäuschung" erkannt zu haben, wodurch „hoffentlich
auf immer" ein „Rückfall" in die Zeiten der „Selbsttäuschung" verhindert wer-
de 88 - und somit auch der identifizierende Vergleich der Theorien Piatons und
Kants aufhört.
Suabedissen war gewiß nicht der einzige, der in der „Periode der Trans-
scendentalphilosophie" nach einer „historischen" Betrachtungsweise der Plato-
nischen Philosophie bei solchen Überlegungen endete. An seinem Beispiel läßt
sich aber auch etwas anderes gut verdeutlichen: Da er das Verständnis von
,Idee' zur Unterscheidung der Theorien Piatons und Kants nutzte, lieferte er im
weitesten Sinn auch einen Beitrag zum Thema .Idealismus'. Dieser war für ihn
- unter der Prämisse des „Vorzugs des Criticismus vor dem Piatonismus" 89 -
nur in der Nachfolge des ersteren sinnvoll und konnte mit dem ,Piatonismus'
lediglich scheinbare Ähnlichkeit aufweisen. Damit ist ein Übergang zur philoso-
phischen Debatte von .Idealismus' in Suabedissens Zeit gegeben und der histori-
schen Betrachtungsweise dessen, was Autoren des 18. Jahrhunderts unter der
Platonischen Idee verstanden hatten, ein Schlußpunkt gesetzt.
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MICHAEL FRANZ
Der Neupiatonismus
in den philosophiehistorischen Arbeiten
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
In diesem Beitrag möchte ich drei Stationen auf dem Weg der Rezeptionsge-
schichte des Neuplatonismus in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts etwas
näher betrachten. Und zwar zunächst die Auffassung des Piatonismus, die Jacob
Brucker gegen Ende der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts etabliert hat, sodann
das, was der Göttinger Philosophiehistoriker Christoph Meiners zur Kritik des
Neuplatonismus beigetragen hat, und am Schluß die erste, fast noch heimlich
positive Darstellung des Neuplatonismus bei Georg Gustav Fülleborn 1793.
Über Brucker muß hier gesprochen werden, weil seine ,kritische' Darstellung
der Philosophiegeschichte1 für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts in ganz
Europa die maßgebliche gewesen ist, nicht zuletzt dadurch, daß die einschlägi-
gen philosophiehistorischen Artikel der Diderot'schen Encyclopddie sich ganz
und gar der Brucker'schen Darstellung bedienten. Insbesondere in der Behand-
lung der antiken Philosophie sind selbst die beiden Philosophiegeschichten von
Dieterich Tiedemann und Wilhelm Gottlieb Tennemann, die im letzten Jahr-
zehnt des Jahrhunderts veröffentlicht wurden, noch ganz von Brucker abhängig.3
Das gilt insbesondere auch für die Darstellung der Platonischen Philosophie.
Was Piaton und den späteren Piatonismus betrifft, so hatte Brucker einen For-
schungsstand etabliert und organisiert, der bis zur triumphalen Erhebung des
romantischen Piaton durch Friedrich Schleiermacher kanonisch geblieben war.
Brucker lehrte, auf definitive Weise zu unterscheiden zwischen der Platoni-
schen Philosophie und der Philosophie, die in Alexandria in nachchristlicher
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20 Michael Franz
Zeit entstanden ist. Die letztere nennt er hauptsächlich die Philosophie der „ek-
lektischen Sekte", aber auch die der .jüngeren" oder „neueren" Platoniker (Pla-
tonici iuniores vel recentiores). 4 Der ,neuere Piatonismus' wird zwar als Abfall
vom originären Piatonismus gebrandmarkt, aber das heißt nur, daß er auf andere
Art und Weise falsch ist als der originäre Piatonismus. Die doktrinäre Unter-
scheidung zwischen beiden Philosophien legt Brucker dahingehend fest, daß der
authentische Piatonismus als .dualistisches System', der Neuplatonismus hinge-
gen als ,Emanationssystem' aufzufassen sei. Mit anderen Worten: Nach Piaton
und seinen Nachfolgern hat der Demiurg die Welt aus einem Stoff verfertigt,
während die Neuplatoniker die Materie als letztendlichen ,Ausfluß' des göttli-
chen Wesens verstehen. Während im ursprünglichen Piatonismus eine Art
,Zwei-Welten-Theorie' herrscht, ist der Neuplatonismus durch einen rigiden
Monismus gekennzeichnet. Diesen Monismus sieht Brucker jedoch stets als
Vorläufermodell für das in seinen Augen atheistische System des Spinoza. Zwar
kann Brucker den harten Dualismus des Piatonismus, so wie er selbst ihn dar-
stellt, auch nicht für wahr halten; doch dieser ,Irrtum' erscheint ihm verzeihli-
cher als der entgegengesetzte der Neuplatoniker.
Man muß nun freilich sagen, daß Brucker diese Urteile nicht nur en passant
fällte, sondern sie durch eine ausfuhrliche systematische Darstellung der Plato-
nischen Philosophie einerseits, des Neuplatonismus (unter dem Namen der „sec-
ta eclectica") andererseits begründete. Diese systematische Darstellungsweise ist
keineswegs bloß habitueller Stil des Schulmeisters Brucker, sondern sie wird
von ihm reflektiert als Absetzung gegen die anekdotische, narrative und polemi-
sche Darstellungsweise der älteren Philosophiegeschichten (etwa von Georg
Horn oder Thomas Stanley 5 ); sie wird allerdings durchexerziert in einer Weise,
die Brucker später das Mißverständnis (Georg Wilhelm Friedrich Hegels) ein-
trug, er wolle die Philosophiegeschichte nach Wolffschen Distinktionen aufbe-
reiten; 6 und sie wird nicht zuletzt konfirmiert durch das bekannte, autoritative
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Der Neuplatonismus in den philosophiehistorischen Arbeiten 21
Votum Leibnizens, man müsse die Philosophie Piatons einmal als System dar-
stellen. 7
Nun hat sich freilich diese Aufgabe einer systematischen Darstellung für
den Neuplatonismus insofern noch komplizierter ausgestaltet, als Brucker ein
überkommenes Schema zur Darstellung der Philosophiegeschichte (die Eintei-
lung in verschiedene, aufeinanderfolgende ,Sekten') verknüpfte mit einem dop-
pelten Kategorienpaar zur Bewertung verschiedener Philosophietypen. Schon
vor Brucker - das muß gegenüber einer Hegeischen Behauptung 8 betont werden,
die noch im Historischen Wörterbuch der Philosophie ungeprüft übernommen
worden ist9 - war die kryptische Bemerkung im Prooemium des Diogenes Laer-
tius, „kürzlich" sei nun auch noch eine Sekte aufgetreten, die sich „eklektisch"
nenne, 10 auf den Neuplatonismus bezogen worden." Und ebenso lange vor Bru-
cker hatte sich die Bewertung der philosophischen Systeme nach dem Gesichts-
punkt etabliert, ob sie nach den Horazischen Worten auf die „Worte Eines Mei-
sters schwören" oder sich der Maxime des Apostels Paulus („Prüfet alles, das
Beste aber behaltet") anschließen. 12 So unterschied man schon in der zweiten
Hälfte des 17. Jahrhunderts zwischen dem Philosophietyp einer ,philosophia
sectaria' und dem einer ,philosophia eclectica'. Dabei wurde fast allgemein dem
Typ der .eklektischen Philosophie' der Vorzug gegeben, gegen Ende des 17.
Jahrhunderts war .eklektische Philosophie' geradezu zu einem Modetitel gewor-
den, den man sich (siehe Thomasius und seine Schüler) gern anheftete. 13 Zu-
gleich war der .Eklektizismus' auch noch von einer anderen Seite her zum posi-
tiven Merkmal erwählt worden. Dem - positiv bewerteten - Eklektizismus wur-
de nun präzisierend das negative Etikett .synkretistische Philosophie' entgegen-
gestellt. Während die eklektische Philosophie mit Sinn und Verstand das Beste
7 Vgl. G. W. Leibniz, Brief an N. Remond , in: ders., Die philosophischen Schriften, hrsg.
von C. J. Gerhardt, Berlin 1887, Nachdr. Hildesheim 1978, Bd. III, 637.
8 Vgl. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Dritter Band, in: Sämtli-
che Werke, Bd. 19, 34.
9 Vgl. W. Nieke, Eklektizismus, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1,
hrsg. von J. Ritter, Basel 1971, 433, Anm. 2.
10 Diogenes Laertius, Vitae philosophorum, lib. I, par. 21.
11 So etwa von den Kommentatoren der Spätrenaissance, Isaac Casaubon und Aegidius
Menage, in ihren jeweiligen Editionen; dazu vgl. M. Albrecht, Eklektik. Eine Begriffs-
geschichte mit Hinweisen auf die Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte, Stuttgart-
Bad Cannstatt 1994, 75 und 140.
12 Horatius, Epistulae I, 14; Paulus, Epistula ad Thessalonicenses I, 5,21; vgl. dazu insge-
samt Albrecht, Eklektik.
13 Vgl. ζ. B. die Elementa philosophiae Instrumentalis seu institutionum philosophiae
eclecticae, Halle 1703, des Thomasius-Schülers Johann Franz Budde, dazu M. Wundt,
Die Philosophie an der Universität Jena in ihrem geschichtlichen Verlaufe dargestellt,
Jena 1932, 65-71.
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22 Michael Franz
14 Grob gefaßt, war .Synkretismus' der lutherische Ketzername für Theologen mit refor-
mierten oder calvinistischen, letztlich: rationalistischeren, Tendenzen, die gegen Ende
des 16. Jahrhunderts an den hauptsächlichen lutherischen Universitäten in Wittenberg,
Leipzig und Helmstedt bekämpft wurden.
15 Vgl. G. Olearius, Dephilosophia eclectica, in: Th. Stanley, Historia philosophiae. Vitas
opiniones, resque gestas et dicta philosophorum sectae autore Thoma Stanleio, ex An-
glico sermone in Latinum translata, emendata, et variis dissertationibus atque observa-
tionibus passim aucta accessit vita autoris, ed. G. Olearius, Leipzig 1711, Bd. 2, 1205-
1222.
16 Vgl. Brucker, Historia critica philosophiae, Bd. I, 627-728.
17 Vgl. Brucker, Historia critica philosophiae, Bd. I, 669: „ad ipsum Platonem ejusque
dialogos respiciemus, et quantum licet, ejus verba et ratiocinia ita expendemus, ut ne-
xum potissimum systematis secundum fidei historiae et artis rationalis leges eruamus"
(„auf Piaton selbst und seine Dialoge nehmen wir Rücksicht, und, soweit es möglich ist,
werden wir seine Worte und Argumente so abwägen, daß wir den hauptsächlichsten Zu-
sammenhang des Systems gemäß den Gesetzen der historischen Glaubwürdigkeit und
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Der Neuplatonismus in den philosophiehistorischen Arbeiten 23
nicht einfach zu lösen sind. Um sie lösen zu können, wäre gewissermaßen ein
Kanon im Kanon nötig, oder, falls eben alle Dialoge von dem Bazillus der Ironie
und indirekten Rede kontaminiert sein sollten, ein äußeres Korpus von Kriterien
liefernden Texten. Und diese Texte, welche die Lehrmeinungen Piatons aufzu-
finden und zu ordnen erlauben, sind erstaunlicherweise: die Handbücher des
Mittelpiatonismus, Apuleius und Alcinous sowie Ciceros Academical Dabei
gilt ihm Cicero als unmittelbarer Zeuge für die „Piatonis decreta, qualia in Aca-
demia docebantur", welche allerdings für Cicero bekanntlich in der Hauptsache
skeptische Lehren waren. „Von allen am besten" aber hat nach Brucker das
Lehrbuch (der Didascalicus) des Alcinous „auf die Ordnung und den Zusam-
menhang der Platonischen Philosophie geachtet". Und deshalb wird dieses Lehr-
buch, so fährt Brucker fort, „uns Führer sein auf dem Weg, durch welchen wir
die Lehren des Piaton selbst, der in seinen Schriften keiner Ordnung seiner Phi-
losophie, keinem System gefolgt ist, sondern alles mit Grund in Dialogen zer-
streut erzählt hat, aus seinen Gesprächen eruieren werden". Um es deutlich her-
vorzuheben: Zwar ist der Primärtext ausschließlich das Corpus der Platonischen
Dialoge. Diese Dialoge aber werden ausgelegt auf dem Hintergrund der syste-
matischen Darstellung der Platonischen Lehre durch das Lehrbuch des Alcinous
(und die kleine Schrift des Apuleius De Piatone et eius dogmate).
Tatsächlich greift Brucker dann bei der Darstellung der drei Teile des Pla-
tonischen Systems (Dialectica, Physica und Ethica) immer wieder auf seine
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24 Michael Franz
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Der Neuplatonismus in den philosophiehistorischen Arbeiten 25
Hegel und Friedrich Hölderlin haben, wie wir wissen, im Wintersemester 1789/-
90 eine Vorlesung des Tübinger Historikers Christian Friedrich Rößler über die
Geschichte der Philosophie gehört. 25 Nach allem, was aus Rößlers vielen, vor
allem kirchenhistorischen Arbeiten hervorgeht, hat er sich in Fragen der Philo-
sophiegeschichte an seinen erklärten Lehrmeister Christoph Meiners in Göttin-
gen gehalten. Das wird bestätigt durch die amtliche Mitteilung, daß er in seinen
philosophiehistorischen Vorlesungen stets das einschlägige Lehrbuch von Mei-
ners zugrunde gelegt habe. 26 Das Meinerssche Compendium trug den Titel
Grundriß der Geschichte der Weltweisheit,27 Kurz zusammengefaßt, behandelt
es unter anderem auch das, was Meiners in einer recht detaillierten Unter-
suchung dargelegt hatte, die in den letzten beiden Jahrzehnten des 18. Jahr-
hunderts zu den meistzitierten Abhandlungen in Sachen Neuplatonismus gehör-
te: Beytrag zur Geschichte der Denkart der ersten Jahrhunderte nach Christi
Geburt, in einigen Betrachtungen über die Neu-Platonische Philosophie (1782).
Ich werde hauptsächlich aus dieser Abhandlung zitieren, weil sie die neuplatoni-
schen Fragen ausfuhrlicher behandelt; zudem ist es sehr wahrscheinlich, daß
diese Abhandlung von Meiners auch unter den Tübinger Stiftlern damals Stan-
dard-Lektüre war, was sich zumindest für Schelling belegen läßt. 28 Spuren ihrer
Lektüre glaube ich auch bei Hegel finden zu können.
Meiners nimmt die strenge Trennung zwischen einerseits Piaton samt sei-
nen .Nachfolgern' bis ins zweite nachchristliche Jahrhundert und andererseits
den Neuplatonikern des 3., 4. und 5. Jahrhunderts, die Trennung also, für die
Brucker gesorgt hatte, durchaus auf. Allerdings ist er Piaton gegenüber noch
wesentlich unfreundlicher als Brucker; und insofern rücken die Neuplatoniker
und Piaton bei ihm wieder etwas enger aneinander. Was die Neuplatoniker an
„Eigenthümlichkeiten und Besonderheiten" haben, betrifft nicht die „Lehren
25 Vgl. den Auszug aus den Vorlesungsverzeichnissen der Universität Tübingen, den
Friedhelm Nicolin veröffentlicht hat: Briefe von und an Hegel, Bd. IV, Tl. 1: Dokumen-
te und Materialien zur Biographie, hrsg. von F. Nicolin, Hamburg 1977, 24: „Winter-
semester 1789/90: Christianus Friedericus Roesler ...privatim fata et opiniones praeci-
puorum Philosophorum enarrabit." - Über Rößler vgl. M. Franz, Patristische Philoso-
phie in Tübingen um 1790. C. F. Rößler und seine Bewertung des Neuplatonismus, in:
Das antike Denken in der Philosophie Schellings, hrsg. von J. Jantzen, Stuttgart-Bad
Cannstatt (im Druck).
26 Vgl. I. C. Diez, Briefwechsel und Kantische Schriften. Wissensbegründung in der Glau-
benskrise Tübingen - Jena (1790-1792), hrsg. von D. Henrich unter Mitwirkung von
J. Weyenschops, Stuttgart 1997, 396, Anm. 71.
27 Vgl. C. Meiners, Grundriß der Geschichte der Weltweisheit, Lemgo 1776, 2. Aufl.
Lemgo 1789.
28 Dazu vgl. Franz, Schellings Tübinger Platon-Studien, 127-128.
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26 Michael Franz
vom höchsten Gott, und der Materie, von der Welt, und Weltseele und deren
Schöpfung", sagt Meiners, sondern ist in der Theurgie zu suchen, also in ihren
„Träumen über die verschiedenen Rangordnungen der Götter und Dämonen". 29
Die Unterschiede, die es zwischen Piaton und den Neuplatonikern gibt, beziehen
sich zwar auch auf die Theologie und Metaphysik, aber auf diesem Gebiet sind
die neuplatonischen Abweichungen gegenüber Piaton „von geringer Bedeu-
tung". 30
Die theologischen Lehrmeinungen der Neuplatoniker faßt Meiners dann so
zusammen: „Ueber die höchste Gottheit dachten sie [seil, die Neu-Platoniker]
eben so, wie Plato, und dessen Nachfolger; nur redeten sie von ihr noch dunkler,
als Plutarch, und andere ihrer Vorgänger gethan hatten, und bezeichneten sie mit
einer Menge von neuen gröstentheils unverständlichen Ausdrücken. Sie nannten
sie das Wirklichwirkliche, das Ueberwesentliche und Ueberverständliche, das
über alle Wesen, und allen Verstand Erhabene, den Gott aller Götter, das Heilige
im Heiligen, die Quelle der Göttlichkeit, die Wurzel alles dessen, was ist, die
Einheit aller Einheiten, die geheimer und unnennbarer, als alles Stillschweigen,
unaussprechlicher, als alles Daseyn, und unter den verständlichen Göttern in
unzugänglichen Höhen verborgen sey." 31
Als Quellen fur dieses theologische Potpourri gibt Meiners in der Fußnote
an: Plotinus, Enneaden III 8, 9; Proclus, Theologia Platonica (sechs Stellen aus
der 1618er Ausgabe von Aemilius Portus); und aus den Sententiae ad intelligibi-
lia ducentes des Porphyrius die Kapitel X und XXVII. Das ist in der Tat ein
kleines Compendium theologicum des Neuplatonismus, was Meiners hier zu-
sammenstellt. In der Folge geht er auf die .Schöpfungstheologie' ein, die er so
referiert: „Diese ursprüngliche Einheit habe ... alles Mögliche und Wirkliche,
alles Sichtbare und Unsichtbare in verschiedenen Absäzen, oder Ergießungen
oder Ausblizungen auf eine unbegreifliche Art aus sich selbst erzeugt. Aus der
Gottheit seyen nämlich die geistigen oder gedenkbaren (νοητοί) Götter, aus den
geistigen die verständlichen (νοεροί) (welche beyde sie nie genau bestimmt und
unterschieden haben,) aus den verständlichen Göttern die Seelen, und aus den
Seelen endlich die Körper hervorgegangen." 32
Für dieses vielfach gestufte System von Emanationen gibt Meiners dann
ausschließlich Proclus-Stellen an und merkt in einer Fußnote an, daß es „von
Plotin ungewiß [sei], ob er eine Schöpfung aus keinem vorhandenen Stoffe ge-
29 C. Meiners, Beytrag zur Geschichte der Denkart der ersten Jahrhunderte nach Christi
Geburt, in einigen Betrachtungen über die Neu-Platonische Philosophie, Leipzig 1782,
52.
30 Meiners, Beytrag zur Geschichte der Denkart der ersten Jahrhunderte, 53.
31 Meiners, Beytrag zur Geschichte der Denkart der ersten Jahrhunderte, 53.
32 Meiners, Beytrag zur Geschichte der Denkart der ersten Jahrhunderte, 54.
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Der Neuplatonismus in den philosophiehistorischen Arbeiten 27
glaubt habe"; insofern sei er Piaton näher geblieben als die späteren Neupiatoni-
ker. 33
Seinen Hauptkritikpunkt an der Lehre der „falschen Platoniker" des 3. und
4. Jahrhunderts faßt Meiners so zusammen: „Ein jeder machte neue Entdeckun-
gen in der Geisterwelt, und erweiterte das System von Vielgötterey, was seine
Väter, und Lehrer ihm überliefert hatten." 34 Im einzelnen lauten die Urteile:
„Plotin war der erste ... der die Götter in überweltliche, bloß gedenkbare, in der
höchsten Gottheit ruhende, und in Weltbewohnende Götter, oder solche, die
innerhalb der Welt seyen, eintheilte ... Seine beyden Schüler, Amelius und
Porphyr, machten kühne Fortgänge auf der Bahn, die er ihnen geöffnet hatte. Sie
behielten zwar seine Eintheilung in Ueberweltliche, und Weltbewohnende Göt-
ter bey; allein jener vervielfältigte die erstem, und redete nicht nur von drey
Demiurgen, sondern auch von drey göttlichen Verständern [sie], und eben so
vielen Königen, dieser hingegen vermehrte die Zahl der leztern, und theilte sie,
als eine große Gattung, in mehrere Arten, nämlich in himmlische, irrdische,
unterirrdische, endlich in Luft- und Wassergötter ab. Sein Nachfolger Jamblich
war erfindungsreicher an Götternamen, als alle seine Vorgänger gewesen waren.
Er redete von drey Triaden, gedenkbarer, und von vielen Dreyheiten und einer
Siebenheit verständlicher Götter." 35
Es ist wohl diese ,wundersame Vermehrung' des Götterpersonals, die nach
Meiners für die nachplotinische Philosophie typisch ist. Die Verachtung, die
Meiners gegenüber solcher Götter-Inflation verspürt, läßt ihn bisweilen zu dra-
stischen Formulierungen greifen: „Über die Wirkungen der bösen Dämonen hat
keine vor abergläubischem Schrecken verrückte alte Frau je ärger geraset, als
dieser sich selbst so ungleiche, und alle übrigen Platoniker an Gelehrsamkeit
sehr weit übertreffende Weltweise [seil. Porphyrius]." 36
Der Spott des aufgeklärten Göttingers machte sogleich Schule. Und zu den
Anhängern der neuen Einsichten über den neuplatonistischen Aberglauben ge-
hörte nicht nur der Tübinger Historiker Rößler, sondern auch der Stuttgarter
Altphilologe Friedrich Ferdinand Drück, Professor an der Karlsschule. Er hielt
am Geburtstag des Herzogs im Jahr 1786 eine vielbeachtete Rede mit dem Titel
Ueber die Aehnlichkeit der Verirrungen des menschlichen Verstandes in zwey
verschiedenen Zeitaltern. Gemeint sind die Verstandesverirrungen zu den Zeiten
des spätantiken Neuplatonismus und diejenigen des gegenwärtigen späten acht-
33 Meiners, Beytrag zur Geschichte der Denkart der ersten Jahrhunderte, 55, Anm. *.
34 Meiners, Beytrag zur Geschichte der Denkart der ersten Jahrhunderte, 60.
35 Meiners, Beytrag zur Geschichte der Denkart der ersten Jahrhunderte, 61 -63.
36 Meiners, Beytrag zur Geschichte der Denkart der ersten Jahrhunderte, 77-78. - Der
Topos der .abergläubischen alten Frau' ist freilich schon in der Antike klassisch: Vgl.
Cicero, De divinatione lib. 2, par. 129, und Ammianus Marcellinus, Rerum gestarum li-
bri qui supersunt, lib. 21, cap. 16, par. 18.
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28 Michael Franz
zehnten Jahrhunderts. Drücks These nimmt den schon von Meiners angedeute-
ten Vergleich auf und baut ihn aus: „Der alles wegwerfende Unglaube und der
alles annehmende Aberglaube unserer Zeit haben ihr ähnlichstes Gegenbild,
jener in dem epikureischen, dieser in dem neuplatonischen Systeme, in welche
beiden Systeme die Denker und Nachdenker des vierten Jahrhunderts sich
gleichsam getheilt hatten. Indem der Epikuräer über die Gottheit wenigstens
zweifelhaft lächelte, wenn er auch nicht, ganz sie zu läugnen, den Muth hatte: so
ließ der Neuplatoniste Tausende von Göttern gebohren werden."37
Hegel hat, da können wir gewiß sein, diese Rede Drücks nicht gehört, weil
er, wie er in seinem Tagebuch notiert, an diesem Tag im Gymnasium der Ge-
burtstagsrede des Professors Schmidlin beiwohnte. Drücks Rede hatte aber, wie
gesagt, nachhaltige Anerkennung gefunden, selbst noch in dem erstmals um
Gerechtigkeit für den Neuplatonismus bemühten Beitrag von Georg Gustav
Fülleborn;38 im gleichen Jahr notiert der junge Schelling sich den Titel der Rede
Drücks unter den wichtigsten Literaturangaben zu seinem Projekt „Geschichte
des Gnosticismus", nach Ralph Cudworth, Brucker und anderen einschlägigen
Titeln, unter denen sich auch Meiners' berühmte Abhandlung befindet.39
Es ist also sehr wahrscheinlich, daß Hegel nicht nur die Abhandlung von
Meiners, sondern auch die Rede Drücks gekannt hat; seine Kritik liegt jedenfalls
ganz auf der Linie Drücks. Insbesondere die Hegeische Sottise, die Neuplatoni-
ker hätten es darauf gelegt, von ihren frommen Investitionen ins Jenseits dann
auch wieder „durch Zaubereien einen Theil davon als Geschenk zurückzuerhal-
ten",40 ähnelt der ironischen Bemerkung Drücks: „Ein Jamblich, ein Maximus,
ein Apollonius, ein Alexander waren Leute, denen Götter und Geister noch gute
Worte geben mußten."41
Dennoch lassen sich die Positionen von Meiners und Drück auch wieder
etwas auseinanderrücken. Denn nach allem, was wir ansonsten von Meiners'
philosophischem Ansatzpunkt wissen, läßt sich sein Kritikpunkt klar erkennen
als Ausdruck der empiristischen Methode, mit Hilfe von Occams Rasiermesser
37 F. F. Drück, Rede über die Aehnlichkeit der Verirrungen des menschlichen Verstandes
in zwey verschiedenen Zeitaltern. An dem neun und fünfzigsten Geburtstage des Regie-
renden Herrn Herzogs zu Wirtemberg Durchlaucht in der Hohen Carlsschule gehalten
von Friedrich Ferdinand Drück, Professor der Geschichte, Stuttgart 1786, 12.
38 Vgl. G. G. Fülleborn, Neuplatonische Philosophie, in: ders., Beyträge zur Geschichte
der Philosophie, Drittes Stück, Züllichau, Freystadt 1793, 70-85, bes. 81.
39 Vgl. F. W. J. Schelling, Studienheft 28, in: ders., Berliner Teilnachlaß. Archiv der Ber-
lin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Berlin, LXXXX verso.
40 G. W. F. Hegel, Unterschied zwischen Griechischer Phantasie- und christlicher positi-
ver Religion, in: ders., Gesammelte Werke, im Auftrag der Deutschen Forschungsge-
meinschaft hrsg. von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften,
Bd. 1, hrsg. von F. Nicolin, G. Schüler, Hamburg 1989, 372.
41 Drück, Rede über die Aehnlichkeit der Verirrungen des menschlichen Verstandes, 13.
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Der Neuplatonismus in den philosophiehistorischen Arbeiten 29
Piatons Bart zu stutzen. Beim Stuttgarter Drück stehen vielleicht eher religiös-
theologische Motive dahinter. Zumindest läßt sich sein Spott über die Theurgen,
denen „Götter und Geister noch gute Worte geben mußten", auch als anti-
pelagianische Spitze verstehen, die gut in das Milieu des orthodox-lutherischen
Stuttgart passen würde.
Die erste Arbeit, die vorsichtig am Neuplatonismus gute Seiten entdecken will,
stammt aus der Feder des allzu früh verstorbenen Georg Gustav Fülleborn. In
seine Beyträge zur Geschichte der Philosophie, eine Zeitschrift, in der ansonsten
auch Karl Leonhard Reinhold, Friedrich Immanuel Niethammer, Friedrich Karl
Forberg, Friedrich August Carus und später Christian Garve mitgearbeitet ha-
ben, hat er 1793 einen Aufsatz eingerückt mit dem schlichten Titel „Neuplatoni-
sche Philosophie". Er beginnt mit einer gewissermaßen pflichtgemäßen Zusam-
menfassung aller negativen Stereotypen, die über den Neuplatonismus im Um-
lauf sind. .Schwärmerei' ist dabei noch das mindeste, was den Neuplatonikern
vorzuwerfen ist. Freilich ist „die Neigung zu schwärmen" nach Fülleborn so
etwas wie der „schwarze Punct", den „zwar nicht alle, aber doch die meisten
Menschen ... in ihrem Kopfe mit sich herumtragen".42 Aus diesem Grund, so
gesteht der Autor, sei er oft „dem Unsinne und den Abentheuerlichkeiten dieser
Träumer beynah untergelegen".43 Nach diesen Erfahrungen sieht sich der Autor
nun in der Lage, „einen neuplatonischen Traum nieder[zu]schreiben".44 Hier
wird nun etwas angewandt, was man Einfühlungsvermögen, Empathie, nennen
könnte. Und so ist es erstaunlich, wie Fülleborn sich in dem folgenden Textab-
schnitt tatsächlich der ersten Person bedient, um den ersonnenen Traum zu schil-
dern.
„Mein Geist erhebt sich zuerst zu dem Wesen, das über alle Wesen ist, zum
Urheber alles Seyns. Zwar will mein Denken vor diesem Unendlichen zu Grun-
de gehen, aber ich wag es doch in seine Tiefen zu schauen. Da seh ich dann, wie
mit verklärtem Auge, den Inbegriff alles Wirklichen und Möglichen, aus wel-
chem das göttliche Verstandeswesen und die Seele der Gottheit entspringt: eine
heilige Dreyheit, die sich in dem Mittelpuncte einer unendlichen Lichtquelle
vereint. Er der Unendliche, der immer war, machte sein eignes Wesen, und ließ
es ausgehen aus sich, denn er bedurfte es nicht für sich, weil er war, ehe das
Wesen wurde. Aus sich, durch sich und in sich, ewig und allgenugsam: aus ihm,
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30 Michael Franz
durch ihn und von ihm alles was ist, wie die Lichtstrahlen von der Sonne. Es ist
nichts geworden, was ist, es ist ausgegangen aus dem Ewigen von Ewigkeit. Als
er das Untheilbare mit dem Theilbaren, das Unwandelbare mit dem Veränderli-
chen harmonisch vereinigte, da flöß der Weltgeist aus ihm, und wurde der Füh-
rer des All, mit dem das unaufhörliche Leben begann." 45
In dieser Art fährt die Beschreibung der Emanationen aus dem Göttlichen
fort, über sieben Oktavseiten lang in fast liturgisch anmutenden Worten. Für
unsere Zwecke hier genügt der zitierte Abschnitt. Ich finde daran in der Haupt-
sache bemerkenswert die Einkleidung der neuplatonischen Ontotheologie in ein
subjektives Erlebnis bzw. in einen Prozeß von Subjektivität. Das ist neu in der
Darstellung des Neuplatonismus. Aber wie ist es zu interpretieren?
Zunächst einmal scheint mir diese neue Darstellungsweise eine direkte
Identifikation des Lesers mit dem geschilderten Erlebnis zu ermöglichen. Die
neuplatonische Lehre wird als Perspektive präsentiert, die von jedem Leser
(oder fast jedem) eingenommen werden kann. Dadurch wird sie aus dem un-
übersichtlichen und - in den Augen des 18. Jahrhunderts - absurden Durchein-
ander der synkretistischen Religion der Spätantike befreit zu einer nachvollzieh-
baren Gedankenbewegung. Insofern eröffnet diese .Subjektivierung' der neupla-
tonischen Lehre einen neuen Zugang auch zu ihren Inhalten.
Darüber hinaus halte ich es für nicht ganz ausgeschlossen, daß diese ,sub-
jektivierte' Aufbereitung der neuplatonischen Theologumena nicht nur didak-
tisch-darstellende Funktion hat, sondern sich auch aus einer - nirgendwo ausge-
sprochenen, aber überall angebahnten - Einsicht in die Tatsache verdanken
könnte, daß auch die νοΰς-Lehre des Plotin sich verstehen läßt als ,Theorie des
Geistes' im Sinne einer absoluten Metaphysik der Subjektivität. Freilich fehlen
mir für eine solche immerhin schwerwiegende Einsicht bei Fülleborn die deutli-
chen Belege. Vielleicht lassen sie sich noch außerhalb des hier einzig herange-
zogenen Aufsatzes finden; immerhin hat Fülleborn ein paar Jahre später noch
einen langen Aufsatz „Ueber einige seltne Schriften des Jordano Bruno" 46 ge-
schrieben, der sichtlich anknüpfen möchte an das durch Friedrich Heinrich Ja-
cobi erweckte Interesse an diesem neuzeitlichen Platoniker. Dennoch ist hier
kaum mehr als ein unverhohlenes Interesse an einem Kuriosum zu spüren.
Zurück zu Fülleborns neuplatonischem Traum! In gewisser Weise ist die
,subjektivierte' Darstellungsform natürlich direkt dem Sprachspiel der ,Traum-
erzählung' geschuldet. Erzählte Träume beginnen mit: ,Mir hat geträumt ...'
oder eben auch ,Mein Geist erhebt sich zu ...' Das heißt aber doch wohl, daß die
Darstellungsform ,Traumerzählung' schlechterdings nicht von ihrem ,subjekti-
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Der Neuplatonismus in den philosophiehistorischen Arbeiten 31
ven' Charakter entkleidet werden kann. Insofern hat schon die Wahl dieser Dar-
stellungsform das, was darzustellen war, auch inhaltlich geprägt. Allein schon
durch die Idee einer solchen Traumerzählung wird das neuplatonische Gedan-
kengeflige auf seine ,subjektive' Seite hin interpretiert. In einer Zeit, die gerade
dabei ist zu entdecken, daß alles, was objektiv genannt zu werden verdient, nicht
anders als auf subjektive Weise zustande kommt, erhält der bislang flir .über-
holt' betrachtete Neuplatonismus gewissermaßen eine ,neue Chance'.
Fülleborns eigene Deutung des dargestellten Traums scheint diese Interpre-
tation zu bestätigen. Denn er fährt fort: „So weit der Traum. Und nun kann man
fragen, ob Ideen, wie diese ... nicht den schnellsten und allgemeinsten Eingang
finden mußten, den man sich denken kann. Da ist Beschäftigung der üppigsten
Phantasieloser Genuß für das Herz, überall Wärme und Leben.iA1
Nun sind die Ideen der Neuplatoniker also nicht mehr wegen ihres
,,Hang[es] zu abstrakten Spekulationen" zu tadeln, wie noch gleichzeitig Tiede-
mann geschrieben hatte, 48 nun sind sie also auf der Seite jener Instanz ange-
kommen, die dem ausgehenden Jahrhundert als das Residuum des Wahren, Gu-
ten und Schönen erschien: das Herz. Indem Fülleborn die neuplatonischen Ideen
als „Genuß für das Herz" bezeichnet, ebnet er ihnen auf eine Weise den Weg,
den eine intrikate Analyse Plotinischer Texte vielleicht nicht hätte zustande
bringen können. Denn Irrtümer, die das Herz begeht, sind im Zeitalter der auf-
geklärten Empfindsamkeit auf jeden Fall verzeihlich, ja sie sind erträglicher als
die herzlosen Richtigkeiten des ,Verstandes'. Doch ganz so weit möchte Fülle-
born nicht gehen. Das ultimative Ziel ist natürlich auch ihm die Versöhnung
zwischen Herz und Verstand, und so schließt sein Aufsatz mit der Bemerkung,
„daß folglich die beste Philosophie diejenige seyn müsse, welche Verstand und
Herz auf gleiche Weise beschäftigt, ohne einem von beyden das Uebergewicht
,, 49
zu gestatten .
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ANGELICA NUZZO
In the tradition of metaphysics with which Immanuel Kant comes to terms early
on in his philosophical career, to address issues concerning the body as res ex-
tensa means to confront the intricate question of its separation from and interac-
tion (commercium) with the soul or the mind. In his doctrine of the critical pe-
riod, Kant completely revolutionizes the terms of this traditional question so
much so that it is hard to relocate it within his philosophy or even to articulate
its .successor' in the new critical framework. This explains why historical dis-
cussions of the mind-body problem usually ending with modern philosophy only
rarely extend to Kant. 1 The point at issue, however, already seriously occupies
Kant in the pre-critical period. Early on, he actively participates in the heated
debate between Leibnizians and Wolffians regarding the issue of the soul-body
relation. He takes a position in favor of the influxus physicus, which tries to
explain the possibility of a reciprocal influence between soul and body against
the doctrine of the pre-established harmony, denying the possibility of a recipro-
cal action between soul and body and resorting instead to God's arrangement. It
is in these early years that Kant's confrontation with metaphysics takes the turn
that leads him to rethink the relation between mind and body from a thoroughly
new perspective. Even though the immediate historical reference of Kant's early
discussion of the problem seems to be provided by the modern dualism of Carte-
sian origin, its ancient Platonic root is also present in interesting ways.
To ask what is the modification that the problem of the separation between
mind or soul and body receives in Kant's philosophy means to identify both the
modern and the Platonic heritage of his thought. In the present essay, I will con-
centrate on the analysis of a particular aspect of Kant's relation to Plato. My aim
is to identify in Kant's notion of ,idea' the point of intersection between the
Platonic tradition and the mind-body problem which Kant found crystallized in
the metaphysical discipline of rational psychology. I will focus on Kant's crucial
distinction between sensibility and understanding/reason and indicate in its ar-
ticulation the different moments of Kant's confrontation with the problem at
hand. I will show how the reference to Plato's notion of ,idea' becomes crucial
1 See H. Robinson, Kant on Embodiment, in: Minds, Ideas, and Objects. Essays on the
Theory of Representation in Modern Philosophy, ed. by P. D. Cummins, G. Zoeller,
Atascadero 1992, 329-340, 329.
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34 Angelica Nuzzo
for Kant's separation between theoretical and practical cognition - for his rejec-
tion of the metaphysical notion of the soul and his transformation of it into a
necessary idea of reason. Endorsing the Cartesian - but already Platonic - dual-
ism between body and soul, Kant rejects the scholastic tradition of rational psy-
chology as well as Platonism in the theory of knowledge. This gesture allows
him both to salvage the Platonic significance of ideas in the practical sphere and
to articulate the notion of metaphysics in opposition to the realm of experience.
Ultimately, in Kant's philosophy, the mind-body separation is articulated in the
light of the separation between metaphysics and experience.
I. The Problem of Space: Soul, Body and the Nature of Human Sensibility
Kant's early reflection on the nature of space is central for his turn to critical
philosophy and for his transcendental idealism. This reflection leads him to re-
lease space from its metaphysical connection to the soul and to establish a nec-
essary link between space and embodiment testifying to a deeper interest in the
nature of experience. This complex shift is responsible for the radical transfor-
mation of the traditional mind-body problem within the framework of critical
philosophy. Space is the form of outer sense and the condition of the possibility
of our relating to an outside world. Early on in the development of his philoso-
phy, Kant suggests that we experience this character of space in the special role
that our own body plays in the cognitive process. The transcendental ideality of
space is incarnated in our body via the difference between our left and right
hand. If the body is transcendentally transfigured by the notion of space as form
of the outer sense, we have then to ask what, for Kant, fills the place that the
soul occupies in the traditional mind-body problem. What is the relation be-
tween outer and inner sense? How does the embodied subject gain its proper in-
ner dimension, and what constitutes this inner dimension?
In the 1768 essay On the Ultimate Ground of the Differentiation of Regions
in Space, Kant sets out to prove two claims that he will maintain throughout his
philosophical career. Space is independent of both sensation and the composi-
tion of matter and is the ultimate condition of all outer sensation and composi-
tion of matter. Thus, 1. space makes all sensation possible, and 2. it makes the
order and composition of matter possible. This is evident, Kant contends, in the
case of those objects that show the property of being ,incongruent counterparts'
- and in this case alone. For space is the condition of the incongruence of those
objects. Incongruent counterparts are those objects or geometrical figures that
are utterly identical in their physical shape, position and dimensions as well as in
the relations of their parts and yet cannot be put one in the place of the other
through a rigid motion, that is, they cannot be enclosed by one and the same
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Soul and Body 35
surface. 2 The glove that fits the right hand cannot fit the left hand. 3 As the left
and right hand, all incongruent counterparts are mirror-image reflections of each
other. This peculiar feature reveals something crucial about the structure of
space, namely, its independence of both sensation and the reciprocal relations of
the parts of matter. We cannot become aware of the essential property that
makes two objects into incongruent counterparts (or that makes one object be
specifically either a left or a right hand) unless we refer them immediately to the
asymmetry that we find in our own body.
In this work, the Newtonian issue concerning the reality of absolute space
revolves around the question of what kind of reality Kant is claiming for space
at this time. It can be neither God's absolutely necessary reality nor the reality of
spirits or souls - which allegedly exist separate from all matter - nor the reality
of matter itself, which rather presupposes space. Only geometrical figures along
with the data furnished by experience seem to provide Kant with a reliable no-
tion of reality. However, at the end of the essay, Kant arrives at the important
conclusion that space does not coincide analytically with the reality of geometri-
cal figures. Absolute space is not identical with the real space of experience. 4
Logically, and supposedly also ontologically, space belongs to a higher order
than that of geometrical figures. Elaborating on the gap between absolute space
and geometrical figures, the essay shows in what sense space has reality in rela-
tion to our sensibility: in a dimension that is certainly not absolute, but always
and necessarily embodied. Kant discusses not only our physical, bodily experi-
ence of incongruence, namely, of the intuitive difference of orientation between
two otherwise identical objects. In addition, he makes use of the geometrical
procedure of construction of a human hand once its incongruent counterpart is
given. Geometrical construction shows the „possibility" 5 of the incongruent
counterparts by providing their genetic definition. Besides the reality of incon-
2 Cf. I. Kant, Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Räume, in: id.,
Gesammelte Schriften, hrsg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissen-
schaften, Bd. 2, Berlin 2 1912, 382. See also I. Kant, De mundi sensibilis atque intelligi-
bilis forma et principiis. Dissertatio pro loco, ibid., § 15; 402-403. Technically, and
very generally, we meet incongruence when we deal with systems of relations among
objects or parts of objects in a three-dimensionally oriented Euclidean space. Incongru-
ent counterparts are objects which, being identical in size, dimension, proportion and
relative position of their parts differ in being mirror-image reflections of each other.
3 See I. Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft
wird auftreten können, in: Gesammelte Schriften, Bd. 4, Berlin 1911, § 13L; 286.
4 K. Marc-Wogau, Untersuchungen zur Raumlehre Kants, Lund 1932, 83-99, claims that
two conflicting ideas are at play in Kant's early writing, namely the Wolffian notion of
space as a consequence of the relations of substances and the Newtonian notion of space
as overall original dimension within which alone these relations can be manifested.
5 Kant, Von dem ersten Grunde des Unterschiedes, 382.
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36 Angelica Nuzzo
6 I have gained crucial insight regarding the relation between W o l f f s psychology and the
idea of space from K. Reich, Kants Behandlung des Raumbegriffs in den „Träume eines
Geistersehers" und im „Unterschied der Gegenden im Raum", in: I. Kant, Träume eines
Geistersehers, hrsg. von K. Reich, Hamburg 1975, V-XVII. - An excellent exposition
of the Dreams can be found in S. Shell, The Embodiment of Reason, Chicago 1996,
106-132. See also M. Heinz, Herder's Review of Dreams of a Spirit-Seer (1766), in:
New Essays on the Precritical Kant, ed. by T. Rockmore, Amherst/N. Y. 2001, 110-
128.
7 See Reich, Kants Behandlung des Raumbegriffs, V-XVII, and A. Laywine, Kant's
Early Metaphysics and the Origins of the Critical Philosophy, Ridgeview 1993, 11-24.
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Soul and Body 37
reached in 1768: The failure to prove the metaphysical reality of the soul leads
to the emergence of the (quasi-) transcendental reality of the body.
At the end of the Dreams, Kant argues that the pneumatic thesis of the exis-
tence of the soul independent of the body is a thesis of impossible solution. For,
no data from experience will ever be able to support such a thesis. Experience is
possible only in and through the body, and what pneumatology claims, is pre-
cisely the possibility of an existence which is independent of bodily conditions.
In this case, the relevant data „are to be found in a world other than the one" in
which we exist as embodied, sentient and conscious beings: In other words, the
data, even assuming that there are any, are thoroughly inaccessible to us. 8 It
follows that the existence of the soul without the body will never be more than a
dream or a fiction of the brain. Moreover, the thesis in question cannot claim the
status that hypotheses have in natural science. For, in science, the ,possibility"
of hypotheses „must at all times be capable of proof'. 9 Without the support of
experience, however, merely „rational grounds" can confirm neither the possi-
bility nor the impossibility of the given hypothesis, and hence these grounds can
provide neither proof nor refutation. 10 Thus, lacking both the evidence of em-
pirical data and the means to show its very possibility, the thesis of pneumatol-
ogy must be discarded.
In his letter to Mendelssohn of 8 April 1766, Kant formulates the central is-
sue addressed in the Dreams as the problem posed by the embodiment of con-
sciousness. Kant reveals his disappointment with the way metaphysics attempts
to solve the problem: „In my opinion", he explains to Mendelssohn, „everything
hinges upon this point: to find the data for the problem: How is the soul present
in the world?" - how is it present both „in material nature and in other entities
closer to its own kind?"n How can we know the presence of the soul in the
„Weltraum"? The metaphysical problem of the soul is that of its action in the
world of space, time, bodies and matter. The soul is, from the very outset, pro-
jected into an external world. In this claim, Kant follows the Wolffian tradition
that closely - and problematically - links the nature of the soul to the definition
of space. Accordingly, what needs to be found is the „force of external efficacy
and receptivity to being affected from without in such a substance", namely, the
soul, „whose unification with the human body is only a particular kind"; but no
8 I. Kant, Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik, in: Ge-
sammelte Schriften, Bd. 2, 368.
9 Kant, Träume eines Geistersehers, 371 (my emphasis); id., Kritik der reinen Vernunft,
2. Aufl., in: Gesammelte Schriften, Bd. 3, Berlin 1911, B800; 1. Aufl., ebd., Bd. 4,
A772.
10 Kant, Träume eines Geistersehers, 370-371.
11 I. Kant, Letter to Μ. Mendelssohn of 8 April 1766, in: Gesammelte Schriften, Bd. 10,
Berlin, Leipzig 1922, 71.
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38 Angelica Nuzzo
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Soul and Body 39
tion is inscribed, from the very outset, in the concept of the soul.17 Space is what
supports the determination of the soul as a force that has external efficacy, while
precisely through this external efficacy the soul establishes a relation to other
substances. While Leibniz denies that space is a determination of substance, for
Wolff there is no contradiction in claiming that the soul, although immaterial, is
in space. His definition of space is predicated upon the issue of the reciprocal
relation of substances and, in particular, upon the problem of the body-soul rela-
tion: „spatium enim resultat ex possibilitate coexistendi."18 Space is the field of
reciprocal action of substances; it is the order of coexistence.
In the Dreams, Kant rejects the metaphysical doctrine of the influxus
physicus between the body and the soul. In order to show the illusory character
of this metaphysical speculation, he employs Wolffs own concept of space.
Thereby, he exposes the flawed nature of the link between the abstract notion of
space as the sphere of the coexistence and reciprocal action of substances on one
hand and on the other the definition of the soul as a fundamental force that has
external efficacy. Kant's starting point is an attempt to understand what is meant
by the obscure notion of .spirit'. The crucial issue is whether spirit is a mere
„fiction of the brain or something real".19 Matter is what fills up space and has
the property of impenetrability. To define spirit as a simple substance endowed
with reason is not enough to differentiate it from matter, since a simple being
which has the inner property of reason may still outwardly act like matter. The
only way to preserve the notion of spirit is to define it as something that is pre-
sent in space without filling it up, hence without displaying the properties of im-
penetrability and solidity characteristic of matter. Spirits are therefore „rational
beings who can be present even in a space filled with matter, thus beings who do
not possess the quality of impenetrability, and who never constitute a solid
whole, no matter how many you unite".20 Can this concept of spirit, asks Kant,
lead to the claim that spirits are real or even only possible? Whereas the concept
of matter's impenetrability and solidity is an empirical concept, the idea of
something that has efficacy in space and yet does not fill space is not an empiri-
cal concept. Spirit, thus defined, is something that cannot present itself to the
senses, that is, cannot be experienced and hence cannot be conceived as real. On
the contrary, it is a notion that brings with itself a certain „unthinkability".21
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40 Angelica Nuzzo
To be sure, both the possibility and the impossibility of such a being is un-
thinkable. 22 And yet assuming with Wolff that space is the field of reciprocal
action and coexistence of substances, and assuming that a purely spiritual sub-
stance is one that outwardly acts upon a material body (or another spiritual sub-
stance), the notion of its immediate presence in space can very well be con-
ceived of, since, given that definition of space, nothing contradicts this conclu-
sion, even though such a notion cannot be known in concreto. Spirits „take up"
space by being immediately active in it, even without filling it, that is, without
offering resistance. 23 Yet the lack of contradiction is still not enough to prove
the reality of the assumed spiritual substance. In other words, W o l f f s meta-
physical notion of space opens up the realm of the empty speculations of ra-
tional psychology by providing an illusory reality which is only the consequence
of the assumed - abstract and ambiguous - definition of space. W o l f f s concept
of space grounds the a priori possibility of something that, according to Kant's
principle of the „limits of human reason" based upon experience, cannot be
claimed as a priori possible. 24 The metaphysical ploy is evident: Space, defined
as a merely metaphysical entity with no regard for our sensibility, is used to
support the plausibility of the notion of spirit because it ambiguously carries
with itself the reference to the reality (efficacy) ofthat which exists in space.
The Dreams is construed as a reductio ad absurdum of W o l f f s rational
psychology on the ground of the assumption of W o l f f s own concept of space.
The absurd conclusion of the metaphysical argument leads Kant to reject the
doctrine of the soul and, at the same time, to seek a new foundation for his the-
ory of space. Space is no longer related to the presence of the soul in the world,
but instead to the presence of our body in the world. Space is connected to hu-
man sensibility and bodily awareness. From 1768 on, space is, for Kant, the
transcendental dimension of an embodied consciousness, while the cognitive
access to the reality of the soul, which characterized rational psychology, is de-
nied.
In the 1770 Dissertatio, Kant mentions Plato's name for the first time. 25 The
reference to Plato gives the theoretical background for Kant's introduction of the
term ,idea' and for his own use of it. What Plato used to call ,idea' - observes
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Soul and Body 41
26 See the Refutation of Idealism in Kant, Kritik der reinen Vernunft, B274-279.
27 Cf. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B277-278; B399-400/A341 -342.
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42 Angelica Nuzzo
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Soul and Body 43
One could be tempted to locate the first reference to Plato already in the title of
Kant's Dissertatio\ De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis,
for this title seems to point to a metaphysical opposition between two orders of
reality that are clearly of Platonic derivation. However, this same separation
between intelligible reality and the realm of sensible experience can be found in
a tradition well-known to Kant and closer to him. 30 Alexander Baumgarten, for
example, in Metaphysica § 869 writes: „Insofar as the world is sensibly repre-
sented, it is the sensible world ..., insofar as it is known in a distinct way, it is
the intelligible world." 31 The world is twofold according to the type of knowl-
edge or representation that we have of it: What makes the difference is whether
the world is the object of a sensible representation or the object of a clear and
distinct cognition. In the Dissertatio, referring to this way of presenting the
question, Kant criticizes the traditional argument for what is called respectively
,sensible' and .intellectual' in our cognition of the world. The notion o f , i d e a ' is
placed precisely in the space dividing these two types of knowledge. The idea
does not function as their mediation, but as the sign of the impossibility of all
mediation.
In the Dreams, Kant uses the term ,mundus intelligibilis' to describe the
„immaterial world" 32 constituted by the totality of all immaterial, that is, spiri-
tual substances and their mutual relations. Kant's problem is that of the founda-
tion of this immaterial or intelligible world as a „totality that subsists for itself
and whose parts are in reciprocal connection with each other and subsist to-
gether even without the mediation of material things". 33 Relevant in his use of
the expression ,mundus intelligibilis' is the modality according to which the
totality of the world is constituted in the realm of immaterial substances. That
the issue raised by the concept of mundus is the logical and metaphysical prob-
lem of the notion of .totality' as ,totum' is a basic statement of traditional meta-
physics. Kant's significant transformation of the problem consists, as it were, in
its reformulation or reconstruction in terms of human knowledge.
If the expression that figures in the title of Kant's Dissertatio cannot be
viewed as entailing a specifically Platonic reference, the discussion of the dis-
tinction between .sensible' and .intelligible' leads him to recuperate an explic-
itly Greek and Platonic terminology: that of phaenomena and noumena. On the
basis of these concepts first introduced in Sect. II § 3, Kant frames retrospec-
tively the problem of the sensible and the intelligible worlds. According to Kant,
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44 Angelica Nuzzo
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Soul and Body 45
tween matter and form - already at play at the very beginning of the Dissertatio
- Kant's analysis of the two types of cognition aims at specifying the nature of
their representational character. What is represented, in both cases, is not the
object as such (the way in which it is or the way in which it appears), but the
relation between the object and the mind on the basis of the activity or passivity
of the mind itself. Thus, Kant contends that in sensible knowledge the ,/orm of
the representation ... is not properly an outline or schema of the object, but only
a certain law inborn in the mind".40 With this suggestion, he sets up the episte-
mological position of the Dissertatio against all types of idealism in the theory
of knowledge.
Moreover, if phenomena are not „outlines" of things, they are said to be
„rerum species, non Ideae".41 Thereby, Kant places them between two extremes:
between the position that views them as representations of the external contour
of the object (schema or adumbratio) and the position that makes them the ex-
pression of the internal and absolute essence of things (idea). And yet, in rela-
tion to this second point, and against both idealism and skepticism, Kant con-
tends that phenomena do provide „cognitio verissima"42 - a perfectly genuine
and true knowledge - as they still bear witness to the presence of the object.
Kant is setting up his concept of phenomena both against the empiricist theory
of representation (such as Locke's notion of ,idea' and Hume's skeptical radi-
calization), and Plato's idea as model and exemplar of something. The latter is a
meaning that Kant saves for employment in the realm of noumena. In his view,
what both positions eventually deny is the true validity - or the objective reality
- of the phenomena.
But how can phenomena be said to fulfill this true cognitive function if
they are neither immediate representations of things nor their original idea or
model? Because of the formal aspect of sensible cognition, phenomena are said
to be „rerum species". It is in relation to this element of „species" or form that
Kant declares a priori knowledge possible: „In order that the various representa-
tions of objects which affect the senses coalesce into some whole of representa-
tion, there is required an internal principle of the mind through which these
various representations may take on a certain configuration (species) according
to stable and innate laws."43 The form of the sensible world, the form that first
institutes the whole of a manifold of representations of things considered as
phenomena, is the twofold subjective condition of space and time.
This concept of phenomenon allows Kant to raise a crucial argument
against Leibniz. He claims that sensible and intellectual cognition represent two
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46 Angelica Nuzzo
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Soul and Body 47
therefore cannot be a thing in itself, which requires, on each occasion, its com-
plete conditions." 46 In the theory of the Dissertatio, the distinction between real
and logical use of the intellect becomes crucial in order to understand how the
intellect thinks and knows in metaphysics, and what type of difference separates
sensible and intelligible. It is precisely in taking this further step that the refer-
ence to Plato's ideas becomes important for Kant.
With regard to the real use of the intellect, we need to ask: what does it
mean for concepts to be given by the very nature of the intellect? 47 These con-
cepts are purely intellectual - are „Ideae purae" 48 - in the sense that their origin
is in the pure nature of the intellect. They are neither abstracted from the activity
of the senses (they are .ideas') nor do they entail any form of sensible knowl-
edge (they are ,pure'). „An intellectual concept is not abstracted from the sensi-
tive, but abstracts from all that is sensitive." 49 If the concepts in question cannot
be said in any way to have empirical origin, they are nevertheless not simply
innate notions.50 Kant contends that since they are produced by an activity of the
intellect and arise from its laws on the occasion given by experience, they
should be called „acquired" concepts.51 As examples of these notions, Kant
mentions the modal categories as well as the categories of relation.
Kant provides another important example of what these „pure ideas" may
be. He claims that „moral concepts are known not by experience, but by the pure
intellect itself'. 52 Here, for the very first time, Kant declares moral concepts to
be utterly a priori concepts. Thus, in the Dissertatio, Kant associates the use of
the intellect in metaphysics with two very different types of concepts, both op-
posed to sensibility: the categories of the understanding and the ideas of reason,
to use the later terminology of the Critique. In 1770, not yet having a clearly
formulated theory of the two independent faculties of understanding and reason,
Kant seems to reach a decisive argument for the difference between conceptus
and idea only with Plato's help.
Kant defines metaphysics as that „part of philosophy that contains the first
principles" 53 of the real use of the intellect. According to the twofold partition of
the objects of metaphysics that Kant already presented in the Dreams,54 the
46 I. Kant, Reflexion 6051, in: Gesammelte Schriften, Bd. 18, Berlin, Leipzig 1928, 438.
47 Cf. Kant, Dissertatio, § 6; 394.
48 Kant, Dissertatio, § 6; 394.
49 Kant, Dissertatio, § 6; 394 (my emphasis).
50 Cf. G. Zöller, From Innate to A Priori. Kant's Radical Transformation of a Cartesian-
Leibnizian Legacy, in: The Monist 72 (1989), 222-235.
51 Kant, Dissertatio, § 8; 395.
52 Kant, Dissertatio, § 7; 395.
53 Kant, Dissertatio, § 8; 395.
54 Cf. Kant, Träume eines Geistersehers, 367-368.
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48 Angelica Nuzzo
„pure ideas" that the intellect generates in its real use have, in turn, a twofold
function. The first one is a negative and critical function, and is meant to keep
sensible concepts from being applied to noumena. This function is fulfilled by
the propaedeutica to metaphysics grounding the difference between phenomena
and noumena, sensible and intelligible cognition, thereby deriving the principles
of the true method of metaphysics. The second function is a dogmatic one: In it
„the general principles of the pure intellect ... issue in some exemplar conceiv-
able only by the pure intellect, and in a common measure of all other things with
regard to reality."55 Metaphysics, and explicitly ontology and rational psychol-
ogy, is the science that makes such a dogmatic use of the principles of the pure
intellect. According to this use, such principles are meant to institute the positive
„exemplar" and „common measure" not only for the intelligible nature of things,
but also for their reality. These principles are ideas.
Kant sets up this complex definition of metaphysics and its aims against
two philosophical traditions. On one hand, he attacks W o l f f s speculative meta-
physics held responsible for bringing great detriment to the development of
philosophy by destroying „the noble enterprise of the ancients", that is, pre-
cisely, the determination of the true „nature of phenomena and noumena". 56
According to Wolff, the distinction between phenomena and noumena - a dis-
tinction first established by Plato and now taken up again with full historical
consciousness by Kant - is only a logical one. On the other hand, Kant criticizes
the empiricist ethics of Epicurus and Shaftesbury as being unable to recognize
the a priori character of moral concepts and confusing moral ideas with moral
sentiments, thereby rendering impossible what for Kant is already the idea of a
metaphysics of morals. 57 „Moral philosophy, so far as it supplies the first princi-
ples of moral judgment, is known only through the pure intellect and belongs to
pure philosophy. Epicurus, who reduced the criteria of morals to the feeling of
pleasure or displeasure, is therefore rightly condemned, along with certain mod-
erns who, like Shaftesbury and his school, follow him in a much less thorough
manner". 58 This twofold polemic corresponds to Kant's need to develop a new
metaphysics: both a theoretical and a practical one.
In opposing both Wolff and Shaftesbury, Kant brings the distinction be-
tween phenomena and noumena back to Plato's notion of ,idea'. 59 We have seen
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Soul and Body 49
how in describing the dogmatic use of the pure concepts of the intellect Kant
refers them to the notion of an „exemplar" valid as the „common measure" of all
things in relation to their reality. In this way, Kant reaches the concept of
„perfectio noumenon" 60 through which he clarifies the different functions of
ideas in metaphysics. The idea is not a copy (Abbild) but rather a model (Urbild)
of the reality of things. This is true both in the theoretical sense, according to
which we attend only to what pertains to the existence of things or to how things
are in their constitution, and in the practical sense, according to which we con-
sider what ought to belong to things „through freedom" 61 - or how things ought
to be. Accordingly, perfectio noumenon itself gives rise to two further concepts:
to the idea of God as the highest being and to the idea of moral perfection. Per-
fection leads to the idea of a „maximum": „In every kind of thing in which
quantity is variable", the maximum provides, ontologically, the „common meas-
ure" of things, and, epistemologically, the principle of their cognition. 62
At this point, Kant inserts his reference to Plato's ideas: „Maximum perfec-
tionis vocatur nunc temporis ideale, Piatoni idea (quemadmodum ipsius idea rei-
publicae)." In the contemporary Reflexion 4446, Kant observes: „Plato rightly
provides the origin of the concepts of perfection. But not that of the notions [no-
tionum]." 64 The idea functions as a principle for all objects that are contained in
the general concept of a certain perfection „insofar as lesser degrees are sup-
posed not to be determinable save by limiting the maximum",65 As he will show
in the first Critique with regard to the ideal of pure reason, the notion of ,idea'
leads to a totality whose parts do not precede the whole, but can only be gener-
ated through immanent „limitation" of the whole. 66 The ideal is the idea not only
in concreto, but in individuo, expressing the nature of the whole as completely
determined individuality. 67 This structure clearly suggests that for Kant the logic
of the notions of ,idea' and ,ideal' is the logic of intuition. The idea presents the
same rational structure that characterizes space as a pure form of intuition.
Ideas display the logical structure of intuition and yet, since no intuition in
space and time is available for them, they remain necessarily disembodied.
Kant's project of radically breaking with the traditional continuity of the hierar-
Hegel, in: Das Recht der Vernunft, hrsg. von P. König, C. Fricke, Th. Petersen, Stuttgart
1995,81-120.
60 Kant, Dissertatio, § 9; 396.
61 Kant, Dissertatio, § 9; 396, Fn.
62 Kant, Dissertatio, § 9; 396.
63 Kant, Dissertatio, § 9; 396.
64 I. Kant, Reflexion 4446, in: Gesammelte Schriften, Bd. 17, 555.
65 Kant, Dissertatio, § 9; 396 (my emphasis).
66 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B605-607.
67 Cf. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B596.
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50 Angelica Nuzzo
chy between concepts and intuitions, namely, his attack on the claim that con-
cepts and intuitions are separated only by degrees of clarity and distinctness,
culminates in a gesture that establishes a twofold kind of intuition. On one hand,
he recognizes the independent status of an intuition that is always and necessar-
ily embodied, that is, sensible intuition in space and time; on the other hand,
however, he points to a sort of .improper' intuition that seems to be structurally
disembodied, that is, the idea and the ideal. No human intuition, warns Kant, is
able to grasp the individual and concrete whole of the idea because no reference
to the sensibility of one's own body and to its pure form is possible in this case.
Since the human intellect works only through universal concepts in abstracto
and never through individual ideas in concreto, it is capable only of discursive
cognition or - as Kant says taking on a Leibnizian thought - only of „symbolic
knowledge". 68 Human intuition is only sensible intuition and can never become
intellectual.
In the Critique of Pure Reason, having abandoned the notion of a real use
of the understanding, Kant shows the inconsistency of Plato's illusion of a dis-
embodied mind that is able to produce cognition even without a body, only by
working with pure ideas. Opposing Plato, Kant maintains that the boundaries of
experience are set by sensibility, that is, by what we can construct by means of
our bodily approach to the world combined with abstract concepts. „The light
dove, cleaving the air in her free flight, and feeling its resistance, might imagine
that her flight would be still easier in empty space." 69 Deceived by the same
fantasy, Plato „left the world of the senses, as setting too narrow limits to the
understanding, and ventured out beyond it, in empty space. He did not observe
that with all his efforts he made no advance - meeting no resistance that might
serve as support upon which he could take a stand, to which he could apply his
powers, and so set his understanding in motion." 70 The illusion by which we are
constantly tempted - as were the dove and Plato - , the illusion of being better
off without the resistance of our body and sensibility can only be cured by the
critical separation of sensibility, concepts and ideas. Only then will we learn
what it means to be free in our own body and to cognitively relate to the outer
world by means of our body. Thereby will we be able to abandon all illusion of
abstract freedom and disembodied knowledge.
In Kant's view, Plato's notion of ,idea' as disembodied intuition is the
source of a pernicious position with regard to both epistemology and moral phi-
losophy. This is the position that he repeatedly stigmatizes as „Schwärmerei",
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Soul and Body 51
that is, as the „enthusiasm" and fanaticism of the visionary. 71 To the extent that
they share the same illusion of disembodiment, Plato has something in common
with Swedenborg and the visions that Kant criticized in the Dreams. Against the
enthusiasts of disembodied ideas, Kant holds to the importance of a way of
thinking anchored in sensible intuition which, alone, can provide us with an
indispensable sense of orientation - an orientation in space, but also an orienta-
tion „in thinking". 72
The Dissertatio offers an example of „pure intellectual intuition", com-
pletely exempt from the laws of the senses and the relation to the body, by
bringing in a further reference to Plato's notion of ,idea': The name that Plato
has for this „divine" intuition is „idea". 73 In the contemporary Reflexion 3917,
we read: „All pure ideas of reason are ideas of reflection (discursivae and not
intuitus as Plato claimed). Hence, through them, we do not represent objects but
only the laws by means of which we compare the concepts given to us by the
senses." 74 Herein, Kant seems to explain the lack of separation between under-
standing or intellect and reason in the Dissertatio. Given Plato's identification of
idea and pure intellectual intuition, since Kant accepts the claim that ideas are
given to us and nonetheless denies the possibility that they function in the same
way as intellectual intuition, Kant's conclusion is that ideas can be used only in
the reflective and discursive way of the understanding. This is why, at this time,
Kant feels no need for assuming that reason is a specific faculty of ideas op-
posed to understanding.
In the first Critique, Kant's discussion of the notions of ,idea' and ,ideal'
repeatedly recurs to Plato. Repeating almost literally the formulations of § 9 and
§ 25 of the Dissertatio, Kant states: „What for us is an ideal was in Plato's view
an idea of the divine understanding, an individual object of its pure intuition, the
most perfect of every kind of possible being." 75 Kant's Plato is here clearly not
the historical Plato, but rather the image of Plato developed by the later Roman
authors. 76 According to this tradition, Plato's ideas are nothing but the divine
intellect itself taken in its full creative power. The critical Kant sets his own
doctrine of ideas precisely against this conception by claiming that „human rea-
son contains not only ideas, but also ideals, which, although they do not have,
71 Cf. I. Kant, Was heißt: Sich im Denken orientieren?, in: Gesammelte Schriften, Bd. 8,
Berlin, Leipzig 1923, 145; id., Reflexionen 6050-6053, in: Gesammelte Schriften, Bd.
18, 434-439.
72 Kant, Was heißt: Sich im Denken orientieren?, 145.
73 Kant, Dissertatio § 25; 413; Reflexion 4446, 555.
74 I. Kant, Reflexion 3917, in: Gesammelte Schriften, Bd. 17, 342.
75 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B596.
76 See Reich, Die Tugend in der Idee, 210; Heimsoeth, Kant und Plato, 352.
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52 Angelica Nuzzo
like Platonic ideas, creative power, yet have practical power." 77 The Dissertatio
reaches an analogous conclusion as it shifts its attention to the role played by
ideas in the realm of the practical.
In relation to the second part of metaphysics, Kant presents the notion of
„perfectio moralis" as the practical side of the „perfectio noumenon". This is the
domain of moral ideas, in which metaphysics takes the form of a ,pure moral
philosophy". 78 The importance of ideas for Kant's project of a „metaphysics of
morals" 79 by 1770 lies in the fact that ideas - as Plato teaches - can never be
given in experience. In this regard, the first Critique simply restates the sugges-
tion of the Dissertatio·. „Plato found the chief instances of his ideas in the field
of the practical" 80 - the idea of the „Platonicο ι republic" becomes the most sig-
nificant example of this type of perfection. Ideas belong exclusively
oy
to the
noumenal, and for Kant - even if not for the historical Plato - they cannot
genuinely be said to exist. At least, they cannot be said to exist in the same sense
in which God - as the idea of an ens summum - can be said to exist. „God,
however, as the ideal of perfection is the principle of knowledge (principium
cognoscendi); as really existing, he is at the same time the principle of83 the com-
ing into existence (principium fiendi) of all perfection whatsoever." This re-
mark further explains what Kant means by stating: „We now entitle ideal the
maximum of perfection that Plato calls idea."84 Kant endorses Cicero's under-
standing of Plato's ideas.85 Ideal is the criterion both for moral perfection and
for our judgment of moral perfection. We can approximate to this ideal in our
actions, but we can never fully and completely find it realized in reality.
In some marginal notes to Baumgarten's Initia philosophiae practicae pri-
mae which Kant writes down during the same time as the Dissertatio, we find
the whole spectrum of mediations through which he refers to Plato's ideas in the
realm of the practical. As Klaus Reich aptly puts it, it is „Plato seen through
Cicero's spectacles with Rousseau's eyes". 86 Kant notes: „The concept, the idea,
the ideal ... With regard to virtue, only a judgment according to concepts and
therefore a priori, is possible. Empirical observation according to intuitions in
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Soul and Body 53
images or according to experience does not provide with any law, but only with
examples that do not require any judgment according to concepts." 87 This argu-
ment repeats Kant's presentation of moral concepts as pure a priori concepts -
or properly ideas. Kant then comes to a more detailed discussion of the notion of
,idea': „The idea is the a priori cognition (of the intellect) through which the ob-
ject becomes possible. The idea relates to the objective practical sphere as a
principle. It contains the highest perfection in a certain perspective ... It lies on-
ly in the intellect, and, in man, in concepts. The sensible is only an image ... All
morality is grounded in ideas and their image in man is always imperfect. In the
divine intellect, ideas are intuitions of itself and therefore original models [Ur-
bilder]." 88 Besides Plato, Rousseau is the only modern author through which
89
Kant can hope, in the doctrine of ideas, „to improve the ancients".
In the Critique of Pure Reason, the specific issue raised by reason's ideas re-
gards the type of reality that can be legitimately ascribed to them. From the be-
ginning of the Transcendental Dialectic, Kant insists that even though ideas are
placed beyond all possible experience, they do have a reality that is not purely
fictitious. The visionary dreams of Swedenborg have been left behind once and
for all. As we know from the Dissertatio and from its references to Plato, it is in
the realm of the practical that ideas display positive reality. Since ideas have no
relation to the necessary conditions of our sensibility, the object corresponding
to the idea cannot be known through understanding and its categories. Hence,
we can form only a „problematic concept" 90 of it. From Kant's perspective, the
issue of transcendental deduction arises at this point. Reason's legitimate use of
ideas in cognition requires a justification. However, under the conditions dic-
tated by the disembodied nature of speculative reason, a deduction similar to the
one provided for the concepts of the understanding is excluded from the outset. 91
87 I. Kant, Reflexion 6611, in: Gesammelte Schriften, Bd. 19, Berlin, Leipzig 1934, 108.
88 Kant, Reflexion 6611, 108.
89 Cf. I. Kant, Bemerkungen zu den Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Er-
habenen, in: Gesammelte Schriften, Bd. 20, Berlin 1942, 9: „Rousseaus Buch [i. e., Emi-
le] dient die Alten zu bessern."
90 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B397/A339.
91 Cf. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B805-806/A777-778, B691-692/A663-664, B697/-
A669. This does not mean, however, that a different deduction of ideas cannot be pro-
vided. See D. Henrich, Kant's Notion of a Deduction and the Methodological Back-
ground of the First Critique, in: Kant's Transcendental Deductions, ed. by E. Förster,
Stanford 1989, 29-47.
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54 Angelica Nuzzo
Kant refuses to solve the problem of the objective validity of reason's con-
cepts by following Plato's shortcut of a „mystical deduction", 92 that is, by hy-
postatizing ideas into metaphysical entities. The deduction of ideas needs to take
a more complex course. If ideas are to have reality, they must receive a ,body'
different from the sensible one which allows us to gain outer experience and ori-
entation in space. The Transcendental Dialectic prepares the stage for the emer-
gence of a different form of reality leading to Kant's practical philosophy. The
transcendental deduction of the understanding's categories follows a juridical
model for deciding the right and legitimacy of a certain possession and use and
so declaring the victory of one party over the other (skepticism vs. pure under-
standing). As a result, the deduction establishes the conditions for the truth of
knowledge seen as its objective validity. The deduction of reason's ideas impo-
ses a change of model compliant with the image of reason's „legislation" 93
rather than with that of its , judge", and with the „certainty" and the „interest" 94
of reason in its proper knowledge rather than with its logical truth.
The first step of Kant's argument takes place in the Paralogisms of the
Transcendental Dialectic. 95 It establishes that ideas are the unique „possession" 96
of reason, for no synthetic judgment of the understanding can ever be successful
in their realm. Kant's awareness of the importance of this step is well expressed
in his suggestion that „a huge, actually the only stumbling block against our
critique would be the possibility of demonstrating a priori that all thinking be-
ings are in themselves simple substances". 97 If the propositions of rational psy-
chology could be established as synthetic a priori propositions, then the under-
standing would have no limits, and consequently reason would have neither a
specific use nor a proper realm of its own. In this case, the world of the senses
would dissolve in its embodied, sensible specificity, ideas would indeed be noth-
ing but fictitious entities, and practical philosophy (including the idea of free-
dom) would lose its ground.
The second step of Kant's deduction, undertaken in the chapter on Antino-
mies, draws to the center the cosmological idea of the world. The third antinomy
in particular shows that the „pure transcendental idea of freedom" 98 can have a
practical reality, inasmuch as this claim does not contradict the necessity that
reigns in the world of nature and appearances (the highest good is possible).
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Soul and Body 55
This is precisely the first objective of Kant's deduction of ideas. At this level,
however, Kant has not yet proved that reason can be practical (or that reason can
make a practical use of the idea of freedom). This conclusion will result from
Kant's argument in the Ideal of Pure Reason. In formulating the notion of,moral
theology', Kant shows that reason can be practical (or can make a practical use
of its ideas) within the sphere of religion." The idea of God is therefore pre-
sented as a postulate which is necessary if reason is to be practical (the highest
good is necessary).
In the four Paralogisms, Kant revisits his long-standing polemic against ra-
tional psychology. At stake is the function of the pure ,1 think' as a means of
distinguishing two kinds of objects. The I, as thinking, is an object of inner
sense and is called ,soul'; while that which is an object of outer sense is called
,body'. 100 Significantly, in this formulation, the perspective of the subject (or the
first person) 101 identifies itself with the soul but not with the body. This position
defines the aim of rational psychology, which attempts to know the ,1 think' as
soul independently of any empirical or experiential determination. The I is soul,
not body. We have seen how Kant, in his pre-critical writings (and in the Refuta-
tion of Idealism), reverses this claim: An experience of myself, as inner experi-
ence, is possible only through outer experience, that is, through the body as my
body. I am an embodied being placed in the outer world of space and time. To
be sure, as shown in the fourth paralogism, the very possibility of distinguishing
„my own existence as that of a thinking being, from other things outside me -
among them my body" - is already predicated upon my existence in a body and
follows analytically from it. 102
While the Refutation of Idealism aims at showing the implications of the
empirical proposition J think' - namely, the dependence of inner sense on outer
sense - , the Paralogisms show the fallacy of confusing the empirical representa-
tion of the thinking subject with the merely logical function ,1 think'. Thus, in
the first chapter of the Transcendental Dialectic, Kant directly addresses the
more radical undertaking of rational psychology, that is, the assumption of the
possibility of knowing the nature of the ,1 think' not only independently of the
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56 Angelica Nuzzo
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Soul and Body 57
ing self separate from my body. The merely „logical function" ,1 think' should
not be confused with the empirical proposition „I think or I exist thinking." 109
This conclusion brings Kant a step further with regard to his previous cri-
tique of rational psychology. For now he grants to the notion of a pure intelli-
gence the status of an „idea of reason". 110 In the light of the Paralogisms, the
issue of the reality of ideas is immediately linked to the issue of reason's use of
them. If all constitutive use is banned by the exposure of transcendental illusion
in the theoretical realm, Kant still allows for a regulative and problematic use of
reason's ideas and, more importantly, for their „practical use". 111 The possibility
of a practical employment of ideas discloses the possibility (or, at least, the non-
contradictory character) of their practical existence. Thereby, the potentialities
of the idea of a pure intelligence - or an alleged noumenal reality of the subject
as pure spontaneity - is reserved for further developments in the practical
sphere. Only in this sphere can the issue of the soul's immortality - with regard
to which both „materialism" and „spiritualism" fail in their proof 112 - again be
taken up, this time successfully.
Significantly, at the end of the Paralogisms, Kant links the idea of a pure
intelligence to the idea of an intelligible world. He suggests that the rational idea
of the subject may become determinable with regard to a not yet further speci-
fied „inner faculty" as being related to „an intelligible world (which can only be
thought)". 113 As in the Dissertatio, where Kant introduces ideas in order to com-
plicate the opposition between sensibility's intuitions and understanding's con-
cepts, in the Paralogisms he shows that reason is in possession of rational con-
cepts of its own whose employment must be radically distinguished from the
logic of understanding and its syntheses. In other words, the flawed use of the
concept of the soul displayed by rational psychology is confined to only one
possible employment of reason's ideas and does not rule out that a legitimate
use may indeed be found for them. „Should it be granted that we may in due
course discover, not in experience but in certain laws of the pure employment of
reason - laws which are not merely logical rules, but which, while holding a
priori, also concern our existence - , a ground for regarding ourselves as legislat-
ing completely a priori with regard to our own existence, and as determining
this existence, there would thereby be revealed a spontaneity through which our
reality would be determinable, independently of the conditions of empirical intu-
ition." 114
109 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B428, 429 (my emphasis).
110 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B426.
111 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B431.
112 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B420.
113 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B430-431.
114 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B430-431 (my emphasis).
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58 Angelica Nuzzo
115 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B420-421. See also I. Kant, Preisschrift über die Fort-
schritte der Metaphysik, in: Gesammelte Schriften, Bd. 20, 309, where Kant claims that
„all experience can occur only in life, that is, when soul and body are still united." To
assume the contrary would mean the same as to propose the impossible experiment of
removing the soul from the body while one is still alive. This, Kant suggests, is the ex-
periment o f someone who „standing before a mirror with closed eyes, when asked what
he was doing, replied: ,I just want to know what I look like when I sleep'".
116 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B421. See also G. Hatfield, Empirical, Rational, and
Transcendental Psychology. Psychology as Science and as Philosophy, in: The Cam-
bridge Companion to Kant, ed. by P. Guyer, Cambridge 1992, 200-227; P. Kitcher,
Kant's Transcendental Psychology, Oxford 1990.
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CHRISTOPH ASMUTH
„Das Gesicht ist Bild Gottes", so lautet ein zentraler Satz aus Fichtes späten
Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1812). Wenn man es nicht
schon immer gewußt hätte, nun müßte es einem endlich klar werden: Der späte
Fichte ist zum Mystiker geworden, zum Meister des hermetischen Sprechens:
der alte Fichte - ein metaphernder Metaphysiker, der das kritisch-argumentative
Potential seiner Frühphilosophie schlichtweg vergessen und aufgegeben zu ha-
ben scheint. Im Aufstieg zum absoluten Ich hat er das Ich und sich selbst über-
stiegen, bis er im absoluten Licht die absolute Dunkelheit, im Dickicht des Dis-
kursiven das unanschaubare Auge Gottes schaute.
Im folgenden soll gezeigt werden, daß Fichtes Denken der Transzendental-
philosophie verpflichtet bleibt - dies auch im Hinblick auf seine Theorie des
Gesichts, mit der sich Fichte implizit an Piaton anschließt, besser: indem er
Piaton an seine eigene Philosophie anschließt. Denn das Zentrum, um das sich
der Kosmos seines Denkens drehte, war seine eigene Philosophie, die Wissen-
schaftslehre. Die Argumentation wird in vier Schritten verfahren:
Zunächst soll kurz Fichtes explizite Platon-Rezeption aufgezeigt werden.
Dann wird anhand der Vorlesungen über die Bestimmungen des Gelehrten
(1811) und der Wissenschaftslehre 1811 Fichtes Theorie des Gesichts dargestellt
und gezeigt, daß es sich dabei um ein transzendentalphilosophisches Projekt
handelt. Daran schließt sich eine kurze Überlegung an, die zeigt, daß es sich bei
dieser Theorie um eine Interpretation und Transformation ursprünglich Platoni-
scher Gedanken handelt. Am Schluß soll eine kurze methodologische Reflexion
stehen, die das systematische Interesse an dieser Thematik beleuchtet.
Fichte war kein Philosophiehistoriker. Er wollte das auch gar nicht sein, denn er
begriff sich als Philosoph, als Selbstdenker par excellence. Im Gegensatz zu
1 Vgl. zu dieser Schrift Fichtes sowie zum Topos im allgemeinen: K. Gregor, Wie ist
Weisheit lehrbar? Erörterungen zu J. G. Fichtes „Bestimmung des Gelehrten", in: Aktive
Gelassenheit. Festschrift für H. Beck zum 70. Geburtstag, hrsg. von E. Kim, E. Schädel,
U. Voigt, Frankfurt a. M., Bern, Berlin, N e w York, Paris, Wien 1999, 341-357.
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60 Christoph Asmuth
Schelling und Hegel, die sich der Philosophiegeschichte mit Detailfreude wid-
meten, spielten Denker anderer Zeiten kaum eine Rolle für Fichtes produktives
Philosophieren. Insgesamt dominiert die Auseinandersetzung mit seinen Zeitge-
nossen. An erster Stelle zeichneten dafür Schelling und Kant: Kant als stets
verehrter Lehrer und Vorbereiter, Schelling - nach 1800 zunehmend - als Anti-
pode und Verderber der Transzendentalphilosophie.
Piaton wird selten erwähnt, und wenn er erwähnt wird, dann läßt sich dar-
aus kaum auf eine intensive Platon-Lektüre bei Fichte schließen. Einzelne Dia-
loge werden selten genannt, meist ist es die Res publica. Findet sie Erwähnung,
dann nur, um einerseits die Möglichkeit eines apriorischen und philosophischen
Staatsentwurfs zu verteidigen,2 andererseits um auf Piatons Ideenlehre hinzu-
weisen. Dabei ist es gerade die Generation Fichtes, die um ein adäquates Piaton-
Bild ringt und sich insbesondere an der Ideenlehre abarbeitet. Strittig war be-
sonders der Status der Ideen. Handelte es sich bei ihnen um selbständige Entitä-
ten oder Substanzen in einer Art Überwelt oder um reine Begriffe, die für die
Erkenntnis und deren Erklärung notwendig sind? Diese Entwicklung eines diffe-
renzierten Platon-Bildes scheint Fichte indes kaum oder nur unzureichend wahr-
genommen zu haben.
Trotzdem stellt sich Fichte in die Traditionslinie Piatons:3 Dessen Ideenleh-
re ist für Fichte eine Vorform seiner eigenen Philosophie. Ein intensiver argu-
mentativer Umgang mit den Texten Piatons durch Fichte läßt sich daraus aller-
dings kaum erschließen. Es gibt auch keine Textgrundlage, welche die Vermu-
tung rechtfertigte, Fichte habe mehr von Piaton gelesen als etwa das Höhlen-
gleichnis. Insgesamt scheinen seine Kenntnisse durch Kompendien und Philoso-
phiegeschichtsbücher vermittelt zu sein: Es dominiert der Selbstdenker, der in
der Platonischen Ideenlehre eine Art Vorläufer der Wissenschaftslehre entdeckt.
So schließt Fichte die Ideenlehre an seine eigene Theorie an. Er lobt die konsti-
tutive Funktion der Ideen für das Allgemeine, das sich in der Welt als Struktur
des Empirischen findet. Ebenso hebt Fichte die durchgängige Bestimmung der
2 Etwa J. G. Fichte, Das System der Sittenlehre (1798), in: ders., Gesamtausgabe der
Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hrsg. von R. Lauth, H. Gliwitzky, Bd. 1/5,
hrsg. von R. Lauth, H. Gliwitzky, Stuttgart-Bad Cannstatt 1977, 310-311: „Nun aber ist
es Foderung der Vernunft, und Veranstaltung der Natur zugleich, daß die gesellschaft-
liche Verbindung der einzig rechtmäßigen allmählig näher komme. Der Regent, der mit
diesem Zwecke den Staat zu regieren hat, muß daher die letztere kennen. Wer aus Be-
griffen über die gemeine Erfahrung sich emporhebt, heißt, nach obigem, ein Gelehrter,
der Staatsbeamte muß daher ein Gelehrter seyn, in seinem Fache. Es könne kein Fürst
wohl regieren, der nicht der Ideen theilhaftig sey, sagt Plato: und dies ist gerade dassel-
be, was wir hier sagen." Vgl. dazu M. Wundt, Fichte als Platoniker, in: ders., Fichte-
Forschungen, Stuttgart 1929, 345-368.
3 Zum expliziten Platon-Bild bei Fichte vgl. C. Asmuth, Metaphysik und Historie bei
J. G. Fichte, in: Fichte-Studien 23 (2003), 145-158.
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Die Theorie des Gesichts 61
Wirklichkeit durch das Sollen hervor. Er denkt hier vornehmlich an die Idee der
Gerechtigkeit. Allerdings moniert er, daß beide Weltformen bei Piaton zu wenig
unterschieden seien: die Weltform des bloß Theoretischen, die auf das Allge-
meine des Empirischen verweist und dessen Möglichkeitsbedingungen aufzeigt,
und die Weltform des Praktischen, die tätig auf das Besondere in der Welt ge-
richtet ist. Die Welt, insofern sie nur durch Freiheit möglich ist, also die prakti-
sche Weltform, habe Piaton nicht durchdrungen. 4 Die Herkunft dieser idea-
listischen Lehre, ihren Ausgangspunkt, benennt er stets durch das Wirken Pia-
tons. Damit beschreibt Fichte die Genealogie seiner eigenen Philosophie, der
Wissenschaftslehre, deren historisches Beginnen er letztlich mit Piaton identifi-
ziert. 5
Aber Piaton ist auch nicht mehr als ein historischer Anfang. In der Stufen-
lehre etwa der Anweisung zum seligen Leben (1806), die das geistige Leben in
die fünf apriorischen Weltansichten .Sinnlichkeit', Rechtlichkeit', .höhere Sitt-
lichkeit', .Religion' und .Wissenschaft' qua Wissenschaftslehre stuft, ordnet
Fichte Piaton der höheren Sittlichkeit oder höheren Moralität zu: „Exemplare
dieser Ansicht [seil, der höheren Sittlichkeit] finden sich in der Menschenge-
schichte, - freilich nur für Den, der ein Auge hat, sie zu entdecken ... In der
Litteratur finden sich, außer in Dichtern, zerstreut, nur wenig Spuren dieser
Welt-Ansicht: unter den alten Philosophen mag Plato eine Ahndung derselben
haben; unter den neuern, Jakobi zuweilen an diese Region streifen." 6 Mitten
zwischen Sinnlichkeit und Wissenschaftslehre, also durchaus in einer mediokren
Stellung, findet sich Piaton wieder - gemeinsam mit Friedrich Heinrich Jacobi.
Beide können, dieser Einordnung zufolge, genauso wenig als Philosophen ange-
sprochen werden wie Kant, wenn man, wie Fichte sagt, „seine philosophische
Laufbahn nicht weiter, als bis zur Kritik der praktischen Vernunft verfolgt". 7 Da
Piaton und Kant bei Erscheinen der Anweisung bereits verstorben waren, konnte
Fichte die Schroffheit seines Urteils nur noch stellvertretend gegenüber Jacobi
abmildern. Daher ließ er Jacobi in einem Brief vom 8. Mai 1806 wissen: „Die
Stelle, wo im Vorbeigehen Ihrer gedacht wird, werden Sie nicht unrecht verste-
hen, sondern einsehen, daß ich Ihrer ehrenvolle Erwähnung thun wollte. Welche
4 Vgl. J. G. Fichte, Sittenlehre (1812), in: Gesamtausgabe, Bd. 11/13, hrsg. von R. Lauth,
E. Fuchs, P. K. Schneider, Stuttgart-Bad Cannstatt 2002, 338.
5 Vgl. J. G. Fichte, Logik, Erlangen, 1805, in: Gesamtausgabe, Bd. II/9, hrsg. von
R. Lauth, H. Gliwitzky, Stuttgart-Bad Cannstatt 1993, 96; ders., Metaphysik, Erlangen,
1805, ebd., 155-156.
6 J. G. Fichte, Anweisung zum seeligen Leben (1806), in: Gesamtausgabe, Bd. 1/9, hrsg.
von R. Lauth, H. Gliwitzky, Stuttgart-Bad Cannstatt 1995, 110. Vgl. dazu C. Asmuth,
Wissenschaft und Religion. Perspektivität und Absolutes in der Philosophie Johann
Gottlieb Fichtes, in: Fichte-Studien 8 (1995), 1-13.
7 Fichte, Anweisung zum seeligen Leben, 108.
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62 Christoph Asmuth
Stellen Ihrer Schriften mir dabei vorgeschwebt, wird Ihnen nicht entgehen. Daß
Sie jedoch diesen Punkt nicht in vollendete Klarheit gesetzt, noch ihn, als her-
vorgehend aus dem ganzen Systeme des Denkens, vorgetragen, werden Sie nicht
in Abrede setzen wollen. Und so konnte ich nur von daran streifen reden; kei-
neswegs aber von - mit klarer Spekulation nämlich, denn von etwas Anderm ist
hier nicht die Rede - von darin wohnen, und zu Hause seyn."&
Eine weitere historische Gestalt, die Fichte stets zur Ahnengalerie seiner
Wissenschaftslehre zählt, ist Jesus Christus. 9 So kann Fichte mit ungebrochenem
Geltungsbewußtsein seine eigene Lehre historisch situieren: „Nicht, als ob unse-
re Lehre an sich neu wäre, und paradox. Unter den Griechen ist Plato auf diesem
Wege. Der Johanneische Christus sagt ganz dasselbe, was wir lehren, und be-
weisen; und sagt es sogar in derselben Bezeichnung, deren wir uns hier bedie-
nen." 10 Für Fichte ist diese Ahnengalerie kein bloßes Bekenntnis. Es schwingt
darin auch keine bloß positive Anerkenntnis des unhintergehbaren historischen
Herkommens mit. Vielmehr spiegeln sich darin die Konsequenzen einer apriori-
schen Verfallsmetaphysik: Geschichte muß beschrieben werden als ein Prozeß
zunehmender Verblendung, in dem nur wenige Individuen, wenige Ausnahme-
erscheinungen dazu fähig waren, durch spekulatives Talent oder religiöse Genia-
lität wahrhaft zu denken, d. h. selbst zu denken, zu denken, ohne im Sumpf fal-
scher Traditionen und Irrwege zu versinken. Spätantike, Paulinisches Christen-
tum, Kirchenväter, scholastisches Mittelalter, Renaissance, schließlich Aufklä-
rung und mit letzter Steigerung der Verwirrung: Empirismus und Materialismus
- eine tragische Kette kontinuierlichen Niedergangs, ein Niedergang allerdings,
der den neuen Aufbruch fokussiert: die von Kant implizit entworfene und von
Fichte explizit entwickelte Wissenschaftslehre, die Wende zur letztgültigen Per-
fektionierung der Philosophie, letztlich des Menschen.
Sokrates und Jesus symbolisieren zwei ahistorische Gegenpole, die ihren
Prinzipien zufolge komplementär entgegengesetzt seien. Jesus, so Fichte, habe
geweissagt, daß die formale Wahrheit des Verstandes, wie Sokrates sie entdeckt
habe, mit dem Inhalt der Wahrheit, nämlich dem Christentum, zusammengehen
werde. Die Weissagung bezieht sich auf die Aufgabe, den Gehalt mit der Form,
das Christentum mit der Sokratik, die Popularität mit der Wissenschaft, den
8 J. H. Fichte, Brief an F. H. Jacobi vom 8. Mai 1806, in: Gesamtausgabe, Bd. III/5, hrsg.
von R. Lauth, H. Gliwitzky unter Mitwirkung von E. Fuchs, K. Hiller, P. K. Schneider,
M. Zahn, Stuttgart-Bad Cannstatt 1982, 355.
9 Vgl. D. Schmid, Religion und Christentum in Fichtes Spätphilosophie 1810-1813, Ber-
lin, N e w York 1995; ders., Das Christentum als Verwirklichung des Religionsbegriffs
in Fichtes Spätphilosophie 1813, in: Sein - Reflexion - Freiheit. Aspekte der Philoso-
phie Johann Gottlieb Fichtes, hrsg. von C. Asmuth, Amsterdam, Philadelphia 1997,
221-236.
10 Fichte, Anweisung zum seeligen Leben, 73.
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Die Theorie des Gesichts 63
Realismus mit dem Idealismus zu vereinigen - eine Aufgabe, die eine dritte
neue Form der Philosophie erfordert: nämlich die Entwicklung einer Wissen-
schaftslehre als eines dynamischen Systems der Perspektivik, deren Leitbegriffe
- seien diese ,Idealismus' oder ,Realismus', ,Sokratik' oder .Christentum' - die
Pole signalisieren, zwischen denen sich der Prozeß der Wissenschaftslehre be-
wegt. Eine Einsicht in das Zugleich der beiden Pole ist nur möglich in ihrer Be-
wegung durcheinander. Die Weissagung dürfte daher eher als eine Prophezeiung
der kritischen Philosophie Kants und ihrer Weiterentwicklung in der Wissen-
schaftslehre zu bezeichnen sein. Zugespitzt bedeutet das: Jesus ist der Prophet
der Wissenschaftslehre, Piaton aber ihr notwendiges formales Element.
Fichte war ein Erfinder immer neuer philosophischer Begriffe. Er war über-
zeugt, daß sich die Sprache durch ihren Gebrauch verbraucht - dies um so mehr,
je tiefer sie eindringt in die Sphäre der Philosophie. Dabei weist Fichte dem Phi-
losophen die Fähigkeit zu, über den Sprachgebrauch hinauszugehen, neue Wör-
ter, neue Begriffe für neue Theorien zu erschaffen. Dieses Verfahren steht ganz
im Zusammenhang mit Fichtes Einsicht, die Philosophie dürfe nicht zum An-
hängsel einer fremden oder historisch vergangenen Position werden, sondern
müsse im Selbstdenken bestehen. Philosophisches Selbstdenken korrespondiert
daher dem philosophischen Selbstsprechen. Selbstdenken ist aber zugleich Her-
vorbringung neuen Denkens, das Selbstsprechen daher zugleich Hervorbringung
neuen Sprechens.
Fichtes Überzeugung entstammt dem Reflex auf die von ihm als dogma-
tisch und verkrustet erfahrene Schulphilosophie, gebe diese sich nun empiri-
stisch oder rational aufgeklärt. Zeit seines Lebens verachtete Fichte die bloßen
Nachbeter der kritischen Philosophie Kants, jene nämlich, die bloß den Buch-
staben, nicht aber den Geist des Königsberger Philosophen wiederzugeben
trachteten. Schließlich hat er die schmerzhafte Niederlage vor Augen, die er
darin erkennt, daß die eigene Ich-Philosophie seines Anfangs, wenn überhaupt,
so nur unzureichend verstanden wurde. Fichtes Schlußfolgerung: In allen diesen
Fällen entstehen die Verkrustungen durch eine unflexible und statische Sprache,
deren Unbeweglichkeit gerade der Beweglichkeit der Theorie nicht angemessen
sei. Fichtes Konsequenz: nicht zurück zum gewöhnlichen Wortgebrauch, son-
dern umgekehrt: auf zu neuen, ungewöhnlichen Wortschöpfungen, die das alt-
hergebrachte statische Denken irritieren, verstören und vernichten. 11
11 Zu Fichtes Philosophie der Sprache vgl. C. Asmuth, Das Begreifen des Unbegreiflichen.
Philosophie und Religion bei Johann Gottlieb Fichte 1800-1806, Stuttgart-Bad Cann-
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64 Christoph Asmuth
Die Bildung eines Neologismus liegt auch Fichtes Theorie des Gesichts
zugrunde. Die Benennung stammt ursprünglich aus den populären Schriften, die
Fichte zwischen 1806 und 1808 veröffentlichte. Insbesondere in den Reden an
die deutsche Nation kündigt sich an, was erst in der Wissenschaftslehre 1811 zu
einem zentralen Stück der Fichteschen Philosophie avanciert. Der Begriff des
Gesichts vertritt in Fichtes Spätphilosophie den Begriff der Idee. Daß hier nicht
ein Wort durch ein anderes ersetzt wurde, läßt sich unschwer erkennen. .Ge-
sicht' meint zu Fichtes Zeiten nicht nur soviel wie ,Antlitz' - also das, was ge-
sehen wird - , sondern auch den Gesichtssinn selbst. Darüber hinaus bedeutet
.Gesicht' für Fichte so etwas wie Traum, Prophezeiung, .zweites Gesicht', dies
jedoch nicht etwa im wörtlichen Sinne, sondern als Begriff mit metaphorischen
Allusionen. Denn es handelt sich um Transzendentalphilosophie. Rein etymolo-
gisch findet sich im Begriff des Gesichts also ein Dreifaches: erstens das subjek-
tive Moment des Sehenden im Sehen, zweitens das objektive Moment des Gese-
henen im Sehen, drittens das Moment des Übersinnlichen, des Intelligiblen. Alle
drei Momente kommen aber zusammen im Begriff des Gesichts. ,Idee' im Sinne
Fichtes ist also charakterisiert durch Subjekt-Objektivität und gehört daher ei-
nem Bereich des reinen Wissens zu.
In den Reden an die deutsche Nation (1808) gibt Fichte eine kurze Erklä-
rung: Etwas, das der geistigen Erfassung „nicht erst durch das dunkle Gefühl,
sondern sogleich durch klare Erkenntniss entsteht, dergleichen jedesmal ein
übersinnlicher Gegenstand ist, heisst mit einem griechischen, auch in der deut-
schen Sprache häufig gebrauchten Worte eine Idee, und dieses Wort giebt genau
dasselbe Sinnbild, was in der deutschen das Wort Gesicht, wie dieses in folgen-
den Wendungen der lutherischen Bibelübersetzung: ihr werdet Gesichte sehen,
ihr werdet Träume haben, vorkommt. Idee oder Gesicht in sinnlicher Bedeutung
wäre etwas, das nur durch das Auge des Leibes, keinesweges aber durch einen
anderen Sinn, etwa der Betastung, des Gehörs u. s. w. erfasst werden könnte, so
statt 1999, 153-169; W. Janke, Die Wörter „Sein" und „Ding" - Überlegungen zu Fich-
tes Philosophie der Sprache, in: Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Dar-
stellung der Philosophie Fichtes, hrsg. von K. Hammacher, Hamburg 1981, 49-67;
ders., Logos: Vernunft und Wort. Humboldts Weg zur Sprache und Fichtes Sprachab-
handlungen, in: Entgegensetzungen. Studien zu Fichte - Konfrontationen von Rousseau
bis Kierkegaard, hrsg. von W. Janke, Amsterdam, Atlanta 1994, 23-45; K. Kahnert,
Sprachursprung und Sprache bei J. G. Fichte, in: Sein - Reflexion - Freiheit. Aspekte
der Philosophie Johann Gottlieb Fichtes, hrsg. von C. Asmuth, Amsterdam, Philadel-
phia 1997, 191-219; A. M. Schurr-Lorusso, II pensiero linguistico di J. G. Fichte, in:
Lingua e Stile 5 (1970), 253-270; J. P. Surber, The Historical and Systematic Place of
Fichte's Reflection on Language, in: Fichte. Historical Contexts. Contemporary Con-
troversies, hrsg. von D. Breazeale, Τ. Rockmore, Atlantic Highlands/N. J. 1994, 113-
127; M. Zahn, Fichtes Sprachproblem [sic!] und die Darstellung der Wissenschaftsleh-
re, in: Der transzendentale Gedanke, hrsg. von Hammacher, 155-167.
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Die Theorie des Gesichts 65
wie etwa ein Regenbogen, oder die Gestalten, welche im Traume vor uns vorü-
bergehen. Dasselbe in übersinnlicher Bedeutung hiesse zuvörderst, zufolge des
Umkreises, in dem das Wort gelten soll, etwas, das gar nicht durch den Leib,
sondern nur durch den Geist erfasst wird; sodann, das auch nicht durch das
dunkle Gefühl des Geistes, wie manches andere, sondern allein durch das Auge
desselben, die klare Erkenntniss, erfasst werden kann." 12 In den Reden an die
deutsche Nation erhält dieser Neologismus keine besondere theoretische Bedeu-
tung mehr. Er wird vielmehr zu einem Kampfbegriff unter vielen. Auf der einen
Seite steht das deutsche Volk, legitimer Erbe der germanischen Vorzeit, auf der
anderen Seite das Frankreich Napoleons, das die Ziele der Revolution verraten
und damit zugleich gezeigt hat, daß ihm das römische Erbe längst abgestorben
ist. So ruft Fichte denn dem von ihm so verachteten Napoleon entgegen: „Ein
Volk, das da fähig ist, sey es auch nur in seinen höchsten Stellvertretern und An-
führern, das Gesicht aus der Geisterwelt, Selbstständigkeit, fest ins Auge zu fas-
sen, und von der Liebe dafür ergriffen zu werden, wie unsere ältesten Vorfahren,
siegt gewiss über ein solches, das nur zum Werkzeuge fremder Herrschsucht
und zu Unterjochung selbstständiger Völker gebraucht wird, wie die römischen
Heere; denn die ersteren haben alles zu verlieren, die letzteren bloss einiges zu
gewinnen." 13
Nach 1808 scheint Fichte diesen Begriff des Gesichts und eine damit mög-
lich gewordene Ideenlehre nicht weiter verfolgt zu haben. Dies mag der Erkran-
kung Fichtes geschuldet sein. Er litt unter rheumatischen Beschwerden und
klagte über eine Augenkrankheit, die ihm lange Zeit das Arbeiten unmöglich
machte. Erst 1810 scheint Fichte sich wieder arbeitsfähig zu fühlen. Die Wissen-
schaftslehre 1811 nimmt den Begriff des Gesichts wieder auf. Systematisch
bedeutsam ist der Begriff jedoch vor allem in den Vorlesungen über die Bestim-
mung des Gelehrten (1811). Im Zentrum steht der Begriff des Wissens. Die Vor-
lesungen können deshalb auch als populäre Wissenschaftslehre angesehen wer-
den, die hier vermischt ist mit didaktischen und gesellschaftspolitischen Überle-
gungen.
Wissen hat für Fichte zwei grundlegende Formen: nachträgliches Wissen
und vorbildliches Wissen. Die Nachträglichkeit charakterisiert ein Wissen, das
„blosses Abbild und Nachbild des ausserhalb des Wissens befindlichen, und von
dem Wissen ganz u. gar unabhängigen Daseyns" 14 ist. Das Wissen repräsentiert
das Gegebene, speichert es auf. Durch Akkumulation ergeben sich Quantitäten
12 J. G. Fichte, Reden an die deutsche Nation, in: ders., Sämmtliche Werke, hrsg. von I. H.
Fichte, 8 Bde., Berlin 1845-46, Nachdr. Berlin 1971, Bd. VII, 317.
13 Fichte, Reden an die deutsche Nation, 390-391.
14 J. G. Fichte, Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1812), in: Gesamtausga-
be, Bd. 11/12, hrsg. von R. Lauth, E. Fuchs, P. K. Schneider, Stuttgart-Bad-Cannstatt
1999,313.
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66 Christoph Asmuth
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Die Theorie des Gesichts 67
deutsche Sprache das griechische Wort Idee treflich ausdrükt, ein solches, das
selbst deutlich sich ankündigt, und ausspricht als dasjenige, dem die Realität
durchaus nicht entspreche, das kein äusseres Daseyn habe, sondern bloß ein
inneres, und das mit keinem außer sich, sondern nur mit sich selbst überein-
stimme: - ein Gesicht aus der Welt, die durchaus nicht da ist, der übersinnli-
18
chen, und geistigen Welt."
Das Gesicht ist nach Fichte produktiv. Die Wahrheit des nachträglichen
Wissens besteht in der Adäquation, die Wahrheit des vorbildlichen Wissens je-
doch in Konstitution und Kohärenz. Das Gesicht ist bildend und formend, ent-
spricht daher niemals dem Gebildeten und Geformten. Nur insofern das Vorbild
als Gesicht Vorbild ist, ist ein Abbild als Gesehenes möglich. Im Sehen des
Gesichts konstituiert sich das Gesehene. Als Bedingung alles Gesehenen ist das
Sehen des Gesichts selbst unsichtbar; es ist übersinnlich. Darin liegt seine Apri-
orizität: daß es mit der Sphäre des faktischen Seins nur durch den Akt der Kon-
stituierung zusammenhängt, nicht aber selbst wiederum abhängig wäre von dem,
was durch das Gesicht gebildet wird. Es bildet die intelligible Welt, die kein
äußerliches Dasein hat, eine Welt, der alle Erdenschwere fehlt.
Das vorbildliche Wissen ist daher fur Fichte schlechthin durch sich selbst
bestimmt. Es ist „in dieser Absolutheit das Bild des innerlichen Seyns und We-
sens der Gottheit. Gott allein ist das wahrhaft übersinnliche, und der eigentliche
Gegenstand aller Gesichte. Als Bild Gottes, und dadurch, daß es dieses Bild ist,
ist auch allein da das Wissen, und es wird lediglich durch das Erscheinen Gottes
in ihm getragen",19 Man möge sich nicht täuschen lassen: Was hier als dedukti-
ve Theologie auftritt, ist Transzendentalphilosophie! Mit dem Ausdruck ,Gott'
bezeichnet Fichte ein Proto-Ich als Subjekt-Objekt, Möglichkeitsbedingung etwa
für das absolute Ich der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre von
1793/94 wie auch für alle vorstellungsbezogenen Prozesse des empirischen Ich.
,Gott' bezeichnet eine aus prinzipiellen Gründen für das Wissen uneinholbare
erste Möglichkeitsbedingung, den allerrealsten Grund aller Idealität und Reali-
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68 Christoph Asmuth
21 Während der vorliegende Beitrag bis auf kleine Änderungen dem entspricht, was ich auf
der Bochumer Tagung vortrug, habe ich die folgenden Absätze nachträglich eingefügt.
Die Diskussion zeigte nämlich, daß der überwiegende Teil der Diskutanten einhellig der
Auffassung war, es handle sich bei der Spätphilosophie Fichtes nicht mehr um Trans-
zendentalphilosophie. Daß zumindest Fichte selbst anderer Auffassung war, hoffe ich
zeigen zu können. Ich möchte daher im folgenden meine These untermauern, daß Fichte
sich 1811 eindeutig auf dem Boden der Transzendentalphilosophie bewegt - eine The-
se, die allerdings einen systematischen Begriff von Transzendentalphilosophie voraus-
setzt, den hier zu erörtern nicht der richtige Ort ist.
22 J. G. Fichte, Wissenschaftslehre 1811, in: Gesamtausgabe, Bd. 11/12, hrsg. von Lauth,
Fuchs, Schneider, 144.
23 Vgl. Fichte, Wissenschaftslehre 1811, 145.
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Die Theorie des Gesichts 69
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70 Christoph Asmuth
Seins, jedoch ist sein Sein nur die formale Wiederholung des ursprünglichen, ein
Anderes nur der Form nach. Diese Erscheinung kann wiederum sich erscheinen,
was die Sich-Erscheinung des Erscheinens Gottes ergibt: Proto-Selbstbewußt-
sein.
Während das ursprüngliche Sein und seine Erscheinung untrennbar vonein-
ander sind, 26 enthält die Sich-Erscheinung der Erscheinung ein Moment absolu-
ter transzendentaler Freiheit. In der Erscheinung erscheint das ursprüngliche
göttliche Sein, in der Sich-Erscheinung jedoch erscheint die Erscheinung, was
das Moment der selbständigen, zwar im ursprünglichen Sein gegründeten, aber
nicht realisierten Freiheit gibt. 27 Fichte nennt es Vermögen, es kann vollzogen
werden oder nicht. Wird das Vermögen nicht vollzogen, gibt es kein Sein außer
Gott, nur seine unmittelbare Erscheinung. Wird das Vermögen dagegen vollzo-
gen, entsteht „eine neue, durchaus u. schlechthin aus nichts hervorgegangene
Sphäre des Seyns. Eine völlig neue Welt, ausser Gott; obwohl der Möglichkeit
nach in ihm gegründet." 28
Die höchste Bedingung des Bewußtseins ist die Freiheit. Die Grundbegrif-
fe, d. h. die Kategorien werden nicht aus der Erfahrung gewonnen, sondern lie-
gen im Wissen selbst. Die Theorie Lockes sei daher eine „wüste; faselnde, nur
im Traume oder der Trunkenheit zuzulassende Ansicht", 29 der die Philosophie
von Leibniz und Kant zu Recht entgegengetreten sei. Sie haben behauptet, die
Kategorien lägen im Wissenden. Fichte rechnet seine Wissenschaftslehre expli-
zit diesen Ansätzen zu, welche die Apriorizität des Wissens und seiner Grund-
begriffe behaupten. Es stellt sich ihm jedoch eine zentrale, über diesen Ansatz
hinausgehende Frage: „Aber wie will man denn diese Behauptung erhärten [?]. -
. Etwa durch den Beweiß aus Induktion, daß ohne diese Voraussetzung sich das
wirkl. Wissen durchaus nicht erklären läßt? Sodann ist jene Apriorität der
Grundbegriffe lediglich ein Faktum des Bewußtseyns, über dessen verborgnen
Grund wir keine Auskunft erhalten." 30 Fichte überbietet - seiner eigenen Ein-
schätzung zufolge - die Theorien von Leibniz und Kant in einer wichtigen Hin-
sicht: Seine Wissenschaftslehre soll nicht nur faktisch behaupten, sondern gene-
tisch ableiten. Sie ist deshalb keine metaphysische Realgenese, sondern metho-
dologische Rekonstruktion der Konstitutionsbedingung wirklichen Wissens.
26 Vgl. Fichte, Wissenschaftslehre 1811, 178: „Die Form des Absoluten geht bis zum
erscheinen, nicht bis zum sich erscheinen. In jenem ersten ist das absolute das Erschei-
nende; im leztern nicht mehr dieses, sondern das Erscheinen ist das erscheinende. Die
Erscheinung erhält ein selbstständiges Seyn."
27 Vgl. Fichte, Wissenschaftslehre 1811, 179.
28 Fichte, Wissenschaftslehre 1811, 187.
29 Fichte, Wissenschaftslehre 1811, 196.
30 Fichte, Wissenschaftslehre 1811, 197.
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Die Theorie des Gesichts 71
Seine Wissenschaftslehre soll nicht einen höheren Grad an Evidenz haben, son-
dern schlechthin evident sein.
Dabei bleibt die Wissenschaftslehre — so Fichte - nichts anderes als das,
was sie auch schon 1794/95 war: eine Untersuchung über die transzendentale
Apperzeption, 31 d. h. eine Lehre vom Wissen. Fichte ist der Auffassung, die
Lehre Kants fortzuschreiben, dessen Philosophie sich aber noch ganz auf die
faktische Selbstbeobachtung gegründet habe und nicht spekulativ gewesen sei,
„weil er sich nicht zum Denken des absoluten erhob". 32 Kant sei deshalb ver-
borgen geblieben, „worin die synthetische Einheit der Apperception bestehe". 3 3
Damit bleibt die Wissenschaftslehre Bewußtseinsphilosophie. Sie entwickelt
eine Theorie des Bewußtseins aus dem Bewußtsein für das Bewußtsein, die sich
nicht in der faktischen Aufzählung aufgefundener Bewußtseinsinstanzen er-
schöpft, sondern in ihrem notwendigen Zusammenhang ableitet. Das Wissen
selbst ist ihr dabei eine unhintergehbare Voraussetzung: „Das Sehen [seil, das
Wissen] ist, ist die Voraussetzung, in sich aufgehend; und in diesem Seyn bricht
es sich an sich selbst, also im wirklichen unmittelbaren Sehen bricht es sich an
sich selbst: also es sieht sich selbst wirklich u. in der That. Das Eine, u. reine
Sehen ist eine unmittelbare sich selbst Anschauung des Sehens: es trägt
schlechthin durch sich die Ichform." 3 4 Fichtes Transzendentalphilosophie bleibt
eine Theorie der Wissensimmanenz, damit kritische und antidogmatische Philo-
sophie. Sie rekurriert dabei explizit auf die Bedingungen der Möglichkeit des
Wissens und der Wissensgegenstände. 35
Fichtes Wissenschaftslehre zeichnet sich als Transzendentalphilosophie aus
durch: die Apriorizität der Grundbegriffe, den Primat der transzendentalen Ap-
perzeption und der transzendentalen Einheit, die Immanenz des Wissens, die
transzendentale Freiheit; und sie rekurriert auf die Möglichkeitsbedingungen des
Wissens, daher nicht auf eine ontische Substantialität, sei diese extern oder in-
tern gegeben.
So ist das Erscheinen Gottes nicht eine metaphysische Setzung, sondern ei-
ne transzendentale Bedingung im Wissen für das Wissen. Es bedeutet: Es gibt
einen aus prinzipiellen Gründen für das Wissen undurchschaubaren Grund, der
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72 Christoph Asmuth
aller Opposition von Wissendem und Gewußtem zugrunde liegt. Die erste -
ebenfalls nur durch diesen Grund bedingte - für das transzendentale Wissen
zugängliche Instanz ist die Freiheit, die als radikale Freiheit nur gedacht werden
kann, wenn sie diesen Grund in sich selbst hat. Nun soll aber die Erscheinung
als Erscheinung erscheinen. Es soll eine Welt für die Freiheit sein. Aber die
Freiheit allein gibt der Erscheinung keine Begrenzung. Zu den Möglichkeitsbe-
dingungen der Welt gehört daher neben der Freiheit auch das Gesetz, das gene-
tisch aus der Erscheinung folgt und bewirkt, daß uns die Welt gegeben erscheint,
d. i. der Außenweltcharakter unseres Vorstellungswissens. Ein wirkliches endli-
ches und begrenztes Produkt ergibt sich erst aus der Zusammenwirkung beider,
Freiheit und Gesetz. 36 So ist das Gesicht nichts anderes als das absolute Vermö-
gen der Freiheit, jenes intelligible Sollen, das schlechthin unbedingt ist. Dieser
Freiheit korreliert das Gesetz, das sich in der Begrenzung der wirklichen Er-
scheinung, dem wirklichen Nachbild, zeigt. 37 Das Gesicht ist aber ein produkti-
ver Akt des an sich unendlichen Sehens, „das sich an der Begrenzung seiner
selbst bricht". 38
Damit hat Fichte in der Wissenschaftslehre 1811 eine transzendentale Be-
gründung des Gesichts gegeben. Es ist die der Wirklichkeit zugewandte Struktur
des Sollens, jenes Zusammenwirken von Freiheit und Gesetz zur Bestimmung
der Wirklichkeit, die selbst wiederum nichts anderes ist als das Sich-selbst-an-
sich-selbst-Brechen des unendlichen Wissens als Erscheinung göttlichen Seins.
Damit hat Fichte jedoch noch nicht das nachträgliche Wissen transzendental
begründet. Auch dieses Wissen muß als Wissen in seiner Notwendigkeit aufge-
wiesen werden können. „Das Gesicht muß erscheinen, und ausdrüklich erblikt
werden, eben als ein Gesicht, als ein durch sich selbst, und keineswegs durch ein
fremdes, und außer ihm befindliches bestimmtes Wissen. Das aber kann es nur
im Gegensatze mit einem andern Wissen, das da ausdrüklich erscheint als be-
stimmt durch ein fremdes ausser ihm befindliches Seyn." 39 Die Funktion des
nachträglichen Wissens besteht in seiner Negativität. Alles Wissen von sinnli-
chen Gegenständen erscheint dem Wissenden als von außen gegeben: Das ist
der Außenweltcharakter des Gegebenen. Dieser Charakter entsteht nur zu dem
Zweck, daß sich an ihm das praktische Wissen bricht. Die Außenwelt ist daher
bloß das Material der Pflicht, nichts für sich selbst Bestehendes. Dieses Verfah-
ren Fichtes findet sich bereits in der Grundlage der gesammten Wissenschafts-
lehre. Und Hegel karikierte es einmal, indem er es mit einem leeren Geldbeutel
verglich, der, obwohl leer, doch in der Beziehung auf Geld bestehe. Das Geld
könne dann auch aus dem leeren Geldbeutel deduziert werden, weil es in seinem
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Die Theorie des Gesichts 73
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Mangel schon gesetzt sei. Der leere Geldbeutel ist, um im Bild zu bleiben, die
Sphäre des Gesichts, das Erfüllung erst findet in seiner Negation, der Sinnen-
welt. Fichte: „Das Gesicht ist Bild Gottes, sagte ich; und das sinnliche Wissen
von einer gegebnen Welt ist bloß dazu da, damit das erstere als solches zu er-
scheinen vermöge."41
Das Gesicht als Bild Gottes ist für Fichte ein unendliches Gesicht, das sich
in keiner Sinnenwelt vollständig aussprechen kann. „Es tritt drum niemals in der
Zeit ein Gottes unmittelbares Bildniß, sondern immer nur ein Bild von seinem
zukünftigen Bilde, welches wiederum nur ein Bild ist von dem jedesmal zukünf-
tigen Bilde, und so ins unendliche fort; das eigentliche Urbild aber wird niemals
wirklich, sondern liegt über aller Zeit als ewig unsichtbarer Grund und Gesez,
und Musterbild des unendlichen Fortbildens in der Zeit."42 Weil jede Wirklich-
keit dem Gesicht unangemessen ist, faltet es sich in eine Unendlichkeit von Zu-
ständen aus, welche die Sukzession der Zeit und mit ihr alle Erscheinungen in
der Zeit erzeugt. Zeit ist nichts anderes als das in alle Unendlichkeit zerstreute
Bild der Ewigkeit, allerdings teleologisch aufgespannt durch die Maßgabe des
Gesetzes, das Bild Gottes in der Wirklichkeit zur Erscheinung zu bringen.
Das Erscheinen Gottes im wirklichen Wissen ist deshalb ein in die Unend-
lichkeit fließender Strom, der niemals zu einem festen Bild gerinnt. Es ist ein
fortwährendes Bilden immer neuer Bilder. „In diesem ewigen Strome erhalten
nun die einzelnen Bilder, und in den Zeitmomenten gehaltene Gesichte ihren
Geist aus Gott, ihre körperliche, und bildliche Gestaltung aber entlehnen sie aus
der Sinnenwelt; keinesweges als ob diese Gestalt in der lezten gegeben sey, ...
sondern daß sie unmittelbar an die Gegebne sich anschließt, und dieses, so wie
sie es trift, im blossen Bilde weiter fort bildet."43 Für Fichte folgt daraus die
Unabtrennbarkeit der intelligiblen Welt von der Sinnenwelt. Erst in der Vereini-
gung beider Weisen des Wissens, des vorbildlichen und des nachträglichen,
zeigt sich das Wissen in seiner Wahrheit und Totalität.
40 Vgl. G. W. F. Hegel, Glauben und Wissen oder die Reflexionsphilosophie der Subjecti-
vität, in der Vollständigkeit ihrer Formen, als Kantische, Jacobische, und Fichtesche
Philosophie, in: ders., Gesammelte Werke, im Auftrag der Deutschen Forschungs-
gemeinschaft hrsg. von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Bd.
4, hrsg. von H. Buchner, O. Pöggeler, Hamburg 1968, 392.
41 Fichte, Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, 317.
42 Fichte, Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, 318.
43 Fichte, Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, 318.
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74 Christoph Asmuth
Mit seiner Theorie des Gesichts stellt Fichte eine späte Ideenlehre vor. Sie ist
eine Transformation der Ideenlehre Piatons, allerdings in einer speziellen Inter-
pretation durch Fichte. Es ließen sich nun verschiedene Elemente der späten
Wissenschaftslehre anfuhren, die den Texten Piatons korrespondieren könnten.
Als Beispiel wäre hier das gegensätzliche Verhältnis von Unendlichkeit und Be-
grenzung anzuführen, das sich auf Piatons Begriffspaar πέρας und άπειρον
abbilden ließe, wie Piaton sie im Philebus verwendete. Fichtes transzendentale
Deduktion der Zeit könnte ebenso auf die kosmologischen Überlegungen im
Timaeus zurückgeführt werden. Darüber hinaus gibt es bereits eine Reihe von
Untersuchungen, die sich einem Vergleich Platon-Fichte widmen, etwa zum Be-
griff des Einen im Platonischen Parmenides und Fichtes Wissenschaftslehre
1804, 2. Vortrag** oder zum Strukturvergleich einzelner Dialoge mit den Wer-
ken Fichtes. 45 Schließlich gibt es noch Untersuchungen allgemeinerer Art, die
einen systematischen Zusammenhang zwischen Piaton und Fichte konstatie-
ren. 46 Allen diesen Bemühungen ist gemeinsam, daß sie sich nicht darauf beru-
fen können, Fichte habe die Platonischen Texte ernsthaft zur Kenntnis genom-
men.
Bei Fichtes Theorie des Gesichts ist die Lage anders: Sie antwortet auf die
explizite Interpretation der Platonischen Ideenlehre. Fichte sieht die Ideenlehre
so: „die Dinge seien Abspiegelungen der Ideen, der Gesichte; die Ideen seien die
Vorbilder der wirklichen Welt. In diesem Gegensatze ist es nun ganz klar, daß er
das objektive und das reine Wissen unterschieden hat ... Nicht klar aber ist, ob
ihm die Unterscheidung der beiden objektiven Weltformen, der Welt als Frei-
heitsprodukt, der praktisch zu erschaffenden, und der schlechthin ohne alle Be-
ziehung auf Freiheit gegebenen empirischen, recht klar geworden ist. In der
ersten Rücksicht ist es ganz und gar wahr, und wenn man diese Rücksicht
durchsetzen will, so ist es allein wahr. In der letzten Beziehung aber läßt es sich
nur in einem sehr untergeordneten Sinne sagen, und sehr vermittelt. Höchstens
44 Vgl. M. Budde-Burmann, Das lebensorientierende Eine bei Piaton und Fichte. Zum
Verhältnis von Piatons „Parmenides" zu Fichtes ,„Wissenschaftslehre (1804) 2 ", in: pri-
ma philosophia 4 (1991), 11 -31.
45 Vgl. B. Zehnpfennig, Reflexion und Metareflexion bei Piaton und Fichte. Ein Struk-
turvergleich des Platonischen , Charmides' und Fichtes ,Bestimmung des Menschen
Freiburg i. Br., München 1987.
46 Vgl. T. Rockmore, Le concept fichteen de la science et la tradition platonicienne, in: Le
Savoir Philosophique, Nice 1977, 31-40; W. Janke, Repeticion de la dialetica. La tra-
ducciön de la dialetica platönica a la doctrina de la ciencia de Fichte, in: Anuario Filo-
sojico 11, η. 1 (1978), 75-88.
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Die Theorie des Gesichts 75
kann man sagen, daß das Ganze zufolge eines Gesichts sei, nicht aber das Be-
sondere." 47
Fichtes Theorie des Gesichts scheint diesem Mangel Abhilfe schaffen zu
wollen, behauptet aber ansonsten, daß die Lehre Piatons mit der Wissenschafts-
lehre kompatibel sei:
1. Die Ideen sind für ihn rein praktisch. Sie zeigen ein unbedingtes Sollen an.
Darin sind sie kontrafaktisch, aber produktiv.
2. Die wirkliche Welt folgt der intelligiblen Welt nach; sie ist das Nachträgliche
in bezug auf die Ideen, damit etwas Sekundäres, nicht Ursprüngliches.
3. Damit bestimmt die praktische Idee zugleich das Besondere und Einzelne und
nicht nur das Ganze als Allgemeines wie die theoretische Philosophie. Darin
folgt Fichte der Kritik der reinen Vernunft Kants, der eine Platonische Idee nur
im Bereich des Praktischen zuläßt, sie aber im Bereich der Theorie für eine un-
statthafte Hypostasierung ansieht. 48
4. Die Ideen sind selbst Bild Gottes. Fichte lädt damit die Platonische Ideenlehre
durch eine christlich-augustinisch geprägte imago-Theorie spekulativ auf.
5. Die Ideen sind zwar außerweltlich, d. h. überweltlich im Sinne der Apriorizi-
tät, sind aber gleichzeitig in der Welt, die dadurch zur Sphäre der Wirksamkeit
für die Ideen wird. Ideenwelt und wirkliche Welt sind eine Welt, eine Welt des
Wissens. Ein Weltendualismus unterstellt Fichte der Platonischen Ideenlehre ge-
nauso wenig, wie er selbst einen solchen Dualismus intendiert.
6. Die Ideen gehören dem reinen Wissen an, sind daher einzig einer transzen-
dentalphilosophischen Reflexion zugänglich.
IV. Schluß
Für den Selbstdenker Fichte besaß die Geschichte des Denkens keinen eigen-
ständigen Wert. Er deduzierte zwar abstrakt die apriorische Struktur der Ge-
schichte, die in fünf Epochen verlaufen sollte. 49 Die konkreten geschichtlichen
Ereignisse oder Gedankensysteme wollte er - anders als das Programm Hegels -
nicht in sein System integrieren. Deshalb erscheint die Philosophiegeschichte
bei Fichte merkwürdig verkürzt. Sie gleicht einer Einbahnstraße, die mit Piaton
beginnt und mit Fichtes Wissenschaftslehre endet, wobei erstaunlich bleibt, daß
Fichte hier auch nur zwei wichtige Stationen kennt: Jesus Christus und Kant.
Fichte selbst hätte dies sicher nicht merkwürdig gefunden, sondern auf dem
Recht des Selbstdenkers beharrt, das gerade in der Unabhängigkeit von der Ge-
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76 Christoph Asmuth
49 Vgl. Fichte, Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters (1806), in: Gesamtausgabe, Bd.
1/8, hrsg. von R. Lauth, H. Gliwitzky unter Mitwirkung von J. Beeler, E. Fuchs, I. Ra-
drizzani, P. K. Schneider, Stuttgart-Bad Cannstatt 1991; dazu H. Traub, Johann Gottlieb
Fichte's Populärphilosophie 1804-1806, Stuttgart-Bad Cannstatt 1992, 25-68.
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ANNETTE SELL
Die Vielgestaltigkeit des Lebens zeigt sich besonders dann, wenn man es philo-
sophisch präzise zu fassen versucht. Eine einfache Definition läßt sich dabei
sicherlich nicht formulieren, und so gilt es, das Leben in den verschiedenen
Kontexten zu denken. In der Philosophie Plotins und Fichtes spielt der Lebens-
begriff in mehreren Schriften und somit auch in unterschiedlichen Zusammen-
hängen eine Rolle. So spricht bereits der frühe Fichte vom Leben im Sinne des
empirischen, organischen und ethischen Lebens, und dieser Begriff durchläuft
dann mehrere Bedeutungswandel, bis er schließlich beim späten Fichte als abso-
lutes Leben bestimmt wird. 1 Plotins Denken des Lebens zeigt sich ebenso in den
verschiedenen Zusammenhängen. So spielt in seiner Philosophie das Leben in
bezug auf den Körper, die Seele und den Geist eine Rolle. 2 Der folgende Text
unternimmt nun einen Vergleich zwischen Plotin und Fichte, um Gemeinsam-
keiten und Unterschiede in der Konzeption des Lebensbegriffes beider Denker
aufzuzeigen.
Den Anstoß zu diesem Vergleich gab die Studie von Hans Michael Baum-
gartner, dessen „Strukturvergleich der Reflexionsformen" sich auf den Begriff
des Absoluten bei Fichte und Plotin richtet. Baumgartner zeigt hier analoge
Strukturen der Begriffe und der Weise der Reflexion beider Denker, wobei er
zunächst Fichtes Begriff des Absoluten und damit verbunden den Begriff des
Seins entwicklungsgeschichtlich nachzeichnet, bis es in der Wissenschaftslehre
18042 zur Einheit von Denken und Sein kommt, deren Grund das Absolute ist.3
Dann folgt er Plotins Denken des Einen, um im dritten Teil Gemeinsamkeiten
und Differenzen beider Denker herauszustellen. Auf diesen Abschnitt wird noch
im dritten Teil dieses Textes zu verweisen sein. Jens Halfwassen beginnt seine
Arbeit über den ,Aufstieg zum Einen' mit einem Zitat aus der Wissenschaftsleh-
re 18042 und zeigt die Nähe zwischen Fichte und Plotin auf, indem er im Zuge
der Plotinischen Metaphysik des transzendenten Einen Fichtes Forderung der
1 Siehe hierzu insbesondere die Arbeit von W. H. Schräder, Empirisches und absolutes
Ich. Zur Geschichte des Begriffs Leben in der Philosophie J. G. Fichtes, Stuttgart-Bad
Cannstatt 1972.
2 Zum Lebensbegriff bei Plotin siehe das Buch von G. P. Kostaras, Der Begriff des Le-
bens bei Plotin, Hamburg 1969.
3 Vgl. Η. M. Baumgartner, Die Bestimmung des Absoluten. Ein Strukturvergleich der
Reflexionsformen bei J. G. Fichte und Plotin, in: Zeitschrift für philosophische For-
schung 34, Heft 1 (1980), 321-342, bes. 328 und 329.
4 J. Halfwassen, Der Aufstieg zum Einen. Untersuchungen zu Piaton und Plotin, Stuttgart
1992, 11.
5 Vgl. J. H. Loewe, Die Philosophie Fichtes nach dem Gesammtergebnisse ihrer Entwik-
kelung und in ihrem Verhältnisse zu Kant und Spinoza. Mit einem Personen- und
Stichwortregister sowie einem Verzeichnis der zitierten Schriften von W. G. Jacobs,
Hildesheim, N e w York 1976, Nachdr. der Ausgabe Stuttgart 1862, 171.
6 Vgl. Loewe, Die Philosophie Fichtes, 48, 264-265.
7 Derartige Arbeiten liegen für Fichte von W. H. Schräder und für Plotin von G. P. Kost-
aras vor; vgl. Anm. 1 und 2.
8 Vgl. Piaton, Sophistes 248e2-249d7. Zu den philosophiehistorischen Hintergründen die-
ser Trias bei Plotin, insbesondere zu dem Bezug auf den Dialog Sophistes, vgl.
P. Hadot, Etre, vie et pensee chez et avant Plotin, in: Les sources de Plotin. Entretiens
sur l'Antiquite classique, Tome V, Genf 1960, 107-141.
9 Baumgartner, Die Bestimmung des Absoluten, stellt in seinem Text zunächst Fichte und
dann Plotin dar. An dieser Stelle ist im Sinne der Chronologie die umgekehrte Reihen-
folge gewählt.
Um das Leben im Bereich des Geistes zu verstehen, ist seine Beziehung auf
Denken und Sein zu betrachten. So muß gezeigt werden, wie die Identität von
Denken und Sein 10 zu verstehen ist und sich das Leben mit diesen Begriffen
verbindet. An mehreren Stellen der Enneaden zeigt Plotin die Identität des νους
mit dem Sein. An dieser Stelle ist nur auf die Argumentation in Enneade V 9, 5
hinzuweisen, um das Verhältnis von Denken und Sein anzudeuten. Hier geht es
Plotin darum, das Wesen des Geistes zu prüfen. Er fragt, ob der Geist vom Sinn-
lichen getrennt ist, ob er das Seiende ist oder ob in ihm die Ideen sind. 11 Die Ar-
gumentation verläuft nun so, daß Plotin sagt, daß alles, was zusammengesetzt
ist, ist. So ist ζ. B. der Mensch zusammengesetzt aus Seele und Leib. Die Seele
ist ihrerseits vom Geist mit rationalen Formen ausgestattet worden. Der Geist ist
also vor der Seele. Das Rationale ist aber nicht etwas, was außerhalb des Geistes
ist, sondern das, was der Geist denkt, ist aus ihm selbst. „Denkt er aber aus sich
und von sich selbst, so ist er selbst das, was er denkt." 12 Sein und Denken sind
also dasselbe. Festzuhalten bleibt nun, daß der νους identisch mit seiner Tätig-
keit, d. h. mit dem Denken und dem Gedachten, d. h. also mit dem Sein ist. Der
νους ist so der Ort des Seins.
Um vor diesem Hintergrund nun die genannten drei Begriffe ,Denken',
,Leben', ,Sein' in ihrem Zusammenhang zu sehen, ist insbesondere auf die En-
neade III 8 einzugehen. Ausgangspunkt der Enneade ist die Frage nach der Be-
trachtung bzw. θεωρία, nach der alle Dinge verlangen. Plotin entwickelt den
Gedanken, daß in der Natur eine rationale Formkraft ist. Die Natur ist nicht nur
das Ergebnis der Betrachtung bzw. Betrachtetes, sondern sie ist auch selbst Be-
trachtung. Natürlich, so schränkt Plotin ein, handelt es sich hier nicht um eine
Betrachtung, die einer logischen Reflexion entspringt, doch „warum sollte sie
[seil, die Natur] diese Betrachtung nicht haben, wo sie doch Leben, rationale
Form und wirkende Kraft ist?" 13 Die Natur selbst ist also Leben, und so hat der
Lebensbegriff auch diese natürliche Komponente, wobei der Natur zugleich die
rationale Form zugeschrieben wird und sie somit mehr als bloße Materie ist.
Nun ist die Natur auch noch Seele, insofern diese jener vorausliegt. Die θεωρία
steigt also von der Natur auf zur Seele und dann zum Geist. Im Geist sind dann
das Betrachtete und die Betrachtung in der Einheit, „die nicht mehr auf Wesens-
10 Vgl. W. Beierwaltes, Plotin. Über Ewigkeit und Zeit (Enneade III 7), Frankfurt a. M.
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1981, 26-31.
11 Vgl. Plotinus, Enn. V 9, 5, 1-8. - Die Zitate zu Plotin sind folgender Ausgabe entnom-
men: Plotins Schriften. Übers, von R. Harder. Neubearb. mit griechischem Lesetext und
Anm. fortgeführt von R. Beutler, W. Theiler, Hamburg 1956-1971.
12 Plotinus, Enn. V 9, 5, 6-7.
13 Plotinus, Enn. III 8, 3, 14-15.
aneignung beruht wie noch bei der besten Seele, sondern auf Wesenheit, darauf,
daß ,Sein und Denken dasselbe' sind". 14 Dabei handelt es sich um eine „lebendi-
ge Betrachtung". 15 Das Betrachtete ist nämlich nicht als ein anderes in der Be-
trachtung. „Wenn also ein Betrachtetes und ein Gedachtes Leben haben soll, so
muß es Leben an sich sein, nicht vegetatives oder wahrnehmendes oder sonst
seelisches Leben." 16 An dieser Stelle deutet sich also die Bedeutung des Lebens
für das Denken an. Leben ist sowohl im Betrachteten als auch in der Be-
trachtung. Plotin spricht hier von αΰτοζωή. Es gibt demnach ein Selbstleben,
das nicht im sinnlichen Bereich, sondern im intelligiblen Bereich ist, und in den
folgenden Schritten zeigt Plotin, daß Leben und Denken dasselbe sind, denn
„alles Leben ist irgendwie Denken", 17 wobei es höhere und niedere Formen des
Lebens und des Denkens gibt. Der Geist, der sich selbst Gegenstand und somit
sich seiner selbst bewußt ist, ist mit dem Sein identisch, und als solcher ist er ein
lebendiger Geist. Denken, Leben und Sein bilden eine Einheit. Diese Einheit
betrachtet er nun aber nicht als Eines, sonst würde der Geist nicht entstehen. Die
Einheit wird also zur Vielheit. Im Rahmen der Darstellung der Triadik des
Proklos und deren Deutung durch Hegel parallelisiert Jens Halfwassen den In-
halt bzw. die Aufgabe der einzelnen Elemente der Triade in der Philosophie
Proklos' mit Plotin. „Wie Plotin, so denkt auch Proklos das Sein als die Einheit
aller Ideen im seienden Einen, das Leben als die Selbstentfaltung (άνέλιξις) der
Einheit des seienden Einen in die Vielheit der besonderen Ideen und das Denken
als die in der Einheit des Seins entfaltete Vielheit der Ideen oder als das in seiner
Selbstentfaltung in die unterschiedenen Ideen in ungeteilter Einheit und Ganz-
heit bei sich bleibende seiende Eine, das sich in seinen Momenten auf sich selbst
bezieht und so im Vollzug seiner Entfaltung in sich selbst zurückkehrt,"18 Es
zeigt sich vor dem Hintergrund der oben entwickelten Argumentation Plotins in
den Enneaden V 9 und III 8 sowie in diesem Zitat die begriffliche Verbunden-
heit von Denken, Leben, Sein. Werner Beierwaltes spricht in diesem Zusam-
menhang von einem „dynamischen Ineinander" von Denken und Sein. 19 Die
Frage, was denn diese δύναμις ausmache, beantwortet er mit dem Leben. Dem
Lebensbegriff kommt in dieser Trias also die Aufgabe des Bewegenden zu.
Beierwaltes faßt prägnant zusammen: „Leben als Identitätsakt von Denken und
Sein. Denken als ein durch das Leben vermitteltes Denken des Seins, Sein als
20
ein sich selbst denkendes Leben oder lebendes Denken."
Im weiteren Verlauf der Enneade III 8 fragt Plotin nach der Beschaffenheit
des Geistes. Jenseits des Geistes, der ja noch Leben ist, ist das Eine, nicht Zu-
sammengesetze und somit Höchste, das vor dem Geist liegt. Dieses Eine ist der
Ursprung. Es ist vor allem anderen und ist somit auch der Ursprung des Geistes,
des Seins und des Lebens. Über das Leben hinaus geht also die Ursache des
Lebens, und die Vielheit des Lebens stammt aus der Nicht-Vielheit, die die Ein-
heit ist. Von dem Einen heißt es, daß „nichts von ihm ausgesagt werden kann,
nicht Sein, noch Wesen, noch Leben."21 Dieses Eine, das als absolute Transzen-
denz die Voraussetzung für das Viele ist, ist also die höchste Stufe in der Ploti-
nischen Philosophie und liegt jenseits der drei oben entwickelten Begriffe, d. h.
jenseits des Denkens, des Seins und des Lebens.
Um nun aber noch ein vollständigeres Bild des Lebens bei Plotin zu erhal-
ten, sollen in einem kurzen Ausblick weitere Kontexte betrachtet werden, in
denen das Leben steht. Es ist ja nicht nur im Bereich des Denkens und des Seins
eine bewegende Kraft, sondern auch in bezug auf den Körper. Die Ursache die-
ser Bewegung ist aber die Seele: „Sie gibt dem beseelten Leib erst das Leben,
welches sie selbst von sich aus hat und niemals verliert, da sie's von sich selber
hat."22 Es muß nämlich etwas geben, was ursprünglich lebt. Das körperliche
Leben ist dabei ein Werden, wobei aber eben nur etwas werden kann, weil es ein
unveränderliches Sein bzw. die Seele gibt.23 Da sie das Prinzip des Lebens ist,
lebt sie also, wobei Plotin aber zuvor gezeigt hat, daß die Seele nicht Körper ist.
„Die Seele aber ist eine einheitliche und einfache Wesenheit, die aktual Leben
hat."24 Der Aufstieg vollzieht sich vom Körper zur Seele und dann zum Geist,
der seinerseits, wie oben gezeigt, Leben hat. Neben dieser theoretischen Be-
stimmung des Lebensbegriffes zeigt Plotin auch an vielen Stellen die Fülle und
den Reichtum des empirischen Lebens auf der Welt, wobei diese Welt nur