Herausgegeben von
Burkhard Mojsisch und
Orrin F. Summerell
Zwischen 1999 und 2003 fand unter der Schirmherrschaft des Deutsch-Ameri-
kanischen Akademischen Konzils bzw. der Alexander-von-Humboldt-Stiftung
das internationale TransCoop Forschungsprogramm Piatonismus im Deutschen
Idealismus. Ideenlehre und Subjektivitätstheorie zwischen historischer Rezep-
tion und systematischer Transformation statt. Ziel des Programms war es, die-
sem schillernden Thema philosophischer Wirkungsgeschichte noch schärfere
Konturen zu verleihen, indem inhaltliche und methodische Fragen aus den un-
terschiedlichen Perspektiven und Traditionen der deutschen und nordamerikani-
schen Teilnehmer untersucht und im Rahmen eines gemeinsamen Kolloquiums
diskutiert wurden. Vom 18. bis zum 21. Juli 2002 haben sich die am Programm
beteiligten Forscher zur gleichnamigen Tagung in Bochum versammelt, die von
einer Reihe ertragreicher Forschungsaufenthalte in Deutschland bzw. den USA
begleitet wurde. Nun werden die Ergebnisse des Programms der Öffentlichkeit
vorgelegt.
An erster Stelle möchten wir dem Deutsch-Amerikanischen Akademischen
Konzil (Bonn - Washington, D. C.) sowie der Alexander-von-Humboldt-Stif-
tung (Bonn) sehr herzlich für ihre großzügige Unterstützung des Programms
über die letzten Jahre danken. Unser Dank gilt weiterhin Herrn Dr. Christoph
Asmuth (Berlin) für seinen wesentlichen Beitrag zur ursprünglichen Konzeption
des Programms sowie Frau Prof. Dr. Dorothea Frede (Hamburg) und Herrn Prof.
Dr. Klaus Düsing (Köln), die das Vorhaben durch Gutachten befördert haben.
Zudem möchten wir unseren nordamerikanischen Kollegen Herrn Dr. Thomas
H. Curran (University of King's College) und Herrn Prof. Dr. Edward C. Halper
(University of Georgia) danken, die durch den Erwerb von Matching Funds
einen substantiellen Beitrag zum Programm geleistet haben. Gern möchten wir
uns auch bei den Wissenschaftlern bedanken, die sich am Programm beteiligt
und ihre Arbeiten zur Veröffentlichung bereitgestellt haben. Schließlich sei Frau
Dr. Elisabeth Schuhmann vom Saur Verlag für die gute Zusammenarbeit und
Herrn Thomas Zimmer (Bochum) für die Durchsicht der Beiträge und die Er-
stellung der Register sowie weitere redaktionelle Unterstützung gedankt.
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ORRIN F. SUMMERELL
Einleitung.
Die Platonische Tradition
in der klassischen deutschen Philosophie
„Die ιδέα, der Piatonismus und der Idealismus": Durch diesen provokativen
Titel will Martin Heidegger die nach seiner Ansicht zwei wichtigsten Momente
in der Geschichte der abendländischen Metaphysik in ihrer wesentlichen Ein-
heitlichkeit zusammenfassen. Für Heidegger zeichnet sich das Denken, das sich
zwischen Piaton und seinem Schüler Aristoteles einerseits und andererseits den
Vertretern der klassischen deutschen Philosophie: Immanuel Kant, Johann Gott-
lieb Fichte, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Georg Wilhelm Friedrich He-
gel, aber auch Arthur Schopenhauer und sogar Friedrich Nietzsche, entfaltet hat,
durch die Idee aus. Damit soll allerdings nicht behauptet werden, daß dieses
Denken wirklichkeitsfremd sei. Vielmehr ist nach Heidegger der antike Plato-
nismus sowie der neuzeitliche Idealismus der Idee als dem vermeintlich wahren
Sein verpflichtet, und zwar auf eine Weise, welche die philosophische Tradition
entscheidend geprägt hat. „Im Sinne des streng geschichtlichen Begriffes des
.Idealismus' war Plato", so Heidegger, „niemals .Idealist', sondern .Realist',
d. h. aber nicht, daß er die Außenwelt an sich nicht leugnet, sondern die Ιδέα als
das Wesen des öv, als realitas der res lehrte. Aber der .Idealismus' freilich ist,
gerade als neuzeitlicher, Piatonismus, insofern auch fur ihn die Seiendheit aus
dem ,Vorstellen' (νοεΐν), d. h. in Verkoppelung mit Aristotelischen Anstößen
aus dem λόγος als διανοεΐσθαι begriffen werden muß, d. h. aus dem Denken,
das nach Kant ist das Vor-stellen von etwas im Allgemeinen (Kategorien und
Urteilstafel; Kategorien und das Sichselbstwissen der Vernunft bei Hegel).
Überhaupt: maßgebend für die ganze Geschichte der abendländischen Philoso-
phie, Nietzsche Inbegriffen: Sein und Denken."1 Weil Idealismus das Sein aus
dem Denken begreift, ist er nach Heidegger Piatonismus, und dieser selbst Rea-
lismus, dem die Realität - die Wirklichkeit des Wirklichen - als ideel konstru-
iert gilt. Nun kritisiert Heidegger an dieser philosophischen Tradition gerade
dies, daß darin das Sein im Hinblick auf ein mit dem Sich-Vorstellen gleichbe-
deutendes Denken verstanden wird, d. h., daß im Piatonismus sowie Idealismus
die Vorstellung, d. h. die Idee - schließlich das sich selbst begreifende Denken - ,
1 M. Heidegger, Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis), in: ders., Gesamtausgabe, Bd.
65, hrsg. von F.-W. von Herrmann, Frankfurt a. M. 1989, 215.
zum Maß aller Dinge wird, ohne daß die Voraussetzungen dieser Identifikation
adäquat reflektiert werden.
Man wird die sowohl systematisch als auch philosophiegeschichtlich um-
strittene Position Heideggers, in der sich zentrale Gedanken der antiken Platoni-
schen Prinzipien- und Ideenlehre sowie der modernen Subjektivitätstheorien
selbst auf unreflektierte Weise wiederfinden, nicht teilen müssen, um erkennen
zu können, welche Brisanz der Themenkomplex ,Piatonismus im Idealismus'
besitzt. Dadurch wird angedeutet, daß eine Wesensverwandtschaft zwischen
zwei Epochen der Philosophiegeschichte und zwei epochalen Denkweisen be-
steht, die noch heute bedeutsam ist. Nun hat die Natur dieser Wesensverwandt-
schaft neuerdings größere Aufmerksamkeit auf sich gelenkt, und dies nicht nur
wegen der Kritik Heideggers. Denn der Themenkomplex ,Piatonismus im Idea-
lismus', in dem die Rezeption und die Transformation tradierten Gedankengutes
eng miteinander verbunden sind, inkludiert eine Aktualität, die weit über eine
bloß philosophiegeschichtliche Dokumentation oder die Vertretung einer einzi-
gen systematischen Position hinausgeht: Grundfragen zur prinzipiellen Bedeu-
tung des autonomen Subjekts bzw. des unvordenklichen Seins gehören zu den
wichtigsten Anliegen der Metaphysik und Erkenntnistheorie, und besonders im
Hinblick auf die Frage nach der Einheit von Theorie und Praxis formulieren
Piatonismus und Idealismus einen Wahrheitsanspruch, in dem ethische sowie
ästhetische Prinzipien fundiert sind.
Im weitesten Sinne fuhrt der Piatonismus - die Philosophie Piatons selbst
sowie deren Fortfuhrung im Mittel- und Neuplatonismus der Spätantike, ferner
deren Weiterentwicklung in der Geistesgeschichte des Mittelalters, der Renais-
sance und der Moderne - das Empirische auf das Intelligible erklärend zurück.
Für die Denker des sogenannten Deutschen Idealismus - dessen vielfältige For-
men sich als Subjektivitätstheorien bezeichnen lassen werden - hat der Plato-
nismus eine elementare Bedeutung: In ihm erkennen sie ihre eigenen Leitmotive
und die primäre Bestimmung ihres Problemhorizontes wieder, mit ihm setzen
sie sich grundlegend auseinander, um die eigene Position zu profilieren oder gar
allererst zu entwickeln, zu ihm bekennen sie sich bisweilen auf innigste Weise,
von ihm setzen sie sich gelegentlich aber auch pointiert ab. In der Philosophie
Piatons und in den sich daran anschließenden Systemkonstruktionen der Mittel-
und Neuplatoniker entdecken sie unmittelbare Geistesverwandte; es findet nicht
nur eine historische Rezeption antiker Philosophie, sondern zugleich eine geziel-
te Transformation in die eigenen Konzepte statt. Zudem liegt im Hintergrund
dieser Aneignung der Platonischen Tradition ein komplexer Gesprächszusam-
menhang, dessen Rahmenbedingungen - wie etwa Schulbildung, Fächerkanon
und philologische Kenntnisse, aber auch der Philhellenismus, politische Revolu-
tion und Romantik - entscheidende Rollen spielen.
Die zwölf Beiträge zum vorliegenden Bande haben es sich zur Aufgabe
gemacht, die Platonischen Dimensionen des als .Idealismus' tradierten neuzeit-
lichen Denkens anzusprechen, um neue Einsichten in die Konstitution der klas-
sischen deutschen Philosophie zu gewinnen. Dabei orientieren sie sich nicht nur
an den Leitfiguren dieser Epoche, sie berücksichtigen auch andere Personenkrei-
se, die an der deutschen Platon-Renaissance mitgewirkt haben. Die ersten zwei
Beiträge widmen sich dieser Aufgabe, indem sie die unmittelbaren wissenschaft-
lichen Voraussetzungen darlegen, welche die gewaltige Umdeutung des Plato-
nismus in den transzendentalphilosophischen und spekulativen Denkweisen des
ausgehenden 18. und des frühen 19. Jahrhunderts ermöglichen. Indem Tanja
Gloyna die Frage: „Idee - Substanz oder Begriff? Zum Wandel des Piaton-
Verständnisses im 18. Jahrhundert" stellt, zeigt sie, in welcher Bandbreite sich
die moderne Auffassung der Platonischen Idee bewegt, auch wenn diese auf
antike und spätantike Interpretationen - so etwa bei Pseudo-Plutarch - zurück-
greift. Mit Hinblick auf die führenden Philosophiehistoriker - darunter Johann
Jacob Brucker, Johann Jakob Engel, Anton Friedrich Büsching, Friedrich Victor
Lebrecht Plessing, Dieterich Tiedemann, Wilhelm Gottlieb Tennemann, Georg
Gustav Fülleborn und David August Suabedissen - legt Gloyna dar, inwiefern
das in der klassischen deutschen Philosophie thematisierte Spannungsverhältnis
von Idealismus und Realismus - zwischen Substanz und Begriff - durch diese
philosophiegeschichtliche Fragestellung vorbereitet wird.
Die sorgfaltige Unterscheidung zwischen dem Denken Piatons und den
Auslegungen desselben durch seine Nachfolger und Anhänger ist eine Leistung
der modernen philosophischen Geschichtsschreibung, die freilich fur lange Zeit
zum Nachteil der letzteren Gruppe wirkt. „Der Neuplatonismus in den philoso-
phiehistorischen Arbeiten der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts", wie der
Beitrag von Michael Franz dokumentiert, besitzt verschiedene Facetten, welche
spätere systematische Überlegungen nachhaltig beeinflußen. Diese Facetten
reichen von der strengen Kritik am neuplatonischen Eklektizismus seitens Bruk-
kers oder der scharfen Ablehnung der philosophischen Vielgötterei durch Chri-
stoph Meiners bis zu den ersten Anzeichen einer positiven Darstellung des Neu-
platonismus bei Georg Gustav Fülleborn. Über die Beanstandung der vielbe-
schworenen Schwärmerei der Neuplatoniker hinaus entdeckt Fülleborn, so
Franz, im Emanationsbegriff einen neuen Zugang zu den Inhalten, die diese
früheren Denker bewegt haben: eine Art prozessualer Subjektivität, welche we-
sentliche Aspekte der Würdigung des Piatonismus bzw. Neuplatonismus bei
Schelling und Hegel vorwegnimmt.
Die systematische Wiederbelebung des Piatonismus am Ausgang des 18.
Jahrhunderts verdankt sich nicht allein der sich noch entwickelnden Disziplin
der Philosophiegeschichte: Es sind auch die Ansätze einer neuen Metaphysik,
welche den damaligen Platon-Lektüren neue Kräfte verleihen. Den wichtigsten
liefert er einen Umriß der Stellung des Absoluten im Piatonismus, der gerade die
Differenz zwischen dem Einem und dem Sein zur Geltung bringt, danach eine
Darstellung von Fichtes Theorie des Absoluten unter Einbeziehung der neupla-
tonischen Deutung des Einen, schließlich einen Blick auf die transzendentale
Logik, die im Ausgang von Fichte Johann Baptist Schad entwickelt hat. Darin
treten neuplatonische Grundsätze, die sich im Denken des Proklos ausmachen
lassen und welche auch - obwohl nicht als solche anerkannt - die Wissen-
schaftslehre Fichtes prägen, noch deutlicher hervor. Aber bereits bei Fichte will
Cürsgen eine Schwerpunktverlagerung der Wissenschaftslehre vom Ich auf das
Absolute bzw. das absolute Wissen finden, die dem neuplatonischen Aufstieg
von Seele zu Geist und Einem durchaus analog ist.
Im darauffolgenden Beitrag setzt sich Johann Kreuzer mit „Hölderlins
Kritik der intellektuellen Anschauung. Überlegungen zu einem Platonischen
Motiv" auseinander. Bei Hölderlin kommen nicht allein die philosophischen
Wurzeln des ästhetischen Piatonismus zum Vorschein, in dem als Schönheit
bezeichnete Augenblicke plötzlicher Sinnevidenz thematisch werden, es kommt
auch die im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert sich anbahnende philo-
logische Wende zu den ursprünglichen Quellen des Piatonismus zum Ausdruck,
welche auch für die damalige Philosophie so fruchtbar ist. Hölderlin kombiniert
fast alle Tendenzen: Er will etwa den Phaedrus Piatons in einem Aufsatz über
die ästhetischen Ideen kommentieren. In der philosophischen Arbeit Hölderlins
erfährt dann das Theorem der intellektuellen Anschauung, wie es bei Kant, Fichte
und Schelling auftritt, große Anerkennimg und scharfe Kritik. In Anbetracht der
Begriffe, die bei Hölderlin die Bedeutung der intellektuellen Anschauung struktu-
rieren, geht Kreuzer den Stationen seiner philosophischen sowie dichterischen
Auseinandersetzung mit ihr: Einheit und Differenz, Erinnerung der Einheit, gött-
licher Begeisterung und Sprache als Vermittlung, einzeln nach.
Die nächsten zwei Beiträge untersuchen die vielfältigen Verbindungslinien
zwischen Piaton bzw. Plotin und Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, der von
Anfang an in seiner philosophischen Karriere durch Piaton direkt beeinflußt ist.
Ausgewählte „Perspektiven der Schwärmerei um 1800. Anmerkungen zu einer
Selbstinterpretation Schellings" erläutert Orrin F. Summereil. Vor dem Hinter-
grund konzeptueller Assoziationen zwischen Piatonismus, Enthusiasmus und
Schwärmerei, die sich besonders im Dialog Ion finden, sowie mit Bezug auf den
Streit zwischen Kant und Johann Georg Schlosser über die kritische Philosophie
einerseits und andererseits die Auseinandersetzung zwischen Fichte und Schel-
ling über die Naturphilosophie wird demonstriert, inwiefern aus einer Kampfvo-
kabel der Aufklärung gegen den Aberglauben, die auch gegen die Platoniker
eingesetzt wird, ein Schlagwort gegen den einseitigen - d. h. subjektiven - Idea-
lismus wird. Somit kann Schellings spätere Selbstauslegung, welche die Nähe
seiner eigenen Transzendentalphilosophie zum originalen Denken Piatons -
läge im Platonischen Dialog. Bekanntlich ist der Parmenides für Hegel nach
eigener Angabe das größte Kunstwerk der alten Dialektik. Schrittweise analy-
siert Halper die Konsequenz von Hegels Behandlung des Dialogs, das Problem
der Teilnahme in der Philosophie Piatons und die Bedeutung von Dialektik -
positive sowie negative - bei Piaton und Hegel. Unter Einbeziehung des Platoni-
schen Sophistes kommt er zu dem Schluß, daß Hegel Pluralität und Negativität
als Momente idealer Form ausdrücklich begreift, während Piaton dieselbe ei-
gentlich als einfach und damit außerhalb der Dialektik, d. h. dem Denken grund-
sätzlich transzendent, betrachtet. Piaton und Hegel trennen sich also im Hinblick
auf die Definition der Natur des ersten Prinzips sowie dessen Verhältnis zu dem,
was in ihm begründet ist: Einfachheit und Vollkommenheit, insofern beide Prin-
zipien sich selbst erklären können, scheinen gleichberechtigte philosophische
Konkurrenten zu bleiben.
Schließlich legt Thomas H. Curran eine Untersuchung von „Hegel on
World History after Socrates: Necessary, Providential, Rational" vor. Mit Rück-
sicht auf das Problem der Rationalität der Welt bei Anaxagoras, Aischylos und
dem Platonischen Sokrates sowie bei Darwin und Nietzsche stellt Curran die
neuplatonische Konzeption der göttlichen Vorsehung bei Plotin und Augustin
dar, um daraufhin eine angemessene Deutung von Hegels Auffassung der Welt-
geschichte zu unternehmen. Indem Curran die vielfältigen Platonischen Dimen-
sionen dieser Auffassung aufzeigt, macht er zugleich die Wechselseitigkeit der
Bestimmungen .Notwendigkeit' ,Vorsehung' und Rationalität' deutlich, welche
die Philosophie Hegels insgesamt und die Weltgeschichte insbesondere seiner
Meinung nach auszeichnet. Hegels Terminus für diese Reziprozität und damit
für die grundlegende Dynamik der Weltgeschichte selbst lautet derart: Versöh-
nung.
Piatonismus im Idealismus: Durch diesen Themenkomplex soll nicht
nur der philosophiegeschichtliche Blick auf die tiefen Wurzeln der klassischen
deutschen Philosophie in der antiken und spätantiken Gedankenwelt gerichtet,
sondern auch eine Wesensverwandtschaft zwischen zwei Epochen der Philoso-
phiegeschichte und zwei epochalen Denkweisen unterstrichen werden, deren
schöpferische Möglichkeiten - dies gegen die skeptische Auffassung Heideggers
- immer noch nicht ausgeschöpft worden sind. Denn das dynamische Verhältnis
von Prinzipien- und Ideenlehre einerseits und andererseits modernen Subjektivi-
tätstheorien stellt - dies verdeutlichen die Beiträge zum vorliegenden Band - ein
Zusammenspiel von historischer Rezeption und systematischer Transformation,
Aneignung und Umdeutung dar, welches das aktuelle Anliegen einer engen
Verknüpfung von Ethik und Ästhetik sowie Erkenntnistheorie und Metaphysik
neu zu beleben vermag. Philosophisches Denken - besonders wenn es systema-
tische Ansprüche erhebt - muß sich selbst als geschichtliches erfassen, um In-
novatives erkennen und - immer situationsbezogen - sich in die Tat setzen zu
„Was hat die Philosophie in der Erforschung der Natur der menschlichen Er-
kenntniß existirender Dinge nach Plato und Aristoteles Neues geleistet?" refor-
mulierte der Marburger Philosophieprofessor David August Suabedissen in
seiner preisgekrönten Antwort eine Frage, die zuvor von der Gesellschaft der
Wissenschaften zu Kopenhagen gestellt worden war. Daß diese Frage im Jahr
1801 ausgeschrieben wurde, ist ebensowenig zufallig wie der Umstand, daß
Suabedissens Beitrag mit einer „Vergleichung der Kantischen Theorie" 1 mit der
Piatons und Aristoteles' endete: Beides steht am Ende einer Entwicklung im 18.
Jahrhundert, die sowohl die stete Darstellung der Platonischen Philosophie in
philosophiegeschichtlichen Zusammenhängen beinhaltete wie auch die Aner-
kennung Kantischer Erkenntnistheorie als höchstmöglicher Stufe des Philoso-
phierens. Die Arbeiten zur Philosophie Piatons gingen letzthin über den Versuch
einer historisch-kritischen Zuordnung hinaus und stellten den Bezug auf die
,aktuelle', sprich: die Philosophie Kants her. Die Weichen fur die .historische'
Betrachtungsweise der Philosophie Piatons waren für die Autoren des 18.
Jahrhunderts von Johann Jacob Brucker gestellt worden: Auf seiner Suche nach
dem „System" der Platonischen Philosophie hatte er ihre Vorgeschichte und ihre
Rezeption erörtert, um das System Piatons genauer bestimmen zu können. 2 Die
nun folgende Skizze, wie sich im Laufe des Jahrhunderts das Verständnis der
Ideen in der Philosophie Piatons veränderte, ist eine Möglichkeit, dem Einfluß
Bruckers nachzugehen und gleichzeitig darzulegen, auf welchem Weg - nämlich
durch Emanzipation von seinen Vorgaben mittels Aufnahme aktueller philoso-
phischer Strömungen - die anfängliche historische Betrachtungsweise zu einem
Vergleich alter und neuer Theorien geführt hat.
1 D. Th. A. Suabedissen, Resultate der philosophischen Forschungen über die Natur der
menschlichen Erkenntniß von Plato bis Kant, Marburg 1805, 326.
2 Näheres zu Brucker bei Jacob Brucker (1696-1770): Philosoph und Historiker der eu-
ropäischen Aufklärung, hrsg. von W. Schmidt-Biggemann, Th. Stammen, Berlin 1998.
Zum historischen Zusammenhang vgl. M. Wundt, Die Wiederentdeckung Piatons im
18. Jahrhundert, in: Blätter für deutsche Philosophie 15 (1941), 149-158.
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2 Tanja Gloyna
3 J. J. Brucker, Historia philosophica doctrinae de ideis qua tum veterum imprimis Grae-
corum tum recentiorum philosophorum placita enarrantur, o. O. 1723, 4.
4 Brucker, Historia, 4-5.
5 Brucker, Historia, 36, 40.
6 Zur Terminologie vgl. beispielsweise Brucker, Historia, 142.
7 J. J. Brucker, Kurtze Fragen aus der Philosophischen Historie, von Anfang der Welt,
biß auf die Geburt Christi, mit Ausführlichen Anmerckungen erläutert, Erster Teil, Ulm
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Idee - Substanz oder Begriff? 3
Das bedeutete auch für Piaton die Darstellung der „Philosophie insgemein" und
der einzelnen Disziplinen nach ,,Haupt-Lehr-Sätze[n]", wie er sie von seinen
Vorgängern „gelernet,ο und aus diesem [in] sein Systema Philosophicum zusam-
men getragen" hatte. Im Sinn dieser kurz und bündig formulierten Grundsätze
schrieb Brucker beispielsweise in seinen Kurtzen Fragen aus der Philosophi-
schen Historie, von Anfang der Welt, biß auf die Geburt Christi, mit Ausführli-
chen Anmerckungen erläutert von 1731: „Die Intelligibilia können entweder für
sich betrachtet werden, und werden ideae genennet, oder so ferne sie bey der
Materie sind, und ihr das Wesen geben, und dann heissen sie Species."9 Damit
differenzierte er deutlich die beiden Wesenszüge, die er bereits in der Historia
philosophica doctrinae de ideis problematisiert hatte - nun allerdings, ohne eine
Priorität zu setzen. Das war aber auch nicht mehr nötig, weil Brucker in dieser
Formulierung „Intelligibilia" zum Oberbegriff von Platonischen „ideae" (= Sub-
stanzen) und allgemeinen Begriffen („species") erhoben hatte. Dieser Grundsatz
im System Piatons war ihm so wichtig, daß er ihn 1736 in den Auszug aus den
Kurtzen Fragen ... zum Gebrauch der Anfanger übernahm, 10 auch wenn er in
seiner Prägnanz noch viel weniger argumentativ belegt war als in der Historia
philosophica doctrinae de ideis.
Wichtig wurden in der Rezeption Bruckers auch zwei weitere, nunmehr
unsere Erkenntnisweisen betreffende Grundsätze, die im System Piatons gewis-
sermaßen konkurrieren und zudem die Spannung der Frage ,Idee - Substanz
oder Begriff?' widerspiegeln. So habe die „Seele des Menschen", ehe sie „in den
Leib gekommen", einerseits „die selbständige[n] Dinge" - Ideen als Substanzen
- „schon gewußt", so daß „ihre Erkantnis nur eine Wieder-Erinnerung" sei;
andererseits war sie nach Piaton „wie eine wächserne Tafel", der erst sinnlich
Wahrgenommenes eingeprägt werden mußte, um schließlich, gleichsam induk-
tiv, zur Erkenntnis einer Idee qua Begriff zu führen. 11 In der ausführlichen Dar-
stellung der Kurtzen Fragen von 1731 wollte Brucker die Funktion der „wäch-
serne[n] Tafel", 12 die der Anamnesis-Lehre zu widersprechen schien, mit letzte-
rer in Einklang bringen bzw. ihr unterordnen: „Wenn die Eindrückungen der
Sinnen fest bleiben, daß sie nicht ausgelöscht werden, so wird es das Gedächtnis
genennet, welches nebst den Sinnen die Meinung oder Wahrscheinlichkeit her-
vor bringt ... Wann das, was wir durch die Sinne begreiffen und erkennen, mit
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4 Tanja Gloyna
dem, was wir davon im Gedächtnis haben, übereinkommt, so wird daraus eine
wahre, wo es aber nicht damit übereinkommt, eine falsche Meinung." 13
Bevor in der Folgezeit ausdrücklich erörtert wurde, ob denn nun unter den Ideen
nach Piaton Substanzen oder Begriffe zu verstehen seien, und bevor die Ana-
mnesis-Lehre im 18. Jahrhundert als wesentliches Moment der Platonischen Phi-
losophie akzeptiert wurde, kam von einer anderen Seite Bewegung in die
deutschsprachige Diskussion: Für diese Seite neuzeitlichen Philosophierens wa-
ren mit der Ablehnung „angeborener Ideen" die Anamnesis-Lehre sowie die
Auffassung der Ideen als Substanzen hinfällig. Entsprechend wurden zum einen
Ideen nach Piaton als Begriffe aufgefaßt, zum anderen wurde das Bild der
„wächsernen Tafel" hervorgehoben und zudem durch das der „tabula rasa"
abgelöst: Dieser Wechsel entstand infolge der Rezeption englischer
empiristischer bzw. sensualistischer Philosophie, vor allem der John Lockes. 14
In diesem Zusammenhang kam es, so ζ. B. in Michael Hissmanns Geschichte
der Lehre von der Association der Ideen von 1773, zu einer Psychologisierung
von ,Idee', die insofern mit .Vorstellung' gleichgesetzt wurde. 15 Zudem konnte
- unter dem Einfluß der Philosophie Lockes - auch die Darstellung der
Platonischen Philosophie nur auf einem Grundsatz beruhen: „Nihil in intellectu,
quod non ante fuerit in sensu." 16 Entsprechende Arbeiten wurden so auch zu
einem Beispiel für die Bezugnahme der Platonischen Philosophie auf neuere
Entwürfe. Gleichenteils konnten solche Darstellungen durch den Autor gestützt
werden, der über Jahrhunderte die Antike-Rezeption bestimmt hatte: Aristoteles.
Deutlich wurde dies auch in Johann Jakob Engels Versuch einer Methode
die Vernunftlehre aus Platonischen Dialogen zu entwickeln (1780). 17 In diesem
„Versuch, die Begriffe und Regeln der Vernunftlehre" - in der Prägung aristote-
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Idee - Substanz oder Begriff? 5
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6 Tanja Gloyna
Eine bewußte Vergleichung der griechischen Philosophie mit der neuern nahm
nach eigenem Bekunden als erster Anton Friedrich Büsching vor.24 Nachdem
1772/1774 sein Grundriß einer Geschichte der Philosophie und einiger wichti-
ger Lehrsätze derselben veröffentlicht worden war, in dem er sich stark auf Bru-
cker bezogen hatte, trat Büsching 1785 mit dieser Arbeit hervor, in der er auch
thematisierte, was in der Antike, dann vor allem aber bei Leibniz, Locke und
Malebranche unter ,Idee' verstanden worden ist.25 Büschings Vergleichung der
griechischen Philosophie mit der neuern beruhte auf der Annahme, letztere be-
stehe eher „in der genauem Bestimmung, deutlichem und vollständigem Ent-
wicklung, guten Erläuterung, und gründlichen Bestätigung, der philosophischen
Wahrheiten", die die Alten erkannt hatten, „als in der selben Erfindung" bzw.
„als in der Aussinnung neuer wichtiger philosophischer Grund- und Lehr-
sätze". 26 In einer ,,allgemeine[n] Wahrheit" zum Thema ,Idee' folgte Büsching
der bereits genannten Auffassung, die an dieser Stelle folgerichtig allerdings mit
Aristoteles und auch Cicero zu belegen war: „Alle Begriffe kommen ursprüng-
lich durch die Sinne in die Seele."27 Davon setzte er vehement die Ansicht Pia-
tons ab, welcher zwar an der einen Stelle des Theaetetus die „Seele ... vermit-
telst der Kräfte des Körpers" Dinge habe erkennen lassen; letzthin konnte die
Seele nach Piaton aber doch „gewisse Dinge ... als die Substanz, das änliche
und unänliche, das gleiche und ungleiche, das schöne und hässliche, das gute
und böse, das einander entgegengesetzte" nur „durch sich selbst" erkennen, d. h.
nur durch Erinnerung der jeweiligen „Ιδέα des Plato" - welche letztlich, wie bei
Büschings Vorbild Brucker und seiner Historia philosophica doctrinae de ideis,
als „eine unkörperliche Substanz (ούσία ασώματος)" zu bestimmen war, „wel-
che durch sich selbst bestehet, und die Materie gebildet hat".28 So unterschied
Büsching die Ideen nach Piaton auch von dem modernen - und durch Engel
betonten - „Wort Idee in dem weitesten Verstände, für jede Bestimmung der
Seele, deren sie sich selbst bewußt ist".29
Wichtig für das Verständnis von ,Idee' bei Piaton war auch Büschings Ver-
such einer generellen Abgrenzung gegenüber den ,Ιδέαις' der Stoiker, die näm-
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Idee - Substanz oder Begriff? 7
lieh als ,έννοήματα ήμέτερα' den Charakter von Begriffen (Vorstellungen) hat-
ten. 30 Dennoch belegte er seinerseits den griechischen Ausdruck mit dieser Be-
deutung: „Man muß εϊδη und ιδέας nicht mit einander verwechseln, jene sind
die Formen der Dinge, diese die Begriffe." 31 Das Widersprüchliche in Büschings
Bestimmung der Platonischen Ideen wurde durch eine weitergehende Bewertung
unterstrichen: „Plato lehrete, daß diese Ideen (ιδέας) in den Vorstellungen und
in der Einbildungskraft d. i. in dem Verstände Gottes wären, (έν τοις νοήμασι,
κ α ι έν τ α ΐ ς φ α ν τ α σ ί α ι ς του θεοΰ, τοΰτ έστι του νου, ΰφεστώσας)." 3 2 Da-
mit referierte Büsching eine weitere philosophiehistorische Position, nämlich
Pseudo-Plutarchs Darstellung von ,Idee' bei Sokrates und Piaton einerseits, die
bereits in der Auffassung von ,Idee' als , ο υ σ ί α α σ ώ μ α τ ο ς ' angeklungen war,
und Zenon, dem Stoiker, andererseits (έννοήματα ήμέτερα). 3 3 Methodisch
lehnt sich Büsching in diesem Verfahren, antike Kommentare zur Erläuterung
von Bedeutung und Sinn griechischer Begriffe heranzuziehen, wiederum an
Brucker an, und möglicherweise sind sogar diese Zitate seinen an Belegen so
reichen Texten entnommen. Sachlich allerdings zeigt sich Büsching in seiner
Ambivalenz der Auffassung von ,Idee' zwischen Substanz und Begriff bei Pia-
ton wohl eher von dem psychologisierenden Verständnis seiner Zeitgenossen
beeinflußt: Indem er nach dem Vorbild Pseudo-Plutarchs Ideen „in der Ein-
bildungskraft ... Gottes" (,,έν τ α ΐ ς φ α ν τ α σ ί α ι ς του θεοΰ") verortete, lenkte er,
anders als seine Zeitgenossen bisher, die Aufmerksamkeit lediglich auf das
höchste Denkende und seine Vorstellungen bzw. Begriffe.
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8 Tanja Gloyna
35 Dazu vgl. T. Gloyna, Kosmos und System. Schellings Weg in die Philosophie, Stuttgart-
Bad Cannstatt 2002, 80-114.
36 F. V. L. Plessing, Ueber den Aristoteles; Untersuchungen über die Platonischen Ideen,
in wie fern sie sowohl immaterielle Substanzen als auch reine Vernunftbegriffe vorstell-
ten, in: Denkwürdigkeiten aus der philosophischen Welt, hrsg. von Κ. A. Cäsar, Bd. 3,
Leipzig 1786, 1-109 bzw. 110-190.
37 Plessing, Untersuchungen über die Platonischen Ideen, 111.
38 Plessing, Untersuchungen über die Platonischen Ideen, 110-111.
39 Plessing, Untersuchungen über die Platonischen Ideen, 112, 113.
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Idee - Substanz oder Begriff? 9
tes ,Idee'; so ging man „von der Bedeutung", „die dasselbe bey uns hat - nach
der es so viel als Begriff vorstellt - aus, und sagte daher, daß nach Platonischer
Lehre die Menschen in ihrem vormaligen Zustande die Begriffe in Gottes Vers-
tände angeschaut hätten". 40 Hinzuweisen ist an dieser Stelle aber auch auf Ples-
sings Verschiebung der Frage ,Idee - Substanz oder Begriff?' zu der, in wel-
chem Verhältnis unsere Vorstellungen/Begriffe zu den (Platonischen) Ideen/-
Substanzen stehen.
Plessing verwies nicht nur hier auf .Anschauungen'; denn der Stellenwert,
welcher jeweils der , Anschauung' zugeschrieben wurde, markiert für ihn einen
grundsätzlichen Unterschied antiker und moderner Philosophie. Mit der Annah-
me der unveränderlichen Substanzen, die nicht sinnlich wahrnehmbar sind, ging
laut Plessing in der Philosophie der Alten eine Voraussetzung einher, um diese
Ideen, auf denen „wahre Wissenschaft" sich gründet, dem Erkenntnisvermögen
des Menschen zugänglich zu machen: „Sie schrieben daher dem Verstände, eben
so wie den Sinnen, ein unmittelbares Anschauungs-Vermögen zu; (nach unserer
neuern Philosophie aber legen wir dem Verstände keine Anschauungskraft bey,
nehmlich auf eine den Sinnen ähnliche Weise, die Dinge unmittelbar wahrzu-
nehmen und anzuschauen; wir beschränken dies Anschauungs-Vermögen blos
auf die Sinne); dieser habe die genannten Substanzen in einem vormaligen Le-
bens-Zustande unmittelbar angeschaut." 41 So konnte Plessing die Ideen eindeu-
tig als Substanzen verstehen, auf denen unsere „reinen Verstandes-Begriffe"
gründeten, und zugleich seine Kritik an der modernen Philosophie vorbringen:
„Pythagoras, die Eleatiker, Plato und Aristoteles, dachten unter reinen Verstan-
des-Begriffen ganz etwas anders als wir. Ihre reinen Verstandes-Begriffe grün-
deten sich auf wirklich substantielle Gegenstände, welche der Verstand unmit-
telbar angeschaut habe; denn sie legten dem letztern eine unmittelbare Anschau-
ungskraft bey; allein dieses thun wir, nach unserer neuen Philosophie, nicht. Die
Alten dachten hierin in der That weit konsequenter als wir: Denn wie können
Begriffe, ohne vorhergegangene Anschauungen, statt finden?" 42
Um die Notwendigkeit der Annahme einer intellektuellen Anschauung -
damals wie heute - zu untermauern, zog Plessing ausgerechnet Kant heran: Da
für Plessing die Alten so, wie beschrieben, „über den Ursprung der menschli-
chen Erkenntniß" dachten und ihr „gewisse Original-Anschauungen" zugrunde
legten, „die sie als Ur-Principien derselben betrachteten, auf welche sich alle
Wissenschaft und Erkenntnisse gründen müsse", die ihrerseits „nicht erwiesen
oder demonstrirt werden könnten", hätten sie gedacht wie Kant. 43 Belege der
Übereinstimmung entnahm Plessing den Prolegomena zu einer jeden künftigen
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10 Tanja Gloyna
Metaphysik sowie der Kritik der reinen Vernunft: „Auf welche Art und durch
welche Mittel sich auch immer eine Erkenntniß auf Gegenstände beziehn mag,
so ist doch diejenige, wodurch sie sich auf dieselbe unmittelbar bezieht - und
worauf alles Denken, als Mittel, abzweckt - die Anschauung. Diese aber findet
nur statt, so fern uns der Gegenstand gegeben wird. Dieses aber ist wiederum
nur dadurch möglich, daß er das Gemüth auf gewisse Weise afficiere." 44 Also
im Sinn der Alten: Anschauung eines Gegenstands, der Substanz-Idee, als Vor-
aussetzung und Ziel jeder wahren Erkenntnis. Entsprechend zitierte Plessing
Kant: „Alles Denken muß sich, es sey gerade zu (directe); oder im Umschweife
(indirecte), auf Anschauungen beziehn." 45 Und schließlich führte er zur Erläute-
rung des Verhältnisses von Begriff - Gegenstand (welchem Idee/Substanz ent-
sprach) an: „Zu jedem Begriff wird erstlich die logische Form eines Begriffs
(des Denkens überhauptQ], und denn zweytens auch die Möglichkeit, ihm einen
Gegenstand zu geben, darauf er sich beziehe, erfordert. Ohne diesen letztern hat
er keinen Sinn, und ist völlig leer an Inhalt. - Nun kann der Gegenstand einem
Begriff nicht anders gegeben werden, als in der Anschauung." 46
Die Dopplung Gegenstand - Begriff sah Plessing von Piaton dadurch be-
dacht, daß „Ideen aus einem zwiefachen Gesichtspunkt betrachtet werden müss-
ten, einmal als immaterielle Substanzen, und dann wieder als Begriffe". 47 Unter
letzteren verstand er freilich unsere „Vorstellungen ... die sich auf diese imma-
teriellen Substanzen beziehn, und die, nach Plato's Philosophie, der Verstand
vormals durch unmittelbare Anschauung erlangt habe." 48 Die Ideen „als Begriffe
genommen", d. h. „als auf „Ur-Anschauungen sich gründende Vorstellungen",
sah Plessing in „Definitionen und Principien der Wissenschaft" ausgedrückt. 49
So konnte er die Ideen (nach Piaton) nicht nur als Substanzen auffassen, sondern
sie auch begründeter Wissenschaft voraussetzen und zugleich als deren Ziel
bestimmen, weil wahres Wissen und Wissenschaft - auch mit Blick auf Aristo-
teles - in Form von Definitionen die „Ideen der an und für sich selbst bestehen-
den Dinge" 50 begrifflich klar erfassen sollte.
44 Plessing, Untersuchungen über die Platonischen Ideen, 115, mit Verweis auf I. Kant,
Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, Riga 1783, 52.
45 Plessing, Untersuchungen über die Platonischen Ideen, 116. Vgl. I. Kant, Kritik der rei-
nen Vernunft, 1. Aufl., in: ders., Gesammelte Schriften, hrsg. von der Königlich Preußi-
schen Akademie der Wissenschaften, Bd. 4, Berlin 1911, A19.
46 Plessing, Untersuchungen über die Platonischen Ideen, 116. Vgl. Kant, Kritik der rei-
nen Vernunft, A239.
47 Plessing, Untersuchungen über die Platonischen Ideen, 176.
48 Plessing, Untersuchungen über die Platonischen Ideen, 177.
49 Plessing, Untersuchungen über die Platonischen Ideen, 177.
50 Plessing, Untersuchungen über die Platonischen Ideen, 179.
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Idee - Substanz oder Begriff? 11
V. Dieterich Tiedemann
51 D. Tiedemann, Geist der spekulativen Philosophie, Bd. 2, Marburg 1791, 89. Näheres
zu Tiedemann bei Braun, Geschichte der Philosophiegeschichte, 193-203.
52 Tiedemann, Geist der spekulativen Philosophie, 166.
53 Tiedemann, Geist der spekulativen Philosophie, 166.
54 Tiedemann, Geist der spekulativen Philosophie, 191, 192.
55 Zu Tennemann vgl. Braun, Geschichte der Philosophiegeschichte, 254-266.
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12 Tanja Gloyna
das Denken allein könne man dem Wesen der Dinge an sich näher kommen".
Das „Wesen der Dinge" übersetzte Tennemann kurzerhand in „wesentliche
Merkmale der Dinge an sich", welche Piaton mittels der Ideen/Begriffe verstan-
den wissen wollte - diese seien es, welche bestenfalls als „das Denkbare ...
durch die Vernunft vorstellbar" würden.59 Insofern habe Piaton die Ideen „nicht
... zu wirklichen Substanzen" gemacht, auch wenn er angenommen habe, daß
ihnen „etwas wirkliches, außer dem Vorstellungsvermögen existirendes" korre-
spondiere.60 Die geeignete rhetorische Frage, um die Auffassung der Ideen als
Substanzen zurückzuweisen, lautete: „Wie hätte er auch die Gegenstände der
Ideen von Tugend, Gerechtigkeit, Weisheit, Schönheit hypostasiren, in Substan-
zen metamorphosiren können?"61 Außerdem stand für Tennemann fest, daß
Piaton zwar „in dem Felde der Erfahrung die Vorstellungen von ihren Gegen-
ständen durch besondere Ausdrücke" unterschieden habe - „in dem Felde des
Denkbaren aber nicht!"62
Welches .Wirkliche', das außer unserem Vorstellungsvermögen existiert,
konnte unter dieser Voraussetzung den menschlichen Vorstellungen korrespon-
dieren? Als Vorbild menschlicher Vernunft galt die „höchste Vernunft" - Gott,
der im „Weltideal", in einer ,,intelligible[n] Welt" alle „Ideen, die sich auf Welt
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Idee - Substanz oder Begriff? 13
beziehen", vereinigt. 63 Sofern diese „Gottheit als reine Vernunft gedacht" wur-
de, waren ihre Ideen als „die reinsten Vernunftbegriffe der obersten Intelligenz"
vorzustellen, nach denen sie, „ihrer stets bewusst", „blos allein" handeln wür-
de. 64 Die Gottheit wirkte demnach Piaton zufolge einerseits als „eine die Welt
nach einer Idee sich vorstellende Kraft", andererseits als tatsächlich „Weltbil-
dende", nämlich Materie prägende Kraft. 65 Daher wurden auch Ideen von Piaton
„in einer gedoppelten Bedeutung" verwendet - „einmal: als Vernunftbegriffe
der Gottheit, welche im Zusammenhange das Weltideal ausmachen, alsdann
aber auch: als Urbilder und Gesetze, nach welchen die Gottheit wirkte, und die
Welt bildete, wodurch sie der geformten Materie gleichsam aufgedrückt worden,
und woher wir sie noch erkennen können." 66 Es fand also mit Tennemann nicht
nur derjenige Modus unseres Denkens, in welchem gemäß Piaton eine Vorstel-
lung nicht von ihrem Gegenstand unterschieden werden kann, in der göttlichen
„reinen Vernunft" und ihren „reinsten Vernunftbegriffe[n]" das Vorbild, son-
dern es war mit diesen göttlichen Weltideen auch „etwas wirkliches" ausge-
macht, mit dem sowohl die Gesetze der Welt als auch die menschlichen Vorstel-
lungen korrespondierten, ohne daß dieses .Wirkliche' als Substanz vorgestellt
werden mußte. 67
Als Substanzen wurden Ideen nach Piaton aber an anderer Stelle noch immer
betrachtet: Der Herausgeber der Beyträge zur Geschichte der Philosophie
(1791-1799), Georg Gustav Fülleborn, nahm diese Position im Zusammenhang
einer dort 1792 vorgetragenen systematischen Kritik der Ideenlehre der Antike
ein, in welcher er zu dem Ergebnis gelangte: „Alle die Beweise für die Existenz
der Ideen gelten meiner Meinung nach nichts." 68 Andere Einwände Fülleborns
bezogen sich auf die vieldiskutierte Frage nach dem Systemcharakter der Plato-
nischen Philosophie: Ein System war in der Philosophie Piatons insbesondere
seit Brucker gesucht worden, und nunmehr stellte Fülleborn in der Rezeption
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14 Tanja Gloyna
des Systembegriffs von Kant und seinen Nachfolgern fest, daß die Philosophie
der Alten, d. h. auch Piatons, gar kein System darstellt. So sei es „unverkennbar,
daß der alten Philosophie das Systematische fehlt"; Fülleborn meinte „damit
nicht, allen Zusammenhang der Sätze und Ideen unter einander, sondern die
Verbindung des Ganzen, die von Einem Grundsatze ausgeht und alle Theile
genau zusammenhält". 69 Kurz: Es fehlte ihr an einem „Principe". 70
Relevant für die weitere Entwicklung des Piaton-Verständnisses war vor al-
lem Fülleborns Beitrag „Ueber die Verschiedenheit der alten und neuen Philo-
sophie", in dem er Elemente der Philosophie Piatons und Aristoteles' direkt auf
die Kants bezog. Allerdings mußte Fülleborn auch „Aehnlichkeit" zugeben, die
von der Übereinstimmung „der Hauptgegenstände der Philosophie" bis zum spe-
ziellen Verständnis beispielsweise von Sinneswahrnehmung, Zeit und „kosmo-
logische[n] Grundsätze[n]" reicht. 71 Hingegen würden sich die Alten grundsätz-
lich dadurch von Ansätzen „der Neuern" unterscheiden, daß sie „die Grenzen, in
welchen die Vernunft bleiben soll, überschritten, und die Ideen derselben zu Er-
kenntnissen erhoben". 72 An anderer Stelle korrigierte Fülleborn den Ansatz Ten-
nemanns, weil er nämlich „wesentliche Unterschiede zwischen alter und neuer
Philosophie" darin sah, „daß die Alten ihre Philosophie" gerade „nicht mit der
Untersuchung des menschlichen Erkenntnisvermögens anfiengen". 73 Insofern
bot Fülleborns Beitrag mehrere Neubewertungen der Philosophie Piatons, indem
er sie von der Kantischen abgrenzte - und wohl auch deshalb auf die alte Be-
stimmung der Ideen nach Piaton als Substanzen zurückgriff. 74
Die hier skizzierte Entwicklung von Brucker bis Fülleborn verdeutlicht, daß die
Philosophie Piatons am Ausgang des 18. Jahrhunderts in philosophiegeschichtli-
chen Zusammenhängen, und d. h. auch in bezug auf die aktuelle theoretische
Philosophie, thematisiert wurde. Die eingangs erwähnte Frage der Gesellschaft
der Wissenschaften zu Kopenhagen von 1801 in der Formulierung Suabedis-
sens: „Was hat die Philosophie in der Erforschung der Natur der menschlichen
Erkenntniß existirender Dinge nach Plato und Aristoteles Neues geleistet?",
69 G. G. Fülleborn, Ueber die Verschiedenheit der alten und neuen Philosophie, in: ders.,
Beyträge, Viertes Stück, Züllichau, Freystadt 1794, 187-219, zit. 205.
70 Fülleborn, Ueber die Verschiedenheit der alten und neuen Philosophie, 205.
71 Fülleborn, Ueber die Verschiedenheit der alten und neuen Philosophie, 194, 196, 198.
72 Fülleborn, Ueber die Verschiedenheit der alten und neuen Philosophie, 196.
73 Füllebom, Ueber die Verschiedenheit der alten und neuen Philosophie, 199.
74 Zum Zusammenhang .Brucker - Kant' und insofern auch ,Piaton - Kant' vgl. G. Mol-
lowitz, Kants Platon-Auffassung, in: Kant-Studien 40 (1935), 13-67.
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Idee - Substanz oder Begriff? 15
erweist sich damit als ebensowenig zufällig wie seine „Vergleichung der Kanti-
schen Theorie" mit der von Piaton und Aristoteles in der Antwort. Der Ver-
gleich blieb hier wiederum - siehe Fülleborn - problematisch; so betonte auch
Suabedissen, worin sich die Philosophien unterscheiden. Allerdings nannte er
mit Nachdruck den Hauptgrund, der einen Vergleich dennoch provoziert: termi-
nologische Überschneidungen. Von daher stellte er, der seine Abhandlung selbst
als „historisch" klassifizierte, der „Vergleichung" eine Darstellung der Ge-
schichte der Philosophie voran, die auch den Zweck hatte, die Begriffe der ver-
schiedenen Theorien des Erkennens voneinander zu unterscheiden. Leitfaden
der Untersuchung war für Suabedissen die Einteilung der Geschichte der Philo-
sophie in drei Perioden: Die erste „Haupt-Periode", die „von Plato und Aristote-
les bis Locke" reichte, habe „nur einzelne helle Blicke in die Tiefe des Erkennt-
niß-Vermögens" genommen. 75 Die zweite, von „Locke bis Kant", machte zwar
„die Erforschung der Natur der Erkenntniß zu einem Hauptgegenstande des
Philosophirens", doch erst die dritte, „von Kant bis auf die jetzige Zeit (1801)" -
die „Periode der Transscendentalphilosophie" - , sei weit „in den verborgensten
Mechanismus des menschlichen Geistes" eingedrungen. 76
In der „Vergleichung ... zwischen der Theorie der Critik und beiden Sy-
stemen der griechischen Weltweisen", die sich der auführlichen „historischen"
Darstellung dieser Perioden anschloß, stellte Suabedissen folgendes klar: Die
„mannichfaltigefn] Aehnlichkeiten" seien Schein - entstanden, weil die neue
Theorie „aus beiden" anderen „manche Begriffe hernahm, welche sie jedoch in
einem mehr oder weniger verschiedenen Sinn und Zusammenhang brauchte". 77
In bezug auf Piaton hieß das beispielsweise, daß er „so wie Kant, alle Aeußerun-
gen des Erkenntnißvermögens im Allgemeinen in αισθήσεις (Empfindungen,
Anschauungen) und διανοίας (Begriffe) theilte und ihnen gemäß das ganze
menschliche Erkenntnißvermögen aus den beiden Hauptvermögen, der Sinnlich-
keit und dem Verstand, bestehen ließ". 78 Auch habe er angenommen, der „Ur-
sprung ... der sinnlichen Vorstellung" sei ein Gegenstand, der „die Sinnlichkeit
afficire", und daß „die Seele, dem erhaltenen Eindruck gemäß, ein Bild hervor-
bringe". 79 Allerdings hätte Piaton im Unterschied zu Kant gar nicht daran ge-
dacht, die Sinnlichkeit als besonderes „Vermögen des Gemüths" anzuerkennen
und einer eingehenden Untersuchung zu unterziehen - was auch an der Ver-
nachlässigung von Raum und Zeit deutlich werde. 80
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16 Tanja Gloyna
Eine sichere Differenz lag für Suabedissen in der Auffassung von ,Idee'.
So habe zwar auch Piaton, „wie Kant, die διανοίας (Begriffe im weitern Sinn)
in φαντασίας, deren Gegenstand in der Erfahrung gegeben ist, und νοήσεις
oder ιδέας, deren Gegenstand übersinnlich ist", eingeteilt und zudem „den
Verstand, in sofern er die letztern, die Ideen, besitzt, νουν, φρόνημα (Vernunft)"
genannt. 81 Doch habe Piaton, anders als Kant, „diesen Ideen ... übersinnliche
objektive Realität" zugesprochen, „indem er sie in der übersinnlichen Welt oder
wenigstens in der göttlichen Vernunft als die Muster der Sinnendinge existiren,
und sich's nicht einfallen ließ, sie, wie Kant, theils als Produkte der Einbil-
dungskraft aus der Vergleichung mehrerer Erscheinungen, theils als regulative
Principien der Vernunft zur Leitung des Verstandesgebrauchs zu betrachten, und
so ihren Gebrauch und Zweck auf Vervollkommnung der Erfahrungserkenntniß
zu beschränken". 82 Und auch die Einsicht beider, „daß sich das Feste, Bleiben-
de, Nothwendige in unserer Erkenntniß nicht von der Erfahrung ableiten lasse",
habe Piaton zuschanden gemacht, indem er annahm, daß nur durch die Erkennt-
nis dieser übersinnlichen Ideen „Festes, Nothwendiges in unsere Erkenntnisse
und Urtheile" komme, d. h. die Ideen den „Grund und die Principien alles Wis-
sens und aller Erkenntniß" darstellten. Hingegen durfte auf Kantischer Grund-
lage dieses „Feste" nicht aus den Vernunftideen abgeleitet werden, sondern nur
„aus der eigenthümlichen Natur der Sinnlichkeit und des Verstandes, der das
dargebotene Mannichfaltige auf gewisse bestimmte Weisen aufnehmen und ver-
knüpfen müsse". 84
Schließlich trage auch Piatons Bewertung der „όντως οντα, νοητά (die
Dinge an sich, Verstandeswesen)" im Gegensatz zu „den φαινομενοις, αισθη-
τοις (Erscheinungen, Sinnenwesen)" einen gänzlich anderen Charakter als
Kants Unterscheidung von Ding an sich und Erscheinung: „Denn nach Kant ist
das Ding an sich der unbekannte Grund der Erscheinung, der nur als solcher
gedacht werden kann und muß, ohne weiter im geringsten bestimmt werden zu
können" - also „= x" ist - , während die Erscheinung „der einzig erkennbare
QC
Gegenstand" sei. Hingegen waren Piaton die Ideen/Dinge an sich die einzig
möglichen Gegenstände des Wissens und „das Aufsteigen zu ihnen ... Wissen-
schaft, das Denken oder Anschauen derselben die höchste und allein untrügliche
Erkenntniß"; die Erscheinungen der „Sinnenwelt" hingegen waren ihm der „In-
81 Suabedissen, Resultate der philosophischen Forschungen, 328. - Eine jüngere und dif-
ferenzierte Darstellung findet sich bei H. Heimsoeth, Piaton und Kants Werdegang, in:
Studien zu Kants philosophischer Entwicklung, hrsg. von H. Heimsoeth, D. Henrich,
Hildesheim 1967, 124-143.
82 Suabedissen, Resultate der philosophischen Forschungen, 329.
83 Suabedissen, Resultate der philosophischen Forschungen, 329, 330.
84 Suabedissen, Resultate der philosophischen Forschungen, 330.
85 Suabedissen, Resultate der philosophischen Forschungen, 331 -332.
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Idee - Substanz oder Begriff? 17
86
begriff von Schein". Wie schon für Kant-Anhänger vor Suabedissen, war also
auch für ihn das Übel an Piaton seine Schwärmerei. 87 Dementsprechend sah er
es als Verdienst Kants, das „Verirren in übersinnliche Regionen" und „Ver-
wechseln der Phantasie mit der Vernunft und ihres Gebildes mit der Erkenntniß,
als das was es ist, als Selbsttäuschung" erkannt zu haben, wodurch „hoffentlich
auf immer" ein „Rückfall" in die Zeiten der „Selbsttäuschung" verhindert wer-
de 88 - und somit auch der identifizierende Vergleich der Theorien Piatons und
Kants aufhört.
Suabedissen war gewiß nicht der einzige, der in der „Periode der Trans-
scendentalphilosophie" nach einer „historischen" Betrachtungsweise der Plato-
nischen Philosophie bei solchen Überlegungen endete. An seinem Beispiel läßt
sich aber auch etwas anderes gut verdeutlichen: Da er das Verständnis von
,Idee' zur Unterscheidung der Theorien Piatons und Kants nutzte, lieferte er im
weitesten Sinn auch einen Beitrag zum Thema .Idealismus'. Dieser war für ihn
- unter der Prämisse des „Vorzugs des Criticismus vor dem Piatonismus" 89 -
nur in der Nachfolge des ersteren sinnvoll und konnte mit dem ,Piatonismus'
lediglich scheinbare Ähnlichkeit aufweisen. Damit ist ein Übergang zur philoso-
phischen Debatte von .Idealismus' in Suabedissens Zeit gegeben und der histori-
schen Betrachtungsweise dessen, was Autoren des 18. Jahrhunderts unter der
Platonischen Idee verstanden hatten, ein Schlußpunkt gesetzt.
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MICHAEL FRANZ
Der Neupiatonismus
in den philosophiehistorischen Arbeiten
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
In diesem Beitrag möchte ich drei Stationen auf dem Weg der Rezeptionsge-
schichte des Neuplatonismus in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts etwas
näher betrachten. Und zwar zunächst die Auffassung des Piatonismus, die Jacob
Brucker gegen Ende der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts etabliert hat, sodann
das, was der Göttinger Philosophiehistoriker Christoph Meiners zur Kritik des
Neuplatonismus beigetragen hat, und am Schluß die erste, fast noch heimlich
positive Darstellung des Neuplatonismus bei Georg Gustav Fülleborn 1793.
Über Brucker muß hier gesprochen werden, weil seine ,kritische' Darstellung
der Philosophiegeschichte1 für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts in ganz
Europa die maßgebliche gewesen ist, nicht zuletzt dadurch, daß die einschlägi-
gen philosophiehistorischen Artikel der Diderot'schen Encyclopddie sich ganz
und gar der Brucker'schen Darstellung bedienten. Insbesondere in der Behand-
lung der antiken Philosophie sind selbst die beiden Philosophiegeschichten von
Dieterich Tiedemann und Wilhelm Gottlieb Tennemann, die im letzten Jahr-
zehnt des Jahrhunderts veröffentlicht wurden, noch ganz von Brucker abhängig.3
Das gilt insbesondere auch für die Darstellung der Platonischen Philosophie.
Was Piaton und den späteren Piatonismus betrifft, so hatte Brucker einen For-
schungsstand etabliert und organisiert, der bis zur triumphalen Erhebung des
romantischen Piaton durch Friedrich Schleiermacher kanonisch geblieben war.
Brucker lehrte, auf definitive Weise zu unterscheiden zwischen der Platoni-
schen Philosophie und der Philosophie, die in Alexandria in nachchristlicher
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20 Michael Franz
Zeit entstanden ist. Die letztere nennt er hauptsächlich die Philosophie der „ek-
lektischen Sekte", aber auch die der .jüngeren" oder „neueren" Platoniker (Pla-
tonici iuniores vel recentiores). 4 Der ,neuere Piatonismus' wird zwar als Abfall
vom originären Piatonismus gebrandmarkt, aber das heißt nur, daß er auf andere
Art und Weise falsch ist als der originäre Piatonismus. Die doktrinäre Unter-
scheidung zwischen beiden Philosophien legt Brucker dahingehend fest, daß der
authentische Piatonismus als .dualistisches System', der Neuplatonismus hinge-
gen als ,Emanationssystem' aufzufassen sei. Mit anderen Worten: Nach Piaton
und seinen Nachfolgern hat der Demiurg die Welt aus einem Stoff verfertigt,
während die Neuplatoniker die Materie als letztendlichen ,Ausfluß' des göttli-
chen Wesens verstehen. Während im ursprünglichen Piatonismus eine Art
,Zwei-Welten-Theorie' herrscht, ist der Neuplatonismus durch einen rigiden
Monismus gekennzeichnet. Diesen Monismus sieht Brucker jedoch stets als
Vorläufermodell für das in seinen Augen atheistische System des Spinoza. Zwar
kann Brucker den harten Dualismus des Piatonismus, so wie er selbst ihn dar-
stellt, auch nicht für wahr halten; doch dieser ,Irrtum' erscheint ihm verzeihli-
cher als der entgegengesetzte der Neuplatoniker.
Man muß nun freilich sagen, daß Brucker diese Urteile nicht nur en passant
fällte, sondern sie durch eine ausfuhrliche systematische Darstellung der Plato-
nischen Philosophie einerseits, des Neuplatonismus (unter dem Namen der „sec-
ta eclectica") andererseits begründete. Diese systematische Darstellungsweise ist
keineswegs bloß habitueller Stil des Schulmeisters Brucker, sondern sie wird
von ihm reflektiert als Absetzung gegen die anekdotische, narrative und polemi-
sche Darstellungsweise der älteren Philosophiegeschichten (etwa von Georg
Horn oder Thomas Stanley 5 ); sie wird allerdings durchexerziert in einer Weise,
die Brucker später das Mißverständnis (Georg Wilhelm Friedrich Hegels) ein-
trug, er wolle die Philosophiegeschichte nach Wolffschen Distinktionen aufbe-
reiten; 6 und sie wird nicht zuletzt konfirmiert durch das bekannte, autoritative
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Der Neuplatonismus in den philosophiehistorischen Arbeiten 21
Votum Leibnizens, man müsse die Philosophie Piatons einmal als System dar-
stellen. 7
Nun hat sich freilich diese Aufgabe einer systematischen Darstellung für
den Neuplatonismus insofern noch komplizierter ausgestaltet, als Brucker ein
überkommenes Schema zur Darstellung der Philosophiegeschichte (die Eintei-
lung in verschiedene, aufeinanderfolgende ,Sekten') verknüpfte mit einem dop-
pelten Kategorienpaar zur Bewertung verschiedener Philosophietypen. Schon
vor Brucker - das muß gegenüber einer Hegeischen Behauptung 8 betont werden,
die noch im Historischen Wörterbuch der Philosophie ungeprüft übernommen
worden ist9 - war die kryptische Bemerkung im Prooemium des Diogenes Laer-
tius, „kürzlich" sei nun auch noch eine Sekte aufgetreten, die sich „eklektisch"
nenne, 10 auf den Neuplatonismus bezogen worden." Und ebenso lange vor Bru-
cker hatte sich die Bewertung der philosophischen Systeme nach dem Gesichts-
punkt etabliert, ob sie nach den Horazischen Worten auf die „Worte Eines Mei-
sters schwören" oder sich der Maxime des Apostels Paulus („Prüfet alles, das
Beste aber behaltet") anschließen. 12 So unterschied man schon in der zweiten
Hälfte des 17. Jahrhunderts zwischen dem Philosophietyp einer ,philosophia
sectaria' und dem einer ,philosophia eclectica'. Dabei wurde fast allgemein dem
Typ der .eklektischen Philosophie' der Vorzug gegeben, gegen Ende des 17.
Jahrhunderts war .eklektische Philosophie' geradezu zu einem Modetitel gewor-
den, den man sich (siehe Thomasius und seine Schüler) gern anheftete. 13 Zu-
gleich war der .Eklektizismus' auch noch von einer anderen Seite her zum posi-
tiven Merkmal erwählt worden. Dem - positiv bewerteten - Eklektizismus wur-
de nun präzisierend das negative Etikett .synkretistische Philosophie' entgegen-
gestellt. Während die eklektische Philosophie mit Sinn und Verstand das Beste
7 Vgl. G. W. Leibniz, Brief an N. Remond , in: ders., Die philosophischen Schriften, hrsg.
von C. J. Gerhardt, Berlin 1887, Nachdr. Hildesheim 1978, Bd. III, 637.
8 Vgl. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Dritter Band, in: Sämtli-
che Werke, Bd. 19, 34.
9 Vgl. W. Nieke, Eklektizismus, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1,
hrsg. von J. Ritter, Basel 1971, 433, Anm. 2.
10 Diogenes Laertius, Vitae philosophorum, lib. I, par. 21.
11 So etwa von den Kommentatoren der Spätrenaissance, Isaac Casaubon und Aegidius
Menage, in ihren jeweiligen Editionen; dazu vgl. M. Albrecht, Eklektik. Eine Begriffs-
geschichte mit Hinweisen auf die Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte, Stuttgart-
Bad Cannstatt 1994, 75 und 140.
12 Horatius, Epistulae I, 14; Paulus, Epistula ad Thessalonicenses I, 5,21; vgl. dazu insge-
samt Albrecht, Eklektik.
13 Vgl. ζ. B. die Elementa philosophiae Instrumentalis seu institutionum philosophiae
eclecticae, Halle 1703, des Thomasius-Schülers Johann Franz Budde, dazu M. Wundt,
Die Philosophie an der Universität Jena in ihrem geschichtlichen Verlaufe dargestellt,
Jena 1932, 65-71.
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22 Michael Franz
14 Grob gefaßt, war .Synkretismus' der lutherische Ketzername für Theologen mit refor-
mierten oder calvinistischen, letztlich: rationalistischeren, Tendenzen, die gegen Ende
des 16. Jahrhunderts an den hauptsächlichen lutherischen Universitäten in Wittenberg,
Leipzig und Helmstedt bekämpft wurden.
15 Vgl. G. Olearius, Dephilosophia eclectica, in: Th. Stanley, Historia philosophiae. Vitas
opiniones, resque gestas et dicta philosophorum sectae autore Thoma Stanleio, ex An-
glico sermone in Latinum translata, emendata, et variis dissertationibus atque observa-
tionibus passim aucta accessit vita autoris, ed. G. Olearius, Leipzig 1711, Bd. 2, 1205-
1222.
16 Vgl. Brucker, Historia critica philosophiae, Bd. I, 627-728.
17 Vgl. Brucker, Historia critica philosophiae, Bd. I, 669: „ad ipsum Platonem ejusque
dialogos respiciemus, et quantum licet, ejus verba et ratiocinia ita expendemus, ut ne-
xum potissimum systematis secundum fidei historiae et artis rationalis leges eruamus"
(„auf Piaton selbst und seine Dialoge nehmen wir Rücksicht, und, soweit es möglich ist,
werden wir seine Worte und Argumente so abwägen, daß wir den hauptsächlichsten Zu-
sammenhang des Systems gemäß den Gesetzen der historischen Glaubwürdigkeit und
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Der Neuplatonismus in den philosophiehistorischen Arbeiten 23
nicht einfach zu lösen sind. Um sie lösen zu können, wäre gewissermaßen ein
Kanon im Kanon nötig, oder, falls eben alle Dialoge von dem Bazillus der Ironie
und indirekten Rede kontaminiert sein sollten, ein äußeres Korpus von Kriterien
liefernden Texten. Und diese Texte, welche die Lehrmeinungen Piatons aufzu-
finden und zu ordnen erlauben, sind erstaunlicherweise: die Handbücher des
Mittelpiatonismus, Apuleius und Alcinous sowie Ciceros Academical Dabei
gilt ihm Cicero als unmittelbarer Zeuge für die „Piatonis decreta, qualia in Aca-
demia docebantur", welche allerdings für Cicero bekanntlich in der Hauptsache
skeptische Lehren waren. „Von allen am besten" aber hat nach Brucker das
Lehrbuch (der Didascalicus) des Alcinous „auf die Ordnung und den Zusam-
menhang der Platonischen Philosophie geachtet". Und deshalb wird dieses Lehr-
buch, so fährt Brucker fort, „uns Führer sein auf dem Weg, durch welchen wir
die Lehren des Piaton selbst, der in seinen Schriften keiner Ordnung seiner Phi-
losophie, keinem System gefolgt ist, sondern alles mit Grund in Dialogen zer-
streut erzählt hat, aus seinen Gesprächen eruieren werden". Um es deutlich her-
vorzuheben: Zwar ist der Primärtext ausschließlich das Corpus der Platonischen
Dialoge. Diese Dialoge aber werden ausgelegt auf dem Hintergrund der syste-
matischen Darstellung der Platonischen Lehre durch das Lehrbuch des Alcinous
(und die kleine Schrift des Apuleius De Piatone et eius dogmate).
Tatsächlich greift Brucker dann bei der Darstellung der drei Teile des Pla-
tonischen Systems (Dialectica, Physica und Ethica) immer wieder auf seine
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24 Michael Franz
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Der Neuplatonismus in den philosophiehistorischen Arbeiten 25
Hegel und Friedrich Hölderlin haben, wie wir wissen, im Wintersemester 1789/-
90 eine Vorlesung des Tübinger Historikers Christian Friedrich Rößler über die
Geschichte der Philosophie gehört. 25 Nach allem, was aus Rößlers vielen, vor
allem kirchenhistorischen Arbeiten hervorgeht, hat er sich in Fragen der Philo-
sophiegeschichte an seinen erklärten Lehrmeister Christoph Meiners in Göttin-
gen gehalten. Das wird bestätigt durch die amtliche Mitteilung, daß er in seinen
philosophiehistorischen Vorlesungen stets das einschlägige Lehrbuch von Mei-
ners zugrunde gelegt habe. 26 Das Meinerssche Compendium trug den Titel
Grundriß der Geschichte der Weltweisheit,27 Kurz zusammengefaßt, behandelt
es unter anderem auch das, was Meiners in einer recht detaillierten Unter-
suchung dargelegt hatte, die in den letzten beiden Jahrzehnten des 18. Jahr-
hunderts zu den meistzitierten Abhandlungen in Sachen Neuplatonismus gehör-
te: Beytrag zur Geschichte der Denkart der ersten Jahrhunderte nach Christi
Geburt, in einigen Betrachtungen über die Neu-Platonische Philosophie (1782).
Ich werde hauptsächlich aus dieser Abhandlung zitieren, weil sie die neuplatoni-
schen Fragen ausfuhrlicher behandelt; zudem ist es sehr wahrscheinlich, daß
diese Abhandlung von Meiners auch unter den Tübinger Stiftlern damals Stan-
dard-Lektüre war, was sich zumindest für Schelling belegen läßt. 28 Spuren ihrer
Lektüre glaube ich auch bei Hegel finden zu können.
Meiners nimmt die strenge Trennung zwischen einerseits Piaton samt sei-
nen .Nachfolgern' bis ins zweite nachchristliche Jahrhundert und andererseits
den Neuplatonikern des 3., 4. und 5. Jahrhunderts, die Trennung also, für die
Brucker gesorgt hatte, durchaus auf. Allerdings ist er Piaton gegenüber noch
wesentlich unfreundlicher als Brucker; und insofern rücken die Neuplatoniker
und Piaton bei ihm wieder etwas enger aneinander. Was die Neuplatoniker an
„Eigenthümlichkeiten und Besonderheiten" haben, betrifft nicht die „Lehren
25 Vgl. den Auszug aus den Vorlesungsverzeichnissen der Universität Tübingen, den
Friedhelm Nicolin veröffentlicht hat: Briefe von und an Hegel, Bd. IV, Tl. 1: Dokumen-
te und Materialien zur Biographie, hrsg. von F. Nicolin, Hamburg 1977, 24: „Winter-
semester 1789/90: Christianus Friedericus Roesler ...privatim fata et opiniones praeci-
puorum Philosophorum enarrabit." - Über Rößler vgl. M. Franz, Patristische Philoso-
phie in Tübingen um 1790. C. F. Rößler und seine Bewertung des Neuplatonismus, in:
Das antike Denken in der Philosophie Schellings, hrsg. von J. Jantzen, Stuttgart-Bad
Cannstatt (im Druck).
26 Vgl. I. C. Diez, Briefwechsel und Kantische Schriften. Wissensbegründung in der Glau-
benskrise Tübingen - Jena (1790-1792), hrsg. von D. Henrich unter Mitwirkung von
J. Weyenschops, Stuttgart 1997, 396, Anm. 71.
27 Vgl. C. Meiners, Grundriß der Geschichte der Weltweisheit, Lemgo 1776, 2. Aufl.
Lemgo 1789.
28 Dazu vgl. Franz, Schellings Tübinger Platon-Studien, 127-128.
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26 Michael Franz
vom höchsten Gott, und der Materie, von der Welt, und Weltseele und deren
Schöpfung", sagt Meiners, sondern ist in der Theurgie zu suchen, also in ihren
„Träumen über die verschiedenen Rangordnungen der Götter und Dämonen". 29
Die Unterschiede, die es zwischen Piaton und den Neuplatonikern gibt, beziehen
sich zwar auch auf die Theologie und Metaphysik, aber auf diesem Gebiet sind
die neuplatonischen Abweichungen gegenüber Piaton „von geringer Bedeu-
tung". 30
Die theologischen Lehrmeinungen der Neuplatoniker faßt Meiners dann so
zusammen: „Ueber die höchste Gottheit dachten sie [seil, die Neu-Platoniker]
eben so, wie Plato, und dessen Nachfolger; nur redeten sie von ihr noch dunkler,
als Plutarch, und andere ihrer Vorgänger gethan hatten, und bezeichneten sie mit
einer Menge von neuen gröstentheils unverständlichen Ausdrücken. Sie nannten
sie das Wirklichwirkliche, das Ueberwesentliche und Ueberverständliche, das
über alle Wesen, und allen Verstand Erhabene, den Gott aller Götter, das Heilige
im Heiligen, die Quelle der Göttlichkeit, die Wurzel alles dessen, was ist, die
Einheit aller Einheiten, die geheimer und unnennbarer, als alles Stillschweigen,
unaussprechlicher, als alles Daseyn, und unter den verständlichen Göttern in
unzugänglichen Höhen verborgen sey." 31
Als Quellen fur dieses theologische Potpourri gibt Meiners in der Fußnote
an: Plotinus, Enneaden III 8, 9; Proclus, Theologia Platonica (sechs Stellen aus
der 1618er Ausgabe von Aemilius Portus); und aus den Sententiae ad intelligibi-
lia ducentes des Porphyrius die Kapitel X und XXVII. Das ist in der Tat ein
kleines Compendium theologicum des Neuplatonismus, was Meiners hier zu-
sammenstellt. In der Folge geht er auf die .Schöpfungstheologie' ein, die er so
referiert: „Diese ursprüngliche Einheit habe ... alles Mögliche und Wirkliche,
alles Sichtbare und Unsichtbare in verschiedenen Absäzen, oder Ergießungen
oder Ausblizungen auf eine unbegreifliche Art aus sich selbst erzeugt. Aus der
Gottheit seyen nämlich die geistigen oder gedenkbaren (νοητοί) Götter, aus den
geistigen die verständlichen (νοεροί) (welche beyde sie nie genau bestimmt und
unterschieden haben,) aus den verständlichen Göttern die Seelen, und aus den
Seelen endlich die Körper hervorgegangen." 32
Für dieses vielfach gestufte System von Emanationen gibt Meiners dann
ausschließlich Proclus-Stellen an und merkt in einer Fußnote an, daß es „von
Plotin ungewiß [sei], ob er eine Schöpfung aus keinem vorhandenen Stoffe ge-
29 C. Meiners, Beytrag zur Geschichte der Denkart der ersten Jahrhunderte nach Christi
Geburt, in einigen Betrachtungen über die Neu-Platonische Philosophie, Leipzig 1782,
52.
30 Meiners, Beytrag zur Geschichte der Denkart der ersten Jahrhunderte, 53.
31 Meiners, Beytrag zur Geschichte der Denkart der ersten Jahrhunderte, 53.
32 Meiners, Beytrag zur Geschichte der Denkart der ersten Jahrhunderte, 54.
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Der Neuplatonismus in den philosophiehistorischen Arbeiten 27
glaubt habe"; insofern sei er Piaton näher geblieben als die späteren Neupiatoni-
ker. 33
Seinen Hauptkritikpunkt an der Lehre der „falschen Platoniker" des 3. und
4. Jahrhunderts faßt Meiners so zusammen: „Ein jeder machte neue Entdeckun-
gen in der Geisterwelt, und erweiterte das System von Vielgötterey, was seine
Väter, und Lehrer ihm überliefert hatten." 34 Im einzelnen lauten die Urteile:
„Plotin war der erste ... der die Götter in überweltliche, bloß gedenkbare, in der
höchsten Gottheit ruhende, und in Weltbewohnende Götter, oder solche, die
innerhalb der Welt seyen, eintheilte ... Seine beyden Schüler, Amelius und
Porphyr, machten kühne Fortgänge auf der Bahn, die er ihnen geöffnet hatte. Sie
behielten zwar seine Eintheilung in Ueberweltliche, und Weltbewohnende Göt-
ter bey; allein jener vervielfältigte die erstem, und redete nicht nur von drey
Demiurgen, sondern auch von drey göttlichen Verständern [sie], und eben so
vielen Königen, dieser hingegen vermehrte die Zahl der leztern, und theilte sie,
als eine große Gattung, in mehrere Arten, nämlich in himmlische, irrdische,
unterirrdische, endlich in Luft- und Wassergötter ab. Sein Nachfolger Jamblich
war erfindungsreicher an Götternamen, als alle seine Vorgänger gewesen waren.
Er redete von drey Triaden, gedenkbarer, und von vielen Dreyheiten und einer
Siebenheit verständlicher Götter." 35
Es ist wohl diese ,wundersame Vermehrung' des Götterpersonals, die nach
Meiners für die nachplotinische Philosophie typisch ist. Die Verachtung, die
Meiners gegenüber solcher Götter-Inflation verspürt, läßt ihn bisweilen zu dra-
stischen Formulierungen greifen: „Über die Wirkungen der bösen Dämonen hat
keine vor abergläubischem Schrecken verrückte alte Frau je ärger geraset, als
dieser sich selbst so ungleiche, und alle übrigen Platoniker an Gelehrsamkeit
sehr weit übertreffende Weltweise [seil. Porphyrius]." 36
Der Spott des aufgeklärten Göttingers machte sogleich Schule. Und zu den
Anhängern der neuen Einsichten über den neuplatonistischen Aberglauben ge-
hörte nicht nur der Tübinger Historiker Rößler, sondern auch der Stuttgarter
Altphilologe Friedrich Ferdinand Drück, Professor an der Karlsschule. Er hielt
am Geburtstag des Herzogs im Jahr 1786 eine vielbeachtete Rede mit dem Titel
Ueber die Aehnlichkeit der Verirrungen des menschlichen Verstandes in zwey
verschiedenen Zeitaltern. Gemeint sind die Verstandesverirrungen zu den Zeiten
des spätantiken Neuplatonismus und diejenigen des gegenwärtigen späten acht-
33 Meiners, Beytrag zur Geschichte der Denkart der ersten Jahrhunderte, 55, Anm. *.
34 Meiners, Beytrag zur Geschichte der Denkart der ersten Jahrhunderte, 60.
35 Meiners, Beytrag zur Geschichte der Denkart der ersten Jahrhunderte, 61 -63.
36 Meiners, Beytrag zur Geschichte der Denkart der ersten Jahrhunderte, 77-78. - Der
Topos der .abergläubischen alten Frau' ist freilich schon in der Antike klassisch: Vgl.
Cicero, De divinatione lib. 2, par. 129, und Ammianus Marcellinus, Rerum gestarum li-
bri qui supersunt, lib. 21, cap. 16, par. 18.
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28 Michael Franz
zehnten Jahrhunderts. Drücks These nimmt den schon von Meiners angedeute-
ten Vergleich auf und baut ihn aus: „Der alles wegwerfende Unglaube und der
alles annehmende Aberglaube unserer Zeit haben ihr ähnlichstes Gegenbild,
jener in dem epikureischen, dieser in dem neuplatonischen Systeme, in welche
beiden Systeme die Denker und Nachdenker des vierten Jahrhunderts sich
gleichsam getheilt hatten. Indem der Epikuräer über die Gottheit wenigstens
zweifelhaft lächelte, wenn er auch nicht, ganz sie zu läugnen, den Muth hatte: so
ließ der Neuplatoniste Tausende von Göttern gebohren werden."37
Hegel hat, da können wir gewiß sein, diese Rede Drücks nicht gehört, weil
er, wie er in seinem Tagebuch notiert, an diesem Tag im Gymnasium der Ge-
burtstagsrede des Professors Schmidlin beiwohnte. Drücks Rede hatte aber, wie
gesagt, nachhaltige Anerkennung gefunden, selbst noch in dem erstmals um
Gerechtigkeit für den Neuplatonismus bemühten Beitrag von Georg Gustav
Fülleborn;38 im gleichen Jahr notiert der junge Schelling sich den Titel der Rede
Drücks unter den wichtigsten Literaturangaben zu seinem Projekt „Geschichte
des Gnosticismus", nach Ralph Cudworth, Brucker und anderen einschlägigen
Titeln, unter denen sich auch Meiners' berühmte Abhandlung befindet.39
Es ist also sehr wahrscheinlich, daß Hegel nicht nur die Abhandlung von
Meiners, sondern auch die Rede Drücks gekannt hat; seine Kritik liegt jedenfalls
ganz auf der Linie Drücks. Insbesondere die Hegeische Sottise, die Neuplatoni-
ker hätten es darauf gelegt, von ihren frommen Investitionen ins Jenseits dann
auch wieder „durch Zaubereien einen Theil davon als Geschenk zurückzuerhal-
ten",40 ähnelt der ironischen Bemerkung Drücks: „Ein Jamblich, ein Maximus,
ein Apollonius, ein Alexander waren Leute, denen Götter und Geister noch gute
Worte geben mußten."41
Dennoch lassen sich die Positionen von Meiners und Drück auch wieder
etwas auseinanderrücken. Denn nach allem, was wir ansonsten von Meiners'
philosophischem Ansatzpunkt wissen, läßt sich sein Kritikpunkt klar erkennen
als Ausdruck der empiristischen Methode, mit Hilfe von Occams Rasiermesser
37 F. F. Drück, Rede über die Aehnlichkeit der Verirrungen des menschlichen Verstandes
in zwey verschiedenen Zeitaltern. An dem neun und fünfzigsten Geburtstage des Regie-
renden Herrn Herzogs zu Wirtemberg Durchlaucht in der Hohen Carlsschule gehalten
von Friedrich Ferdinand Drück, Professor der Geschichte, Stuttgart 1786, 12.
38 Vgl. G. G. Fülleborn, Neuplatonische Philosophie, in: ders., Beyträge zur Geschichte
der Philosophie, Drittes Stück, Züllichau, Freystadt 1793, 70-85, bes. 81.
39 Vgl. F. W. J. Schelling, Studienheft 28, in: ders., Berliner Teilnachlaß. Archiv der Ber-
lin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Berlin, LXXXX verso.
40 G. W. F. Hegel, Unterschied zwischen Griechischer Phantasie- und christlicher positi-
ver Religion, in: ders., Gesammelte Werke, im Auftrag der Deutschen Forschungsge-
meinschaft hrsg. von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften,
Bd. 1, hrsg. von F. Nicolin, G. Schüler, Hamburg 1989, 372.
41 Drück, Rede über die Aehnlichkeit der Verirrungen des menschlichen Verstandes, 13.
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Der Neuplatonismus in den philosophiehistorischen Arbeiten 29
Piatons Bart zu stutzen. Beim Stuttgarter Drück stehen vielleicht eher religiös-
theologische Motive dahinter. Zumindest läßt sich sein Spott über die Theurgen,
denen „Götter und Geister noch gute Worte geben mußten", auch als anti-
pelagianische Spitze verstehen, die gut in das Milieu des orthodox-lutherischen
Stuttgart passen würde.
Die erste Arbeit, die vorsichtig am Neuplatonismus gute Seiten entdecken will,
stammt aus der Feder des allzu früh verstorbenen Georg Gustav Fülleborn. In
seine Beyträge zur Geschichte der Philosophie, eine Zeitschrift, in der ansonsten
auch Karl Leonhard Reinhold, Friedrich Immanuel Niethammer, Friedrich Karl
Forberg, Friedrich August Carus und später Christian Garve mitgearbeitet ha-
ben, hat er 1793 einen Aufsatz eingerückt mit dem schlichten Titel „Neuplatoni-
sche Philosophie". Er beginnt mit einer gewissermaßen pflichtgemäßen Zusam-
menfassung aller negativen Stereotypen, die über den Neuplatonismus im Um-
lauf sind. .Schwärmerei' ist dabei noch das mindeste, was den Neuplatonikern
vorzuwerfen ist. Freilich ist „die Neigung zu schwärmen" nach Fülleborn so
etwas wie der „schwarze Punct", den „zwar nicht alle, aber doch die meisten
Menschen ... in ihrem Kopfe mit sich herumtragen".42 Aus diesem Grund, so
gesteht der Autor, sei er oft „dem Unsinne und den Abentheuerlichkeiten dieser
Träumer beynah untergelegen".43 Nach diesen Erfahrungen sieht sich der Autor
nun in der Lage, „einen neuplatonischen Traum nieder[zu]schreiben".44 Hier
wird nun etwas angewandt, was man Einfühlungsvermögen, Empathie, nennen
könnte. Und so ist es erstaunlich, wie Fülleborn sich in dem folgenden Textab-
schnitt tatsächlich der ersten Person bedient, um den ersonnenen Traum zu schil-
dern.
„Mein Geist erhebt sich zuerst zu dem Wesen, das über alle Wesen ist, zum
Urheber alles Seyns. Zwar will mein Denken vor diesem Unendlichen zu Grun-
de gehen, aber ich wag es doch in seine Tiefen zu schauen. Da seh ich dann, wie
mit verklärtem Auge, den Inbegriff alles Wirklichen und Möglichen, aus wel-
chem das göttliche Verstandeswesen und die Seele der Gottheit entspringt: eine
heilige Dreyheit, die sich in dem Mittelpuncte einer unendlichen Lichtquelle
vereint. Er der Unendliche, der immer war, machte sein eignes Wesen, und ließ
es ausgehen aus sich, denn er bedurfte es nicht für sich, weil er war, ehe das
Wesen wurde. Aus sich, durch sich und in sich, ewig und allgenugsam: aus ihm,
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30 Michael Franz
durch ihn und von ihm alles was ist, wie die Lichtstrahlen von der Sonne. Es ist
nichts geworden, was ist, es ist ausgegangen aus dem Ewigen von Ewigkeit. Als
er das Untheilbare mit dem Theilbaren, das Unwandelbare mit dem Veränderli-
chen harmonisch vereinigte, da flöß der Weltgeist aus ihm, und wurde der Füh-
rer des All, mit dem das unaufhörliche Leben begann." 45
In dieser Art fährt die Beschreibung der Emanationen aus dem Göttlichen
fort, über sieben Oktavseiten lang in fast liturgisch anmutenden Worten. Für
unsere Zwecke hier genügt der zitierte Abschnitt. Ich finde daran in der Haupt-
sache bemerkenswert die Einkleidung der neuplatonischen Ontotheologie in ein
subjektives Erlebnis bzw. in einen Prozeß von Subjektivität. Das ist neu in der
Darstellung des Neuplatonismus. Aber wie ist es zu interpretieren?
Zunächst einmal scheint mir diese neue Darstellungsweise eine direkte
Identifikation des Lesers mit dem geschilderten Erlebnis zu ermöglichen. Die
neuplatonische Lehre wird als Perspektive präsentiert, die von jedem Leser
(oder fast jedem) eingenommen werden kann. Dadurch wird sie aus dem un-
übersichtlichen und - in den Augen des 18. Jahrhunderts - absurden Durchein-
ander der synkretistischen Religion der Spätantike befreit zu einer nachvollzieh-
baren Gedankenbewegung. Insofern eröffnet diese .Subjektivierung' der neupla-
tonischen Lehre einen neuen Zugang auch zu ihren Inhalten.
Darüber hinaus halte ich es für nicht ganz ausgeschlossen, daß diese ,sub-
jektivierte' Aufbereitung der neuplatonischen Theologumena nicht nur didak-
tisch-darstellende Funktion hat, sondern sich auch aus einer - nirgendwo ausge-
sprochenen, aber überall angebahnten - Einsicht in die Tatsache verdanken
könnte, daß auch die νοΰς-Lehre des Plotin sich verstehen läßt als ,Theorie des
Geistes' im Sinne einer absoluten Metaphysik der Subjektivität. Freilich fehlen
mir für eine solche immerhin schwerwiegende Einsicht bei Fülleborn die deutli-
chen Belege. Vielleicht lassen sie sich noch außerhalb des hier einzig herange-
zogenen Aufsatzes finden; immerhin hat Fülleborn ein paar Jahre später noch
einen langen Aufsatz „Ueber einige seltne Schriften des Jordano Bruno" 46 ge-
schrieben, der sichtlich anknüpfen möchte an das durch Friedrich Heinrich Ja-
cobi erweckte Interesse an diesem neuzeitlichen Platoniker. Dennoch ist hier
kaum mehr als ein unverhohlenes Interesse an einem Kuriosum zu spüren.
Zurück zu Fülleborns neuplatonischem Traum! In gewisser Weise ist die
,subjektivierte' Darstellungsform natürlich direkt dem Sprachspiel der ,Traum-
erzählung' geschuldet. Erzählte Träume beginnen mit: ,Mir hat geträumt ...'
oder eben auch ,Mein Geist erhebt sich zu ...' Das heißt aber doch wohl, daß die
Darstellungsform ,Traumerzählung' schlechterdings nicht von ihrem ,subjekti-
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Der Neuplatonismus in den philosophiehistorischen Arbeiten 31
ven' Charakter entkleidet werden kann. Insofern hat schon die Wahl dieser Dar-
stellungsform das, was darzustellen war, auch inhaltlich geprägt. Allein schon
durch die Idee einer solchen Traumerzählung wird das neuplatonische Gedan-
kengeflige auf seine ,subjektive' Seite hin interpretiert. In einer Zeit, die gerade
dabei ist zu entdecken, daß alles, was objektiv genannt zu werden verdient, nicht
anders als auf subjektive Weise zustande kommt, erhält der bislang flir .über-
holt' betrachtete Neuplatonismus gewissermaßen eine ,neue Chance'.
Fülleborns eigene Deutung des dargestellten Traums scheint diese Interpre-
tation zu bestätigen. Denn er fährt fort: „So weit der Traum. Und nun kann man
fragen, ob Ideen, wie diese ... nicht den schnellsten und allgemeinsten Eingang
finden mußten, den man sich denken kann. Da ist Beschäftigung der üppigsten
Phantasieloser Genuß für das Herz, überall Wärme und Leben.iA1
Nun sind die Ideen der Neuplatoniker also nicht mehr wegen ihres
,,Hang[es] zu abstrakten Spekulationen" zu tadeln, wie noch gleichzeitig Tiede-
mann geschrieben hatte, 48 nun sind sie also auf der Seite jener Instanz ange-
kommen, die dem ausgehenden Jahrhundert als das Residuum des Wahren, Gu-
ten und Schönen erschien: das Herz. Indem Fülleborn die neuplatonischen Ideen
als „Genuß für das Herz" bezeichnet, ebnet er ihnen auf eine Weise den Weg,
den eine intrikate Analyse Plotinischer Texte vielleicht nicht hätte zustande
bringen können. Denn Irrtümer, die das Herz begeht, sind im Zeitalter der auf-
geklärten Empfindsamkeit auf jeden Fall verzeihlich, ja sie sind erträglicher als
die herzlosen Richtigkeiten des ,Verstandes'. Doch ganz so weit möchte Fülle-
born nicht gehen. Das ultimative Ziel ist natürlich auch ihm die Versöhnung
zwischen Herz und Verstand, und so schließt sein Aufsatz mit der Bemerkung,
„daß folglich die beste Philosophie diejenige seyn müsse, welche Verstand und
Herz auf gleiche Weise beschäftigt, ohne einem von beyden das Uebergewicht
,, 49
zu gestatten .
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ANGELICA NUZZO
In the tradition of metaphysics with which Immanuel Kant comes to terms early
on in his philosophical career, to address issues concerning the body as res ex-
tensa means to confront the intricate question of its separation from and interac-
tion (commercium) with the soul or the mind. In his doctrine of the critical pe-
riod, Kant completely revolutionizes the terms of this traditional question so
much so that it is hard to relocate it within his philosophy or even to articulate
its .successor' in the new critical framework. This explains why historical dis-
cussions of the mind-body problem usually ending with modern philosophy only
rarely extend to Kant. 1 The point at issue, however, already seriously occupies
Kant in the pre-critical period. Early on, he actively participates in the heated
debate between Leibnizians and Wolffians regarding the issue of the soul-body
relation. He takes a position in favor of the influxus physicus, which tries to
explain the possibility of a reciprocal influence between soul and body against
the doctrine of the pre-established harmony, denying the possibility of a recipro-
cal action between soul and body and resorting instead to God's arrangement. It
is in these early years that Kant's confrontation with metaphysics takes the turn
that leads him to rethink the relation between mind and body from a thoroughly
new perspective. Even though the immediate historical reference of Kant's early
discussion of the problem seems to be provided by the modern dualism of Carte-
sian origin, its ancient Platonic root is also present in interesting ways.
To ask what is the modification that the problem of the separation between
mind or soul and body receives in Kant's philosophy means to identify both the
modern and the Platonic heritage of his thought. In the present essay, I will con-
centrate on the analysis of a particular aspect of Kant's relation to Plato. My aim
is to identify in Kant's notion of ,idea' the point of intersection between the
Platonic tradition and the mind-body problem which Kant found crystallized in
the metaphysical discipline of rational psychology. I will focus on Kant's crucial
distinction between sensibility and understanding/reason and indicate in its ar-
ticulation the different moments of Kant's confrontation with the problem at
hand. I will show how the reference to Plato's notion of ,idea' becomes crucial
1 See H. Robinson, Kant on Embodiment, in: Minds, Ideas, and Objects. Essays on the
Theory of Representation in Modern Philosophy, ed. by P. D. Cummins, G. Zoeller,
Atascadero 1992, 329-340, 329.
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34 Angelica Nuzzo
for Kant's separation between theoretical and practical cognition - for his rejec-
tion of the metaphysical notion of the soul and his transformation of it into a
necessary idea of reason. Endorsing the Cartesian - but already Platonic - dual-
ism between body and soul, Kant rejects the scholastic tradition of rational psy-
chology as well as Platonism in the theory of knowledge. This gesture allows
him both to salvage the Platonic significance of ideas in the practical sphere and
to articulate the notion of metaphysics in opposition to the realm of experience.
Ultimately, in Kant's philosophy, the mind-body separation is articulated in the
light of the separation between metaphysics and experience.
I. The Problem of Space: Soul, Body and the Nature of Human Sensibility
Kant's early reflection on the nature of space is central for his turn to critical
philosophy and for his transcendental idealism. This reflection leads him to re-
lease space from its metaphysical connection to the soul and to establish a nec-
essary link between space and embodiment testifying to a deeper interest in the
nature of experience. This complex shift is responsible for the radical transfor-
mation of the traditional mind-body problem within the framework of critical
philosophy. Space is the form of outer sense and the condition of the possibility
of our relating to an outside world. Early on in the development of his philoso-
phy, Kant suggests that we experience this character of space in the special role
that our own body plays in the cognitive process. The transcendental ideality of
space is incarnated in our body via the difference between our left and right
hand. If the body is transcendentally transfigured by the notion of space as form
of the outer sense, we have then to ask what, for Kant, fills the place that the
soul occupies in the traditional mind-body problem. What is the relation be-
tween outer and inner sense? How does the embodied subject gain its proper in-
ner dimension, and what constitutes this inner dimension?
In the 1768 essay On the Ultimate Ground of the Differentiation of Regions
in Space, Kant sets out to prove two claims that he will maintain throughout his
philosophical career. Space is independent of both sensation and the composi-
tion of matter and is the ultimate condition of all outer sensation and composi-
tion of matter. Thus, 1. space makes all sensation possible, and 2. it makes the
order and composition of matter possible. This is evident, Kant contends, in the
case of those objects that show the property of being ,incongruent counterparts'
- and in this case alone. For space is the condition of the incongruence of those
objects. Incongruent counterparts are those objects or geometrical figures that
are utterly identical in their physical shape, position and dimensions as well as in
the relations of their parts and yet cannot be put one in the place of the other
through a rigid motion, that is, they cannot be enclosed by one and the same
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Soul and Body 35
surface. 2 The glove that fits the right hand cannot fit the left hand. 3 As the left
and right hand, all incongruent counterparts are mirror-image reflections of each
other. This peculiar feature reveals something crucial about the structure of
space, namely, its independence of both sensation and the reciprocal relations of
the parts of matter. We cannot become aware of the essential property that
makes two objects into incongruent counterparts (or that makes one object be
specifically either a left or a right hand) unless we refer them immediately to the
asymmetry that we find in our own body.
In this work, the Newtonian issue concerning the reality of absolute space
revolves around the question of what kind of reality Kant is claiming for space
at this time. It can be neither God's absolutely necessary reality nor the reality of
spirits or souls - which allegedly exist separate from all matter - nor the reality
of matter itself, which rather presupposes space. Only geometrical figures along
with the data furnished by experience seem to provide Kant with a reliable no-
tion of reality. However, at the end of the essay, Kant arrives at the important
conclusion that space does not coincide analytically with the reality of geometri-
cal figures. Absolute space is not identical with the real space of experience. 4
Logically, and supposedly also ontologically, space belongs to a higher order
than that of geometrical figures. Elaborating on the gap between absolute space
and geometrical figures, the essay shows in what sense space has reality in rela-
tion to our sensibility: in a dimension that is certainly not absolute, but always
and necessarily embodied. Kant discusses not only our physical, bodily experi-
ence of incongruence, namely, of the intuitive difference of orientation between
two otherwise identical objects. In addition, he makes use of the geometrical
procedure of construction of a human hand once its incongruent counterpart is
given. Geometrical construction shows the „possibility" 5 of the incongruent
counterparts by providing their genetic definition. Besides the reality of incon-
2 Cf. I. Kant, Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Räume, in: id.,
Gesammelte Schriften, hrsg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissen-
schaften, Bd. 2, Berlin 2 1912, 382. See also I. Kant, De mundi sensibilis atque intelligi-
bilis forma et principiis. Dissertatio pro loco, ibid., § 15; 402-403. Technically, and
very generally, we meet incongruence when we deal with systems of relations among
objects or parts of objects in a three-dimensionally oriented Euclidean space. Incongru-
ent counterparts are objects which, being identical in size, dimension, proportion and
relative position of their parts differ in being mirror-image reflections of each other.
3 See I. Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft
wird auftreten können, in: Gesammelte Schriften, Bd. 4, Berlin 1911, § 13L; 286.
4 K. Marc-Wogau, Untersuchungen zur Raumlehre Kants, Lund 1932, 83-99, claims that
two conflicting ideas are at play in Kant's early writing, namely the Wolffian notion of
space as a consequence of the relations of substances and the Newtonian notion of space
as overall original dimension within which alone these relations can be manifested.
5 Kant, Von dem ersten Grunde des Unterschiedes, 382.
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36 Angelica Nuzzo
6 I have gained crucial insight regarding the relation between W o l f f s psychology and the
idea of space from K. Reich, Kants Behandlung des Raumbegriffs in den „Träume eines
Geistersehers" und im „Unterschied der Gegenden im Raum", in: I. Kant, Träume eines
Geistersehers, hrsg. von K. Reich, Hamburg 1975, V-XVII. - An excellent exposition
of the Dreams can be found in S. Shell, The Embodiment of Reason, Chicago 1996,
106-132. See also M. Heinz, Herder's Review of Dreams of a Spirit-Seer (1766), in:
New Essays on the Precritical Kant, ed. by T. Rockmore, Amherst/N. Y. 2001, 110-
128.
7 See Reich, Kants Behandlung des Raumbegriffs, V-XVII, and A. Laywine, Kant's
Early Metaphysics and the Origins of the Critical Philosophy, Ridgeview 1993, 11-24.
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Soul and Body 37
reached in 1768: The failure to prove the metaphysical reality of the soul leads
to the emergence of the (quasi-) transcendental reality of the body.
At the end of the Dreams, Kant argues that the pneumatic thesis of the exis-
tence of the soul independent of the body is a thesis of impossible solution. For,
no data from experience will ever be able to support such a thesis. Experience is
possible only in and through the body, and what pneumatology claims, is pre-
cisely the possibility of an existence which is independent of bodily conditions.
In this case, the relevant data „are to be found in a world other than the one" in
which we exist as embodied, sentient and conscious beings: In other words, the
data, even assuming that there are any, are thoroughly inaccessible to us. 8 It
follows that the existence of the soul without the body will never be more than a
dream or a fiction of the brain. Moreover, the thesis in question cannot claim the
status that hypotheses have in natural science. For, in science, the ,possibility"
of hypotheses „must at all times be capable of proof'. 9 Without the support of
experience, however, merely „rational grounds" can confirm neither the possi-
bility nor the impossibility of the given hypothesis, and hence these grounds can
provide neither proof nor refutation. 10 Thus, lacking both the evidence of em-
pirical data and the means to show its very possibility, the thesis of pneumatol-
ogy must be discarded.
In his letter to Mendelssohn of 8 April 1766, Kant formulates the central is-
sue addressed in the Dreams as the problem posed by the embodiment of con-
sciousness. Kant reveals his disappointment with the way metaphysics attempts
to solve the problem: „In my opinion", he explains to Mendelssohn, „everything
hinges upon this point: to find the data for the problem: How is the soul present
in the world?" - how is it present both „in material nature and in other entities
closer to its own kind?"n How can we know the presence of the soul in the
„Weltraum"? The metaphysical problem of the soul is that of its action in the
world of space, time, bodies and matter. The soul is, from the very outset, pro-
jected into an external world. In this claim, Kant follows the Wolffian tradition
that closely - and problematically - links the nature of the soul to the definition
of space. Accordingly, what needs to be found is the „force of external efficacy
and receptivity to being affected from without in such a substance", namely, the
soul, „whose unification with the human body is only a particular kind"; but no
8 I. Kant, Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik, in: Ge-
sammelte Schriften, Bd. 2, 368.
9 Kant, Träume eines Geistersehers, 371 (my emphasis); id., Kritik der reinen Vernunft,
2. Aufl., in: Gesammelte Schriften, Bd. 3, Berlin 1911, B800; 1. Aufl., ebd., Bd. 4,
A772.
10 Kant, Träume eines Geistersehers, 370-371.
11 I. Kant, Letter to Μ. Mendelssohn of 8 April 1766, in: Gesammelte Schriften, Bd. 10,
Berlin, Leipzig 1922, 71.
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38 Angelica Nuzzo
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Soul and Body 39
tion is inscribed, from the very outset, in the concept of the soul.17 Space is what
supports the determination of the soul as a force that has external efficacy, while
precisely through this external efficacy the soul establishes a relation to other
substances. While Leibniz denies that space is a determination of substance, for
Wolff there is no contradiction in claiming that the soul, although immaterial, is
in space. His definition of space is predicated upon the issue of the reciprocal
relation of substances and, in particular, upon the problem of the body-soul rela-
tion: „spatium enim resultat ex possibilitate coexistendi."18 Space is the field of
reciprocal action of substances; it is the order of coexistence.
In the Dreams, Kant rejects the metaphysical doctrine of the influxus
physicus between the body and the soul. In order to show the illusory character
of this metaphysical speculation, he employs Wolffs own concept of space.
Thereby, he exposes the flawed nature of the link between the abstract notion of
space as the sphere of the coexistence and reciprocal action of substances on one
hand and on the other the definition of the soul as a fundamental force that has
external efficacy. Kant's starting point is an attempt to understand what is meant
by the obscure notion of .spirit'. The crucial issue is whether spirit is a mere
„fiction of the brain or something real".19 Matter is what fills up space and has
the property of impenetrability. To define spirit as a simple substance endowed
with reason is not enough to differentiate it from matter, since a simple being
which has the inner property of reason may still outwardly act like matter. The
only way to preserve the notion of spirit is to define it as something that is pre-
sent in space without filling it up, hence without displaying the properties of im-
penetrability and solidity characteristic of matter. Spirits are therefore „rational
beings who can be present even in a space filled with matter, thus beings who do
not possess the quality of impenetrability, and who never constitute a solid
whole, no matter how many you unite".20 Can this concept of spirit, asks Kant,
lead to the claim that spirits are real or even only possible? Whereas the concept
of matter's impenetrability and solidity is an empirical concept, the idea of
something that has efficacy in space and yet does not fill space is not an empiri-
cal concept. Spirit, thus defined, is something that cannot present itself to the
senses, that is, cannot be experienced and hence cannot be conceived as real. On
the contrary, it is a notion that brings with itself a certain „unthinkability".21
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40 Angelica Nuzzo
To be sure, both the possibility and the impossibility of such a being is un-
thinkable. 22 And yet assuming with Wolff that space is the field of reciprocal
action and coexistence of substances, and assuming that a purely spiritual sub-
stance is one that outwardly acts upon a material body (or another spiritual sub-
stance), the notion of its immediate presence in space can very well be con-
ceived of, since, given that definition of space, nothing contradicts this conclu-
sion, even though such a notion cannot be known in concreto. Spirits „take up"
space by being immediately active in it, even without filling it, that is, without
offering resistance. 23 Yet the lack of contradiction is still not enough to prove
the reality of the assumed spiritual substance. In other words, W o l f f s meta-
physical notion of space opens up the realm of the empty speculations of ra-
tional psychology by providing an illusory reality which is only the consequence
of the assumed - abstract and ambiguous - definition of space. W o l f f s concept
of space grounds the a priori possibility of something that, according to Kant's
principle of the „limits of human reason" based upon experience, cannot be
claimed as a priori possible. 24 The metaphysical ploy is evident: Space, defined
as a merely metaphysical entity with no regard for our sensibility, is used to
support the plausibility of the notion of spirit because it ambiguously carries
with itself the reference to the reality (efficacy) ofthat which exists in space.
The Dreams is construed as a reductio ad absurdum of W o l f f s rational
psychology on the ground of the assumption of W o l f f s own concept of space.
The absurd conclusion of the metaphysical argument leads Kant to reject the
doctrine of the soul and, at the same time, to seek a new foundation for his the-
ory of space. Space is no longer related to the presence of the soul in the world,
but instead to the presence of our body in the world. Space is connected to hu-
man sensibility and bodily awareness. From 1768 on, space is, for Kant, the
transcendental dimension of an embodied consciousness, while the cognitive
access to the reality of the soul, which characterized rational psychology, is de-
nied.
In the 1770 Dissertatio, Kant mentions Plato's name for the first time. 25 The
reference to Plato gives the theoretical background for Kant's introduction of the
term ,idea' and for his own use of it. What Plato used to call ,idea' - observes
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Soul and Body 41
26 See the Refutation of Idealism in Kant, Kritik der reinen Vernunft, B274-279.
27 Cf. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B277-278; B399-400/A341 -342.
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42 Angelica Nuzzo
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Soul and Body 43
One could be tempted to locate the first reference to Plato already in the title of
Kant's Dissertatio\ De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis,
for this title seems to point to a metaphysical opposition between two orders of
reality that are clearly of Platonic derivation. However, this same separation
between intelligible reality and the realm of sensible experience can be found in
a tradition well-known to Kant and closer to him. 30 Alexander Baumgarten, for
example, in Metaphysica § 869 writes: „Insofar as the world is sensibly repre-
sented, it is the sensible world ..., insofar as it is known in a distinct way, it is
the intelligible world." 31 The world is twofold according to the type of knowl-
edge or representation that we have of it: What makes the difference is whether
the world is the object of a sensible representation or the object of a clear and
distinct cognition. In the Dissertatio, referring to this way of presenting the
question, Kant criticizes the traditional argument for what is called respectively
,sensible' and .intellectual' in our cognition of the world. The notion o f , i d e a ' is
placed precisely in the space dividing these two types of knowledge. The idea
does not function as their mediation, but as the sign of the impossibility of all
mediation.
In the Dreams, Kant uses the term ,mundus intelligibilis' to describe the
„immaterial world" 32 constituted by the totality of all immaterial, that is, spiri-
tual substances and their mutual relations. Kant's problem is that of the founda-
tion of this immaterial or intelligible world as a „totality that subsists for itself
and whose parts are in reciprocal connection with each other and subsist to-
gether even without the mediation of material things". 33 Relevant in his use of
the expression ,mundus intelligibilis' is the modality according to which the
totality of the world is constituted in the realm of immaterial substances. That
the issue raised by the concept of mundus is the logical and metaphysical prob-
lem of the notion of .totality' as ,totum' is a basic statement of traditional meta-
physics. Kant's significant transformation of the problem consists, as it were, in
its reformulation or reconstruction in terms of human knowledge.
If the expression that figures in the title of Kant's Dissertatio cannot be
viewed as entailing a specifically Platonic reference, the discussion of the dis-
tinction between .sensible' and .intelligible' leads him to recuperate an explic-
itly Greek and Platonic terminology: that of phaenomena and noumena. On the
basis of these concepts first introduced in Sect. II § 3, Kant frames retrospec-
tively the problem of the sensible and the intelligible worlds. According to Kant,
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44 Angelica Nuzzo
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Soul and Body 45
tween matter and form - already at play at the very beginning of the Dissertatio
- Kant's analysis of the two types of cognition aims at specifying the nature of
their representational character. What is represented, in both cases, is not the
object as such (the way in which it is or the way in which it appears), but the
relation between the object and the mind on the basis of the activity or passivity
of the mind itself. Thus, Kant contends that in sensible knowledge the ,/orm of
the representation ... is not properly an outline or schema of the object, but only
a certain law inborn in the mind".40 With this suggestion, he sets up the episte-
mological position of the Dissertatio against all types of idealism in the theory
of knowledge.
Moreover, if phenomena are not „outlines" of things, they are said to be
„rerum species, non Ideae".41 Thereby, Kant places them between two extremes:
between the position that views them as representations of the external contour
of the object (schema or adumbratio) and the position that makes them the ex-
pression of the internal and absolute essence of things (idea). And yet, in rela-
tion to this second point, and against both idealism and skepticism, Kant con-
tends that phenomena do provide „cognitio verissima"42 - a perfectly genuine
and true knowledge - as they still bear witness to the presence of the object.
Kant is setting up his concept of phenomena both against the empiricist theory
of representation (such as Locke's notion of ,idea' and Hume's skeptical radi-
calization), and Plato's idea as model and exemplar of something. The latter is a
meaning that Kant saves for employment in the realm of noumena. In his view,
what both positions eventually deny is the true validity - or the objective reality
- of the phenomena.
But how can phenomena be said to fulfill this true cognitive function if
they are neither immediate representations of things nor their original idea or
model? Because of the formal aspect of sensible cognition, phenomena are said
to be „rerum species". It is in relation to this element of „species" or form that
Kant declares a priori knowledge possible: „In order that the various representa-
tions of objects which affect the senses coalesce into some whole of representa-
tion, there is required an internal principle of the mind through which these
various representations may take on a certain configuration (species) according
to stable and innate laws."43 The form of the sensible world, the form that first
institutes the whole of a manifold of representations of things considered as
phenomena, is the twofold subjective condition of space and time.
This concept of phenomenon allows Kant to raise a crucial argument
against Leibniz. He claims that sensible and intellectual cognition represent two
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46 Angelica Nuzzo
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Soul and Body 47
therefore cannot be a thing in itself, which requires, on each occasion, its com-
plete conditions." 46 In the theory of the Dissertatio, the distinction between real
and logical use of the intellect becomes crucial in order to understand how the
intellect thinks and knows in metaphysics, and what type of difference separates
sensible and intelligible. It is precisely in taking this further step that the refer-
ence to Plato's ideas becomes important for Kant.
With regard to the real use of the intellect, we need to ask: what does it
mean for concepts to be given by the very nature of the intellect? 47 These con-
cepts are purely intellectual - are „Ideae purae" 48 - in the sense that their origin
is in the pure nature of the intellect. They are neither abstracted from the activity
of the senses (they are .ideas') nor do they entail any form of sensible knowl-
edge (they are ,pure'). „An intellectual concept is not abstracted from the sensi-
tive, but abstracts from all that is sensitive." 49 If the concepts in question cannot
be said in any way to have empirical origin, they are nevertheless not simply
innate notions.50 Kant contends that since they are produced by an activity of the
intellect and arise from its laws on the occasion given by experience, they
should be called „acquired" concepts.51 As examples of these notions, Kant
mentions the modal categories as well as the categories of relation.
Kant provides another important example of what these „pure ideas" may
be. He claims that „moral concepts are known not by experience, but by the pure
intellect itself'. 52 Here, for the very first time, Kant declares moral concepts to
be utterly a priori concepts. Thus, in the Dissertatio, Kant associates the use of
the intellect in metaphysics with two very different types of concepts, both op-
posed to sensibility: the categories of the understanding and the ideas of reason,
to use the later terminology of the Critique. In 1770, not yet having a clearly
formulated theory of the two independent faculties of understanding and reason,
Kant seems to reach a decisive argument for the difference between conceptus
and idea only with Plato's help.
Kant defines metaphysics as that „part of philosophy that contains the first
principles" 53 of the real use of the intellect. According to the twofold partition of
the objects of metaphysics that Kant already presented in the Dreams,54 the
46 I. Kant, Reflexion 6051, in: Gesammelte Schriften, Bd. 18, Berlin, Leipzig 1928, 438.
47 Cf. Kant, Dissertatio, § 6; 394.
48 Kant, Dissertatio, § 6; 394.
49 Kant, Dissertatio, § 6; 394 (my emphasis).
50 Cf. G. Zöller, From Innate to A Priori. Kant's Radical Transformation of a Cartesian-
Leibnizian Legacy, in: The Monist 72 (1989), 222-235.
51 Kant, Dissertatio, § 8; 395.
52 Kant, Dissertatio, § 7; 395.
53 Kant, Dissertatio, § 8; 395.
54 Cf. Kant, Träume eines Geistersehers, 367-368.
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48 Angelica Nuzzo
„pure ideas" that the intellect generates in its real use have, in turn, a twofold
function. The first one is a negative and critical function, and is meant to keep
sensible concepts from being applied to noumena. This function is fulfilled by
the propaedeutica to metaphysics grounding the difference between phenomena
and noumena, sensible and intelligible cognition, thereby deriving the principles
of the true method of metaphysics. The second function is a dogmatic one: In it
„the general principles of the pure intellect ... issue in some exemplar conceiv-
able only by the pure intellect, and in a common measure of all other things with
regard to reality."55 Metaphysics, and explicitly ontology and rational psychol-
ogy, is the science that makes such a dogmatic use of the principles of the pure
intellect. According to this use, such principles are meant to institute the positive
„exemplar" and „common measure" not only for the intelligible nature of things,
but also for their reality. These principles are ideas.
Kant sets up this complex definition of metaphysics and its aims against
two philosophical traditions. On one hand, he attacks W o l f f s speculative meta-
physics held responsible for bringing great detriment to the development of
philosophy by destroying „the noble enterprise of the ancients", that is, pre-
cisely, the determination of the true „nature of phenomena and noumena". 56
According to Wolff, the distinction between phenomena and noumena - a dis-
tinction first established by Plato and now taken up again with full historical
consciousness by Kant - is only a logical one. On the other hand, Kant criticizes
the empiricist ethics of Epicurus and Shaftesbury as being unable to recognize
the a priori character of moral concepts and confusing moral ideas with moral
sentiments, thereby rendering impossible what for Kant is already the idea of a
metaphysics of morals. 57 „Moral philosophy, so far as it supplies the first princi-
ples of moral judgment, is known only through the pure intellect and belongs to
pure philosophy. Epicurus, who reduced the criteria of morals to the feeling of
pleasure or displeasure, is therefore rightly condemned, along with certain mod-
erns who, like Shaftesbury and his school, follow him in a much less thorough
manner". 58 This twofold polemic corresponds to Kant's need to develop a new
metaphysics: both a theoretical and a practical one.
In opposing both Wolff and Shaftesbury, Kant brings the distinction be-
tween phenomena and noumena back to Plato's notion of ,idea'. 59 We have seen
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Soul and Body 49
how in describing the dogmatic use of the pure concepts of the intellect Kant
refers them to the notion of an „exemplar" valid as the „common measure" of all
things in relation to their reality. In this way, Kant reaches the concept of
„perfectio noumenon" 60 through which he clarifies the different functions of
ideas in metaphysics. The idea is not a copy (Abbild) but rather a model (Urbild)
of the reality of things. This is true both in the theoretical sense, according to
which we attend only to what pertains to the existence of things or to how things
are in their constitution, and in the practical sense, according to which we con-
sider what ought to belong to things „through freedom" 61 - or how things ought
to be. Accordingly, perfectio noumenon itself gives rise to two further concepts:
to the idea of God as the highest being and to the idea of moral perfection. Per-
fection leads to the idea of a „maximum": „In every kind of thing in which
quantity is variable", the maximum provides, ontologically, the „common meas-
ure" of things, and, epistemologically, the principle of their cognition. 62
At this point, Kant inserts his reference to Plato's ideas: „Maximum perfec-
tionis vocatur nunc temporis ideale, Piatoni idea (quemadmodum ipsius idea rei-
publicae)." In the contemporary Reflexion 4446, Kant observes: „Plato rightly
provides the origin of the concepts of perfection. But not that of the notions [no-
tionum]." 64 The idea functions as a principle for all objects that are contained in
the general concept of a certain perfection „insofar as lesser degrees are sup-
posed not to be determinable save by limiting the maximum",65 As he will show
in the first Critique with regard to the ideal of pure reason, the notion of ,idea'
leads to a totality whose parts do not precede the whole, but can only be gener-
ated through immanent „limitation" of the whole. 66 The ideal is the idea not only
in concreto, but in individuo, expressing the nature of the whole as completely
determined individuality. 67 This structure clearly suggests that for Kant the logic
of the notions of ,idea' and ,ideal' is the logic of intuition. The idea presents the
same rational structure that characterizes space as a pure form of intuition.
Ideas display the logical structure of intuition and yet, since no intuition in
space and time is available for them, they remain necessarily disembodied.
Kant's project of radically breaking with the traditional continuity of the hierar-
Hegel, in: Das Recht der Vernunft, hrsg. von P. König, C. Fricke, Th. Petersen, Stuttgart
1995,81-120.
60 Kant, Dissertatio, § 9; 396.
61 Kant, Dissertatio, § 9; 396, Fn.
62 Kant, Dissertatio, § 9; 396.
63 Kant, Dissertatio, § 9; 396.
64 I. Kant, Reflexion 4446, in: Gesammelte Schriften, Bd. 17, 555.
65 Kant, Dissertatio, § 9; 396 (my emphasis).
66 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B605-607.
67 Cf. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B596.
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50 Angelica Nuzzo
chy between concepts and intuitions, namely, his attack on the claim that con-
cepts and intuitions are separated only by degrees of clarity and distinctness,
culminates in a gesture that establishes a twofold kind of intuition. On one hand,
he recognizes the independent status of an intuition that is always and necessar-
ily embodied, that is, sensible intuition in space and time; on the other hand,
however, he points to a sort of .improper' intuition that seems to be structurally
disembodied, that is, the idea and the ideal. No human intuition, warns Kant, is
able to grasp the individual and concrete whole of the idea because no reference
to the sensibility of one's own body and to its pure form is possible in this case.
Since the human intellect works only through universal concepts in abstracto
and never through individual ideas in concreto, it is capable only of discursive
cognition or - as Kant says taking on a Leibnizian thought - only of „symbolic
knowledge". 68 Human intuition is only sensible intuition and can never become
intellectual.
In the Critique of Pure Reason, having abandoned the notion of a real use
of the understanding, Kant shows the inconsistency of Plato's illusion of a dis-
embodied mind that is able to produce cognition even without a body, only by
working with pure ideas. Opposing Plato, Kant maintains that the boundaries of
experience are set by sensibility, that is, by what we can construct by means of
our bodily approach to the world combined with abstract concepts. „The light
dove, cleaving the air in her free flight, and feeling its resistance, might imagine
that her flight would be still easier in empty space." 69 Deceived by the same
fantasy, Plato „left the world of the senses, as setting too narrow limits to the
understanding, and ventured out beyond it, in empty space. He did not observe
that with all his efforts he made no advance - meeting no resistance that might
serve as support upon which he could take a stand, to which he could apply his
powers, and so set his understanding in motion." 70 The illusion by which we are
constantly tempted - as were the dove and Plato - , the illusion of being better
off without the resistance of our body and sensibility can only be cured by the
critical separation of sensibility, concepts and ideas. Only then will we learn
what it means to be free in our own body and to cognitively relate to the outer
world by means of our body. Thereby will we be able to abandon all illusion of
abstract freedom and disembodied knowledge.
In Kant's view, Plato's notion of ,idea' as disembodied intuition is the
source of a pernicious position with regard to both epistemology and moral phi-
losophy. This is the position that he repeatedly stigmatizes as „Schwärmerei",
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Soul and Body 51
that is, as the „enthusiasm" and fanaticism of the visionary. 71 To the extent that
they share the same illusion of disembodiment, Plato has something in common
with Swedenborg and the visions that Kant criticized in the Dreams. Against the
enthusiasts of disembodied ideas, Kant holds to the importance of a way of
thinking anchored in sensible intuition which, alone, can provide us with an
indispensable sense of orientation - an orientation in space, but also an orienta-
tion „in thinking". 72
The Dissertatio offers an example of „pure intellectual intuition", com-
pletely exempt from the laws of the senses and the relation to the body, by
bringing in a further reference to Plato's notion of ,idea': The name that Plato
has for this „divine" intuition is „idea". 73 In the contemporary Reflexion 3917,
we read: „All pure ideas of reason are ideas of reflection (discursivae and not
intuitus as Plato claimed). Hence, through them, we do not represent objects but
only the laws by means of which we compare the concepts given to us by the
senses." 74 Herein, Kant seems to explain the lack of separation between under-
standing or intellect and reason in the Dissertatio. Given Plato's identification of
idea and pure intellectual intuition, since Kant accepts the claim that ideas are
given to us and nonetheless denies the possibility that they function in the same
way as intellectual intuition, Kant's conclusion is that ideas can be used only in
the reflective and discursive way of the understanding. This is why, at this time,
Kant feels no need for assuming that reason is a specific faculty of ideas op-
posed to understanding.
In the first Critique, Kant's discussion of the notions of ,idea' and ,ideal'
repeatedly recurs to Plato. Repeating almost literally the formulations of § 9 and
§ 25 of the Dissertatio, Kant states: „What for us is an ideal was in Plato's view
an idea of the divine understanding, an individual object of its pure intuition, the
most perfect of every kind of possible being." 75 Kant's Plato is here clearly not
the historical Plato, but rather the image of Plato developed by the later Roman
authors. 76 According to this tradition, Plato's ideas are nothing but the divine
intellect itself taken in its full creative power. The critical Kant sets his own
doctrine of ideas precisely against this conception by claiming that „human rea-
son contains not only ideas, but also ideals, which, although they do not have,
71 Cf. I. Kant, Was heißt: Sich im Denken orientieren?, in: Gesammelte Schriften, Bd. 8,
Berlin, Leipzig 1923, 145; id., Reflexionen 6050-6053, in: Gesammelte Schriften, Bd.
18, 434-439.
72 Kant, Was heißt: Sich im Denken orientieren?, 145.
73 Kant, Dissertatio § 25; 413; Reflexion 4446, 555.
74 I. Kant, Reflexion 3917, in: Gesammelte Schriften, Bd. 17, 342.
75 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B596.
76 See Reich, Die Tugend in der Idee, 210; Heimsoeth, Kant und Plato, 352.
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52 Angelica Nuzzo
like Platonic ideas, creative power, yet have practical power." 77 The Dissertatio
reaches an analogous conclusion as it shifts its attention to the role played by
ideas in the realm of the practical.
In relation to the second part of metaphysics, Kant presents the notion of
„perfectio moralis" as the practical side of the „perfectio noumenon". This is the
domain of moral ideas, in which metaphysics takes the form of a ,pure moral
philosophy". 78 The importance of ideas for Kant's project of a „metaphysics of
morals" 79 by 1770 lies in the fact that ideas - as Plato teaches - can never be
given in experience. In this regard, the first Critique simply restates the sugges-
tion of the Dissertatio·. „Plato found the chief instances of his ideas in the field
of the practical" 80 - the idea of the „Platonicο ι republic" becomes the most sig-
nificant example of this type of perfection. Ideas belong exclusively
oy
to the
noumenal, and for Kant - even if not for the historical Plato - they cannot
genuinely be said to exist. At least, they cannot be said to exist in the same sense
in which God - as the idea of an ens summum - can be said to exist. „God,
however, as the ideal of perfection is the principle of knowledge (principium
cognoscendi); as really existing, he is at the same time the principle of83 the com-
ing into existence (principium fiendi) of all perfection whatsoever." This re-
mark further explains what Kant means by stating: „We now entitle ideal the
maximum of perfection that Plato calls idea."84 Kant endorses Cicero's under-
standing of Plato's ideas.85 Ideal is the criterion both for moral perfection and
for our judgment of moral perfection. We can approximate to this ideal in our
actions, but we can never fully and completely find it realized in reality.
In some marginal notes to Baumgarten's Initia philosophiae practicae pri-
mae which Kant writes down during the same time as the Dissertatio, we find
the whole spectrum of mediations through which he refers to Plato's ideas in the
realm of the practical. As Klaus Reich aptly puts it, it is „Plato seen through
Cicero's spectacles with Rousseau's eyes". 86 Kant notes: „The concept, the idea,
the ideal ... With regard to virtue, only a judgment according to concepts and
therefore a priori, is possible. Empirical observation according to intuitions in
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Soul and Body 53
images or according to experience does not provide with any law, but only with
examples that do not require any judgment according to concepts." 87 This argu-
ment repeats Kant's presentation of moral concepts as pure a priori concepts -
or properly ideas. Kant then comes to a more detailed discussion of the notion of
,idea': „The idea is the a priori cognition (of the intellect) through which the ob-
ject becomes possible. The idea relates to the objective practical sphere as a
principle. It contains the highest perfection in a certain perspective ... It lies on-
ly in the intellect, and, in man, in concepts. The sensible is only an image ... All
morality is grounded in ideas and their image in man is always imperfect. In the
divine intellect, ideas are intuitions of itself and therefore original models [Ur-
bilder]." 88 Besides Plato, Rousseau is the only modern author through which
89
Kant can hope, in the doctrine of ideas, „to improve the ancients".
In the Critique of Pure Reason, the specific issue raised by reason's ideas re-
gards the type of reality that can be legitimately ascribed to them. From the be-
ginning of the Transcendental Dialectic, Kant insists that even though ideas are
placed beyond all possible experience, they do have a reality that is not purely
fictitious. The visionary dreams of Swedenborg have been left behind once and
for all. As we know from the Dissertatio and from its references to Plato, it is in
the realm of the practical that ideas display positive reality. Since ideas have no
relation to the necessary conditions of our sensibility, the object corresponding
to the idea cannot be known through understanding and its categories. Hence,
we can form only a „problematic concept" 90 of it. From Kant's perspective, the
issue of transcendental deduction arises at this point. Reason's legitimate use of
ideas in cognition requires a justification. However, under the conditions dic-
tated by the disembodied nature of speculative reason, a deduction similar to the
one provided for the concepts of the understanding is excluded from the outset. 91
87 I. Kant, Reflexion 6611, in: Gesammelte Schriften, Bd. 19, Berlin, Leipzig 1934, 108.
88 Kant, Reflexion 6611, 108.
89 Cf. I. Kant, Bemerkungen zu den Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Er-
habenen, in: Gesammelte Schriften, Bd. 20, Berlin 1942, 9: „Rousseaus Buch [i. e., Emi-
le] dient die Alten zu bessern."
90 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B397/A339.
91 Cf. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B805-806/A777-778, B691-692/A663-664, B697/-
A669. This does not mean, however, that a different deduction of ideas cannot be pro-
vided. See D. Henrich, Kant's Notion of a Deduction and the Methodological Back-
ground of the First Critique, in: Kant's Transcendental Deductions, ed. by E. Förster,
Stanford 1989, 29-47.
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54 Angelica Nuzzo
Kant refuses to solve the problem of the objective validity of reason's con-
cepts by following Plato's shortcut of a „mystical deduction", 92 that is, by hy-
postatizing ideas into metaphysical entities. The deduction of ideas needs to take
a more complex course. If ideas are to have reality, they must receive a ,body'
different from the sensible one which allows us to gain outer experience and ori-
entation in space. The Transcendental Dialectic prepares the stage for the emer-
gence of a different form of reality leading to Kant's practical philosophy. The
transcendental deduction of the understanding's categories follows a juridical
model for deciding the right and legitimacy of a certain possession and use and
so declaring the victory of one party over the other (skepticism vs. pure under-
standing). As a result, the deduction establishes the conditions for the truth of
knowledge seen as its objective validity. The deduction of reason's ideas impo-
ses a change of model compliant with the image of reason's „legislation" 93
rather than with that of its , judge", and with the „certainty" and the „interest" 94
of reason in its proper knowledge rather than with its logical truth.
The first step of Kant's argument takes place in the Paralogisms of the
Transcendental Dialectic. 95 It establishes that ideas are the unique „possession" 96
of reason, for no synthetic judgment of the understanding can ever be successful
in their realm. Kant's awareness of the importance of this step is well expressed
in his suggestion that „a huge, actually the only stumbling block against our
critique would be the possibility of demonstrating a priori that all thinking be-
ings are in themselves simple substances". 97 If the propositions of rational psy-
chology could be established as synthetic a priori propositions, then the under-
standing would have no limits, and consequently reason would have neither a
specific use nor a proper realm of its own. In this case, the world of the senses
would dissolve in its embodied, sensible specificity, ideas would indeed be noth-
ing but fictitious entities, and practical philosophy (including the idea of free-
dom) would lose its ground.
The second step of Kant's deduction, undertaken in the chapter on Antino-
mies, draws to the center the cosmological idea of the world. The third antinomy
in particular shows that the „pure transcendental idea of freedom" 98 can have a
practical reality, inasmuch as this claim does not contradict the necessity that
reigns in the world of nature and appearances (the highest good is possible).
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Soul and Body 55
This is precisely the first objective of Kant's deduction of ideas. At this level,
however, Kant has not yet proved that reason can be practical (or that reason can
make a practical use of the idea of freedom). This conclusion will result from
Kant's argument in the Ideal of Pure Reason. In formulating the notion of,moral
theology', Kant shows that reason can be practical (or can make a practical use
of its ideas) within the sphere of religion." The idea of God is therefore pre-
sented as a postulate which is necessary if reason is to be practical (the highest
good is necessary).
In the four Paralogisms, Kant revisits his long-standing polemic against ra-
tional psychology. At stake is the function of the pure ,1 think' as a means of
distinguishing two kinds of objects. The I, as thinking, is an object of inner
sense and is called ,soul'; while that which is an object of outer sense is called
,body'. 100 Significantly, in this formulation, the perspective of the subject (or the
first person) 101 identifies itself with the soul but not with the body. This position
defines the aim of rational psychology, which attempts to know the ,1 think' as
soul independently of any empirical or experiential determination. The I is soul,
not body. We have seen how Kant, in his pre-critical writings (and in the Refuta-
tion of Idealism), reverses this claim: An experience of myself, as inner experi-
ence, is possible only through outer experience, that is, through the body as my
body. I am an embodied being placed in the outer world of space and time. To
be sure, as shown in the fourth paralogism, the very possibility of distinguishing
„my own existence as that of a thinking being, from other things outside me -
among them my body" - is already predicated upon my existence in a body and
follows analytically from it. 102
While the Refutation of Idealism aims at showing the implications of the
empirical proposition J think' - namely, the dependence of inner sense on outer
sense - , the Paralogisms show the fallacy of confusing the empirical representa-
tion of the thinking subject with the merely logical function ,1 think'. Thus, in
the first chapter of the Transcendental Dialectic, Kant directly addresses the
more radical undertaking of rational psychology, that is, the assumption of the
possibility of knowing the nature of the ,1 think' not only independently of the
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56 Angelica Nuzzo
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Soul and Body 57
ing self separate from my body. The merely „logical function" ,1 think' should
not be confused with the empirical proposition „I think or I exist thinking." 109
This conclusion brings Kant a step further with regard to his previous cri-
tique of rational psychology. For now he grants to the notion of a pure intelli-
gence the status of an „idea of reason". 110 In the light of the Paralogisms, the
issue of the reality of ideas is immediately linked to the issue of reason's use of
them. If all constitutive use is banned by the exposure of transcendental illusion
in the theoretical realm, Kant still allows for a regulative and problematic use of
reason's ideas and, more importantly, for their „practical use". 111 The possibility
of a practical employment of ideas discloses the possibility (or, at least, the non-
contradictory character) of their practical existence. Thereby, the potentialities
of the idea of a pure intelligence - or an alleged noumenal reality of the subject
as pure spontaneity - is reserved for further developments in the practical
sphere. Only in this sphere can the issue of the soul's immortality - with regard
to which both „materialism" and „spiritualism" fail in their proof 112 - again be
taken up, this time successfully.
Significantly, at the end of the Paralogisms, Kant links the idea of a pure
intelligence to the idea of an intelligible world. He suggests that the rational idea
of the subject may become determinable with regard to a not yet further speci-
fied „inner faculty" as being related to „an intelligible world (which can only be
thought)". 113 As in the Dissertatio, where Kant introduces ideas in order to com-
plicate the opposition between sensibility's intuitions and understanding's con-
cepts, in the Paralogisms he shows that reason is in possession of rational con-
cepts of its own whose employment must be radically distinguished from the
logic of understanding and its syntheses. In other words, the flawed use of the
concept of the soul displayed by rational psychology is confined to only one
possible employment of reason's ideas and does not rule out that a legitimate
use may indeed be found for them. „Should it be granted that we may in due
course discover, not in experience but in certain laws of the pure employment of
reason - laws which are not merely logical rules, but which, while holding a
priori, also concern our existence - , a ground for regarding ourselves as legislat-
ing completely a priori with regard to our own existence, and as determining
this existence, there would thereby be revealed a spontaneity through which our
reality would be determinable, independently of the conditions of empirical intu-
ition." 114
109 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B428, 429 (my emphasis).
110 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B426.
111 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B431.
112 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B420.
113 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B430-431.
114 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B430-431 (my emphasis).
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58 Angelica Nuzzo
115 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B420-421. See also I. Kant, Preisschrift über die Fort-
schritte der Metaphysik, in: Gesammelte Schriften, Bd. 20, 309, where Kant claims that
„all experience can occur only in life, that is, when soul and body are still united." To
assume the contrary would mean the same as to propose the impossible experiment of
removing the soul from the body while one is still alive. This, Kant suggests, is the ex-
periment o f someone who „standing before a mirror with closed eyes, when asked what
he was doing, replied: ,I just want to know what I look like when I sleep'".
116 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B421. See also G. Hatfield, Empirical, Rational, and
Transcendental Psychology. Psychology as Science and as Philosophy, in: The Cam-
bridge Companion to Kant, ed. by P. Guyer, Cambridge 1992, 200-227; P. Kitcher,
Kant's Transcendental Psychology, Oxford 1990.
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CHRISTOPH ASMUTH
„Das Gesicht ist Bild Gottes", so lautet ein zentraler Satz aus Fichtes späten
Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1812). Wenn man es nicht
schon immer gewußt hätte, nun müßte es einem endlich klar werden: Der späte
Fichte ist zum Mystiker geworden, zum Meister des hermetischen Sprechens:
der alte Fichte - ein metaphernder Metaphysiker, der das kritisch-argumentative
Potential seiner Frühphilosophie schlichtweg vergessen und aufgegeben zu ha-
ben scheint. Im Aufstieg zum absoluten Ich hat er das Ich und sich selbst über-
stiegen, bis er im absoluten Licht die absolute Dunkelheit, im Dickicht des Dis-
kursiven das unanschaubare Auge Gottes schaute.
Im folgenden soll gezeigt werden, daß Fichtes Denken der Transzendental-
philosophie verpflichtet bleibt - dies auch im Hinblick auf seine Theorie des
Gesichts, mit der sich Fichte implizit an Piaton anschließt, besser: indem er
Piaton an seine eigene Philosophie anschließt. Denn das Zentrum, um das sich
der Kosmos seines Denkens drehte, war seine eigene Philosophie, die Wissen-
schaftslehre. Die Argumentation wird in vier Schritten verfahren:
Zunächst soll kurz Fichtes explizite Platon-Rezeption aufgezeigt werden.
Dann wird anhand der Vorlesungen über die Bestimmungen des Gelehrten
(1811) und der Wissenschaftslehre 1811 Fichtes Theorie des Gesichts dargestellt
und gezeigt, daß es sich dabei um ein transzendentalphilosophisches Projekt
handelt. Daran schließt sich eine kurze Überlegung an, die zeigt, daß es sich bei
dieser Theorie um eine Interpretation und Transformation ursprünglich Platoni-
scher Gedanken handelt. Am Schluß soll eine kurze methodologische Reflexion
stehen, die das systematische Interesse an dieser Thematik beleuchtet.
Fichte war kein Philosophiehistoriker. Er wollte das auch gar nicht sein, denn er
begriff sich als Philosoph, als Selbstdenker par excellence. Im Gegensatz zu
1 Vgl. zu dieser Schrift Fichtes sowie zum Topos im allgemeinen: K. Gregor, Wie ist
Weisheit lehrbar? Erörterungen zu J. G. Fichtes „Bestimmung des Gelehrten", in: Aktive
Gelassenheit. Festschrift für H. Beck zum 70. Geburtstag, hrsg. von E. Kim, E. Schädel,
U. Voigt, Frankfurt a. M., Bern, Berlin, N e w York, Paris, Wien 1999, 341-357.
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60 Christoph Asmuth
Schelling und Hegel, die sich der Philosophiegeschichte mit Detailfreude wid-
meten, spielten Denker anderer Zeiten kaum eine Rolle für Fichtes produktives
Philosophieren. Insgesamt dominiert die Auseinandersetzung mit seinen Zeitge-
nossen. An erster Stelle zeichneten dafür Schelling und Kant: Kant als stets
verehrter Lehrer und Vorbereiter, Schelling - nach 1800 zunehmend - als Anti-
pode und Verderber der Transzendentalphilosophie.
Piaton wird selten erwähnt, und wenn er erwähnt wird, dann läßt sich dar-
aus kaum auf eine intensive Platon-Lektüre bei Fichte schließen. Einzelne Dia-
loge werden selten genannt, meist ist es die Res publica. Findet sie Erwähnung,
dann nur, um einerseits die Möglichkeit eines apriorischen und philosophischen
Staatsentwurfs zu verteidigen,2 andererseits um auf Piatons Ideenlehre hinzu-
weisen. Dabei ist es gerade die Generation Fichtes, die um ein adäquates Piaton-
Bild ringt und sich insbesondere an der Ideenlehre abarbeitet. Strittig war be-
sonders der Status der Ideen. Handelte es sich bei ihnen um selbständige Entitä-
ten oder Substanzen in einer Art Überwelt oder um reine Begriffe, die für die
Erkenntnis und deren Erklärung notwendig sind? Diese Entwicklung eines diffe-
renzierten Platon-Bildes scheint Fichte indes kaum oder nur unzureichend wahr-
genommen zu haben.
Trotzdem stellt sich Fichte in die Traditionslinie Piatons:3 Dessen Ideenleh-
re ist für Fichte eine Vorform seiner eigenen Philosophie. Ein intensiver argu-
mentativer Umgang mit den Texten Piatons durch Fichte läßt sich daraus aller-
dings kaum erschließen. Es gibt auch keine Textgrundlage, welche die Vermu-
tung rechtfertigte, Fichte habe mehr von Piaton gelesen als etwa das Höhlen-
gleichnis. Insgesamt scheinen seine Kenntnisse durch Kompendien und Philoso-
phiegeschichtsbücher vermittelt zu sein: Es dominiert der Selbstdenker, der in
der Platonischen Ideenlehre eine Art Vorläufer der Wissenschaftslehre entdeckt.
So schließt Fichte die Ideenlehre an seine eigene Theorie an. Er lobt die konsti-
tutive Funktion der Ideen für das Allgemeine, das sich in der Welt als Struktur
des Empirischen findet. Ebenso hebt Fichte die durchgängige Bestimmung der
2 Etwa J. G. Fichte, Das System der Sittenlehre (1798), in: ders., Gesamtausgabe der
Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hrsg. von R. Lauth, H. Gliwitzky, Bd. 1/5,
hrsg. von R. Lauth, H. Gliwitzky, Stuttgart-Bad Cannstatt 1977, 310-311: „Nun aber ist
es Foderung der Vernunft, und Veranstaltung der Natur zugleich, daß die gesellschaft-
liche Verbindung der einzig rechtmäßigen allmählig näher komme. Der Regent, der mit
diesem Zwecke den Staat zu regieren hat, muß daher die letztere kennen. Wer aus Be-
griffen über die gemeine Erfahrung sich emporhebt, heißt, nach obigem, ein Gelehrter,
der Staatsbeamte muß daher ein Gelehrter seyn, in seinem Fache. Es könne kein Fürst
wohl regieren, der nicht der Ideen theilhaftig sey, sagt Plato: und dies ist gerade dassel-
be, was wir hier sagen." Vgl. dazu M. Wundt, Fichte als Platoniker, in: ders., Fichte-
Forschungen, Stuttgart 1929, 345-368.
3 Zum expliziten Platon-Bild bei Fichte vgl. C. Asmuth, Metaphysik und Historie bei
J. G. Fichte, in: Fichte-Studien 23 (2003), 145-158.
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Die Theorie des Gesichts 61
Wirklichkeit durch das Sollen hervor. Er denkt hier vornehmlich an die Idee der
Gerechtigkeit. Allerdings moniert er, daß beide Weltformen bei Piaton zu wenig
unterschieden seien: die Weltform des bloß Theoretischen, die auf das Allge-
meine des Empirischen verweist und dessen Möglichkeitsbedingungen aufzeigt,
und die Weltform des Praktischen, die tätig auf das Besondere in der Welt ge-
richtet ist. Die Welt, insofern sie nur durch Freiheit möglich ist, also die prakti-
sche Weltform, habe Piaton nicht durchdrungen. 4 Die Herkunft dieser idea-
listischen Lehre, ihren Ausgangspunkt, benennt er stets durch das Wirken Pia-
tons. Damit beschreibt Fichte die Genealogie seiner eigenen Philosophie, der
Wissenschaftslehre, deren historisches Beginnen er letztlich mit Piaton identifi-
ziert. 5
Aber Piaton ist auch nicht mehr als ein historischer Anfang. In der Stufen-
lehre etwa der Anweisung zum seligen Leben (1806), die das geistige Leben in
die fünf apriorischen Weltansichten .Sinnlichkeit', Rechtlichkeit', .höhere Sitt-
lichkeit', .Religion' und .Wissenschaft' qua Wissenschaftslehre stuft, ordnet
Fichte Piaton der höheren Sittlichkeit oder höheren Moralität zu: „Exemplare
dieser Ansicht [seil, der höheren Sittlichkeit] finden sich in der Menschenge-
schichte, - freilich nur für Den, der ein Auge hat, sie zu entdecken ... In der
Litteratur finden sich, außer in Dichtern, zerstreut, nur wenig Spuren dieser
Welt-Ansicht: unter den alten Philosophen mag Plato eine Ahndung derselben
haben; unter den neuern, Jakobi zuweilen an diese Region streifen." 6 Mitten
zwischen Sinnlichkeit und Wissenschaftslehre, also durchaus in einer mediokren
Stellung, findet sich Piaton wieder - gemeinsam mit Friedrich Heinrich Jacobi.
Beide können, dieser Einordnung zufolge, genauso wenig als Philosophen ange-
sprochen werden wie Kant, wenn man, wie Fichte sagt, „seine philosophische
Laufbahn nicht weiter, als bis zur Kritik der praktischen Vernunft verfolgt". 7 Da
Piaton und Kant bei Erscheinen der Anweisung bereits verstorben waren, konnte
Fichte die Schroffheit seines Urteils nur noch stellvertretend gegenüber Jacobi
abmildern. Daher ließ er Jacobi in einem Brief vom 8. Mai 1806 wissen: „Die
Stelle, wo im Vorbeigehen Ihrer gedacht wird, werden Sie nicht unrecht verste-
hen, sondern einsehen, daß ich Ihrer ehrenvolle Erwähnung thun wollte. Welche
4 Vgl. J. G. Fichte, Sittenlehre (1812), in: Gesamtausgabe, Bd. 11/13, hrsg. von R. Lauth,
E. Fuchs, P. K. Schneider, Stuttgart-Bad Cannstatt 2002, 338.
5 Vgl. J. G. Fichte, Logik, Erlangen, 1805, in: Gesamtausgabe, Bd. II/9, hrsg. von
R. Lauth, H. Gliwitzky, Stuttgart-Bad Cannstatt 1993, 96; ders., Metaphysik, Erlangen,
1805, ebd., 155-156.
6 J. G. Fichte, Anweisung zum seeligen Leben (1806), in: Gesamtausgabe, Bd. 1/9, hrsg.
von R. Lauth, H. Gliwitzky, Stuttgart-Bad Cannstatt 1995, 110. Vgl. dazu C. Asmuth,
Wissenschaft und Religion. Perspektivität und Absolutes in der Philosophie Johann
Gottlieb Fichtes, in: Fichte-Studien 8 (1995), 1-13.
7 Fichte, Anweisung zum seeligen Leben, 108.
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62 Christoph Asmuth
Stellen Ihrer Schriften mir dabei vorgeschwebt, wird Ihnen nicht entgehen. Daß
Sie jedoch diesen Punkt nicht in vollendete Klarheit gesetzt, noch ihn, als her-
vorgehend aus dem ganzen Systeme des Denkens, vorgetragen, werden Sie nicht
in Abrede setzen wollen. Und so konnte ich nur von daran streifen reden; kei-
neswegs aber von - mit klarer Spekulation nämlich, denn von etwas Anderm ist
hier nicht die Rede - von darin wohnen, und zu Hause seyn."&
Eine weitere historische Gestalt, die Fichte stets zur Ahnengalerie seiner
Wissenschaftslehre zählt, ist Jesus Christus. 9 So kann Fichte mit ungebrochenem
Geltungsbewußtsein seine eigene Lehre historisch situieren: „Nicht, als ob unse-
re Lehre an sich neu wäre, und paradox. Unter den Griechen ist Plato auf diesem
Wege. Der Johanneische Christus sagt ganz dasselbe, was wir lehren, und be-
weisen; und sagt es sogar in derselben Bezeichnung, deren wir uns hier bedie-
nen." 10 Für Fichte ist diese Ahnengalerie kein bloßes Bekenntnis. Es schwingt
darin auch keine bloß positive Anerkenntnis des unhintergehbaren historischen
Herkommens mit. Vielmehr spiegeln sich darin die Konsequenzen einer apriori-
schen Verfallsmetaphysik: Geschichte muß beschrieben werden als ein Prozeß
zunehmender Verblendung, in dem nur wenige Individuen, wenige Ausnahme-
erscheinungen dazu fähig waren, durch spekulatives Talent oder religiöse Genia-
lität wahrhaft zu denken, d. h. selbst zu denken, zu denken, ohne im Sumpf fal-
scher Traditionen und Irrwege zu versinken. Spätantike, Paulinisches Christen-
tum, Kirchenväter, scholastisches Mittelalter, Renaissance, schließlich Aufklä-
rung und mit letzter Steigerung der Verwirrung: Empirismus und Materialismus
- eine tragische Kette kontinuierlichen Niedergangs, ein Niedergang allerdings,
der den neuen Aufbruch fokussiert: die von Kant implizit entworfene und von
Fichte explizit entwickelte Wissenschaftslehre, die Wende zur letztgültigen Per-
fektionierung der Philosophie, letztlich des Menschen.
Sokrates und Jesus symbolisieren zwei ahistorische Gegenpole, die ihren
Prinzipien zufolge komplementär entgegengesetzt seien. Jesus, so Fichte, habe
geweissagt, daß die formale Wahrheit des Verstandes, wie Sokrates sie entdeckt
habe, mit dem Inhalt der Wahrheit, nämlich dem Christentum, zusammengehen
werde. Die Weissagung bezieht sich auf die Aufgabe, den Gehalt mit der Form,
das Christentum mit der Sokratik, die Popularität mit der Wissenschaft, den
8 J. H. Fichte, Brief an F. H. Jacobi vom 8. Mai 1806, in: Gesamtausgabe, Bd. III/5, hrsg.
von R. Lauth, H. Gliwitzky unter Mitwirkung von E. Fuchs, K. Hiller, P. K. Schneider,
M. Zahn, Stuttgart-Bad Cannstatt 1982, 355.
9 Vgl. D. Schmid, Religion und Christentum in Fichtes Spätphilosophie 1810-1813, Ber-
lin, N e w York 1995; ders., Das Christentum als Verwirklichung des Religionsbegriffs
in Fichtes Spätphilosophie 1813, in: Sein - Reflexion - Freiheit. Aspekte der Philoso-
phie Johann Gottlieb Fichtes, hrsg. von C. Asmuth, Amsterdam, Philadelphia 1997,
221-236.
10 Fichte, Anweisung zum seeligen Leben, 73.
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Die Theorie des Gesichts 63
Realismus mit dem Idealismus zu vereinigen - eine Aufgabe, die eine dritte
neue Form der Philosophie erfordert: nämlich die Entwicklung einer Wissen-
schaftslehre als eines dynamischen Systems der Perspektivik, deren Leitbegriffe
- seien diese ,Idealismus' oder ,Realismus', ,Sokratik' oder .Christentum' - die
Pole signalisieren, zwischen denen sich der Prozeß der Wissenschaftslehre be-
wegt. Eine Einsicht in das Zugleich der beiden Pole ist nur möglich in ihrer Be-
wegung durcheinander. Die Weissagung dürfte daher eher als eine Prophezeiung
der kritischen Philosophie Kants und ihrer Weiterentwicklung in der Wissen-
schaftslehre zu bezeichnen sein. Zugespitzt bedeutet das: Jesus ist der Prophet
der Wissenschaftslehre, Piaton aber ihr notwendiges formales Element.
Fichte war ein Erfinder immer neuer philosophischer Begriffe. Er war über-
zeugt, daß sich die Sprache durch ihren Gebrauch verbraucht - dies um so mehr,
je tiefer sie eindringt in die Sphäre der Philosophie. Dabei weist Fichte dem Phi-
losophen die Fähigkeit zu, über den Sprachgebrauch hinauszugehen, neue Wör-
ter, neue Begriffe für neue Theorien zu erschaffen. Dieses Verfahren steht ganz
im Zusammenhang mit Fichtes Einsicht, die Philosophie dürfe nicht zum An-
hängsel einer fremden oder historisch vergangenen Position werden, sondern
müsse im Selbstdenken bestehen. Philosophisches Selbstdenken korrespondiert
daher dem philosophischen Selbstsprechen. Selbstdenken ist aber zugleich Her-
vorbringung neuen Denkens, das Selbstsprechen daher zugleich Hervorbringung
neuen Sprechens.
Fichtes Überzeugung entstammt dem Reflex auf die von ihm als dogma-
tisch und verkrustet erfahrene Schulphilosophie, gebe diese sich nun empiri-
stisch oder rational aufgeklärt. Zeit seines Lebens verachtete Fichte die bloßen
Nachbeter der kritischen Philosophie Kants, jene nämlich, die bloß den Buch-
staben, nicht aber den Geist des Königsberger Philosophen wiederzugeben
trachteten. Schließlich hat er die schmerzhafte Niederlage vor Augen, die er
darin erkennt, daß die eigene Ich-Philosophie seines Anfangs, wenn überhaupt,
so nur unzureichend verstanden wurde. Fichtes Schlußfolgerung: In allen diesen
Fällen entstehen die Verkrustungen durch eine unflexible und statische Sprache,
deren Unbeweglichkeit gerade der Beweglichkeit der Theorie nicht angemessen
sei. Fichtes Konsequenz: nicht zurück zum gewöhnlichen Wortgebrauch, son-
dern umgekehrt: auf zu neuen, ungewöhnlichen Wortschöpfungen, die das alt-
hergebrachte statische Denken irritieren, verstören und vernichten. 11
11 Zu Fichtes Philosophie der Sprache vgl. C. Asmuth, Das Begreifen des Unbegreiflichen.
Philosophie und Religion bei Johann Gottlieb Fichte 1800-1806, Stuttgart-Bad Cann-
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64 Christoph Asmuth
Die Bildung eines Neologismus liegt auch Fichtes Theorie des Gesichts
zugrunde. Die Benennung stammt ursprünglich aus den populären Schriften, die
Fichte zwischen 1806 und 1808 veröffentlichte. Insbesondere in den Reden an
die deutsche Nation kündigt sich an, was erst in der Wissenschaftslehre 1811 zu
einem zentralen Stück der Fichteschen Philosophie avanciert. Der Begriff des
Gesichts vertritt in Fichtes Spätphilosophie den Begriff der Idee. Daß hier nicht
ein Wort durch ein anderes ersetzt wurde, läßt sich unschwer erkennen. .Ge-
sicht' meint zu Fichtes Zeiten nicht nur soviel wie ,Antlitz' - also das, was ge-
sehen wird - , sondern auch den Gesichtssinn selbst. Darüber hinaus bedeutet
.Gesicht' für Fichte so etwas wie Traum, Prophezeiung, .zweites Gesicht', dies
jedoch nicht etwa im wörtlichen Sinne, sondern als Begriff mit metaphorischen
Allusionen. Denn es handelt sich um Transzendentalphilosophie. Rein etymolo-
gisch findet sich im Begriff des Gesichts also ein Dreifaches: erstens das subjek-
tive Moment des Sehenden im Sehen, zweitens das objektive Moment des Gese-
henen im Sehen, drittens das Moment des Übersinnlichen, des Intelligiblen. Alle
drei Momente kommen aber zusammen im Begriff des Gesichts. ,Idee' im Sinne
Fichtes ist also charakterisiert durch Subjekt-Objektivität und gehört daher ei-
nem Bereich des reinen Wissens zu.
In den Reden an die deutsche Nation (1808) gibt Fichte eine kurze Erklä-
rung: Etwas, das der geistigen Erfassung „nicht erst durch das dunkle Gefühl,
sondern sogleich durch klare Erkenntniss entsteht, dergleichen jedesmal ein
übersinnlicher Gegenstand ist, heisst mit einem griechischen, auch in der deut-
schen Sprache häufig gebrauchten Worte eine Idee, und dieses Wort giebt genau
dasselbe Sinnbild, was in der deutschen das Wort Gesicht, wie dieses in folgen-
den Wendungen der lutherischen Bibelübersetzung: ihr werdet Gesichte sehen,
ihr werdet Träume haben, vorkommt. Idee oder Gesicht in sinnlicher Bedeutung
wäre etwas, das nur durch das Auge des Leibes, keinesweges aber durch einen
anderen Sinn, etwa der Betastung, des Gehörs u. s. w. erfasst werden könnte, so
statt 1999, 153-169; W. Janke, Die Wörter „Sein" und „Ding" - Überlegungen zu Fich-
tes Philosophie der Sprache, in: Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Dar-
stellung der Philosophie Fichtes, hrsg. von K. Hammacher, Hamburg 1981, 49-67;
ders., Logos: Vernunft und Wort. Humboldts Weg zur Sprache und Fichtes Sprachab-
handlungen, in: Entgegensetzungen. Studien zu Fichte - Konfrontationen von Rousseau
bis Kierkegaard, hrsg. von W. Janke, Amsterdam, Atlanta 1994, 23-45; K. Kahnert,
Sprachursprung und Sprache bei J. G. Fichte, in: Sein - Reflexion - Freiheit. Aspekte
der Philosophie Johann Gottlieb Fichtes, hrsg. von C. Asmuth, Amsterdam, Philadel-
phia 1997, 191-219; A. M. Schurr-Lorusso, II pensiero linguistico di J. G. Fichte, in:
Lingua e Stile 5 (1970), 253-270; J. P. Surber, The Historical and Systematic Place of
Fichte's Reflection on Language, in: Fichte. Historical Contexts. Contemporary Con-
troversies, hrsg. von D. Breazeale, Τ. Rockmore, Atlantic Highlands/N. J. 1994, 113-
127; M. Zahn, Fichtes Sprachproblem [sic!] und die Darstellung der Wissenschaftsleh-
re, in: Der transzendentale Gedanke, hrsg. von Hammacher, 155-167.
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Die Theorie des Gesichts 65
wie etwa ein Regenbogen, oder die Gestalten, welche im Traume vor uns vorü-
bergehen. Dasselbe in übersinnlicher Bedeutung hiesse zuvörderst, zufolge des
Umkreises, in dem das Wort gelten soll, etwas, das gar nicht durch den Leib,
sondern nur durch den Geist erfasst wird; sodann, das auch nicht durch das
dunkle Gefühl des Geistes, wie manches andere, sondern allein durch das Auge
desselben, die klare Erkenntniss, erfasst werden kann." 12 In den Reden an die
deutsche Nation erhält dieser Neologismus keine besondere theoretische Bedeu-
tung mehr. Er wird vielmehr zu einem Kampfbegriff unter vielen. Auf der einen
Seite steht das deutsche Volk, legitimer Erbe der germanischen Vorzeit, auf der
anderen Seite das Frankreich Napoleons, das die Ziele der Revolution verraten
und damit zugleich gezeigt hat, daß ihm das römische Erbe längst abgestorben
ist. So ruft Fichte denn dem von ihm so verachteten Napoleon entgegen: „Ein
Volk, das da fähig ist, sey es auch nur in seinen höchsten Stellvertretern und An-
führern, das Gesicht aus der Geisterwelt, Selbstständigkeit, fest ins Auge zu fas-
sen, und von der Liebe dafür ergriffen zu werden, wie unsere ältesten Vorfahren,
siegt gewiss über ein solches, das nur zum Werkzeuge fremder Herrschsucht
und zu Unterjochung selbstständiger Völker gebraucht wird, wie die römischen
Heere; denn die ersteren haben alles zu verlieren, die letzteren bloss einiges zu
gewinnen." 13
Nach 1808 scheint Fichte diesen Begriff des Gesichts und eine damit mög-
lich gewordene Ideenlehre nicht weiter verfolgt zu haben. Dies mag der Erkran-
kung Fichtes geschuldet sein. Er litt unter rheumatischen Beschwerden und
klagte über eine Augenkrankheit, die ihm lange Zeit das Arbeiten unmöglich
machte. Erst 1810 scheint Fichte sich wieder arbeitsfähig zu fühlen. Die Wissen-
schaftslehre 1811 nimmt den Begriff des Gesichts wieder auf. Systematisch
bedeutsam ist der Begriff jedoch vor allem in den Vorlesungen über die Bestim-
mung des Gelehrten (1811). Im Zentrum steht der Begriff des Wissens. Die Vor-
lesungen können deshalb auch als populäre Wissenschaftslehre angesehen wer-
den, die hier vermischt ist mit didaktischen und gesellschaftspolitischen Überle-
gungen.
Wissen hat für Fichte zwei grundlegende Formen: nachträgliches Wissen
und vorbildliches Wissen. Die Nachträglichkeit charakterisiert ein Wissen, das
„blosses Abbild und Nachbild des ausserhalb des Wissens befindlichen, und von
dem Wissen ganz u. gar unabhängigen Daseyns" 14 ist. Das Wissen repräsentiert
das Gegebene, speichert es auf. Durch Akkumulation ergeben sich Quantitäten
12 J. G. Fichte, Reden an die deutsche Nation, in: ders., Sämmtliche Werke, hrsg. von I. H.
Fichte, 8 Bde., Berlin 1845-46, Nachdr. Berlin 1971, Bd. VII, 317.
13 Fichte, Reden an die deutsche Nation, 390-391.
14 J. G. Fichte, Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1812), in: Gesamtausga-
be, Bd. 11/12, hrsg. von R. Lauth, E. Fuchs, P. K. Schneider, Stuttgart-Bad-Cannstatt
1999,313.
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66 Christoph Asmuth
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Die Theorie des Gesichts 67
deutsche Sprache das griechische Wort Idee treflich ausdrükt, ein solches, das
selbst deutlich sich ankündigt, und ausspricht als dasjenige, dem die Realität
durchaus nicht entspreche, das kein äusseres Daseyn habe, sondern bloß ein
inneres, und das mit keinem außer sich, sondern nur mit sich selbst überein-
stimme: - ein Gesicht aus der Welt, die durchaus nicht da ist, der übersinnli-
18
chen, und geistigen Welt."
Das Gesicht ist nach Fichte produktiv. Die Wahrheit des nachträglichen
Wissens besteht in der Adäquation, die Wahrheit des vorbildlichen Wissens je-
doch in Konstitution und Kohärenz. Das Gesicht ist bildend und formend, ent-
spricht daher niemals dem Gebildeten und Geformten. Nur insofern das Vorbild
als Gesicht Vorbild ist, ist ein Abbild als Gesehenes möglich. Im Sehen des
Gesichts konstituiert sich das Gesehene. Als Bedingung alles Gesehenen ist das
Sehen des Gesichts selbst unsichtbar; es ist übersinnlich. Darin liegt seine Apri-
orizität: daß es mit der Sphäre des faktischen Seins nur durch den Akt der Kon-
stituierung zusammenhängt, nicht aber selbst wiederum abhängig wäre von dem,
was durch das Gesicht gebildet wird. Es bildet die intelligible Welt, die kein
äußerliches Dasein hat, eine Welt, der alle Erdenschwere fehlt.
Das vorbildliche Wissen ist daher fur Fichte schlechthin durch sich selbst
bestimmt. Es ist „in dieser Absolutheit das Bild des innerlichen Seyns und We-
sens der Gottheit. Gott allein ist das wahrhaft übersinnliche, und der eigentliche
Gegenstand aller Gesichte. Als Bild Gottes, und dadurch, daß es dieses Bild ist,
ist auch allein da das Wissen, und es wird lediglich durch das Erscheinen Gottes
in ihm getragen",19 Man möge sich nicht täuschen lassen: Was hier als dedukti-
ve Theologie auftritt, ist Transzendentalphilosophie! Mit dem Ausdruck ,Gott'
bezeichnet Fichte ein Proto-Ich als Subjekt-Objekt, Möglichkeitsbedingung etwa
für das absolute Ich der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre von
1793/94 wie auch für alle vorstellungsbezogenen Prozesse des empirischen Ich.
,Gott' bezeichnet eine aus prinzipiellen Gründen für das Wissen uneinholbare
erste Möglichkeitsbedingung, den allerrealsten Grund aller Idealität und Reali-
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68 Christoph Asmuth
21 Während der vorliegende Beitrag bis auf kleine Änderungen dem entspricht, was ich auf
der Bochumer Tagung vortrug, habe ich die folgenden Absätze nachträglich eingefügt.
Die Diskussion zeigte nämlich, daß der überwiegende Teil der Diskutanten einhellig der
Auffassung war, es handle sich bei der Spätphilosophie Fichtes nicht mehr um Trans-
zendentalphilosophie. Daß zumindest Fichte selbst anderer Auffassung war, hoffe ich
zeigen zu können. Ich möchte daher im folgenden meine These untermauern, daß Fichte
sich 1811 eindeutig auf dem Boden der Transzendentalphilosophie bewegt - eine The-
se, die allerdings einen systematischen Begriff von Transzendentalphilosophie voraus-
setzt, den hier zu erörtern nicht der richtige Ort ist.
22 J. G. Fichte, Wissenschaftslehre 1811, in: Gesamtausgabe, Bd. 11/12, hrsg. von Lauth,
Fuchs, Schneider, 144.
23 Vgl. Fichte, Wissenschaftslehre 1811, 145.
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Die Theorie des Gesichts 69
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70 Christoph Asmuth
Seins, jedoch ist sein Sein nur die formale Wiederholung des ursprünglichen, ein
Anderes nur der Form nach. Diese Erscheinung kann wiederum sich erscheinen,
was die Sich-Erscheinung des Erscheinens Gottes ergibt: Proto-Selbstbewußt-
sein.
Während das ursprüngliche Sein und seine Erscheinung untrennbar vonein-
ander sind, 26 enthält die Sich-Erscheinung der Erscheinung ein Moment absolu-
ter transzendentaler Freiheit. In der Erscheinung erscheint das ursprüngliche
göttliche Sein, in der Sich-Erscheinung jedoch erscheint die Erscheinung, was
das Moment der selbständigen, zwar im ursprünglichen Sein gegründeten, aber
nicht realisierten Freiheit gibt. 27 Fichte nennt es Vermögen, es kann vollzogen
werden oder nicht. Wird das Vermögen nicht vollzogen, gibt es kein Sein außer
Gott, nur seine unmittelbare Erscheinung. Wird das Vermögen dagegen vollzo-
gen, entsteht „eine neue, durchaus u. schlechthin aus nichts hervorgegangene
Sphäre des Seyns. Eine völlig neue Welt, ausser Gott; obwohl der Möglichkeit
nach in ihm gegründet." 28
Die höchste Bedingung des Bewußtseins ist die Freiheit. Die Grundbegrif-
fe, d. h. die Kategorien werden nicht aus der Erfahrung gewonnen, sondern lie-
gen im Wissen selbst. Die Theorie Lockes sei daher eine „wüste; faselnde, nur
im Traume oder der Trunkenheit zuzulassende Ansicht", 29 der die Philosophie
von Leibniz und Kant zu Recht entgegengetreten sei. Sie haben behauptet, die
Kategorien lägen im Wissenden. Fichte rechnet seine Wissenschaftslehre expli-
zit diesen Ansätzen zu, welche die Apriorizität des Wissens und seiner Grund-
begriffe behaupten. Es stellt sich ihm jedoch eine zentrale, über diesen Ansatz
hinausgehende Frage: „Aber wie will man denn diese Behauptung erhärten [?]. -
. Etwa durch den Beweiß aus Induktion, daß ohne diese Voraussetzung sich das
wirkl. Wissen durchaus nicht erklären läßt? Sodann ist jene Apriorität der
Grundbegriffe lediglich ein Faktum des Bewußtseyns, über dessen verborgnen
Grund wir keine Auskunft erhalten." 30 Fichte überbietet - seiner eigenen Ein-
schätzung zufolge - die Theorien von Leibniz und Kant in einer wichtigen Hin-
sicht: Seine Wissenschaftslehre soll nicht nur faktisch behaupten, sondern gene-
tisch ableiten. Sie ist deshalb keine metaphysische Realgenese, sondern metho-
dologische Rekonstruktion der Konstitutionsbedingung wirklichen Wissens.
26 Vgl. Fichte, Wissenschaftslehre 1811, 178: „Die Form des Absoluten geht bis zum
erscheinen, nicht bis zum sich erscheinen. In jenem ersten ist das absolute das Erschei-
nende; im leztern nicht mehr dieses, sondern das Erscheinen ist das erscheinende. Die
Erscheinung erhält ein selbstständiges Seyn."
27 Vgl. Fichte, Wissenschaftslehre 1811, 179.
28 Fichte, Wissenschaftslehre 1811, 187.
29 Fichte, Wissenschaftslehre 1811, 196.
30 Fichte, Wissenschaftslehre 1811, 197.
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Die Theorie des Gesichts 71
Seine Wissenschaftslehre soll nicht einen höheren Grad an Evidenz haben, son-
dern schlechthin evident sein.
Dabei bleibt die Wissenschaftslehre — so Fichte - nichts anderes als das,
was sie auch schon 1794/95 war: eine Untersuchung über die transzendentale
Apperzeption, 31 d. h. eine Lehre vom Wissen. Fichte ist der Auffassung, die
Lehre Kants fortzuschreiben, dessen Philosophie sich aber noch ganz auf die
faktische Selbstbeobachtung gegründet habe und nicht spekulativ gewesen sei,
„weil er sich nicht zum Denken des absoluten erhob". 32 Kant sei deshalb ver-
borgen geblieben, „worin die synthetische Einheit der Apperception bestehe". 3 3
Damit bleibt die Wissenschaftslehre Bewußtseinsphilosophie. Sie entwickelt
eine Theorie des Bewußtseins aus dem Bewußtsein für das Bewußtsein, die sich
nicht in der faktischen Aufzählung aufgefundener Bewußtseinsinstanzen er-
schöpft, sondern in ihrem notwendigen Zusammenhang ableitet. Das Wissen
selbst ist ihr dabei eine unhintergehbare Voraussetzung: „Das Sehen [seil, das
Wissen] ist, ist die Voraussetzung, in sich aufgehend; und in diesem Seyn bricht
es sich an sich selbst, also im wirklichen unmittelbaren Sehen bricht es sich an
sich selbst: also es sieht sich selbst wirklich u. in der That. Das Eine, u. reine
Sehen ist eine unmittelbare sich selbst Anschauung des Sehens: es trägt
schlechthin durch sich die Ichform." 3 4 Fichtes Transzendentalphilosophie bleibt
eine Theorie der Wissensimmanenz, damit kritische und antidogmatische Philo-
sophie. Sie rekurriert dabei explizit auf die Bedingungen der Möglichkeit des
Wissens und der Wissensgegenstände. 35
Fichtes Wissenschaftslehre zeichnet sich als Transzendentalphilosophie aus
durch: die Apriorizität der Grundbegriffe, den Primat der transzendentalen Ap-
perzeption und der transzendentalen Einheit, die Immanenz des Wissens, die
transzendentale Freiheit; und sie rekurriert auf die Möglichkeitsbedingungen des
Wissens, daher nicht auf eine ontische Substantialität, sei diese extern oder in-
tern gegeben.
So ist das Erscheinen Gottes nicht eine metaphysische Setzung, sondern ei-
ne transzendentale Bedingung im Wissen für das Wissen. Es bedeutet: Es gibt
einen aus prinzipiellen Gründen für das Wissen undurchschaubaren Grund, der
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aller Opposition von Wissendem und Gewußtem zugrunde liegt. Die erste -
ebenfalls nur durch diesen Grund bedingte - für das transzendentale Wissen
zugängliche Instanz ist die Freiheit, die als radikale Freiheit nur gedacht werden
kann, wenn sie diesen Grund in sich selbst hat. Nun soll aber die Erscheinung
als Erscheinung erscheinen. Es soll eine Welt für die Freiheit sein. Aber die
Freiheit allein gibt der Erscheinung keine Begrenzung. Zu den Möglichkeitsbe-
dingungen der Welt gehört daher neben der Freiheit auch das Gesetz, das gene-
tisch aus der Erscheinung folgt und bewirkt, daß uns die Welt gegeben erscheint,
d. i. der Außenweltcharakter unseres Vorstellungswissens. Ein wirkliches endli-
ches und begrenztes Produkt ergibt sich erst aus der Zusammenwirkung beider,
Freiheit und Gesetz. 36 So ist das Gesicht nichts anderes als das absolute Vermö-
gen der Freiheit, jenes intelligible Sollen, das schlechthin unbedingt ist. Dieser
Freiheit korreliert das Gesetz, das sich in der Begrenzung der wirklichen Er-
scheinung, dem wirklichen Nachbild, zeigt. 37 Das Gesicht ist aber ein produkti-
ver Akt des an sich unendlichen Sehens, „das sich an der Begrenzung seiner
selbst bricht". 38
Damit hat Fichte in der Wissenschaftslehre 1811 eine transzendentale Be-
gründung des Gesichts gegeben. Es ist die der Wirklichkeit zugewandte Struktur
des Sollens, jenes Zusammenwirken von Freiheit und Gesetz zur Bestimmung
der Wirklichkeit, die selbst wiederum nichts anderes ist als das Sich-selbst-an-
sich-selbst-Brechen des unendlichen Wissens als Erscheinung göttlichen Seins.
Damit hat Fichte jedoch noch nicht das nachträgliche Wissen transzendental
begründet. Auch dieses Wissen muß als Wissen in seiner Notwendigkeit aufge-
wiesen werden können. „Das Gesicht muß erscheinen, und ausdrüklich erblikt
werden, eben als ein Gesicht, als ein durch sich selbst, und keineswegs durch ein
fremdes, und außer ihm befindliches bestimmtes Wissen. Das aber kann es nur
im Gegensatze mit einem andern Wissen, das da ausdrüklich erscheint als be-
stimmt durch ein fremdes ausser ihm befindliches Seyn." 39 Die Funktion des
nachträglichen Wissens besteht in seiner Negativität. Alles Wissen von sinnli-
chen Gegenständen erscheint dem Wissenden als von außen gegeben: Das ist
der Außenweltcharakter des Gegebenen. Dieser Charakter entsteht nur zu dem
Zweck, daß sich an ihm das praktische Wissen bricht. Die Außenwelt ist daher
bloß das Material der Pflicht, nichts für sich selbst Bestehendes. Dieses Verfah-
ren Fichtes findet sich bereits in der Grundlage der gesammten Wissenschafts-
lehre. Und Hegel karikierte es einmal, indem er es mit einem leeren Geldbeutel
verglich, der, obwohl leer, doch in der Beziehung auf Geld bestehe. Das Geld
könne dann auch aus dem leeren Geldbeutel deduziert werden, weil es in seinem
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Die Theorie des Gesichts 73
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Mangel schon gesetzt sei. Der leere Geldbeutel ist, um im Bild zu bleiben, die
Sphäre des Gesichts, das Erfüllung erst findet in seiner Negation, der Sinnen-
welt. Fichte: „Das Gesicht ist Bild Gottes, sagte ich; und das sinnliche Wissen
von einer gegebnen Welt ist bloß dazu da, damit das erstere als solches zu er-
scheinen vermöge."41
Das Gesicht als Bild Gottes ist für Fichte ein unendliches Gesicht, das sich
in keiner Sinnenwelt vollständig aussprechen kann. „Es tritt drum niemals in der
Zeit ein Gottes unmittelbares Bildniß, sondern immer nur ein Bild von seinem
zukünftigen Bilde, welches wiederum nur ein Bild ist von dem jedesmal zukünf-
tigen Bilde, und so ins unendliche fort; das eigentliche Urbild aber wird niemals
wirklich, sondern liegt über aller Zeit als ewig unsichtbarer Grund und Gesez,
und Musterbild des unendlichen Fortbildens in der Zeit."42 Weil jede Wirklich-
keit dem Gesicht unangemessen ist, faltet es sich in eine Unendlichkeit von Zu-
ständen aus, welche die Sukzession der Zeit und mit ihr alle Erscheinungen in
der Zeit erzeugt. Zeit ist nichts anderes als das in alle Unendlichkeit zerstreute
Bild der Ewigkeit, allerdings teleologisch aufgespannt durch die Maßgabe des
Gesetzes, das Bild Gottes in der Wirklichkeit zur Erscheinung zu bringen.
Das Erscheinen Gottes im wirklichen Wissen ist deshalb ein in die Unend-
lichkeit fließender Strom, der niemals zu einem festen Bild gerinnt. Es ist ein
fortwährendes Bilden immer neuer Bilder. „In diesem ewigen Strome erhalten
nun die einzelnen Bilder, und in den Zeitmomenten gehaltene Gesichte ihren
Geist aus Gott, ihre körperliche, und bildliche Gestaltung aber entlehnen sie aus
der Sinnenwelt; keinesweges als ob diese Gestalt in der lezten gegeben sey, ...
sondern daß sie unmittelbar an die Gegebne sich anschließt, und dieses, so wie
sie es trift, im blossen Bilde weiter fort bildet."43 Für Fichte folgt daraus die
Unabtrennbarkeit der intelligiblen Welt von der Sinnenwelt. Erst in der Vereini-
gung beider Weisen des Wissens, des vorbildlichen und des nachträglichen,
zeigt sich das Wissen in seiner Wahrheit und Totalität.
40 Vgl. G. W. F. Hegel, Glauben und Wissen oder die Reflexionsphilosophie der Subjecti-
vität, in der Vollständigkeit ihrer Formen, als Kantische, Jacobische, und Fichtesche
Philosophie, in: ders., Gesammelte Werke, im Auftrag der Deutschen Forschungs-
gemeinschaft hrsg. von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Bd.
4, hrsg. von H. Buchner, O. Pöggeler, Hamburg 1968, 392.
41 Fichte, Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, 317.
42 Fichte, Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, 318.
43 Fichte, Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, 318.
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74 Christoph Asmuth
Mit seiner Theorie des Gesichts stellt Fichte eine späte Ideenlehre vor. Sie ist
eine Transformation der Ideenlehre Piatons, allerdings in einer speziellen Inter-
pretation durch Fichte. Es ließen sich nun verschiedene Elemente der späten
Wissenschaftslehre anfuhren, die den Texten Piatons korrespondieren könnten.
Als Beispiel wäre hier das gegensätzliche Verhältnis von Unendlichkeit und Be-
grenzung anzuführen, das sich auf Piatons Begriffspaar πέρας und άπειρον
abbilden ließe, wie Piaton sie im Philebus verwendete. Fichtes transzendentale
Deduktion der Zeit könnte ebenso auf die kosmologischen Überlegungen im
Timaeus zurückgeführt werden. Darüber hinaus gibt es bereits eine Reihe von
Untersuchungen, die sich einem Vergleich Platon-Fichte widmen, etwa zum Be-
griff des Einen im Platonischen Parmenides und Fichtes Wissenschaftslehre
1804, 2. Vortrag** oder zum Strukturvergleich einzelner Dialoge mit den Wer-
ken Fichtes. 45 Schließlich gibt es noch Untersuchungen allgemeinerer Art, die
einen systematischen Zusammenhang zwischen Piaton und Fichte konstatie-
ren. 46 Allen diesen Bemühungen ist gemeinsam, daß sie sich nicht darauf beru-
fen können, Fichte habe die Platonischen Texte ernsthaft zur Kenntnis genom-
men.
Bei Fichtes Theorie des Gesichts ist die Lage anders: Sie antwortet auf die
explizite Interpretation der Platonischen Ideenlehre. Fichte sieht die Ideenlehre
so: „die Dinge seien Abspiegelungen der Ideen, der Gesichte; die Ideen seien die
Vorbilder der wirklichen Welt. In diesem Gegensatze ist es nun ganz klar, daß er
das objektive und das reine Wissen unterschieden hat ... Nicht klar aber ist, ob
ihm die Unterscheidung der beiden objektiven Weltformen, der Welt als Frei-
heitsprodukt, der praktisch zu erschaffenden, und der schlechthin ohne alle Be-
ziehung auf Freiheit gegebenen empirischen, recht klar geworden ist. In der
ersten Rücksicht ist es ganz und gar wahr, und wenn man diese Rücksicht
durchsetzen will, so ist es allein wahr. In der letzten Beziehung aber läßt es sich
nur in einem sehr untergeordneten Sinne sagen, und sehr vermittelt. Höchstens
44 Vgl. M. Budde-Burmann, Das lebensorientierende Eine bei Piaton und Fichte. Zum
Verhältnis von Piatons „Parmenides" zu Fichtes ,„Wissenschaftslehre (1804) 2 ", in: pri-
ma philosophia 4 (1991), 11 -31.
45 Vgl. B. Zehnpfennig, Reflexion und Metareflexion bei Piaton und Fichte. Ein Struk-
turvergleich des Platonischen , Charmides' und Fichtes ,Bestimmung des Menschen
Freiburg i. Br., München 1987.
46 Vgl. T. Rockmore, Le concept fichteen de la science et la tradition platonicienne, in: Le
Savoir Philosophique, Nice 1977, 31-40; W. Janke, Repeticion de la dialetica. La tra-
ducciön de la dialetica platönica a la doctrina de la ciencia de Fichte, in: Anuario Filo-
sojico 11, η. 1 (1978), 75-88.
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Die Theorie des Gesichts 75
kann man sagen, daß das Ganze zufolge eines Gesichts sei, nicht aber das Be-
sondere." 47
Fichtes Theorie des Gesichts scheint diesem Mangel Abhilfe schaffen zu
wollen, behauptet aber ansonsten, daß die Lehre Piatons mit der Wissenschafts-
lehre kompatibel sei:
1. Die Ideen sind für ihn rein praktisch. Sie zeigen ein unbedingtes Sollen an.
Darin sind sie kontrafaktisch, aber produktiv.
2. Die wirkliche Welt folgt der intelligiblen Welt nach; sie ist das Nachträgliche
in bezug auf die Ideen, damit etwas Sekundäres, nicht Ursprüngliches.
3. Damit bestimmt die praktische Idee zugleich das Besondere und Einzelne und
nicht nur das Ganze als Allgemeines wie die theoretische Philosophie. Darin
folgt Fichte der Kritik der reinen Vernunft Kants, der eine Platonische Idee nur
im Bereich des Praktischen zuläßt, sie aber im Bereich der Theorie für eine un-
statthafte Hypostasierung ansieht. 48
4. Die Ideen sind selbst Bild Gottes. Fichte lädt damit die Platonische Ideenlehre
durch eine christlich-augustinisch geprägte imago-Theorie spekulativ auf.
5. Die Ideen sind zwar außerweltlich, d. h. überweltlich im Sinne der Apriorizi-
tät, sind aber gleichzeitig in der Welt, die dadurch zur Sphäre der Wirksamkeit
für die Ideen wird. Ideenwelt und wirkliche Welt sind eine Welt, eine Welt des
Wissens. Ein Weltendualismus unterstellt Fichte der Platonischen Ideenlehre ge-
nauso wenig, wie er selbst einen solchen Dualismus intendiert.
6. Die Ideen gehören dem reinen Wissen an, sind daher einzig einer transzen-
dentalphilosophischen Reflexion zugänglich.
IV. Schluß
Für den Selbstdenker Fichte besaß die Geschichte des Denkens keinen eigen-
ständigen Wert. Er deduzierte zwar abstrakt die apriorische Struktur der Ge-
schichte, die in fünf Epochen verlaufen sollte. 49 Die konkreten geschichtlichen
Ereignisse oder Gedankensysteme wollte er - anders als das Programm Hegels -
nicht in sein System integrieren. Deshalb erscheint die Philosophiegeschichte
bei Fichte merkwürdig verkürzt. Sie gleicht einer Einbahnstraße, die mit Piaton
beginnt und mit Fichtes Wissenschaftslehre endet, wobei erstaunlich bleibt, daß
Fichte hier auch nur zwei wichtige Stationen kennt: Jesus Christus und Kant.
Fichte selbst hätte dies sicher nicht merkwürdig gefunden, sondern auf dem
Recht des Selbstdenkers beharrt, das gerade in der Unabhängigkeit von der Ge-
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76 Christoph Asmuth
49 Vgl. Fichte, Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters (1806), in: Gesamtausgabe, Bd.
1/8, hrsg. von R. Lauth, H. Gliwitzky unter Mitwirkung von J. Beeler, E. Fuchs, I. Ra-
drizzani, P. K. Schneider, Stuttgart-Bad Cannstatt 1991; dazu H. Traub, Johann Gottlieb
Fichte's Populärphilosophie 1804-1806, Stuttgart-Bad Cannstatt 1992, 25-68.
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ANNETTE SELL
Die Vielgestaltigkeit des Lebens zeigt sich besonders dann, wenn man es philo-
sophisch präzise zu fassen versucht. Eine einfache Definition läßt sich dabei
sicherlich nicht formulieren, und so gilt es, das Leben in den verschiedenen
Kontexten zu denken. In der Philosophie Plotins und Fichtes spielt der Lebens-
begriff in mehreren Schriften und somit auch in unterschiedlichen Zusammen-
hängen eine Rolle. So spricht bereits der frühe Fichte vom Leben im Sinne des
empirischen, organischen und ethischen Lebens, und dieser Begriff durchläuft
dann mehrere Bedeutungswandel, bis er schließlich beim späten Fichte als abso-
lutes Leben bestimmt wird. 1 Plotins Denken des Lebens zeigt sich ebenso in den
verschiedenen Zusammenhängen. So spielt in seiner Philosophie das Leben in
bezug auf den Körper, die Seele und den Geist eine Rolle. 2 Der folgende Text
unternimmt nun einen Vergleich zwischen Plotin und Fichte, um Gemeinsam-
keiten und Unterschiede in der Konzeption des Lebensbegriffes beider Denker
aufzuzeigen.
Den Anstoß zu diesem Vergleich gab die Studie von Hans Michael Baum-
gartner, dessen „Strukturvergleich der Reflexionsformen" sich auf den Begriff
des Absoluten bei Fichte und Plotin richtet. Baumgartner zeigt hier analoge
Strukturen der Begriffe und der Weise der Reflexion beider Denker, wobei er
zunächst Fichtes Begriff des Absoluten und damit verbunden den Begriff des
Seins entwicklungsgeschichtlich nachzeichnet, bis es in der Wissenschaftslehre
18042 zur Einheit von Denken und Sein kommt, deren Grund das Absolute ist.3
Dann folgt er Plotins Denken des Einen, um im dritten Teil Gemeinsamkeiten
und Differenzen beider Denker herauszustellen. Auf diesen Abschnitt wird noch
im dritten Teil dieses Textes zu verweisen sein. Jens Halfwassen beginnt seine
Arbeit über den ,Aufstieg zum Einen' mit einem Zitat aus der Wissenschaftsleh-
re 18042 und zeigt die Nähe zwischen Fichte und Plotin auf, indem er im Zuge
der Plotinischen Metaphysik des transzendenten Einen Fichtes Forderung der
1 Siehe hierzu insbesondere die Arbeit von W. H. Schräder, Empirisches und absolutes
Ich. Zur Geschichte des Begriffs Leben in der Philosophie J. G. Fichtes, Stuttgart-Bad
Cannstatt 1972.
2 Zum Lebensbegriff bei Plotin siehe das Buch von G. P. Kostaras, Der Begriff des Le-
bens bei Plotin, Hamburg 1969.
3 Vgl. Η. M. Baumgartner, Die Bestimmung des Absoluten. Ein Strukturvergleich der
Reflexionsformen bei J. G. Fichte und Plotin, in: Zeitschrift für philosophische For-
schung 34, Heft 1 (1980), 321-342, bes. 328 und 329.
4 J. Halfwassen, Der Aufstieg zum Einen. Untersuchungen zu Piaton und Plotin, Stuttgart
1992, 11.
5 Vgl. J. H. Loewe, Die Philosophie Fichtes nach dem Gesammtergebnisse ihrer Entwik-
kelung und in ihrem Verhältnisse zu Kant und Spinoza. Mit einem Personen- und
Stichwortregister sowie einem Verzeichnis der zitierten Schriften von W. G. Jacobs,
Hildesheim, N e w York 1976, Nachdr. der Ausgabe Stuttgart 1862, 171.
6 Vgl. Loewe, Die Philosophie Fichtes, 48, 264-265.
7 Derartige Arbeiten liegen für Fichte von W. H. Schräder und für Plotin von G. P. Kost-
aras vor; vgl. Anm. 1 und 2.
8 Vgl. Piaton, Sophistes 248e2-249d7. Zu den philosophiehistorischen Hintergründen die-
ser Trias bei Plotin, insbesondere zu dem Bezug auf den Dialog Sophistes, vgl.
P. Hadot, Etre, vie et pensee chez et avant Plotin, in: Les sources de Plotin. Entretiens
sur l'Antiquite classique, Tome V, Genf 1960, 107-141.
9 Baumgartner, Die Bestimmung des Absoluten, stellt in seinem Text zunächst Fichte und
dann Plotin dar. An dieser Stelle ist im Sinne der Chronologie die umgekehrte Reihen-
folge gewählt.
Um das Leben im Bereich des Geistes zu verstehen, ist seine Beziehung auf
Denken und Sein zu betrachten. So muß gezeigt werden, wie die Identität von
Denken und Sein 10 zu verstehen ist und sich das Leben mit diesen Begriffen
verbindet. An mehreren Stellen der Enneaden zeigt Plotin die Identität des νους
mit dem Sein. An dieser Stelle ist nur auf die Argumentation in Enneade V 9, 5
hinzuweisen, um das Verhältnis von Denken und Sein anzudeuten. Hier geht es
Plotin darum, das Wesen des Geistes zu prüfen. Er fragt, ob der Geist vom Sinn-
lichen getrennt ist, ob er das Seiende ist oder ob in ihm die Ideen sind. 11 Die Ar-
gumentation verläuft nun so, daß Plotin sagt, daß alles, was zusammengesetzt
ist, ist. So ist ζ. B. der Mensch zusammengesetzt aus Seele und Leib. Die Seele
ist ihrerseits vom Geist mit rationalen Formen ausgestattet worden. Der Geist ist
also vor der Seele. Das Rationale ist aber nicht etwas, was außerhalb des Geistes
ist, sondern das, was der Geist denkt, ist aus ihm selbst. „Denkt er aber aus sich
und von sich selbst, so ist er selbst das, was er denkt." 12 Sein und Denken sind
also dasselbe. Festzuhalten bleibt nun, daß der νους identisch mit seiner Tätig-
keit, d. h. mit dem Denken und dem Gedachten, d. h. also mit dem Sein ist. Der
νους ist so der Ort des Seins.
Um vor diesem Hintergrund nun die genannten drei Begriffe ,Denken',
,Leben', ,Sein' in ihrem Zusammenhang zu sehen, ist insbesondere auf die En-
neade III 8 einzugehen. Ausgangspunkt der Enneade ist die Frage nach der Be-
trachtung bzw. θεωρία, nach der alle Dinge verlangen. Plotin entwickelt den
Gedanken, daß in der Natur eine rationale Formkraft ist. Die Natur ist nicht nur
das Ergebnis der Betrachtung bzw. Betrachtetes, sondern sie ist auch selbst Be-
trachtung. Natürlich, so schränkt Plotin ein, handelt es sich hier nicht um eine
Betrachtung, die einer logischen Reflexion entspringt, doch „warum sollte sie
[seil, die Natur] diese Betrachtung nicht haben, wo sie doch Leben, rationale
Form und wirkende Kraft ist?" 13 Die Natur selbst ist also Leben, und so hat der
Lebensbegriff auch diese natürliche Komponente, wobei der Natur zugleich die
rationale Form zugeschrieben wird und sie somit mehr als bloße Materie ist.
Nun ist die Natur auch noch Seele, insofern diese jener vorausliegt. Die θεωρία
steigt also von der Natur auf zur Seele und dann zum Geist. Im Geist sind dann
das Betrachtete und die Betrachtung in der Einheit, „die nicht mehr auf Wesens-
10 Vgl. W. Beierwaltes, Plotin. Über Ewigkeit und Zeit (Enneade III 7), Frankfurt a. M.
3
1981, 26-31.
11 Vgl. Plotinus, Enn. V 9, 5, 1-8. - Die Zitate zu Plotin sind folgender Ausgabe entnom-
men: Plotins Schriften. Übers, von R. Harder. Neubearb. mit griechischem Lesetext und
Anm. fortgeführt von R. Beutler, W. Theiler, Hamburg 1956-1971.
12 Plotinus, Enn. V 9, 5, 6-7.
13 Plotinus, Enn. III 8, 3, 14-15.
aneignung beruht wie noch bei der besten Seele, sondern auf Wesenheit, darauf,
daß ,Sein und Denken dasselbe' sind". 14 Dabei handelt es sich um eine „lebendi-
ge Betrachtung". 15 Das Betrachtete ist nämlich nicht als ein anderes in der Be-
trachtung. „Wenn also ein Betrachtetes und ein Gedachtes Leben haben soll, so
muß es Leben an sich sein, nicht vegetatives oder wahrnehmendes oder sonst
seelisches Leben." 16 An dieser Stelle deutet sich also die Bedeutung des Lebens
für das Denken an. Leben ist sowohl im Betrachteten als auch in der Be-
trachtung. Plotin spricht hier von αΰτοζωή. Es gibt demnach ein Selbstleben,
das nicht im sinnlichen Bereich, sondern im intelligiblen Bereich ist, und in den
folgenden Schritten zeigt Plotin, daß Leben und Denken dasselbe sind, denn
„alles Leben ist irgendwie Denken", 17 wobei es höhere und niedere Formen des
Lebens und des Denkens gibt. Der Geist, der sich selbst Gegenstand und somit
sich seiner selbst bewußt ist, ist mit dem Sein identisch, und als solcher ist er ein
lebendiger Geist. Denken, Leben und Sein bilden eine Einheit. Diese Einheit
betrachtet er nun aber nicht als Eines, sonst würde der Geist nicht entstehen. Die
Einheit wird also zur Vielheit. Im Rahmen der Darstellung der Triadik des
Proklos und deren Deutung durch Hegel parallelisiert Jens Halfwassen den In-
halt bzw. die Aufgabe der einzelnen Elemente der Triade in der Philosophie
Proklos' mit Plotin. „Wie Plotin, so denkt auch Proklos das Sein als die Einheit
aller Ideen im seienden Einen, das Leben als die Selbstentfaltung (άνέλιξις) der
Einheit des seienden Einen in die Vielheit der besonderen Ideen und das Denken
als die in der Einheit des Seins entfaltete Vielheit der Ideen oder als das in seiner
Selbstentfaltung in die unterschiedenen Ideen in ungeteilter Einheit und Ganz-
heit bei sich bleibende seiende Eine, das sich in seinen Momenten auf sich selbst
bezieht und so im Vollzug seiner Entfaltung in sich selbst zurückkehrt,"18 Es
zeigt sich vor dem Hintergrund der oben entwickelten Argumentation Plotins in
den Enneaden V 9 und III 8 sowie in diesem Zitat die begriffliche Verbunden-
heit von Denken, Leben, Sein. Werner Beierwaltes spricht in diesem Zusam-
menhang von einem „dynamischen Ineinander" von Denken und Sein. 19 Die
Frage, was denn diese δύναμις ausmache, beantwortet er mit dem Leben. Dem
Lebensbegriff kommt in dieser Trias also die Aufgabe des Bewegenden zu.
Beierwaltes faßt prägnant zusammen: „Leben als Identitätsakt von Denken und
Sein. Denken als ein durch das Leben vermitteltes Denken des Seins, Sein als
20
ein sich selbst denkendes Leben oder lebendes Denken."
Im weiteren Verlauf der Enneade III 8 fragt Plotin nach der Beschaffenheit
des Geistes. Jenseits des Geistes, der ja noch Leben ist, ist das Eine, nicht Zu-
sammengesetze und somit Höchste, das vor dem Geist liegt. Dieses Eine ist der
Ursprung. Es ist vor allem anderen und ist somit auch der Ursprung des Geistes,
des Seins und des Lebens. Über das Leben hinaus geht also die Ursache des
Lebens, und die Vielheit des Lebens stammt aus der Nicht-Vielheit, die die Ein-
heit ist. Von dem Einen heißt es, daß „nichts von ihm ausgesagt werden kann,
nicht Sein, noch Wesen, noch Leben."21 Dieses Eine, das als absolute Transzen-
denz die Voraussetzung für das Viele ist, ist also die höchste Stufe in der Ploti-
nischen Philosophie und liegt jenseits der drei oben entwickelten Begriffe, d. h.
jenseits des Denkens, des Seins und des Lebens.
Um nun aber noch ein vollständigeres Bild des Lebens bei Plotin zu erhal-
ten, sollen in einem kurzen Ausblick weitere Kontexte betrachtet werden, in
denen das Leben steht. Es ist ja nicht nur im Bereich des Denkens und des Seins
eine bewegende Kraft, sondern auch in bezug auf den Körper. Die Ursache die-
ser Bewegung ist aber die Seele: „Sie gibt dem beseelten Leib erst das Leben,
welches sie selbst von sich aus hat und niemals verliert, da sie's von sich selber
hat."22 Es muß nämlich etwas geben, was ursprünglich lebt. Das körperliche
Leben ist dabei ein Werden, wobei aber eben nur etwas werden kann, weil es ein
unveränderliches Sein bzw. die Seele gibt.23 Da sie das Prinzip des Lebens ist,
lebt sie also, wobei Plotin aber zuvor gezeigt hat, daß die Seele nicht Körper ist.
„Die Seele aber ist eine einheitliche und einfache Wesenheit, die aktual Leben
hat."24 Der Aufstieg vollzieht sich vom Körper zur Seele und dann zum Geist,
der seinerseits, wie oben gezeigt, Leben hat. Neben dieser theoretischen Be-
stimmung des Lebensbegriffes zeigt Plotin auch an vielen Stellen die Fülle und
den Reichtum des empirischen Lebens auf der Welt, wobei diese Welt nur ein
Abglanz der höheren Welt bleiben kann; das Ziel des Lebens ist das Streben
nach dem Einen und der Aufstieg zu diesem. Zusammenfassend bleibt zum Cha-
rakter des Lebensbegriffes zu sagen, daß sich das Leben in ein Verhältnis setzen
kann und somit ein Bewegtes ist. Wie sich Johann Gottlieb Fichte dem Leben
besonders in Beziehung auf Denken und Sein zuwendet, ist nun in einem zwei-
ten Schritt zu erörtern.
ausserdem giebt es keinen Weg dazu."29 Durch dieses Zitat wird deutlich, wie
Leben und Licht miteinander verbunden sind, so daß Fichte beide Begriffe im
X. Vortrag gleichsetzen kann. „Also es ist gesetzt ein absolutes inneres Leben
des Lichtes-, das nur ist im Leben selber, und ausserdem gar nicht."30 Es besteht
also die Einheit von Licht und Leben. Da ja das innere Leben der äußeren Ein-
sicht nicht zugänglich ist, ist es nur negativ begriffen, „wir haben es, und wir
sind es."31 Fichte sagt, daß die Einsicht im lebendigen Lichte vernichtet wird.32
Die Einheit kann also nicht in einem Begriff gefaßt werden, sie muß gelebt wer-
den; und die Spaltung des Lichts in Sein und Denken kann nur auf der Seite des
Begriffs liegen.
Nun muß also der Begriff in bezug auf das Leben näher betrachtet werden.
Im X. Vortrag beginnt Fichtes Argumentation, indem er den Begriff des .Durch'
entfaltet. Das Durch ist das „innere durchaus unveränderliche Wesen des Begrif-
fes".33 Mit dieser substantivierten Präposition versucht Fichte zum Einheitsge-
danken wieder ein Stück aufzusteigen. Am Ende des X. sowie im XI. Vortrag
zeigt er die Verbindung von Durch und Leben, so daß er schließlich zum leben-
digen Durch gelangen kann, wobei das Leben die Voraussetzung dieses Durch
ist.34 Schon im VII. Vortrag sprach Fichte von „einer vorauszusetzenden organi-
schen Einheit des Durcheinander",35 Hiermit charakterisierte er den Urbegriff,
durch den die Einheit von Bild und Abgebildetem als Durcheinander zusammen-
gehalten wird. Die Einheit ist lebendige, und bereits hier zeigt sich, wie ein Be-
griff des Lebendigen dem Einheitsgedanken zugrunde liegt. Die entscheidenden
Hinweise zum Durch gibt er dann im XI. Vortrag. Zunächst meint das Durch nur
eine Zweiheit, es soll aber eins ins andere übergehen, „also es bedarf einer le-
bendigen Einheit zur Zweiheit. Es ist durchaus klar, daß das Leben als Leben
nicht im Durch liegen könne, obwohl die Form, welche hier das Leben annimmt,
als ein Uebergehen von Einem zum Andern, im Durch liegt".36 So gelangt Fich-
te zu dem Ergebnis, daß das Durch ein „durchaus in sich selbst begründetes
Leben" voraussetzt.37 Das Durch ist also nicht im Durch selbst ursprünglich.38
Vorausdeutend auf das Resultat seiner Wahrheitslehre kann Fichte hier sagen:
„Dieses Leben daher ist das wahre Absolute, und in ihm innerlich geht alles Sein
auf."39 Die Bestimmung des Lebens als Absolutes ist für die Gegenüberstellung
mit dem Lebensbegriff Plotins festzuhalten. Das Absolute hat in seiner absolu-
ten Immanenz also die Bestimmung des Lebens und des Seins.40 Im vergleichen-
den Teil soll entwickelt werden, welche Gemeinsamkeiten zwischen beiden
Konzeptionen des Lebens bestehen; und dieser Vergleich der Lebensbegriffe ist
nicht ohne eine Gegenüberstellung des Absoluten und des Einen möglich. Eine
detaillierte Analyse von Fichtes Fortschreiten zum absoluten Prinzip kann an
dieser Stelle nicht vorgenommen werden; es geht hier lediglich darum zu zeigen,
in welchen begrifflichen Verbindungen das Leben, das „das von sich selbst be-
gründete, und von sich selber gehalten und getragen"41 ist, steht, um schließlich
mit dem Sein in eine Einheit zu gehören.
Vor diesem Hintergrund können nun der XV. und der XVI. Vortrag be-
trachtet werden. Fichte faßt hier seine Gedanken zur Wahrheitslehre zusammen
und bringt sie „mit Einem Schlage"42 auf den Punkt. Damit ist der Einheitspunkt
gemeint, dessen Auffinden die Wahrheitslehre intendierte und in dem alle Ge-
gensätze (Vorstellung und Gegenstand, Subjekt und Objekt, Idealismus und
Realismus usw.) in einer Einheit aufgehoben sind. „Es ist daher, um uns auf eine
scholastische Weise auszudrücken, construirt, als ein esse in mero actu, so daß
beides Sein und Leben, und Leben und Sein durchaus sich durchdringen, inein-
ander aufgehen, und dasselbe sind, und dieses dasselbe Innere das Eine und
alleinige Sein."43 Somit besteht die Einheit als Einheit von Sein und Leben,
außerhalb derer nichts sein kann. Das Sein kann also nicht vom Leben getrennt
sein, es ist „unmittelbar im Leben selber".44 Nun leben auch wir (oder ich bzw.
der Denkende) „unmittelbar im Lebensakte selber",45 und dabei handelt es sich
um ein wir in sich, das nur durch das unmittelbare, aktuelle Leben selber ist.
Hier zeigt sich die Verbindung von Sein (esse), Leben (actus) und Ich bzw.
Denken. Da das Sein (das unmittelbar im Leben ist) ein in „sich geschlossenes
Ich" ist,46 kann es auch kein Bewußtseinsgegenstand sein. Es ist also immanent,
hat kein Äußeres und richtet sich auch auf kein Äußeres. Jetzt ist die Einheit von
Sein und Leben, die „als absolutes Ich vorkommt", bestimmt. 47 Daher kann
Fichte im XVI. Vortrag den Grundsatz aufstellen: „das Sein ist durchaus ein in
sich geschlossenes Singulum des Lebens und Seins, das nie aus sich heraus
kann" 48 Hier schließen Fichtes Gedanken zur Wahrheits- und Vernunftlehre,
denn hiermit ist alles über das Sein gesagt, was überhaupt über dasselbe gesagt
werden kann. Wie das Sein erscheint, wird im zweiten Teil der Wissenschafts-
lehre, der Erscheinungs- bzw. Scheinlehre oder Phänomenologie, entwickelt.
Festzuhalten ist, daß der erste Teil die Grundlage für die Ableitung des absolu-
ten Wissens im zweiten Teil ist. Noch im XVI. Vortrag bereitet Fichte seine
Hörerschaft auf diese neue Aufgabe vor 49 Die Ausführungen über das Leben
haben also gezeigt, wie Fichte die Einheit in der Wissenschaftslehre 18042
denkt, d. h. wie Leben, Sein und Ich zusammengehören. Dabei wird das Leben
zu einer Bestimmung des Absoluten.
In diesem Kontext sind die Beobachtungen von Günter Zöller über das
Verhältnis von Leben und Wissen beim letzten Fichte heranzuziehen, um auf die
Weiterentwicklung des Lebensbegriffes ab 1807 hinzuweisen. 50 Im Diarium
Fichtes aus den Jahren 1813 und 1814 wird das Sein vom Leben völlig getrennt.
„Mit der Einschränkung des Seinsbegriffs auf bildliches, ichlich gebildetes Sein
geht einher, daß das Unabhängige, wahrhaft Absolute als .Leben', insbesondere
als ,absolutes' oder .göttliches Leben' verstanden wird." 51 So erhält hier das
Leben eine noch ausgezeichnetere Stellung und wird ohne den Seinsbegriff mit
dem Absoluten identifiziert. Im Hinblick auf den Vergleich mit Plotin ist zu
erwähnen, daß Fichte von „Voraussetzung des Lebens, als des Einen wahrhaf-
ten" spricht.52 In der Wissenschaftslehre 18042 wurde zwar die Einheit von Le-
ben und Sein dargestellt, der Begriff des Einen wurde aber nur direkt auf das
Sein bezogen. Das Leben galt hier noch nicht als das Eine. 53 In der Wissen-
schaftslehre 18042 ist das Leben noch in sich selbst begründet; wird aber von
sich selber gehalten und getragen. 54
Zusammenfassend ist zum Lebensbegriff in der Wissenschaftslehre 18042
zu sagen, daß Fichte sein methodisches Fortgehen im V. Vortrag als Aufsteigen
von den „faktischen Gliedern" zu den „genetischen" beschreibt, um zur „absolu-
ten Genesis, zur Genesis der W.-L. hinaufIzu]kommen". 55 Dabei stellt er zu-
nächst zum Licht das Leben, entwickelt dann die Beziehung von Durch und
Leben, bis er schließlich Leben und Sein in einer Einheit faßt. Johann Heinrich
Loewe, der bereits oben genannt wurde, stellt die drei Begriffe ,Denken', ,Le-
ben', ,Sein' in ihrer lebendigen Verflechtung bei Fichte dar. „Alle Realität, die
überwirkliche wie die wirkliche, in übersinnlicher Reinheit wie in sinnlicher
Trübung, ist Leben und als solches Bewegung, ohne Stillstand, aber gedacht
gerinnt sie zu Sein. Demnach gibt es nirgends an sich ein Sein, sondern lediglich
fiir und durch das Denken. Zu dieser höchsten Erkenntnis seiner als der allge-
meinen absoluten Existenzialform gelangt das Denken dadurch, dass es sich sel-
ber rein denkt, und erst mit diesem Verständnisse seiner pulsirenden Bewegung
ist der Prozeß des absoluten Lebens ganz begriffen." 56
Nun muß an dieser Stelle schließlich auch die Frage nach dem Nutzen eines
Vergleichs zwischen Plotin und Fichte gestellt werden. Es kann kein historischer
Vergleich sein, da sich Fichte nicht direkt auf Plotin bezogen hat. Es sind aber in
den Denkweisen und besonders in der Konzeption der Begriffe des Absoluten
bzw. des Einen bei Fichte und Plotin Ähnlichkeiten festzustellen, so daß diese
Begriffe durchaus einander gegenübergestellt werden können; gleichzeitig zei-
gen sich in einem Vergleich Unterschiede, die zu einer schärferen Konturierung
des jeweiligen Denkens führen können. Vielleicht läßt sich so ein besseres Ver-
ständnis der Bestimmung und des Zusammenhangs der oben dargestellten Be-
griffe erreichen. An dieser Stelle sollen Aspekte dieses Vergleichs entwickelt
werden.
daher, um uns auf eine scholastische Weise auszudrücken, construirt, als ein esse in me-
to actu, so daß beides Sein und Leben, und Leben und Sein durchaus sich durchdringen,
ineinander aufgehen, und dasselbe sind, und dieses dasselbe Innere das Eine [Hervorhe-
bung A. S.] und alleinige Sein"; ebd., 230: „Wir leben daher aber unmittelbar im Le-
bensakte selber; wir sind daher das Eine [Hervorhebung A. S.] ungetheilte Sein selber,
in sich, von sich, durch sich, das schlechthin nicht herausgehen kann zur Zweiheit."
54 Vgl. Fichte, Wissenschaftslehre (18042), 170.
55 Fichte, Wissenschaftslehre (18042), 76.
56 Loewe, Die Philosophie Fichtes, 265.
57 Als weitere Studie, die sich mit beiden Philosophen (in einem anderen Kontext) be-
schäftigt, sei an dieser Stelle folgende genannt: G. Schrimpf, Des Menschen Seligkeit.
Ein Vergleich zwischen Plotins „Περί ευδαιμονίας", Meister Eckharts „Buch der gött-
lichen Tröstung" und Fichtes „Anweisung zum seligen Leben", in: Parusia. Festgabe
fiirj. Hirschberger, Frankfurt a. M. 1965, 431-454.
58 Vgl. W. Beierwaltes, Piatonismus und Idealismus, Frankfurt a. Μ. 1972, 87-93, bes. 87.
Beierwaltes weist auf die Studie von H.-J. Mähl, Novalis und Plotin. Untersuchungen
zu einer neuen Edition und Interpretation des „Allgemeinen Brouillion", in: Jahrbuch
des Freien Deutschen Hochstifts 1963, Tübingen 1963, 139-250, hin, die nachweist, daß
Novalis seine Kenntnis Plotins lediglich der Philosophiegeschichte Dietrich Tiede-
manns entnahm.
59 Beierwaltes, Piatonismus und Idealismus, 92.
60 Damit ist nicht die Richtigkeit der Auslegung Plotins durch Novalis angesprochen.
Beierwaltes, Piatonismus und Idealismus, 90, spricht hier von einem Fichteschen Plotin,
da Novalis doch am Akt des konstruierenden Subjekts festhält.
ist. Es ist damit weder in einer Sprache noch mit den Mitteln des begrifflichen,
logischen Denkens zu erfassen. Da das Absolute Fichtes und das εν Plotins nicht
sprachlich bzw. begrifflich zu fassen sind, könnten somit auch keine Begriffsun-
terschiede angegeben werden. Dennoch sind es zwei unterschiedliche Begriffe,
die in unterschiedlichen philosophischen Konzeptionen ihren Platz finden, und
so muß über ihre Differenz diskutiert werden. Es ließen sich etwa die Unter-
schiede bezüglich der Methode bzw. des Weges zur Erreichung des Absoluten
oder Einen untersuchen. Baumgartner erkennt bei Fichte eine Hierarchie der
einzelnen Reflexionsschritte, bis dann das Absolute erreicht wird.61 Bei Plotin
hingegen bezeichnet Baumgartner jeden Schritt sofort als auf den Übergang zum
Einen hin gedacht.62 Betrachtet man den Aufstieg bei Plotin bzw. die henologi-
sche Reduktion,63 so zeigen sich aber auch hier einzelne, qualitativ zu
unterscheidende Stufen, die zum Einen fuhren. Diese Stufung zeigt sich auch in
der Enneade III 8, in welcher der Natur die Seele und dieser der Geist folgte,
wobei aber alle Stufen nur durch das Eine sind.64
Nun weist Baumgartner auf einen Unterschied beider Denker in bezug auf
die Identität von Sein und Denken hin, wobei er Fichtes Bestimmen dieser Dif-
ferenz als dynamisch und das Plotinische Denken als statisch bezeichnet.65 Ob
von diesem Unterschied vor dem Hintergrund des oben entwickelten Lebensbe-
griffes gesprochen werden kann, bleibt zu fragen. Gerade Plotin wirkt mit Hilfe
des Lebensbegriffes einer Statik entgegen. Ein Charakteristikum des Lebens bei
Plotin ist, daß es sich in ein Verhältnis zu setzen vermag. Oben wurde von der
dynamischen Kraft des Lebensbegriffs in bezug auf das Verhältnis von Denken
und Sein gesprochen. Der Lebensbegriff bei Fichte fungiert jedoch nicht in die-
ser Hinsicht als Bewegungs- bzw. Dynamisierungsbegriff zwischen Denken und
Sein. Fichte spricht ausdrücklich von der Identität von Leben und Sein: Dabei ist
das Leben „das von sich selbst begründete, und [wird] von sich selber gehalten
und getragen".66 Dem Lebensbegriff kommt hier also eine von Plotin zu unter-
scheidende Funktion zu. Wenn Fichte sagt, daß wir das Leben nicht begreifen
können, sondern daß es gelebt werden muß oder auch daß wir es sind, so fun-
giert hier das Leben zwar auch im Sinne einer Bewegung, doch wirkt Fichte in
erster Linie dem Begreifen entgegen. Zweitens wird durch die Identität von Sein
und Leben gesagt, daß das Sein lebt. Sein kann also nur im Leben sein; und auf
der anderen Seite gilt, daß dasjenige, was lebt, ist. Der Lebensbegriff ist hier im
Sinne des Lebensaktes gemeint, in dem wir leben. Dadurch sind wir „das Eine
ungetheilte Seyn selber, in sich, von sich, durch sich; das schlechthin nicht aus
sich herausgehen kann zur Zweiheit". 67 Wir, Sein und Leben sind also Ausdruck
des Absoluten, das nur in sich ist und als solches lebt. Das Leben bewirkt dem-
nach keine Bewegung; es zeigt, wie das Absolute in einem Lebensakt, einer
Handlung oder einer Bewegung ist.
Nun stehen die beiden Konzeptionen des Lebens bei Plotin und Fichte in
unterschiedlichen Traditionszusammenhängen. Fichtes Lebensbegriff zeigt sich
sicherlich nicht von der Platonischen Trias von Denken, Leben und Sein beein-
flußt, obwohl das Denken bzw. das Ich stets im Zusammenhang mit Leben und
Sein gedacht werden muß. Der Lebensbegriff beim frühen Fichte ist noch an
Kant und d. h. besonders an der Kritik der Urteilskraft orientiert. 68 Doch ist
Fichte bekanntlich kein ausgewiesener Philosophiehistoriker, und so läßt sich
der Lebensbegriff auch nicht durch Aufweis historischer Bezüge entfalten. In
der hier betrachteten Wissenschaftslehre 18042 ist eher das Leben im Kontext
des absoluten oder auch göttlichen Lebens zu denken. 69 Wenn Fichte von der
Grenze des Begriffes spricht, so findet er jenseits der Grenze das Eine, das reine
lebendige Licht; „sie verweiset daher aus sich heraus an das Leben, oder die
Erfahrung, nur nicht an das jämmerliche Aufsammeln hohler und nichtiger Er-
scheinungen, denen niemals Ehre des Daseins zu Theil geworden, sondern an
diejenige Erfahrung, die allein Neues enthält, an ein göttliches Leben." 70 Die
Betrachtung der Enneade III 8 zeigt demgegenüber, daß Plotin den Lebensbe-
griff vor dem Hintergrund einer Theorie über die Natur entwickelt. 71 Dieser na-
turphilosophische Hintergrund ist mit dem Fichteschen Lebensbegriff nicht ge-
72
geben. Fichte geht es in seiner Wissenschaftslehre eben nicht um die Konstitu-
tion einer sinnlichen Welt und Natur durch das absolute Ich. Die Enneade III 8
zeigt demgegenüber, wie die Natur das Ergebnis einer Betrachtung ist und wie
in ihr selbst die Betrachtung enthalten ist. Sie ist also eine rationale Form und
die unterste Stufe vor Seele und Geist, der die vorangegangenen Stufen erst
ermöglicht und ein lebendiger Geist ist.
Nun wurden die Unterschiede beider Lebensbegriffe herausgearbeitet, und
am Ende dieses Vergleiches läßt sich näher bestimmen, welchen Ort das Leben
innerhalb der Hierarchie bzw. des Aufstiegs zum Höchsten erhält. Bei Fichte ist
Leben eine Bestimmung des Absoluten. Das nicht begrifflich zu fassende Abso-
lute drückt sich unter anderem als Leben aus. 73 Es ist also nicht wie in der Ploti-
nischen Philosophie außerhalb des Absoluten. Das Leben ist bei Plotin somit
keine Bestimmung des εν. Von dem Einen heißt es, daß „nichts von ihm ausge-
sagt werden kann, nicht Sein, noch Wesen, noch Leben." 74 Vor dem Hinter-
grund der unterschiedlichen Konzepte des Lebens zeigen sich somit auch Diffe-
renzen bezüglich des Höchsten in beiden Denkweisen. Schließlich läßt sich
durch den Vergleich der Lebensbegriffe aber ein, wenn nicht sogar das Spezifi-
kum des Lebens erkennen, welches als Bewegung zu bezeichnen ist. Für Plotin
wie für Fichte gilt, daß die Tätigkeit des Geistes bzw. des Ich eine lebendige ist
und Denken und Sein stets im Zusammenhang mit dem Leben zu denken sind. 75
Durch das Leben (Plotin) bzw. im oder als Leben (Fichte) werden Denken und
Sein gehalten und bewegt.
73 Dazu vgl. Jacobs, Fichtes Gottesanschauung, 106: „Fichtes Ausdrücke, in denen er vom
Absoluten spricht, sind daher falsch verstanden, wollte man sie als exakte Begriffe
nehmen. Sie sind exakte Zeichen für eine Handlung, die nur im Vollzug einleuchtet."
74 Plotinus, Enn. III 8, 10, 30-31.
75 Vgl. Kostaras, Der Begriff des Lebens bei Plotin, 64.
Piaton und Aristoteles verkörpern für das neuplatonische Denken die zwei
grundsätzlichen und konträren Möglichkeiten, das Verhältnis der metaphysi-
schen Grundbegriffe Eines bzw. Einheit und Sein zu bestimmen: Während für
Aristoteles Sein und Eines ohne reale Differenz letztlich konvertible Begriffe 2
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92 Dirk Cürsgen
sind, die in jeder Kategorie und jedem möglichen Sinn aussagbar sind, 3 stellt
Piaton (im neuplatonischen Verständnis) das Eine über das Sein und etabliert die
Negation als größtmögliche Differenz, als Differenz schlechthin, zwischen ih-
nen. Das höchste Seiende ist dabei für Aristoteles zugleich der Inbegriff des
Denkens, das Denken in seiner höchsten Gestalt als lücken- und schlafloses, in
dem der Unbewegte Beweger sich selbst denkt. 4 Sofern bei Aristoteles von ei-
nem Absoluten die Rede sein kann, besteht es in einem selbstreflexiven, vollen-
deten Denken, was ihm von den Neuplatonikern den Vorwurf einbrachte, beim
Geist als zweiter Hypostase stehengeblieben zu sein,5 in der sie den Unbewegten
Beweger und den Demiurgen des Timaeus verschmolzen. Das Absolute selbst
jedoch ist weder seiend noch denkend, sondern es steht vielmehr jenseits von
Sein und Denken. 6 Sein, Seiendes, Denken, aber auch Nichtsein und damit zu-
gleich die ontologische Differenz sind in diesem Denkansatz bereits spezifische-
re Gestalten der höheren, 7 henologischen Differenz zwischen Einheit und Viel-
heit, d. h. Formen ihres Verhältnisses. Jedes irgendwie Existierende bildet im-
mer schon eine Einheit von Einheit und Vielheit, weshalb etwa Proklos jede
seiende als bloß erscheinende Einheit im Gegensatz zum absoluten Einen be-
greift; die Konzepte der Teilhabe, der unendlichen δύναμις und Differenz zwi-
schen Einem und Sein oder der als Monaden erscheinenden Henaden begründen
diese ,ontologische Phänomenologie' von Abbildern in ihrer Differenz zum Ab-
soluten 8 .
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Die Unbegreiflichkeit des Absoluten 93
Nur das Sein ist wirklich erkennbar - und zwar als dyadisch geprägte Ver-
bindung von Einheit und Vielheit 9 - , wohingegen das Eine selbst als arelationa-
les, differenzloses Absolutes noch über ihm steht und außer dem Sein noch eini-
ge Formen des Nichtseins als Einheitsformen (die Henaden und die ϋλη'°) er-
zeugt; jedes Sein und jede Vielheit, aber auch alle Einheitsformen, hängen vom
Einen ab, das gleichwohl umgekehrt ihrer nicht bedarf. 11 Das gesamte Sein
brauchte nicht zu existieren, tut dies allerdings so, wie es gegeben ist, weil das
Eine zugleich das Gute ist;12 damit ist zwar das Streben alles Seienden und Ge-
einten nach dem Einen als der Bedingung ihrer Möglichkeit zu erklären, aber
nicht, warum das Eine überhaupt durch negative Bestimmungen aus sich heraus-
trat, sich entäußerte, warum also überhaupt etwas ist 13 und nicht nichts. Der
Abstand zwischen Einem und Sein bleibt unendlich, was etwa der Begriff des
άπειρον positiv - als unendliche Kraft - und negativ - als Fehlen jeder mögli-
chen Bestimmung - ausdrückt, was hingegen der Teilhabebegriff rein affirmativ
als faktisch überbrückt darstellt, 14 weshalb er letztlich unzureichend ist. 15 Des-
senungeachtet bildet das Seinsganze für den späten Neuplatonismus eine lücken-
lose, 16 kontinuierlich zusammenhängende Stufenfolge, in der sich alles Mögli-
che verwirklicht hat, weil das Sein als ganzes von den Göttern pronoetisch vor-
durchdacht wurde, 17 so daß es nie unendlich viele Seiende geben kann. 18 Das
Eine bewirkt ein Sein, das allein diesen Charakter hat und keinen anderen; es
bewirkt den Zusammenhalt jedes Seienden in sich, alles Seienden untereinander
und ihren kausalen Übergang, und all dies scheinbar nur notwendig zusammen.
Diese Hermetik des Seins bedeutet sein vollendetes Begründetsein und seinen
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94 Dirk Cürsgen
Rückgang in seinen Grund, wobei das Eine universal als ganz anderes im Sein
oder um es herum allumfassend anwesend ist und dennoch transzendent bleibt.
Das Sein insgesamt weist die Gestalt der übergängigen Totalität aller grund-
sätzlichen Verhältnisformen von Einheit und Vielheit auf, und nur so allein ist
es denkbar, denn Einheit und Vielheit bilden jeweils konkret die Formen des
Existierens jeder Entität. Darüber hinaus ist jedoch die Prinzipientheorie des
Parmenides für die Neuplatoniker Ausdruck der Tatsache, daß die Kehrseite des
Absoluten bzw. der Inbegriff seiner Wirksamkeit in der vollständigen und
durchgängigen Relationalität und inneren Dynamik des Seinsganzen bestehen
müssen, weil nur so überhaupt noch eine Beziehung zwischen Sein und Absolu-
tem denkbar bleibt.
Das Seinsganze wird als hierarchisches, lückenloses Gefuge von Bestim-
mungen verstanden, die von den im Parmenides genannten Prinzipien begründet
werden; denn da diese allesamt relational sind und in einer in sich spezifizierba-
ren κοινωνία stehen, prinzipiieren sie ein relationales Sein, zeigen aber damit
zugleich, daß das Sein von bestimmten, aufeinander bezogenen und solcherart
endlichen Prinzipien, die einander bedingen - um sie selbst zu sein und Seiendes
hervorbringen zu können strukturiert wird, womit keines dieser Prinzipien
selbst das Absolute sein kann oder aussagbar macht. Weil aber jede Bestimmung
der ersten Hypothese auch als konkrete, seinsimmanente Einheitsform und Ein-
heitsfunkion begriffen wird (und als Henade jeweils als reine, jedoch nicht abso-
lute Einheit gedacht wird), geht sie auf negative Weise aus dem Absoluten her-
vor, was vom Denken durch den Akt der Negation jeder Bestimmung am und
vom Absoluten zum Ausdruck gebracht wird,19 wobei das Eine auf negative
Weise alle bestimmten Negationen und Einheitsformen in einer Einheit zusam-
menschließt. Da also die Seinsprinzipien als relationale Einheitsgestalten aufge-
faßt werden, die das Sein festlegen, kann das Sein nicht das Absolute sein, aber
auch seine bestimmten, endlichen, sich wechselseitig bedingenden Prinzipien
können nicht mit diesem identisch sein, sondern allein auf es hindeuten und ihre
Herkunft aus ihm in ihren Wirkungen zeigen. Das Sein besitzt noch einen realen
Gegensatz im Nichtsein, während das absolute Eine keinen eigentlichen Gegen-
satz20 mehr kennt, denn selbst im Nicht-Einen oder Vielen ist das Eine als Er-
19 Die Negation ist als logischer Akt und formaler Bewußtseinsvollzug immer identisch,
aber sie muß auch formal notwendig alle inhaltlichen Bestimmungen durchgehen und
ausschöpfen. Als konstitutives Seinsprinzip für alle Bestimmungen ist sie formal auch
stets als derselbe Akt des Einen gedacht, bringt aber logisch notwendig das gesamte
Sein hervor, um die Einheit der Negativität vom Sein her zu erschöpfen. Das Denken
braucht die Negativität, um sich bewegen, entwickeln und übergehen zu können sowie
zur gegliederten Einheit zu werden.
20 Wenn Proklos an einer Stelle das Nichts als einzigen Gegensatz zum Einen nennt und
vom Nichtsein abhebt, dann verweist er damit auf den Nichtsbegriff als einen solchen,
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Die Unbegreiflichkeit des Absoluten 95
der nur die Abwesenheit jeder möglichen Vorstellbarkeit und Denkbarkeit logisch reprä-
sentieren soll, ohne selbst noch inhaltliche Bedeutung oder prinzipientheoretische Funk-
tion haben zu können. Vgl. Proclus, In Parmenidem, 1081, 10-1082, 19.
21 Vgl. Proclus, Commentarium in Parmenidem, pars ultima, 56, 7-16; Institutio theolo-
gica, 86.
22 Vgl. Proclus, In Parmenidem, 883, 3-37; 1196, 11-40; 1201, 6-20; 1242, 7-33; Institutio
theologica, 1.
23 Vgl. Proclus, In Parmenidem, 1076, 35-1077, 3; 1127, 20-21.
24 Die Henologie schlägt um in eine Henophanie, das Denken des Einen in sein Sich-Zei-
gen als Undenkbares. Vgl. J. Trouillard, Un et etre, in: Etudes Philosophiques 15 (1960),
190 und 196.
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96 Dirk Cürsgen
25 Vgl. E. Kapp, Der Ursprung der Logik bei den Griechen, Göttingen 1965, 46-48; I. Dü-
ring, Aristoteles. Darstellung und Interpretation seines Denkens, Heidelberg 1966, 60-
61.
26 Vgl. Proclus, In Parmenidem, 806, 1-3; 866, 31-871, 28; 1103, 22-1104, 6.
27 Vgl. Proclus, In Parmenidem, 1073, 5-1075, 37; 1099, 31-34; 1133, 4-5.
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Die Unbegreiflichkeit des Absoluten 97
28
gationen des Einen, wie die erste Hypothese des Parmenides sie konkret vor-
gibt, die gleichwohl unterschiedlich allgemeine Prinzipien des Seins und relatio-
nale, seinsimmanente Einheitsformen darstellen, wie sie aus der Verneinung am
Einen hervorgehen. Diesen Abstieg legt das menschliche oder seelische Denken
in umgekehrter, ideeller Richtung wieder als Aufstieg zurück, beginnend mit
dem enkosmischen Prinzip der (Un-) Gleichheit und der Analogie. Der Aufstieg
erfolgt durch eine systematische Hierarchie aller überhaupt möglichen29 Negati-
onstypen hindurch.
Zunächst ist dabei das Andere des Sophistes zu nennen, durch das jede Be-
stimmung komplementär die Ausgeschlossenheit aller anderen Bestimmungen
umfaßt und dadurch sogar erst sie selbst sein kann;30 das Andere als relatives
Nichtsein ist selbst ein Seiendes, fuhrt die Negativität in die κοινωνία aller
Ideen und deutet das Gesetz an, daß zu jedem positiven nicht nur ein spezifisch
korrespondierendes, konträres negatives Prinzip gehört - daß es also nur dua-
listische Prinzipienpaare gibt - , sondern daß auch jede Idee alle anderen zu-
gleich in sich trägt31 und dennoch von ihnen getrennt ist, daß sie folglich Einheit
und Differenz ontologisch verbindet. Die Erkenntnis des Wesens des Begriffes
vollendet sich durch die Erkenntnis der Bedeutung der Negativität für jeden
Begriff. Der Sophistes deutet jeden Begriff als relational und dualistisch, womit
er zugleich - wie das Wissen von ihm - reflexiv wird. Das Absolute steht über
jedem Begriff und jedem bestimmten Gegensatz von Begriffen, die gleichwohl
alle negativ auf es bezogen gedacht werden, weil das Absolute alle bestimmten
Begriffe ermöglicht. Sodann folgt für die Neuplatoniker das άπειρον des Phile-
bus, das die Antithese zu jeder möglichen Bestimmung, zur Bestimmtheit über-
haupt und als solcher repräsentiert, also die indifferente, unendliche Verdichtung
aller Prädizierbarkeit im Modus der Unbestimmtheit; dieses άπειρον besitzt
aber weiterhin die Bestimmung an sich, das πέρας, als Gegenbegriff, und beide
zusammen genügen noch dem und bedingen den Satz vom Widerspruch. Sie
erzeugen nicht bloß alle dualistischen Prinzipien in zwei Kolonnen,32 sondern
auch ihre Aufeinanderbezogenheit und Einheit im Sein. Schließlich folgt die
Negation im Parmenides, wo nicht nur jede Bestimmung, sondern sogar die Un-
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98 Dirk Cürsgen
bestimmtheit weggestrichen wird und ebenso die Vielheit als Gegensatz zum
Einen wegfällt; πέρας und άπειρον werden zusammen mit der Vielheit 33 und
derart mit allen Henaden als intelligibler Vielheit zugleich negiert. 34
Die Negationstypen bilden dergestalt einen Konnex, der unmittelbar dem
Wesen der Logik und des Denkens entstammt, d. h. das Denken kann nicht an-
ders und in anderer Ordnung negieren, 35 ohne die Übereinstimmung mit sich
selbst zu verlieren oder die ihm und der Erkenntnis von Sein und Absolutem
notwendigen Negationen zu verfehlen, denn die drei Verneinungsgestalten sind
identisch mit dem Aufstieg vom real gegebenen und faktisch so prinzipiierten
Sein über das Überseiende-Henadische 36 zum Absoluten, so daß die Negativität
den umfassendsten, universalen Einheitszusammenhang überhaupt herstellt und
bedingt - als Einheit des Denkens und alles Denkbaren. Die Negation bedeutet
die Kraft von Schöpfung und Hervorbringung aus dem Nichts insgesamt, des
Auszugs aus dem und des Rückgangs zum Absoluten, 37 aber auch jeder beson-
deren kausalontologischen Erzeugung, 38 und sie ist ein unabdingbares Element
jeder Erkenntnis. Die Negativität, die am Ende über der Kraft als solcher, über
der άπειροδυναμνα, steht, ermöglicht alles Gegebene und Seiende als Autokon-
stitution, 39 der die Negation immanent ist. Aus dieser Perspektive bildet die Ne-
gation die Weise der Vermittlung des letztlich unerfaßbaren absoluten Grundes
an das Seiende und Erkennende, aber auch den Grund der Vermittlung und rela-
tionalen Übergängigkeit im Sein und zwischen seinen Prinzipien, weil alle mög-
lichen Relationen des Einen als methodisch gestufte Einheit seiner Negativität
zu denken sind. 40
Die innere Dynamik des Seins ist Ausdruck seiner immanenten Negativität,
die gleichwohl das Produkt höherer Negativität ist, obwohl Proklos den Über-
gangszusammenhang der Negationstypen nicht mehr konkret reflektiert. Daß
Ontologie und Henologie jedenfalls gestufte Entfaltungen des Denkens und Wir-
kens der Negativität sein sollen, postuliert zumindest eine faktische Gegebenheit
von universaler Einheit und Verbindung, die nicht auf das Sein als Inbegriff des
Gegebenen restringiert bleibt. Die Einheit des Absoluten mit dem Sein ist selbst
eine negative bzw. in der Negation gegebene und denkbare. Die Negation bildet
den Weg und die Beziehung zum Absoluten, die sich verschiedenartig äußert
und offenbart, aber immer auf das Absolute hindeutet und abzielt, indem sie
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Die Unbegreiflichkeit des Absoluten 99
Mangel und Telos des Seienden und des Denkens zugleich begründet und auf-
weist, die stets nach dem Einen streben, ohne es je auf ihm angemessene Weise
erreichen zu können, 41 obgleich das Eine - transzendent bleibend 42 - in allem
anwesend ist. Mit der Negation der dialektischen Einheit aller Negationen und
ihres Systems erreicht das Denken seinen Abschluß und die Grenze seiner Mit-
tel, an der es sich selbst aufheben muß, wozu es durch das Eine in ihm fähig ist.
Während die Negationen des Einen sowohl den Ausgang ins Sein als auch den
Rückweg zum Einen bedeuten, ist die Negation der Negationen (ύπεραπόφα-
σις 43 ) des Einen erst der abschließende Akt des Ein- und Rückgangs in das Ab-
solute, mit welchem das Denken vernichtet wird; denn diese Negation der Nega-
tionen bewerkstelligt die .Einheit der Einheiten', in der das Denken - als eines
und ganzes - bereits nicht mehr allein durch sich selbst aufgehoben wird. Die
Aufhebung des Gegensatzes zwischen Position und Negation bedeutet ihre (ne-
gative) Vereinigung, in der das Auseinanderhalten- und Verbindenkönnen von
positiven und negativen Bestimmungen in sich und gegeneinander zusammen-
bricht - und damit auch die Möglichkeit der Synthesis mittels der Urteilsform,
von der Denken und Sprechen abhängen, wobei jedoch die Negation der Negati-
on nicht als etwas Drittes oder als neue Synthesis nach und von den beiden an-
deren begriffen werden darf.
Letztlich bemüht sich Proklos darum, die faktische Struktur, das Sosein,
von Denken und Seinsganzem aus dem Fehlen dieser Struktur beim Absoluten
zu begründen, ohne daß Sein und Denken jemals anders sein könnten, als sie
sind, weil das Absolute über der Gegensätzlichkeit aller unendlich vielen mögli-
chen Seinskosmen und jeder möglichen und denkbaren Bestimmung - jenseits
der ontologisch gültigen, seinsimmanenten Bestimmungen - , also über Endlich-
keit (= Bestimmung) und Unendlichkeit (= Unbestimmtheit und Indifferenz),
steht, womit die Tatsache, daß das Sein so ist, wie es ist, als notwendig zu den-
ken ist. Der Satz vom Widerspruch darf, damit er im relativen Denken gilt, für
das Absolute nicht gelten, das nur als Undenkbares denkbar ist - was ja genau
den Satz vom Widerspruch suspendiert - , wodurch aber gerade Absolutes und
Nichtabsolutes fur das Denken wieder in das Widerspruchsaxiom eintreten, das
dann alles in das eine Absolute und das viele Nichtabsolute einteilt. Das Denken
gewinnt sein Sein, seine Grenze und sein Selbstverständnis aus der Analyse
seiner Spiegelung, seiner Selbstreflexion, am Absoluten, weil es - indem es alle
Bestimmungen und Prinzipien, die es in sich als denkbar, seiend und seinskon-
stitutiv auffindet und begreift - im Versuch, diese Kategorien auf das Absolute
zu beziehen, sie doch von ihm logisch zwingend negieren muß und dabei ein-
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100 Dirk Cürsgen
sieht, daß das Sein und es selbst durch genau diesen einzigartigen negativen
Bezugsversuch erst möglich werden, weshalb sie ihr eigenes Gegeben- und Ent-
standensein (ihre Genesis) allein so vorstellen können.
Sachlich besteht zwischen affirmativen Seinsbestimmungen und Negatio-
nen des Einen kein Unterschied, d. h. es sind dieselben Prinzipien, die vom Ei-
nen verneint und vom Sein bzw. vom seienden Einen bejaht werden, so daß die
Differenz sich auf die Copula bezieht, wenn sie alle Prädikate auf die beiden
primären Subjekte εν απλώς und εν öv anwendet, also im Durchgang und der
Zusammenfassung der Gesamtreflexion erst zutage tritt. Affirmation und Nega-
tion beziehen die Totalität aller - insgesamt relationalen und alle (formalen) Re-
lationen des Einen denkenden - denkbaren Grundprädikate mittels der einen Co-
pula 44 auf die Grundsubjekte, worin das Denken den Übergang und Zusammen-
hang der fundamentalen Gültigkeitsbereiche .Absolutes' und ,Sein' erfaßt. Das
Denken bezieht somit alle konkreten Einheitsformen (= Seinsprinzipien) sukzes-
siv durch die Copula auf das Absolute oder das Sein und bestimmt sie dergestalt
als homogene Gültigkeitsfelder dieser Einheitsformen, die in sich und in Gestalt
der zwei Grundbereiche lückenlos verbunden zu denken sind. Der Schnittpunkt
liegt dann in der Bejahung und Verneinung des Existenzprädikats, von ουσία
und είναι, 4 5 die alle anderen Prädikate umfassen. Deshalb reicht der Geist als
Inbegriff aller Prädikate und allen gedachten Seins nur bis zum seienden Ei-
nen, 46 während das Eine jenseits von Relation, Existenz, Wissen und sprachli-
chem Ausdruck steht. 47 Mit der Negation aller Negationen endet unsere Er-
kenntnis in der Henosis und in „schweigenden Symbolen", 48 jenseits derer keine
weitere Vereinfachung mehr vorstellbar und möglich ist. Das Eine liegt in uns,
und mit diesem Namen benennen wir auch nur die Einheit in uns bzw. unser
Verständnis von ihr, 49 weil kein Seiendes und kein Denken das Eine selbst er-
fassen kann. 50 Die letzte Negation zieht noch das Sein vom Einen ab, d. h. sie
negiert die Negation seiender Prinzipien vom Einen insgesamt, womit sich das
Denken des Einen im Schweigen vollenden soll.51
44 Auch die Copula stellt somit eine Form der Einheit dar, und zwar die logische Einheit
jeder denkbaren Beziehbarkeit von Kategorien.
45 Vgl. Proclus, In Parmenidem, 1239, 27-1242, 33.
46 Vgl. Proclus, Commentarium in Parmenidem, pars ultima, 40, 10-24.
47 Vgl. Proclus, Commentarium in Parmenidem, pars ultima, 40, 29-32; 44, 3-27.
48 Vgl. Proclus, Commentarium in Parmenidem, pars ultima, 46, 3-33; 52, 1-35.
49 Vgl. Proclus, Commentarium in Parmenidem, pars ultima, 54, 11-33; 56, 17-21.
50 Vgl. Proclus, Commentarium in Parmenidem, pars ultima, 62, 1-28.
51 Vgl. Proclus, Commentarium in Parmenidem, pars ultima, 72, 1-76, 7.
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Die Unbegreiflichkeit des Absoluten 101
II. Fichtes Theorie des Absoluten und die neuplatonische Deutung des Einen
Jeder Versuch, die Philosophie Johann Gottlieb Fichtes mit anderen historischen
Systemen zu vergleichen, sieht sich zunächst vor das formale Problem gestellt,
auf nur wenige direkte und explizite Bezugnahmen 52 Fichtes auf andere Denker
zurückgreifen zu können. Abgesehen von Immanuel Kant, Baruch de Spinoza
und einigen Zeitgenossen nennt Fichte besonders in seinen Wissenschaftslehren
nur selten Namen, und auch seine Terminologie bietet nur wenig Anhalt, um
konkrete und exakte Rezeptionspunkte ganz bestimmter Elemente anderer Sy-
steme nachweisen zu können, denn Fichte entlastet sein Denken von einer expli-
zierten Geschichtlichkeit. Der Interpret ist somit zumeist gezwungen, implizite
Bezugnahmen und systematische Parallelen oder gedankliche Gemeinsamkeiten
zu suchen, die eine Nähe zu früheren Theoremen doch immer nur wahrschein-
lich machen können. Es spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle, ob ideenge-
schichtliche, begriffliche, gedankliche, systematische oder funktionale Konver-
genzen zwischen Denkansätzen bewußt oder unbewußt vor sich gehen.
In den Schriften vor 1801 erlegt sich Fichte - wohl in Anknüpfung an den
die Grenzen unserer Erkenntnis bestimmenden transzendentalen Idealismus
Kants - große Zurückhaltung auf, was Aussagen über das Absolute angeht; er
gebraucht den Terminus vor allem zur Bestimmung und als Prädikat des Ich
52 Einige Belegstellen bezüglich Piatons sammelt W. Janke, ,Der Piaton tritt in jeder
Stunde unverkennbar bei ihm hervor'. Von der Erfahrung des Seins in Fichtes Vollen-
dung des platonischen Idealismus, in: Sein und Werden im Lichte Piatons. Festschrift
für Karl Albert, hrsg. von E. Jain, S. Grätzel, Freiburg, München 2001, 77-90. - Zu
Fichtes Verhältnis zu Piaton vgl. auch B. Vancamp, Piaton et Fichte sur la valeur de
l'ecrit en philosophic, in: Etudes Classiques Namur 64 (1996), 59-76; W. Becher, Pia-
ton und Fichte: die königliche Erziehungskunst. Eine vergleichende Darstellung auf
philosophischer und soziologischer Grundlage, Jena 1937; Gloy, Einheit und Mannig-
faltigkeit (zum Dialog Parmenides 25-82, zu Fichte 83-130); B. Zehnpfennig, Reflexion
und Metareflexion bei Piaton und Fichte. Ein Strukturvergleich des Platonischen
Charmides und Fichtes Bestimmung des Menschen, Freiburg, München 1987 (ein Ver-
gleich zwischen Piaton und Fichte 187-233); zur Rezeption des εξαίφνης vgl. M. Bud-
de-Burmann, Das lebensorientierende Eine bei Piaton und Fichte. Zum Verhältnis von
Piatons Parmenides zu Fichtes Wissenschaftslehre 18042, in: Prima Philosophia 4
(1991), 11-13. - Interessant ist in diesem Kontext auch, daß Fichtes Sohn 1818 (also
noch vor Erscheinen von Cousins Edition) in Berlin mit einer Arbeit Über den Ur-
sprung der neuplatonischen Philosophie promoviert wurde, die zunächst mit der Be-
gründung, sie sei ein Text des Vaters, abgelehnt wurde. Vgl. H. Ehret, Immanuel Her-
mann Fichte. Ein Denker gegen seine Zeit, Stuttgart 1986, 43-48. - Zur Vorsicht, was
eine mögliche direkte Aufnahme des Neuplatonismus angeht, mahnt K. Ceming, Mystik
und Ethik bei Meister Eckhart und Johann Gottlieb Fichte, Frankfurt am Main, Berlin,
Bern, Brüssel, New York, Oxford, Wien 1999, 156.
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102 Dirk Cürsgen
oder der Tathandlung. 53 Jedes Epitheton, das zum Ausdruck ,Absolutes' hinzu-
gesetzt wird, hebt dieses eigentlich auf: 54 Es ist nur, was es ist, und ist dieses,
weil es ist,55 also eine rein formale Inhaltlichkeit. In transzendentalphilosophi-
scher Selbstbeschränkung geht es Fichte mehr um das absolute Wissen, das
nicht das Absolute selbst ist, aber dennoch nur in Abgrenzung von diesem be-
stimmt werden kann. Das Wissen vom Wissen, das jede Theorie vom Wissen
grundlegt und die abstrahierte, allgemeine Form des Absoluten aufweist, bildet
das Ziel der Wissenschaftslehre. 56 Auch das absolute Wissen ist nur insofern
absolut, als es ist, was es ist, und dies, weil es ist, d. h. es vereinigt die einzigen
formalen Bestimmungen des Absoluten - ruhendes Sein (Substanz) und Werden
bzw. Freiheit (Kausalität) - , die in ihm verschmelzen. 57 Die Inhalte des absolu-
ten Seins sollen durch Freiheit zum absoluten Wissen werden. 58
Diese Prädikate gelten bei Plotin in ausgezeichneter Weise für den Geist,
nicht jedoch für das Absolute, 59 während bei Fichte das Absolute selbst für das
Denken potentiell viele Prädikate und Bestimmungen hat, von denen wir trotz-
dem nur die formalen, Sein und Freiheit, erkennen können, weil das absolute
Wissen deren Vereinigung ist,60 aber es nicht zugleich möglich ist zu sagen, das
Absolute sei Sein, Wissen oder Identität; 61 formales Haben und inhaltliches Sein
treten also auseinander, anders als beim absoluten Wissen. Die strukturelle Nähe
des absoluten Wissens zum neuplatonischen Geistbegriff tritt auch darin zutage,
daß es Sein, Denken, Bild und Wissen selbst umfassen, also Wissen und Selbst-
wissen von sich als Totalität aller Bestimmungen sein soll, was Hegel später
fortführt, allerdings dahingehend modifiziert, daß das Absolute absolute Subjek-
tivität (absolute Reflexion) ist, wohingegen die Negation aller Prädikate als
Leere und Allgemeines nur den Anfang und das negativ Absolute abgibt. 62 Auch
53 Mit diesem Konzept greift Fichte Spinozas Begriff der causa sui und die neuplatonische
Bestimmung des α ύ θ υ π ό σ τ α τ ο ν auf.
54 Vgl. J. G. Fichte, Darstellung der Wissenschaftslehre (1801/02), in: Gesamtausgabe,
Bd. II/6, hrsg. von R. Lauth, H. Gliwitzky unter Mitwirkung von E. Fuchs, P. K. Schnei-
der, M. Zahn, Stuttgart-Bad Cannstatt 1983, 143-144. - Ab 1800 setzt Fichte eine un-
überwindliche Differenz zwischen absoluter Selbstsetzung und Absolutem an.
55 Vgl. Fichte, Darstellung der Wissenschaftslehre (1801/02), 143-144, 147-150. - Diese
Formel drückt die Annahme eines von sich gewußten, folge- und prioritätslosen Ver-
hältnisses des Absoluten zu sich als Produkt und Produktion aus.
56 Vgl. Fichte, Darstellung der Wissenschaftslehre (1801/02), 139, 143-146.
57 Vgl. Fichte, Darstellung der Wissenschaftslehre (1801/02), 147-148.
58 Vgl. Fichte, Darstellung der Wissenschaftslehre (1801/02), 193-194.
59 Vgl. Plotinus, Enn. VI 8, 4 und 7-9.
60 Vgl. Fichte, Darstellung der Wissenschaftslehre (1801/02), 157 und 160. - Alles Wis-
sen setzt (sein) Sein und Nichtsein voraus: Vgl. ebd., 195-204.
61 Vgl. Fichte, Darstellung der Wissenschaftslehre (1801/02), 143-144.
62 Bei Hegel erscheint das Absolute nur als Leeres und Negation aller Prädikate (G. W. F.
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Die Unbegreiflichkeit des Absoluten 103
die intellektuelle Anschauung als absolute Synthesis der Gegensätze und der
Vielheit läßt sich als νοΰς-hafter Erkenntnisakt im Sinne des Neuplatonismus
interpretieren. Die Schwerpunktverlagerung der Wissenschaftslehre vom Ich auf
das Absolute bzw. absolute Wissen ist dem neuplatonischen Aufstieg von Seele
zu Geist und Einem analog: Das Ich erkennt sich zunächst bedingt als absolute
Totalität aller Realität in sich, dem die Totalität des Negativen als Nicht-Ich vor-
läufig äußerlich entgegensteht; ihre Vereinigung im Ich als diesem innerliche
Disjunktion 63 ist auch im Neuplatonismus der erste Schritt im Aufstieg der See-
le, in dem sie sich als spezifischer (diskursiv erkennender) Modus der Ganzheit
des Gegebenen begreift. Später gilt dieses Ich - als Inbegriff des Denkens und
der Logik, 64 durch deren Axiome es ja 1794 noch dargestellt wird - nur noch als
Teil des Wissens, das vom ganzen, absoluten Wissen umfaßt wird, dessen Nähe
zum neuplatonischen νους bereits angesprochen wurde. Über diesem steht nur
noch das Absolute selbst, das jedoch letztlich ein Jenseits des Wissens und Er-
kennens bleibt - wiederum ein Gegensatz zu Hegel. Wir begreifen für Fichte
nichts anderes als das Absolute, obgleich wir wissen, daß wir es nie völlig be-
greifen können, woran jedes Wissen seine zugleich formale und inhaltliche Be-
grenzung 65 erfährt.
Die Durchführung der Wissenschaftslehre - und damit die Darstellung des
absoluten Wissens 66 - erfolgt als Aufstieg zum absoluten Prinzip des Wissens,
Hegel, Wissenschaft der Logik. Erster Band. Die objektive Logik (1812/1813), in: Ge-
sammelte Werke, Bd. 11, hrsg. von W. Jaeschke, F. Hogemann, Hamburg 1978, 370).
Im Anfang ist das Absolute einfach, leer und allgemein, bestimmungslos und unmittel-
bar (Hegel, Wissenschaft der Logik. Erster Teil. Die Objective Logik. Erster Band. Die
Lehre vom Sein (1832), in: Gesammelte Werke, Bd. 21, hrsg. von F. Hogemann,
W. Jaeschke, Hamburg 1985, 56-60; ders., Wissenschaft der Logik. Zweiter Band. Die
subjektive Logik (1816), in: Gesammelte Werke, Bd. 12, hrsg. von F. Hogemann,
W. Jaeschke, Hamburg 1981, 239-240). Der Anfang ist so das Absolute, ist es aber zu-
gleich auch nicht (nur an-sich), so daß der Fortgang des Anfangs als Selbstbestimmung
des Absoluten notwendig ist (Hegel, Die subjektive Logik (1816), 240-241). Das Unmit-
telbare ist ein sich auf sich beziehendes Allgemeines und damit Einheit des Verschie-
denen (ebd., 241-242), die sich im Fortgang kategorial expliziert. Gerade gegen Fichte
ist der Zugang zum Absoluten also die Entfaltung der Kategorien auseinander im dia-
lektischen Prozeß, nicht die negative Reduktion und Negation aller Begriffe.
63 Vgl. J. G. Fichte, Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre als Handschrift für seine
Zuhörer (1794/95), in: Gesamtausgabe, Bd. 1/2, hrsg. von R. Lauth, H. Jacob unter
Mitwirkung von M. Zahn, Stuttgart-Bad Cannstatt 1965, 255, 260 und 288.
64 Die Logik bildet die Form der Methode der Wissenschaftslehre, welche sie darstellt und
dennoch bereits von ihr abhängt.
65 Vgl. Fichte, Darstellung der Wissenschaftslehre (1801/02), 178-179: Die Als-Erkennt-
nis begreift die begrenzte Geltung jedes Begriffs im Ganzen; in der Einheit ist potenti-
ell-negativ eine unendliche Vielheit impliziert.
66 Vgl. J. G. Fichte, Wissenschaftslehre (18042), in: Gesamtausgabe, Bd. II/8, hrsg. von
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104 Dirk Cürsgen
durch den es sich als Erscheinung des Absoluten 67 begreift, um im Anschluß den
Rückgang zur Ableitung der Erscheinung des Absoluten aus der Erkenntnis des
Prinzips zu vollziehen. Die Vielheit wird dabei auf eine absolute Einheit zurück-
geführt, die Prinzip von Einheit und Verschiedenheit zugleich, 68 lebendig-orga-
nische Einheit von erscheinender Einheit und erscheinender Disjunktion ist.69
Damit kommt Fichte nicht nur mit Hegels 70 formaler Definition des Absoluten
als Identität von Identität und Nichtidentität, von Einheit und Vielheit, von Ide-
ellem und Reellem, von Indifferenz und Verhältnis 71 überein, sondern auch mit
dem neuplatonischen Einheitsbegriff, der seiende Einheit ebenfalls als bloß er-
scheinende Einheit begreift, die mit Vielheit verbunden bleibt. Hieran anschlie-
ßend läßt sich die zentrale Rolle des Lebensbegriffs in der genetischen Wissen-
schaftslehre, die ihn über Sein und Denken stellt, besonders in seiner Verbin-
dung mit der Lichtmetaphorik, die das Licht in Nähe zu Gott oder gar als Abso-
lutes begreift, 72 das sich selbst in Begriff und Sein aufspaltet, 73 zum christlichen
Neuplatonismus in Beziehung setzen. Die Nähe zur Mystik - etwa zu Meister
Eckhart 74 - wird besonders offensichtlich, wenn das Licht als unmittelbar leben-
diges Prinzip, als rein absolute Einheit, die nicht zu beschreiben, sondern allein
zu vollziehen ist, gekennzeichnet wird. 75 Da Sein und Begriff starr sind, können
sie dem Werden und Leben des Lichts nie genau gerecht werden, wobei sie im
Verhältnis von Bild und Abgebildetem stehen, d. h. der Begriff etwa umfaßt das
Bild, das das Licht als sein Abgebildetes ist.76 Der Übergang vom Absoluten
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Die Unbegreiflichkeit des Absoluten 105
77
zum Nichtabsoluten ist also zugleich der von Leben zu lebendigem Bild oder
von Grund zu Erscheinung; in Platonischer Tradition gehen dabei Sein und Be-
griff (Denken) gemeinsam und aufeinander bezogen aus dem Absoluten hervor
(das gleichwohl bei Fichte weder deren Grund noch Ursache ist), um sich wech-
selseitig als Erscheinungsgestalten des Absoluten im absoluten Wissen auszule-
gen. Deshalb ist für Fichte alles Sein bewußtes Sein, und aus dem Bewußtsein
mit seinen selbst- und seinserschließenden Vollzügen ist kein Ausgang möglich.
Die Wissenschaftslehre demonstriert den Primat der Wahrheitslehre, die
das eine Sein aufweist, vor der Phänomenologie, die das viele Erscheinende
(Meinen) gliedert und seine Gegebenheit in Disjunktionen sowie seine Herkunft
aus dem gegensatzlosen Einen zeigt. Das Wahre ist absolute, unveränderliche
78
Einheit, die sich in die Disjunktion von Sein und Denken (Bewußtsein) spaltet,
als Prinzip der unabtrennbaren Einheit, Disjunktion und Bezogenheit beider
anzusehen ist79 und von Fichte auch reines Wissen genannt wird. Sein und Den-
ken als unterschieden Geeintes erscheinen immer zusammen, und alles Erschei-
nende erscheint in dieser Disjunktion, hinter der ein Absolutes stehen muß, das
Kant 80 - und auch Piaton - nur formal in seinem Daß erkannt hat, nicht jedoch
in seinem inhaltlichen Was. In jedem Wissen von Etwas verbindet etwas das
Gewußte mit dem Wissen, 81 was in allen Fällen unwandelbar bleibt, aus dem
aber alles Veränderliche (im Bereich der Disjunktion und des Begriffs) notwen-
dig hervorgeht und dadurch vermittelt ist;82 die Suche nach dem Was, der einen
absoluten Qualität des Wissens, erschließt dieses Verhältnis: Die faktische Er-
scheinung (Daß) des Wissens wird mit diesem Schritt als genetisch konstruiert
und damit als vermittelt begriffen, womit die Einsicht in das Absolute - nicht
das Absolute selbst - als Grund der Disjunktion des Absoluten (Licht) sichtbar
wird. 83 Da das Absolute jedoch eigentlich nicht begriffen und genetisch nach-
konstruiert werden kann, 84 müssen Wandel (Begriff und Disjunktion) und Un-
wandelbares (Begriff der Einheit als Prinzip) beide vernichtet werden, um das
Unbegreifliche als solches 85 zu begreifen, als Prinzip absoluter Erzeugung; 86 das
77 Vgl. Plotinus, Enn. VI 8, 20, wo das Eine als freie, ewige Selbstschöpfung beschrieben
wird.
78 Vgl. Fichte, Wissenschaftslehre (18042), 8-9.
79 Vgl. Fichte, Wissenschaftslehre (18042), 12-13 und 36.
80 Vgl. Fichte, Wissenschaftslehre (I8042), 42-46.
81 Vgl. Fichte, Wissenschaftslehre (18042), 37-38.
82 Vgl. Fichte, Wissenschaftslehre (18042), 41-43.
83 Vgl. Fichte, Wissenschaftslehre (18042), 126.
84 Vgl. Fichte, Wissenschaftslehre (18042), 52-53 und 84-86.
85 Wandel entspricht der Endlichkeit, Unwandelbarkeit der Unendlichkeit, aber wie das
Endliche aus dem Unendlichen entsteht und neben ihm besteht, also wie das Verhältnis
von Sein und phänomenalem Sein zu denken ist, bleibt unbegreiflich. Nur das Faktum,
nicht das Wie des Hervorgangs ist vorstellbar: Vgl. J. G. Fichte, Über das Wesen des
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106 Dirk Cürsgen
Gelehrten (1806), in: Gesamtausgabe, Bd. 1/8, hrsg. von R. Lauth, H. Gliwitzky unter
Mitwirkung von J. Beeler, E. Fuchs, I. Radrizzani, P. K. Schneider, Stuttgart-Bad Cann-
statt 1991, 74.
86 Vgl. Fichte, Wissenschaftslehre (18042), 79-80.
87 Vgl. Fichte, Wissenschaftslehre (18042), 129-133.
88 Vgl. Fichte, Wissenschaftslehre (18042), 81 -83.
89 Vgl. die neuplatonische Deutung der Prinzipienpaare des Parmenides. - Subjekt (Den-
ken) und Objekt (Sein), Überwirkliches (Ideen) und Wirkliches (Sinnliches) bilden eine
solche Disjunktion, die ihren Ausgang von der Identität (A = A) und der Nichtidentität
(A nicht = B) als Grundkategorien nimmt. Vgl. J. G. Fichte, Wissenschaftslehre (1805),
in: Gesamtausgabe, Bd. II/9, hrsg. von R. Lauth, H. Gliwitzky unter Mitwirkung von
J. Beeler, E. Fuchs, I. Radrizzani, P. K. Schneider, Stuttgart-Bad Cannstatt 1993, 258. -
Die Stufung von absolutem Sein, Vielheit der Ideen als Existenz und Erscheinen des
Absoluten, die im Erscheinen das eigentlich Reale bilden, und wandelbarer Wirklichkeit
(vgl. ebd., 260-265) skizziert einen Seinsaufbau, der dem Sonnengleichnis korrespon-
diert. Fichtes Gebrauch des Ideenbegriffs steht ab 1800 in der Tradition Piatons. Über
dem an sich toten Sein des sinnlich Erfahrbaren stehen die Ideen und über diesen das
Singulum des Seins, das absolute, unteilbare Einheit ist (Wissenschaftslehre [18042],
230 und 242) und von Fichte auch mit der Idee des Guten verbunden wird, die Begriff,
Wissen und bedingtes Sein übersteigt (Darstellung der Wissenschaftslehre (1801/02),
in: Gesamtausgabe, Bd. II/6, 337). Das Licht ermöglicht das Sehen, ist jedoch unsicht-
bar und zeigt seine Genesis nicht (Wissenschaftslehre [18042], 298); das Absolute selbst
zeigt sich klar und verbirgt sich doch zugleich in seiner Helle (ebd., 229). - Zu Fichtes
Lichttheorie und ihrer Beziehung zum Sonnengleichnis vgl. R. Ferber, Piatos Idee des
Guten, Sankt Augustin 2 1989, 10 und 246-250.
90 Die Vermittlung ist der für das Bewußtsein als notwendig nachvollziehbare Konkreti-
sierungsprozeß der Kategorien auseinander in der Bewegung aus und zwischen gegen-
sätzlichen Ur-Kategorien.
91 Vgl. K. Gloy, Der Streit um den Zugang zum Absoluten. Fichtes indirekte Hegel-Kritik,
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Die Unbegreiflichkeit des Absoluten 107
sondern in der sukzessiven Vernichtung 92 jedes Begriffs vor sich, in der sich
nichts anderes ausdrückt als die Vernichtung des Ich am Licht oder an Gott; nur
die Aufhebung aller Gestalten unseres Wissens offenbart dessen einen Grund.
Das Absolute - sei es seiend oder nicht - zerstört seine Denkbarkeit, aber auch
diese Negativität ist zuletzt noch zu negieren, und zwar in dem Sinne, daß es
nicht als jenseits der Negation seiner Denkbarkeit bestehend und gegeben ge-
dacht wird. Das absolute, in sich geschlossene, lebendige Sein wird jedem Ge-
dachtsein entzogen, weil es nur so Bewußtsein und Bewußtes bedingen kann.
Die Negation jeder Bestimmung am Absoluten erhellt also das bewußte Sein
dieser Bestimmung, 93 da sie als Negation zur Erscheinung des Absoluten wird,
was Fichte auch als Übergang von der möglichen zur wirklichen Erscheinung
des Absoluten darstellt: Das faktische Sein der Welt, wie sie uns bewußt ist,
muß notwendig so sein, wie es ist; daß sie aber um des Absoluten willen so
wird, wie sie werden soll, demonstriert die Wissenschaftslehre als darstellendes
Dargestelltes, als Organ und Gegenstand des absoluten Wissens. Anders als bei
Hegel sind die ,Modalkategorien' bei Fichte also formale und allgemeine Ver-
hältnismomente zwischen Absolutem und Nichtabsolutem (absolutem Wissen
und gewußter Welt), nicht wie bei ersterem 94 formelle Momente des Absoluten
selbst.
Das absolute Wissen ist für Fichte das weltkonstituierende Bild des Abso-
luten, die Deutung des Seins, aber das Absolute selbst bleibt - anders als bei
Hegel 95 - unbegreiflich und ist nur als Vernichtung des Begriffs quasi ,nihili-
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108 Dirk Cürsgen
stisch' zu erfassen. 96 Zwar gliedert das absolute Wissen die Kategorien und
Begriffe, die konkreten Prinzipien des erscheinenden Seins insgesamt in sich
und zeigt ihre Entwicklung aus bestimmten ,Urkategorien' heraus - analog der
Bewegung der reflexiven Selbstvermittlung der Kategorien zwischen Ich und
Nicht-Ich in der Wissenschaftslehre 1794 - , aber keine in sich reflexive Totalität
aller Begriffe in einer absoluten Subjektivität kann das Absolute selbst sein. Das
Ich muß zugrunde gehen, damit die Vernunft rein zum Vorschein kommen
kann; 97 der Weg zum Absoluten fuhrt über das Selbstbewußtsein hin zur reinen
Einheit, in der Leben und Sein absolut geeint sind, was fur Fichte den zugleich
verborgensten und klarsten Gedanken darstellt, der sich fassen läßt. 98 Fichte
kennt so zwar keine begreifbare Einheit mehr über dem Sein, sondern setzt Sein
und absolute Einheit vielmehr gleich, 99 aber er erhebt das Absolute dennoch
über die reflexive, selbstvermittelte, selbstbewußte Einheit des mannigfaltigen
Vielen im absoluten Wissen, wie der Neuplatonismus das Eine über den Geist
stellt. Das Absolute kann als es selbst nie Gegenstand unmittelbaren Bewußt-
seins werden, das von der Disjunktion zwischen Subjektivem und Objektivem
abhängt, und sogar was die Reflexion angeht, so ist es allein in deren reiner
Bewegung und Form erscheinend anwesend, d. h. das Absolute ist nur ein sol-
ches fur das Bewußtsein und somit bloß in seiner bildlichen Erscheinung gege-
ben 100 - egal, ob es in das Sittengesetz, 101 die Freiheit, das Streben, die Liebe,
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Die Unbegreiflichkeit des Absoluten 109
Gott oder das Leben gelegt wird. Das Wissen vom Wissen ist die Phänomenolo-
gie, das Erscheinen des Absoluten, die sich in eine fünffache Hierarchie des Er-
scheinens und der Weltansichten entfaltet, d. h. in die Vielheit der Grundformen
von Bewußtseinsrelationen, Wissenschaften und dessen, was als Welt angespro-
chen wird.102
Das Erscheinende ist jedoch zugleich das Relationale, das als solches nicht
zu transzendieren ist, in dem man aber dennoch nicht befangen bleiben und das
man noch weniger selbst absolut setzen darf: Idealismus und Realismus schei-
tern fur sich genommen deshalb, weil sie in Zweiheit, Differenz und Relation
verharren, obwohl eine absolute Abstraktion von aller Relation nötig ist, durch
die Sein und Denken ineinander aufgehen und die den Singulumcharakter des
Absoluten aufweist.' 03 Der Begriff ist gleichwohl von seiner Form her nichts
anderes als Korrelationalität, als absolute Relation, die zuhöchst von den
konkreten Gliedern und Relata abstrahieren kann,104 nicht von der Relationsform
selbst. Diese besitzt der Begriff, weil er Sehen ist und die Einsicht vom Licht im
Bild darstellt (= Wissen), während das Licht für den Begriff immer nur das Ab-
gebildete ist, selbst hingegen vermutlich Sein und Sehen (Denken) eint und als
solches nicht festzuhalten ist. Das Licht verweist auf ein Schweben zwischen
absolutem Wissen, das in Gegensätzen und Vielheit verbleibt und eigentlich
Nichtsein ist, und absolutem Sein, das Eines ist und Nichtwissen. Das Licht ist
für das Denken potentiell, aber nicht aktual unendlich quantitabel, wohingegen
das Sehen in allen Ansichten105 die Qualität des Absoluten darstellt, wobei das
Wissen im Begriff stets in relationaler Form begreift und verfestigt wird.
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110 Dirk Cürsgen
106 Vgl. Fichte, Wissenschaftslehre (1805), 187-189: Das Absolute läßt sich nur in Relation
auf das Relative denken, ist also in der Lösung von der Relation auf sie bezogen. Es
bleibt ein Hiatus zwischen Denken und absolutem Sein, der ihren Zusammenhang un-
begreiflich macht, welcher faktisch aber immer schon in der Existenz gegeben ist.
107 Vgl. Fichte, Wissenschaftslehre (18042), 54 und 386; Wissenschaftslehre (1805), 295;
Wissenschaftslehre (1807), in: Gesamtausgabe, Bd. 11/10, hrsg. von R. Lauth, H. Gli-
witzky unter Mitwirkung von E. Fuchs, M. Ivaldo, P. K. Schneider, Α. M. Schurr-Lo-
russo, Stuttgart-Bad Cannstatt 1994, 112. - Das Eine ist der Grund und das Ziel der
Rückführbarkeit der Vielheit und ihrer Genesis, zu der auch das Bewußtsein mit seinen
Differenzen zählt: Vgl. J. G. Fichte, Wissenschaftslehre (1804'), in: Gesamtausgabe,
Bd. II/7, hrsg. von R. Lauth, H. Gliwitzky unter Mitwirkung von E. Fuchs, A. Mues,
P. K. Schneider, Stuttgart-Bad Cannstatt 1989, 69-70.
108 Vgl. Fichte, Wissenschaftslehre (18042), 7-8.
109 Vgl. Fichte, Wissenschaftslehre (18042), 118.
110 Vgl. dazu Janke, Vom Bilde des Absoluten, 29-49.
111 Vgl. Fichte, Wissenschaftslehre (18042), 154-155. - Die Wirklichkeit der Erscheinung
bezeugt die Wirklichkeit des Absoluten, denn das Bild ist einer Analyse vom Faktum
hin zum Absoluten fähig: In der Erfahrung ist das erscheinende Sein unmittelbar im
Bild gegeben; die Transzendentalphilosophie gewinnt in der Reflexion daraus das Bild
des Bildes; die Wissenschaftslehre aber weiß erst, weil sie das Bild des Bildes als Bild
erkennt. Diese Analyse stellt also ein Verhältnis zwischen drei Verhältnisgestalten der
differenten Einheit von Begreifen und Begriffenem her.
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Die Unbegreiflichkeit des Absoluten 111
112 Vgl. Plotinus, Enn. VI 8, 18. - Zum Verhältnis von Fichte zu Plotin vgl. Η. M. Baum-
gartner, Die Bestimmung des Absoluten. Ein Strukturvergleich der Reflexionsformen
bei Johann Gottlieb Fichte und Plotin, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 34
(1980), 321-342; Coreth, Vom Ich zum absoluten Sein, 264; E. Husserl, Aufsätze und
Vorträge (1911-1921), hrsg. von T. Nenon, H. R. Sepp, Dordrecht, Boston, Lancaster
1987, 281-283; J. Halfwassen, Geist und Subjektivität bei Plotin, in: Probleme der Sub-
jektivität in Geschichte und Gegenwart, hrsg. von D. H. Heidemann, Stuttgart-Bad
Cannstatt 2002, 245, 254, 257 und 262.
113 Zu Fichtes Bildbegriff und dessen Plotinischen Aspekten vgl. C. Asmuth, Die Lehre
vom Bild in der Wissenstheorie J. G. Fichtes, in: Sein - Reflexion - Freiheit. Aspekte
der Philosophie Johann Gottlieb Fichtes, hrsg. von C. Asmuth, Amsterdam, Philadel-
phia 1997, 271-275 und 288-299. - Die Wissenschaftslehre als Bild des Absoluten
bleibt immer in einer formalen Zweiheit befangen. Das Bild stellt das Problem der Rela-
tion von Absolutem und Relativem dar, während es in der Kantischen Schematismus-
lehre den Übergang von Begriffen zur sinnlichen Anschauung in Zeitbestimmungen be-
werkstelligen soll.
114 Daß Fichte damit Heideggers Terminologie vorgreift, ist offensichtlich: Vgl. Fichte,
Anweisung zum seeligen Leben (1806), 86-88. Auch Heideggers Deutung der Platoni-
schen Ideen als „Aussehen", „Hinsicht", „Anblick" oder „Ansicht" (vgl. M. Heidegger,
Piaton: Sophistes (Marburger Vorlesung Wintersemester 1924/25), in: ders., Gesamt-
ausgabe, Bd. 19, hrsg. von I. Schüßler, Frankfurt a. M. 1992, 333-335, 392-398, 465-
466, 548-549 oder 566-569; ders., Vom Wesen der Wahrheit. Zu Piatons Höhlengleich-
nis und Theätet, ebd., Bd. 34, hrsg. von H. Mörchen, Frankfurt a. M. 1988, 48-52, 70-
72, 101-105, 111-112, 298-299 oder 312) steht in der Tradition von Fichtes Deutung der
Idee als „Gesicht": Vgl. J. G. Fichte, System der Sittenlehre (1812), in: Nachgelassene
Werke, Bd. III, Bonn 1834/35, Nachdr. Berlin 1971, 31 und 42-43).
115 Vgl. Fichte, Anweisung zum seeligen Leben (1806), 49-53; Wissenschaftslehre (1804'),
151-153.
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112 Dirk Cürsgen
men gegeben und zu sehen (Einheit von Identität und Differenz), so daß die
Relationsform des Begriffs die formale Differenz (Negation) zum Absoluten
ausdrückt, zugleich jedoch die (relational) beschränkte Gegebenheit der ,Sache'
des Absoluten, ihr Erscheinenkönnen fur uns, erst möglich macht.
Der Mensch ist als Dasein des Seins imago dei, wie auch das reine Denken
nur göttliches Dasein indiziert, nicht Gottes Sein selbst, womit die Differenz von
Sein und Dasein in der Beschränkung unseres Denkens 116 gründet, der Form des
Begriffs - als Bild des Absoluten - , also in der Relationalst als Form der Diffe-
renz von Absolutem und Erscheinung - wie auch bei Proklos die Relation die
Form aller Begriffe und ihrer Differenz zum Absoluten ausmacht. Das Dasein
als Bewußtsein des Seins kann dieses nur in relationaler Form denken, obgleich
ihre Inhalte dieselben sind; 117 die formale Differenz zwischen beiden liegt aber
im Dasein, weshalb es seine Differenz zum Absoluten - und damit sich selbst -
als formal begreift und reflektiert, also sein Bildsein als Formdifferenz erfaßt.
Das Dasein vernichtet sich und seine Begrifflichkeit am Sein und gewinnt sich
darin als Selbstbewußtsein (Geist), begreift seine Existenz, aber nicht seine Ge-
nese bzw. deren Grund.
Jenseits der Form des Wissens sind Sein und Dasein eins, so daß das Rätsel
des Hervorgangs in der Form liegen muß, das Bild jedoch immerhin sein deriva-
tives Sein sowohl durch seine inhaltliche Identität als auch durch seine formale
Differenz zum Absoluten gewinnt und erkennt, denn beide Momente jeweils
allein höben das Bild als Bild auf. Das Geflecht von Differenz, Endlichkeit,
Bild, Bestimmen, Form, Relation und Begriff (als Wesen des Wissens) konver-
giert mit der Rolle der Negation im späten Neuplatonismus: Der Begriff ist Aus-
druck der weltschöpferischen Kraft des Absoluten, 118 weil er mit seiner korrela-
tiven ,Ais-Natur' das Absolute als etwas begreift, beschränkt, negiert und damit
das Negierte hervorbringt. Die Vernichtung des Begriffs 119 - der als solcher
relative Form besitzt und in der Negation sein Verhältnis zum Absoluten in
Gestalt der Urbild-Abbild-Beziehung 120 gewinnt - am Absoluten verbürgt seine
Gültigkeit für das Erscheinungsganze, das er in sich gliedert. Die Realität des
Absoluten kann allein im Vollzug gelebt werden, so wie die Negation bei Pro-
klos der Vollzug des Absoluten und sein Hervorbringen des Bedingten ist, wo-
mit die Negation zur Urkategorie wird, die immer relationale Form hat und alle
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Die Unbegreiflichkeit des Absoluten 113
Begriffe und Kategorien dergestalt statuiert. Die Negation bezieht alle Begriffe
auf das Absolute und leitet sie negativ aus ihm ab, so daß durch die Negation
Absolutes und relative Begriffe negativ korrelativ werden. Inhaltlich entfalten
Sein und Denken das, was auch das Absolute ist, aber ihre Einheiten sind formal
andersartig (absolute vs. relational-vielheitliche, begriffsformige Einheit). Der
Begriff steht als notwendig vermittelte Einheit im Gegensatz zur unmittelbaren
Einheit des Absoluten, die der Mensch als Organ der Wissenschaftslehre zwar
vollzieht, die sich allerdings nur im Vollzug des Begreifens, nicht im Begriff
selbst äußert. 121
Das Bewußtsein findet statt absoluter Einheit durch den Begriff immer nur
differente Einheit, d. h. Begriffe und Bestimmungen, die einander korrelieren,
oder den Unterschied von begreifendem Vollzugsakt und begriffener Bestim-
mung; auch das Denken selbst läßt sich nur im bestimmten Gedanken .Denken'
als Akt vergegenwärtigen, nicht unmittelbar. Der Begriff begreift sich als Be-
griff, aber nicht den immer gleichen Vollzug des Begreifens selbst, 122 weil er
nur die Form des Bewußtseins ist und als solche alles qua Negation voneinander
trennend bestimmt, um es dann wieder relational zur Einheit zu verbinden. Der
Begriff eint Identität und Differenz und ist somit zu Recht von seiner Form her
absolute Relation. 123 Vollzug und Produkt des Begriffs sind notwendig Einheit,
aber um das Produkt zu gewinnen, entzieht sich dem Begriff die Einheit des
Denkvollzuges als Grund des Begriffs. Deshalb muß das Bewußtsein durch sich
selbst von sich, vom fixen Begriff, vom Sehen abstrahieren, um das Absolute (in
sich) sehen zu können. 124 Damit geht freilich - wie im Neuplatonismus - die
Hypostasierung der Negation einher, weil der Begriff nicht eigentlich vom Sub-
jekt, sondern durch die Selbstkonstitution des Absoluten in uns negiert wird und
dadurch von diesem nicht, vom Bewußtsein und der Erscheinung jedoch gilt.
Der Vollzug des reinen Begreifens negiert den Begriff und zeigt damit die Her-
vorbringung des Absoluten durch sich in uns. Das Bewußtsein ist erscheinendes
Begreifen des Absoluten, wenn es den lebendigen Vollzugsakt des Begreifens
intendiert; es ist als feststehender Begriff Schein des Absoluten, äußeres gegen
inneres Licht. Begriff und Bewußtsein hängen an Zweiheit, Differenz und Ge-
gensatz, während das Absolute reine Einheit sein muß, weder in sich noch nach
außen Beziehung oder Dualität aufweisen darf. 125 Hervorgang bedeutet Spal-
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114 Dirk Cürsgen
tung, die vom Gespaltenen her nur durch den Rückgang auf seinen immanenten
Urakt, vom Absoluten her gar nicht begreiflich zu machen ist. Im Vollzugsakt
des absoluten Lichts, wo Selbstbelebung (Subjekt) und Selbsthypostasierung
(Sein) ununterscheidbar sind, werden wir selber zum einen teillosen Sein, wer-
den wir als wir selbst eins mit seinem Inhalt, weil von aller Form, Disjunktion
und Begrifflichkeit abstrahiert wurde. 126 Das selbstbewußte, reflexive Wissen
geht im Licht auf und vereinigt sich mit dem Absoluten im Akt der Henosis und
des Versinkens der Selbstheit. Dies erfolgt indessen nicht bewußtlos und unter
Verlust der Individualität, 127 sondern als überreflexive Liebe, 128 die die Einheit
129
mit dem Einen ersehnt, weil man das, was man für das Sein hält, liebt und er-
strebt.
Das Verhältnis von Absolutem und Erscheinung entfaltet Fichte in seinen
späteren Schriften noch weitergehend. Einerseits ist die Erscheinung nur da-
durch, daß das Absolute ist, andererseits erscheint das Absolute als etwas von
seiner Erscheinung Unzertrennliches. 130 Die absolute Erscheinung Gottes ist nur
in einem Bild ihrer selbst, und wenn die Erscheinung erkennt, daß sie Erschei-
nung ist - durch die Negation am Absoluten - , dann erkennt sie sich zugleich als
Bild des Absoluten und ihrer selbst im Begreifen ihrer selbst; das Bild wird dann
in der Folge mit dem Begriff, dem absoluten Wissen oder der Wissenschaftsleh-
re identifiziert. Dadurch wird es möglich, das Erscheinende in sich als genetisch,
als Werden des Erscheinens zu begreifen, das ein Bild des immanenten Lebens
des Absoluten selbst ist. Die Erscheinung bleibt somit Erscheinung des Absolu-
ten, ist also nicht nichts, ist aber auch nicht das Absolute selbst in seiner Ver-
borgenheit und Immanenz in sich. 131 Die kleinste Erscheinung kann nicht nicht
sein, so gewiß die Erscheinung Gottes überhaupt ist, und die Erscheinung Gottes
- das Sein - ist, so gewiß Gott ist. 132 Fast alle beschriebenen Grundstrukturen
der Beziehung zwischen Absolutem und Sein bzw. der aus dieser Beziehung
notwendig resultierenden Struktur des Seins in sich kommen mit den Ansichten
des Neuplatonismus überein, sei es der Status der Negation als doppeltes Ver-
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Die Unbegreiflichkeit des Absoluten 115
hältnis des Seins zum Absoluten und des Absoluten zum Sein, durch den jede
Bestimmung vom Absoluten nicht gilt, dadurch jedoch ihren bestimmten Ort im
Sein genetisch ableitbar zugewiesen bekommt, sei es die Ordnung des Seins als
sukzessive, gestufte Ordnung von Erscheinungen, sei es der doppelte Weg zum
Absoluten hin und wieder zurück, während das Absolute in sich bleibt, was den
drei Momenten der neuplatonischen Genesis - μονή, πρόοδος und έπιστροφή -
entspricht.
Noch deutlicher treten die inhaltlichen Parallelen etwa in der Wissen-
schaftslehre von 1812 hervor, wenn Fichte ζ. B. sagt, das Ende des Denkens sei
der Begriff des Absoluten als dessen Bild; das Absolute sei kein Faktum mehr,
nichts, was man mit Denkgesetzen oder (logischen) Bestimmungen noch erfas-
sen könnte. 133 Das erscheinende Bild wird zum Ende unseres Denkens, das sich
als Nichtabsolutes erkennt und dadurch erst selbst positiv bestehen kann. Die
Wissenschaftslehre geht hier von dem Satz aus: ,Eins ist', und außer diesem
Einen ist nichts; 134 nichts ist außer Gott als seine Erscheinung, die ohne ihn nicht
und nicht durch sich selbst ist. 135 Aufgrund solcher Sätze läßt sich geradezu von
einer .transzendentalen Henologie' Fichtes sprechen, die den Grundpfeiler sei-
nes Denkens abgibt. Das Denken und alles Gedachte werden selbst zum Er-
scheinen des Absoluten, und als bestimmtes Erscheinen wachsen ihnen ein tran-
szendentalphänomenologischer Sinn und Status zu sowie ihr systematischer Ort
im Ganzen des Erscheinens überhaupt. Die höchste Stufe, die sich in der Totali-
tät des Erscheinens erreichen läßt, bildet das Verstehen des Erscheinens, das
sich selbst versteht, der Verstand. Damit Gott verstanden werden kann, muß er
erscheinen, wobei dieses Erscheinen wiederum verstanden werden kann, das
Verstehen aber von sich selbst verstanden werden muß - analog dem neuplato-
nischen Geistbegriff. Das sichverstehende Verstehen bedeutet die absolute
Form, in die das absolute Sein gebracht werden muß, um verstanden werden zu
können, so daß der Verstand die absolute Seinsform bildet. 136 Der Verstand ver-
steht sich als Bild des Absoluten, aber diese Selbst-Verständlichkeit läßt sich nur
der Form nach beschreiben, woraus folgt, daß der absolute Verstand sich als
Bild des absoluten Seins versteht und zugleich Bild seiner selbst ist. 137 Gott
kann nicht unmittelbar erscheinen, sondern nur in der Form des Verstehens sei-
nes Erscheinens, 138 womit Fichte die erkenntnistheoretische Herkunft der tran-
szendentalphilosophischen Absolutheitsproblematik aus dem Kantischen Ding
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116 Dirk Cürsgen
139
an sich metaphysisch und henologisch überhöht. Das Erscheinen ist Erschei-
nen des singulären Absoluten im und für das Verstehen des Absoluten; nichts
anderes könnte für etwas anderes erscheinen, und die Singularität dieses Ver-
hältnisses drückt seine Notwendigkeit und die Undenkbarkeit seines Anders-
seins aus.
Es ist aber hinter allen metaphysischen und ontologischen Spekulationen
der alte, antike und christliche Gedanke der Philosophie als Lebensform, der bei
Fichte - vielleicht mehr als bei jedem anderen Denker seiner Epoche - in dieser
und in vielen weiteren Gestalten im Hintergrund steht und dennoch in einer neu-
en und ursprünglichen Form bei ihm zum Ausdruck kommt, die es ihm verbie-
tet, sich auf eine Tradition festzulegen und sich ihr vorbehaltlos anzuschließen,
und sei es auch diejenige Kants, an der Fichte auf eigentümliche Weise sein
Leben lang festhielt. Wenn Fichte den sittlichen Wert der Wissenschaftslehre für
das Subjekt (die Umbildung des Menschen 140 ) und die Menschheit hervorhebt,
die Notwendigkeit eines lebendigen Gottesbegriffes, 141 des Gewissens 142 oder
der Freiheit 143 betont, den wahren Gelehrten als „Liebe zur Idee" 144 bestimmt
oder die Bedeutung der Liebe für die höchstmögliche Annäherung an Gott und
die menschliche Seligkeit stark macht, 145 dann wird damit offensichtlich, daß
das Praktische und die Gestaltung des Lebens immer das Ziel aller theoretischen
Reflexionen bleiben. Dabei zählt der Piatonismus für Fichte sicherlich zu derje-
nigen Tradition, welche die wahre Philosophie 146 in seinem Sinne verkörpert
und deshalb auch Eingang in sein Denken beanspruchen darf.
139 In dieses tote, dingliche Sein das Absolute zu setzen, lehnt Fichte ab: Wissenschaftsleh-
re (18042), 12.
140 Vgl. Fichte, Wissenschaftslehre (1813), 8-10.
141 Vgl. Fichte, Anweisung zum seeligen Leben (1806), 89-93.
142 Vgl. Fichte, Die Bestimmung des Menschen (1800), 261-262.
143 Vgl. Fichte, Darstellung der Wissenschaftslehre (1801/02), 193-194.
144 Vgl. Fichte, Über das Wesen des Gelehrten (1806), 67-73.
145 Vgl. Fichte, Anweisung zum seeligen Leben (1806), 55-61 und 166-169.
146 Das Wissen vom absoluten Sein hat einen grundsätzlich theologischen Charakter: Fich-
te verbindet alle Quellen einer „heiligen Philosophie", des wahren Idealismus (Kant,
Piaton, Christus, Johannes-Evangelium), zu einem inhaltlich übereinstimmenden Sy-
stem: Vgl. ders., Metaphysik, Erlangen, 1805, in: Gesamtausgabe, Bd. II/9, 157-158;
Logik, Erlangen, 1805, ebd., 96. Dieses Konzept findet sich bereits im Neuplatonismus
oder bei Marsilio Ficino. Im Gegensatz zur Antike betont Fichte jedoch den vollenden-
den Charakter seiner Philosophie, nicht deren reproduktiven Sinn. Vgl. Fichte, Anwei-
sung zum seeligen Leben, 73-74 und 110.
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Die Unbegreiflichkeit des Absoluten 117
Die Berührungspunkte, die bereits das frühe Denken Fichtes zum Neuplatonis-
mus verzeichnet und sichtbar werden läßt, treten mit besonderer Deutlichkeit
und klarer Fortentwicklung bei einem seiner heute vergessenen Nachfolger und
Fortsetzer hervor: bei Johann Baptist Schad. In seinem Neuen Grundriss der
transcendentalen Logik nach den Principien der Wissenschaftslehre bemüht er
sich an verschiedenen Stellen und in unterschiedlichen Kontexten immer wieder
darum, das Verhältnis zwischen Absolutem (Gott oder Gottheit) und Denken zu
erhellen. Dabei wird das Absolute grundsätzlich als das gedacht, was sich nicht
denken läßt; in dieser Negation und diesem Widerspruch des Denkens von und
zu sich selbst - auf formaler und inhaltlicher Ebene - erkennt es jedoch zugleich
seine negative Beziehung zum Absoluten und sich selbst sowie alles relative
Sein als vorzügliche Verfehlung des Absoluten, aus der heraus es existiert bzw.
als existierend gedacht werden muß. 147 Wenn weitergehend das Absolute als
Einheit ohne jedwede innere Relationalität und Differenz ausgewiesen wird, 148
wobei die Relation - im Gegensatz zu Fichtes frühem Denken (das 1794 die
Realität an diese Stelle setzt) - zur Zentralkategorie erhoben wird, 149 dann tritt
in diesen Gedanken eine Fortsetzung fundamentaler Grundsätze auch des Neu-
platonismus zutage. (Fichte erhebt erst ab 1798 die drei Kantischen Relationska-
tegorien zu Zentralkategorien, unter denen er wiederum die Wechselwirkung
hervorhebt. 150 Die drei Relationskategorien 151 korrespondieren sachlich den drei
147 Vgl. J. B. Schad, Neuer Grundriss der transcendentalen Logik nach den Principien der
Wissenschaftslehre, Jena, Leipzig 1801, 74-84, 96-98, 154, 169-170, 305, 353-354, 365-
366 und 385-387.
148 Vgl. Schad, Neuer Grundriss der transcendentalen Logik, 447-449.
149 Vgl. Schad, Neuer Grundriss der transcendentalen Logik, 35.
150 Vgl. J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, in: Gesamtausgabe, Bd. IV/2, hrsg.
von R. Lauth, H. Gliwitzky unter Mitwirkung von J. Manzana, E. Fuchs, K. Hiller,
P. K. Schneider, Stuttgart-Bad Cannstatt 1978, 205 und 229.
151 Der Versuch, Kants Kategorientafel mit der Platonischen Prinzipienlehre in Einklang zu
bringen, um ihre gegenseitige Erhellung zu fördern, findet sich auch etwa bei C. G. Bar-
diii in dessen Philosophischer Elementarlehre, Landshut 1802, Nachdr. Brüssel 1981,
70-74, oder bereits beim frühen Schelling, der besonders den Timaeus und den Philebus
heranzieht. Piaton entfaltet für Schelling Kants Kategorien, unter die das Dasein in der
Welt zu subsumieren ist, und überträgt dabei das Subjektive auf das Objektive, wodurch
es zu einem vermittelnden Übergang zwischen den Kategorien kommt, der bei Kant
fehlt; πέρας (= Einheit) und άπειρον (= unbestimmte Vielheit), die als Qualitäts-, Fun-
damentalkategorie und Grundgegensatz gedeutet werden, lassen das Verhältnis aller
Kategorien als Vermittlung dieses Grundgegensatzes erscheinen, im κοινόν als Quanti-
tät, in der α ι τ ί α als Tat der Vermittlung und Kausalität. Vgl. D. Henrich, C. Jamme, Ja-
kob Zwillings Nachlaß. Eine Rekonstruktion. Mit Beiträgen zur Geschichte des spekula-
tiven Denkens, Bonn 1986, 86-87. Zum historischen Hintergrund dieser Kategoriendeu-
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118 Dirk Cürsgen
Relationshinsichten des Einen bei Proklos mit ihren Bezügen zu sich, zu ande-
rem und zu sich und anderem in einem. 152 ) Das Absolute als absolutes Sein,
Realität und (freies) Handeln ist nicht (relational) denkbar, 153 sondern nur intel-
lektuell anschaubar; 154 gleichwohl gilt, daß man Gott - in seiner Nähe zum oder
gar Identität mit dem Absoluten - dann, wenn man ihn denkt, trinitarisch denken
muß,155 so daß die Trinität der disjunktiven Notwendigkeit unterliegt.
tung in Schellings Timaeus-Exegese vgl. O. F. Summerell, „[...] wie die Vernunft die
Idee der Welt subjektiv erzeugt". Zur Theorie des Vorstellungsvermögens in Schellings
7i'maeMs-Kommentar, in: Imagination - Fiktion - Kreation. Das Kulturschaffende Ver-
mögen der Phantasie, hrsg. von Th. Dewender, Th. Welt, München, Leipzig 2003, 303-
315.
152 Vgl. Proclus, In Parmenidem 1103, 22-1104, 6.
153 Vgl. Schad, Neuer Grundriss der transcendentalen Logik, 324.
154 Vgl. Schad, Neuer Grundriss der transcendentalen Logik, 247-249.
155 Vgl. Schad, Neuer Grundriss der transcendentalen Logik, 268.
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JOHANN KREUZER
Immanuel Kant hat das behauptende Setzen einer intellektuellen Anschauung' ei-
ne „nichts kostende Apotheose von oben herab" genannt.1 Georg Wilhelm Fried-
rich Hegel wird in der Phänomenologie des Geistes der Unmittelbarkeit .anschau-
enden Denkens' entgegenhalten, daß es in die „träge Einfachheit zurückfällt, und
die Wirklichkeit selbst auf eine unwirkliche Weise darstellt".2 Zuvor hatte freilich
Johann Gottlieb Fichte die .intellektuelle Anschauung' ins Zentrum frühidealisti-
scher Reflexion gerückt.3 Und Friedrich Hölderlin?
Hölderlin versucht, noch ehe er Fichtes Kolleg im Winter 1794/95 in Jena be-
sucht, Kant mit Piaton zu verbinden. Genauer kreisen seine ersten eigenständigen
.Gehversuche' um die Verbindung des Faktums und des Datums ästhetischer Er-
fahrung mit der Kritik an den Bedingungen der Möglichkeit, die uns zu Begriffen
kommen lassen. Im Juli 1794 spricht Hölderlin deshalb Neuffer gegenüber von sei-
nen „kantischästhetischen Beschäftigungen" und schreibt zur gleichen Zeit an He-
gel: „Meine Beschäftigung ist jetzt ziemlich konzentrirt. Kant und die Griechen
sind beinahe meine einzige Leetüre. Mit dem ästhetischen Theile der kritischen
Philosophie such' ich vorzüglich vertraut zu werden." 4 Mit .den Griechen' ist ins-
besondere Piaton gemeint.5 Im Oktober 1794 faßt Hölderlin dann die program-
matischen Ergebnisse seiner .Beschäftigung' in einem Brief an Neuffer zusammen.
Er spricht von einem „Aufsatz über die ästhetischen Ideen" und hält pro-
grammatisch fest, daß er als ein Kommentar zu Piatons Phaedrus zu lesen sei;
1 I. Kant, Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie, in: ders., Ge-
sammelte Schriften, hrsg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaf-
ten, Bd. 8, Berlin 2 1923, 390.
2 G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, in: ders., Gesammelte Werke, im Auftrag
der Deutschen Forschungsgemeinschaft hrsg. von der Rheinisch-Westfälischen Akade-
mie der Wissenschaften, Bd. 9, hrsg. von W. Bonsiepen, R. Heede, Hamburg 1980, 18.
3 Vgl. etwa J. Stolzenberg, Fichtes Begriff der intellektuellen Anschauung, Stuttgart 1986.
- Zum Ganzen vgl. auch D. Henrich, Konstellationen. Probleme und Debatten am Ur-
sprung der idealistischen Philosophie (1789-1795), Stuttgart 1991.
4 Vgl. J. C. F. Hölderlin, Brief an G. W. F. Hegel vom 10. Juli 1794, in: ders., Sämtliche
Werke, hrsg. von M. Knaupp, Bd. II, München 1992, 541; ders., Brief an C. L. Neuffer
vom 10./14. Juli 1794, ebd., 539.
5 Zu Hölderlins Piatonkenntnissen vgl. M. Franz, Schule und Universität, sowie ders.,
Theoretische Schriften, in: Hölderlin-Handbuch. Leben - Werk - Wirkung, hrsg. von
J. Kreuzer, Stuttgart, Weimar 2002, 67, 70 sowie 224-228.
weiter heißt es: „Im Grunde soll er eine Analyse des Schönen und Erhabenen ent-
halten, nach welcher die Kantische vereinfacht, und von der anderen Seite vielsei-
tiger wird, wie es schon Schiller zum Theil in seiner Schrift über Anmuth und Wür-
de gethan hat, der aber doch auch einen Schritt weniger über die Kantische Grenz-
linie gewagt hat, als er nach meiner Meinung hätte wagen sollen."6 Die Grenzlinie
wird mit der Antwort auf die Frage virulent, ob auch ästhetischer Erfahrung der
Status verallgemeinerbarer Erkenntnis zukommt. 7 Hölderlin geht hier von Anbe-
ginn einen eigenständigen Weg.8 Dieser Weg, ohne den die Geschichte des Deut-
schen Idealismus nicht geschrieben werden kann, setzt ein in der Tradition eines
ästhetisch adaptierten - über Ficino insbesondere Piatons Phaedrus und Symposium
verpflichteten - Piatonismus der ,Liebe und Schönheit'. 9 Dem Theorem und Be-
griffsgehalt der .intellektuellen Anschauung' kommt hier große Bedeutung zu. Höl-
derlin hat es - und mit ihm eine Spielart eines klassischen Piatonismus - zunächst
übernommen. Ihrer höchsten Bestimmung nach aber wird ihm die intellektuelle
Anschauung dann (mit Hegel zu reden) ein Vergangenes. Sie wird zu einem Ton
im Gefuge der „subjectiven Arten des Begründens", mit oder bei denen die „Ver-
fahrungsweise des poetischen Geistes ... unmöglich enden" kann. 10
6 J. C. F. Hölderlin, Brief an C. L. Neuffer vom 10. Oktober 1794, in: Sämtliche Werke,
Bd. II, 550-551.
7 Für I. Kant, Kritik der Urteilskraft, § 15, in: Gesammelte Schriften, Bd. 5, Berlin 2 1913,
293, bedeutet das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen", das die ästhetisch reflektieren-
de Urteilskraft auszeichnet, bekanntlich „schlechterdings kein Erkenntniß ... vom Ob-
ject". Freilich unterläuft Kant in der Kritik der Urteilskraft diese strikte Grenzziehung
mit der Erläuterung des Verfahrens der reflektierenden Urteilskraft selbst. Vgl. Kant,
ebd., §§ 35, 39, 69, 76-78, dazu J. Kreuzer, Ästhetik als Ethik. Überlegungen im An-
schluß an die .Kritik der Urteilskraft', in: Hölderlin. Philosophie und Dichtung (Turm-
Vorträge 5. 1992-1998), hrsg. von V. Lawitschka, Tübingen 2001, 14-16.
8 In einem Brief an F. I. Niethammer vom 24. Februar 1796, in: Sämtliche Werke, Bd. II,
615, berichtet Hölderlin ζ. B. bezüglich Schelling, daß das Gespräch mit ihm „nicht
immer accordirend" gewesen sei.
9 Vgl. D. Henrich, Der Grund im Bewußtsein. Untersuchungen zu Hölderlins Denken
(1794-1795), Stuttgart 1992, 134, 150-178, 270-275 und öfter. - Zur Piatonrezeption im
Tübinger Stift vgl. M. Franz, Schellings Tübinger Platon-Studien, Göttingen 1995, 9-
149.
10 Vgl. J. C. F. Hölderlin, Wenn der Dichter einmal des Geistes mächtig ist ..., in: ders.,
Theoretische Schriften. Mit einer Einleitung hrsg. von J. Kreuzer, Hamburg 1998, 46,
dazu J. Kreuzer, Einleitung, ebd., XXVIII-XXX.
I. Ästhetischer Piatonismus
11 Zu diesem Stichwort vgl. K. Düsing, Ästhetischer Piatonismus bei Hölderlin und Hegel,
in: Homburg von der Höhe in der deutschen Geisiesgeschichte. Studien zum Freundes-
kreis um Hegel und Hölderlin, hrsg. von C. Jamme, O. Pöggeler, Stuttgart 1981, 101-
117.
12 J. C. F. Hölderlin, Hyperion, in: Sämtliche Werke, Bd. I, München 1992, 657.
13 Hölderlin, Hyperion, 685.
14 Vgl. Piaton, Phaedrus 250bl-d8.
15 Vgl. Piaton, Phaedrus 249d4-5. - Daß wir am Schönen begreifen, was als göttlich Eines
erinnert ist, ist im übrigen nicht nur Plotin und Piaton, sondern insbesondere Piaton und
Augustin gemeinsam. Gerade bei Augustinus, Confessiones, lib. VII, cap. 17, ist es die
„memoria amans et desiderans", die jener ,pulchritudo' gilt, die als und als die Gott ge-
liebt wird; vgl. ebd., lib. X, cap. 27. Zum Ganzen siehe J. Kreuzer, Pulchritudo - vom
Erkennen Gottes bei Augustin, München 1995.
16 Vgl. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, 2. Aufl., in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 3,
Berlin 1911, B697-732.
ästhetischer Erfahrung wird, ist die prototypische Gegebenheit desjenigen, was mit
der intellektuellen Anschauung gedacht wird.
Im September 1795 schreibt Hölderlin an Schiller, „daß die unnachläßliche
Forderung, die an jedes System gemacht werden muß, die Vereinigung des Sub-
jects und Objects in einem absoluten - Ich oder wie man es nennen will - zwar äs-
thetisch, in der intellectualen Anschauung, theoretisch aber nur durch eine unend-
liche Annäherung möglich ist ,.." 17 Und im Februar 1796 will Hölderlin in seinen
„philosophischen Briefen ... das Prinzip finden, das ... vermögend ist, den Wider-
streit (zwischen dem Subject und dem Object) verschwinden zu machen, zwischen
unserem Selbst und der Welt ... - theoretisch, in intellectualer Anschauung, ohne
daß unsere praktische Vernunft zu Hilfe kommen müßte. Wir bedürfen dafür ästhe-
tischen Sinn .. ,"18 Was Hölderlin in dieser frühen Phase seines Denkens am Theo-
rem der intellektuellen Anschauung (bzw. „intellectualen" Anschauung - er folgt
meist der lateinischen Vorgabe ,intuitus intellectualis') interessiert, ist offenkundig,
daß mit ihm die erkenntnis- und bewußtseinstheoretische Bedeutung des Sinn-
gehalts ästhetischer Erfahrung beschreibbar wird. Die intellektuelle Anschauung
bezeichnet im frühidealistischen Diskurs den logischen Ort, an dem die Erkenntnis-
funktion dieses Sinngehalts ästhetischer Erfahrung bestimmt und erklärt werden
soll.19 Wenn Hölderlin später die intellektuelle Anschauung zu einem Ton depoten-
ziert und als „mythisches Subject Object" kritisiert (vgl. den fünften Teil dieser
Überlegungen), so zeigt das an, daß er sie hierfür nicht mehr als hinreichend erach-
tet. Was ,Piatonismus' heißt, erfährt damit einen fundamentalen Wandel: An die
Stelle einer die Bedingungen der Endlichkeit ästhetisch transzendierenden (oder
.versöhnenden') „Vereinigung" tritt die Anerkennung eben dieser Bedingungen
endlichen Daseins20 - und mit ihr die Realdialektik des Verschiedenen, die Piaton
im Sophistes in originärer und grundlegender Weise formuliert hat. Nicht zufallig
ist im Sophistes der primäre Ort für die Explikation der Logik der Verschiedenheit
des Endlichen ,Sprache'.21
Der Sache nach folgt Hölderlin dieser Logik der Verschiedenheit, wenn er an
die Stelle einer neuplatonisch inspirierten Piatonadaptation und ihrer Alleinheitsbe-
geisterung die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit der Sprache setzt. In sei-
nem umfangreichsten Versuch poetologischer Selbstverständigung wird Hölderlin
dann formulieren: „So wie die Erkenntniß die Sprache ahndet, so erinnert sich
die Sprache der Erkenntniß." 22 Doch zunächst zu seinen Anfängen.
Der Phaedrus verknüpft mit der Erklärung des Grundes ästhetischer Erfahrung in
der Kritik der Urteilskraft·, das ist das Programm, mit dem Hölderlin beginnt. Wenn
er vom Phaedrus und von der Kritik der Urteilskraft ausgeht, um über die Restrik-
tionen des Erkenntniskonzepts der Kritik der reinen Vernunft hinauszugelangen, so
heißt das aber nicht, daß er hinter deren Standards zurück wollte. Das zeigt sich
schon daran, wie seine eigenständige philosophische Arbeit beginnt - in jenen drei
thesenhaften Notaten, die Hölderlin auf dem herausgerissenen Vorsatzblatt eines
gebundenen Buches formuliert hat - und die 1961 zum ersten Mal unter dem Titel
Urtheil und Seyn veröffentlicht wurden. 23 Der Grundgedanke dieses zwei Seiten
umfassenden Fragments hat dann schnell Epoche gemacht. 24
Es setzt mit der Kritik der intellektuellen Anschauung ein - nicht einer Kri-
tik an ihrer Denkmöglichkeit, sondern an der positiven Setzung des damit Ge-
meinten: „Wo Subject und Object schlechthin ... vereiniget ist, mithin so verei-
niget, daß gar keine Trennung vorgenommen werden kann, ohne das Wesen
desjenigen, was getrennt werden soll, zu verlezen, da und sonst nirgends kann
von einem Seyn schlechthin die Rede seyn, wie es bei der intellectualen An-
schauung der Fall ist." 25 Dieses Sein ist weder positiv gegeben, noch bedeutet es
„Identität". 26 Es ist eine Denknotwendigkeit, die im Begriff der Teilung - der
22 Hölderlin, Wenn der Dichter einmal des Geistes mächtig ist ..., 58.
23 Entstanden sein dürften Hölderlins Notate in unmittelbarer Reaktion auf das Erscheinen von
Fichtes Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794): „Fichtes spekulative Blätter
- Grundlage der gesammten Wissenschaftlehre - auch seine gedrukten Vorlesungen über
die Bestimmung des Gelehrten werden Dich ser interessiren", schreibt Hölderlin im Brief
vom 26. Januar 1795 an G. W. F. Hegel, in: Sämtliche Werke, Bd. II, 568, sowie Schellings
Schrift Vom Ich als Princip der Philosophie. Zum Ganzen vgl. V. L. Waibel, Hölderlin und
Fichte. 1794-1800, Paderborn 2000.
24 Die Bedeutung von Urtheil und Seyn hat D. Henrich, Hölderlin über Urteil und Sein, in:
Hölderlin-Jahrbuch 14 (1965-66), 73-96, sowie ders., Hegel und Hölderlin, in: ders., Hegel
im Kontext, Frankfurt a. M. 1971, 9-40, hervorgehoben und die Überlegungen zu dem aus
diesem Fragment sich ergebenden Denkraum in Konstellationen und in Der Grund im Be-
wußtsein zusammengefaßt. - Zu Seyn, Urtheil, ... als ,Grundriß' von Hölderlins Philoso-
phie vgl. auch M. Franz, Hölderlins Logik, in: Hölderlin-Jahrbuch 25 (1986-1987), 93-124.
25 J. C. F. Hölderlin, Seyn, Urtheil, ..., in: Theoretische Schriften, 7.
26 Hölderlin, Seyn, Urtheil, ..., 7: „Aber dieses Seyn muß nicht mit der Identität verwech-
Entgegensetzungen, in denen wir uns vorfinden - liegt. Das „Seyn" der intel-
lektuellen Anschauung ist in theoretischer Hinsicht ein Noumenon in negativer
Bedeutung. 27 Die Rede von ihm ist Ausdruck einer logischen Implikation: Mit
dem Theorem der .intellektuellen Anschauung' wird diese Implikation gedacht.
Die Tätigkeit des Bewußtseins hat eine Voraussetzung, ohne die diese Tätigkeit
- das Faktum des Selbstbewußtseins - nicht erklärt werden kann. Diese Voraus-
setzung bzw. heuristische Denknotwendigkeit zeigt sich in den Formen dieser
Tätigkeit - und in den Entgegensetzungen, in die sie fuhrt. Formal betrachtet, ist
die Entgegensetzung, in der sich ein urteilendes Selbstbewußtsein in Differenz
zu dem erfährt, worüber oder was es urteilt, diejenige zwischen .Subjekt' und
,Objekt'. Diese Entgegensetzung hat für Hölderlin den Gedanken einer „Ein-
heit" (des „Seyn(s) schlechthin") zur notwendigen Voraussetzung. 28 Seiner in-
ternen Verfaßtheit - seinem intensionalen Sinn - wie seiner möglichen Erschei-
nung - seiner extensionalen Bedeutung - nach ist dieses Seyn Beziehung. Es ist
kein Gegenstand des Bewußtseins, sondern die Beziehung oder Wechselwirkung
(vgl. den vierten Teil dieser Überlegungen), in der sich Bewußtsein vorfindet.
Hölderlin entdeckt, daß Entgegensetzung die Erscheinung jener Einheit ist,
die als Grund des Geurteilten gedacht wird. Der entscheidende Satz lautet: „Im
Begriffe der Theilung liegt schon der Begriff der nothwendigen Beziehung des
Subjects und Objects aufeinander, und die nothwendige Voraussezung eines Gan-
zen wovon Subject und Object die Theile sind."29 Die Stelle des ,,Seyn[s] schlecht-
hin" wird mit dem Begriff einer notwendigen Beziehung' gefüllt. Aus der .not-
wendigen Voraussetzung eines Ganzen, wovon Subjekt und Objekt die Teile sind',
folgt deshalb gerade nicht, daß die Sphäre der Entgegensetzung auf jene gedachte
Einheit zurückzuführen oder in deren Wiedervereinigung zurückzunehmen wäre.
Die Einigkeit, die als Sein gedacht wird, und die Entgegensetzung der Sphäre der
.Urteile' schließen sich nicht aus. Die Entgegensetzung der Urteile ist gerade Er-
scheinung einer Beziehung, als deren Grund jenes Sein gedacht wird. Das .Ganze
vor' der bewußtseinstheoretischen Relation von Subjekt und Objekt ist als „Seyn
schlechthin" keine positive Behauptung; denn dies käme einem Rückfall in einen
vorkritischen Dogmatismus gleich. Schon die Rede über das in diesem Sein „in-
nigst vereinigte Subject und Object" teilt (oder urteilt es).30 Dieser unabdingbaren
seit werden. ... Identität [ist] keine Vereinigung des Objects und Subjects, die schlecht-
hin stattfände, also ist die Identität nicht = dem absoluten Seyn."
27 Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B334; ebd., 1. Aufl., in: Gesammelte Schriften, Bd.
4, Berlin 1911, A249-253, A278.
28 Hölderlin, Seyn, Urtheil, ..., 7.
29 Hölderlin, Seyn, Urtheil, ..., 7.
30 Hölderlin, Seyn, Urtheil, ..., 7.
In der logischen Explikation des mit dem Theorem der intellektuellen Anschau-
ung Gedachten radikalisiert Hölderlin Fichtes Gedanken der Wechselwirkung.
Er weitet Fichtes Bestimmung der Wechselwirkung - oder genauer: die Be-
stimmung der „synthetischen Einheit", die hier in „Thätigkeit und Wechsel"
wirksam ist - aus. 32 .Wechselwirkung' heißt, daß die „Möglichkeit ein Seyn an
sich, von einem Seyn im Wechsel abzusondern, ... geläugnet [wird]: beyde sind
gesezt als Wechselglieder, und sind außer dem Wechsel gar nicht gesezt." 33 Die
Form, die das in Wechselwirkung Entgegengesetzte erlangt, ist die der Relation.
Welche Synthesis ist nun mit der Bestimmung der Wechselwirkung als Relation
gegeben? Es ist eine Synthesis, die sich dadurch auszeichnet, daß in ihr die Ver-
bindung der Entgegengesetzten nicht auf eines der Relata hin aufgelöst wird.
Die Relation (des jeweils Verschiedenen) wird auf eine außerhalb der Relation
gegebene Verbindung nicht aufgelöst, vielmehr bestimmen sich die Relata
wechselseitig. Fichte formuliert: „Keins von beiden soll das andre, sondern
beide sollen sich gegenseitig bestimmen heißt: ... absoluter und relativer Grund
der Totalitäts-Bestimmung sollen Eins, und eben dasselbe seyn; die Relation soll
absolut, und das absolute soll nichts weiter seyn, als eine Relation." 34 Synthesis
durch Relation - das ist der logische Ort, den das Theorem der intellektuellen
Anschauung anzeigt. Weil sich an diesem durch die intellektuelle Anschauung
angezeigten logischen Ort zugleich der Erfahrungsgehalt des .ästhetischen
Sinns' erläutern läßt, erklärt sich Hölderlins Interesse an ihr.
Ohne den Gedanken der Einheit kann Verschiedenheit nicht gedacht wer-
den. Das ist Platonisch gleichsam eine Tautologie. Im frühidealistischen Diskurs
erlangt diese Tautologie anhand folgender Frage Brisanz: Wie kann der Gedan-
ke der Einheit erklärt werden, ohne daß man ein „Seyn" schlechthinniger Identi-
tät annimmt, „wie es bei der intellectualen Anschauung der Fall ist" 35 - wie
kann, anders gefragt, Einheit gedacht werden, ohne daß sie zu jenem Gedanken-
ding .Einheit' wird, in das oder auf das das Verschiedene zurückgeführt wird?
Hölderlin antwortet im Fragment philosophischer Briefe mit Sinn und Semantik
des Erinnerns. 36 Denn Erinnerung ist die Verbindung von Verschiedenem im
Bewußtsein seiner (zeitlichen) Verschiedenheit - und im Bewußtsein, daß der
Akt des Erinnerns von dem, was er verbindet, verschieden bleibt und eben da-
durch Verbindung (Synthesis) bewirkt.
Jenes „höhere Geschik", das der Mensch erinnernd - d. h. auf seine End-
lichkeit zurückkommend und sich seiner Endlichkeit entsinnend - erfährt, kann
„weder blos im Gedanken noch blos im Gedächtniß wiederholt werden ... Der
Gedanke erschöpft [seil, die unendlicheren mehr als nothwendigen Beziehungen
des Lebens, in denen der Mensch sich über die physische und moralische Not-
durft erhebt,] nicht." 37 Der Sinn des Erinnerns unterscheidet sich sowohl vom
Gedächtnis - sofern Gedächtnis für die Vorstellung eines inneren Vorstellungs-
speichers steht, der gleichsam parallel zur realen Sukzession des Zeitlichen und
unberührt von ihr verläuft - wie von der intellektuellen Anschauung: der Vor-
stellung eines intelligiblen Anschauens jenseits von Zeit. „Gedächtnis", „Ge-
danke" und intellektuelle Anschauung stehen bei Hölderlin fur eine zweistellige
Logik, in der ein zeitfreies Innen einem zeitbedingten Außen entgegengesetzt
wird, als bestünde ,Geist' in einem mentalen Bewußtseinsinnenraum, der dem
Wechsel der Zeit nicht unterliegt. Demgegenüber besteht der Sinn des Erinnerns
Zeitreihe möglich macht." Weder das als Speicher von Wahrnehmungen ge-
dachte Gedächtnis noch die zeitunabhängig und zeittranszendent vorgestellte in-
tellektuelle Anschauung machen Bewußtsein als fortlaufende Zeitreihe möglich.
Denn für beide ist Zeit etwas bloß Äußerliches, eine Abfolge von Zeitpunkten.
Die ,Einheit des Bewußtseins', die sich hier bildet, ist eine im Gegensatz zur
Zeit. Von diesem Bewußtseinsinnenraum eines zeitautarken Ichs wie seines Ge-
dächtnisses unterscheidet sich der reproduktiv-produktive Sinn der Erinnerung.
Denn die Erinnerung begründet, um es noch einmal zu wiederholen, eine Einheit
des Bewußtseins nicht im Gegensatz zur Zeit, sondern als Verbindung von zeit-
lich Verschiedenem. Nicht Einheit statt Differenz, sondern Einheit durch Diffe-
renz: An diese Struktur der produktiven Einbildungskraft knüpft Hölderlin mit
seinem Begriff der Erinnerung an. 39
38 Fichte, Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794), 350. - Fichte greift hier
nur das erste für die Zeitbestimmung von Kant, Kritik der reinen Vernunft, Β184, vor-
gegebene Schema auf: das der „Zeitreihe", w o es um die .quantitative Synthesis' „in der
sukzessiven Apprehension eines Gegenstandes" geht. Kommt es für die Einheit des
Bewußtseins in der Sukzession der Zeit aber nicht eher darauf an, was Kant, ebd., B255,
„Zeitordnung" nennt - jenes Schema also, das erklären soll, wie der „Fortgang in der
Zeit ... alles [bestimmt], und ... an sich selbst durch nichts weiter bestimmt [ist]"?
„Zwischen zwei Augenblicken ist immer eine Zeit", heißt es in der Kritik der reinen
Vernunft, B253, kurz vorher. Was zwei Augenblicke in ihrer zeitlichen Verschiedenheit
verbindet, ist der Sinn der Erinnerung. Das ist der Punkt, auf den sich Hölderlin bezieht.
39 Vgl. D. Henrich, Hegel und Hölderlin, 34. Was in Differenz zu Hölderlin nun „Hegels
eigentümlicher Gedanke" sei: „daß die Relata in der Entgegensetzung zwar aus einem
Ganzen verstanden werden müssen, daß dieses Ganze ihnen aber nicht vorausgeht als
Sein oder als intellektuale Anschauung, - sondern daß es nur der entwickelte Begriff
der Relation selber ist", so Henrich, ebd., 36 - dies ist in der Tat die Konsequenz aus
Hölderlins ursprünglicher Einsicht, wenn er nach Seyn, Urtheil, ... die logische Leer-
stelle, die das Theorem der intellektuellen Anschauung anzeigt, mit Sinn und Semantik
der Erinnerung füllt. Die Erinnerung wird zum Grundbegriff der Poetik, auf der sein
Spätwerk beruht. Dazu vgl. J. Kreuzer, Erinnerung. Zum Zusammenhang von Hölder-
lins theoretischen Fragmenten ,Das untergehende Vaterland ...' und, Wenn der Dichter
einmal des Geistes mächtig ist...', Königstein/Ts. 1985. Vgl. auch Anm. 33 und 34.
40 Das erklärt auch, weshalb „Hölderlin nach einem kurzen Interesse die intellektuale An-
schauung schließlich suspendiert" - so X. Tilliette, Hölderlin und die intellektuelle An-
schauung, in: Philosophie und Poesie. Otto Pöggeler zum 60. Geburtstag, Bd. 1, hrsg.
von A. Gethmann-Siefert, Stuttgart 1988, 233.
41 Vgl. J. C. F. Hölderlin, Das lyrische dem Schein nach idealische ..., in: Theoretische Schrif-
ten, 68.
42 Vgl. Hölderlin, Das lyrische dem Schein nach idealische ..., 71-73.
43 Zur Dreierstruktur von ,μονή - πρόοδος - έπιστροφή' bei Proklos vgl. W. Beierwaltes,
Proklos. Grundzüge seiner Metaphysik, Frankfurt a. M. 2 1979, 158-239; zu den Vorga-
ben bei Plotin vgl. H. J. Krämer, Der Ursprung der Geistmetaphysik. Untersuchungen
zur Geschichte des Piatonismus zwischen Piaton und Plotin, Amsterdam 2 1967, 312-
337.
44 Vgl. J. C. F. Hölderlin, Die tragische Ode ... (Grundzum Empedokles), in: Theoretische
Schriften, 79: „Die tragische Ode fängt im höchsten Feuer an, der reine Geist, die reine
Innigkeit hat ihre Grenze überschritten ... und so ist, durch Übermaas der Innigkeit, der
Zwist entstanden, den die tragische Ode gleich zu Anfang fingirt, um das Reine darzu-
stellen ... [S]ie muß aus den Extremen des Unterscheidens und der Nicht-unterschie-
denheit in jene stille Besonnenheit und Empfindung übergehen, ... und so gehet sie ...
aus der Erfahrung und Erkenntniß des Heterogenen ... in den Anfangston zurük."
als Metapher einer .intellectualen Anschauung' ist das lyrische Gedicht die Meta-
pher „Eines Gefühls" und das epische Gedicht die Metapher „großer Bestrebun-
gen".45 Die ,intellektuale Anschauung' gehört nun zu den drei ,Tönen' - sie wird
Moment im Tönewechsel.
Den Gehalt des mit dem Begriff der intellektuellen Anschauung Gedachten
expliziert Hölderlin nun dergestalt, daß diese „keine andere seyn kann, als jene
Einigkeit mit allem, was lebt, die ... zwar von dem beschränkteren Gemüthe nicht
gefühlt, die in seinen höchsten Bestrebungen nur geahndet, aber vom Geist erkannt
werden kann und aus der Unmöglichkeit einer absoluten Trennung und Vereinze-
lung hervorgeht, und am leichtesten sich ausspricht, dadurch, daß man sagt, die
wirkliche Trennung, und mit ihr alles wirklich Materielle Vergängliche, so auch die
Verbindung, und mit ihr alles wirklich Geistige Bleibende, das Objective, als sol-
ches, so auch das subjective, als solches, seien nur ein Zustand des Ursprünglich
einigen, in dem es sich befinde, weil es aus sich herausgehen müsse, des Stillstands
wegen, der [in diesem Ursprünglichen Einigen] nicht stattfinden ..." kann - denn
wäre das Eine = Stillstand, dann wäre es nicht das, was als prinzipiierendes Eines
soll gedacht werden können. Daß der höchsten Einigkeit der Zustand der Trennung
nicht ihr Gegenteil, sondern notwendig ist, nennt Hölderlin dann „nothwendige
Willkür des Zeus". 46
Was mit der intellektuellen Anschauung gedacht wird - höchste Einigkeit
usw. - , kann sich nur durch Trennung darstellen. Damit aber widerspricht die
Begriffsform der intellektuellen Anschauung - Wirklichkeit durch Trennung -
ihrem Begriffsgehalt (Aufhebung von Trennung in einem „Seyn" schlechthinni-
ger Einigkeit). Genau das wird zu Hölderlins entscheidendem Kritikpunkt am
Theorem der intellektuellen Anschauung.
Die ,Harmonie' der intellektuellen Anschauung ist bloße Überwindung von Dif-
ferenz, damit aber nicht wirklich Harmonie - keine wirkliche Einigkeit mit
allem, sondern eine Einigkeit im Gegensatz zu oder als Transzendenz von allem.
In Wenn der Dichter einmal des Geistes mächtig ist ... formuliert Hölderlin das
in bezug auf Zeit als Realgrund der Differenz bzw. als reale Natur dessen, was
der Einigkeit des Seins, die der Geist sich denkt, gegenüber anders ist. Nachdem
die „subjectiven Arten des Begründens" durchlaufen wurden, heißt es, daß in
der „Verfahrungsweise" des poetischen Geistes „noch ein wichtiger Punct"
fehle, da das reine poetische Leben „vermöge des Harmonischen überhaupt und
des zeitlichen Mangels ... sich durchaus einig" bleibe. 47 Dieses ,Sich-durchaus-
einig-Bleiben' ist als Einwand gemeint. .Zeitlicher Mangel' heißt also nicht, daß
Zeit - als Bedingung der Sinnlichkeit und Endlichkeit - einen (durch das poeti-
sche Leben gegebenenfalls zu überwindenden) Mangel mit sich führe. Das wäre
ein sozusagen im klassischen Sinn Platonisierender Harmoniebegriff. Ihm setzt
Hölderlin entgegen, daß dem poetischen Leben Zeit mangelt. Diesen zeitlichen
Mangel faßt er fast im gleichen Atemzug als „Mangel in der Einigkeit" 48 auf.
Ihn gilt es zu überwinden. Bloße Einigkeit kann Einheit nicht erklären.
Mit den „verschiedenen Arten des subjectiven Begründens" läßt sich die
Verfahrungsweise des poetischen Geistes nicht hinreichend begründen. 49 Im
übrigen auch nicht mit der Lehre vom .Wechsel der Töne'. Denn Fazit der Dis-
kussion des Tönewechsels ist, daß ,noch ein wichtiger Punkt fehlt'. Dieser
,Punkt' ist derjenige Akt des .poetischen Geistes', „wodurch er seinem Ge-
schaffte ... die Wirklichkeit giebt". 50 Wenn mit dem Wechsel der Töne nicht
geklärt werden kann, daß sich der poetische Geist die Wirklichkeit gibt, dann
kann dieser - entscheidende - Akt des Geistes um so weniger mit der intellektu-
ellen Anschauung, die ein Teil im Gefuge des Tönewechsels ist, erklärt werden.
Damit ist die intellektuelle Anschauung nicht mehr Teil des Begründungszusam-
menhangs der „Verfahrungsweise" des poetischen Geistes, sondern ein Aspekt
des mit oder in einer solchen „Verfahrungsweise" allererst und selbst zu Be-
gründenden.
Daraus folgt die explizite Kritik der intellektuellen Anschauung, mit der
Hölderlin zugleich ihren Begriffsgehalt relativiert. Nicht die intellektuelle An-
schauung entspricht der Form der Wechselwirkung, die er zur Erklärung der
Identität des Selbstbewußtseins in seinen Akten von Fichte übernimmt, sondern
was er „transzendentale Empfindung" nennt. 51 Die transzendentale Empfindung
47 Hölderlin, Wenn der Dichter einmal des Geistes mächtig ist..., 45.
48 Hölderlin, Wenn der Dichter einmal des Geistes mächtig ist..., 45.
49 Hölderlin, Wenn der Dichter einmal des Geistes mächtig ist ..., 44. Die „verschiedenen
Arten des subjectiven Begründens" verbleiben innerhalb des idealistischen Bewußt-
seinsparadigmas. Hölderlins Logik der Dichtung fuhrt als Konsequenz der .Revolutio-
nen der Denkungsart' bei Kant und Hegel jenseits dieser Grenze. Dazu vgl. B. Lie-
brucks, Sprache und Bewußtsein, Bd. 7: „ Und". Die Sprache Hölderlins in der Spann-
weite von Mythos und Logos, Bern, Frankfurt a. M., Las Vegas 1979. - Zum Stichwort
jenseits des Idealismus' vgl. Jenseits des Idealismus. Hölderlins letzte Homburger Jah-
re (1804-1806), hrsg. von C. Jamme, O. Pöggeler, Bonn 1988.
50 Vgl. Hölderlin, Wenn der Dichter einmal des Geistes mächtig ist ..., 45: „so fehlt in der
Verfahrungsweise des poetischen Geistes noch ein wichtiger Punct, wodurch er seinem
Geschaffte nicht die Stimmung, den Ton, auch nicht die Bedeutung und Richtung, aber
die Wirklichkeit giebt."
51 Vgl. J. Kreuzer, Vom Ich zur Sprache: Fichte und Hölderlin, in: Fichte und die Literatur,
hrsg. von H. Girndt, K. Hammacher, Amsterdam, N e w York 2002, 185-198.
steht für die Erfüllung der Forderung, „eine Erinnerung zu haben", die erst die
„Identität der Begeisterung" unter den Bedingungen der Endlichkeit realisierbar
macht.52
, Wechselwirkung' heißt - noch einmal die zentrale Bestimmung - , daß die
„Möglichkeit ein Seyn an sich, von einem Seyn im Wechsel abzusondern, ...
geläugnet [wird]: beyde sind gesezt als Wechselglieder, und sind außer dem
Wechsel gar nicht gesezt".53 Angewandt auf Form wie Gehalt der Erinnerung,
heißt das, daß gerade deren ,Sein' nicht positiv gegeben ist - auch nicht als das
,Sein' einer Inwendigkeit, „wie das bei der intellectualen Anschauung der Fall
ist". Was Hölderlin als „transcendentale Empfindung" expliziert, bedingt keine
bloße „Harmonie, wie die intellectuale Anschauung und ihr mythisches bildli-
ches Subject Object".54 Die Beziehung von ,Subjekt' und .Objekt' als Einheit
beider zu denken - wie in intellektueller Anschauung - wird dem Begriffsgehalt
des Gedankens dieser Einheit nicht gerecht; denn Einheit gibt es nur durch oder
in Entgegensetzung (Differenz, Verschiedenheit), nicht durch deren Auflösung.
Analog gibt es Erinnern nur im Wechsel, jeweils nur in Beziehung. Es erschöpft
sich nicht in einer vom (,äußeren', zeitlichen) Wechsel unabhängigen (^inne-
ren') Harmonie mentaler Selbstbeziehung. Nur in ,äußerer', der Bedingung der
Zeit selbst unterliegender Form findet sich das ,innere' Beziehungsgefüge, das
die transzendentale Empfindung' auf Grund der Erinnerung ist, wirklich wie-
der.
Die intellektuelle Anschauung bedeutet „bloße Harmonie" und führt einen
„Verlust des Bewußtseins und der Einheit" mit sich.55 Ihr „mythisches bildliches
Subject Object" hat einen „zeitlichen Mangel".56 In intellektueller Anschauung ist
man sich „des eigentlich [weil zeitlich bestimmten] Unendlichen zu wenig
bewußt".57 Deshalb stuft Hölderlin die intellektuelle Anschauung zu einem Moment
der relationalen Struktur „transcendentaler Empfindung" herab, die auf Grund der
52 Vgl. Hölderlin, Wenn der Dichter einmal des Geistes mächtig ist ..., 49: Es ist seine
(d. h. des poetischen Geistes) „lezte Aufgabe, beim harmonischen Wechsel einen Faden,
eine Erinnerung zu haben ... Dieser Sinn ist eigentlich poetischer Karakter ... poetische
Individualität - und dieser allein ist die Identität der Begeisterung ... [,] die Vergegen-
wärtigung des Unendlichen, der göttliche Moment gegeben".
53 Fichte, Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794), 331.
54 Hölderlin, Wenn der Dichter einmal des Geistes mächtig ist ..., 57.
55 Hölderlin, Wenn der Dichter einmal des Geistes mächtig ist ..., 57.
56 Diese Kritik der intellektuellen Anschauung klingt wie eine vorweggenommene Kritik an
Fichtes Ergänzung in der Wissenschaftslehre, wo es 1802 heißt: ,Jch ist nothwendig Identi-
tät des Subjekts, und Objekts: Subjekt-Objekt: und dies ist es schlechthin, ohne weitere Ver-
mittellung" (Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794), 261, Anm. T). - Zum
„zeitlichen Mangel" des „Harmonischen überhaupt" vgl. Hölderlin, Wenn der Dichter ein-
mal des Geistes mächtig ist ...,45.
57 Hölderlin, Wenn der Dichter einmal des Geistes mächtig ist ..., 57.
Erinnerung des „eigentlich Unendlichen, welches durch sie als eine bestimmte
wirkliche Unendlichkeit, als außerhalb liegend bestimmt wird, ... empfänglich und
(größerer) Dauer fähig" ist.58
.Einheit' reproduziert sich nicht durch die Rückführung des Verschiedenen
(Äußeren, Zeitlichen) auf den Gedanken der Einheit - oder gar in der Rückfüh-
rung in die pure Einheit eines ,,Seyn[s] schlechthin". Einheit reproduziert sich
nur dadurch, daß sie sich in Relation zu einem von ihr Verschiedenen selbst
„empirisch individualisirt". 59 Die Form dieser empirischen Individualisierung ist
Sprache. Es sind Akte der Sprachfindung, in denen das Vermögen produktiver
Einbildungskraft zu einem „(transcendentalen) schöpferischen Act" wird. 60 Nur
„in der Äußerung kann gefunden werden", was nicht bloß „Ideal" ist und
„außerhalb der Äußerung nur in dem aus ihrer bestimmten ursprünglichen Emp-
findung hervorgegangenen Ideale gehofft werden kann". 61
Die Erinnerung bedarf der Sprache. Erst in Relation zu der äußeren Form
der Sprache wird die Relation wirklich, die Erinnern seinem Sinn nach ist.
Deshalb beantwortet Hölderlin die rhetorische Frage: „Ist die Sprache nicht wie
die Erkenntniß von der die Rede war?" mit dem Satz: „So wie die Erkenntniß
die Sprache ahndet, so erinnert sich die Sprache der Erkenntniß." 62
Der Zusammenhang von Erinnerung und Sprache stellt ein geradezu para-
digmatisches Beispiel für die Unhintergehbarkeit dessen dar, was Fichte als
Wechselwirkung bestimmt hat. Wenn Hölderlin davon spricht, ,die Sprache zu
ahnden', so behauptet er damit nicht, daß es im mentalen Innen des Geistes ein
58 Hölderlin, Wenn der Dichter einmal des Geistes mächtig ist..., 57.
59 Hölderlin, Wenn der Dichter einmal des Geistes mächtig ist ..., 52: Nur dadurch, daß
das Ich „... nicht von sich selber und an und durch sich selber unterschieden wird, wenn
es durch ein drittes bestimmt unterscheidbar gemacht wird, wenn dieses dritte, in so
ferne es mit Freiheit erwählt war, insofern auch in seinen Einflüssen und Bestimmungen
die reine Individualität nicht aufhebt, sondern von dieser betrachtet werden kann, wo sie
dann zugleich sich selbst als ein durch eine Wahl bestimmtes, empyrischindividualisir-
tes und karakterisirtes betrachtet, nur dann ist es möglich, daß das Ich im harmoni-
schentgegengesezten Leben als Einheit, und umgekehrt das harmonisch-entgegenge-
sezte, als Einheit im Ich erscheine und in schöner Individualität zum Objecte werde"
(Hervorhebungen J. K.).
60 J. C. F. Hölderlin, Das untergehende Vaterland ..., in: Theoretische Schriften, 37.
61 Hölderlin, Wenn der Dichter einmal des Geistes mächtig ist..., 60; dazu vgl. J. Kreuzer,
Zeit, Sprache, Erinnerung (Dichtung als Zeitlogik), in: Hölderlin-Handbuch, hrsg. von
Kreuzer, 147-161.
62 Hölderlin, Wenn der Dichter einmal des Geistes mächtig ist..., 58. - „Ahnden" (ahnen)
und Erinnern hängen zusammen. I. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, in: Ge-
sammelte Schriften, Bd. 8, 89, bemerkt: ,Ahnden bedeutet so viel als Gedenken. Es ahndet
mir heißt, es schwebt etwas meiner Erinnerung ... vor." Vgl. auch J. Grimm, W. Grimm,
Deutsches Wörterbuch. Erster Band, Leipzig 1854, 192-195.
Wissen oder ein .Sein' gäbe, dem dann durch Sprache sozusagen nur noch eine
äußere Gestalt gegeben würde. Erinnernd die Sprache zu ahnen, heißt vielmehr
zu erkennen, daß es Erinnern nicht in intellektueller Anschauung, sondern nur in
Beziehung zu den Formen seiner Äußerung gibt. Es ist die Sprache, die das
Denken realisiert bzw. .empirisch individualisiert'. 63 Deswegen ist der Akt,
durch den sich der Geist die Wirklichkeit gibt, ein sprachlicher Akt. 64
Um über die von Kant gezogene Grenzlinie hinaus zu gelangen und die erkennt-
nis- wie bewußtseinstheoretische Bedeutung des ästhetischen Sinns zu beschrei-
ben, hat sich Hölderlin für das Theorem der intellektuellen Anschauung interes-
siert. Seine Kritik an der intellektuellen Anschauung zielt dann auf mehr als nur
darauf, daß er sie als bloße .Apotheose von oben herab' abweist. Hölderlin liest
die intellektuelle Anschauung vielmehr als Erfahrung. Ihrer höchsten Bestim-
mung nach fungiert sie bereits in Seyn, Urtheil, ... als Noumenon in negativer
Bedeutung. Ab der Zeit des direkten Gesprächs mit Hegel in Frankfurt wird sie
weiter depotenziert. Sinn und Semantik der Erinnerung rücken ins Zentrum der
theoretischen Selbstreflexion, auf der das Dichtungsverständnis beruht, das sich
Hölderlin insbesondere in Das untergehende Vaterland ... und Wenn der Dich-
ter einmal des Geistes mächtig ist ... erarbeitet. 65 Aber auch an einer entschei-
denden Stelle seiner poetischen Arbeit - in Wie wenn am Feiertage ... - wird
der Wandel deutlich, der von einer Begeisterung, deren Fokus ein intelligibles
Sein jenseits der Trennungen ist, wegfuhrt zu einer sich in Relation zum end-
lichen Sein begreifenden .Identität der Begeisterung'.
Berühmt ist die emphatische Alleinheits-Begeisterung, die Hölderlin in der
dritten Strophe von Wie wenn am Feiertage ... formuliert: „Jezt aber tagts! Ich harrt
und sah es kommen, / Und was ich sah, das Heilige sei mein Wort. / . . . / Die Natur
63 Dies ist vielleicht ein wenig Platonischer, aber es ist ein Gedanke Piatons. Piaton, So-
phistes 263e3-8, stellt lapidar fest, daß die διάνοια (das Denken) und der λόγος kon-
kreter Rede „dasselbe" sind: „διάνοια ... και λόγος ταύτόν." Nur heiße ,das Ge-
spräch, das die Seele innen mit sich selbst ohne Stimme' führt, .Denken'. Was als kon-
krete Rede erscheint, ist dasselbe Gespräch - nur mit Stimme. Das stillschweigende Ge-
spräch der Seele mit sich selbst, das Denken ist (vgl. ebd. 264a2), erfüllt sich in den
Formen der Rede.
64 In diesem Punkt stimmt Hölderlins „Verfahrungsweise" des poetischen Geistes mit
Hegels Konzept des spekulativen Satzes überein. Zu dieser Übereinstimmung - und zur
Differenz zwischen beiden - vgl. J. Kreuzer, Logik der Zeit und Erinnerung. Was unter-
scheidet die Wirklichkeit des Gesangs von der Form des Begriffs?, in: Die späte Hym-
nik Hölderlins, hrsg. von C. Jamme, A. Lemke, München 2003, im Druck.
65 Vgl. dazu Kreuzer, Erinnerung.
ist jezt mit Waffenklang erwacht, / Und hoch vom Aether bis zum Abgrund nieder /
Nach vestem Geseze, wie einst, aus heiligem Chaos gezeugt, / Fühlt neu die
Begeisterung sich, / Die Allerschaffende wieder."66 Hier artikuliert sich eine Begei-
sterung, für die die Sinnevidenz dieses Augenblicks die Bedingungen der Endlich-
keit - der Entgegensetzungen, in denen wir leben - nicht nur transzendiert, sondern
zu einer Ordnung jenseits dieser Bedingungen der Endlichkeit fuhrt. Der damit ver-
bundene (idealistische) Kunst- bzw. Dichtungsbegriff ist Hölderlin nach 1795 zu-
nehmend fraglich geworden, in der Krise der Epochenschwelle 1800 geht er voll-
ends zugrunde. Fraglich werden dabei nicht die Augenblicke göttlicher Begeiste-
rung, die uns „die Vollendung, die wir über die Sterne hinauf entfernen", als „ge-
genwärtig fühlen" lassen.67 Aber diese Augenblicke verweisen auf keine ,Einheit'
jenseits der Bedingungen der Endlichkeit. Sie werden als integraler Bestandteil
eben dieser Endlichkeit bewußt.68
Hölderlin erkennt, wie fragil - gerade in bewußtseinsphilosophischer wie zeit-
theoretischer Hinsicht - die Voraussetzungen und Annahmen sind, von denen das
neuplatonische Pathos des Aufstiegs zum göttlich Einen ausgeht.69 Beredtestes
Zeugnis der ästhetisch erfüllten Sinnevidenz göttlicher Begeisterung ist bei Piaton
die eingangs dieser Überlegungen erwähnte Passage 249d4-250d8 im Phaedrus.
Auf den Phaedrus, in dem vom Wahn- bzw. Wahrsinn göttlicher Begeisterung die
Rede ist, der gerade auch der Dichtung zugrunde liegt, spielt Hölderlin in der Fei-
ertagshymne an: „Doch uns gebührt es, unter Gottes Gewittern / Ihr Dichter! mit
entblößtem Haupte zu stehen."70 Doch genau nach dieser, die Dichtung zur „himm-
lischen Gaabe" 71 beinahe sakralisierenden Berufung auf den Enthusiasmus gött-
licher Begeisterung erfolgt die Zäsur des Abbruchs. Hölderlin vollzieht damit eine
Selbstkritik hymnischen Sprechens.72 Ein Aspekt dieser Selbstkritik ist die Er-
kenntnis, daß eine Begründung der Rolle und der Bedeutung hymnischen Spre-
chens von einem Standpunkt außerhalb oder jenseits der Bedingung der Endlich-
66 Zit. nach: J. C. F. Hölderlin, Wie wenn am Feiertage ... in: ders., Sämtliche Werke.
Frankfurter Ausgabe, Supplement II: Stuttgarter Foliobuch, Frankfurt a. M. 1989, 61.
67 Vgl. Hölderlin, Hyperion, 657.
68 Schon der offene Schluß des Hyperion, 760, weist in die Richtung, daß die Transzen-
denz ästhetischer Erfahrung („O Seele! Seele! Schönheit der Welt! Du unzerstörbare!
...") keine Grenze der Zeit der Endlichkeit markiert, sondern sich als deren integraler
Bestandteil erweist: „So dacht' ich. Nächstens mehr."
69 Im Hyperion, 650, heißt es einmal gleichsam präludierend: „... bleibt unten, Kinder des
Augenbliks! strebt nicht in diese Höhen herauf, denn es ist nichts hier oben."
70 J. C. F. Hölderlin, Wie wenn am Feiertage..., 63. Zum Verhältnis zwischen θεία μανία
und Dichtung vgl. Piaton, Phaedrus 244a6-245a8, zum „entblößten Haupt" (γυμνή κεφα-
λή) ebd. 243b6.
71 Hölderlin, Wie wenn am Feiertage ..., 63.
72 Vgl. P. Szondi, Der andere Pfeil. Zur Entstehungsgeschichte von Hölderlins hymnischem
Spätstil, Frankfurt a. M. 1963.
keit - jener Endlichkeit, die gerade in der Dichtung zur Sprache finden soll - illuso-
risch ist. Sie ist illusorisch insbesondere dann, wenn es die .Erinnerung' ist, die die
Notwendigkeit der Sprachfindung der Kunst begründet. Wenn „schnellbetroffen"
die Seele des Dichters, „Unendlichem / Bekannt seit langer Zeit, von Erinnerung /
Erbebt", 73 dann klingt hier zunächst das Pathos nach, das vom Neuplatonismus der
Renaissance zur Genie-Ästhetik der frühen Neuzeit führte und Piatons Anamnesis
zitiert. Aber der Sinn der Erinnerung reduziert sich nicht auf eine solche, und sei es
enthusiastische Rückbindung an eine gegebene transzendente Ordnung. ,Von Erin-
nerung zu erbeben' heißt vielmehr gerade auch, die eigene Endlichkeit zu begrei-
fen. Begriffen wird sie in ebenden Augenblicken, die diese Endlichkeit zu trans-
zendieren scheinen.74 Sie sind selbst endlich - sie lassen sich erinnern und müssen
immer von neuem erinnert werden. Erinnerung der eigenen Endlichkeit erweist
sich als deren einzige Transzendenz. Damit verschiebt sich der Sinn dessen, was
Erinnern heißt.75 Es ist nicht mehr vergangenheitsorientiert: Vergangenheitsorien-
tiert bleibt es nur (und immer) dann, wenn es in logischer Hinsicht - analog dem
Mythos der Präexistenz, mit dem Piaton selbst die Anamnesis erklärt hat 76 - als
Rückbindung, als bloß sekundäre Kopie eines primär Geschauten gedacht wird. Bei
Hölderlin wird dem gegenüber thematisch, daß Erinnern keine Rückbindung be-
deutet, sondern sich als jener Grundakt des sich in seiner Endlichkeit begreifenden
Geistes erweist, der auf dem Vermögen der Erinnerung des Gegenwärtigen be-
ruht.77
... vorgerückt worden ist" - und zwar nicht nur deshalb, weil dadurch „die Freiheit unab-
hängig von Geburt, Stand, Bildung usf." wurde: so ders., Vorlesungen über die Geschichte
der Philosophie, Berliner Niederschrift der Einleitung. Angefangen am 24.X.1820, in: ders.,
Werke in zwanzig Bänden, Bd. 20, Frankfurt a. M. 1971, 507. - J. C. F. Hölderlin, Der
Einzige, V.92-96, in: Sämtliche Werke, Bd. I, 469, hat den Grundgedanken der
Fleischwerdung des göttlichen Logos, der in der trinitarischen Selbstreflexion des Geistes
zu Bewußtsein kommt, präzise formuliert: „Wie Fürsten ist Herkules. Gemeingeist Bac-
chus. Christus aber ist / Das Ende. Wohl ist der noch andrer Natur; erfüllet aber / Was
noch an Gegenwart / Den Himmlischen Gefehlet an den andern. Diesesmal ..." Vgl.
dazu J. Kreuzer, Philosophische Hintergründe der Christus-Hymne Der Einzige, in: Höl-
derlin-Jahrbuch 32 (2000-2001), 69-104.
78 In diesem Zusammenhang könnte der oft zitierte Satz, der sich auf Seite 66 des Hom-
burger Folioheftes findet: „Unterschiedenes ist / gut" (vgl. J. C. F. Hölderlin, Sämtliche
Werke. Frankfurter Ausgabe, Supplement III: Homburger Folioheft, hrsg. von D. E.
Sattler, Ε. E. George, Frankfurt a. M. 1986, 92), gleichsam als Protokollnotiz einer sol-
VII. Schlußbetrachtung
Hölderlin nimmt im Deutschen Idealismus, was die Bezugnahme auf Piaton und
den Piatonismus angeht, eine singuläre Position ein. Er transformiert die anfäng-
lich übernommenen Vorgaben eines tradierten Piatonismus, indem er der Sache
nach auf Piaton selbst zurückgeht. Daß er damit zugleich über die Grenzen der
idealistischen Systembildungen hinausweist, erklärt vielleicht, daß Hölderlin
zum entscheidenden Gesprächspartner in nachidealistischer Zeit geworden ist.
Das gilt sowohl für Heidegger wie fur jenes Denken, das nach Adorno „solida-
risch mit Metaphysik im Augenblick ihres Sturzes" ist.79 Es ist die Position ei-
nes sich auf seine Endlichkeit besinnenden und seiner Sprachlichkeit - „seit ein
on
Gespräch wir sind und hören voneinander" - sich entsinnenden Geistes, für die
Hölderlin steht.
Im Rückblick auf das eigene System des transzendentalen Idealismus von 1800
konstatiert Friedrich Wilhelm Joseph Schelling 27 Jahre später in seinen Mün-
chener Vorlesungen Zur Geschichte der neueren Philosophie folgenden Bezug
auf sein Vorbild Piaton: „Die Philosophie ist ... für das Ich nichts anderes als
eine Anamnese, Erinnerung dessen, was es in seinem allgemeinen (seinem vor-
individuellen) Seyn gethan und gelitten hat: ein Ergebniß, das mit bekannten
Platonischen Ansichten (wenn gleich diese zum Theil einen andern Sinn [be-
kommen hatten] und nicht ohne eine gewisse Zuthat von Schwärmerischem ver-
standen waren) übereinstimmte. Dieß war also der Weg, den ich zuerst und noch
eben von Fichte herkommend, einschlug, um meinerseits wieder ins Objektive
zu kommen."1 Im System des transzendentalen Idealismus versucht Schelling im
Anschluß an die Wissenschaftslehre Johann Gottlieb Fichtes das Selbstbewußt-
sein nach der Einheit sowie der Ganzheit seiner theoretischen und praktischen
Momente zu rekonstruieren. Diese systematische Weiterentwicklung des Fichte-
schen Ansatzes konzipiert Schelling als eine „fortgehende Geschichte des
Selbstbewußtseyns".2 Sie zielt auf das vollkommene „sich-selbst-Objekt- Werden
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140 Orrin F. Summerell
des Subjektiven" hin, das in der durch das Kunstwerk vermittelten ästhetischen
Anschauung des im anfänglichen Akt des unbedingten Sich-selbst-Setzens bloß
intellektuell angeschauten Absoluten besteht. 3 Dadurch, daß er auf diese Weise
„wieder ins Objektive" kommt, beabsichtigt Schelling über Fichte hinaus, eine
dynamische Komplementarität von Natur- und Transzendentalphilosophie auf-
zuzeigen, die den inneren Zusammenhang zwischen bewußtloser Natur und be-
wußtem Geist ans Licht bringt. Für Schelling gilt: „Beide Wissenschaften sind
also Eine, nur durch die entgegengesetzten Richtungen ihrer Aufgaben sich un-
terscheidende Wissenschaft." 4
Nach eigenen Angaben ist das System des transzendentalen Idealismus, in
dem Schelling retrospektiv den Keim zu seiner späteren Philosophie mit ihrer
„Tendenz zum Geschichtlichen" 5 angelegt findet, in dessen Grundmotiv Plato-
nisch koloriert: Es stellt den anamnestischen Prozeß dar, in dem sich das Ich der
Geschehnisse seines allgemeinen Seins sowie seines Hervorgangs aus diesem in
die individuelle Entgegensetzung gegen eine immer schon daseiende Welt, in
der es sich findet, wieder bewußt wird. Denn es sei „Sache der Wissenschaft,
und zwar der Urwissenschaft, der Philosophie, jenes Ich des Bewußtseyns mit
Bewußtseyn zu sich selbst, d. h. ins Bewußtseyn, kommen zu lassen". 6 Indem
Schelling die „transscendentale Vergangenheit" des noch nicht zu sich selbst ge-
kommenen Ich, die dem gegenwärtigen „wirklichen oder empirischen Bewußt-
seyn" vorausgeht, also den Weg, den das Ich „zum Bewußtseyn selbst bewußt-
los und ohne es zu wissen zurückgelegt" hat, systematisch in Form der Ge-
schichte des Selbstbewußtseins darlegt, will er dem Ich „zu der Erkenntniß und
dem Bewußtseyn des in ihm Gesetzten ... verhelfen, und es so endlich zur völli-
gen Selbsterkenntniß ... bringen". 7 Diese wissenschaftliche Darlegung der ver-
gessenen Geschichte, die sich zwischen transzendentaler Vergangenheit und
empirischer Gegenwart erstreckt, soll also dem Ich zur Wiedererinnerung an
sein ursprüngliches Leben im Absoluten sowie seine Trennung von demselben
verhelfen. Daher kann Schelling die Methode seines früheren Denkens nicht nur
mit der Anamnesislehre Piatons, welche die Wiedererinnung der Seele an ihr
vorgeburtliches Leben vor ihrem Abfall aus der Ideenwelt betrifft, sondern auch
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Perspektiven der Schwärmerei 141
Daß der Piatonismus einen entscheidenden Einfluß nicht nur auf die Denkent-
wicklung Schellings, sondern auf die nachkantische deutsche Philosophie insge-
samt ausgeübt hat, hebt der Philologe Joseph Socher 1820 hervor: Ein „Zeit-In-
teresse hat", so Socher, „die Blicke der Kundigen seit Kurzem mehr, als es Jahr-
hunderte her der Fall gewesen war, auf Piaton gelenket. Der ideale Schwung,
den die Philosophie des Zeitalters genommen hatte, mahnte durch mannigfache
Reminiszenzen so laut an Piaton: es drangen sich so vielfache Vergleichungs-
Punkte auf; es schien ein dem platonischen so ähnlicher Geist aus der neuesten
Philosophie zu wehen, daß die Verehrer derselben, wie durch eine magnetische
Anziehungskraft zur nähern Kenntnis des alten Vaters der Ideen-Welt, wofür
Piaton galt, hingezogen werden mußten." 9 Die Faszination Piatons für die zeit-
genössische Philosophie, die im Gegensatz zur Aufklärung eine seit der Renais-
sance nicht bekannten Begeisterung fur den Piatonismus zeigt, spiegelt nach
Socher die in diesem Denken innewohnende Kraft des Idealismus wider, die
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142 Orrin F. Summerei 1
sich wie von selbst auf ihren Ursprung in der Platonischen Ideenlehre zurückbe-
zieht.
Daß die Platonischen Reminiszenzen der neuesten Philosophie an deren ei-
gene Auseinandersetzung mit dem Piatonismus erinnern, ist Socher bewußt. Un-
überhörbar in seiner Charakterisierung der wesentlich Platonischen Bestim-
mung, welche die klassische deutsche Philosophie auszeichnet, ist aber auch die
Anspielung auf das Bild des Magneten aus dem Dialog Ion, das Sokrates zur
Erklärung der Rhapsodenkunst verwendet. Das Bild fuhrt direkt in den Themen-
kreis der Schwärmerei ein, der von Aufklärung und Idealismus bedingt ist.
„Nämlich dies wohnt dir nicht als Kunst bei", so Sokrates zum Rhapsoden Ion,
„gut über den Homer zu reden, wie ich eben sagte, sondern als eine göttliche
Kraft, welche dich bewegt, wie in dem Steine, der von Euripides der Magnet ...
genannt wird." 10 Sokrates spricht dem Rhapsoden, auch wenn er über das Ho-
merische Gedicht brillant vorzutragen versteht, Sachverstand im technischen
Sinne ab. Dagegen gibt Sokrates seine Ansichten über das wahre Vermögen des
Rhapsoden kund, wenn er den Sinn des Gleichnisses näher erläutert: „Denn auch
dieser Stein zieht nicht nur selbst die eisernen Ringe, sondern er teilt auch den
Ringen die Kraft mit, daß sie ebendieses tun können wie der Stein selbst, näm-
lich andere Ringe anziehen, so daß bisweilen eine ganze lange Reihe von Eisen
und Ringen aneinanderhängt; allen diesen aber ist ihre Kraft von jenem Stein
angehängt. Ebenso auch macht zuerst die Muse selbst Gottbegeisterte [ενθεοι],
und an diesen hängt eine ganze Reihe anderer, durch sie sich Gottbegeisternder
[ένθουσιάζοντες]." 1 1 Die Dichter vermögen nach der Ansicht des Sokrates
nicht durch eigenen Sachverstand, sondern allein infolge der göttlichen Begei-
sterung - des Enthusiasmus - zu dichten. Es ist diese Kraft, die sich bei den
Rhapsoden, die über die Werke der Dichter gut reden, und schließlich bei den
Zuhörern, die den Aufführungen der Rhapsoden mit Bewunderung beiwohnen,
fortpflanzt. Als magnetische Urkraft gilt die Muse, die an erster Stelle den Dich-
ter, an zweiter den Rhapsoden und an dritter die Zuhörer beeinflußt, indem sie
alle zu sich auf unmittelbare sowie mittelbare Weise hinzieht.
Nicht anders verhält es sich, so läßt sich aus dem Vergleich Sochers schlie-
ßen, bei den neuesten Philosophen, den Idealisten: Durch den Geist der Ideen-
lehre hingezogen, lenken sie den eigenen Blick sowie den ihrer Verehrer auf
Piaton, den „Vater der Ideen-Welt".
Der vielfältigen Rezeption des Dialogs Ion und der These vom göttlichen
Ursprung der Kunst in der Poetiktradition seit der Antike und besonders in der
10 Piaton, Ion 53dl-4. - Daß der Enthusiasmus bei Piaton keine bloß passive Irrationalität
darstellt, sondern mit dem auch als göttlich begriffenen νοΰς wesensmäßig verwandt ist,
belegt S. Büttner, Die Literaturtheorie bei Piaton und ihre anthropologische Begrün-
dung,, Tübingen, Basel 2000, 255-365.
11 Piaton, Ion 533d4-e5.
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Perspektiven der Schwärmerei 143
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144 Orrin F. Summereil
erstrebende Vergöttlichung (deificatio) bzw. Vereinigung der Seele mit Gott, die Piaton
und die Platoniker ansprechen. - Im 19. Kapitel des vierten Buchs seiner erst 1765 er-
schienenen Nouveaux essais sur l'entendement humain, ebd., Bd. 3.2, hrsg. und übers,
von W. E. Engelhardt, Η. H. Holz, Darmstadt 1961, 614-630, skizziert Leibniz eine Ge-
schichte des Enthusiasmus-Begriffs zwischen Antike und Moderne, deren Schwerpunkt
auf dem vom ursprünglichen antiken Sachverhalt entfremdeten unbegründeten Glauben
liegt, von einem Gott umhergetrieben zu werden oder sogar Lehrsätze zu erhalten.
13 Vgl. J. L. von Mosheim, Institutionum historiae ecclesiasticae antiquae et recensioris
libri quattuor ex ipsis fontibus insigniter emendati, plurimis accessionibus locupletati,
variis observationibus illustrati, saec. I, pars I, cap. 1, par. 24; saec. II, pars II, cap. 1,
par. 12, Helmstedt 1755, 18; 80; ferner ders., De turbata per recentiores Platonicos Ec-
clesia commentatio, Helmstedt 1725; M. Souverain, Le platonisme devoile, ou Essai
touchant le verbe platonicien, part I, chap. 5, 9, 12, 18, 21; part II, chap. 2, 4, Köln
[Amsterdam] 1700; dazu Franz, Schellings Tübinger Platon-Studien, 28-43 (zu Souve-
rain), 47-63 (zu Mosheim); ferner H. von Stein, Der Streit um den angeblichen Plato-
nismus der Kirchenväter, in: Zeitschrift fiir die historische Theologie 31 (1861), 319-
418.
14 Piaton, Ion 534a7-b6; vgl. bereits ebd., 533e5-534a7: „πάντες γαρ οϊ τε των έπων
ποιηταί οί άγαθοί ούκ έκ τέχνης άλλ' ένθεοι δντες και κατεχόμενοι πάντα
ταΰτα τά καλά λέγουσι ποιήματα, και οί μελοποιοΐ οί άγαθοί ώσαύτως, ώσπερ
οί κορυβαντιώντες ούκ έμφρονες οντες όρχοΰνται, ούτω και οί μελοποιοΐ ούκ
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Perspektiven der Schwärmerei 145
die göttliche Ergriffenheit der Dichter mit dem zielstrebigen Umherfliegen der
Bienen vergleichen, und zwar vermittelst eines einfachen Wortspiels. Beide
produzieren etwas Süßes, sogar Nahrhaftes: Honig (τό μ έ λ ι ) bzw. Gedichte ( τ ά
μέλη), und dies durch göttliche Schickung. Während aber die Bienen durch das
Sammeln des Honigs ihre eigene Natur vollziehen, wird der menschliche Dich-
ter als ein selbständig rationales W e s e n durch seine göttliche Begeisterung auf-
gehoben: Er wird zwar heilig, verliert dabei aber den Sinn (φρήν) bzw. die Ver-
nunft (νους). N a c h Piaton also kann der enthusiastische Dichter als solcher kei-
ne Rechenschaft v o n seiner dichterischen Tätigteit ablegen, gleichwohl aber
vervollkommnet ihn seine göttliche Ergriffenheit.
Im Ausgang v o n diesem Vergleich wird in der Platonischen Tradition die
künftige Eloquenz und sogar die Apollinische Natur des Meisters selbst auf ein-
drucksvolle Weise, aber nicht ohne eine g e w i s s e Ironie versinnbildlicht: A m
Mund des Säuglings hätten sich Bienen hingesetzt und sogar Honig gemacht. 1 5
Dagegen betrachtet Brucker es als merkwürdig, daß die Bewunderer Piatons
überhaupt etwas Geistreiches in derartig erdichtetem Unsinn w i e diesem Mär-
εμφρονες όντες τά καλά μέλη ταΰτα ποιοΰσιν, άλλ' έπειδάν έμβώσιν εις τήν άρ-
μονίαν καί εις τον ρυθμόν, βακχεύουσι καί κατεχόμενοι, ώσπερ αί βάκχαι άρύ-
ονται έκ των ποταμών μέλι καί γάλα κατεχόμεναι, έμφρονες δέ οΰσαι οϋ, και
των μελοποιών ή ψυχή τοΰτο έργάζεται, δπερ αύτοι λέγουσι."
15 Vgl. Cicero, De divinatione, lib. I, par. 78; lib. II, par. 66, ed. R. Giomini, Leipzig 1975,
47, 108; Valerius Maximus, Facta et dicta memorabilia, lib. I, cap. 6, par. 3, ed.
C. Kempf, Leipzig 1888, 33; Plinius maior, Naturalis historia, lib. XI, par. 55, ed.
L. Ian, C. Mayhoff, Leipzig 1892-1909, vol. 2, 300; Aelianus, Varia historia, lib. 10,
21; lib. 12, 45, ed. R. Hercher, Leipzig 1866, Nachdr. Graz 1971, 113, 135; Phocas, Vita
Virgilii, 52-56, in: ders., Vila di Virgilio, intro., testo, trad, e comm. di G. Brugnoli, Pisa
1983, 19-20; Olympiodorus, In Platonis Alcibiadem commentarii, 2, 24-29, ed. L. G.
Westerink, Amsterdam 1956, 2; Anonymus, Prolegomena philosophiae Platonicae, 2,
16-22, ed. L. G. Westerink, Amsterdam 1962, 5-7; dazu A. S. Riginos, Platonica. The
Anecdotes Concerning the Life and Writings of Plato, Leiden 1976, 17-21, bes. 20:
„The versions found in the earlier sources reporting the omen (Cicero, Pliny, perhaps
Valerius Maximus) present the omen in the stock form comparable to the similar stories
told of the various poets. In the accounts of Aelian, Olympiodorus, and the author of the
Anonymous Prolegomena, however, the story has been expanded to indicate Plato's
Apollonian nature as well as his future eloquence." Auch wenn diese Anekdote allein
als praesagium für die künftige Süße Piatons zu verstehen ist, läßt sich im vorliegenden
Zusammenhang folgende implizite Verbindung zum Ion hervorheben: „Es ist wohl be-
kannt, daß wilder Honig berauschend wirken kann (nämlich dann, wenn die Bienen Ho-
nig oder Pollen von rauschgiftigen Pflanzen gesammelt haben)" (Der Piatonismus in
der Antike. Grundlage - System - Entwicklung, Bd. 2: Der hellenistische Rahmen des
kaiserzeitlichen Piatonismus. Bausteine 36-72, Text, Übers., Komm, von H. Dörrie aus
dem Nachlaß hrsg. und bearb. von M. Baltes unter Mitarbeit von A. Dörrie, F. Mann,
Stuttgart-Bad Cannstatt 1990, 401).
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146 Orrin F. Summerell
16 Vgl. Brucker, Historia critica philosophiae, 630; Kurtze Fragen aus der philosophi-
schen Historie, 575-576 sowie 580-581.
17 Brucker, Historia critica philosophiae, 664.
18 A. G. Baumgarten, Kollegium über die Ästhetik, in: B. Poppe, Alexander Gottlieb
Baumgarten. Seine Bedeutung und Stellung in der Leibniz-Wolffischen Philosophie und
seine Beziehungen zu Kant, Borna, Leipzig 1907, 61-258, hier: 114. (Text emendiert:
non „πνεύμα", sed ,,πνεΰμα".)
19 Baumgarten, Kollegium über die Ästhetik, 115. (Text emendiert: non „Durchseelung",
sed „Durchsehung".)
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Perspektiven der Schwärmerei 147
des Sokrates, „so voll von der in den Dichtern lebenden göttlichen Kraft, daß er
auch den Enthusiasmus der Erklärer, und der Deklamatoren des Dichters sich
nicht anders, als durch θειαν δυναμιν erklären kann." 20 Die blitzschnell ein-
schlagende göttliche Kraft, die nach Schelling sogar Piaton selbst ergriffen hat,
gilt ihm als die Urmacht, welche die „Welt aus dem Chaos" hervorzurufen und
„alles zu Einem harmonischen Ganzen" zu verbinden vermag. 21 Schelling faßt
die von ihm sogenannte „DichterKraft" des Enthusiasmus in ihrem Grund als
die „Denk- und CombinationsKraft" auf und begrenzt sie nicht auf den ästheti-
schen Bereich: „Diese dem gewöhnlichen Menschen unbegreifliche Kraft in
einzelnen Menschen wirkt aber nicht nur in der Dichtkunst - sie wirkt in jedem
Werk des menschlichen Verstandes so, daß gerade der, der sich keiner solchen
Kraft in sich selbst bewußt ist, über manches Werk des menschlichen Verstan-
des, über die unerwartetefn] Verbindungen und Combinationen, die kühnefn]
Schlüße und Wendungen desselben staunt." 22 Mit dieser Verbindung der
Dichterbegeisterung mit der synthetisierenden Arbeit des menschlichen Ver-
stands will der junge Schelling Piaton Folge leisten, und zwar dadurch, daß er
den Enthusiasmus auf die Apriorität theoretischer und praktischer Erkenntnis
gründet. Denn Piaton rede „von solchen Wirkungen nicht nur in Bezug auf
Dichtkunst, sondern in Bezug auf alle Wirkungen des Verstandes" in der
menschlichen Seele, insofern diese „entweder in der Idee ohne alle empirische
Ursache und ohne allen empirischen Fortschritt (wie Tugend) oder wenigstens
ohne leicht zu bemerkende empirische Ursache" entstünden. 23
Schellings Auffassung von der Welt-setzenden und damit inhärent göttli-
chen Kraft des menschlichen Verstandes trägt ihre ersten Früchte in der Theorie
des Vorstellungsvermögens, die er in seinem Timaeus-Kommentar von 1794
entwickelt, und kommt dann zur Reife in der mit der Jahrhundertwende einset-
zenden Identitätsphilosophie. 24 Mit Bezug auf den Enthusiasmus in der Philoso-
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148 Orrin F. Summerell
phie läßt sich nun die Anspielung Sochers zur Charakterisierung der Platoni-
schen Bestimmung der neuesten Philosophie erneut aufgreifen. Dementspre-
chend wäre die außergewöhnliche „Liebe für Piaton" bzw. der ungewohnte „Ei-
fer für Piaton" selbst, die Socher unter den Philosophen eines nicht weiter defi-
nierten Idealismus konstatiert, als eine Art Enthusiasmus zu verstehen, die durch
die Platonische Ideenlehre motiviert wird. Es erhebt sich dann die Frage nach
der Bedeutung der göttlichen Begeisterung, welche die klassische deutsche Phi-
losophie wesentlich beeinflußt, sowie ihrem Verhältnis zum Irrtum und Selbst-
betrug, welche zu bekämpfen diese Philosophie sich zum Ziel setzt.
Andere Denker haben das, was Brucker unter der griechischen bzw. lateinischen
Bezeichnung .enthusiasmus' als den Obskurantismus der Platonischen Philoso-
phie kritisiert, mit der deutschen Kampfvokabel ,Schwärmerei' versehen. Sie
begegnet immer wieder, fällt aber unterschiedlich ins Gewicht. So diagnostiziert
Moses Mendelssohn in den Entzückungen des Sokrates eine „Anlage zur
Schwärmerey", auch wenn diese Selbstüberschreitung ihm „sehr nützlich gewe-
sen seyn mag"; denn die „gemeinen Kräfte der Natur reichen vielleicht nicht
hin, den Menschen zu so großen Gedanken und standhaften Entschließungen zu
erheben". 25 Im Anschluß an Brucker entdeckt 1791 der Philosophiehistoriker
Dieterich Tiedemann in dem durch den Pythagoreismus wesentlich beeinflußten
Piaton eine „Neigung zur Schwärmerey, und das zu weit hinaus Verfolgen man-
cher Spekulationen": Dieser habe dadurch nicht nur den Grund „zu allen nach-
her entstandenen Schwärmereyen" gelegt, sondern auch den Grundsatz für „die
den Schwärmern eigenthümliche Sittenlehre" angegeben, nämlich: „Aller Tu-
genden Quelle sey, nicht irrdische Glückseligkeit, sondern Seeligkeit jenseits
des Grabes, nähere Vereinigung mit Gott: das Mittel dazu, Reinigung von allen
irrdischen Begierden." 26 Wilhelm Gottlieb Tennemann betrachtet das Denken
System, 172-198; O. F. Summereil, „ [ . . . ] wie die Vernunft die Idee der Welt subjektiv
erzeugt." Zur Theorie des Vorstellungsvermögens in Schellings Timaeus-Kommentar",
in: Imagination - Fiktion - Kreation. Das kulturschaffende Vermögen der Phantasie,
hrsg. von Th. Dewender, Th. Welt, München, Leipzig 2003, 291-315.
25 M. Mendelssohn, Phaedon oder über die Unsterblichkeit der menschlichen Seele, in:
ders., Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe, Bd. 3.1, bearb. von F. Brinkmeyer,
L. Strauss, Berlin 1932, Nachdr. Stuttgart-Bad Cannstatt 1971, 5-159, hier: 17, mit Be-
zug auf den Bericht bei Aulus Gellius, Nodes Atticae, lib. II, cap. 1, par. 1, hrsg. von
C. Hosius, Leipzig 1903, 91, der selbst auf die Alkibiades-Rede im Symposium (bes.
220c3-d5) zurückgeht: Zuweilen habe man Sokrates in Gedanken vertieft stehen gese-
hen, „als wenn der Geist von seinem Körper abwesend wäre'1.
26 D. Tiedemann, Geist der spekulativen Philosophie. Zweyter Band, welcher von Sokrates
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Perspektiven der Schwärmerei 149
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150 Orrin F. Summereil
30 Vgl. J. G. Herder, Philosophei [sie] und Schwärmerei, zwo Schwestern, in: Der Teut-
sche Merkur, November 1776, 138-149 [= Sämtliche Werke, Bd. 9, hrsg. von
B. Suphan, Hildesheim 1967, 497-504], bes. 146, 149: Herder setzt die kaltblütigen
„Abstraktionen des Kopfs" und schwärmerischen „Abstraktionen der Empfindung" ein-
ander entgegen, macht dabei eine weitere Differenzierung: Der Weise, „mit Klarheit in
seinen Begriffen, d. i. mit Abstraktion, wann und wo sie seyn soll, und mit Enthusias-
mus in seinem Herzen, d. i. mit umfassender, handelnder Wärme, sieht beide Abwege
und nutzt beyde".
31 Vgl. G. W. Lessing, Ueber eine zeitige Aufgabe: Wird durch die Bemühung kaltblütiger
Philosophen und Lucianischer Geister gegen das, was sie Enthusiasmus und Schwärme-
rei nennen, mehr Böses als Gutes gestiftet? Und in welchen Schranken müssen sich die
Antiplatoniker halten, um nützlich zu seyn?, in: ders., Sämtliche Schriften, hrsg. von
K. Lachmann, Bd. 16, Leipzig 3 1902, Nachdr. Berlin 1968, 293-301.
32 Vgl. J. F. Kleuker, Beantwortungsversuch einer im deutschen Merkur aufgeworfenen
Frage, in: Deutsches Museum, Januar-Juni 1777, 223-254, 331-346. Den Enthusiasmus
der „magnetischen Geisteskraft" im Ion erklärt Kleuker, ebd., 243-245, zu einem „Or-
gan, wodurch Gott in der Welt treibt und bewegt", um ihn daraufhin, ebd., 249, als ein
solches göttliches „Treiben" von der Schwärmerei als einem „in die Irre getrieben wer-
den" zu unterscheiden. Letzteres, so Kleuker, ebd., 252-253, ist nur bedingt von Piaton
zu behaupten: Man müsse „bedenken, daß, wenn sein fruchtbarer Geist nicht mit theo-
logischen, kosmologischen, pneumatischen Ideen archäologischer Ueberlieferungen
Aegyptens und Orients wäre beschwängert worden, er auf die erkannte Art nicht hätte
schwärmen können. Beym Pythagoras gilt das gleiche, obgleich in anderm Maasse."
33 Vgl. J. G. Schlosser, Ueber Spott und Schwärmerey, in: Deutsches Museum, Juli-De-
zember 1776, 785-787.
34 Vgl. Novalis, Apologie der Schwärmerey, in: ders., Schriften, hrsg. von P. Kluckhorn,
R. Samuel, Bd. 2, hrsg. von R. Samuel in Zusammenarbeit mit H.-J. Mähl, G. Schulz,
Stuttgart 1981, 20-22. Rückblickend stellt Novalis ganz im Sinne der Frühromantiker
fest: „Jeder Gelehrte und Ungelehrte macht sich heut zu Tage zur dringendsten Pflicht,
Schwärmerey zu verschreyen und sie mit dem blinden Fanatismus zu verwechseln. Und
doch getraut ich mir hundert gegen eins zu setzen, daß die mehrsten Aufklärungsapostel
und Vernunftprediger nie recht über Schwärmerey, über die Folgen ihrer Ausrottung
und den Nutzen, den sie für die gesamte Menschheit hat, nachgedacht haben"; denn sie
sei eher eine Sache, welche „die Menschheit veredelt, unendlich erhebt, Jünglinge und
Greise beseligt, Männer und Weiber".
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Perspektiven der Schwärmerei 151
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152 Orrin F. Summereil
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Perspektiven der Schwärmerei 153
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154 Orrin F. Summereil
Schwärm, eine Sekte bildet, der Sektirer." 44 Indem die Schwärmerei zur Abspal-
tung von der größeren Religionsgemeinschaft tendiert, neigt sie zur Bildung
einer eigenen Glaubensgemeinschaft, die für sich selbst (die , Sache des Sub-
jekts') universale Bedeutung (die ,Sache aller Subjekte') in Anspruch nimmt.
Insofern sind ihre Aussagen nicht sachgemäß, sondern primär aus Eigeninteres-
sen bedingt.
In seiner Erklärung der wesentlichen Subjektivität der Schwärmerei spielt
Schelling auch auf die Bedeutung von ,secta' als einem Etikett nicht nur für eine
religiöse Minderheitsgruppe oder sogar philosophische Lehre an, sondern auch
als einer Bezeichnung fur die politischen Grundsätze, denen man anhängt. Wer
Partei stiftet, engagiert sich auch politisch. In dieser Hinsicht sind die Vorstel-
lungen von Unruhestiftung, die sich mit dem Begriff der Schwärmerei verbin-
den, nicht ohne Belang. So heißt es 1743 in Johann Heinrich Zedlers Universal
Lexicon: „Schwärmer, werden diejenigen Fanatici genennt, welche aus Mangel
der Beurtheilungskraft allerley der Christlichen Religion und bisweilen der Ver-
nunft selbst, widersprechende Meynungen hegen, und dadurch öffentliche Un-
ruhen anrichten." 45 Hervorgehoben werden hier nicht nur die zwei mißfälligen
Aspekte der schwärmerischen Motorik im Treiben der Sektierer: die Abwei-
chung vom orthodoxen Glauben und die Vernunftwidrigkeit, vielmehr werden
diese als Ursachen politischer Agitation bezeichnet. Daß diese Störfunktion
bisweilen auch eine positive Wertung erfahren kann, dient nur dazu, Schellings
Zurückfuhrung der Schwärmerei auf das Prinzip der Subjektivität zu bestätigen.
Etwa David Hume schließt nicht nur an John Lockes Kritik des Enthusiasmus
im Namen der natürlichen Vernunft, sondern auch an Shaftesbury an, wenn er
den Aberglauben als einen Feind, den Enthusiasmus eher als einen Freund der
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Perspektiven der Schwärmerei 155
46 Vgl. J. Locke, An Essay Concerning Human Understanding, ed. with an intr., critical
apparatus und glossary by P. Η. Nidditch, Oxford 1979, 697-706, bes. 699: Der Enthu-
siasmus sei „a perswasion of an immediate intercourse with the Deity, and frequent
communications from the divine Spirit", gründe jedoch weder auf Vernunft noch auf
Offenbarung; D. Hume, Of Superstition and Enthusiasm, in: ders., The Philosophical
Works, ed. by Th. H. Green, Th. H. Grose, London 1882-1886, Nachdr. Aalen 1964,
Bd. 3, 144-150, bes. 149-150: „enthusiasm, being the infirmity of bold and ambitious
tempers, is naturally accompanied with a spirit of liberty; ... superstition, on the con-
trary, renders men tame and abject, and fits them for slavery"; dazu Kremendahl,
Humes Kritik an den Schwärmern, 10-16, bes. 15: „Aberglaube, Katholizismus und
Unterdrückung des Volkes gehören für ihn [seil. Hume] auf der einen Seite ebenso zu-
sammen wie Schwärmerei, Toleranz und bürgerliche Freiheit auf der anderen."
47 Vgl. M. Mendelssohn, Soll man der einreißenden Schwärmerei durch Satyre oder durch
äußerliche Verbindung entgegenarbeiten?, in: Berlinische Monatsschrift, Januar-Juli
1785, 133-137; ferner K. G. Schröder, Wiederum ein Beispiel von trauriger Schwärme-
rei aus Aberglauben, in: Berlinische Monatsschrift, Januar-Juni 1784, 263-267; J. E.
Biester, Aberglauben und Schwärmerei in Wirkung und Rükwirkung auf einander, in:
Berlinische Monatsschrift, Juli-Dezember 1785, 375-379.
48 E. Behler, Friedrich Schlegels Vorlesungen über Transzendentalphilosophie Jena 1800-
1801, in: Transzendentalphilosophie und Spekulation. Der Streit um die Gestalt einer
Ersten Philosophie (1799-1807), hrsg. von W. Jaeschke, Hamburg 1993, 52-71, hier:
53.
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156 Orrin F. Summerell
49 Vgl. die Wiedergabe der Disputationsthesen Schlegels in: Caroline. Briefe aus der
Frühromantik, nach G. Waitz vermehrt hrsg. von E. Schmidt, Leipzig 1913, Bd. 2, 584-
585: „I. Piatonis philosophia genuinus est Idealismus. II. Realismi majores sunt partes
in Idealismo producendo quam Dualismi. III. Philosophia moralis est subordinanda po-
liticae. IV. Enthusiasmus est principium artis et scientiae. V. Poesis ad rempublicam
bene constituendam est necessaria. VI. Mythologia est allegorice interpretenda. VII.
Kantii interpretatio moralis evertit fundamenta artis criticae. VIII. Non critice sed histo-
rice est philosophandum."
50 Vgl. Piaton, Phaedrus 241c4-5, 255b6-7. - Behler, Friedrich Schlegels Vorlesungen,
54, kommt zu dem Schluß, „daß sich Schlegel in dieser Probevorlesung nicht so sehr
mit der dichtungstheoretischen Auslegung der Platonischen Lehre vom Enthusiasmus,
sondern eher mit ihren philosophischen und metaphysischen Implikationen befaßte, die
Piaton vor allem im Phaidros entwickelt hatte. Von den vier Arten des göttlichen
Wahnsinns, die Piaton dort unterschied (dem .weissagenden Anhauch* des Apollon, den
.Einweihungen' des Dionysos, dem .dichterischen* Wahnsinn der Musen und dem der
.Liebe' des Eros und der Aphrodite: 265b), scheint die vierte Art der Begeisterung, die
auch als Enthusiasmus der Schönheit bezeichnet werden kann und dem des Philosophen
analog ist, den eigentlichen Gegenstand der philosophischen Antrittsvorlesung Schle-
gels in Jena gebildet zu haben."
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Perspektiven der Schwärmerei 157
d. h. der bacchischen Verzückung, die nach dessen eigener Angabe ihn selbst
sowie die anderen Teilnehmer am Gastmahl ergriffen hat.51
51 Piaton, Symposium 218b3-4; Übersetzung nach ders., Das Gastmahl, in: Piatons Werke,
von F. Schleiermacher, Zweiten Theiles Zweiter Band, Berlin 1807, 371-452, hier: 443.
- Auffällig ist Schleiermachers Wahl der Terminologie im Hinblick auf die Überset-
zungen der Textstelle durch Marsilio Ficino: „una philosophiae furor ac bacchatio"
(Piatonis philosophi quae exstant Graece ad editionem Henrici Stephani accurate ex-
pressa cum Marsilii Ficini interpretatione accedit varietas lectionis, vol. 10, Zweibrü-
cken 1787, 263), sowie J. F. Kleuker: „philosophische Raserei und Wuth" (Werke des
Plato. Dritter Band, welcher das Gastmahl, den Phädrus, die Apologie des Sokrates,
den Kriton und Protagoras enthält, übers, von J. F. Kleuker, Lemgo 1783, 127); An-
onymus [F. I. Niethammer], Das Gastmahl von Plato oder Gespräch über die Liebe, in:
Neue Thalia, hrsg. von F. Schiller, Bd. 2, Leipzig 1792, 5. Stück, 170-228; Fortsetzung
und Beschluß, ebd., 6. St., 326-386, hier: 374: „einer solchen philosophischen Raserei";
F. L. Graf zu Stolberg, Das Gastmahl oder von der Liebe, in: Auserlesene Gespräche
des Piaton. Erster Theil, übers, von F. L. Graf zu Stolberg, Königsberg 1796, 173-324,
hier: 270: „der philosophischen Wuth und Raserey".
52 F. Gedike, Über die heutige Schwärmerei (Deutsche Staatsbibliothek Berlin, Ms. Bo-
russ. fol. 443, Bl. 223v), zitiert nach Hinske, Einleitung, 6.
53 I. Kreienbrink, J. G. Schlossers Streit mit Kant, in: Festschrift für D. W. Schumann zum
70. Geburtstag, mit Beiträgen von Schülern, Freunden und Kollegen, hrsg. von A. R.
Schmitt, München 1970, 246-255, hier: 249. - Am Ausgang ihrer Überlegungen konsta-
tiert Kreienbrink, ebd., 246, Schlossers Nähe zur Frühromantik: Die „Konsequenz des
Kantischen Systems und die Kühle seiner Denkabstraktion mußten nahezu naturnot-
wendig eine Gegenbewegung hervorrufen, die sich dem Menschen und seinem konkre-
ten Lebensgefuhl zuwandte". Vgl. R. Bubner, Piaton - der Vater aller Schwärmerei. Zu
Kants Aufsatz ,Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie',
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158 Orr in F. Summerei 1
und Gefuhlsphilosophie. Bereits in seiner Antwort auf die durch Wieland zur
Debatte gestellte Frage nach dem Sinn und der Form der philosophischen Kritik
am Enthusiasmus und an der Schwärmerei nimmt Schlosser eindeutig Stellung
gegen die Anti-Platoniker und Lucianischen Geister: „Der Spötter kann Men-
schenkenntniß haben; der Enthusiast hat Engelsgefiihl ... Der Spott macht alles
kleiner; die Schwärmerey alles grösser; die ist näher bey der Wahrheit, ist rei-
cher, ist glücklicher." 54 Nach Schlosser stiften die Philosophen, die der göttli-
chen Begeisterung mit Verspottung entgegentreten, mehr Böses als Gutes; denn
sie verarmen das Leben: Sie trennen das Menschliche vom Göttlichen. Im Jahre
1792 überträgt dann Schlosser als erster die Briefe Piatons ins Deutsche und
eröffnet dabei einen Zweifrontenkrieg, der weit über seine Auseinandersetzung
mit Christoph Meiners sowie Tennemann und Tiedemann in Fragen über deren
Echtheit hinausgeht. Im Vorbericht der ersten Ausgabe opponiert er nämlich
gegen das Urteil derjenigen - wie etwa das Bruckers - , die Piaton „blos für ei-
nen politischen Schwärmer halten wollen, der nur eine leicht zu findende Politik
für einen idealisirten Staat erträumt, und also von der ächten Regierungskust
eben so schlechte Begriffe verrathen hätte, als der Arzt schlechte von der Medi-
zin haben müßte, der statt der dialektischen Regeln, die man für den gesunden,
und der klinischen, die man für den kranken Menschen fordert, sich hinsetzte,
und Vorschriften für einen idealisirten Menschen erdichtete". 55 Die dialekti-
in: ders., Antike Themen und ihre moderne Verwandlung, Frankfurt a. M. 1992, 80-93,
hier: 86: „Schlosser ist in Kants Augen ein Schwärmer, der unter Berufung auf Piaton
die sorgfältig gelegten Fundamente der kritischen Philosophie leichtfertig überspringt.
Dagegen hält Schlosser sich fur den Mann der Solidität, der von den Verstiegenheiten
der modernen Revolutionäre in der Philosophie abrät und den Vorwurf des Mystikers
mit dem der Sophistik beantwortet." - Zum Lebens- und Wirkungskreis Schlossers sie-
he D. W. Schumann, Johann Georg Schlosser und seine Welt, in: J. G. Schlosser, Kleine
Schriften, mit einer Einführung von D. W. Schumann, N e w York, London 1972, i-cxvii.
54 Schlosser, Ueber Spott und Schwärmerey, 787.
55 J. G. Schlosser, Vorbericht der ersten Ausgabe, in: Piatos Briefe, nebst einer histori-
schen Einleitung und Anmerkungen von J. G. Schlosser, Königsberg 1795, xix-xxxii,
hier: xxviii; vgl. Brucker, Historia critica philosophiae, 726: „Recte vero viris acutis, et
ad societatis humanae naturam attendentibus observatum est, fictam et in cerebro tan-
tum Piatonis enthusiasmo philosophico repleto hanc, quam condidit, rempublicam con-
sistere posse." Im Hinblick auf Diogenes Laertius, Vitae philosophorum, lib. III, par.
21: Piaton habe den jüngeren Dionysios um Land und Siedler für den Staat gebeten, den
er gründen wollte, bezieht sich Brucker auf J. G. Pasch, Disputatio philosophica De fic-
tis rebuspublicis, Kilonium 1704, bes. 14: „Repraesentatur scilicet apud Platonem in
Libris X. Idea perfectae Reipublicae, sed secundum cujus institutionem tum demum
homines vivent, cum aliqua civitas existet, solis sapientibus habitata"; J. A. Bose, De
prudentia et eloquentia civili comparanda diatribae isagogicae, § 14, Jena 1677;
H. Conring, De civili prudentia Uber unus, quo prudentiae politicae, cum universalis
philosophicae, tum singularis pragmaticae, omnis propaedia acromatice traditur, cap.
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Perspektiven der Schwärmerei 159
sehen Regeln der Medizin gelten der Vorbeugung gegen Krankheit, die klini-
schen der Wiederherstellung der Gesundheit; beide sind für den Arzt wichtig,
weil der wirkliche Mensch zwischen beiden Zuständen lebt. Ebenfalls, so der
Vorwurf, darf sich die Staatstheorie nicht auf den Idealstaat konzentrieren, son-
dern sie hat die Stärken und Schwächen des wirklichen Staates zu berücksichti-
gen. Schlosser betrachtet Piaton als einen scharfsinnigen, pragmatischen Staats-
theoretiker, der „immer den ganzen Menschen" - das sowohl vernünftige als
auch empfindende Wesen - vor Augen gehabt und besonders in den Briefen
bewiesen hat, „wie sehr er davon überzeugt war, daß ein jeder Gesetzgeber für
Menschen ... oft Gesetze geben muß, von denen er weiß, daß sie nicht gut sind",
ebenso wie der von den dialektischen Regeln abweichende klinisch behandelnde
Arzt: Nur ein solcher sei fähig, Anteil an der Staatseinrichtung und an ihrer
Verwaltung zu nehmen.56
Auf der anderen Seite gibt Schlosser in einer langen Anmerkung zu Piatons
Ausführungen im Siebten Brief über die Erkenntnismittel die folgende Kampf-
ansage gegen Kant ab: „Bekanntlich lehrte Plato", so Schlosser, „daß ... einem
jeden Dinge ein eigenes Wesen, das er oft Idee nennt, unterläge, das fest und
unveränderlich bliebe ... Dieser Gedanke scheint mir auch sehr gegründet; denn
wir werden auf denselben durch die unmittelbare Anschauung unsrer eignen
ersten wirkenden Prinzipien in uns, und durch die gleichfalls unmittelbare An-
schauung unsers Leidens geführt und dadurch berechtigt, einen analogischen
Schluß auf die Objecte außer uns zu machen ... Es ist jedoch nicht zu leugnen,
daß ... Plato im Objectiviren oft zu weit geht; aber mich dünkt, die allerneueste
deutsche Philosophie zieht die der Menschheit gesetzten Grenzen durch ihr Sub-
jectiviren eben so sehr viel zu enge zusammen. Aus lauter Sorge, in ihr gereinig-
tes oder reinigendes System nichts empirisches einschleichen zu lassen, ...
schneidet sie den denkenden Menschen gleichsam von der ganzen Natur und der
um ihn lebenden, ihn immer mit sich fortreißenden Schöpfung gänzlich ab und
macht ihn vielleicht in einigen Dingen um etwas gewisser, aber wahrhaftig we-
der weiser noch besser .. ,"57
Zwar verteidigt Schlosser Piaton gegen den aufklärerischen Vorwurf der
Schwärmerei in politischer Hinsicht einerseits, dennoch rügt er in epistemologi-
scher Hinsicht dessen übertriebenes ,Objektivieren' der Ideen als Wesensbe-
stimmungen der Dinge. Seiner Meinung nach erschließt die unmittelbare An-
XIV, Helmstadt 1662, 349; J. H. Boeckler, Bibliographia critica scriptores omnium ar-
tium atque scientiarum ordine percensens, cap. XLIV, Leipzig 1715, 643.
56 Schlosser, Vorbericht der ersten Ausgabe, xxix-xxx.
57 Schlosser, Piatos Briefe, 181, Anm. - Komponenten der Erkenntnis sind nach Piaton,
Epistula VII, 342a7-b3: der Name (ονομα), die Definition (λόγος), das Bild (εϊδωλον)
und das diskursive Erkennen (έπιστήμη); darüber wird das wißbare und wahrhafte Sei-
ende (ö γνωστόν τε και αληθώς όν) angesiedelt.
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160 Orrin F. Summerell
schauung sowohl das vernünftige als auch das empfindende Wesen des Men-
schen bzw. des Subjekts; im Ausgang davon darf jedoch nur per analogiam auf
die darauf einwirkenden äußerlichen Objekte geschlossen werden, was ihre Ver-
selbständigung nach Platonischer Art verbietet. Noch mehr als das .Objektivie-
ren' Piatons jedoch kritisiert Schlosser das ,Subjektivieren' der „allerneuesten
deutschen" - der Kantischen - Philosophie, welche die Objektivität der Er-
kenntnisgegenstände auf ihre Bedingung in der apriorischen Struktur des Er-
kenntnissubjekts zurückfuhrt. Denn eher in Piaton als in Kant findet Schlosser
Elemente der Synthese von Intellekt und Empfindung, Mensch und Natur, letzt-
lich Subjekt und Objekt, die nach seiner Auffassung den umfassenden Rahmen
der Erkenntnis bilden und zudem fur die Tugend förderlich sind. Wie die Anti-
platoniker und Lucianischen Geister stiften nach Schlosser auch die Kantianer
mehr Böses als Gutes, indem sie Menschliches und Göttliches entzweien. Dem-
entsprechend wägt er die Ideenlehre und die Transzendentalphilosophie gegen-
einander ab: „In Plato's System kann ich freylich auch die Göttin nicht mit der
Hand ergreifen; aber, wenn ich ihr doch so nahe komme, daß ich das Rauschen
ihres Gewandes vernehmen kann, so fühle ich wenigstens, daß Lebensgeist auf
der Stelle webte. Plato hebt freylich den Schleyer der Isis nicht auf, aber er
macht ihn doch so dünne, daß ich unter ihm die Gestalt der Göttin ahnden kann.
Macht uns die neue deutsche Philosophie glücklicher, wahrer, besser, macht sie
uns nur gewisser, wenn sie neue Schleyer auf die alten wirft, oder wenn sie
vielmehr gar die Göttin so verschwinden macht, daß es niemand mehr einfallen
CO
kann, nur nach ihr zu fragen?" Damit stellt Schlosser Kant nicht nur in eine
Reihe mit den kaltblütigen Philosophen und Lucianischen Geistern, die mehr
Böses als Gutes stiften, sondern er bezichtigt ihn des Atheismus.
Kants schroffes Antwortschreiben auf Schlossers Herausforderung erfolgt
in der Berliner Monatsschrift vom Mai 1796 und handelt „Von einem neuer-
dings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie". Darin thematisiert er das
„Princip durch Einfluß eines höheren Gefühls philosophiren zu wollen", 59 also
die Philosophie unmittelbarer Anschauung, wie dies Schlosser sowie Friedrich
Leopold Graf zu Stolberg, Übersetzer ausgewählter Dialoge Piatons, 60 betreiben
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Perspektiven der Schwärmerei 161
wollen. ,Vornehm' ist nach Kant der von ihm sogenannte „platonisirende Ge-
fühlsphilosoph", insofern dieser ,geniemäßig - durch einen einzigen Scharf-
blick" - , also gerade nicht durch die mühsame Arbeit des diskursiven Verstan-
des, sondern allein durch eine „intellectuelle Anschauung den Gegenstand un-
mittelbar und auf einmal fassen und darstellen" will: In diesem Ton liege ein
„gewisser mystischer Takt, ein Übersprung (salto mortale) von Begriffen zum
Undenkbaren". 61 Als zu erschließende übersinnliche Gegenstände der Gefuhls-
sowie der Transzendentalphilosophie gelten: Unsterblichkeit, Freiheit, Gottheit.
Diese enthüllen sich allerdings nach Kant nicht in theoretischer Hinsicht einem
mit dem Platonischen νους vergleichbaren, alles auf einmal erblickenden Er-
kenntnisvermögen, sondern nur „in praktischer Absicht dem menschlichen Ver-
stände". 62 Auf gar keinen Fall konstitutiver Natur, vielmehr bloß zum regulati-
ven Gebrauch bestimmt, besteht die praktische Erkenntnis des Übersinnlichen
nur in Form von Postulaten, d. h. Voraussetzungen, die für moralische Handlung
notwendig sind. Diejenigen wie Schlosser und Stolberg, die mit Hilfe eines
Vermögens der Anschauung unmittelbar durch den Verstand" Aufschluß über
das Übersinnliche geben möchten, betrachtet Kant als blind gegenüber den wah-
ren Grenzen möglicher Erkenntnis, insofern der menschliche Verstand für ihn
„nicht ein Anschauungs-, nur ein discursives oder Denkungsvermögen" ist: Die
Vernunft treibe uns wohl zum Übergang zum Übersinnlichen, könne diesen
jedoch allein durch praktische Gesetze vollziehen, welche nicht die Materie,
sondern nur die Form freier Handlungen - die Tauglichkeit moralischer Maxi-
men - zum Prinzip machen. 63
Insofern Piaton selbst, der in der Tat den grundsätzlichen Unterschied der
Mathematik von den Erfahrungswissenschaften eingesehen hat, die Möglichkeit
synthetischer apriorischer Erkenntnis in unmittelbaren Anschauungen des Ver-
standes gefunden zu haben meint, bezeichnet Kant den Vater der Ideenlehre als
den „Vater aller Schwärmerei mit der Philosophie".64 Damit bestimmt Kant
Schwärmerei und Philosophie als eine Art Zwillingsgeschwister, die allerdings
unterschieden werden müssen. Den Akademiker Piaton nämlich, den Philoso-
phen, auch wenn er im Einklang mit Pythagoras in der Mathematik „etwas
Überschwenglich-Großes" entdeckt, möchte Kant auf keinen Fall mit dem Brief-
autor Piaton, dem Schwärmer, verwechseln, in dessen Bann nicht nur die Neu-
platoniker, sondern auch seine modernen Verehrer Schlosser und Stolberg ste-
nissen, welche die Weisheit, wie sie gäng und gäbe war, nicht stillen konnte, hoch auf
Flügeln der Ahndung gehoben, achtete er, gegen diese Ahndung, ja selbst gegen diese
unbefriedigten Bedürfnisse, das menschliche Wissen satter Sophisten so viel als nichts".
61 Kant, Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton, 389, 398.
62 Kant, Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton, 389.
63 Kant, Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton, 389, 391, 404.
64 Kant, Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton, 398.
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162 Orrin F. Summerell
hen: Letzterer überschreite etwa im von Schlosser gepriesenen Siebten Brief auf
geradezu mystische Weise die Grenze zwischen der Möglichkeit synthetischer
apriorischer Erkenntnis und der „Ergreifung dessen, was kein Begriff er-
reicht".65 Dagegen hätte der Philosoph Piaton nicht „die Fackel zur Schwärmerei
angesteckt", welche die Platonisierenden Gefühlsphilosophen weitertragen, hätte
er im Sinne Kants eingesehen, daß die Anschauungen, die der legitimen synthe-
tischen apriorischen Erkenntnis zugrunde liegen, sinnlicher statt intellektueller
Natur seien. 66 Insofern ,Schwärmerei' für Kant „eine nach Grundsätzen unter-
nommene Überschreitung der Grenzen" des menschlichen Erkenntnisvermögens
bedeutet, nennt er jemanden wie etwa Schlosser .Schwärmer', der „sich eine
andere Art möglicher Erfahrungen als durch die Sinne und eine andere Art mög-
licher Erkenntnis als durch Begriffe verspricht".67 Die erkenntnistheoretischen
Prinzipien des Schwärmers sprengen den Rahmen, den die durch empirische
bzw. reine Begrifflichkeit vollzogene Anordnung sinnlicher Erfahrung bildet:
Beansprucht wird eine nicht-begriffliche bzw. -diskursive, also unmittelbare Er-
kenntnis, die sich auf eine nicht-sinnliche, also intellektuelle Erfahrung gründen
soll.
Der Streit mit Schlosser stellt eine Fortsetzung der transzendentalphiloso-
phischen Vernunftkritik dar, in der Kant den Idealismus Platonischer Provenienz
von Anfang an thematisiert. Denn es gilt für ihn: „Plato schwärmt mit Ideen
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Perspektiven der Schwärmerei 163
überhaupt", 68 weil sich dieser durch die Ideen eine prinzipiell unmögliche Er-
weiterung der Erkenntnis verspricht. Die Ideen seien für Piaton, so heißt es in
der Kritik der reinen Vernunft, „Urbilder der Dinge selbst und nicht bloß
Schlüssel zu möglichen Erfahrungen, wie die Kategorien" bzw. die reinen Ver-
standesbegriffe, denen nach der Auffassung Kants keine Vorstellungen entspre-
chen können. 69 Vorgestellt werden die Ideen allein durch die Denkkraft selbst,
dies jedoch ohne den wesentlichen Bezug auf die empirische oder auch die reine
Anschauung, der die Verstandesbegriffe auszeichnet. Das Platonische Schwär-
men, das die Möglichkeit sinnlicher Erfahrung derart übersteigt, ebendadurch
aber die transzendentalphilosophischen Bedingungen der Erkenntnis nicht er-
füllt, versinnbildlicht Kant in der Einleitung zur Kritik der reinen Vernunft auf
eindrucksvolle Weise: Wie eine Taube, die sich nach dem freien Fluge im luft-
leeren Raum sehnt, „verließ Plato die Sinnenwelt, weil sie dem Verstände so
enge Schranken setzt, und wagte sich jenseit derselben, auf den Flügeln der
Ideen, in den leeren Raum des reinen Verstandes", wo er allerdings „keinen
Widerhalt" hatte, „gleichsam zur Unterlage, worauf er sich steifen, und woran er
seine Kräfte anwenden konnte, um den Verstand von der Stelle zu bringen". 70
Indem Kant durch die Vernunftkritik dem Höhenflug des Schwärmers in Form
der unmittelbaren Anschauung ein Ende setzt, will er dem Fortkommen des
Philosophen nützlich sein.
Schlossers Kritik an Kant im Namen Piatons wird selbst heftig kritisiert. Im
Jahre 1798 votiert Schelling fur den Königsberger Denker als richtungweisen-
den „Erfinder eines großen Systems" der Philosophie gegen den Schriftsteller
Schlosser, der seiner Meinung nach die für den theoretischen sowie praktischen
Vernunftgebrauch bahnbrechenden „Entdeckungen des Zeitalters ... nicht ein-
68 Kant, Reflexionen zur Anthropologie, 406. - Im Hinblick auf George Berkeley stellt
I. Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird
auftreten können, in: Gesammelte Schriften, Bd. 4, Berlin 2 1911, 253-383, hier: 375,
Anm. *, eine wesentliche Verbindung zwischen dem Platonischem Idealismus und der
Schwärmerei fest, um daraufhin den eigenen „kritischen" Idealismus von beiden zu un-
terscheiden: „Der eigentliche Idealismus hat jederzeit eine schwärmerische Absicht und
kann auch keine andre haben; der meinige aber ist lediglich dazu, um die Möglichkeit
unserer Erkenntniß α priori von Gegenständen der Erfahrung zu begreifen, welches ein
Problem ist, das bisher noch nicht aufgelöset, ja nicht einmal aufgeworfen worden. Da-
durch fallt nun der ganze schwärmerische Idealism, der immer (wie auch schon aus
dem Plato zu ersehen) aus unseren Erkenntnissen α priori (selbst denen der Geometrie)
auf eine andere (nämlich intellectuelle) Anschauung als die der Sinne Schloß, weil man
sich gar nicht einfallen ließ, daß Sinne auch α priori anschauen sollten."
69 I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, 2. Aufl., in: Gesammelte Schriften, Bd. 3, Berlin
1911, B370.
70 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B9; vgl. Kritik der reinen Vernunft, 1. Aufl., ebd., Bd.
4, Berlin 1911, A5.
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164 Orrin F. Summereil
Auf eine Darlegung der Fortsetzung und Rezeption des Streits zwischen Schlos-
ser und Kant kann an dieser Stelle verzichtet werden, zumal darin dessen expli-
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Perspektiven der Schwärmerei 165
75 Zu diesem Streit im Zeichen der Naturphilosophie vgl. C.-A. Scheier, Synthesis a priori.
Zur ersten Philosophie zwischen 1781 und 1817, in: Transzendentalphilosophie und
Spekulation, hrsg. von Jaeschke, 1-12.
76 F. W. J. Schelling, „Timaeus." (1794), hrsg. von H. Buchner. Mit einem Beitrag von
H. Krings: Genesis und Materie - Zur Bedeutung der „ Timaeus "-Handschrift für Schel-
lings Naturphilosophie, Stuttgart-Bad Cannstatt 1994, 32.
77 Vgl. J. G. Fichte, Versuch einer Kritik aller Offenbarung, 2. Aufl., in: ders., Gesamt-
ausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hrsg. von R. Lauth, H. Gli-
witzky, Bd. 1/1, hrsg. von R. Lauth, H. Gliwitzky unter Mitwirkung von M. Zahn,
R. Schottky, Stuttgart-Bad Cannstatt 1964, 127-162, hier: 145.
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166 Orrin F. Summereil
78 J. G. Fichte, Bericht über den Begriff der Wissenschaftslehre und die bisherigen Schick-
sale derselben, 1806/7, in: Gesamtausgabe, Bd. 11/10, hrsg. von R. Lauth, H. Gliwitzky
unter Mitwirkung von E. Fuchs, M. Ivaldo, P. K. Schneider, A.-M. Schurr-Lorusso,
Stuttgart-Bad Cannstatt 1994, 11-74, hier: 59; zitiert wird F. W. J. Schelling, Philoso-
phie und Religion, in: Sämmtliche Werde, Bd. 7, 11-70, hier: 38-39 (mit leichter Verän-
derung). Dazu vgl. W. Janke, „Der Piaton tritt in jeder Stunde unverkennbar bei ihm
hervor". Von der Erfahrung des Seins in Fichtes Vollendung des Platonischen Idealis-
mus, in: Sein und Werden im Lichte Piatons. Festschrift für K. Albert zum 80. Geburts-
tag am 2. Oktober 2001, hrsg. von E. Jain, S. Grätzel, Freiburg, München 2001, 77-91,
bes. 87-88. - Nicht nur Fichte bringt den Piatonismus der Identitätsphilosophie mit der
Schwärmerei in Verbindung: Schellings Zuhörer H. C. Robinson, Brief an Th. Robinson
vom November 1802, in: Schelling im Spiegel seiner Zeitgenossen, hrsg. von X. Tilli-
ette, Turin 1974, 99-100, hier: 99, spricht nicht unkritisch von „hearing the modern
Plato read for a whole hour his new metaphysical Theory of Aesthetick Or the Philoso-
phy of the Arts; I shall in spight of the obscurity of a philosophy compounded of the
most profound abstraction, and enthusiastick mysticism, be interested by par[ticu]lar in-
genious remarkfs] and amused by extravagant Novelties." (Text emendiert.)
79 Schelling, Philosophie und Religion, 39; dazu vgl. R. F. Brown, Is Much of Schelling's
Freiheitsschrift (1809) Already Present in his Philosophie und Religion (1804)?, in:
Schellings Weg zur Freiheitsschrift. Legende und Wirklichkeit. Akten der Fachtagung
der Internationalen Schelling-Gesellschaft 1992, hrsg. von Η. M. Baumgartner, W. G.
Jacobs, Stuttgart-Bad Cannstatt 1996, 110-131.
80 Fichte, Bericht über den Begriff der Wissenschaftslehre, 59; dazu vgl. C. Asmuth, Das
Begreifen des Unbegreiflichen. Philosophie und Religion bei Johann Gottlieb Fichte
1800-1806, Stuttgart-Bad Cannstatt 1999, 342-361, bes. 358: „Interessanterweise er-
wähnt Fichte Schellings Theorie der Freiheit nicht." Siehe femer F. Moiso, Filosofia e
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Perspektiven der Schwärmerei 167
vita: Dialogo e polemico tra Fichte e Schelling, in: Annali della Facoltä di lettre e Filo-
sofia 16 (1983), 211-250; R. Lauth, Kann Schellings Philosophie von 1804 als System
bestehen? Fichtes Kritik, in: Kant-Studien 85 (1994), 48-77.
81 J. G. Fichte, Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, in: Gesamtausgabe, Bd. 1/8,
hrsg. von R. Lauth, H. Gliwitzky unter Mitwirkung von J. Beeler, E. Fuchs, I. Radrizza-
ni, P.-K. Schneider, Stuttgart-Bad Cannstatt 1991, 189-396, hier: 287.
82 Fichte, Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, 283. Vgl. bereits J. G. Fichte,
Brief an F. W. J. Schelling vom 31. Mai 1801, in: Gesamtausgabe, Bd. III/5, hrsg. von
R. Lauth, H. Gliwitzky unter Mitwirkung von E. Fuchs, K. Hiller, P.-K. Schneider,
M. Zahn, Stuttgart-Bad Cannstatt 1982, 43-53, hier: 44: „Sie teilten mir Ihre Ansicht der
Naturphilosophie mit. Ich sah hierin wieder den alten Irrthum"; dazu C. Danz, Die Du-
plizität des Absoluten in der Wissenschaftslehre von 1804 2 - Fichtes Auseinanderset-
zung mit Schellings Identitätsphilosophischer Schrift .Darstellung meines Systems'
(1801), in: Fichte-Studien 12 (1997), 225-250, Asmuth, Das Begreifen des Unbegreifli-
chen, 329-341.
83 Fichte, Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, 285; vgl. Fichtes Polemik gegen
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168 Orrin F. Summerell
weder Rechenschaft über ihre eigenen Gedanken abzulegen noch sich innerhalb
der rechtmäßigen Grenzen möglicher Erkenntnis zu halten. Eindeutig auf Schel-
ling bezieht sich dann das vernichtende Urteil: Alle „Schwärmerei ist, und wird
nothwendig, Natur-Philosophie". 84 Noch 1801 kann Fichte ermahnend von sich
und seinem Adressaten Schelling sprechen als „Männern, die dieselbe Wissen-
schaft bearbeiten" - jetzt freilich nicht mehr: Nach seiner endgültigen Auffas-
sung schöpft Schelling sein Denken aus der Quelle der Schwärmerei, nicht aus
der Wissenschaft oder der Lehre davon. 85
Während für Fichte die „letzten Gründe der Natur" keinen legitimen Ge-
genstand der „ächten Spekulation" bilden können, so daß der echten Vernunft-
wissenschaft das „Experiment", also die Erfahrung prinzipiell unerklärt gegenü-
bersteht, 86 kehrt Schelling in seiner Darlegung des wahren Verhältnisses der
Naturphilosophie zu der verbesserten Fichteschen Lehre den Spieß um: Er setzt
die Schwärmerei mit der Transzendentalphilosophie Kants und Fichtes gleich.
Diese vermöge über das Selbst-Denken hinaus zum An-sich-Sein und damit zur
87
absoluten Voraussetzung der Natur und des Geistes nicht zu gelangen. „Wir
glauben", so Schelling im selbstbewußten Unterschied zu seinen unmittelbaren
Vorgängern, „daß dieß eben schon die ganze und volle Schwärmerei ist, eine
eigne Welt des Gedankens und eine eigne der Wirklichkeit zu setzen." 88
Schwärmerei - das ist nun für Schelling nicht einfach die Übertragung des Em-
pirischen auf das Übersinnliche, sondern die eigenwillige Auseinanderhaltung
von Denken und Sein. Rhetorisch fragt er: „Wer hat ... ärger, lauter und im
Schelling im Brief an K. F. Beyme vom 10. Mai 1806, in: Gesamtausgabe, Bd. III/5,
357-358, hier: 358: „Es gibt keine Naturphilosophie; und wer ein Philosoph zu seyn
glaubt, ohne von Religion und Moral auszugehen, und gerade darin seine Stärke zu be-
sitzen, ingleichen, wer an eine selbständige Natur in der Spekulation glaubt, der befin-
det sich im Irrthume."
84 Fichte, Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, 286-287.
85 Fichte, Brief an Schelling vom 31. Mai 1801, 43. Vgl. J. G. Fichte, Wissenschaftslehre
(1805), in: Gesamtausgabe, Bd. II/9, hrsg. von R. Lauth, H. Gliwitzky unter Mitwir-
kung von J. Beeler, E. Fuchs, I. Radrizzani, P.-K. Schneider, Stuttgart-Bad Cannstatt
1993, 173-311, hier: 234: Schellings intellektuelle Anschauung sei das wahre „Princip
der tollsten Schwärmerei, wo wir noch von gutem Glüke zu sagen haben, wenn sie nicht
das allerheilloseste hervorbringt, wozu sie nach ihrem Systeme das unbeschränkteste
Recht hat".
86 Fichte, Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, 288.
87 Vgl. F. W. J. Schelling, Darlegung des wahren Verhältnisses der Naturphilosophie zu
der verbesserten Fichteschen Lehre. Eine Erläuterungsschrift der ersten, in: Sämmtli-
che Werke, Bd. 7, 1-126, bes. 26, Anm. 1, 35-48, 72-74, 95, 120; dazu Asmuth, Das
Begreifen des Unbegreiflichen, 362-370.
88 Schelling, Darlegung des wahren Verhältnisses der Naturphilosophie zu der verbesser-
ten Fichteschen Lehre, 35.
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Perspektiven der Schwärmerei 169
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170 Orrin F. Summereil
zendentalen Idealismus im Keim angelegt sein soll, den Versuch dar, „den Fich-
teschen Idealismus mit der Wirklichkeit auszusöhnen, oder zu zeigen, wie
gleichwohl, auch unter Voraussetzung des Fichteschen Satzes, daß alles nur
durch das Ich und für das Ich ist, die objektive Welt begreiflich sey". 9 ' Folglich
bedeutet für den rückblickenden Schelling, „wieder ins Objektive zu kommen",
d. h. dieses begreiflich zu machen, dies: die „Hülle des Fichteschen Gedankens"
zu durchbrechen und die „Seele des von Fichte unabhängigen Systems" zu be-
freien, und zwar dadurch, daß der ,froceß, ... in welchem sich das Ich eben
durch den Akt des Selbstsetzens unbeabsichtigter, aber nothwendiger Weise
verwickelt sieht", erklärt wird. 92 Gerade in der Erklärung dieses Prozeßes - die-
ser Geschichte - entdeckt der rückblickende Schelling seine Nähe zu Piaton so-
wie zur Platonischen Anamnesislehre und Sokratischen Maieutik. Diese späte
Selbstinterpretation stimmt dann mit einer anderen Selbstinterpretation überein,
die Schelling kaum ein Jahr nach Erscheinen seines Systems des transzenden-
talen Idealismus, also noch in der Blütezeit der Identitätsphilosophie, an Fichte
weitergibt: Bereits mit seinen Philosophischen Briefen über Dogmatismus und
Kriticismus von 1795 habe er ein Dokument vorgelegt, daß für ihn „die Wahr-
heit höher liege, als der Idealismus geht". 93 Höher als der Idealismus geht aber
der Piatonismus. Denn in den Philosophischen Briefen behauptet Schelling: Die
nur als Nachahmungen einer freiheitlichen Selbstanschauung erklärbaren empi-
rischen Handlungen wären „nicht begreiflich, hätten wir nicht - um in Piatons
Sprache mich auszudrücken - irgend einmal in der intellektualen Welt ihr Vor-
bild angeschaut", auch wenn wir im Platonischen Sinne gefallene Wesen seien,
„seitdem wir aufhörten, die Dinge an sich anzuschauen". 94 Ebendieser Platoni-
schen Lehre vom Abfall der Seele aus ihrem vorgeburtlichen Leben in der
Ideenwelt will Schelling nach seiner Selbstinterpretation in seinem früheren -
transzendentalphilosophischen - Denken und wiederum in seiner späten - ge-
schichtlichen - Philosophie auf eigene Weise Geltung verschaffen.
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Perspektiven der Schwärmerei 171
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172 Orrin F. Summereil
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Perspektiven der Schwärmerei 173
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JENS HALFWASSEN
1 Vgl. J. Halfwassen, Zur Entdeckung der Transzendenz in der Metaphysik, in: ZiF-Mit-
teilungen 2 (2002), 1-12; ders., Metaphysik und Transzendenz, in: Jahrbuch fiir Religi-
onsphilosophie 1 (2002), 13-27.
2 Vgl. W. Beierwaltes, Denken des Einen. Studien zur neuplatonischen Philosophie und
ihrer Wirkungsgeschichte, Frankfurt a. M. 1985.
3 Grundlegend dazu bleibt H. J. Krämer, Arete bei Piaton und Aristoteles. Zum Wesen
und zur Geschichte der platonischen Ontologie, Heidelberg 1959.
4 Zu Schellings Verhältnis zum Neuplatonismus vgl. W. Beierwaltes, Piatonismus und
Idealismus, Frankfurt a. M. 1972, 67-82, 100-144, sowie die Auswahl der von Win-
dischmann wohl 1805 für Schelling auf dessen Bitte übersetzten „Stellen aus Plotinos",
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176 Jens Halfwassen
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Freiheit und Transzendenz 177
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178 Jens Halfwassen
sehe Lösungen von Plotin über Augustin bis Leibniz Schelling indes nicht be-
friedigen. 11
Schelling löst das Problem dadurch, daß er als Grund der Möglichkeit des
Bösen und damit zugleich der menschlichen Freiheit ein Moment in Gott an-
setzt, das zwar ein konstitutives Moment Gottes, das aber gleichwohl nicht Gott
selbst ist. Dieses Moment in Gott, „was in Gott selbst nicht Er selbst ist", 12
nennt Schelling den „Grund" in Gott, den er von Gott als existierendem unter-
scheidet, der aber zugleich als Grund der Existenz Gottes von Gott unabtrennbar
ist; für diese Unterscheidung von Grund und Existenz in Gott beruft sich Schel-
ling auf die traditionelle Bestimmung Gottes als causa sui, die als Selbstbegrün-
dung zugleich eine Selbstunterscheidung in Gott selber impliziert. 13 Den Grund
denkt Schelling als das erste Moment innerhalb der trinitarischen Selbstkonstitu-
tion Gottes und zugleich - da die Welt die Selbstexplikation Gottes ist - als das
erste Prinzip der Weltbegründung, die erste Potenz des weltbegründenden Abso-
luten. Schelling unterscheidet seit seiner Frühzeit drei derartige Potenzen, die er
gleichermaßen als Wesensmomente Gottes wie als Prinzipien der Weltbegrün-
dung denkt. 14
In der Freiheitsschrift entwickelt er die trinitarische Selbstvermittlung des
Absoluten in drei Stufen, in denen jeweils dem Geist als dem Moment der Ein-
heit in dieser Selbstvermittlung die Schlüsselrolle zufällt. Die erste und grundle-
gende Stufe ist die Selbstvermittlung des vor- und überweltlichen Gottes in sich,
womit Schelling die christliche Trinitätsspekulation aufnimmt, die er durch die
Prinzipientriade aus Piatons Philebus auslegt. Das erste Moment der göttlichen
Selbstvermittlung ist fur Schelling der Grund, der als reine Spontaneität und
d. h. als reines Aus-sich-Hervorbringen Realität überhaupt setzt, dabei aber als
solcher noch völlig unbestimmt bleibt; er entspricht damit Piatons Prinzip des
άπειρον. Das zweite Moment ist die Existenz in Gott, die Piatons begrenzendem
Prinzip entspricht: Dies ist die Idee als der Inbegriff reiner Bestimmtheit, die
11 Zur klassischen Lösung dieses Problems durch die Privationstheorie des Bösen vgl. die
ertragreiche Studie von C. Schäfer, Unde malum? Die Frage nach dem Woher des Bö-
sen bei Plotin, Augustinus und Dionysius, Würzburg 2002.
12 Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit,
359.
13 Vgl. Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Frei-
heit, 357-360.
14 Schelling gewinnt seine drei Potenzen bereits in seinem Kommentar zu Piatons Timaeus
von 1794 durch eine spekulative Deutung der drei Prinzipien des άπειρον, des πέρας
und des νοΰς (als der Einheit von άπειρον und πέρας) aus Piatons Philebus, 15al-c3,
23c4-27cl. Vgl. F. W. J. Schelling, „Timaeus." (1794), hrsg. von H. Buchner. Mit
einem Beitrag von H. Krings: Genesis und Materie - Zur Bedeutung der ,, Timaeus "-
Handschrift für Schellings Naturphilosophie, Stuttgart-Bad Cannstatt 1994, 27-29, 35-
3 7 , 6 1 - 6 3 u. ö.
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Freiheit und Transzendenz 179
sich als das eigentlich oder wahrhaft Seiende zum Kosmos der Ideen differen-
ziert und damit im Sinne des christlichen Piatonismus der die Welt bestimmende
λόγος ist; der λόγος setzt aber die ursprüngliche Seinssetzung durch den spon-
tan aus sich hervorbringenden Grund immer schon voraus und ist so erst das
Zweite. Gott ist „Er Selbst" aber erst als die Einheit der spontan hervorbringen-
den Kraft des Grundes und der reinen Seinsbestimmtheit der Idee; diese Einheit
ist der νους, der Geist als das dritte Moment der Trinität, in dem produktive
Spontaneität und ideenhafte Bestimmtheit vereint sind. Als Geist kehrt Gott aus
seiner Selbstunterscheidung in Grund und Existenz in die Einheit zurück und ist
als erfüllte Selbstvermittlung und Selbstbeziehung allererst wahrhaft Gott.
Die zweite Stufe der göttlichen Selbstoffenbarung ist sodann die Kosmo-
gonie, die Schelling als das Auseinandertreten der Momente Gottes zu eigen-
ständiger Wirksamkeit denkt. Dieses Auseinandertreten der Momente des Grun-
des, der Idee oder des λόγος und des Geistes zu eigenständigen weltbestimmen-
den Prinzipien und Mächten ergibt sich aber gerade aus ihrer vorweltlichen Ein-
heit in Gott als Geist, da zum Geist gehört, daß er sich in einem von ihm ver-
schiedenen Anderen manifestiert. Dieses Andere des Geistes ist die Welt, die
nur als von Gott verschiedene der Schauplatz seiner Offenbarung und Selbst-
offenbarung sein kann. Die Verschiedenheit der Welt von Gott entspringt dem,
was in Gott nicht Gott selbst ist, also dem Grund, der als das ursprünglich welt-
setzende Prinzip den Charakter des Platonischen Materialprinzips aus dem 77-
maeus annimmt. 15 Dieses Materialprinzip ist als das Worin des Werdens kein
bloß passiv aufnehmender Stoff, sondern das wirkende Prinzip der Veränderung
und der Individuation aller Weltwesen; Schelling deutet es mit Plutarch als ur-
sprunghafte Lebendigkeit, die spontan hervorbringt, das Hervorgebrachte aber
sogleich wieder in sich verschließt und damit Züge einer irrational dämonischen
Macht annimmt. 16 Zur Entstehung einer gestalteten und geordneten Welt kommt
es darum erst dadurch, daß der göttliche λόγος die ihm innewohnenden Ideen in
die unbestimmt fluktuierende Lebendigkeit jener Urmaterie hineinbildet und
15 Vgl. Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Frei-
heit, 360: „So also müssen wir die ursprüngliche Sehnsucht uns vorstellen, wie sie zwar
nach dem Verstände sich richtet, den sie noch nicht erkennt, wie wir in der Sehnsucht
nach unbekanntem namenlosem Gut verlangen, und sich ahndend bewegt, als ein wo-
gend wallend Meer, der Materie des Piaton gleich, nach ungewissem dunklem Gesetz,
unvermögend etwas Dauerndes für sich zu bilden." Schelling bezieht sich hier auf Pia-
ton, Timaeus 52d4-53b5. Vgl. zum Strebecharakter des Platonischen Materialprinzips
H. J. Krämer, Der Ursprung der Geistmetaphysik. Untersuchungen zur Geschichte des
Piatonismus zwischen Piaton und Plotin, Amsterdam 2 1967, 326-329; H. Happ, Hyle.
Studien zum aristotelischen Materiebegriff, Berlin, N e w York 1972, 203-208.
16 Zu Plutarchs Deutung der Platonischen Materie als einer irrationalen Urseele, die für
Plutarch die Grundlage der Weltschöpfung ist, vgl. W. Deuse, Untersuchungen zur mit-
telplatonischen und neuplatonischen Seelenlehre, Mainz, Stuttgart 1983, bes. 12-27.
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dadurch ans Licht und zur Entfaltung bringt, was in ihr verborgen ist. Dieses
Zusammenwirken der spontan produzierenden Kraft des Grundes und der ge-
staltgebenden und entfaltend aufschließenden Kraft der Idee ist nur möglich
aufgrund der Einheit dieser beiden Prinzipien im Geist; es ist darum der Geist,
der die Welt als frei schaffender, allmächtiger Wille erschafft, um sich in ihr als
frei über sich hinausgehende, sich mitteilende Güte oder Liebe zu offenbaren.
Der Geist kann in seiner Einheit aber nur in einem Wesen offenbar werden, das
selber Geist ist und das somit als die Identität der Spontaneität des Grundes mit
der Bestimmungskraft der Idee wie Gott selber geisthafter Wille ist, der sich frei
zu sich selbst bestimmt: Dies ist der Mensch. Die dritte Stufe der göttlichen
Selbstoffenbarung ist darum die Geschichte, in der sich die Selbstbestimmung
des menschlichen Geistes als Wille vollzieht und die darum anders als die von
Notwendigkeit bestimmte Natur eine Geschichte der Freiheit ist.
Für Schelling ist im Menschen anders als in allen Naturwesen der Grund
mit der Idee nicht bloß in einer bestimmten Konfiguration verbunden, sondern
beide Prinzipien sind in der Einheit des Geistes zu vollkommener Identität ver-
schmolzen. 17 Wie jedes Naturwesen ist auch der Mensch kraft des Grundes ein
in sich zentriertes, selbständiges Individuum, das kraft der Idee ein sich entfal-
tendes, über seinen jeweiligen Zustand hinausgehendes Leben hat. Der Mensch
realisiert in dieser Entfaltung aber nicht bloß einen Ausschnitt aus der Wesens-
ftille der Ideen, sondern den λόγος selbst als die ganze Fülle der Ideen. Darum
ist das zum λόγος aufgeschlossene menschliche Selbst anders als das aller Na-
turwesen auch nicht bloß individuell, sondern selber λόγος-haft und geistig,
d. h. fähig zum freien Hinausgehen über seine individuelle Besonderheit und
Begrenztheit im vernünftigen Ausgriff auf das Ganze der Wirklichkeit.
Auf dieser Geistigkeit beruht die Freiheit des Menschen. Sie ist aber noch
nicht die spezifisch menschliche Freiheit. Das Spezifische der menschlichen
Freiheit besteht vielmehr darin, daß im Menschen das Verhältnis von λόγος und
Selbst selber ein frei bestimmtes ist: Das „Band der Prinzipien in ihm ist kein
notwendiges, sondern ein freies", 18 so Schelling. An sich ist in der Einheit des
Geistes der λόγος als Inbegriff der Ideen von sich her das Bestimmende und das
dem Grund entsprungene Selbst von sich her das Bestimmte. Schelling nennt
dieses Verhältnis der Prinzipien den Universalwillen, der sich von der Allge-
meinheit des λόγος bestimmen läßt. Der Mensch ist aber frei, dieses Verhältnis
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Freiheit und Transzendenz 181
19 Vgl. Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Frei-
heit, bes. 365.
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182 Jens Halfwassen
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Freiheit und Transzendenz 183
Gleichsetzung des Guten mit dem Einen: „Wir haben sonst das Höchste aus-
gesprochen als die wahre, die absolute Einheit von Subjekt und Objekt, da keins
von beyden und doch die Kraft zu beyden ist ... Ihr Wesen ist nichts als Huld,
Liebe und Einfalt" - Einfalt im Sinne von reiner, unterschiedsloser Einfachheit,
Huld und Liebe aber, weil die reine Einfachheit sich allem Seienden neidlos
mitteilt: „Sie ist im Menschen die wahre Menschheit, in Gott die Gottheit." 23
Denn jedes Seiende ist das, was es ist, nur kraft der Einheit, die es dem Übersein
verdankt, das Schelling wie Plotin sogar „Nichts" nennt. 24 Die Selbstmitteilung
des Einen entspringt gerade seiner überseienden Nichtigkeit, die zugleich abso-
lute Fülle ist, wie Schelling durch eine Methodenreflexion deutlich macht: „Die
Bedeutung der Verneinung ist allgemein eine sehr verschiedene, je nachdem sie
auf das Innere oder Aeußere bezogen wird. Denn die höchste Verneinung im
letzten Sinn muß Eins seyn mit der höchsten Bejahung im ersten." 25 Gerade auf-
grund seiner inneren Überfülle also kann das Eine keine Eigenschaften, keine
ihm zukommenden Bestimmungen haben. Die Negation aller Prädikate meint so
die reine Transzendenz dessen, dem sie abgesprochen werden. Was Schelling in-
tendiert, ist also eine transzendierende Negation im Sinne von Plotin und Pro-
klos. 26 Wie für Plotin, Proklos und Dionysius Pseudo-Areopagita ist das übersei-
ende Eine auch für Schelling nicht Gott, sofern Gott trinitarisch sich selbst ver-
geht, bleibt grundlegend W. Schulz, Die Vollendung des deutschen Idealismus in der
Spätphilosophie Schellings, Pfullingen 2 1975. - Zur neuplatonischen Konzeption der
absoluten Transzendenz des Einen und zu ihrer Herkunft von Piaton und Speusipp vgl.
J. Halfwassen, Der Aufstieg zum Einen. Untersuchungen zu Piaton und Plotin, Stuttgart
1992. - Ausgesprochen hat die Seinstranszendenz des Absoluten als erster Piaton, Res
publica 509b6-10; Parmenides 141e3-142al; Test. Plat. 50 Gaiser (Speusipp). Zu Pia-
tons Gleichsetzung des Guten mit dem Einen vgl. Aristoteles, Metaph. XIV 4, 1091bl3-
15; Eth. Eud. 18, 1218al5-30.
23 Schelling, Die Weltalter. Druck I, 15-16.
24 Vgl. Schelling, Weltalter. Druck I, 14-15: „Den meisten, weil sie jene höchste Freyheit
nie empfanden, scheint es das Höchste, ein Seyendes oder Subjekt zu seyn; daher fragen
sie: was denn über dem Seyn gedacht werden könne? und antworten sich selbst: Das
Nichts, oder dem Aehnliches. Ja wohl ist es ein Nichts, aber wie die lautere Freyheit ein
Nichts ist." Vgl. Plotinus, Enn. III 8, 10, 28 (Creuzer hatte diese Schrift Plotins 1805 ins
Deutsche übersetzt, Schelling hat sich Exzerpte aus ihr gemacht; vgl. Beierwaltes, Pia-
tonis mus und Idealismus, 103-104).
25 Schelling, Weltalter. Druck I, 15.
26 Vgl. zur Negation als Ausdruck der Transzendenz W. Beierwaltes, Proklos. Grundzüge
seiner Metaphysik, Frankfurt a. M. 2 1979, 339-366, bes. 348-357. - Zu Hegels Versuch
einer spekulativen Aufhebung der negativen Theologie vgl. J. Halfwassen, Hegels Aus-
einandersetzung mit dem Absoluten der negativen Theologie, in: Der Begriff als die
Wahrheit. Zum Anspruch der Hegeischen ,subjektiven Logik', hrsg. von A. F. Koch,
A. Oberauer, K. Utz, Paderborn 2002, 31-47.
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184 Jens Halfwassen
mittelnder Geist ist: „Daher wir gewagt, jene Einfalt des Wesens über Gott zu
setzen, wie schon einige der Aelteren von einer Ueber-Gottheit geredet." 27
Inwiefern ist aber die Transzendenz des Einen die letzte Begründung der
Freiheit? Und wieso kann sie selber als absolute Freiheit begriffen werden? Die
Antwort auf beide Fragen ergibt sich aus Schellings eigenwilliger Argumen-
tation für das Übersein, die nicht leicht zu durchschauen ist und nur von der
Potenzenlehre der Freiheitsschrift her einleuchtet. Schelling sagt nämlich: „Ei-
nem jeden von uns wohnt das Gefühl bey, daß Die Nothwendigkeit dem Seyn
als sein Verhängnis folgt." 28 Gemeint ist wohl folgendes: Das ursprünglich
seinssetzende Prinzip ist der Grund, der als blind produzierende Kraft für sich
das Gegenteil vernünftiger Freiheit, nämlich wie Piatons Materie blinde, be-
wußtlose Notwendigkeit, ανάγκη, ist; kraft seiner Herkunft aus dem Grund
folgt dem Sein die Notwendigkeit als ein Verhängtes, ein der freien Wahl Ent-
zogenes. Daß ich existiere, ist kein Akt meiner Freiheit, sondern ich muß mein
Sein als ein unvorgreiflich vorgegebenes Faktum oder Fatum hinnehmen. Für
den späten Schelling wird dies ein entscheidender Einwand gegen Hegel, der
eine autonome Selbstbegründung der Vernunft, wie sie Hegels Logik intendiert,
in Schellings Augen zum Scheitern verurteilt. 29
Aus dem Notwendigkeitscharakter des Seins folgt zugleich, daß allem Sei-
enden immer nur eine eingeschränkte, aber keine absolute Freiheit möglich ist.
Auch die sua sponte vollzogene Selbstentfaltung, durch die sich die Wesensfülle
des λόγος im Seienden realisiert, ist kein reines Freiheitsgeschehen. Denn durch
diese vom λόγος bestimmte Entfaltung kommt Schelling zufolge nur ans Licht
und zur Aktualität, was in der Unbestimmtheit des Grundes implicite und im
Modus der Möglichkeit schon enthalten war. Der Grund ist keine leere Projekti-
onsfläche der Ideen, sondern er enthält die Totalität aller Ideen schon in sich,
nur unaufgeschlossen und verborgen. 30 Die Entfaltung des Seienden zur Aktuali-
27 Schelling, Weltalter. Druck I, 16. Schelling bezieht sich damit wohl auf Dionysius
Pseudo-Areopagita, De divinis nominibus IV 1; XI 6 (diese Stelle ist zitiert bei dem von
Schelling oft benutzten J. Gerhard, Locorum Theologicorum Tomus Tertius, Tübingen
1764, 72); XIII 3; De mystica theologia. I 1. Daß das überseiende Absolute mehr als
Gott ist, formuliert schon Plotinus, Enn. VI 9, 6, 12-16 (Auszüge aus Enn. VI 9 fand
Schelling in Windischmanns „Stellen aus Plotinos"); ebenso Proclus, In Parmenidem
1108, 29-1109, 7 Cousin u. ö.
28 Schelling, Weltalter. Druck I, 14.
29 Vgl. dazu Schulz, Die Vollendung des deutschen Idealismus, passim; ferner M. Frank,
Der unendliche Mangel an Sein. Schellings Hegelkritik und die Anfänge der Manschen
Dialektik, Frankfurt a. M. 1975, bes. 135-154; M. Theunissen, Die Aufhebung des Idea-
lismus in der Spätphilosophie Schellings, in: Philosophisches Jahrbuch 83 (1976), 1-29;
ders., Die Idealismuskritik in Schellings Theorie der negativen Philosophie, in: Ist syste-
matische Philosophie möglich?, hrsg. von D. Henrich, Bonn 1977, 173-191.
30 Vgl. Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Frei-
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Freiheit und Transzendenz 185
tät seines vollen Wesens erfolgt dämm zwar spontan, aber kraft einer ontologi-
schen Intentionalität, die aller Selbstbestimmung vorausgeht und ihr gerade als
ihre Ermöglichung ewig entzogen bleibt, so daß Schelling sagen kann: „Wollen
ist Ursein." 31 Ebendiese Intentionalität des Seins ist fur Schelling nun aber Aus-
druck eines Mangels: Die unaufgeschlossene Latenz des Grundes hält es bei sich
nicht aus, sie muß über sich hinaus. Das Seiende ist aufgrund des Grundes nicht
frei, sich zu entfalten oder nicht zu entfalten: „Alles Seyende hat den Stachel des
Fortschreitens, des sich Ausbreitens in sich, Unendliches ist in ihm verschlos-
sen, das es aussprechen möchte", 32 so Schelling. Dies ist das Wesensgesetz alles
Seienden. Auch die bewußte Selbstbestimmung des Geistes vollzieht sich immer
schon eingelassen in ein Entfaltungsgeschehen, über das der Geist nicht Herr ist,
weil es vor allem Zusichkommen des Geistes immer schon in Gang gesetzt ist.
Reflexives Zusichkommen setzt somit ein Seinsgeschehen voraus, das nicht die
Reflexion, sondern die blinde, unbewußte Intentionalität des Grundes in Gang
setzt und in Gang hält. Für Schelling folgt daraus: „Nur über dem Seyn wohnt
die wahre, die ewige Freyheit. Freyheit ist der bejahende Begriff der Ewigkeit
oder dessen, was über aller Zeit ist." 33
„Ewigkeit" heißt das überseiende Eine vor dem Hintergrund des ontologi-
schen Zeitkonzepts der Weltalter, das Zeit nicht als Verlaufsform von Naturpro-
zessen oder Bewußtseinsströmen versteht, sondern als das Ganze jenes Entfal-
tungsgeschehens, durch das sich das Seiende aus der Verschlossenheit des Grun-
des zu sich und zu seiner Erfüllung im Geist vermittelt. Als Einheitsgrund der
dieses Entfaltungsgeschehen konstituierenden Potenzen ist das Eine darum in
keiner Zeit, sondern Ewigkeit über aller Zeit. Der positive Begriff dieses allein
Überzeitlichen und Überseienden ist Schelling zufolge Freiheit, allerdings nicht
Freiheit im Sinne des sich reflexiv selbst bestimmenden Willens, des Geistes.
Freiheit ist das Absolute vielmehr gerade aufgrund seiner Überseiendheit, durch
die es dem Ganzen des durch den blinden Grund initiierten und in Gang gehal-
tenen Geschehens der Seinsentfaltung entnommen ist. Weil alles Sein sich zu-
letzt der blinden Notwendigkeit des Grundes verdankt, darum ist absolut frei al-
lein das, was über allem Sein ist. Absolute Freiheit meint also keine Erfüllung
einer Intention und kein Wollen, sondern gerade umgekehrt das Freisein von
aller Intentionalität, wie Schelling an der Paradoxie eines nicht-wollenden Wil-
heit, 361: „Weil nämlich dieses Wesen ... nichts anderes ist als der ewige Grund zur
Existenz Gottes, so muß es in sich selbst, obwohl verschlossen, das Wesen Gottes [d. h.
die Einheit aller Ideen] gleichsam als einen im Dunkel der Tiefe leuchtenden Lebens-
blick enthalten."
31 Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit,
350.
32 Schelling, Weltalter. Druck I, 14; ähnlich Plotinus, Enn. IV 8, 6, 6-16.
33 Schelling, Weltalter. Druck I, 14.
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lens erläutert: Die lautere Freiheit ist ein Nichts, „wie der Wille, der nichts will,
der keiner Sache begehrt, dem alle Dinge gleich sind, und der darum von kei-
nem bewegt wird. Ein solcher Wille ist Nichts und ist Alles. Er ist Nichts, inwie-
fern er weder selbst wirkend zu werden begehrt, noch nach irgend einer Wirk-
lichkeit verlangt. Er ist Alles, weil doch von ihm als der ewigen Freyheit allein
alle Kraft kommt, weil er alle Dinge unter sich hat, alles beherrscht und von
keinem beherrscht wird." 34
Absolute Freiheit ist hier also gerade nicht als Selbstbestimmung gedacht,
sondern als Freiheit von aller Bestimmtheit und eben darum auch zu aller Be-
stimmtheit. Diese Freiheit von aller Bestimmtheit ist aber keine Leere, sondern
vielmehr die absolute Erfüllung, die gerade als absolute ohne reflexives Beisich-
sein und darum auch ohne Wissen von sich ist, wie Schelling deutlich macht:
„Es ist die reine Frohheit in sich selber, die sich selbst nicht kennt, die gelassene
Wonne, die ganz erfüllt ist von sich selber und an nichts denkt, die stille Innig-
keit, die sich freut ihres nicht Seyns." 35
Die zitierte Formulierung macht zugleich deutlich, daß die absolute Frei-
heit in sich selbst Tätigkeit ist, aber eine reine oder absolute Tätigkeit, die gera-
de als absolute ohne ein Tätiges, ohne ein Subjekt ist, das sich in dieser Tätigkeit
bestimmt. Diese absolute Tätigkeit hat darum, wie Walter Schulz zu Recht be-
tont hat, auch nicht mehr den Charakter der Subjektivität, sondern sie ist das,
was die Subjektivität zu ihrer tätigen Selbstvermittlung allererst ermächtigt. 36
Die von ihr ermächtigte Selbstvermittlung aber ist gerade aufgrund ihrer re-
flexiven Struktur keine reine, sondern nur noch eine derivierte Freiheit.
Subjektivität, Sich-Wissen, Selbstbewußtsein, das durch seine Tätigkeit zu
sich kommt, bestimmt darin sich selbst und ist so zwar frei, es kommt zu sich
selber aber nur durch jenes ontologische Entfaltungsgeschehen, über das das
Selbstbewußtsein nicht Herr ist. Es ist darum nicht frei, sich selbst zu setzen
oder nicht zu setzen, sondern es muß sich in und vor aller Selbstbestimmung
immer schon als ein bereits existierendes hinnehmen, es hat anders gesagt nur
sein Wassein als ein selbstbestimmtes, sein Daßsein, das Faktum seiner Exi-
stenz, aber als ein unvordenklich vorgegebenes. Dagegen ist das absolute Eine,
wie Schelling dann in seiner Spätphilosophie weiter ausführt, gerade zufolge
seiner Transzendenz über das Sein frei, das Sein zu setzen oder nicht zu setzen.
In dieser Freiheit, das Sein zu setzen oder nicht zu setzen, ist es „Herr des
Seyns", 37 Herr über den theogonischen und kosmogonischen Prozeß der Seins-
34 Schelling, Weltalter. Druck I, 15. - Zum Einen als Nichts und Allem in diesem Sinne
vgl. Plotinus, Enn. V 2, 1, 1-7; III 9, 4.
35 Schelling, Weltalter. Druck I, 16.
36 Vgl. Schulz, Die Vollendung des deutschen Idealismus, bes. 52-72.
37 Vgl. F. W. J. Schelling, Darstellung des philosophischen Empirismus. Aus der Einlei-
tung in die Philosophie, in: Sämmtliche Werke, Bd. 10, 260-263; ders., Philosophische
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Freiheit und Transzendenz 187
entfaltung. Als die reflexionslos in sich wesende, seinslose reine Tätigkeit, die
alle Selbstvermittlung allererst zu ihr selbst ermächtigt, ist das Eine auch über
diese Ermächtigung selber noch mächtig, es ist frei, die Selbstvermittlung der
Subjektivität zu ermächtigen oder nicht. Absolute Freiheit meint so ein Doppel-
tes:
1. das Herausgenommensein aus dem Entfaltungszusammenhang des Seins im
ganzen;
2. die freie Macht, diesen Entfaltungszusammenhang in seiner Totalität zu set-
zen oder nicht zu setzen.
Diese freie, weil durch nichts, auch nicht durch sich selbst bestimmte Mächtig-
keit zur Setzung des Seinszusammenhangs ist selber kein Setzen, sondern reiner
Überschwang, „absolute Transscendenz". 38 Erst dies ist die absolute Freiheit.
Die absolute Freiheit der Transzendenz ist zugleich der absolute Ursprung
jeder endlichen Freiheit. Denn das Übersein ermächtigt in einem Akt unvor-
denklicher und unvorgreiflicher Freiheit die Potenzen zu ihrer relationalen Ein-
heit und damit zur prozessualen Entfaltung des Seins. Der letzte Grund der
menschlichen Freiheit ist somit nicht der Grund, sondern jener Urgrund oder
„Ungrund", dessen erste, unbestimmteste und in jedem Sinne des Wortes vorläu-
figste Manifestation der Grund selber ist. Als Freiheit aber manifestiert sich der
überseiende Urgrund nicht im Grund und auch nicht im λόγος, sondern erst in
der freien Selbstbestimmung des Geistes. Der Freiheitsschrift zufolge ist der
Geist frei, weil in ihm das dem Grund entsprungene Selbst selber zum λόγος
aufgeschlossen und dadurch von der blinden Notwendigkeit des Grundes befreit
ist; genau dies macht den Geist zur Person. 39 Als das ermächtigende Prinzip die-
ser geistigen Freiheit der Person kann Schelling das überseiende Absolute den
„absolut freien Geist" und die „absolute Persönlichkeit" nennen. 40
Einleitung in die Philosophie der Mythologie oder Darstellung der reinrationalen Phi-
losophie, in: Sämmtliche Werke, Bd. 11, 564, 571; ders., Philosophie der Mythologie.
Der Monotheismus, in: Sämmtliche Werke, Bd. 12, 33; ders., Einleitung in die Philoso-
phie der Offenbarung oder Begründung der positiven Philosophie, in: Sämmtliche Wer-
ke, Bd. 13, 160; ders., Andere Deduction der Principien der positiven Philosophie, in:
Sämmtliche Werke, Bd. 14, 350 u. ö. - Analog dazu ist Piatons Benennung des Einen
als „König von Allem" (Ep. II 3 1 2 e l - 2 ) und der mit dem Einen identischen Idee des
Guten als „Herrin, die Wahrheit und Geist gewährt" (Res publica 517c4).
38 Schelling, Einleitung in die Philosophie der Offenbarung, 128, 132, 1 6 5 , 2 1 5 , 2 4 0 , 2 5 6 .
39 Vgl. Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Frei-
heit, 364: „Das aus dem Grunde der Natur emporgehobene Princip, wodurch der
Mensch von Gott geschieden ist, ist die Selbstheit in ihm, die aber durch ihre Einheit
mit dem idealen Princip Geist wird. Die Selbstheit als solche ist Geist, oder der Mensch
ist Geist als ein selbstisches, besonderes (von Gott geschiedenes) Wesen, welche Ver-
bindung eben die Persönlichkeit ausmacht."
40 Vgl. F. W. J. Schelling, Philosophie der Offenbarung 1841/42 (Paulus-Nachschrift),
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188 Jens Halfwassen
Dabei besteht die Freiheit dieses absoluten Geistes Schelling zufolge gera-
de in seiner Transzendenz über sein eigenes Geist-Sein: „Der absolute Geist ist
der auch von sich selbst, von seinem als Geist Seyn wieder freie Geist; ihm ist
auch das α/s-Geist-Seyn nur wieder eine Art oder Weise des Seyns; - dieß, auch
an sich selbst nicht gebunden zu seyn, gibt ihm erst jene absolute, jene transcen-
dente, überschwengliche Freiheit, deren Gedanke ... erst alle Gefäße unseres
Denkens und Erkennens so ausdehnt, daß wir fühlen, wir sind nun bei dem
Höchsten, wir haben dasjenige erreicht, worüber nichts Höheres gedacht werden
kann. — Freiheit ist unser Höchstes, unsere Gottheit, diese wollen wir als letzte
Ursache aller Dinge." 41
hrsg. von M. Frank, Frankfurt a. M. 2 1993, 174-175; ders., Urfassung der Philosophie
der Offenbarung, hrsg. von W. E. Ehrhardt, Teilband 1, Hamburg 1992, 78-79.
41 Schelling, Der Philosophie der Offenbarung erster Theil, in: Sämmtliche Werke, Bd. 13,
256. Vgl. Philosophie der Offenbarung 1841/42, 174: „Gott ist der absolut freie Geist,
der auch über das, worin er Geist ist, sich schwingt, auch an sich als Geist nicht gebun-
den ist oder sich als Geist nur als eine Potenz von sich behandelt: das ist erst das Über-
schwengliche·."
42 Zur Interpretation dieser Schrift vgl. W. Beierwaltes, Einfuhrung zu Plotin: Geist -
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Freiheit und Transzendenz 189
des Willens (βούλησις) und des von ihm geleiteten Handelns (πράξις) in der
Freiheit des Geistes, des νους. 43 Denn frei ist eine Handlung Plotin zufolge nicht
schon dann, wenn sie frei von äußerem Zwang erfolgt, sondern erst und aus-
schließlich dann, wenn sie aus vernünftiger Einsicht vollzogen wird. Handlun-
gen, die ohne äußeren Zwang aus blinder Leidenschaft oder sonst aus einem
nicht vernunftgeleiteten Impuls des Handelnden erfolgen, sind dagegen nicht
freigewollt (έκούσιον) und selbstbestimmt (αύτεξούσιον) zu nennen, weil das
sie Bewirkende nicht unser eigentliches Selbst ist, als das Plotin mit Piaton die
Vernunftseele ansieht. Das Prinzip des freien Willens ist somit die Einsicht, und
darum ist der eigentliche Ort der Freiheit der νους als der Inbegriff aller Ein-
sicht. Der Geist selber ist darum im eminenten und paradigmatischen Sinne frei.
Der absolute Geist aber ist ewig und unveränderlich, so daß seine eminente Frei-
heit nicht mehr als einsichtsgeleitete Wahl zwischen Handlungsalternativen be-
griffen werden kann. Vielmehr besteht die eminente Freiheit des Geistes darin,
daß er sein eigenes Wesen ungehindert verwirklicht oder zeitlos immer schon
verwirklicht hat. Die Tätigkeit des absoluten Geistes, das ewige Denken seiner
selbst, ist selber das Sein und Wesen des Geistes. Insofern diese Tätigkeit, wie
jede Tätigkeit, eine Intention voraussetzt, die aber in ihr als ewiger Tätigkeit
immer schon erfüllt ist, sind im νους sein Sein (ουσία), seine Tätigkeit (ένέρ-
γεια) und sein Wollen (βούλησις) identisch: „Sein Wille ist sein Denken" (ή δέ
βούλησις ή νόησις), 44 so Plotin. Somit ist die Freiheit des Geistes die Freiheit
des Selbstseins, die zugleich die Grundlage der praktischen Freiheit der vernünf-
tigen Seele bildet. Freiheit ist sie, weil der Geist in seiner Tätigkeit, die er selbst
ist, nur sich selbst bestimmt, indem seine Tätigkeit sein eigenes Sein vollzieht. 45
Mit diesem Gedanken der Freiheit des νους als intelligibler Selbstbestimmung
erreicht Plotin die Dimension der idealistischen Freiheitslehren.
In einem zweiten Schritt begründet Plotin die Freiheit des Geistes sodann
in seinem Transzendenzbezug zum absoluten Einen. 46 Als Selbstbestimmung ist
Freiheit eine sich zu sich selbst vermittelnde Einheit; ihr Vollzug schließt die
Selbstunterscheidung in Bestimmendes und Bestimmtes und deren Vereinigung
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in die Einheit des sich bestimmenden Selbst ein, so daß sie eine „Zweiheit als
Einheit" (δύο ώς έν) 47 ist, die als solche die reine Einheit immer schon voraus-
setzt und von ihr zu ihrem Selbstvollzug als Einheit allererst ermächtigt wird.
Vollendete Freiheit ist der Geist ferner auch darum, weil er das in allem freien
Handeln angestrebte Ziel, das Gute, immer schon realisiert hat und immer schon
besitzt. Das wahrhaft Gute aber ist nichts dem Handelnden selber Äußerliches,
sondern gemäß Platonischer Lehre die vollendete Einheit des Handelnden mit
sich selbst, in der sich sein Wesen erfüllt, im Falle des Geistes also sein voll-
kommenes Beisichselbstsein, seine ewige intellektuelle Selbstanschauung. In-
dem der Geist das Gute als seine vollkommene Einheit mit sich selbst realisiert,
bestimmt er sich selbst als das, was er sein soll, und ist dabei zugleich - da sein
Denken sein Wille ist - das, was er selbst sein will. Diese Selbstbestimmung
zum Guten aber setzt immer schon den leitenden Vorblick auf das Eine selbst
als das Gute schlechthin voraus, um sich vollziehen zu können. So verdankt der
Geist seine Freiheit, die in seinem absoluten Selbstbezug liegt, seinem Transzen-
denzbezug auf das absolute Eine.
Im dritten Schritt legt Plotin nun die absolute Transzendenz des Einen
selbst als absolute Freiheit aus. 48 In ungeheuer dichten und intensiven Meditatio-
nen schlingt er dabei drei Gedankenreihen ineinander, von denen die erste ge-
mäß der Methode der transzendierenden Negation das Eine selbst als das absolu-
te Prinzip von Freiheit und Selbstbestimmung in seiner reinen Transzendenz
auch über Freiheit und Selbstbestimmung hinaushebt, wie sie als Seinsbestim-
mungen zuhöchst im Geist gedacht werden. 49 Dagegen schreibt die zweite Ge-
dankenreihe gemäß der Methode der Analogie und unter dem immer wieder
erneut eingeschärften Vorbehalt der Uneigentlichkeit - angezeigt jeweils durch
ein ,οΐον' - dem Einen selber Freiheit und Selbstbestimmung, ja Selbstliebe,
Sich-selbst-Wollen und absolute Selbstbegründung zu, 50 und zwar so, daß sie
den Selbstbezug im Sich-selbst-Lieben, Sich-selbst-Wollen und Sich-selbst-
Begründen bis zur unterschiedslos einfachen Einheit seiner Relata steigert und
intensiviert und dadurch gerade jene Unterschiedenheit der Momente «Versteigt,
die den Selbstbezug des Geistes als Selbstbezug im eigentlichen Sinne konstitu-
iert; so erscheint die Freiheit des Absoluten in analogischer Perspektive als
„Quasi-Geist im Einen, der nicht Geist ist, weil er absolute Einheit ist" (οΐον έν
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Freiheit und Transzendenz 191
51
ένν νουν οϋ νοΰν δντα· εν γάρ). Die dritte Gedankenreihe hebt sodann diese
uneigentliche und transzendente Quasi-Selbstbeziehung, Quasi-Selbstbegrün-
dung und Quasi-Selbstbestimmung des Absoluten erneut in die allumfassende
Negation des άφελε π ά ν τ α auf, 52 aber nicht, um die in jenem Quasi-Selbstbe-
zug intendierte Freiheit des Absoluten nun schlußendlich zurückzunehmen,
sondern gerade umgekehrt, um die reine und absolute Transzendenz selbst, wie
sie nur in radikaler Negation ausgrenzbar ist, als die absolute, die überschweng-
liche Freiheit einzusehen.
Jene affirmativen Quasi-Prädikationen, die Plotin dem Einen in der zweiten
Gedankenreihe zuspricht, erweisen sich damit als ein Durchgangsstadium seiner
Argumentation, das die negative Theologie weder durchbricht noch einschränkt.
Aber dieses Durchgangsstadium erweist sich gerade in seiner Vorläufigkeit als
aufschlußreich und unentbehrlich, um die reine Transzendenz selber als absolute
Freiheit einzusehen. Wenn der Quasi-Selbstbezug dem Einen auch nur unter
Vorbehalt zugesprochen und in der Negation wieder zurückgenommen wird, so
könnte er darum für Plotins Argumentationsziel doch keineswegs ebensogut
ganz unterbleiben, weil erst die Übersteigerung der Selbstvermittlung des Gei-
stes zur UnUnterscheidbarkeit ihrer Momente in einem absolut einfachen Selbst-
bezug, der eben durch seine absolute Einfachheit kein Se\bst-Bezug mehr ist, im
Scheitern dieses Gedankens an seiner eigenen Unvollziehbarkeit die absolute
Transzendenz in ihrer jede Relationalität übersteigenden Absolutheit als absolu-
te Freiheit einsehen läßt.
Denn die reine Transzendenz vollendet oder überbietet, was Freiheit schon
auf der Stufe des Geistes und der vernünftigen Seele ausmacht. Plotin denkt
Freiheit als dasjenige, wodurch Geist und Seele jeweils sie selbst sind, also als
Selbstsein. 53 Positiv gedacht, bedeutet dies Selbstbestimmung, also Sich-selbst-
Bejahen, Sich-selbst-Wollen und zuletzt Sich-selbst-Begründen. Als Selbstbe-
stimmung hat positive Freiheit somit den Charakter einer Selbstbeziehung. Frei-
heit aber ist sie für Plotin offenbar nicht aufgrund des Beziehungscharakters
dieser Selbstbeziehung, gemäß der sie sich selbst in Bestimmendes und Be-
stimmtes unterscheidet, sondern vielmehr aufgrund der in dieser Beziehung tä-
tigen Selbstheit, die Bestimmendes und Bestimmtes zur Selbstbestimmung eint.
Und doch ist gerade das sich selbst bestimmende Selbst kraft seiner Selbstbezie-
hung sowohl es selbst als auch relational ein anderes. Also begreifen wir absolu-
51 Plotinus, Enn. VI 8, 18, 21-22. Im gleichen Sinne sagt Plotin von dem Einen, es sei „οί-
ον έγρήγορσις ... και ύπερνόησις ... έγρήγορσίς έστιν έπέκεινα ουσίας και νου
και ζωής εμφρονος ... ένέργεια ϋπέρ νοΰν και φρόνησιν και ζωήν" (Enn. VI 8, 16,
31-36).
52 Vgl. Plotinus, Enn. VI 8, 9, 45-47; 10, 18-38; 11 ganz; 12 ganz; 19 ganz; 21, 24-33.
53 Vgl. Plotinus, Enn. VI 8, 4, 4-12. 24-32; 5, 30-34; 6, 3-10. 32-43; 7, 36-37; 12, 3-17; 13,
20-24; 15, 23-26; vgl. 20, 30-36 (analogisch übertragen auf das Eine).
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192 Jens Halfwassen
te Freiheit erst dann und gerade dann, wenn wir das Selbst von der Beziehungs-
haftigkeit der Selbstbestimmung ablösen und in seiner Absolutheit transrelatio-
nal für sich allein nehmen. Nur in dieser reinen Transzendenz liegt die absolute,
die überschwengliche Freiheit. Genau diese transzendierende Herauslösung des
relationslosen oder transrelationalen absoluten Selbst aus der Relationalität des
Selbstbezugs vollzieht Plotin mit seiner Argumentation für die absolute Freiheit
der Transzendenz; und dazu wird der Quasi-Selbstbezug des Einen zunächst
experimentierend eingeführt und dann negierend überstiegen. Denn einzig und
allein die reine Einheit in ihrer absoluten Transzendenz enthält nicht mehr den
Unterschied von bestimmendem Selbst und mindestens relational davon unter-
schiedenem bestimmtem Selbst. Als das aus jedem Selbstbezug herausgenom-
mene absolute Selbst ist das jenseitige Eine „ursprünglich Er Selbst und über das
Sein hinaus Er Selbst" (πρώτως αυτός και ΰπερόντως αυτός), 5 4 und allein
kraft dieser absoluten Transzendenz „ist Es als einziges in Wahrheit frei, weil Es
auch sich selbst nicht dient, sondern nur Es Selbst und absolut Es Selbst ist
[μόνον αυτό καν όντως αυτό], wo doch alles andere sowohl es selbst als auch
ein anderes ist". 55
IV. Schlußbemerkung
Blicken wir von Plotin zurück auf Schelling, so zeigt sich jetzt ihre präzise
Übereinstimmung darin, absolute Freiheit als reine Transzendenz zu denken:
Liegt sie für Schelling darin, daß das Absolute als „Herr des Seins" auch an sich
selbst nicht gebunden ist, so besteht sie für Plotin darin, daß das Eine selbst
„auch sich selbst nicht dient"; Schellings absoluter Geist, der von seinem eige-
nen Geist-Sein frei ist, entspricht so Plotins „Quasi-Geist im Einen, der nicht
Geist ist": 56 Beide meinen das absolute, transzendente, vom Selbstbezug gelöste
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Freiheit und Transzendenz 193
und genau darum schlechthin freie Selbst, das, gerade weil es nicht auf sich
selbst bezogen ist, frei ist, alles andere zu setzen, und zwar so zu setzen, daß es
dies andere zu seinem eigenen Freiheitsvollzug ermächtigt. Darin aber zeigt sich
die eminente praktische Bedeutung der Metaphysik des Einen als einer Meta-
physik der Freiheit.
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CLAUDIA BICKMANN
Finden wir in den letzten Jahren vielfach die Bemühung, das Prinzip der Subjek-
tivität oder das Prinzip der Tätigkeit aus dem Bannkreis der neuzeitlichen carte-
sischen Selbstbewußtseinsdebatte bis in die Spuren des Platonismus-Neuplato-
nismus zurückzuverfolgen, um auf diese Weise eine spezifisch neuzeitliche Pro-
blemstellung im Horizont ihrer Vorläufermodelle zu relativieren, 1 so scheint es
an der Zeit, das auf diesen Fährten Verdrängte erneut zu Bewußtsein zu bringen:
Verdrängt wurde, so die These der folgenden Überlegungen, in der Fixierung
auf das neuzeitliche Prinzip der Subjektivität, daß selbst in den ausgereiftesten
Modellen dieser Traditionslinie, in den Systemen Schellings und Hegels, nicht
eigentlich das Prinzip der Subjektivität, sondern vielmehr ein Prinzip dominiert,
das als ein Indifferenzierungsprinzip - die Gegensätze vermittelnd - jenseits die-
ser Gegensätze angesiedelt werden kann.
Mit dieser These wird umgekehrt der Einfluß des platonisch-neuplatoni-
schen Geistbegriffs bis in die Systementwürfe des Idealismus hinein verfolgt
und Schellings und Hegels Rezeption des aristotelisch-neuplatonischen Geistbe-
griffs als Grundlage ihrer eigenen Fundierungsabsichten ausgelegt. Mit Blick
auf die Sphäre des νους - des Geistes oder der Vernunft - wird der Subjektpol
dann nur mehr als eine Seite eines Verhältnisses erscheinen, an dessen Indiffe-
renzierung es Schelling wie Hegel gleichermaßen gelegen ist. Das Subjektprin-
zip wird nach dieser Interpretation als systemtragendes Prinzip allein im Hori-
zont jener Sphäre begreiflich gemacht, die ihrerseits den Gegensatz von Subjek-
tivität und Objektivität hinter sich zu lassen versucht. Auch wenn die Rolle des
absoluten Geistes in Hegels Logik als Prinzip der Selbstbezüglichkeit, als Prin-
zip des Sich-Bestimmens, verstanden werden muß, so sind doch in der absoluten
Idee - jener organisierenden Mitte zwischen den Polen - beide Seiten in ihrer
Als Methode der Annäherung an dieses systemtragende Prinzip des Geistes gilt
Schelling wie Hegel die Dialektik. 4 Diese sei allein imstande, die Art des Zu-
sammenhangs wie der Verbindung der Extreme zu reflektieren und zur Darstel-
lung zu bringen. Dabei gilt es, bezogen auf ihren Begriff wie ihre Funktion,
zunächst folgendes zu unterscheiden: Eines ist es, von der Dialektik als der
Kunst des Entgegensetzens, der Verbindung und Vereinigung des Verschiede-
nen zu sprechen, ein anderes ist es, von einem Problemfeld zu sprechen, das al-
lein in dialektischer Gestalt zu bewältigen ist.5 Im ersten Falle liegt das Gewicht
auf der methodischen und formalen Dimension der Dialektik, im anderen wird
das Worumwillen, der Sachbezug, einer jeglichen dialektischen Reflexion the-
matisiert.
Welches, so fragt sich, ist die Trag- und Reichweite der Dialektik als Me-
thode sowie als sachaufschließende Weise der Annäherung an einen möglichen
Gegenstandsbereich der Philosophie?
Dies zu beantworten setzt eine weitere Unterscheidung voraus: die Unter-
scheidung von analytischer und dialektischer Logik. Ihr gemäß wird innerhalb
der Sphäre des Logischen die Analyse der formalen Beschaffenheit unserer Ur-
teile vom Bezug dieser Urteile auf ein Sachhaltiges, auf ein Etwas oder auf die
Idee des Seinsganzen unterschieden. Im letztgenannten Sinne ist Gegenstand der
Annäherung eine stufenweise Annäherung an die quidditas, die Washeit einer
Sache, so daß alle logischen Operationen dann ihr Maß in der begrifflichen Ent-
faltung dieser Sache finden.
Als Grundsatz der reinen Form des Denkens gilt Hegel der Satz der Identi-
tät und des auszuschließenden Widerspruchs. Dieser aber, so sein Argument, be-
trifft nur die Form der Rede und ist in seiner Geltung darum auf die reine Über-
einstimmung des Denkens mit sich beschränkt. „Die Unvollständigkeit dieser
Weise, das Denken zu betrachten, welche die Wahrheit auf der Seite läßt", so
schließt Hegel an, „ist allein dadurch zu ergänzen, daß nicht bloß das, was zur
äußern Form gerechnet zu werden pflegt, sondern der Inhalt mit in die denkende
Betrachtung gezogen wird." 6 Dem formal Bestimmten, dem Gehalt des Gedach-
4 Zum Verhältnis von Dialektik und systemtragendem Prinzip vgl. J. E. Pleines, Dialektik
als Letztbegründung, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 46 (1992), 591-599.
5 Vgl. dazu im allgemeinen Y. Kubo, Der Weg zur Metaphysik. Entstehung und Entwick-
lung der Vereinigungsphilosophie beim frühen Hegel, München 2000.
6 G. W. F. Hegel, Wissenschaft der Logik. Erster Teil. Die objektive Logik. Erster Band.
Die Lehre vom Sein (1832), in: Gesammelte Werke, Bd. 21, hrsg. von F. Hogemann,
W. Jaeschke, Hamburg 1985, 17. - Zum Themenkreis von Subjektivität und Logik sie-
he K. Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und ent-
wicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik,
Bonn 3 1995.
7 Vgl. Hegel, Die Lehre vom Sein (1832), 17.
8 Hegel, Die Lehre vom Sein (1832), 17.
9 Hegel, Die Lehre vom Sein (1832), 77. - Zum Seinsbegriff am Anfang der Wissenschaft
der Logik siehe H. F. Fulda, Über den spekulativen Anfang, in: Subjektivität und Meta-
physik. Festschrift für Wolfgang Cramer, hrsg. von D. Henrich, Frankfurt a. M. 1966,
109-128; ferner C. Bickmann, Spekulation und Erfahrung. Hegels Überwindung der
Metaphysik durch logische Analyse der Seinsfrage, in: Erfahrung und Urteilskraft,
hrsg. von R. Enskat, Würzburg 2000, 83-111.
10 Vgl. dazu C. Bickmann, Differenz oder das Denken des Denkens. Topologie der Ein-
heitsorte im Verhältnis von Denken und Sein im Horizont der Transzendental-
philosophie Kants, Hamburg 1996.
sollte darum gelten: So, wie der Grundsatz der Identität und der Widerspruchs-
freiheit für eine analytische Logik grundlegend ist, sollten elementare Ka-
tegorien und Grundsätze auch für die Analyse unserer Gegenstandserkenntnis zu
finden sein. Mit dem Seins- bzw. Gegenstandsbegriff - sei es des Einzelnen oder
der Ordnung insgesamt - war dann aber zugleich ein Widerpart in das Denken
gesetzt, dessen Beschreibung allein in einer Begriffsform möglich war, die als
transzendentale, dialektische oder spekulative Betrachtungsart beiden Seiten
stets gleichermaßen Rechnung zu tragen versucht: der Form wie dem formal
Bestimmten, dem Denken und dem Gedachten gleichermaßen. Beide galten
ihnen nur mehr als die irreduziblen Pole der Binnenstruktur des Denkens.
Für die Analyse des spekulativen Satzes im Sinne des Ausgangs der Hegel-
schen Logik bedeutet dies: Insofern das ,Sein' hier nicht sinnlich Erfaßtes oder
ein bereits bestimmtes Sein thematisiert, sondern den obersten und leersten
Seinsgedanken im reinen Wissen zur Sprache bringt, ist es auch nur im und
durch ein Bewußtsein gesetzt. ,Sein' ist also nicht unabhängig davon, ob es
gedacht wird oder nicht. Darum hebt sich das, was im Bewußtsein ob seiner
leeren Unbestimmtheit ebensowohl als ,Nichts' aufgefaßt werden kann, tatsäch-
lich ins ,Nichts' auf, wie umgekehrt das ,Nichts' qua Gedachtsein ebensowohl
als ,Sein' aufgefaßt werden kann. Beide: Sein wie Nichts, sind darum - auf-
grund dieser Identität mit ihrem Gegenteil - in ihr je Anderes immer schon
übergegangen.
Aus diesem Grunde kann Hegel auch sagen, daß das ,Sein', insofern es
sich in seiner leeren Unbestimmtheit als dasselbe wie das .Nichts' erweist, als
,Sein' ins ,Nichts' wie auch das ,Nichts' ins ,Sein' übergeht bzw. genauer: im-
mer schon übergegangen ist. Beide sind also dasselbe. Aus diesem Grunde, wo-
nach beide nicht ,sind', sondern in ihrem jeweiligen Gegenteil immer schon
verschwunden sind, kann Hegel auch sagen: Sie ,sind' nicht, sondern .werden'
immer nur. Damit nun soll in einem dritten Schritt dann zugleich die Kategorie
.Werden' gewonnen sein. Diese sei, so Hegel, aus der Analyse des spekulativen
Satzes direkt abgeleitet.
Dieses Prinzip des Umschlags der Gegensätze ineinander ist für die Hegel-
sche Logik insgesamt leitend. Denn Hegel sucht - bezogen auf die Zielsetzung
des Gesamtunternehmens - zu zeigen, wie die beiden Pole der Einen Seinssphä-
re, das subjektive wie das objektive Prinzip, jeweils immer schon ineinander
übergegangen sind. Dies soll im folgenden in der Auseinandersetzung mit dem
Prinzip des νους, des Geistes, näher gezeigt werden.
Die gesuchte Einheit von Identität und Nicht-Identität, die in ihrer Höchst-
form erst der Geist repräsentiert, ist nicht mehr das Problem einer bloß formalen
Logik, sondern einer Logik, die Denken und Gedachtes in ihrem spannungsrei-
chen Verhältnis zueinander zu betrachten sucht. Bereits Aristoteles hat den Ort
jener reflexiven Selbstbetrachtung νους oder das .Denken des Denkens' genannt
und mit ihm dasjenige systematisiert, was Piaton der Methode der Dialektik, der
Sphäre des noetischen Denkens, zugesprochen hatte. 11 Aufgehellt und systema-
tisch beschrieben werden kann dieser Einheitsgedanke als das Ideal eines durch-
gängig bestimmten Ganzen darum, so Hegel, nur im Horizont einer Theorie, in
der Denken und Gedachtes, Subjektives und Objektives in ihrer inneren Verbin-
dung zueinander zur Sprache gebracht werden. Wie aber, so wird zu fragen sein,
soll der Gegensatz beider Sphären, des Denkens als Tätigkeit und des Gedachten
als des Gegenstandes dieser Tätigkeit, in der absoluten Idee zugleich überwun-
den sein?
Das Problem der Teilhabe der zwei heterogenen Seiten des Denkens und des
Seins oder des Subjektiven und des Objektiven aneinander kann freilich als
Piatons Grundfrage: das Problem der μέθεξις, aufgefaßt werden, das er vor-
nehmlich in seinen Dialogen Phaedo, Phaedrus, Timaeus, Theaetetus, Sophistes
und Parmenides auseinanderzulegen versucht.
Im Dialog Parmenides, dessen Frage auf die Bedingungen der Denkbarkeit
des ersten Prinzips, des εν, gerichtet ist, greift Piaton dieses Problem in zweifa-
cher Weise auf. In seinem ersten und in seinem zweiten Teil wird das Teilhabe-
problem bezogen auf die Frage nach der rechten Bestimmung des Verhältnisses
von Einem und Seiendem zur Sprache gebracht. Dabei gilt es zunächst - im
ersten Teil des Dialoges - nach der Art der Teilhabe der Dinge an den Ideen zu
fragen, um daraufhin im zweiten Teil auf einer nächst höheren Ebene - aus der
Annahme eines allen Ideen zugrundeliegenden Einen - die Frage nach der
Denkbarkeit des Einen wie der Teilhabe des Mannigfaltigen und Differenten an
diesem Einen zu stellen.
Piatons μέθεξις-Problem wird im Sinne Hegels dann in die Frage trans-
formiert, wie denn ein Subjektives sich in das Objektive hineinbilden kann und
11 Vgl. dazu C. Bickmann, Evidenz und Vergewisserung. Zum Verhältnis von noetischem
und dianoetischem Denken bei Piaton, in: Philosophisches Jahrbuch 103 (1996), 29-48.
Diesen Unterschied zwischen analytischer und dialektischer Logik müssen wir deutlich
im Bewußtsein behalten, wenn wir dialektische Logik heute vielfach im Horizont analy-
tischer Verfahren interpretiert sehen. Häufig sind in einer solchen analytischen Annähe-
rung Ausgang und Ziel der dialektisch verfaßten Systemanlagen längst aus dem Auge
verloren. Vgl. dazu M. Frank, Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis. Essays zur analy-
tischen Philosophie der Subjektivität, Stuttgart 1991; ferner Hegels Seinslogik: Interpre-
tationen und Perspektiven, hrsg. von A. Arndt, C. Iber, Berlin 2000. - Zur Rezeption
der Aristotelischen Philosophie bei Hegel siehe W. Kern, Die Aristotelesdeutung He-
gels. Die Aufhebung des Aristotelischen ,Nous' in Hegels ,Geist', in: Philosophisches
Jahrbuch 78 (1971), 237-259; A. Ferrarin, Hegel and Aristotle, Cambridge 2001.
wie ein Objektives zugleich als vom Subjekt gesetzt aufgefaßt werden kann. In
diesen nachkantischen Annäherungen wird Piatons überseiender Einheitsgrund
sukzessive in den Prozeß zurückgebunden und damit zugleich seiner Radikalität
als eines gänzlich Anderen zu allem Anderen beraubt. 12
Mit der Frage nach der Art der Übereinstimmung beider polar entgegengesetzter
Sphären ist im Sinne Piatons zugleich der Raum betreten, den er im Linien-
gleichnis der Res publica als Vernunft und den Aristoteles im zwölften Buch
seiner Metaphysica als die Sphäre des νους - des Geistes - bezeichnet hat. Für
diesen sollte es kennzeichnend sein, daß er nicht auf ein anderes, ein vom ihm
verschiedenes Mehr bezogen ist, sondern als reine Selbstbeziehung aufgefaßt
werden kann. Diese ist aber weniger mit unserem natürlichen Weltverhältnis
oder aber unserem wissenschaftlichen Weltbezug in einer intentio recta gegeben,
sondern ihre Aufgabenstellung ist eher derjenigen Sphäre überantwortet, die in
der Rückwende des Blicks im Sehen des Anderen zugleich sich selbst zu sehen
vermag.
Da sich uns nämlich die Sache - das Einzelne wie die Ordnung insgesamt -
nur unter Einschluß der Formbedingungen unseres Denkens, mithin der Ver-
nunftfunktionen unseres Gemütes, in ihrem zureichenden Grunde erschließt und
wir darum die Formbedingungen des Gedachten nicht allein vor der Klammer,
sondern auch in der Klammer thematisieren müssen, wie dies einzig in der
Sphäre des Geistes geschieht, so kann die Reflexion auf einen solchen zurei-
chenden ontologischen Grund nur unter Einschluß der Reflexion auf die Bedin-
gungen des Denkens - im Selbstverhältnis des sich wissenden Absoluten - mög-
lich sein. Denn ohne den Selbsteinschluß des Denkens, so die These, bliebe der
zureichende Bestimmungsgrund aller Seinssphären unbegreiflich. Darum sollte
umgekehrt gelten, daß allererst in der vollständigen Entwicklung des Geistbe-
griffs sich uns auch diejenige Sphäre erschließt, in der das Seinsganze in seine
Selbstdurchlichtung überfuhrt werden kann. Auf diese Weise ist dann auch erst
- so Schelling wie Hegel - die causa finalis des Seinsganzen zureichend erfaßt,
wenn das Sein - Einwirken - und Sich-Bestimmen des Geistes als das konstitu-
tive, das Sein selbst nicht nur reflektierende, sondern frei setzende Prinzip - als
Prinzip des Seinsganzen - verstanden worden ist.
2. Piatons und Plotins Suche nach dem Urprinzip , vor dem Geiste'
Mit dem Geistbegriff - der Sphäre des sich selbst denkenden Denkens - ist im
eigentlichen Sinne auch erst der Ort der Suche nach einem systemtragenden
Prinzip erreicht. Denn erst diese intensivste Form der Einheit zwischen Denken
und Gedachtem, die der Geist repräsentiert, macht in einem nächsten Schritt
auch die Suche nach dem einheitsstiftenden Prinzip dieser in sich differenzierten
Einheit möglich, mithin also die Suche nach der Explikation desjenigen Prin-
zips, das ,vor dem Geiste ist', welches darum selbst noch die Urspannung von
Subjektivität und Objektivität, Denken und Sein, umgreift und übersteigt.
Die These lautet - und darin sind Piaton, Plotin, Schelling und Hegel sich
einig - , daß erst ein Denken der Einheit zwischen den Polen in der Sphäre des
Geistes ein Andenken an jenes indifferenzierende Urprinzip erlaubt.
Daß Piaton und Plotin dann über jenes Andenken an das einige Urprinzip
hinaus aus systematischen Gründen nicht mehr versuchen, die Sphäre des Gei-
stes zu bemühen, um im Begriffe zu erfassen, was einer jeden begrifflichen An-
näherung sich entzieht, stellt zugleich den entscheidenden Unterschied zu den
nachkantischen Versuchen dar, das Indifferenzierungsprinzip, sei es im Horizont
der absoluten Idee oder aber der absoluten Vernunft, zu thematisieren. Mit Be-
zug auf die Sphäre des νους wird jedoch für Aristoteles wie fur Hegel zugleich
auch das τέλος der Gesamtbewegung gesetzt: Im Denken soll die höchste Ein-
heit zwischen Denken und Sein zu erreichen sein.
Im Horizont der Hegeischen Philosophie lautet das Prinzip dann näher, wie
folgt: Nichts soll als Gegebenes - als Objektives - zurückbelassen werden, das
bloß gegeben oder vorausgesetzt und nicht von einem bestimmenden Prinzip,
dem Prinzip der Subjektivität, frei gesetzt ist. Als τέλος der Gesamtbewegung
gilt darum die Selbstbewegung und Selbstdurchlichtung der absoluten Idee.
Diese Selbstdurchlichtung der absoluten Idee wird dabei gemäß der beiden in ihr
vereinten Pole in einem doppelten Sinne zur Sprache gebracht: Sie ist zum einen
- im Sinne eines genetivus obiectivus - das Wissen von der Idee wie ineins
damit - im Sinne des genetivus subiectivus - das Wissen der Idee selbst. In
dieser Form der reinen Selbstbezüglichkeit - im Denken des Denkens - ist der
freie, sich bestimmende Geist dann das agens wie sein eigener Gegenstand. In
der Artikulation des höchsten Prinzips ist die Hegeische Vernunftkritik darum
Selbstentäußerung und Selbstbestimmung ihrer Vernunft zugleich.
sich selbst hervorbringt, zugleich sein Anderes hervor. 13 Das Andere, der Ge-
genstand dieser Tätigkeit oder das Gedachte, auf das dieses Denken bezogen ist,
soll sich, als von jenem Prinzip aus ermöglicht, dem Prinzip zugleich gemäß
erweisen. Als von jenem Prinzip des Sich-Bestimmens erzeugt und bewegt, wird
das solchermaßen Bewegte erst dann diesem Prinzip entsprechen, wenn auch die
objektive Seite des Prozesses, der objektive Geist, jenes Prinzip in sich aufge-
nommen hat und von ihm durchdrungen ist.
So ist es die Realität des höchsten göttlichen Prinzips hervorzubringen, was
ihm selbst ähnlich und gemäß ist. Das Prinzip muß somit zugleich hervorbrin-
gen, daß jene Anähnlichung sei. Das Prinzip nämlich setzt, indem es sich selbst
hervorbringt und schließlich im Gleichen ein Gleiches sieht, zugleich den
Fluchtpunkt der Gesamtbewegung frei: Das Hervorbringende, soll es sich im
Hervorgebrachten sehen und als das Eigene aneignen und verstehen können,
muß das Hervorgebrachte sich selbst gemäß erzeugen.
Das Verobjektivierte, das Veräußerte dieses produktiven Aktes, wird dar-
um auch erst dann als adäquater Spiegel, Bild und Ausdruck jenes Prinzips er-
scheinen können, wenn es dem Prinzip ähnlich geworden ist, d. h. wenn es
selbst als objektive Sphäre zugleich Geist geworden ist, mithin also, wenn alles
je Veräußerte zugleich als ein Innerliches, als ein Geistiges erscheinen kann. Der
Prozeß der Entäußerung aus jenem Prinzip ist darum nicht nach dem Muster
eines Werkbaumeisters gedacht, der präexistente Ideen als formbildende Instan-
zen mit der Materie der Dinge verknüpft; auch wird er nicht nach dem Muster
einer creatio ex nihilo aufgefaßt; sondern er ist ewiges Werden, ewiges Sich-
selbst-Hervorbringen, ewiges Produzieren.
Doch wohnt diesem ewigen Produzieren ein τέλος inne, das den Prozeß
von fern her lenkt und bestimmt: Bestimmbares wie das reine Sein im Ausgang
der Seinslogik soll am Ende der Begriffslogik in sich bestimmtes, sich frei set-
zendes Sein genannt werden können; das άπειρον des unbestimmten reinen
Seins im Ausgang der Logik von 1812 wird durch das Prinzip πέρας - Begren-
zung und Bestimmung - zu einem Bestimmten: Ein Bestimmtes wird somit aus
der Schwebe zwischen Bestimmbarkeit (dem reinen Sein) und Bestimmung (der
von fern her leitenden Idee der durchgängigen Bestimmung) hervorgebracht.
Diese Spannung zwischen unbestimmtem reinem Sein und durchgängig be-
stimmter, von fern her leitender Idee treibt darum die Gesamtbewegung nicht
nur voran, sondern setzt ihr zugleich auch ein Maß und Ziel. Zwischen dem Her-
vorgang aus jenem höchsten Prinzip: dem reinen An-sich-Sein der Seinslogik,
und dem Vorausgesetzt-Sein, d. h. fur ein anderes Sein der Wesenslogik, hin
zum reinen Sich-selbst-Bestimmen und Sich-Wissen des höchsten Prinzips am
13 Vgl. dazu D. Henrich, Andersheit und Absolutheit des Geistes, in: ders., Selbstverhält-
nisse. Gedanken und Anlegungen zu den Grundlagen der klassischen deutschen
Philosophie, Stuttgart 1982, 142-173.
Ende der Begriffslogik vollzieht sich ein doppelter Bewegungssinn. Dieser be-
steht im Hervorgang aus dem höchsten Prinzip sowie der Rückkehr in den
Grund der Möglichkeit jener Hervorbringungen.
14 Vgl. zum Folgenden W. Beierwaltes, Hegel und Proklos, in: Hermeneutik und Dialek-
tik. Aufsätze II. Sprache und Logik, Theorie der Auslegung, hrsg. von R. Bubner,
K. Cramer, R. Wiehl, Tübingen 1970, 243-273.
setzenden und durchsichtigen Seins noch nicht entsprechen. Jenes bloß voraus-
gesetzte Sein ist noch nicht zu sich gekommen; das göttliche Prinzip ist darum
in ihm noch nicht zu seiner vollständigen Erscheinung gelangt, verbleibt noch
auf der Ebene bloßer Gewißheit. Bloße Gewißheit seiner selbst bedeutet aber
bloß unbestimmtes Ahnen, sich seiner selbst als Wissen noch nicht bewußt ge-
worden zu sein; eine solche Gewißheit wäre mithin also bloßer Glaube.
Das sich hervorbringende Prinzip des Sich-Bestimmens erfordert aber, um
im Anderen vollends bei sich zu sein: völlige Selbstdurchsichtigkeit; denn erst
die völlige Selbstdurchsichtigkeit läßt das Objektive nicht als ein opakes, bloß
geahntes, bloß subjektiv Empfundenes mehr erscheinen, das gegenüber der
Sphäre des Subjektiven das Andere zum Subjekt darstellen könnte. Es gewinnt
ein Bewußtsein seiner selbst erst als ein frei sich selbst setzendes und sich seiner
selbst bewußt gewordenes Prinzip, d. h. in der Sphäre des Begriffs des Begriffs.
Ein göttliches Prinzip nämlich, das sich in seiner Veräußerung nicht selbst ver-
standen hätte, wäre widersprüchlich in sich.
Das Andere muß somit im Resultat der Selbsthervorbringung des Prinzips
im Kern gar nichts vom Prinzip Verschiedenes mehr sein; es muß vielmehr mit
dem Prinzip identisch geworden sein, muß selbst dieses Prinzip verkörpern, muß
adäquate Gestalt des Prinzips selbst sein können, so daß es im Resultat ebenso-
viel wäre zu sagen: ,Das Seinsganze ist konkretisierte göttliche Idee', wie: ,Die
Idee des Göttlichen hat ihr Sein nur in jener veräußerten Gestalt'. So gedacht
aber müssen Sein und Idee - die beiden Eckpfeiler der Hegeischen Philosophie
- in ihrem Gehalte konvergieren. Das Sein als gewußtes und frei gesetztes Sein
ist die Idee, wie umgekehrt die Idee im Seinsganzen allererst ihre konkretisierte
Gestalt gefunden hat. Beide Extreme sind darum im Resultat nicht mehr als
Extreme präsent, sondern werden durch ihre wechselseitige Transformation -
ihr jeweiliges Übergehen ineinander - als Extreme zugleich aufgehoben.
jektiv geworden, wie umgekehrt die Seinsbereiche auch nur als subjektbestimm-
te ihre Wahrheit finden.
Diese wechselseitige Durchdringung der Pole zur Darstellung zu bringen,
dies ist es, was eine dialektische Logik als Onto-Theo-Logik zu leisten hat. Dies
gilt, weil sie zeigen muß, wie Begriff und Realität, Denken und Sein, Subjektivi-
tät und Objektivität nur mehr als zwei Seiten eines Gesamtverhältnisses aufge-
faßt werden können, in deren höchstem Prinzip sie als Gegensätze zugleich erlo-
schen sind.
Erst am Ende des Durchgangs durch jene Wechseldurchdringung der Pole
haben wir uns dann zu demjenigen Prinzip vorgedacht, aus dem heraus dieser
Gesamtprozeß allein begreiflich zu machen ist. Die These lautet: Erst der freie
Geist, jenseits von Veräußerung und Rückkehr, wird die Gegensätze von Sub-
jektivität und Objektivität wirklich hinter sich gelassen haben. Denn erst in der
Sphäre des absoluten - des freien - Geistes ist auch das Prinzip zu sich selbst
gekommen. Erst, wenn es im Anderen sich selbst als dessen Bestimmungsgrund
erkannt hat, ist die höchstmögliche Einheit der Gegensätze erreicht.
Es ist diese höchstmögliche Einheit der Gegensätze, die zugleich , Realität
des Prinzips' genannt werden kann. In ihr ist jenes Prinzip nicht mehr bloße
Idee, sondern die Idee zugleich in ihrer Realität aufgefaßt. Gegenüber Kant hatte
Hegel dies als seine entscheidende Aufgabe begriffen: nicht bloß die Idee des
höchsten Prinzips, sondern auch seine Realität zu erweisen - ohne dabei in eine
Subreption der Vernunftbegriffe zu verfallen.
Als das verbindende Dritte fungiert in diesem polar entgegengesetzten Pro-
zeß somit die Sphäre des Geistes, die als indifferent gegenüber den Differenzen
aufgefaßt werden kann; denn dieser ist Prinzip und Realität des Prinzips zu-
gleich. Der absolute Geist, jene im engeren Sinne Sphäre des Göttlichen, ist
darum allererst die wirklich vollzogene Einheit von Subjektivität und Objektivi-
tät, mithin also jene indifferent subjektiv-objektive Ineinsbildung der Pole, der
als sich selbst setzendes wie selbst sehendes Vermögen Setzen und Gesetztes,
Sehen und Gesehenes, Denken und Gedachtes gleichermaßen genannt werden
kann.
So ist das Prinzip nichts ohne seine Entäußerung, seine Entzweiung, und
nur im erfüllten Durchgang durch alle Stadien seiner Entäußerung haben wir das
Prinzip in seiner vollendeten Gestalt. Erst im Resultate jenes Durchgangs durch
alle Sphären der Seinstotalität läßt sich finden, was wir den obersten Bestim-
mungsgrund des Gesamtprozesses nennen können: Im Hegeischen Sinne ist dies
das Geistprinzip in seiner Doppelgesichtigkeit als subjektives, all-ermöglichen-
des, sowie objektives Prinzip, als allumfassendes Prinzip. Es ist mithin seine
eigene Identität, die hier zur Erscheinung kommt; es ist das Sich-Bestimmen des
höchsten Grundes.
16 Vgl. dazu P. Trawny, Die Zeit der Dreieinigkeit: Untersuchungen zur Trinität bei Hegel
und Schelling, Würzburg 2002.
1 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Erster Band, in: id.,
Sämtliche Werke. Jubiläumsausgabe in zwanzig Bänden, hrsg. von H. Glockner, Stutt-
gart 3 1959, Bd. 17, 308. This phrase does not appear in the critical edition of Hegel's
last set of lectures on the history of philosophy, but there, as in other editions, Hegel
does call the dialogue „the most famous masterpiece of Platonic dialectic". Cf. G. W. F.
Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Teil 3. Griechische Philoso-
phie. II. Plato bis Proklos, in: id., Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manu-
skripte, hrsg. von P. Garniron, W. Jaeschke, Bd. 8, Hamburg 1996, 33.
2 G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, in: id., Gesammelte Werke, im Auftrag
der Deutschen Forschungsgemeinschaft hrsg. von der Rheinisch-Westfälischen Akade-
mie der Wissenschaften, Bd. 9, hrsg. von W. Bonsiepen, R. Heede, Hamburg 1980, 48.
3 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Zweiter Band, in:
Sämtliche Werke, Bd. 18, 230. Hegel discusses the dialogue at ibid., 240-247.
4 Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Teil 3. Griechische Philoso-
phie. II, 33-34.
5 Cf. G. W. F. Hegel, Verhältniss des Skepticismus zur Philosophie, Darstellung seiner
verschiedenen Modificationen, und Vergleichung des Neuesten mit dem Alten, in: Ge-
sammelte Werke, Bd. 4, hrsg. von H. Buchner, O. Pöggeler, Hamburg 1968, 207, where
Hegel asserts that the parmenides ... das ganze Gebiet jenes Wissens durch Ver-
standesbegriffe umfaßt und zerstört".
6 G. W. F. Hegel, Wissenschaft der Logik. Erster Teil. Die Objective Logik. Erster Band.
Die Lehre vom Sein (1832), in: Gesammelte Werke, Bd. 21, hrsg. von F. Hogemann,
W. Jaeschke, Hamburg 1985, 87. This passage is quoted and discussed below.
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212 Edward C. Halper
method and results, the Parmenides seems to receive Hegel's highest praise and
his sharpest criticism.
Some aspects of this seeming contradiction have been adequately ex-
plained; others are more difficult, but surmountable, as we will see. More troub-
ling than Hegel's apparent vacillation about the Parmenides are the features of
the dialogue that he fastens upon, its dialectical method and the negative results
of its second part. Most contemporary readers have been reluctant to call the
dialogue's results negative or positive, emphasizing instead their apparent
contradictoriness. There is disagreement about whether anything positive emer-
ges. 7 And contemporary readers have been more baffled than impressed by the
method of Parmenides'' second part: Both the description of the method and its
illustration are ambiguous, many of the arguments seem quite weak and even
eristical, while ,dialectic' seems a misnomer for what is closer to a lecture and,
certainly, quite different from the dialectic we find in other dialogues. At the
same time, Hegel is silent on the two issues that have most troubled contem-
porary readers: whether Plato can overcome the criticisms of the forms presen-
ted in the dialogue's first part and the relation of the dialogue's second part to its
first.8
There is a substantial body of literature on Hegel's understanding of the
Parmenides. There are three main issues: 1. how Hegel developed from his
Jenaer notion that the Parmenides makes a case for skepticism, 9 2. whether or
7 F. M. Comford, Plato and Parmenides: Parmenides' Way of Truth and Plato's Par-
menides, transl. with an intr. and running comm. by F. M. Cornford, London 1939, repr.
Indianapolis n. d., 244-245, insists that the dialogue's conclusion is merely „ostensible"
in order to challenge readers to discover for themselves the ambiguities in the hypothe-
ses and fallacies in the deductions. He thinks that different hypotheses deal with differ-
ent Ones. In contrast, R. E. Allen, Plato's Parmenides: Translation and Analysis, Min-
neapolis 1983, 186, 198-199, argues that One cannot be ambiguous and that the dia-
logue aims to lay out a series of unresolved aporiae.
8 Both Mitchell H. Miller, Jr. and Kenneth Sayre argue, on quite different grounds, that
Parmenides' arguments against the forms are fatal to a certain account and that the sec-
ond part proposes a different and more profound way to understand forms. According to
Miller, Plato's Parmenides: The Conversion of the Soul, Princeton 1986, 169-171,
Socrates' account of the forms errs in treating them as if they were material entities and
this is corrected, in the second part, with a profound treatment of forms as non-material
and an account of participation. According to Sayre, Parmenides' Lesson, Notre Dame/-
Ind. 1996, 92-97, it is Plato's own separate forms that are under attack in the first part,
and the second part skirts the problem with an account of immanent forms. C. C. Mein-
wald, Plato's Parmenides, New York 1991, 162-163, takes a completely different
approach to the relation. She argues that the criticisms of the first part are answered by a
distinction between two types of predication that is found in the second.
9 K. Düsing, Hegel und die Geschichte der Philosophie: Ontologie und Dialektik in Anti-
ke und Neuzeit, Darmstadt 1983, 55-67, has a good discussion of the literature to that
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Positive and Negative Dialectics 213
not he correctly understood Plato 10 and 3. whether or, rather, how his dialectic
differs from Plato's." The first issue has been adequately treated. Hegel's dis-
cussion of skepticism belongs to the period when he still thought of logic as a
propaedeutic to metaphysics, before he identified the two. Addressing the sec-
ond issue requires a solid understanding of the Parmenides, but despite the large
literature on this dialogue, there is no consensus even on basic issues. Although
Hegel is surely mistaken on some points of detail, it is important to allow for the
possibility that his method, his choice of problems or his unstated systematic as-
sumptions could arise from this dialogue and even, perhaps, reflect a deep un-
derstanding of it. But the problems here are too large and difficult to tackle
directly all at once. So let me set aside, for now, the second issue.
The focus of my attention will, then, be the third issue, how Hegel's dia-
lectic differs from Plato's. I shall begin from Hegel's claim that Plato's dialectic
is negative, and my guiding questions are: 1. whether, how and why Plato's dia-
lectic is negative; 2. why Hegel understands it to be negative and what he does
to make dialectic positive.
Before addressing these questions, we need to distinguish between a form
or category and the dialectic that arrives at it or springs from it. This distinction
is crucial because Hegel aims to overcome it; and in the final logical category,
Absolute Idea, content and method, that is, idea and dialectic are identical. This
means that the degree of separation between idea and dialectic serves as a mea-
sure of the adequacy of the idea. The answers to the two questions that I will
argue here are as follows: 1. Plato's dialectic is negative in the sense that the
point. Düsing, ibid., 68-74, discusses the role of the Parmenides in Hegel's develop-
ment. R. Schäfer, Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik, Hamburg
2001, has a similar view of Hegel's development.
10 See H.-G. Gadamer, Hegel und die antike Dialektik, in: id., Gesammelte Werke, Bd. 3,
Tübingen 1987, 20. Gadamer thinks that Hegel misunderstood the literal meaning o f
Plato's dialectic, but grasped, at least in the Sophistes, its deeper truth as a foundation
for the hermeneutical understanding of speech. - M. Gessman, Skepsis und Dialektik.
Hegel und der Platonische Parmenides, in: Skeptizismus und spekulatives Denken in der
Philosophie Hegels, hrsg. von H. F. Fulda, R.-P. Horstmann, Stuttgart 1996, 51, also
questions whether Hegel has correctly understood the Parmenides. He argues, ibid., 56-
57, that Hegel has projected his own development of ideas on to Plato.
11 G. Maluschke, Kritik und absolute Methode in Hegels Dialektik, Bonn 1974, 54, sees
the decisive difference to lie in Hegel's reconstruction of the categories into a system.
K. Düsing, Formen der Dialektik bei Plato und Hegel, in: Hegel und die antike Dialek-
tik, hrsg. von M. Riedel, Frankfurt a. M. 1990, 190-191, notes, among other differences,
that the meaning of the forms remains unaltered in Platonic dialectic, whereas the cate-
gories are altered and enriched in Hegelian dialectic. Gessman, Skepsis und Dialektik,
51, contrasts the inconclusive flux of Platonic dialectic with Hegel's systematic, scien-
tific method that purports to arrive at knowledge.
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214 Edward C. Halper
movement of thought, negation, lies outside of the form; the reason for this is
that form is strictly one and dialectic is generally the negation of its sensible
representations. Contrary to Hegel's view, Plato's dialectic does reflect the char-
acter of form. The dialectic of the Parmenides has another dimension: It is also
negative because it aims to know the particular by expounding all the negations
of form. 2. Hegel thinks that Plato's dialectic is negative because he takes a
Platonic form to be complex and contradictory, and recognizes that the complex
dialectical movement through which it is known lies outside of it. He makes his
own dialectic positive by including the movement of thought as part of the form
or category. For him this movement is a positive self-relation that, usually, adds
internal content to the category and transforms it into an instance of itself - a
particular, as it were. This means that Hegel's categories are not strictly one,
though they do acquire other sorts of unity. Hegel models his own forms on
what he takes Plato's to be and develops a dialectic that reflects their character.
Hence, Plato and Hegel differ on both the nature of form and the character
of dialectic, and it will emerge that they represent polar positions on the nature
and role of first principles. At the root of these differences, as well as the larger
similarities they presuppose, is a problem that is discussed explicitly in neither
the Wissenschaft der Logik nor the second part of the Parmenides, the problem
of participation. It is a token of their respective idealisms that neither philoso-
pher thinks this problem can be properly formulated; but we can, I suggest,
come to a deep understanding of how each uses the method of dialectic by see-
ing how this method works to resolve, in effect, this unstated and unstateable
problem.
It will be clear from this brief statement that this essay is speculative. The
Parmenides and the Wissenschaft der Logik are each too complex and enigmatic
to interpret definitively in the present setting, nor even in lengthier venues, if we
are to judge from the extensive literature on each. My plan here is to use each
work to illuminate the other. We stand to learn something about the Parmenides
by considering Hegel's view of it; and, conversely, by contrasting this work with
the Wissenschaft der Logik, we could come to learn something about the latter.
Part of the value of comparing them is that it helps to focus attention on the phi-
losophical points at issue, points that Plato and Hegel think at the center of phi-
losophy: what ideas are, how they are related to their instances and whether and
how dialectic yields philosophical knowledge. I submit that the opportunity to
pursue these issues with Plato and Hegel, as it were, should trump anxieties that
a speculative interpretation, though compatible with the texts, cannot be defini-
tive.
We will, however, begin on firm ground. The next section shows that the
seemingly contradictory characterizations Hegel gives of both the form and dia-
lectic of the Parmenides are consistent. Section II contrasts Plato's conception
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Positive and Negative Dialectics 215
of form with Hegel's and considers why dialectic is and is not external to form.
Section III explores Plato's problem of participation and section IV explains
how his dialectic is a response to this problem. Section V argues that Hegel's
dialectic resembles Plato's in this essential feature and can, therefore, be under-
stood as a response to the same problem. Section VI compares the two
responses, and the final section briefly notes the different assumptions about
fundamental principles that are at work in each philosophy.
In one respect, Hegel's praise of the skepticism of the Parmenides in his Jenaer
work is easy to reconcile with his evident affirmation of knowledge in the Wis-
senschaft der Logik. We need only look carefully at his words and note his use
of technical terminology. Hegel claims in his „Skepticismus" essay that the
skepticism that emerges from the Parmenides would „encompass and destroy
the entire realm of knowing through concepts of understanding". 12 The key word
here is .understanding'. Skepticism about concepts of the faculty of understan-
ding is not skepticism about the possibility of all knowing. 13 Indeed, Hegel goes
on to call skepticism „the negative side of knowledge of the Absolute", adding
that „it immediately presupposes reason as the positive side". 14 Skepticism about
the understanding's claims to knowledge remains a cornerstone of Hegel's phi-
losophy, but he consistently endorses knowledge through reason.
The difference between these two faculties, as Hegel goes on to explain, is
that whereas the understanding grasps concepts as isolated from each other and
considers how they can be combined, reason shows these concepts to be united
with each other in a contradictory way and, thereby, transcended. 15 Hegel gives,
as examples of concepts of reason, individual propositions that each contain an
internal contradiction. In the Logik he elaborates this distinction by explaining
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216 Edward C. Halper
that a concept of reason contains movement within itself, in contrast to the static
determinations of the faculty of understanding.16
For the „Skepticismus" essay, then, what emerges from the Parmenides is
that determinations of the understanding cannot be defended because they are no
more true than their negations. Any simple assertion could always be negated.
The proper remedy for this defect is a determination that includes the assertion
along with its negation. This would be a determination of reason, and Hegel
thinks that in the Parmenides Plato recognizes that form must be a determination
of reason. It is an insight that Hegel uses, for it is from such determinations that
he himself builds his own system. Thus, Hegel's early endorsement of the Par-
menides'' skepticism represents a particular understanding of Platonic form, an
understanding that is not only compatible with Hegel's later confidence in hav-
ing attained knowledge, but an important ground for that confidence.
Another apparent inconsistency between the Wissenschaft der Logik and
Hegel's Jenaer essay is more difficult to resolve. It turns on his conception of
dialectic. In an important passage in the Wissenschaft der Logik, Hegel terms the
Parmenides' dialectic „external" and speaks of its negative results: „The dialec-
tic employed by Plato in treating of the One in the Parmenides is also to be re-
garded rather as a dialectic of external reflection. Being and One are both Eleatic
forms which are the same thing. But they are also to be distinguished; and it is
thus that Plato takes them in that dialogue. [1.] After removing from the One the
various determinations of whole and parts, of being-within-itself, of being-in-
another, etc., of shape, time, etc., he reaches the result that Being does not be-
long to the One, for Being belongs to any particular something only in one of
these modes. [2.] Plato next deals with the proposition: the One is, and we
should refer to Plato himself to see how, starting from this proposition, he
accomplishes the transition to the non-being of the One. He does it by compar-
ing the two determinations of the proposition put forward: the One is\ it contains
the One and being, and ,the One is' contains more than when we only say: the
One. It is through their being different that the moment of negation contained in
the proposition is demonstrated. It is evident that this course has a presupposi-
tion and is an external reflection."17
Hegel is clearly discussing the first two hypotheses of the Parmenides. (I
have inserted numbers to mark each.) His point is that the first hypothesis clears
all content out of the One, including Being; whereas the second hypothesis starts
from the being of One but, by emphasizing the difference of One and Being,
shows the non-being of One. In both hypotheses, Being and One remain external
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Positive and Negative Dialectics 217
to each other and yet, nonetheless, presuppose each other. It might s e e m that He-
gel means to make the same point about the Parmenides as the Jenaer „Skepti-
cismus" essay, the rejection o f concepts o f the understanding because they are
always determined by their opposites. But this cannot be his intention, because
the sole concern o f the Wissenschaft der Logik is with concepts o f reason. The
quoted passage appears in a comment on the category o f Becoming; Hegel clear-
ly takes at least the Parmenides' first two hypotheses to expound determinations
o f reason that belong to his positive treatment in the „Logic o f Being". His v i e w
o f the Parmenides would, thus, seem to have altered: Whereas the „Skepti-
cismus" essay takes the Parmenides to expose the inadequacy o f determinations
o f the understanding and, therefore, as a mere propaedeutic to reason, the Logik
takes the dialogue to exhibit the initial steps o f reason in logic. 1 8 W e also find
the latter conception o f the Parmenides in the Vorlesungen über die Geschichte
18 Düsing, Formen der Dialektik, 187, speaking about the present text from the Logik,
stresses Hegel's continued negative evaluation of the results of the Parmenides' dialec-
tic. His view is that Hegel takes the Parmenides as a kind of negative dialectic prepar-
ing the ground for the positive results which Plato achieves in the Sophistes. Hegel's
appreciation of these results is recorded not in the Logik, but in students' notes on his
lectures on the History of Philosophy (ibid., 187-188). Düsing's view may be influenced
by the fact that Michelet's second edition (1840) of Hegel's lectures places the discus-
sion of the Sophistes immediately after that of the Parmenides. However, in both Mich-
elet's first and third edition (the latter is the basis of the Vorlesungen über die
Geschichte der Philosophie edited by Glockner) and the recent critical edition of
Hegel's final set of lectures on this topic by Gamiron and Jaeschke (Vorlesungen über
die Geschichte der Philosophie. Teil 3. Griechische Philosophie. II), Hegel discusses
the Parmenides after the Sophistes and the Philebus. In any case, I do not think that
Düsing takes adequate account of the overall positive context of the Logik. From
Hegel's point of view, Plato's identification and distinction of One and Being in the
Parmenides is equivalent to the recognition of the unity of Being and Not-being, and it
counts as insight into Becoming, a major positive result. - On the other hand, Düsing,
ibid., 189-190, argues that Hegel's identification of the Other in itself (an sich) with
Plato's τό ετερον of the Sophistes correctly expresses the positive result of this dia-
logue, even though it involves Hegel's own speculative dialectic and has no counterpart
in Plato's highest genera. Düsing thinks that Other, rather, has the conceptual status of
Individual. I do not see any ground for supposing that the categorial relations Hegel dis-
cusses in this passage from the Lectures fall outside the logic of Being. The category of
Other, in this passage, has the same external determination that all categories in the
sphere of Being receive: It is self-predicated. So, too, when, in the Logik, Hegel takes
the Parmenides to determine Being and One by each other and by Other, he is ascribing
positive predications to them. To be sure, such predications are external in the way I ex-
plain: They add content to their subjects, Being and One, and thereby transform them
into richer categories. Again, Hegel sees both Parmenides and Sophistes as having posi-
tive results that fall under the logic of Being. The Parmenides is negative in respect of
the faculty of understanding, but positive in respect of reason. More on this issue below.
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218 Edward C. Halper
der Philosophie: There, unlike the „Skepticismus" essay, Hegel maintains that
determinations of reason, such as the One that is also Many, are Plato's unstated
conclusion in the Parmenides,19
The issue here is whether the Parmenides makes the break with the faculty
of understanding or inaugurates the new regime of reason, that is, whether the
dialogue's dialectic is merely destructive or leads to positive knowledge. 20 There
is a difference, but, I propose, it is more one of emphasis than substance: The
same dialectic that undermines the understanding's grasp of the One is the dia-
lectic through which reason grasps the One. The problem with this equation,
however, is that the dialectic through which reason grasps a category must be-
long to that category, but the dialectic we find in the Parmenides does not be-
long entirely to the One. As the quoted passage makes clear, this dialogue's
dialectic expounds the One by showing its relations with Being and other forms,
21
forms that remain distinct from the One and, thus, external to it. To know a
determination of reason is to grasp the internal process of assertion and denial
that constitutes it. Since the One is also determined by its opposite, Many, Hegel
takes the One to be a determination of reason; but since its dialectic is external
to it, it seems not to be knowable as a determination of reason. It seems, then,
that Plato's dialectic of the One undermines any possibility that the One could
be grasped by the understanding but fails to be the dialectic through which
reason grasps the One.
This conclusion is false. Hegel's brief discussion of the Parmenides in the
Logik, quoted above, shows implicitly why; thereby, it removes the obstacle to
the Parmenides' dialectic providing positive knowledge of the One. The key
idea is22 that the dialectic of the Parmenides is a dialectic of „external reflec-
tion". To judge from our passage, the determinations which the One receives
are „external" because neither they nor the process of affirming or denying them
19 Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Teil 3. Griechische Philoso-
phie. II, 36.
20 M. Baum, Kosmologie und Dialektik bei Plato und Hegel, in: Hegel und die Antike
Dialektik, hrsg. von M. Riedel, Frankfurt a. M. 1990, 207, notes that in the „Skepticis-
mus" essay, Hegel ascribes the positive dimension of these determinations not to Plato's
Parmenides, but rather to Spinoza.
21 Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Zweiter Band, 246, says that
this dialectic „is not quite pure because it begins from this union of two determina-
tions".
22 It seems odd to encounter the category of reflection, which figures prominently at the
beginning of Essence, in the sphere o f Being, but here Hegel speaks o f „external reflec-
tion", whereas in Essence he calls the category „reflection" and means internal reflec-
tion. I suggest that .reflection' amounts to what we might ordinarily call thinking. In
Essence, thinking stands behind what appears, but really pervades it, as we discover. In
Being, the process of thinking lies outside of the categories.
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Positive and Negative Dialectics 219
is contained in the One. Indeed, it is true in general of categories from the logic
of Being that they do not include within their contents their relations to other
categories or to themselves. We can grasp this „externality" by comparing these
categories with those from other logical spheres. Categories from Essence are,
by definition, related to their contraries; each is defined through the negation of
its opposite. Categories from the logic of Concept are also self-related by defini-
tion; they are each defined through a self-relation that somehow includes its op-
posite. Thus, as the Logik develops, its determinations become progressively
more internal, until it is the very nature of a category to be its own self-relation
and self-negation. In speaking of Being and One near the beginning of the Logik
as determinations of „external reflection", Hegel locates them at the beginning
of this development of reason. He thinks that any attempt to understand them
will, eventually, lead us to qualify them by their opposites, but the dialectical
process through which we come to such qualifications lies outside of Being or
the One.
This externality implies, on one hand, that Being and the One cannot be
adequately known. On the other, recognizing that determinations of the One and
Being are external and, indeed, because of the simplicity of the One and Being,
must be external is itself a way of knowing them. Again, in respect of its con-
tent, a category from the logic of Being admits only external determinations;
therefore, to determine it in this manner is to grasp it as it is. What seemed to be
an obstacle to knowledge turns out to be a dialectic that reflects the character of
the form it knows.
In short, the Jenaer essay takes the Parmenides to set out a negative
dialectic that undermines determinations of the understanding. The Wissenschaft
der Logik sees the same dialectic as positive because it takes the externality of
this dialectic to reflect properly the forms it seeks to know and because it takes
this external dialectic to stand at the beginning of dialectical process of progres-
sive internalization.
So understood, Hegel's view of the Parmenides is not only consistent, but
we can see something about why he holds the dialogue in such high regard and
thinks that it provides the basis for his own dialectic. We could end here with
our new insight into Hegel's use of this dialogue; but we have not learned much
about the dialogue itself because Hegel does not really discuss its details and
because it is hard to connect what he does say with the central issues of the dia-
logue. Nor is it clear why Plato, if he has the kind of insight into form that Hegel
ascribes to him, does not himself propose a way to overcome externality and
construct a positive dialectic or how Hegel could be oblivious to the participa-
tion issue central to the dialogue, an issue that should apply equally to his own
notion of category. Further, despite what has emerged about the program of the
Logik, it remains unclear how Hegel transforms dialectic from the discovery of
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220 Edward C. Halper
II. Form
Why is Plato's dialectic „external" and must it remain so? Although Hegel cre-
dits Plato with a profound dialectic in the Parmenides, he does not think that
Plato is fully aware of his achievement. In a passage from the Vorlesungen über
die Geschichte der Philosophie that is not about this dialogue, he proposes a
very interesting reason for the externality of Plato's dialectic: „The Concept of
true dialectic is to show forth the necessary movement of pure Concepts, with-
out thereby resolving these into nothing; for the result simply expressed is that
they are this movement, and the universal is just the unity of these opposite Con-
cepts. We certainly do not find in Plato a recognition that this is the nature of
dialectic, but we find dialectic itself present; that is, we find absolute existence
thus recognized in pure Concepts, and the representation of the movement of
these Concepts ... This dialectic is, indeed, also a movement of thought, but it is
really only necessary in an external way and for reflecting consciousness, in
order to allow the universal, what is in and for itself, unalterable and immortal,
to come forth." 24
Here Hegel separates the dialectic through which a Concept emerges from
the Concept that emerges from it. Dialectic is, apparently, a sort of motion of
thought, whereas the Concept it produces, the content of the thought, is an
„unalterable and immortal" universal. Hegel's point is that the Platonic dialectic
is a motion that not only fails to be intrinsically connected with the conceptual
content that it makes manifest, but is, in itself, opposed to that content; for Plato
uses a process of change to convey something immune from change. We see in
this passage the notion, mentioned earlier, that dialectic ought, properly, to re-
flect the form or category that it makes manifest. Hegel is contrasting Plato's
dialectic, where the movement of thought lies outside of the Concept, with his
23 Düsing, Formen der Dialektik, 185, claims, plausibly, that Hegel learned from Plato the
force of negation of negation. My concern here goes beyond Hegel's appropriation of
Platonic insights and his development to showing how his dialectic enables him to re-
solve a central problem in the Parmenides.
24 G. W. F. Hegel, Lectures on the History of Philosophy. Plato and the Platonists, transl.
by E. S. Haidane, F. H. Simson, vol. 2, Lincoln/Nebraska 1995, 49-50, 52. This transla-
tion of Michelet's second edition of the lectures differs in its arrangement from Glock-
ner's text based on Michelet's third edition. Cf. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte
der Philosophie. Zweiter Band, 222-223, 225.
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Positive and Negative Dialectics 221
own ,true' dialectic, where the movement is within the Concept or, rather, just is
the Concept. He makes similar remarks about the Socratic method.25
Hegel also speaks similarly near the end of the Wissenschaft der Logik. Just
before he explains his own conception of dialectic, which has been at work
throughout the Logik, he looks back at previous notions of dialectic: „The funda-
mental prejudice in this matter is that dialectic has only a negative result, a point
which will presently be more precisely defined. First of all as regards the above-
mentioned form in which dialectic is usually presented, it is to be observed that
according to that form the dialectic and its result affect the subject matter under
consideration or else subjective cognition, and declare either the latter or the
subject matter to be null and void, while on the other hand the determinations
exhibited in the subject matter as in a third thing receive no attention and are
presupposed as valid on their own account."26
25 Discussing the Socratic dialogues of Plato, today designated as the ,early dialogues',
Hegel claims of Socrates: 1. „Was er damit bewirken wollte, war, daß sich die Anderen
äußern, ihre Grundsätze vorbringen sollten. Und aus jedem bestimmten Satze oder aus
der Entwicklung entwickelte er das Gegentheil dessen, was der Satz aussprach; d. h. er
behauptet es nicht gegen jenen Satz oder Definition, sondern nimmt diese Bestimmung
und zeigt an ihr selbst auf, wie das Gegentheil von ihr selbst darin liegt. Oder zuweilen
entwickelt er auch das Gegentheil aus einem konkreten Falle" (Vorlesungen über die
Geschichte der Philosophie. Zweiter Band, 60). - 2. „Sokrates' bestimmte Ironie ist
mehr Manier der Konversation, die gesellige Heiterkeit, als daß jene reine Negation, je-
nes negative Verhalten darunter verstanden wäre, - nicht Hohngelächter, noch die Heu-
chelei, es sei nur Spaß mit der Idee. Aber seine tragische Ironie ist sein Gegensatz sei-
nes subjektiven Reflektierens gegen die bestehende Sittlichkeit, - nicht ein Selbstbe-
wußtseyn, daß er drüber steht, sondern der unbefangene Zweck, zum wahren Guten, zur
allgemeinen Idee zu fuhren" (Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Zweiter
Band, 64). - 3 . Hegel also describes Socrates' aim as provoking thought: „Diese Verwir-
rung hat nun die Wirkung, zum Nachdenken zu führen; und dies ist der Zweck des So-
krates. Diese bloß negative Seite ist die Hauptsache" (Vorlesungen über die Geschichte
der Philosophie. Zweiter Band, 69). But Hegel also notes the positive side, the idea of
the Good: „Dies Affirmative ist nichts als das Gute, insofern es aus dem Bewußtsein
durch Wissen hervorgebracht wird, - das gewußte Gute, Schöne, was man die Idee
nennt, das Ewige, Gute, an und für sich Allgemeine, das durch den Gedanken bestimmt
ist; dieser freie Gedanke bringt nun hervor das Allgemeine, das Wahre und, sofern es
Zweck ist, das Gute" (Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Zweiter Band,
69-70). - 4. „Die Sokratische Dialektik geht gegen dies Wissen des ungebildeten Gei-
stes von seinem Inhalte; es macht ihn wankend, zeigt, daß er, so wie er ihm erscheint,
keine Wahrheit hat. Das Bewußtseyn verliert diese Vorstellung von seiner Wahrheit als
diesem zerstreut geltenden Inhalte, und wird frei" (Vorlesungen über die Geschichte der
Philosophie. Zweiter Band, 89).
26 G. W. F. Hegel, Wissenschaft der Logik. Zweiter Band. Die subjektive Logik (1816), in:
Gesammelte Werke, Bd. 12, hrsg. von F. Hogemann, W. Jaeschke, Hamburg 1981, 243.
(Translation according to Hegel, Science of Logic, 832-833.)
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222 Edward C. Halper
Hegel had identified the dialectic that leads to the negation of subject mat-
ter with the Eleatic dialectic. The dialectic that negates cognition is, it seems,
that of Socrates and Plato. That is to say, the dialectical approach to knowledge
of forms leads to the conclusion that either there is nothing for us to know or our
human ways of knowing forms are inadequate; what it does not do is truly to
examine the forms themselves.
Putting these two texts together, we could say that Platonic dialectic
negates itself and all human cognition while showing to that cognition an entity
beyond it. The dialectical process through which Plato seeks to grasp form
stands apart from the form it grasps. In general, Plato has his Socrates show that
an interlocutor's views of some form are contradictory in order to give readers a
glimpse of a non-contradictory and immobile form that, unlike the dialectic
through which it comes to appear, is real. It follows that the interlocutor's views
as well as his cognitive processes are unreal. The Parmenides appears to be
something of an exception, and we can see at once why Hegel holds it in the
highest regard; for there contradictory dialectical arguments yield insight into an
internally contradictory form. Yet, even in this dialogue, Hegel thinks there
remains something of the externality between form and dialectic that is so
prominent elsewhere. First, the result of its dialectic is presented as negative.
The dialogue ends with a contradiction, and Hegel thinks that Plato aims to
destroy finite assertion about and cognition of the One by the understanding. As
we saw, Hegel also thinks that the same dialectic has a positive significance that
Plato failed to grasp fully. This distinction between the negative dialectical
process and the positive form that emerges from it is one way that the externality
of form and dialectic manifests itself in the Parmenides. A second manifestation
of this externalilty lies in the difference between Parmenides' indefinite number
of arguments to support the qualification of One with its opposites and the
unitary and complete notion of One that Hegel, at least, thinks emerges from the
arguments.
It is worth dwelling a moment on more typical manifestations of Plato's
separation of form and dialectic. We can most easily appreciate the problem in
the sphere of ethics: Plato's Socrates often encounters an interlocutor who thinks
himself virtuous. Since it seems necessary to know what Virtue is in order to be
virtuous, the interlocutor assumes, at least implicitly, that he has knowledge of
Virtue; but he invariably proves himself unable to give a consistent account. In
refuting the proposed definitions, Plato's Socrates shows what each Virtue can-
not be. He is, in effect, emptying out the presumed content of the Virtue. Every-
thing we thought was a candidate for, say, Justice turns out, on closer examina-
tion, to contradict other assumptions; yet Justice must exist if some acts are to be
more or less just than others. The problem is that this negative, elenctic proce-
dure is somehow supposed to yield a positive insight into the nature of form.
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Positive and Negative Dialectics 223
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224 Edward C. Halper
28 See E. C. Halper, The „Socrates" of Plato's Early Dialogues, in: Form and Reason:
Essays in Metaphysics, Albany/N. Y. 1993, 13-33.
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Positive and Negative Dialectics 225
then the negative dialectic of Plato is not external to form, but the consequence
of form's essential character. In its plurality and motion, dialectic reflects its
own separation from the unitary and immobile form it pursues. In short, the
externality and negativity of Plato's dialectic count as support for his separation
of form.
If this reasoning is correct, then Hegel is wrong about the externality of
Plato's dialectic. But he is not entirely wrong. Even though form's transcen-
dence can account for the dialectic, it does not account for all the particular steps
the dialectic takes. There are an indefinite number of possible dialectics (or dia-
logues) about any one form. There is no way to predict or determine thoroughly
the course of a dialectic from the form it pursues. The dialogue is, in general, a
function of the interlocutors. The course of the second part of the Parmenides
may seem an exception, inasmuch as it follows a plan which Parmenides lays
out and is not set by the interlocutors.29 The details of this dialectic, however,
are not determined by the form explored. In the dialogue's first hypothesis, for
example, Parmenides offers a series of arguments each showing that some form
could not belong to One. There seems to be no order to the consideration, nor is
it clear that Parmenides has considered all forms. The dialogue's second hypo-
thesis argues that a One-that-is would be determined by all forms, but again the
order in which particular forms are considered does not follow from the One.
The same could be said of subsequent hypotheses, and the sequence of the hypo-
theses themselves also seems to be external to the form under consideration. In
short, there is an apparently insurmountable arbitrariness to the second part of
the Parmenides that renders it, in some respects, external to the One.
Nonetheless, this dialectic follows a plan designed to insure the considera-
tion of every possible relation between One and the others. As Zeno explains,
truth requires „ranging ... over the entire field".30 Just what are we to make of
the fact that within and between each branch of the dialectic, we encounter con-
tradiction? Following Hegel's reasoning about the externality of dialectic (but
not his conclusion), I propose that the intrinsically contradictory character of the
dialectic about the One counts as evidence that the One transcends dialectic. It is
just because the dialectic ,,rang[es] ... over the entire field" and shows that all
ways of thinking the One lead to contradiction or ignorance that we should con-
clude the One is beyond our ken.
Hegel drew a very different conclusion, as we have seen. He takes the dia-
logue to show that One or any other determination of thought must pass over in-
to its opposite. What is really striking here is the contrast between Hegel's ac-
ceptance that form must be constituted by moments and, therefore, lack strict
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226 Edward C. Halper
unity and Plato's insistence that form must be one. If form must be strictly one,
then it cannot be identified with the dialectic we find in the Parmenides; con-
versely, the latter dialectic could serve as a kind of proof of form's unity and se-
paration. On the other hand, Hegel would overcome this separation by making
the form a sort of plurality, as, indeed, it must be if it is a determination of rea-
son. What Hegel calls ,reason' and takes to be equivalent to Plato's νους, the
faculty that grasps the highest principles, more closely resembles Plato's διά-
νοια, the faculty of dynamic thought; for νους consists of a simple intuition of a
simple principle. 31 If a form can have multiple moments, then a dialectic that
thought through them could well be identical with the form itself. In that case,
the negativity within a form would be equivalent to the negativity intrinsic to
dialectic. In contrast, Platonic form contains no plurality or negativity; its priori-
ty stems from its simplicity.
Plato's exploration of One through its relations to other, externally related forms
supports Hegel's notion that the Parmenides is the determination of this idea
with other ideas. As such, the dialogue bears strong affinities with his own Lo-
gik·, for he understands this latter work as the se/f-unfolding of the categories
which occurs through some sort of categorial self-determination. Does this un-
derstanding of the dialogue's second part help to resolve the issue in the first
part that has most concerned contemporary scholars, the problem of participa-
tion?
Many scholars have looked to the second part to help resolve this problem,
yet without reaching any consensus. 32 Hegel has nothing to say about it, nor
does he himself address this problem. Indeed, he could not even formulate this
problem. We would like to say that the problem of participation is how a form or
an idea could be present in something else, some matter or, at any rate, some
non-idea. But for Hegel there is nothing that is not an idea; his whole philosophy
consists of relations of ideas. Hence, to ask about the presence of an idea in
something else is to ask about the relation of two ideas. Hegel often speaks of
the Platonic form as a universal. At one point he complains about Plato's use of
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Positive and Negative Dialectics 227
33
terms like „participation", when what he means is individuality. For him,
Plato's problem of participation is the problem of how the universal manifests it-
self in an individual, where both individual and universal are logical categories.
Similarly, speaking of the Timaeus, he claims that although matter is the prin-
ciple of the individual, it must be universal; and he notes that to speak of sensu-
ous things is to point to that in them which is fixed and persists, that is, to their
universality. 34 In short, for Hegel the problem of participation is a problem about
the relation of ideas.
Even though Hegel cannot properly speak of participation, he cannot avoid
the problem. Anyone who identifies principles needs to explain how these prin-
ciples account for and are related to that of which they are principles. We could
call this the problem of instantiation and recognize participation as one type of
instantiation, the instantiation of a form in a matter. For Hegel, the problem of
instantiation of principles is the problem of individuation; he speaks often of ab-
stract categories becoming more concrete. In general, his categories are instanti-
ated by receiving additional categorial determination.
With these thoughts in mind, let us take a look at the problems with partici-
pation that emerge in the Parmenides. The philosophical portion of the dialogue
begins with Socrates recounting a paradox, apparently from the beginning of Ze-
no's book: „If things (τά δντα) are many, then it is necessary that these be like
and unlike. But this is impossible." 35
The impossible consequence could be avoided, Socrates proposes, if Zeno
will join him in distinguishing between forms and what partakes of them: Like
itself cannot be Unlike, but there is no contradiction if something that is like is
also unlike. More generally, though a form cannot partake of its own contrary,
something else could partake of both contraries. Parmenides asks Socrates whe-
ther he has distinguished between forms and what partakes of them, between
Likeness itself and the likeness we have. 36 He goes on to press Socrates to char-
acterize the relation between form and participant. The arguments that follow
are so rich and interesting that they have received a great deal of attention in-
dividually. If, however, we step back and consider the context of these argu-
ments, we can see that nearly all the rest of the dialogue's first part explores dif-
ferent ways to characterize the relation between form and participant. Parmeni-
des first suggests that the form is a whole of which the participant would be a
33 Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Zweiter Band, 240. The term
.Individuality' does not appear in the parallel passage in the edition edited by Garniron
and Jaeschke, 32.
34 Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Zweiter Band, 264.
35 Plato, Parmenides 127e 1-3.
36 Plato, Parmenides 130b 1 -5.
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228 Edward C. Halper
part; 37 then that form might be the sameness or likeness that distinct or unlike
participants somehow share; 38 and finally that form is known in contrast with
what knows. 39 Each proposal opens up a variety of possible relationships: The
whole might be in each part as a whole, separate from each part etc. However,
each relationship in each proposal proves, upon examination, to be contradic-
tory.
Most readers take these arguments to be a devastating critique of the forms.
They are, therefore, surprised that almost immediately after presenting them Par-
menides declares: „If, in view of all these difficulties and others like them, a
man refuses to admit that forms of things exist or to distinguish a definite form
in each case, he will have nothing on which to fix his thought, so long as he will
not allow that each thing has a character which is always the same; and in so
doing he will completely destroy the significance of all discourse (dialectic)." 40
Evidently, the previous arguments do not thoroughly undermine the forms.
It is worth noticing that what Parmenides indirectly affirms in this passage is the
existence of „forms of things" (εϊδη των όντων). Only a few lines earlier, he
had raised the question whether characters of things exist and someone could
mark off each form as something itself.41 In asking about characters or forms,
Parmenides assumes the existence of the things of which they would be forms.
His question is, thus, whether form exists in addition to things, and an answer
would need to explain the relation between form and things.
Parmenides suggests that our inability to explain this relation casts doubt
on the forms, but he also affirms the existence of the forms on the ground that
without them we would have nothing on which „to fix ... thought" and about
which to discourse. Hence, he sets up a paradox: The forms cannot exist, but
they must exist. The solution to this aporia does not lie in affirming either
branch. Instead, the text calls for us to examine the assumption that generates
aporia. In this case, it is clearly Socrates' distinction that is at issue. Recall that
Socrates introduces this distinction to avoid Zeno's conclusion that Like is
unlike 42 and that Parmenides' subsequent questioning of Socrates shows the dif-
ficulty or, perhaps, impossibility of maintaining the distinction. While most
readers have focused on Socrates' assertion of form, I think it is rather the parti-
cipant that causes the problems. Zeno speaks of Like, Unlike and other forms; it
is the participant that Socrates introduces into the discussion. He must define it
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Positive and Negative Dialectics 229
and distinguish it from the form, but this turns out to be no easy task. Indeed, I
think that Parmenides shows it to be impossible.
The usual way to speak of the participant is to refer to the form X of which
it partakes; thus, one could say ,what is X' or ,some X thing' in contrast with
the ,form X' or ,X itself. But this is clearly inadequate, because all these
phrases could also designate the form itself. We might, instead, propose to
designate the participant through some relation it has to a form, for example, by
recognizing the participant as having, to a lesser degree, whatever character the
form has. This is what Socrates tries to do here and what we sometimes see in
other dialogues. However, to grasp the participant as falling short of a form is, in
effect, to introduce another form for the participant. It is necessary to spell out
the relationship between the two forms - a relationship that Socrates is unable to
explain in this dialogue. Moreover, an immanent form in the participant itself
faces the same problem: What is it that partakes of it? Regress threatens.
In short, the problem here is how to understand the participant apart from
the form when all thought and discourse are about forms. Once we appreciate
the problem, we can understand why Socrates founders in the dialogue's first
part. Parmenides presses him to explain the relation between form and partici-
pant. If the form is to account for the character of the participant, there must be
some relation, and it must be possible to understand the participant apart from
the form that comes to explain it. But, as Parmenides eventually makes clear, we
„fix ... thought" on a form. Hence, in order to think or speak about the partici-
pant, it must have its own form. If this is so, then the problem of how form ex-
plains a particular is a problem about the relation of two forms - in something of
the way that Hegel sees it.
Indeed, we find that this is exactly how Parmenides treats this problem in
first part of the dialogue. He speaks about the participants as Many, as Like etc.
and he considers whether their forms are a Part of the form of which they
partake or the Whole of this form, whether their forms are the Same or Like the
form of which they partake and so forth. It cannot be accidental that Wholeness,
Sameness, Likeness and other forms that Parmenides proposes here are types of
unity. A form is assumed to be one. One problem Socrates faces is explaining
how form could retain its unity and still cause a character in the many other
forms of participants. Moreover, if the participants already have their own
forms, what is gained by speaking of still other forms? This is the basis for what
Parmenides calls the „greatest difficulty", 43 the problem that if one form is de-
fined through its relation to another, its sensible imitation will be defined in
relation to the sensible imitation of the other, and, consequently, form and imita-
tion will not be essentially related, nor since we are sensible and knowledge is a
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230 Edward C. Halper
relation, will form be knowable to us. 44 In short, Socrates cannot defend his dis-
tinction between forms and participants because in order to speak about the par-
ticipants he must already treat them through forms. Nor can Parmenides diag-
nose Socrates' problem by referring to the difficulty of speaking about the
participant, since he himself is no more able than Socrates to speak of it; instead,
he speaks of the issue as the existence of the „forms of things [lit. Beings]", as
we have seen.
In one sense, then, there is no problem of participation in the Parmenides,
just as there can be no problem of participation for Hegel: Both can only deal
with the relation of some forms to other forms. But, of course, the inability to
express the problem does not make it go away; it just means that the problem
will manifest itself differently.
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Positive and Negative Dialectics 231
the ideational formal content of a partaken form can conflict with 2. the relation-
al formal content that it acquires through a relation with its participant. Thus, if
something is small through a part of Smallness, then since a whole is larger than
its part, 1. the form Smallness will be qualified by its opposite 2. large. 46
In other cases, the relation between form and participant results in addi-
tional formal content that itself is related to form and participant and, conse-
quently, results in yet more formal content. Thus, the much discussed largeness
regress 47 - usually called the ,third man argument' - arises from the assumption
that the participant's form and the form of which it partakes are the same.
Whenever there is a multiplicity of instances that are the same, there must be
some form in respect of which they are the same. But this form itself shares the
same form with the multiplicity; hence, form and multiplicity together constitute
a new multiplicity whose instances are, again, the same. Consequently, there
must be still another form in respect of which they are the same, and so on ad
infinitum. There would be an infinite number of forms, and the participants
would be what they are in respect of all these forms, contradicting the assump-
tion that there is but one form in respect of which participants are what they are.
To put the argument in the terms I have been using here, sameness is a relation
among forms that adds formal content to the related forms. But this new formal
content itself stands in the relation of sameness with the particulars' forms, pro-
ducing still more formal content, which, again, stands in the relation of same-
ness with other forms, and so on. This exploding formal content undermines the
unity of form and its ability to account for the participant.
These arguments belong to Parmenides' attack on Socrates' proposal, a
proposal that was advanced to avoid the contradictions that Zeno drew from the
assumption of plurality. Let us look again at Zeno's reasoning. Socrates' sum-
mary, quoted above in part, is: „If things (τά οντά) are many, then it is neces-
sary that these be like and unlike. But this is impossible because the Unlike
cannot be like nor the Like unlike." 48
Zeno intends this as a reductio argument to disprove the hypothesis that
things are many. As noted earlier, Socrates' distinction between forms (Like and
Unlike) and what partakes of them (the many) is supposed to avoid the need to
conclude that contraries are qualified by their opposites. Clearly, Zeno is not
making this distinction. For him, the Like and Unlike are, respectively, the many
like and unlike things. Presumably, he is reasoning here that if there are many
things (= Many), then these things would have to be unlike to be counted as
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232 Edward C. Halper
many, but like insofar as all are things. Hence, Like (i. e., what is like) is unlike
(i. e., what is unlike).
It is hard not to share Socrates' reservations about this argument, but
Zeno's reasoning fits into the pattern we have already seen in Parmenides' argu-
ments against Socrates. He assumes that the forms are 1. things with some
character - here it is being many - as well as 2. things possessing characters by
virtue of relationships with each other - here they are both like and unlike. Since
there is no distinction between the form and things that partake of it, if the same
things are like and unlike, Like is Unlike.
We see much the same type of reasoning throughout the dialogue's second
half. Having examined and refuted Socrates' proposed distinction between
forms and what partakes of them, Parmenides undertakes to demonstrate the
training necessary to discuss the forms. He begins with the hypothesis that the
One is. Parmenides asserts that if the One is, it cannot be Many; and he goes on
to reason that the One will be neither Part nor Whole because either would
require that it have parts and thereby be Many. The key assumptions are: „the
Part is a part of some whole" and „the Whole is that from which no part is
absent". 49 These last formulae define Part and Whole by spelling out the relation
that an instance of the one will have to an instance of another. Thus, to say that
One is not a Whole is to say that it is something without parts. The One here is
the instance, something One, and, by virtue of its formal ideational content, it
lacks relational content, at least as far as Whole and Part go. The entire first
hypothesis goes on to argue that something that is One could have no relational
content.
Parmenides' subject is the form One, but he treats it as if it were an in-
stance, in just the way that Zeno treats Like in his discourse. Since Socrates'
attempt to undermine Zeno's dialectic by distinguishing between form and
participant failed, it is natural to identify the Parmenidian and Zenonian
dialectics. Where they differ is that the method sketched in 136a4-c5 and put
into practice in the dialogue's second part ranges over the entire field of possi-
bilities, while Zeno considers only one strand of possibilities, the consequences
of the existence of Many for the Many. I suggest that Zeno's excusing his
book's having been written with the contentiousness of youth 50 is an acknowl-
edgement of its incompleteness: a very young man aims to make his point,
rather than to work through the whole of his subject. (And for an old man like
Parmenides, working through the entire field may be too strenuous. 51 )
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Positive and Negative Dialectics 233
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234 Edward C. Halper
is not to claim that Whole is somehow included in the formal content of One,
but to assert that an instance of One will, by virtue of its relations with One or
with others, also instance the form Whole. Unfortunately, the distinction be-
tween forms that are related through their formal content and forms related
through their instances is not always noticed. 59 It ought to be central in discus-
sions of how Plato thinks that one form partakes of another.
Why does Plato explore the One by considering something One? My pro-
posal is that Parmenides' dialectic in the second part of the dialogue reflects the
problematic context of the first part, the problem of participation. Plato under-
stands Parmenides' dialectic (both the one he puts in Parmenides' mouth and
that of the historical Parmenides) as, in effect, a treatment of the participant; but
Parmenides cannot say this because he cannot distinguish between form and
participant. Hence, Plato employs a rhetorical strategy to make readers aware of
the issue. He has Socrates introduce a distinction between form and participant
as an objection to Zeno's partial Parmenidean dialectic. He then has Parmenides
show Socrates that the distinction cannot be sustained because the participant
can only be understood through the forms that it possesses. The dialogue con-
cludes with Parmenides' lengthy dialectic. Plato does not explain how this dia-
lectic addresses the problem of participation of the first part because he could
not do so: There is no way to talk about the participant apart from the form or
forms it must possess. Rather, the reader, appropriately prepared by the dia-
logue's first part, is supposed to see that the arguments are not about forms
themselves but instances of forms. In short, the meaning of the Parmenidean dia-
lectic as a treatment of the particular becomes apparent when it is placed in the
context of Socrates' attempts to discuss the participant.
I shall say more later about what we learn about the participant from Par-
menides' dialectic. The points to be emphasized now are, first, that what Parme-
nides terms the One is something that has this form, what we would have termed
the participant', second, that One represents this ideational formal content of
59 Even when it is noticed, it is not always properly applied. G. Vlastos, The Unity of the
Virtues in the Protagoras, in: id., Platonic Studies, Princeton 1981, 252-54, argues that
Socrates' assertions of the identity of virtues ought to be understood to claim that some-
thing that has one virtue has the others. He terms such claims „Pauline predications".
Vlastos, ibid., 259-265, thinks that Plato is sometimes ambiguous on whether or not a
predication is Pauline, but he proposes that self-predications of forms are Pauline predi-
cations. In my view, most of Plato's claims about relations of forms concern their con-
tent and are, thus, not Pauline. Parmenides' dialectic in the second part of the dialogue
does depend on what could be called „Pauline predications", though I do not think this
phrase adequately expresses the variety and necessity of formal relationships explored
here.
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Positive and Negative Dialectics 235
what is One, and, third, that the thing that is One may have additional formal
content that belongs to it through its relations, internal and external.
V. Dialectic in Hegel
What does all this have to do with Hegel? Quite a lot, I think. My contention is
that, like Plato, Hegel explores a form or a category by, in effect, treating it as
something that has the category, although here relational and ideational mo-
ments are either reversed or interchangeable. This is a point about his dialectical
method, and, again, it is hard to speak about method without surveying large
portions of text in a way that may seem either inadequate or superficial.
In order to focus on the movement of thought rather than the details of
doctrine, I shall sketch briefly a text from the logic of Being whose doctrine is
well-known. Initially, Hegel understands Determinate Being, Dasein, simply as
the unity of Being and Nothing. However, he goes on to predicate Quality of it;
this latter is the positive dimension of Determinate Being posited as being a
determinateness (als seiende Bestimmtheit).60 That is to say, the Quality of De-
terminate Being is just its own Being, now understood to belong to it. On one
hand, this Being belongs to and expresses Determinate Being's nature: Determi-
nate Being's Quality is just what it is. On the other, Quality expresses only a
part of Determinate Being's nature and, therefore, is not what it is. Hence, De-
terminate Being determines itself, as it were, as Quality, and immediately ne-
gates this determination. But such an affirmation of its Being and immediate ne-
gation of Being is just what it is to be a Determinate Being. Hence, as deter-
mined and not determined by Quality, Determinate Being is in the act of being a
Determinate Being: Determinate Being is itself an instance of the category of
Determinate Being. Hegel marks the difference between a category and its in-
stance grammatically by using the infinitive for the former, the participle for the
latter. Thus, Dasein is defined initially as the unity of Being and Nothing;
Daseiendes is something that is in the act of being a Dasein, something that is
actively unifying Being and Nothing. Hegel shows that this category is self-pre-
dicated, but this adds new content to the category and, thereby, transforms it into
a new category. As he puts it: ,JJas Dasein ist Daseiendes, Etwas,"61 The other
main categories in the logic of Being are each brought into self-predication in
order to transform them into new, richer categories. Though the path toward
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236 Edward C. Halper
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Positive and Negative Dialectics 237
to possess other forms. Hegel's dialectic does not originate from this problem,
and his initial characterization of a category is not so much a characterization of
something that has a character as of a character that is a something. That is to
say, Hegel begins not with a participant but with an abstract category. For him,
the participant emerges when this category is shown to be an instance of itself:
The category becomes, as it were, a participant through self-predication. This
means that the movement in the Hegelian dialectic is fundamentally different
from that of Plato's dialectic, but both can be seen as ways of dealing with the
participant in the face of the apparent impossibility of fixing one's thought on
what would seem, in itself, to lack form. Both dialectics speak of forms when
they mean to speak of form instances. Thus, the Many are many beings, the One
one being; in Hegel's structural parallel, Determinate Being is a Determinate
Being.
Although the parallel holds for the logic of Being, it helps to explain the
later portions of the Logik. In Essence and Concept, Hegel is still dealing with
the relation of instances and character but they do not exist apart from each
other, as objects of .external reflection', as they do in the sphere of Being. I have
noted that categories from the spheres of Essence and Concept are defined
through self-relation, in contrast with categories of Being, where the self-
relation is external to their initial ideational content. Inasmuch as self-relation
functions as instantiation, we can say that Essence and Concept contain their in-
stances within themselves: they are self-instantiating. Categories from Essence
contain in their content a relation to their instance, but since this relation is made
through a contrary category, the instance is still partially distinct; categories
from Concept contain both relation and instance. Hegel's notion that a category
could and should be an instance of itself and his use of self-relation to achieve
this end amount to an interesting solution to what I have called the problem of
instantiation. Ultimately, there should be no difference between principle and
instantiation: An adequate principle is one that includes its instantiation. In con-
trast, Plato understands an instance of a form through the entire plurality of
forms that it also has or lacks. What makes something an instance of One and
not One itself is the presence of some form besides One, such as Being or Other.
As a plurality, Plato's instance stands in sharp contrast with the strictly unitary
forms that are its principles. For him, the ontological difference between
principle and instance is insurmountable.
One potential objection to the idea that both the Logik and the Parmenides
deal with participants or instances is Hegel's endorsement of the Neoplatonic
view that this dialogue contains „the pure Platonic doctrine of Ideas" and pre-
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238 Edward C. Halper
62
sents Plato's theology. Indeed, since, for Plato, there is something beyond the
participant, namely, the form, it is inappropriate to speak of an account of the
participant, even one that turns on relations of ideas, as a theology. Hegel, of
course, has nothing beyond logic: It is his treatment of ideas. From his perspec-
tive, the Parmenides is indeed a theology.
The similarity in the dialectics of the Parmenides and the Wissenschaft der Lo-
gik raises the question why they proceed so differently and come to such dif-
ferent ends. Hegel's dialectic comes to a proper completion in the final logical
category, Absolute Idea. This latter not only includes all the preceding cate-
gories but is itself the self-unfolding that constitutes the entire categorial devel-
opment of the Logik. The Parmenides is striking in its apparent lack of com-
pletion. Its conclusion is that the One and the Others are and are not, appear and
do not appear to be, everything in themselves and in relation to each other. 63 On
its face, this is a baffling contradiction. Why is Hegel able to arrive at a positive
conclusion that completes the sphere of logic, whereas Plato's conclusion seems
entirely negative and external?
To be sure, Hegel speaks of the Parmenides'' conclusion as positive; he
thinks it shows the unity of Being and Not-Being - the unity that constitutes his
own category of Becoming, as we have seen. 64 For him, Plato's problem lies in
his not developing the dialectic beyond this point. I have argued against this in-
terpretation here. It is just because the Platonic form is strictly one that a dialec-
tic that aims to grasp it must remain external and its results, ultimately, negative.
In this context, the Parmenides' conclusion is not baffling; it reflects the neces-
sarily external relations between forms, since forms are strictly one. Hegel's re-
jection of the unity of form opens the possibility for a positive development and
completion of the dialectic. How, though, does he accomplish this?
62 Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Zweiter Band, 244 . See also
Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Teil 3. Griechische Philoso-
phie. II, 35-36.
63 Cf. Plato, Parmenides 166c2-5.
64 Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Teil 3. Griechische Philoso-
phie. II, 35; Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Zweiter Band, 243,
claims that Plato's conclusion shows the unity of contradictories. Hegel, Vorlesungen
über die Geschichte der Philosophie. Zweiter Band, 245, claims that this identity of
contradictories is present in the Parmenides even though Plato does not actually express
it.
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Positive and Negative Dialectics 239
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240 Edward C. Halper
65 In order to explain how Plato treats the participant through the form, it will be necessary
for me to do in the following paragraphs what cannot properly be done, namely to speak
about the participant apart from its form. It is important to bear in mind why Plato must
resort to what appear initially to be circumlocutions.
66 Cf. Plato, Parmenides 141d4-el0.
67 On the ambiguity of ,τό εν' in Greek, see Cornford, Plato and Parmenides, 111.
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Positive and Negative Dialectics 241
time, when the One has no character, but that is also somehow between the
times that the One has contrary characters. While it might seem that such a One
is just the One of the first hypothesis, the discourse here speaks of this One as
„between" Not-being and Becoming, 68 implying that it is neither the non-exis-
tent One of the first hypothesis nor the existent One of the second. This One is,
thus, a kind of negation of the first two Ones. The participant cannot be identi-
fied with either the form that makes it what it is or the other forms that charac-
terize it. It is neither of these, and for that reason cannot have any characters.
Hypotheses three and four examine what is Other than the One, as Parme-
nides specifies in his scheme of the discourse. 69 The Sophistes argues, famously,
that ,Not-being' is some form other than the form of Being; but we do not need
to refer to that argument to see that the others here constitute some sort of nega-
tion of One. Hypothesis three examines the Others insofar as they are unified by
their partaking of the One. In respect of their not being, in themselves, the unity
they receive, the Others are indefinite pluralities. That is, through their relation
to One, they acquire formal content, but their initial formal content is their being
other than One, that is, their being indefinite pluralities. Hypothesis four, on the
other hand, insists that the Others individually and collectively lack any sort of
unity. They lack all relational content and, thereby, all characters.
Why does a discussion of the Others emerge in this treatment of unity? My
contention that the participant is the implicit subject of Parmenides' discourse
suggests an answer that is completely consonant with the content of hypotheses
three and four. Just as One is the character of the participant insofar as it is a
form, the Others are that within the participant that takes on the form. Whereas
hypothesis two argues that other forms belong to the participant by virtue of its
being something One, the issue here is what, if any, forms belong to the partici-
pant by virtue of not being One. This could be understood in two different ways:
First, if the participant is One by virtue of its form, then everything in the parti-
cipant that is organized by the form must, in itself, lack unity. What lacks unity
is the contrary to unity, namely, the indeterminate. This is what we find in hypo-
thesis three. 70 On the other hand, if the form makes the participant intelligible,
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242 Edward C. Halper
then to take away the form is to make it unintelligible and, thus, lacking in all
characters. JThis is what we find in hypothesis four.
The fifth through eighth hypotheses consider what belongs to One and the
Others if the One does not exist. Non-being is still another way of negating the
One. It seems that here, as in the first hypothesis, Being amounts to physical
existence. Hence, something One that lacks Being could still be thought, and on
this basis Parmenides ascribes characters to the One-that-is-not. Indeed, he ar-
gues that it also has a Being, a Motion, and so forth. So, too, a non-existent par-
ticular could be thought through a form; insofar as it belongs to someone think-
ing, the thought has its own Being and its own Motion (it both comes to be and
ceases to be in thought and language). Consequently, the contradictory charac-
ters ascribed in the fifth hypothesis to the non-existent One belong, on the same
grounds, to non-existent participants. The sixth hypothesis denies every sort of
Being to the One, and the result is that no characters at all can be ascribed to it.
The seventh and eighth hypotheses explore the consequences for the Others of
the One's not being. The seventh argues that without a One, the Others can only
be other than each other. As in the third hypothesis, Others without One will be
an indefinite plurality, but here they merely appear to have this plurality, and
they must also merely appear to be One. Without a form through which to un-
derstand them, the Others cannot be thought; hence, they are grasped as appear-
ances. Again, a participant that cannot be grasped through some form could only
be an appearance. Finally, the eighth hypothesis rejects even the appearance of
unity for the Others. If there is no form, then there could not be or even seem to
be a participant. Evidently, both thought of what does not exist and appearance
that is not real constitute ways of negating unity. The negations of these
thoughts and appearances count as complete negations of unity.
In sum, each hypothesis serves as an account of some aspect of the
participant. Only the first actually affirms the character of the form of which it
partakes, but ironically it must reject all other characters, including Being. The
other hypotheses all constitute ways of negating the unity of the partaken form.
These hypotheses are built upon three modes of negating unity, plurality (hyp.
2), otherness (hyp. 3-4) and non-being (hyp. 5-8), but all three modes appear in
each hypothesis. We get a different understanding of the thing that is One and
what belongs to it depending on whether we are speaking about it as One, as a
Being, as what the Others have, as something thought, as an appearance or as
the negation of any of these. What belongs to One in this discourse is often a
consequence of its relation or necessary lack of relation to other forms.
What we have here is a multifaceted picture of the participant in terms of
all its modes of being and negation. It is a cubist picture: The facets have been
separated from each other in distinct hypotheses. They are not reconcilable with
each other, but then Plato says repeatedly that sensibles are not intelligible.
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Positive and Negative Dialectics 243
What is crucial to see is that we are not really dealing with the sensible thing -
there is no access to it apart from forms that it has; what we are dealing with are
instances of forms, and the negations here are aspects of the thing that are not its
form. There are multiple ways in which a thing is and is not form, and it is these
that the Parmenides aims to explore. Ironically, the exploration must be conduc-
ted through what is intelligible, form.
If this is right, it is important to the Parmenides that the dialectic does not
reach consistency or completeness. Its failure in this regard is a token of its sub-
ject. On the other hand, it does contain a kind of completeness: it explores all
possible negativities. Parmenides covers the complete range. The full range of
inconsistencies in a participant does not speak against the existence of a tran-
scendent form; on the contrary, irreconcilable contradiction among sensibles
supports the existence of separate form, as we have seen. However, the dialectic
remains separate from or external to this form, and the various ways of treating
the participant remain external to each other - all of which recalls Hegel's claim
about the externality of dialectic. We see here a point mentioned earlier, that the
various strands of argument do not transform the One. The dialectic of negations
of the One remains external to it.
In contrast, in the dialectic of the Wissenschaft der Logik, various modes of
negation become internal to categories and transform them into richer categories
until Absolute Idea completes the development by including within itself the en-
tire categorial unfolding, as we noted. Relations to other categories do not trans-
form this category because its formal content already includes its relations to
other categories. Indeed, it is the process of categorial relation and transforma-
tion, coming to completion by including all possible negations. When, at the end
of the Logik, Hegel again contrasts the negative and external dialectic of Plato
with his own dialectic, he emphasizes that in the final category content is equi-
valent to method. 71 The negative brought into relation with itself becomes posi-
tive and complete.
The completeness of the dialectic signals a recovery of unity that stands in
stark contrast with Plato's cubist picture of the participant. While we cannot say
that Hegel aims in the Logik to think a sensible participant through an intelligi-
ble form, the character of his dialectic shows, I contend, that he is concerned to
think what I have called, for lack of a better term, an instance. To be sure, what
counts as an instance varies through the categorial development that constitutes
the Logik. Each category functions as both instance and that of which it is the
instance, but only in the logic of Being do these two moments exist externally to
71 Hegel, Die subjektive Logik (1816), 243-253. This lengthy discussion argues that what
seems to be external movements between logical categories is properly understood as
the internal movement of Absolute Idea.
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244 Edward C. Halper
each other. The overcoming of this separation and the encompassing of both
moments in a dialectical unity is not just the task of subsequent logical spheres,
it is the task of logic itself. Whereas the Parmenides produces an account of the
instance that argues its incoherence and unintelligibility, Hegel produces an ac-
count that aims to make the instance intelligible by showing its contradictions to
be intrinsic to its nature and our thought about it.
VII. Conclusion
Why is it that the Parmenides' exploration of the negativity of One remains ex-
ternal to the One? The immediate answer is that Plato insists that form is simply
one, whereas Hegel allows plurality and negativity as part of the content of his
categories. And why does Plato insist that form is one? Again, the contrast with
Hegel is instructive. Hegel's ideas are categories of thought. Thought is a proc-
ess that proceeds by finding discontinuities and somehow removing them; the
negative is intrinsic to thinking. Plato's ideas are things. They have to be one in
order to be. Indeed, a central motivation for Plato's philosophy is to find a unity
that is prior to the multiplicity inherent in motion and sensation. He cannot let
negativity into the primary things without their losing their primacy. That Pla-
to's forms are transcendent things ultimately beyond human thought is what dic-
tates that the dialectic that aims at them be external. Hegel overcomes this exter-
nality and includes negativity within the forms, but only by making them
thoughts. Likewise, for Plato, the dialectic that knows the instances of a form
must remain negative and external to the form; whereas for Hegel, form be-
comes its own instance because it is identified with the transformation through
which form instantiates itself. Along with this contrast, there is a change in what
counts as priority. For Plato the one or simple is always prior; although Hegel
begins with what is simple, Being, his final category, Absolute Idea, is logically
prior because it is complete.
The real issue after all this remains the nature of a first principle and its
relation to what it grounds. If it is prior by virtue of being simple, then it will not
be able to account for the manifold parts of dialectic or any other method. If, on
the other hand, the principle is prior by being complete, then it can include
method, but it can be one only insofar as it has recaptured unity from plurality
through some sort of completeness, and this latter is less one than simple unity.
So there are both grounds for and problems with each type of principle - that is
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Positive and Negative Dialectics 245
the dilemma. We have seen, however, that one positive requirement of princi-
ples that each can meet is the ability to account for its own instance.72
72 An earlier version of this paper was presented at a meeting of the Society of Systematic
Philosophy held in conjunction with the Eastern Division of the American Philosophical
Association. I am grateful to that audience as well as to the audience at the Bochum
TransCoop conference for lively discussions, especially, however, to Mitch Miller and
Orrin F. Summereil for additional conversations about this paper. Let me also thank the
Deutsch-Amerikanisches Akademisches Konzil, the University of Georgia and the Ger-
man-American Fulbright Commission for financial support for this research.
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THOMAS Η . CURRAN
It is possible to assert that Georg Wilhelm Friedrich Hegel's lectures at the Uni-
versity of Berlin in the 1820s are the most influential series of lectures ever
offered at an academic institution tout court. Their encyclopedic scope and uni-
versal aspirations are perfectly realized in the five semesters in which Hegel lec-
tured on the philosophy of world history. .Encyclopedic' here is understood not
in the sense of an aggregation, that is to say, a heap of facts, but rather as expres-
sing the systematic and universal with respect both to content and organization.
In offering this subject matter, even to the philosophically uninitiated, 1 Hegel, in
a way, requires a belief in reason (Glauben an die Vernunft), a requirement
which he then immediately rescinds, since this first principle (viz. „that world
history has been rational in its course") 2 is at one and the same time presupposi-
tion and result. In these lectures, world history will be revealed as the „rational
and necessary evolution of the world spirit". 3 In working out this doctrine, Hegel
continues the Platonic and Neoplatonic speculation which establishes a genuine
reciprocity between divine providence and human destiny. This reciprocity is
what allows Hegel to raise the possibility of spiritual reconciliation in his lec-
tures.
1 Cf. G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, in: id., Sämtliche
Werke. Jubiläumsausgabe in zwanzig Bänden, hrsg. von H. Glockner, Bd. 11, Stuttgart-
Bad Cannstatt 5 1971, 35 [= Introduction to the Philosophy of History, transl. by
L. Rauch, Indianapolis 1988, 13].
2 Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, 34 [= Introduction to the Phi-
losophy of History, 12].
3 G. W. F. Hegel, Philosophie der Weltgeschichte. Einleitung 1830/31, in: Vorlesungsma-
nuskripte (1816-1831), in: id., Gesammelte Werke, im Auftrag der Deutschen For-
schungsgemeinschaft hrsg. von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissen-
schaften, Bd. 18, hrsg. von W. Jaeschke, Hamburg 1995, 142 [= Lectures on the Phi-
losophy of World History, Introduction: Reason in History, transl. by Η. B. Nisbet,
Cambridge 1980, 29],
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248 Thomas Η. Curran
Hegel immediately launches into his proposition that the „history of the world is
a rational process" 4 with a consideration of Greek antiquity and the Platonic
dialogue Phaedo in particular. The farewell discourses of Socrates report his
misplaced enthusiasm for the doctrines of Anaxagoras, who seemed initially to
offer the axiom that mind is said to know and to control all things. 5 One frag-
ment asserts: „And Mind rules all things that possess life - both the larger and
the smaller." 6 The closer examination of the writings of Anaxagoras, however,
exposed an apparently unbridgeable gulf between the theoretical and the practi-
cal, between the potential and the actual, between the principle and its execu-
tion: Socrates' reading of Anaxagoras does not yield up the promised order of
reason, but only that of external causes: „air and ether and water and many other
oddities". 7 As Hegel explains, the objection of Socrates was not to the pre-
Socratic principle as such (that νους, mind, orders the world), but to its lack of
concrete application and development - without which the principle remains
purely abstract. Hegel's lectures on world history are meant to provide the con-
crete manifestation of reason in its application to human affairs.
This application is to be sought, now following religious consciousness, in
the notion of providence: „For divine providence is wisdom with infinite power,
realizing its own ends" (der absolute, vernünftige Endzweck der Welt). 8 With
this assertion of the absolute self-realization of what already is in principle,
Hegel is also able to address the contemporary silence concerning the divine
providence. Hegel's philosophy in general, and his lectures on the philosophy of
religion in particular, have taken up the challenge of the defence of „the content
of religion" against its modern theological interpreters. 9
Hegel follows Socrates in both praising Anaxagoras for articulating - really
for the first time - the ruling principle of philosophy, and then condemning
Anaxagoras for his pusillanimous realization of his own idea. 10 It is perfectly
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World History after Socrates 249
just that we establish this link between Anaxagoras, Socrates and Hegel in our
profession of world history, since all three are united in having been condemned
for this acknowledgment of the divine government of the world. In each case,
the reward for enlarging the idea of divine government in nature, and then in
human affairs, was to be charged with impiety, which led in turn to exile, death
or excommunication.
In fact, the historical Socrates weaves together these two notions of the
rational and providential government of the world in conversations passed down
to us in Xenophon's Memorabilia. These encounters between Socrates and Aris-
todemus the Dwarf 11 and Socrates and Euthydemus (a conversation which was
overheard by Xenophon himself 12 ) essentially come to the following conclu-
sions:
1. Mind, which is alone without mass, may be invisible, but it is no less a gover-
nor of the world than the invisible soul is the governor of the human body.
Hegel also clearly aligns himself with this principle in his notion of Welt-
geschichte, where matter is described as the antithesis of spirit, 13 and mankind is
treated as the antithesis of nature; 14 matter has gravity, but spirit has freedom.
2. The divine government is confirmed down to the very details of human de-
sign. We were not only given eyes: The forethought of the gods, by which they
express their ,service' to mankind, did not neglect the further gift of eyelids (to
help us sleep), eyelashes (by which we are protected) and eyebrows (by which
the „sweat of your face" 15 is prevented from falling into the eyes). Every detail
of the human body is an instance of the providential design by which mankind is
favoured: his upright stance, his possession of limbs which end in hands, the
lack of oestrus in human sexuality are all indisputable evidences of the provi-
dential attention which the gods exercise in their care for mankind. Indeed, this
argument is so convincing that Euthydemus even declares himself unsure whe-
ther the gods have time for any other activity than their constant concern for our
welfare. 16 When Euthydemus dares to hint that the animal kingdom does not
seem to be lacking this providential care either, he is reproved by being re-
minded that the whole of that kingdom was designed for the service of man-
tory, 34],
11 Cf. Xenophon, Memorabilia, lib. I, cap. iv, in: id., Memorabilia and Oeconomicus,
transl. by E. C. Marchant, Cambridge/Mass. 1923, 53-65.
12 Cf. Xenophon, Memorabilia, lib. IV, cap. iii; 297-309.
13 Cf. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, 44 [= Introduction to the
Philosophy of History, 20],
14 Cf. Hegel, Philosophie der Weltgeschichte. Einleitung 1830/31, 151 [= Reason in His-
tory, 44].
15 Genesis 3:19.
16 Cf. Xenophon, Memorabilia, lib. IV, cap. iii, par. 9; 302-303.
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250 Thomas Η. Curran
kind's needs and satisfaction: in goat's cheese, in lamb's wool, and in the nobil-
ity which is offered to human beings in their riding of horses.
The very particular benefits that we human creatures enjoy are the posses-
sion of hands, and the „blessing of fire" 17 by which we conquer both the cold
and darkness, and in which we find our tool for every art and technique. Fa-
mously, it is from the divine „forethought", Prometheus himself, and his „phil-
anthropic" disposition, that the gift of fire was received. 18 Aeschylus' treatment
of this question may stem from fifth-century Athens, but his tragedy Prometheus
vinctus has every right to claim the Olympian mantle of immortality. In one of
his very last philosophical utterances on the island of Capri 19 in 1994, Hans-
Georg Gadamer rightly emphasized that, in Aeschylus, the use of fire is only
listed as the second of the honours that Prometheus bestows on mankind: His
primary offering, the one that Prometheus mentions first, is that he prevented
mortals „from foreseeing their death". 20 This „gracious" ignorance is enhanced
by Prometheus' implanting „blind hopefulness" 2 1 into the hearts of mankind. It
is only after this transgression (and blessing) is out of the way that the gift of fire
is then added to the benefits for which Prometheus is responsible. It is a most
paradoxical reflection, that, while we discuss the forethought (πρόνοια) that the
gods have exercised for our benefit, we so treasure our inability to share this
curse of the exact foreknowledge that Prometheus possesses. With respect to
each individual destiny (as the venerable proverb puts it best: Death transforms
every human life into a destiny), ignorance is always better than knowledge. 22
Aeschylus, then, is not able wholly to support all aspects of what Socrates
tells Aristodemus the Dwarf. For Socrates, the human being's upright stance is a
telling indication of the divine favour: It brings with it a wider range of vision.
Ironically, Prometheus has done all he can to restrict the extent of that vision, as
humans seek to peep around the corner of the present into the dark alleys of the
future. But Socrates has not finished extolling the divine liberality: The most
telling gift is that humans alone have been blessed with the ability to worship the
gods. Consequently, cities, the chief evidences of civilization, are the most pious
forms of human association, and religion belongs to the most reflective stage of
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World History after Socrates 251
each individual human life. 23 This deliberation brings us back to Hegel. The
whole of his concept of Weltgeschichte is infused with Socratic piety: Religion
is „the innermost region of Spirit"; 24 Scripture has established that the human
profession is „not only to love God but also to know God"; 25 and, as part and
parcel of that highest vocation, the enterprise of discovering „God's will for the
world" 26 is here the pious obligation. Since Anaxagoras, the divine government,
the comprehensible rationality of the world, has been the dominating principle
of philosophical reflection, with the early exception of Epicurus, „who attributed
everything to chance"}1
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252 Thomas Η. Curran
1881, in his Morgenröte, Nietzsche provides the only possible answer: „How
has reason appeared in our world? In an irrational way, only through the acci-
dent of chance." 31
Nonetheless, Zarathustra's praise for divine coincidences, for the heavenly
roll of the dice, 32 does not blind Nietzsche to the fact that dice often come in
pairs. And so, in his ,joyous science", Nietzsche offers these simple historical
evaluations: First, „ohne Hegel kein Darwin", and second, all Germans happen
to be Hegelians, and this fact would not be endangered even if Hegel himself
had never existed. 33 But the issue here, in philosophical, as opposed to extra-
moral, 34 science (Wissenschaft) is the transition from Willkür to Notwendigkeit,
from the arbitrary to the necessary: what Zarathustra identitifies as "Du Wende
aller Noth". 3 5 In this matter, Hegel is the author of a unique consistency that
stretches from his unpublished Verfassungsschrift (circa 1802) to the final
manuscript (1830) of his lectures on world history. The task is to avoid caprice
at all costs: What is, is not what it is by way of arbitrariness and chance, but it is
what it must be. As Hegel explains with great precision in this relatively early
manuscript, it is the great task of every rational human being, first, to recognize
necessity, and then, having once recognized necessity, to think it. 36 This spirit
which requires us to recognize necessity, and then actually to think what we
recognize, pervades the whole enterprise known as Hegel's ,world history'. The
lecture manuscript puts the proposition in its canonical form: „World history is
the progress of the consciousness of freedom - a progress whose necessity it is
our business to comprehend." 37
Again, this Hegelian spirit of necessity goes far beyond what Seneca - the
Latin Socrates - initially offers in his De Providentia·. For Seneca, it is our igno-
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World History after Socrates 253
ranee of the remoter causes which leads us to the mistaken assumption that natu-
ral phenomena are „confused and irregular" (confusa et incerta); because we
have no immediate explanation for the patch of warm water in the middle of the
ocean, we take that as confirmation of the random motion of matter, and that
there can be natural events which are, strictly speaking, groundless, that is to say
38
sine ratione. But Seneca's clarification of natural causes is just the opening
gambit in a much grander project. As Seneca informs his correspondent, Lucili-
us, the purpose of this treatise is „to reconcile you with the gods" (in gratiam te
reducam cum diis). 39 Here again, there is an immediate connection with Hegel's
notion of .Weltgeschichte', which is also a work of reconciliation (Versöhnung);
the lectures call for both „eine versöhnende Erkenntnis und eine Aussöhnung". 4 0
38 Seneca, De Providentia, lib. I, cap. 3, in: id., Moral Essays, transl. by J. Basore, Cam-
bridge/Mass. 1 9 6 3 , 4 .
39 Seneca, De Providentia, lib. I, cap. 5; 6-7.
40 Hegel, Philosophie der Weltgeschichte. Einleitung 1830/31, 150 [= Reason in History,
42-43]; Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, 42 [= Introduction to the
Philosophy of History, 18].
41 A. H. Armstrong, III. 2 and 3. On Providence: Introductory Note, in: Plotinus, Enneads
III. 1-9, with an English transl. by A. H. Armstrong, Cambridge/Mass. 1967, 38.
42 Cf. Plotinus, Enn. Ill 3, 2, 4-6.
43 Cf. Plotinus, Enn. Ill 3, 3, 9.
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254 Thomas Η. Curran
turning point for Augustine of Hippo comes in his reading of the Platonic books,
and this argument from the Enneades seems to be adopted more or less unal-
tered at the crisis described in his Confessiones. Following Plotinus, Augustine
writes: „I no longer wished individual things to be better, because I considered
the totality. Superior things are self-evidently better than inferior. Yet with
sounder judgment I held that all things taken together are better than superior
things by themselves." 44 Could Augustine have achieved this „sounder judg-
ment", this wholesome insight, without the support of Plotinus' providential
treatise and its rousing conclusion that the hierarchy of creation is not a sign of
abandonment by God, but itself another living expression of the divine good-
ness? Plotinus makes the case convincingly that there must be lesser things as
well as the greater, because all are parts in the whole: As „in the world above
every thing is all things, but the things below are not each of them all things",
therefore our reason consists in understanding the world in its totality, and our
piety consists in offering our consent to what we have understood. 45
The lasting inspiration that Plotinus' treatise provides is not yet exhausted.
A further remarkable insight is provided in Enn. Ill 2, 9 where Plotinus asserts:
„Providence ought not to exist in such a way as to make us nothing. If every-
thing [were] providence and nothing but providence, then providence would not
exist: For what would it have to provide for? There would be nothing but the
divine." 46 This unpretentious assertion provides the basis for another huge com-
ponent of the religious consciousness: God is all in all, but human beings are
still responsible for their own actions, and especially their follies. This has its
roots in Plotinus as well: Providence is mistaken, Plotinus claims in Enn. Ill 2,
8, as a miraculous cure for our own imprudence and vice. We wish by the divine
providence to be saved from the consequence of our own ill-considered or evil
action. But the benefit of the divine providence is preserved for those who act
providentially, that is to say prudently. Providence can never be turned into an
agent or companion of injustice. For the divine providence to counter (or even
correct) the natural, predictable, necessary consequences of the thoughtless,
careless or insolent behaviour of the impious, that would represent the sacrile-
gious (and irrational) transformation of providence into a retainer of injustice.
Plotinus' precision in these matters just cannot be bettered: The divine justice
demands that the harvest be offered to those who both pray and „look after their
land". 47 Nor can the result of a life of dissolution be the request for a restoration
to health, injustice. There are then two components to the divine ordering of the
44 Augustinus, Confessiones, lib. VII, cap. xiii, par. 19, transl. by H. Chadwick, Oxford
1991, 129.
45 Cf. Plotinus, Enn. Ill 2, 14, 15-16.
46 Cf. Plotinus, Enn. Ill 2, 9 1-4.
47 Cf. Plotinus, Enn. Ill 2, 8, 38-39.
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World History after Socrates 255
48 Plato, Res publica, 617e4-5 (translation after id., The Republic, ed. and transl. by
D. Lee, London 2 1987, 452).
49 F. Schiller, On the Aesthetic Education of Man: In a Series of Letters, ed. and transl. by
Ε. M. Wilkinson, L. A. Willoughby, Oxford 1982, 18th Letter, § 4; 123.
50 For this quotation (and much else), I am indebted to R. D. Crouse, The Doctrine of Pro-
vidence in Patristic and Medieval Theology, in Proceedings of the 22nd Atlantic Theo-
logical Conference, forthcoming Charlottetown/Prince Edward Island 2003. Cf. Augu-
stinus, De civitate Dei, lib. V, cap. 9.
51 For this discussion, I am indebted to Rainer Friedrich (Dalhousie) and his address o f
January 16, 1997 in „The Habermas Seminars" entitled „After Adorno".
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256 Thomas Η. Curran
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World History after Socrates 257
within itself the entire nature of the tree". 57 In this manuscript, Hegel informs us
that we are made „irascible and resentful" by the fact that the world „is not as it
ought to be". 58 A reconciliation, however, might be possible if we could recog-
nize that the world is as it must be, and that our world is not just the result of
arbitrariness and chance. This necessity, which this earlier essay wants us first to
recognize and then to think, belongs, if I may speak this way, to all mankind.
My attitude here is formed by Goethe's famous letter to Thomas Carlyle, dated
July 20, 1827, where Goethe describes .Weltliteratur' as writing that belongs to
all mankind. 59 What is true of our literature cannot be less true of the reason in
our history: It belongs to all mankind. At virtually the same time as Goethe was
articulating his thoughts on ,world literature', he was also constructing the true
masterpiece of the last stage of his life. The concluding sentences of his Novelle
(first published in 1828) suggest that Goethe might have been transformed in his
old age into the archetype of German Idealism. It is at least in this spirit that
Goethe addresses his reader: „Ist es möglich zu denken, daß man ... einen Aus-
druck ... von dankbarer Zufriedenheit habe spüren können, ... so geschah es
hier." 60 Goethe challenges the reader to establish, in thought, the possibilities of-
fered by the story; in taking up the challenge, the reader helps to bring these
possibilities to fruition. Something similar is to be found in Hegel's lectures on
world history: „To him who looks at the world rationally, the world looks ra-
tional in return. The relation is mutual." 61 The capacity for understanding the
world as rational and as conforming to the „necessary evolution of the world
spirit" 62 is given to every human being, if only individual human beings would
rouse themselves to the labours of recognizing necessity. It is in the toil of rec-
ognizing and then thinking necessity that we move from the potential to the
actual, from the implicit to the explicit, from the theoretical to the practical - in
our speculative work, we actually build the bridge which eluded Anaxagoras.
This same thought has been given a powerful impetus in a speech which
Martin Walser gave in honour of Friedrich Hölderlin in 1996. What Walser says,
in essence, is that a poet like Hölderlin is essential for our encounter with any
57 Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, 45 [= Introduction to the Phi-
losophy of History, 21].
58 Hegel, Verfassungsschrift, 163 [= Hegel's Political Writings, 145].
59 J. W. von Goethe, letter to Th. Carlyle, July 20, 1827: „daß es [das wahrhaft Verdienst-
liche] der ganzen Menschheit angehört", in: Weltliteratur: Die Lust am Übersetzen im
Jahrhundert Goethes, hrsg. von R. Tgahrt, Marbach am Necker 1982, 9.
60 J. W. von Goethe, Novelle, in: Werke, Bd. 6, hrsg. von E. Trunz, Hamburg 1951, 512.
61 Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, 37: ,,[W]er die Welt vernünf-
tig ansieht, den sieht sie auch vernünftig an: Beides ist in Wechselbestimmung" [= In-
troduction to the Philosophy of History, 14].
62 Hegel, Philosophie der Weltgeschichte. Einleitung 1830/31, 142 [= Reason in History,
29],
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258 Thomas Η. Curran
63 Psalm 19:3.
64 M. Walser, Umgang mit Hölderlin: Zwei Reden, Frankfort a. Μ. 1997, 22.
65 Cf. G. Steiner, Two Suppers, in: id., No Passion Spent: Essays 1978-1995, N e w Haven
1996, 393.
66 H.-G. Gadamer, Der Anfang der Philosophie, Stuttgart 1996, 15 [= The Beginning of
Philosophy, transl. by R. Coltman, N e w York 2000, 13].
67 Cf. Gadamer, Der Anfang der Philosophie, 15 [= The Beginning of Philosophy, 14].
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World History after Socrates 259
68 Cf. Gadamer, Der Anfang der Philosophie, 17: „Anfang meint immer das Ende mit ...
Die Vorwegnahme des Endes ist eine Voraussetzung für den konkreten Sinn von An-
fang."
69 Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, 56 [= Introduction to the Phi-
losophy of History, 29].
70 This famous sentence from H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer
philosophischen Hermeneutik, Tübingen 3 1972, 450, has been adopted as the title for a
Festschrift in Gadamer's honour by Suhrkamp Verlag. Cf. Sein, das verstanden werden
kann, ist Sprache: Hommage an Hans-Georg Gadamer, hrsg. von R. Bubner, Frankfurt
a. M. 2001.
71 F. Nietzsche, Zur Genealogie der Moral, 3. Abhandlung, § 12, in: Werke, Bd. VI/2,
Berlin 1968, 383 [= On the Genealogy of Morals, transl. by W. Kaufman, R. J. Holling-
dale, New York 1989, 119].
72 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte: Berlin 1822/23,
in: id., Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, Bd. 12, hrsg. von
Κ. H. Ilting, K. Brehmer, Η. N. Seelmann, Hamburg 1996, 15. For this specific passage
cf. id., Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, Bd. I: Die Vernunft in der
Geschichte, hrsg. von J. Hoffmeister, Hamburg 5 1980, 32 [= Reason in History, 30].
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260 Thomas Η. Curran
ject matter itself that forces us to adopt the standpoint of what is rational, which
is to say the .totality' of all the perspectives. The failure to do this implies the
destruction of that spiritual principle which is itself the ground for that philoso-
phical discipline (Weltgeschichte), which, in turn, comes into concrete being in
the same moment in which it is identified in language.
In a telling passage of his introduction to these lectures on world history,
Hegel takes issue with that subjective reason which insists on maintaining itself
in its negative moment: „It is easier to discern the shortcomings in individuals,
in states, in providence, than to see their true significance. For in negative fault-
finding one stands above the thing, nobly and with a superior air, without being
drawn into it, i. e., without having grasped the thing itself in its positive as-
pect." 73 To appreciate the full significance of what Hegel is saying here, it must
be remembered that in both editions of his Wissenschaft der Logik, Hegel offers
this same formulation as one of the principal components in his definition of
speculation: A mark of speculative reason is its grasping of the „positive within
the negative" (in dem Fassen ... des Positiven im Negativen). 74 Here, with re-
markable simplicity of concept and language, Hegel offers an invaluable insight
into the immense power unleashed by the discipline of world history: It repre-
sents the banishment from consciousness of every partiality, every one-sided
sentiment and reflection, every appeal to something less than the whole. We are
all of us supporting actors in the theatre of world history; but equally we also
have the capacity for speculation, by which, with divine insight, we can tran-
scend the cruelties, injustices and disappointments of history by grasping the
unity with ourselves of what is set over against us, 75 by grasping the „positive
within the negative". Hegel's speculative method provides the ultimate answer
to all the alleged incomprehensibility of the world: „The individual [in specula-
tion] then incorporates the entire system. There isn't anything at all to the sys-
tem that he does not encompass." 76
73 Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, 67 [= Introduction to the Phi-
losophy of History, 38-39].
74 G. W. F. Hegel, Wissenschaft der Logik. Erster Band. Die Objektive Logik (1812/1813)
in: Gesammelte Werke, Bd. 11, hrsg. von F. Hogemann, W. Jaeschke, Hamburg 1978,
27; id., Wissenschaft der Logik. Erster Teil. Die Objektive Logik. Erster Band. Die Leh-
re vom Sein (1832), ebd., Bd. 21, hrsg. von F. Hogemann, W. Jaeschke, Hamburg 1985,
40-41.
75 Hegel, Wissenschft der Logik. Die Lehre vom Sein (1832), 40-41: „in dem Fassen des
Entgegengesetzten in seiner Einheit, oder des Positiven im Negativen, besteht das Spe-
culative."
76 So J. R. Searle, Minds, Brains, and Programs, in: Reason and Responsibility, ed. by
J. Feinberg, Belmont/Cal. 7 1989, 301.
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World History after Socrates 261
77 F. Nietzsche, Vom Nutzen und Nachtheil der Historie fiir das Leben, § 8, in: Werke, Bd.
III/l, Berlin 1972, 304: „innerhalb der Hegelischen Hirnschalen".
78 F. C. Baur, Rede zur Feier des Gedächtnisses der fünfundzwanzigjährigen Regierung
Seiner Majestät des Königs Wilhelm von Württemberg, am 31. Oktober 1841, auf der
Universität Tübingen gehalten, in: Gratulationsschrift des Gymnasiums zu Tübingen fiir
die vierte Säcularfeier der Universität Tübingen, 9-11 August 1877, Tübingen 1877, 18.
Cf. H. Harris, The Tübingen School, Oxford 1975, 39-40.
79 Plotinus, Enn. III 2, 9, 1-2.
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Verzeichnis der Dialoge Piatons
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Namenregister
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266 Namenregister
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270 Namenregister
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272 Namenregister
Yolton, J. W. 4
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