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vorgelegt von:
Marvin-John Halog
Zweifach BA
Musikwissenschaft/Sound Studies,
Medienwissenschaft
11. Semester
Matrikelnrummer: 2846179
Bonner Talweg 60
53113 Bonn
marvjohnhalog@gmail.com
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung..........................................................................................................................1
2 Musikalische Klanglandschaft........................................................................................3
3 Pastorale...........................................................................................................................8
5 Fazit.................................................................................................................................13
6 Quellenverzeichnis........................................................................................................15
6.1 Literatur................................................................................................................15
6.2 Onlinequellen.......................................................................................................16
1 Einleitung
Eines seiner berühmtesten Klavierstücke ist der dritte Satz aus der Suite
Bergamesque (Bergamo Suite) mit dem Titel Claire De Lune (Mondlicht).4
Zu diesen zählen in einer weiter zu fassenden Betrachtung auch Stücke
wie der erste Satz Pastorale seiner Sonate für Flöte, Harfe und Viola, oder
Syrinx für Soloflöte. Neben solchen äußerlichen Hinweisen finden sich
jedoch auch in vielen seiner Schriften eindeutige Aussagen und
Anmerkungen, die seine auffallende Naturverbundenheit vertiefen. Einen
gezielten Einstieg in den thematischen Kern dieser Arbeit soll das folgende
Zitat von Claude Debussy aus seinem Artikel in der Gil Blas vom 19.
Januar 1903 liefern. Über die Musik im Freien schreibt er:
„(Es kommt dabei nicht auf die Arbeit ‚im Groben‘ an, sondern im Großen
übersteigerte Klangwirkungen zu wiederholen und das Echo damit zu
langweilen, darum geht es nicht.) Man muß vielmehr die großen
Klangwirkungen dazu benutzen, den Traum von Harmonie in der Seele
der Menge zu vertiefen. Ein geheimnisvolles Ineinanderweben der
wehenden Lüfte, des Säuselns der Blätter, des Blumendufts vollzöge sich,
und die Musik könnte alle diese Elemente zu einer vollkommen
natürlichen Einheit binden, daß es schiene, als hätte sie an jedem von
ihnen teil. Und die guten, stillen Bäume würden die Pfeifen einer
Weltorgel bilden; an ihren Ästen hingen Kinder zuhauf, denen man die
hübschen Tanzlieder von einst beibrächte statt der albernen Schlager, die
3 Dömling, Wolfgang, Claude Debussy, La Mer, München: Wilhelm Fink Verlag, 1976,
S. 3
4 (Claire de Lune ist häufig in moderner Popkultur als Filmmusik wiedezufinden)
2
an ihre Stelle getreten sind und heute die Gärten und Städte
verunzieren.“5
So scheint es die Natur selbst, in ihrer klingenden, duftenden und sinnlich
erfahrbaren Gesamtheit zu sein, die für Debussy als grundsätzliche
Bedingung der musikalischen Kunst zu gelten hat. Indem die alles
umgebende Natur den kreativen Ursprung für das künstlerische Wesen
liefert, sowohl im Künstler/der Künstlerin als auch im Werk selbst, vermag
die aus ihr hervorgebrachte Musik es alle teilhabenden Elemente zu
einem großen ganzen zusammen zu fügen.
In einer solchen Idealvorstellung des Kunstwerks soll die Natur für
Debussy maßgebliche und treibende Kraft sein. Somit sollte sie einem
Werk nicht nur als inspirierender Funke inhärent sein, sondern gleichzeitig
als eine die Aufführung umschließende Bühne berücksichtigt werden.
Somit hätte die Musik das Vermögen auch die Zuhörer in die Gesamtheit
solch eines klingenden Kunstwerks einzufügen und das sinnlich
Erfahrbare vollkommen zu machen.
Nun stellt sich aber die Frage, in welcher Weise diese Auffassung, diese
Naturgebundenheit, sowie der Wunsch nach natürlicher Einheit von Musik
und Natur sich in Debussys Schaffen widerspiegelt? Gibt es einen
Fingerzeig seinerseits inwieweit seine Musik als Orientierung scheinbar
programmatischer Titel aufgefasst werden soll? Oder kann einer an der
Oberfläche zu vermutenden Nachahmung natürlicher Soundscapes auch
ein tiefer liegender Topos des Natürlichen zugesprochen werden?
2 Musikalische Klanglandschaft
Zur Beantwortung der oben genannten Fragen soll hier zunächst der
Begriff der Naturverbundenheit behandelt werden. In welcher Weise sich
eine solche Verbundenheit für Komponisten/innen im einzelnen ausprägt
ist sicherlich in höchstem Maße subjektiv. Allerdings kann durch den Blick
auf eine musikalische Thematik eine Betrachtung der Klänge der Natur
7 Schafer, R. Murray, Die Ordnung der Klänge, Eine Kulturgeschichte des Hörens,
Frankfurt am Main: Schott, 2010, S. 187
8 Ebd.
9 Ebd.
4
realistischen und detailgetreuen Darstellung der natürlichen Welt;
allgemeiner gefasst in einer neutralen Reproduktion objektiv
verständlicher Sinneserfahrung.
Die hintergründige Entwicklung zu dieser Landschaftsnachahmung
schreibt Schafer der historisch verfolgbaren Ausbreitung und Abgrenzung
urbaner Räume zu. Mit diesem urbanen Anschwellen der industrialisierten
Gesellschaften geht gleichzeitig auch eine drastische Veränderung der
Klanglandschaft einher. Die Stadt wird immer größer, enger und lauter
während aus den Fabriken ihr unaufhörlicher Produktionslärm in die
Umwelt schallt. Eine Folge ist die sich darin manifestierende Sehnsucht
nach offener Landschaft und unberührter Natur. Die Suche nach dem
ländlichen Idyll und der Ruhe prägt sich somit einem künstlerischen
Ausdruck dieser Zeit ein. Das Einweben natürlicher Soundscapes in die
Komposition geschah also auch aus einer Motivation heraus, die Natur in
nicht natürliche bzw. die Natur verdrängende Umgebungen einkehren zu
lassen.
Solche Werke in musikalischer oder bildender Kunst entstehen dabei
innerhalb des künstlerischen Mediums. Auf Leinwand oder im Musikstück
lassen sich natürlich in gewissem Maße die individuellen Stile von
Komposition und Malerei feststellen. Aber dabei wird der individuelle Blick
des Künstlers/der Künstlerin durch einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit
für die Rezeption überschattet. Der Anspruch auf Reproduktion der
tatsächlichen Realität überwiegt hier jedoch.10
10 Ebd. S.185
5
Vermenschlichung der Natur kehren in die Werke ein. Als Beispiel nennt
Schafer die Liederzyklen von Franz Schubert und Robert Schumann. „Die
Naturereignisse werden Künstlerisch geformt, sodass sie den Stimmungen
des Künstlers entsprechen oder sich mit ihnen ironisch messen.“ 11
Demnach liegt der Fokus nicht mehr nur auf der bloßen Reproduktion,
oder wie Schafer umschreibt, dem künstlerischen Protokollieren der Natur.
Vielmehr werden die eigenen Gefühlswelten auf die Vorlagen der
natürlichen Umgebung projiziert. Die Naturereignisse und
Umweltphänomene dienen nunmehr selbst als Medium, als zu Grunde
liegende Leinwand, auf deren Basis das Kunstwerk mit emotionaler
Färbung und Vermenschlichung gestaltet wird.
Insgesamt können Natur-thematische Kompositionen nun also in einem
historischen Spektrum von allgemeingültiger Kopie zu individueller
Vorstellung von Klangräumen eingeordnet werden. So lässt sich auch der
Begriff der Naturverbundenheit einem kontinuierlichen Spektrum
künstlerischer Intention zuordnen. Die künstlerische Darstellung der
Außenwelt wird erweitert durch den von innen nach außen gekehrten
Ausdruck der eigenen emotionalen Welt.
11 Ebd. S 187
6
sich selbst legitimiert“.12 Dahingegen liegen der programmatischen Musik
eben solche Gegenstände, Affekte und Empfindungen zu Grunde; also ein
„außermusikalisches Sujet, auf das der Komponist in der Regel selbst
hinweißt, […] [und das] die musikalische Konzeption bestimmt oder
zumindest beeinflußt [...].“13
Nun ließe sich im Komplex musikalischer Soundscapes die Kategorie
absoluter Musik leicht ausklammern. Aufgrund der zuvor diskutierten
Induktion der Naturthematik scheint dies zunächst sinnvoll. Absolute Musik
wird hier eben besonders durch das Fehlen solcher induzierter Bedeutung
und außermusikalischer Legitimation charakterisiert. Dagegen erklärt
Schafer, dass absolute Musik selbst „ideale Soundscapes“ 14 forme. Das
bedeutet, dass im größeren Zusammenhang Musik selbst auch als
eigenes Element historischer Klanglandschaften verstanden werden kann.
Dementsprechend ordnet er Programmmusik als Imitation der
zeitgenössischen Klangräume ein. Die historische Klanglandschaft wird
also nicht nur in der Musik wiedergegeben, sondern im Umkehrschluss
ebenfalls auch selbst durch diese beeinflusst und geformt. Musik ist somit
eine „zuverlässige Aufzeichnung vergangener Laute“ 15; die Laute
eigentlicher musikalischer Ereignisse deren Aufzeichnung beispielsweise
in Form überlieferter Notation auch als Rezeptur zur Reproduktion einer
historischen Soundscape verstanden werden kann. Für Debussy war
Musik jedoch „a living, organic art, which only truly existed in performance
rather than on paper [...]“.16 Zudem formuliert er in dem auf Seite zwei
zitierten Artikel seine Sehnsucht nach einer Revolution kompositorischer
12 Seidel, Wilhelm, Absolute Musik, MGG Online, https://www.mgg-online.com/article?
id=mgg15042&v=1.0&rs=id-6fb231e7-06ca-5d7b-b09f-950874ac6088&q=absolute
%20musik (abgerufen am 020.10.2020)
13 Altenburg, Detlef, Programmusik, MGG Online, https://www.mgg-online.com/article?
id=mgg15930&v=1.0&rs=id-8584ece6-69e3-ffdd-1f3f-4eaf0837b036, (abgerufen am
20.10.2020)
14 Schafer, Die Ordnung der Klänge S. 184
15 Ebd.
16 Potter, Caroline, Debussy and Nature, The Cambridge Companion to Debussy,
Cambridge: Cambridge University Press, 2003, S. 138
7
Ausrichtung sowie den Wunsch nach Erneuerung musikalischer
Aufführungspraxis; als Ende der Abgewandtheit und Abschottung der
Musik von Natur und Umwelt - ein für ihn untragbarer Umstand, der mit
einem allgemein konservativen Stillstand und Festhalten an der
klassischen Form einhergehe. Wie Caroline Potter treffend formuliert
bedeutet Debussys Ablehnung dessen „(...) in fact a rejection of formalism,
as this formalism, represents a distancing from the ideal forms of
Nature.“17
3 Pastorale
Klassische Topoi wie der Jagd-, Schlachten- oder Hirtentopos sind seit
Jahrhunderten in kompositorischer Orientierung zu finden. Dabei wird
einer Komposition eine feste thematische Ausrichtung zugeordnet. Eine
solche Thematik verknüpft das Werk in ihrer Verwendung mit lange
tradierten feststehenden Bedeutungen und wird dabei durch sogenannte
„Signifiers“18 markiert. Dies sind feststehende kompositorische Mittel, die
sich beispielsweise auf die Instrumentierung oder die Taktart beziehen.
Der Hirtentopos hat für die vorliegende Betrachtung Natur-thematischer
Komposition eine besondere Rolle.
Im Beispiel dieses sogenannten pastoralen Topos kann die Herkunft
bereits auf die Schriften der Antike zurückgeführt werden. Theocrit und
Vergil haben in ihren Werken, beispielsweise dem Hirtengedicht, die
Legenden und Geschichten eines vergangen Idylls beschrieben. Diese
frühesten Pastoralisten besangen das antike Landschaftsparadies, in
welchem solche mythische Wesen wie Nymphen, Satyren und Hirtengötter
dem lustvollen und genüsslichen Leben in der idyllischen Freiheit des
23 Ebd.
24 Kobisch, Thomas, Impressionismus, MGG Online, https://www.mgg-
online.com/article?id=mgg15493&v=1.0&rs=id-0b5a5f5a-92cf-6427-a54f-
c78e45c431ad, (abgerufen am 18.10.2020)
10
die impressionistische Musik wieder. Ihre Werke erwägen nicht die bloße
Reproduktion der Realität oder ihre Anverwandlung durch das Selbst. „Die
Realität wird zu Gunsten der Erhaltung wahrer Aspekte ihrer (eigentlichen)
Form beraubt.“25 Diese Formveränderung zur Annäherung der Realität, zur
Darstellung realer Wahrheit, zielt somit auf den Aspekt des eigentlich
natürlichen Wahrnehmens ab. Sowohl die Komposition als auch ihre
Rezeption soll sich im Raum des Unbeschwerten abspielen. Wie ein
Topos des Natürlichen erklärt sich dies mit einer einerseits direkten
Zugänglichkeit jedoch andererseits mit mystischer Unantastbarkeit.
“For Debussy, the logic of art, which every artist seeks by definition, is
something whose connection to nature — if it has one — must always
remain invisible, mysterious, intangible.” 26 So legt Debussy diesen
paradigmatischen Grundsatz für die Musik fest. Dieser Grundsatz lässt
sich als Philosophie seiner Komposition wiedererkennen. Setzt man sein
zuvor erwähntes Werk La Mer in diesen Zusammenhang, so erkennt man,
dass es weit tiefgründigere unvorhergesehene Substanz enthält. Das
scheinbar programmatische Gerüst einer Meeresdarstellung weicht dem
Momentum der Kreation, der imaginativen Transformation. Das
Ineinanderfließen sich jagender und überschwemmender Motivik erweckt
die Wahrnehmung einer eigenen Welt. Nicht Reproduktion von Debussys
Wahrnehmung des Meeres findet hier statt, sondern die eigene
unkontrollierte und unterbewusste Imagination einer neuen maritimen Welt
wird angeregt; die Transformation der Musik in eine Soundscape der
gleichgestellten Repräsentation der Natur.
25 Ebd. S.3
26 Dayan, Peter, On Nature, Music, and Meaning in Debussy's Writing, 19th-Century
Music, Vol. 28, Nr. 3, California: University of California Press, 2005, S. 217
11
„Certainly, the impression was there, the sea gave Debussy his starting
point, or at least whathever, at the time, felt to be his starting point. But as
he makes music, the sea must recede to the point where we cannot judge
the music by the accuracy of its representation.”27
Die Dynamik der Wahrnehmung der Natur ist für Debussy eine Analogie
zum Prozess musikalischer Kreation. Diese wechselseitige Äquivalenz
ermöglicht es durch spezifische Merkmale der Realität hindurchzuschauen
und die unbeschreibliche Gesamtheit dahinter zu verspüren; die
Übertragung von Sinn über die artikulierte Bedeutung hinaus in eine ideale
Einheit.29 Debussy selbst bezeichnet dies mit „mouvement total de la
nature“30 (die totale Bewegung der Natur). „He drew a parallel between the
freedom of nature and an idealised free music, based on an imaginative
transformation of nature.“31
6.1 Literatur
Claude Debussy, Sämtliche Schriften und Interviews zur Musik, Dithingen: Reclam, 2010,
Dayan, Peter, On Nature, Music, and Meaning in Debussy's Writing, 19th-Century Music,
Vol. 28, Nr. 3, California: University of California Press, 2005
Dömling, Wolfgang, Claude Debussy, La Mer, München: Wilhelm Fink Verlag, 1976
Potter, Caroline, Debussy and nature. In S. Trezise (Ed.), The Cambridge Companion to
Debussy, Cambridge: Cambridge University Press, 2003
Raymond, Monelle, The Musical Topic, Hunt, Military and Pastoral, Bloomington: Indiana
University Press, 2006
Schafer, R. Murray, Die Ordnung der Klänge, Eine Kulturgeschichte des Hörens,
Frankfurt am Main: Schott, 2010
Schafer, R. Murray. Klang und Krach. Eine Kulturgeschichte des Hörens, Frankfurt am
Main: Athenäum, 1988
15
6.2 Onlinequellen
16
Erklärung zur selbstständigen Anfertigung:
Ich versichere hiermit, dass die Hausarbeit mit dem Titel „Zur
Thematisierung der Natur in musikalischen Soundscapes von Claude
Debussy“ von mir selbst und ohne jede unerlaubte Hilfe angefertigt wurde,
dass sie noch an keiner anderen Hochschule zur Prüfung vorgelegen hat
und dass sie weder ganz noch in Auszügen veröffentlicht worden ist. Die
Stellen der Arbeit – einschließlich Tabellen, Karten, Abbildungen usw. –,
die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinn nach entnommen sind,
habe ich in jedem einzelnen Fall kenntlich gemacht.
______________________________________
22.10.2020
Datum, Unterschrift
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