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Grundzüge der evangelischen Sakramentenlehre

– unter Berücksichtigung des Verhältnisses von Wort und Sakrament

I Sakramententheologie der Reformatoren


1. Martin Luther
Martin Luther stellt allgemeine Überlegungen zum Wesen der Sakramente zurück. Er
thematisiert Taufe und Abendmahl im Blick auf deren Bedeutung für das christliche
Leben. Dabei betont er weniger den ekklesiologischen als den individuellen Bezug, das
pro me der Heilstat Christi.
Die objektive Heilsbedeutung von Taufe und Abendmahl ergibt sich aus Gottes
Offenbarung in Christus. Die Hinwendung Gottes zum Menschen in geschichtlicher
Gestalt findet im Sakrament als Geheimnis konkreten Ausdruck. Es ist ein von Christus
eingesetztes, worthaft gesetztes Zeichen, verbunden mit einer göttlichen Verheissung.
Der Sinngehalt des sakramentalen Zeichens besteht in der freien personalen
Gnadenmitteilung Jesu Christi.
Die biblische Begründung, die äusserliche Handlung mit sinnlich fassbarem Element
und die Aneignung im Glauben sind grundlegende Merkmale des Sakraments. Der
Glaube ist die Bedingung für den rechten Gebrauch der Sakramente.
Das Sakrament unterscheidet sich vom Wort Gottes nicht in der Wirkung, aber in der
Wirkweise, weil es den ganzen Menschen in seiner Leibhaftigkeit trifft. Es bewirkt im
Glauben die Gemeinschaft mit Gott durch die verkündigte Sündenvergebung.
Im Sinne des biblischen Verständnisses von mysterion ist Jesus Christus das einzige
Sakrament, das sich in drei sakramentalen Zeichen entfaltet (Taufe, Abendmahl und
Busse).
Das äussere Zeichen des Sakraments, bzw. die durch dieses Zeichen elementar
geprägte rituelle Handlung ist in seinem Sinngehalt vom Wort her und nicht das Wort
von der Eigenbedeutung des äusseren Zeichens her zu verstehen.
Im Kleinen Katechismus erklärt Luther, dass das Wasser der Taufe in Gottes Gebot
gefasst und mit Gottes Wort verbunden ist. Die Wirkung der Taufe hängt am Wort.
Durch Gottes Wort wird Wasser zum gnadenreichen Wasser des Lebens.
In gleicher Weise äussert sich Luther im Grossen Katechismus zum Abendmahl: Ohne
Wort bleibt nichts als Brot und Wein, die an sich keine Bedeutung für den Glauben
haben. In Verbindung mit dem Wort werden sie wahrhaftig Christi Leib und Blut.
Die sakramentale Zeichenfunktion des Elements ist allein durch das Wort begründet.

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Die Welt für sich genommen kann nicht als Zeichen der Gegenwart Gottes gelten. Aber
das sakramentale Zeichen kann dank seiner Einsetzung auch als Repräsentant der
durch Jesus Christus befreiten geschöpflichen Welt betrachtet werden. Die in Jesus
Christus erschlossene Welt ist als solche dazu bestimmt, sakramentalen Charakter
anzunehmen und durchsichtig zu werden für das Gegenwärtigsein Gottes.
Jesus Christus ist im Wort wie im Sakrament gegenwärtig, in zwei unterschiedlichen
Sprachformen, die dem Hören und dem Sehen bzw. Fühlen, dem kognitiven und dem
emotionalen Aspekt menschlichen Begreifens entsprechen.

2. Johannes Calvin
Die Sakramente vermitteln die Gemeinschaft mit Christus. Dieser ist wie beim Wort
Gottes der eigentliche Inhalt, die Substanz aller Sakramente, weil sie ihn selber
verheissen und schenken, indem sie die Erkenntnis Christi in den Glaubenden festigen
und vermehren. Die Sakramente unterscheiden sich als besondere Gaben Gottes in der
Form dadurch vom Wort, dass sie als äusserliche Mittel und Zeichen der
Heilsverheissung den Menschen als leibhaftes Wesen neben dem Hören auch durch
Schauen und Fühlen ansprechen.
Die Sakramente sind Zeugnis der göttlichen Gnade und Verkündigungshandlung.
Sie beziehen sich grundlegend auf den Glauben. Sie wirken nicht ohne den
vorangehenden und begleitenden Glauben, bekräftigen diesen aber zugleich.
Die Sakramente sind ein Spiegel, mit welchem Gott durch sichtbare Gestalten der
Offenbarung seine geistlichen Güter vermittelt. Mit diesem Gedanken orientiert sich
Calvin an Augustins Verständnis des Sakraments als Zeichen (Hinweis auf eine
unsichtbare Realität) und sichtbares Wort (verbum visibile).
Als Bundeszeichen sind die Sakramente Siegel, womit Gott die Gültigkeit seines
Verheissungswortes in lebenskräftiger Vergegenwärtigung bestätigt. Die Sakramente
bezeugen nicht nur das Heil, sondern sie vermitteln es zugleich, jedoch so, dass sie der
grundlegenden Wortverkündigung folgen und den vom Heiligen Geist gewirkten
Glauben voraussetzen.
Drei Merkmale kennzeichnen das Sakrament: es ist ein Zeichen, das auf der
Anordnung Gottes bzw. Stiftung Christi beruht; es ist mit einer ausdrücklichen göttlichen
Verheissung verbunden; und es hat einen gegenwärtigen Heilsbezug.

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3. Huldrych Zwingli
Die Sakramente sind wesenhaft auf die Zugehörigkeit zur Kirche bezogen. Sie sind kein
Heilmittel, weil sie als äusserliche Handlungen keine Gnade vermitteln können. Als
Bekenntnisakt sind sie Zeichen für die Tatsache, dass die Glaubenden bereits zuvor
innerlich die Gnade durch den Heiligen Geist empfangen haben.
Die Sakramente sind im Sinne der Wortbedeutung von sacramentum ein Eid, eine
Verpflichtung bzw. Bindungskundgabe im Blick auf die Mitgliedschaft in der Kirche wie
auf die Gemeinschaft mit Christus: die Taufe ist öffentliche Kundgebung der Tatsache,
dass ein von Gottes Gnade ergriffener Mensch in die Kirche aufgenommen wird, und
sie ist Ausdruck des Willens, das Leben dem Wort Christi entsprechend zu gestalten.

II Reformatorische Bekenntnisschriften
1. Augsburger Bekenntnis (1530)
In CA XIII wird gegen Zwingli gelehrt, dass die Sakramente nicht nur eingesetzt sind,
um Zeichen zu sein. Sie kennzeichnen den Christen nicht nur äusserlich, sondern sie
sind Zeichen und Zeugnis des göttlichen Willens für uns. Sie erwecken und stärken
unseren Glauben. Im Blick auf die römische Lehre von der Wirksamkeit der Sakramente
ex opere operato wird betont, dass die Sakramente Glauben fordern. Sie werden dann
recht gebraucht, wenn man sie im Glauben empfängt und der Glaube dadurch gestärkt
wird.

2. Das Erste und das Zweite Helvetische Bekenntnis (1536 und 1562)
Zwinglis Sakramentsauffassung hat sich in der reformierten Tradition nicht
durchgesetzt. Nach dem Ersten Helvetischen Bekenntnis sind die Sakramente nicht
nur äussere Zeichen christlicher Zugehörigkeit, sondern Zeichen göttlicher Gnade,
wobei die heil- und seligmachende Kraft Gott allein zuzuschreiben ist.
Das Zweite Helvetische Bekenntnis bezeichnet die Sakramente als geheimnisvolle
Wahrzeichen, heilige Gebräuche, weihevolle Handlungen, die Gott selbst eingesetzt
hat. Sie sind in Seinem Wort verankert, in Zeichen und bezeichneten Dingen. Dadurch
erhält Gott in der Kirche die Erinnerung an die dem Menschen erwiesenen Wohltaten
wach und erneuert sie auch. Die Sakramente besiegeln die Verheissungen Gottes und
das, was er uns selbst innerlich schenkt, äusserlich darstellt und zur Betrachtung vor
Augen führt. So stärken und nähren die Sakramente unseren Glauben durch die
Wirkung des Geistes Gottes in unseren Herzen.

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III Neuere Entwürfe

1. Dietrich Bonhoeffer
Der Ruf Christi ergeht in der Kirche durch sein Wort und Sakrament. Predigt und
Sakrament der Kirche sind der Ort der Gegenwart Jesu Christi. Zur Sichtbarkeit des
Leibes Christi in der Predigt des Wortes tritt die Sichtbarkeit in Taufe und Abendmahl.
Durch Taufe und Abendmahl werden wir der Gemeinschaft des Leibes Christi teilhaftig
gemacht.
„Ziel wie Ursprung der Sakramente ist der Leib Christi. Weil Leib Christi da ist, darum
allein gibt es Sakramente. Nicht das Wort der Predigt bewirkt unsere Gemeinschaft mit
dem Leib Christi, das Sakrament muss hinzukommen. Taufe ist Eingliederung in die
Einheit des Leibes Christi, Abendmahl ist Erhaltung der Gemeinschaft (koinonia) am
Leibe.“ (Nachfolge, S. 230)
Zu beiden Handlungen gehört die Verkündigung des Todes Christi für uns.
Die Apostelgeschichte bemerkt zum Leben der jungen Gemeinde (2,42), dass ihre
Glieder an der Lehre der Apostel und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und
an den Gebeten festhielten. „Es ist lehrreich, dass hier die Gemeinschaft (koinonia)
zwischen Wort und Abendmahl ihren Ort bekommt. Es ist keine zufällige Bestimmung
ihres Wesens, wenn sie ihren Ursprung immer wieder im Wort, ihr Ziel und ihre
Vollendung immer wieder im heiligen Abendmahl haben soll. Alle christliche
Gemeinschaft lebt zwischen Wort und Sakrament, sie entspringt und sie endet im
Gottesdienst. Sie wartet auf das letzte Abendmahl mit dem Herrn im Reich Gottes.“
(Nachfolge, S. 248f) Eine Gemeinschaft solchen Ursprungs und ausgerichtet auf ein
solches Ziel ist völlige Gemeinschaft, in der in Freiheit auch alle Güter miteinander
geteilt werden (Apg 4,32-37).
Auch die Gabe der Taufe darf sich nicht auf die Teilnahme an Predigt und Abendmahl
und die Zulassung zu Ämtern und Diensten der Gemeinde beschränken. Die Taufe
öffnet den Raum des gemeinschaftlichen Lebens der Glieder des Leibes Christi in
sämtlichen Lebensbeziehungen für jede Getaufte und jeden Getauften.
„Wer einem getauften Bruder die Teilnahme am Gottesdienst gewährt, ihm aber im
täglichen Leben die Gemeinschaft versagt, ihn missbraucht oder verachtet, der macht
sich am Leib Christi selbst schuldig. Wer getauften Brüder die Gaben des Heils
zuerkennt, ihnen aber die Gaben des irdischen Lebens verweigert oder sie wissentlich
in irdischer Not und Bedrängnis lässt, verspottet die Gabe des Heils und wird zum
Lügner.
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Wer dort, wo der Heilige Geist gesprochen hat, noch der Stimme seines Blutes, seiner
Natur, seiner Sympathien und Antipathien Gehör leiht, versündigt sich am Sakrament.“
(Nachfolge, S. 250)

2. Paul Tillich
Im konkreten Leben der Kirche, in ihrer Liturgie, ihren Liedern, ihren Predigten und
Sakramenten begegnen wir dem, was uns unbedingt angeht – dem Neuen Sein in
Jesus als dem Christus. Glaube und Liebe sind Kraftwirkungen des Geistes, und Träger
dieser Kraft ist das „Wort“ – auch in den Sakramenten.
Die Wirklichkeit wird entweder durch die lautlose Gegenwart der Objekte als Objekte
oder durch die sprachliche Selbstmitteilung eines Subjekts gegenüber einem anderen
Subjekt vermittelt. Auf beide Arten wird in der Dimension des Psychischen und des
Geistes Kommunikation hergestellt. Ein begegnendes Selbst kann sich auf indirektem
Weg bemerkbar machen, indem es von sich als einem subjektiven Selbst Zeichen gibt.
Das geschieht durch Laute in den Dimensionen unterhalb der geistigen Dimension. In
der Folge der Dimensionen geht das wortlose Zeichen dem Wort voraus (in der
Tierwelt). Das bedeutet auch, dass das Sakrament „älter“ ist als das „Wort“.
„Wort“ und „Sakrament“ bezeichnen beide Weisen, wie sich der göttliche Geist den
Menschen mitteilt. Worte, durch die der göttliche Geist spricht, sind „Wort Gottes“.
Gegenstände, die Träger des göttlichen Geistes sind, werden im sakramentalen Akt zu
sakramentalen Elementen. Obwohl das Sakramentale älter ist als das Wort, ist das
Wort – wenn auch als lautloses – im Erlebnis des Sakramentes gegenwärtig. Deshalb
ist die sakramentale Wirklichkeit nicht ohne „Wort“. Sakramentale Gegenstände und
Handlungen sind vom Wort nicht zu trennen, weil die Sprache der fundamentale
Ausdruck des menschlichen Geistes ist.
Gott ergreift durch die sakramentale und worthafte Vermittlung jede Seite des
Menschen. Tillichs Formel „protestantisches Prinzip und katholische Substanz“ bezieht
sich auf die Einheit von Wort und Sakrament in der Vermittlung des göttlichen Geistes.
Ein sakramentales Symbol ist weder ein Ding noch ein Zeichen. Es nimmt Teil an der
Macht dessen, was es symbolisiert, und kann deshalb zum Mittler des göttlichen
Geistes werden.

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3. Gerhard Ebeling
Das Sakrament selbst ist Wort Gottes, in gewisser Hinsicht sogar in dichtester
Darbietung. Ihn ihm nimmt das Wort Gottes eine besondere Gestalt an. Das Sakrament
ist ein gottesdienstliches Geschehen und ist als solches nie ohne das verbale Moment.
Dazu gehören die Formel, welche die Sakramentshandlung konstituiert, sowie andere
liturgische Redestücke, insbesondere Gebete.
Das Sakrament setzt stets Verkündigung voraus. Die reformatorischen
Exklusivaussagen solo verbo – sola fide gelten für beide Glieder der Formel „Wort und
Sakrament“ uneingeschränkt. Wesentlich für das Sakrament ist der Christusbezug.
Konstitutive Momente des Sakraments:
a) Einsetzung: Die Autorisierung von Taufe und Abendmahl haftet an der Person Jesu.
Jede dieser beiden Handlungen nimmt auf eine ungewöhnlich herausgehobene
Lebenssituation Jesu Bezug: auf den Anfang und das Ende seines Weges. Am Anfang
hat Jesus durch seine Taufe der Johannestaufe einen neuen Inhalt gegeben; und mit
seinem Abschied von seinen Jüngern am Ende hat er gezeigt, dass er sich für sie und
an sie hingibt, nicht allein ihnen zugute, sondern zur Weitergabe durch sie an alle.
b) Die Gestalt: Das Elementare an den Sakramenten betrifft die Ganzheit der Handlung.
Sie ist durch das Wort gestiftet und in ihr sind das Wasser, das Brot und der Wein so
durch das Wort bestimmt und so in das Wort gefasst, dass sie zu Trägern einer
Mitteilung werden, die ihnen nicht von sich aus innewohnt. In diesem elementaren
Vorgang geht die Christussituation in die eigene Situation ein und die eigene Situation
in die Christussituation. Die Taufe wird zur Übereignung des Glaubenden an Christus
und das Abendmahl zur Übereignung Christi an den Glaubenden.
c) Die Gabe: Sakramente sind Empfangshandlungen. Niemand kann ein Sakrament an
sich selbst vollziehen. Das Sakrament verleiht keine andere Gabe, als sie das
mündliche Wort verleiht, aber es verleiht sie anders als dieses.
d) Die Gemeinde: Kirche konstituiert sich als geschichtliche Institution erst durch die
Sakramente. Die Gemeinde ist darum auch der Ort, wo die Sakramente vollzogen
werden. DieTaufe wie die Feier des Abendmahls gehören prinzipiell in den
Gemeindegottesdienst.

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IV Literaturverzeichnis

Bonhoeffer, Dietrich: Nachfolge. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2008.

Ebeling, Gerhard: Dogmatik des christlichen Glaubens. Bd. 3. Tübingen: J.C.B. Mohr,
1979, S. 295-330.

Hauschild, Wolf-Dieter: Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte. Bd. 2.


Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1999.

Tillich, Paul: Systematische Theologie. Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk,


Bd. 1 (31956), Bd. 2 (41973), Bd. 3 (1966).

Wenz, Gunther: Einführung in die evangelische Sakramentenlehre. Darmstadt:


Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1988.

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