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Ein Brief Hitlers mit mehreren Unbekannten. Tatort Geschichte Blog.

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Ein Brief Hitlers mit mehreren Unbekannten.


by Thomas Pruschwitz | 27. Mrz. 2020 | Edition | 0 comments

Die Wahl in Thüringen


1929 – Am 8. Dezember 1929 wählten die Thüringerinnen und Thüringer ihren
fünften demokratischen Landtag der Weimarer Republik. Von 53 Mandaten holten
gemäßigte Parteien insgesamt 41. Die restlichen zwölf Mandate verteilten sich auf
extremistische Parteien. Jeweils sechs davon erhielten die Kommunistische Partei
Deutschlands (KPD) und die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter Partei
(NSDAP).

Die NSDAP erreichte mit 11,29 Prozent in #Thüringen erstmalig ein Ergebnis im
zweistelligen Bereich. Ihre sechs Mandate spielten eine Schlüsselrolle in den
Verhandlungen um die Macht. Obwohl Leit!guren der NSDAP, wie beispielsweise
Adolf Hitler, der #WeimarerDemokratie jegliche Gestaltungskompetenz
absprachen und auf Reichsebene eine Regierungsbeteiligung rigoros
ausschlossen, nutzten sie auf Landesebene mit dem Einverständnis liberal-
bürgerlicher und konservativer Kräfte das Votum der Thüringerinnen und
Thüringer zur Pro!lierung. Nach der Wahl bewegten sich die Mitglieder der
Thüringer NSDAP auch zum ersten Mal von der Oppositionsbank in die Reihen
einer Regierung.

Ab dem 23. Januar 1930 amtierte die erste demokratisch gewählte


Landesregierung mit nationalsozialistischer Minister-Beteiligung. In der
sogenannten Baum-Frick-Regierung bekleidete mit Wilhelm Frick ein höherer
Staatsbeamter und überzeugter Nationalsozialist die Posten als thüringischer
Innen- und Volksbildungsminister in Personalunion. Als bayrischer Beamter
beteiligte sich Frick bereits 1923 am gescheiterten Umsturzversuch durch Hitler
und Erich Ludendor". Seitens der NSDAP war 1930 die Einsetzung Fricks als
thüringischer Minister o"enbar eine “ultimative” Bedingung für das Bündnis mit
bürgerlich-liberalen und konservativen Parteien. Gewählt hatte ihn in Thüringen
allerdings niemand. Ein Misstrauensvotum gegen Frick und Willy Marschler, einen
der gewählten NSDAP-Mandatsträger, beendete im Dezember 1931 die Baum-
Frick Regierung.[1]

By Bundesarchiv, Bild 102-10541 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, Link

Der Brief
Wenige Tage nach Einsetzung der Baum-Frick-Regierung wurden die Umstände
jener Regierungsbildung in einem Brief festgehalten. Adolf Hitler beschrieb darin
am 2. Februar 1930 die Vorgänge in Thüringen als “größten Erfolg” der
nationalsozialistischen “Bewegung” und zeigte sich von Wilhelm Frick extrem
begeistert. Dieses Dokument soll hier thematisiert werden. Zu unterschiedlichen
Zeiten nahm es in verschiedenen Gestalten erstaunliche Wege. Nach seiner
Entstehung 1930 wurde der Brief nicht nur verschickt, sondern tauchte im Laufe
der Geschichte an ganz unterschiedlichen Stellen als fotogra!erte Kopie des
Originals wieder auf.

Anhand überlieferter Akten aus dem Bundesarchiv Berlin wird hier ein Vorgang
sichtbar gemacht, der sich während des Zweiten Weltkrieges ereignete. Im August
1943 war der Brief Anlass zur Korrespondenz zwischen verschiedenen
Dienststellen der Schutzsta"el (SS). Dabei wurde eine Abschrift des Dokuments
angefertigt, die den Namen des Empfängers enthält. In der Forschung blieb diese
mehr oder wenig zufällig entdeckte Quelle bisher unberücksichtigt. Sie wird hier
als #OpenHistory Edition verö"entlicht.

Zu der großen Unbekannten seit 1966 gesellen sich im Jahr 2019 viele weitere
Fragen: Wer sind die beteiligten Personen? Warum wurde das Dokument 1943
wieder interessant? Wie erklärt sich das Verschwinden des Empfänger-Namens
seit 1966? Für einige der Fragen sollen Ansätze geliefert werden, die zur Lösung
der rätselhaften Materie beitragen können. Möglicherweise liefert der Beitrag
einen Impuls, der Quellenkritik im Bereich #Zeitgeschichte mehr Aufmerksamkeit
zu schenken als es bisher geschehen ist. Vielleicht ergeben sich durch
Kommentare, Kritiken und Anregungen, die jederzeit willkommen sind, noch
weitere Informationen zur Geschichte des Hitler-Briefes vom 2. Februar 1930.

Eine unbekannte Fotokopie


1943 – Die #WeimarerRepublik existierte seit zehn Jahren nicht mehr, Europa
stand in Flammen. Täglich wurden in Krieg und Holocaust tausende Menschen
ermordet, zur Zwangsarbeit verschleppt oder zur Umsiedlung gezwungen, als im
August 1943 ein Machtwechsel an der sogenannten Heimatfront erfolgte. Von
Hitlers anfangs erwähnter Begeisterung für den altgedienten Frick schien zu
diesem Zeitpunkt nicht mehr viel übrig geblieben. Der bereits 1933/34 zum
Reichsinnenminister aufgestiegene Frick wurde durch den Multifunktionär
Heinrich Himmler abgelöst und erhielt repräsentative Aufgaben im
Reichsprotektorat Böhmen und Mähren, was de facto einer Entmachtung gleich
kam. Am 20. August unterzeichnete Hitler die Ernennungsurkunde des neuen
Ministers, der seit Januar 1929 die Schutzsta"eln (SS) der NSDAP führte, im Juni
1936 die Deutschen Polizei übernahm und seit Oktober 1939 als Reichskommissar
für die Festigung Deutschen Volkstums verantwortlich zeichnete. Krieg, Holocaust,
Zwangsarbeit und Umsiedlung gehörten zu seinem täglichen Geschäft. Himmlers
o#zieller Dienstbeginn war der 26. August 1943.[2]

Bereits am 16. August wusste Himmler von seiner Ernennung. Mittags, gegen
12:15 Uhr, telefonierte er mit dem Chef des Reichssicherheitshauptamtes, SS-
Obergruppenführer Ernst Kaltenbrunner. Himmlers handschriftliche
Aufzeichnungen verdeutlichen, dass die beiden über den Punkt “Neuorganisation
M[inisterium] d[es] I[nnern]” sprachen. Am Nachmittag telefonierte Himmler
außerdem noch mit dem Chef des SS-Hauptamtes, SS-Obergruppenführer Gottlob
Berger. Es gibt zwar keinen Hinweis darauf, dass Himmler auch mit Gottlob Berger
über den Machtwechsel im Reichsministerium des Innern sprach.[3] Es ist jedoch
wahrscheinlich, denn Berger zauberte am nächsten Tag plötzlich ein Dokument
aus dem Hut: die “Fotokopie” des Briefes vom 2. Februar 1930, in dem Hitler seine
Begeisterung über Wilhelm Frick zum Ausdruck gebracht hatte. Er sendete jene
angeblich “noch einzig vorhandene Fotokopie” am 17. August 1943 an den
Persönlichen Stab Reichsführer-SS. Dabei behauptete der SS-Obergruppenführer
in seinem Anschreiben, Himmler hätte Hitlers Brief in die Wewelsburg bei
Paderborn bringen lassen. Er schlug nun vor, auch die Fotokopie in das Archiv der
sogenannten SS-Ordensburg zu geben.[4] So geschah es nach bisherigen
Erkenntnissen auch. Eine Woche später, am 24. August 1943, wies der Persönliche
Referent Himmlers, Rudolf Brandt, den Burghauptmann der Wewelsburg, SS-
Obergruppenführer Siegfried Taubert, schriftlich an, die mitgeschickte Fotokopie
in das Archiv zu übernehmen. Am gleichen Tag informierte Brandt auch Berger
über den Verbleib der Kopie.[5]

Unbekannt bleibt die Herkunft der Fotokopie. Wer war Bergers Quelle? Und was
meinte der Chef des SS-Hauptamtes mit der Formulierung, Himmler hätte den
Brief in die Wewelsburg bringen lassen? Ging es hierbei um das Original, einen
Abdruck, eine weitere Kopie oder einen Entwurf?

Eine unbekannte Fotokopie


1966 – Der Hitler-Brief vom 2. Februar 1930 tauchte im Jahr 1966 in einer
wissenschaftlichen Zeitschrift erneut auf. Die Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte
(VfZ) verö"entlichten eine Dokumentation mit dem Titel: Die Regierungsbildung in
Thüringen als Modell der Machtergreifung, Ein Brief Hitlers aus dem Jahre 1930.[6]
Für die Dokumentation war Fritz Dickmann verantwortlich, der zu jener Zeit an der
Freien Universität Berlin Neue Geschichte lehrte. Die Quelle, eine “Photokopie”, lag
dem Historiker exklusiv vor. Zweifel an der Echtheit des abgebildeten Originals
räumte er aus.

“An der Echtheit des Schreibens ist nicht zu zweifeln. Die Photokopie, die mir
vorgelegen hat, läßt vermuten, daß kein Entwurf angefertigt wurde, sondern daß
Hitler den Text entweder unmittelbar in die Maschine oder ins Stenogramm diktiert
hat, denn die Reinschrift ist an einigen Stellen handschriftlich korrigiert und dann
von Hitler unterzeichnet worden. Soweit man erkennen kann, scheinen die wenigen
Korrekturen von Hitler selbst herzurühren. Auch Inhalt und Diktion tragen alle
Kennzeichen der Echtheit.” (Dickmann: Regierungsbildung, S. 455.)
Fritz Dickmann stellte die Quelle als einzigartig heraus, dokumentierte für die
nachfolgenden Generationen ein wichtiges Detail jedoch nicht. Er ließ weg, an wen
Hitler den Brief schrieb. Gleichzeitig lieferte er in seiner Begründung wichtige
Hinweise zur dieser Person.

“Ein persönliches Schreiben Hitlers darf also Seltenheitswert beanspruchen. Warum


das hier abgedruckte in dieser Form abgefaßt und in einem bei Hitler höchst
seltenen Ton persönlicher Herzlichkeit gehalten wurde, ist schnell erklärt: Der
Empfänger war ein in Übersee lebender Deutscher, der zu Anfang der zwanziger
Jahre bei einem Besuch in München mit Hitler und der NSDAP in Berührung kam
und von da an ein begeisterter Anhänger und Bewunderer des „Führers” blieb.
Gerade bei Auslanddeutschen war das ja kein seltener Fall. Hitler erschien, vom
Ausland her gesehen, als der Erneuerer deutscher Größe und deutschen Ansehens in
der Welt, unter dessen Niedergang in der Zeit nach dem Versailler Frieden die
Auslanddeutschen besonders gelitten hatten. Die dunklen Seiten, die
Unmenschlichkeiten des Nationalsozialismus blieben für diese Betrachter aus der
Ferne gewissermaßen unter dem Horizont, wurden nicht geglaubt oder übersehen.
Nicht selten verlor allerdings die magische Fernwirkung Hitlers ihren Zauber, wenn
ein solcher Auslanddeutscher durch einen längeren Besuch in der Heimat den
Dingen näher trat. Bei dem Empfänger des hier publizierten Briefes scheint das nicht
der Fall gewesen zu sein. Er hat in den zwanziger und dreißiger Jahren Deutschland
mehrfach besucht, an Parteitagen der NSDAP teilgenommen und ist, soweit man
seinen Weg weiter verfolgen kann, ein unbeirrbarer Bewunderer Hitlers geblieben;
ein Photo aus dem Jahre 1935 zeigt ihn und seine Frau in der Reichskanzlei als
Gäste Hitlers mit ihm allein an der Ka!eetafel. Aus Hitlers Brief kann man schließen,
daß der Empfänger wohl schon frühzeitig bedeutende "nanzielle Opfer für die Partei
gebracht hat. Es gab also Gründe für eine so außergewöhnliche Ehrung, wie sie
Hitler mit diesem langen, fast schmeichlerisch gehaltenen persönlichen
Dankschreiben dem Empfänger erwies und für die Vertraulichkeit, mit der er ihn
seine Beurteilung der politischen Lage wissen, seine Erwartungen und Ho!nungen
teilen ließ. Daß diese Ehre auch als solche gewürdigt wurde, ergibt sich daraus, daß
der Empfänger den Brief sorgfältig aufbewahrte und ihn Jahre später, als Hitler
Reichskanzler geworden war, photokopieren ließ, um einigen Freunden einen Abzug
zum Geschenk zu machen. Der Freundlichkeit eines der Beschenkten verdanke ich
die Kenntnis des Briefes und die Erlaubnis zur Verö!entlichung, doch ohne Nennung
des inzwischen verstorbenen Empfängers, dessen Name ohnehin, da es sich um
keine irgendwie bekannte Persönlichkeit handelt, nichts zur Sache tun würde.”
(Dickmann: Regierungsbildung, S. 455 f.)

Bemerkenswert ist, dass Dickmann selbst die besten Gründe dafür lieferte, warum
der Empfänger nicht hätte verschwinden dürfen. Aus dem Hitler-Brief von 1930
schließt er, der Empfänger könnte “schon frühzeitig bedeutende !nanzielle Opfer
für die Partei gebracht” haben. Genau deshalb wäre der Name interessant
gewesen. Auch in der Nachvollziehbarkeit des Quellenmaterials hakte es, denn aus
der Dokumentation von 1966 geht an keiner Stelle hervor, ob die Fotokopie –
vielleicht in einer weiteren Kopie – archiviert wurde. Dass Dickmanns Quellengeber
mit dem Empfänger befreundet gewesen ist, dürfte hier eine wesentliche Rolle für
das Verschwinden des Namens gespielt haben.

ⓘ Fritz Dickmann (1906-1969) "

Eine bekannte Edition


1995 – Mitte der 1990er wurde der Brief von 1930 erneut verö"entlicht. Im dritten
Band zu Hitlers “Reden, Schriften, Anordnungen” druckte das Institut für
Zeitgeschichte die Korrespondenz auf Grundlage der Dokumentation von 1966 ab.
Wesentlich umfangreicher mit Fußnoten bestückt, bietet die Edition der
Dokumentation einen informatorischen Mehrwert gegenüber der Verö"entlichung
von 1966. Dabei wurde auch die Einordnung des verschwundenen Namens
übernommen. Ein Hinweis auf die kaum nachvollziehbare Quelle fehlt leider.[7]

OpenHistory
Der Brief in der deutschsprachigen Literatur zu Hitler
Eine ganze Reihe deutschsprachiger Literatur zur Person Adolf Hitlers schenkte
dem Brief vom 2. Februar 1930 keine Aufmerksamkeit.[8] Ausnahmen auf der
wissenschaftlich biogra!schen Ebene sind Ian Kershaw und Volker Ullrich. Mit Blick
auf Hitlers Rolle während der Landtagswahl in Thüringen und die Dokumentation
Fritz Dickmanns als Quelle nutzend, kommt Kershaw zu der Interpretation, dass
Hitler in dem Brief einen Weg beschrieb, wie er sich zu diesem Zeitpunkt das Ende
der #WeimarerRepublik vorstellte.

“Sollte die NS-Partei die Situation ausnutzen, erstmals in eine Regierung eintreten
und zugleich riskieren, durch die Mitwirkung an einem diskreditierten System
Popularität einzubüßen? Hitler entschied, die NSDAP müsse
Regierungsverantwortung übernehmen. Hätte er das Angebot abgelehnt, wären
Neuwahlen fällig gewesen, und die Wähler hätten sich möglicherweise von der
NSDAP abgewandt. Was dann geschah, deutet darauf hin, wie man sich zu diesem
Zeitpunkt die ‘Machtergreifung’ im Reich vorstellte.” (Kershaw, Ian: Hitler, 1889-1936,
Stuttgart 1998, S. 406.)
Volker Ullrich verweist in seinem 2013 erschienen Werk über Hitlers Aufstieg
ebenfalls auf den Brief vom 2. Februar 1930. Im Gegensatz zu Kershaw greift
Ullrich den prophetischen Charakter heraus. Schließlich orakelte Hitler in dem
Brief über den Aufstieg der NSDAP, der in der Reichstagswahl vom September
1930 auch seinen Anfang nahm.[9] Beide Interpretationen gehen nicht auf die
nahleigende Frage ein, wer der des Briefes war. Während Volker Ullrich nach
Dickmann zumindest auf einen Auslandsdeutschen in Übersee hinweist, setzt sich
Kershaw damit gar nicht auseinander. Darüber hinaus ist bei aller Beschäftigung
mit dem Inhalt des Hitler-Briefes die Frage nach dessen Original und der
Provenienz des überlieferten Quellenmaterials zu kurz gekommen.

Die erneute Verö"entlichung des Hitler-Briefes vom 2. Februar 1930 als frei
zugängliche online-Edition ist ein Beitrag zur Aktenkunde im 21. Jahrhundert.
Aufgrund der bisher unverö"entlichten Quelle bildet die Edition im Kern eine
eigenständige zeitgemäße Erweiterung der bislang publizierten Versionen. Sie fügt
der vorhandenen historisch-biogra!schen Forschungsliteratur zu Hitler das Detail
des Namens hinzu.

Editorische Notiz
Aus der Akte NS 19/233 im Bundesarchiv geht nicht eindeutig hervor, wer die
Abschrift der Fotokopie wann und wo erstellte. Vermutlich ist sie zwischen dem 16.
und 24. August 1943 entstanden, dem Korrespondenz-Zeitraum zwischen SS-
Obergruppenführer Berger und Himmlers Persönlichen Referenten, SS-
Sturmbannführer Brandt.

Für den Entstehungsort kommen zwei mögliche Optionen in Betracht. Entweder


wurde die Abschrift in Bergers SS-Hauptamt in Berlin oder in der von Brandt
geleiteten Hauptabteilung Persönliches Referat im Persönlichen Stab Reichsführer-
SS erstellt. Zwischen dem 16. und dem 24. August befand sich Brandt zusammen
mit Heinrich Himmler auf dem Obersalzberg bei Adolf Hitler. Wenn Berger auch
der Auslöser gewesen ist, spricht eine Tatsache gegen den Entstehungsort Berlin.
Berger gab im Anschreiben nur eine einzige Anlage an, wobei es sich um die
Fotokopie gehandelt haben dürfte. Von einer Abschrift ist keine Rede, auch ein
Vermerk dazu existiert nicht. Dass die Abschrift in den Akten des Persönlichen
Stabes überliefert ist, spricht wesentlich für die zweite Option.

O"enbar wurde die Korrespondenz samt Abschrift, sieben DIN A4 und zwei DIN A5
Blätter, später in der Schriftgutverwaltung des Persönlichen Stabes Reichsführer-
SS gestempelt und als geheimer Akt mit der blauen Nummer 181/14 archiviert. Ein
Teil der Akten ist heute im Bundesarchiv überliefert, wo der Vorgang 181/14 unter
der Signatur NS 19/233 abgelegt ist.

Von den neun Blättern der Akte NS 19/233 wurden Digitalisate zunächst als JPG,
dann in Form von PDF angefertigt. Damit konnten die Blätter anhand des
Texterkennungs-Verfahrens der Open-Source von Transkribus in eine maschinell
lesbare Form gebracht werden. Das entsprechende Textdokument wurde von
Fehlern wie falschen Buchstaben bereinigt und bildete so eine Art Basis-Text. Hier
gebloggt sind die Blätter zwei bis sieben, d.h., die 1943 erstellte Abschrift des
Hitler-Briefes vom 2. Februar 1930.

In Büchern war es bei Editionen üblich, zur Au$ösung von Abkürzungen vor allem
eckige Klammern zu verwenden. Dieses Prinzip wurde ersetzt. Eckige Klammern
wurden durch senkrechte Striche und Pluszeichen ersetzt |+…+|, in denen die
ergänzten Buchstaben zur Verdeutlichung kursiv geschrieben sind. In diesem
Zusammenhang wurde auch der editorische Hinweis [sic!], mit dem auf bestimmte
Eigenheiten der Quelle hingewiesen wird, durch ein |sic!| angepasst.

Editorische Anmerkungen aus den bereits publizierten Versionen von 1966/1995


sind in Fußnoten festgehalten, genau wie weitere Informationen zu Personen und
Sachverhalten. Überall, wo es aus editorischer Sicht sinnvoll erschien, wurden
Links zur Kontextualisierung der Information gesetzt. Am Ende jedes edierten
Blattes be!ndet sich die Option, das Original der überlieferten Abschrift als Foto
einzusehen. Die Bearbeitung stellt ein experimentelles Verfahren zur
#Digitalisierung von Akten aus dem 20. Jahrhundert dar.

Edition

1
Persönlicher Stab Reichsführer-SS
Schriftgutverwaltung.
|+Akten+||+Nummer+||+Geheim+| 181/14
|+Wiedervorlage+| 16.9.

Fotokopie eines Briefes des Führers an einen


Großindustriellen in Südamerika.

München, den 2. Februar 1930

Lieber Herr Eichhorn!

Durch eine Reihe widriger Umstände wurde das


Weihnachtsgeschenk für Sie und Ihre verehrte Frau
Gemahlin, das ich zur Erinnerung an die Nürnberger Tage[10]
nach meinem Entwurfe anfertigen ließ, statt Dezember erst
Januar fertig. Sie werden mir aber wohl nicht böse sein,
wenn ich damit so verspätet all die Glückwünsche verbinde,
die ich sonst zum neuen Jahr übermittelt hätte. Ich
benütze diese Gelegenheit aber auch, um Ihnen einiges über
die Bewegung zu schreiben, die Ihnen und Ihrer lieben
hochverehrten Frau Gemahlin so sehr am Herzen liegt.

Seit Sie uns im August verlassen haben, konnte die


Bewegung einen Aufschwung nehmen, der alles, was wir in
dieser Richtung zu hoffen wagten, weit zurückließ. Die
Landtagswahlen und Kommunalwahlen verdoppelten bis
verzehnfachten an manchen Orten unsere Stimmen.[11] Wir
waren überhaupt die einzige Partei, die wirklich und zwar
rapid gewachsen ist. Den größten Erfolg erzielten wir in
#Thüringen. Dort sind wir heute wirklich die
ausschlaggebende Partei. Es trat damit eine Frage von
großer grundsätzlicher Bedeutung an die Bewegung heran.
Die Parteien in Thüringen, die bisher die Regierung
bildeten, vermögen ohne unsere Mitwirkung keine Majorität
aufzubringen. Wir haben ja auch schon vor dem eine Zeit
lang – vor Dinters Ausscheiden[12] – einen ausschlaggebenden
Einfluß ausüben können. Allein erst die Neuwahl brachte
uns die ziffernmäßige Stärke, die jede Regierungsbildung
ohne unser Mittun kurzerhand verbietet. Außerdem hat sich
seitdem in der öffentlichen Meinung ein sehr großer
Umschwung vollzogen. Es ist staunenswert, wie sich hier
die vor wenigen Jahren noch selbstverständliche arrogante,
hochnäsige oder dumme Ablehnung der Partei in eine
erwartungsvolle Hoffnung verwandelt hat. Es lag im Wesen
dieser Umwälzung, wenn daher die früheren
Koalitionsparteien in Thüringen an uns zum ersten Male die
Forderung nach aktiver Beteiligung an der Regierung
richteten. Ich glaube, man erwartete (besonders auf der
Seite der deutschen Volks-

ⓘ Walter & Ida Eichhorn "

partei!), daß ich irgendeinen national schimmernden


Regierungsbeamten zur Verfügung stellen würde, mit dem man
dann schnell fertig geworden wäre. Man mußte deshalb
dieses Mal gleich von Anfang an den Herrn Parteipolitikern
zeigen, daß jeder Versuch einer Übertölpelung der
nationalsozialistischen Bewegung lächerlich ist. So
erklärte ich zunächst prinzipiell mein Einverständnis, uns
an der Regierungsbildung in Thüringen aktiv zu beteiligen.
Hätte ich “Nein” gesagt und wäre es darüber zu einer
Neuauflösung des Landtags gekommen, würden manche Wähler
vielleicht den Entschluß, uns das Vertrauen zu schenken,
wieder bedauert haben. Von dem Moment an, an dem unser
prinzipielles Einverständnis vorlag, wäre jede Neuwahl zu
Ungunsten der anderen Parteien ausgegangen. Nachdem auf
solche Art unsere prinzipielle Bereitschaft zur
Beteiligung an der Regierungsbildung abgegeben und
angenommen worden war, stellte ich zwei Forderungen:
Innenministerium und Volksbildungsministerium. Es sind
dies in meinen Augen die beiden in den Ländern für uns
wichtigsten Ämter. Dem Innenministerium untersteht die
gesamte Verwaltung, das Personalreferat, also Ein- und
Absetzung aller Beamten, sowie die Polizei. Dem
Volksbildungsministerium untersteht das gesamte
Schulwesen, angefangen von der Volksschule bis zur
Universität in Jena sowie das gesamte Theaterwesen. Wer
diese beiden Ministerien besitzt und rücksichtslos und
beharrlich seine Macht in ihnen ausnützt, kann
Außerordentliches wirken. Natürlich ist die Voraussetzung
hiezu die geeignete Persönlichkeit. Ich war mir darüber
klar, daß für diese Stelle nicht irgend ein kleiner
Parlamentarier oder ein ergebener Regierungsbeamter in
Frage kommen kann, sondern nur ein durchgekochter |sic!|
Nationalsozialist von ebenso großer Fachkenntnis wie
bedingungsloser nationalsozialistischer Gesinnung. Ich
habe nun das Glück, in unserem Parteigenossen Dr. Frick
einen Mann zu besitzen, der diesen Anforderungen in
höchstem Ausmaß gerecht wird. Ein energischer, kühner und
verantwortungsfreudiger Beamter von außerordentlich großem
Können und fanatischer Nationalsozialist! Als ich den
Unterhändlern der anderen Regierungsparteien diesen meinen
Kandidaten mitteilen ließ, war man dort zunächst auf das
unangenehmste berührt. Das entsprach nicht dem, was man
sich zuerst vorstellte. Natürlich konnte man Dr. Frick
nicht aus den
3
wahren Gründen ablehnen. So griff man zu ebenso unwahren
wie lächerlichen Vorwänden. Die deutsche Volkspartei, die
im Reich in den Koalitionen |sic!| mit den Parteien der
ehemaligen Landesverräter sitzt, empfand es auf einmal als
“untragbar”, mit einem wegen “Hochverrat” zu Festungshaft
verurteilten Nationalisten zusammen zu arbeiten.[13] Man
glaubte, daß wir vor der Drohung eines Mißlingens der
Regierungsbildung doch klein beigeben würden. So fuhr ich
dann selbst nach Weimar und habe den Herren[14] ganz kurz in
aller Bestimmtheit versichert, daß entweder Dr. Frick
unser Minister wird, oder Neuwahlen kommen. Ich setzte von
Freitag, den 10., bis Montag, den 13.|+Januar+|[15] eine
kurze Frist der Überlegung und versicherte, daß
anderenfalls am Dienstag unser Antrag auf Auflösung des
Landtages eingebracht würde und am Mittwoch der Wahlkampf
von unserer Seite wieder begänne. In einer
Industriellenversammlung[16], die ich am selben Tag hielt
und zu der alles, was in der mitteldeutschen Wirtschaft
überhaupt eine Rolle spielt, nach Weimar gekommen war,
vertrat ich unsere nationalsozialistischen Gedanken und
Prinzipien mit dem Erfolge, daß auf einmal gerade von
dieser Seite ein sehr scharfer Druck auf die deutsche
Volkspartei ausgeübt wurde mit dem Gesamtergebnis, daß wir
am Montag Abend die prompte[17] Einwilligung zu unserem
Kandidaten und zu den beiden Ministerien erhielten.[18]
Parteigenosse Frick hat in der Regierung noch einen
zweiten Nationalsozialisten. Wir haben gefordert, daß
unser Parteigenosse Marschler[19] Staatsrat wird, und als
solcher damit an den Abstimmungen der Regierung
stimmberechtigt teilnimmt. Damit hat nun allerdings ein
Kampf begonnen, der nicht leicht sein wird, von dem ich
mir aber umso mehr Erfolg verspreche, als unser
Staatsminister, Parteigenosse Dr. Frick, alle übrigen
Herrn des Kabinetts[20] an Fähigkeit und Willensstärke
turmhoch überragt. Dazu kommt noch, daß hinter ihm die
aktivste und entschlossenste Partei steht!
Unsere Aufgabe in Thüringen erstreckt sich damit auf zwei
Gebiete. Als Innenminister wird Dr. Frick eine langsame
Säuberung des Verwaltungs- und Beamtenkörpers von den
roten Revolutionserscheinungen vornehmen. Dr. Frick wird
hier mit rücksichtsloser Entschlossenheit eine
Nationalisierung einleiten[21], die den anderen bürgerlichen
Regierungen zeigen kann, was

4
wir Nationalsozialisten unter diesem Worte verstehen. Vor
allem auf dem Gebiete des Polizeiwesens gibt es sehr viel
zu tun. Die zweite große Aufgabe wird Dr. Frick als
Volksbildungsminister in der Nationalisierung des
Schulwesens erblik|c|en. Wir werden in Thüringen nunmehr
das gesamte Schulwesen in den Dienst der Erziehung des
Deutschen zum fanatischen Nationalisten stellen. Wir
werden ebenso sehr den Lehrkörper von den marxistisch-
demokratischen Erscheinungen säubern, wie umgekehrt den
Lehrplan unseren nationalsozialistischen Tendenzen und
Gedanken anpassen.[22] Der erste Schritt wird die Errichtung
eines Lehrstuhles für Rassenfragen und Rassenkunde an der
Universität in Jena sein. Ich habe die bestimmte Hoffnung,
daß es gelingen wird, Dr. Hans Günther zum ordentlichen
Professor der Universität Jena zu gewinnen.[23] Damit wird
Thüringen, von dem in der deutschen Geschichte schon
einige Male große geistige Erneuerungen ausgegangen sind,
abermals der Ausgangspunkt einer solchen geistigen
Umwälzung werden.[24] Eine weitere Aufgabe ist es, von
Thüringen aus der verhängnisvollen Reichspolitik
entgegenzutreten.[25] Der erste Erfolg in dieser Richtung
ist die Ablehnung des Youngplanes durch den Thüringischen
Staat im Reichsrat.[26] Aber was sich hier in einem
Bundesstaat abspielt, wiederholt sich in zahlreichen
Kommunen und bereitet sich in einigen anderen Ländern vor.
Wir haben in 5 Jahren hunderttausend Mitglieder gewonnen.
Im vergangen Jahr allein achtzigtausend dazu. Im Monat
Dezember aber allein bereits zwanzigtausend.[27]
Die Bewegung wird in ein bis einerhalb |sic!| Jahren die
Zahl von vierhunderttausend Mitgliedern[28] mindest |sic!|
erreicht, wenn nicht überschritten haben. Die große Arbeit
der ersten Jahre nach der Wiedererlangung meiner Freiheit
beginnt jetzt ihre Früchte zu tragen. Es wird bei uns
kommen wie in der ganzen Natur. Man muß pflügen und eggen,
säen und immer wieder arbeiten bis endlich die Zeit kommt,
in der die Ernte fast sichtbar in wenigen Wochen der Reife
entgegengeht und endlich in Tagen als Frucht eingebracht[29]
werden kann. Es ist bei Bewegungen nicht anders. Wir haben
einen gründlichen Unterbau geschaffen. Wir haben unser
Volk durchpflügt wie keine andere Partei es tut. Wenn der
Moltkesche Satz, daß das Glück auf die Dauer beim
Tüchtigen[30] ist, auch heute noch zutrifft, kann es nur bei

5
uns sein. Alles was sich an großen Ereignissen in den
letzten Monaten abspielte, hat deswegen auch unserer
Bewegung gedient und genützt. Das Volksbegehren und der
Volksentscheid waren der Anlass für eine Propagandawelle,
wie sie ähnlich in Deutschland noch nie da war. Und darin
liegt in erster Linie ihr Nutzen. Allein darüber hinaus
wurde die Nation so aufgerüttelt, daß es den anderen
Parteien heute schon sehr schwer wird, ihr neues
Verbrechen an unserem Volke so leichten Herzens zu
begehen, wie dies früher oft der Fall war. Daß sie uns
deshalb nicht lieben, ist selbstverständlich. Ich glaube
nicht, daß jemals eine politische Partei in Deutschland so
infernalisch gehasst wurde als |sic!| wir. Allein ich
glaube auch nicht, daß jemals an einer Bewegung Menschen
in so verzehrender Hingabe hingen als ebenfalls an der
unseren.
Was mein eigenes leben betrifft, so geht es auf in der
großen Tätigkeit und dem ärgerlichen[31] Kleinkram, der
dazwischen nun einmal immer mitläuft. Es wäre auch sonst
zu schön, wenn einem nicht kleinliche Stänkereien,
Prozesse und sonstige Sorgen von Zeit zu Zeit immer wieder
das Bewußtsein brächten, daß man nicht in einer Welt der
eitlen Freude, sondern tausendfältiger Unzulänglichkeit
lebt. Ich meine dabei natürlich nicht die Welt an sich,
sondern nur das Zeug, das sich auf ihr herumtreibt!
So darf ich Ihnen, lieber Herr Eichhorn, und Ihrer so sehr
verehrten Frau Gemahlin denn auch an dieser Stelle danken
für die Art und Weise, in der Sie mir wenigstens einen
Teil meiner Sorgen abnehmen und erleichterten[32] Ich weiß,
wie sehr Sie an unserem Werke hängen, an unserem
gemeinsamen Werk, und weiß, wie für Sie selbstverständlich
der schönste Dank das wunderbare Werden dieses unseres
Werkes ist. Ich bin früher in vielen Dingen ein Prophet
gewesen und habe wenigstens im Großen meist recht
behalten. Ich habe aber fast nie über die Zeit des
Erfolges unserer Bewegung prophezeit. Heute kann ich das
mit fast hellsehender Sicherheit. Lieber Herr Eichhorn,
wenn mich das Schicksal gesund erhält und nicht ungeahnte
Katastrophen kommen, wird das deutsche Volk längstens in[33]
zweieinhalb bis drei Jahren den tiefsten Punkt seiner
Erniedrigung verlassen haben. Ich glaube, daß in dieser
Zeit der Sieg

6
unserer Bewegung eintritt und damit die Periode unseres
Verfalls beendet ist und eine solche des Wiederaufstiegs
unseres Volkes beginnt. Vielleicht ist es Ihnen trotz
allem möglich, noch vorher in unsere deutsche Heimat zu
einem kurzen Besuch zurückzukehren, vielleicht aber
betreten Sie diesen Boden schon in der Zeit, in der Sie
das neue Banner begrüßen wird.
Ich habe das Nürnberger Abzeichen als Briefbeschwerer
verarbeiten lassen und möchte Ihnen und Ihrer verehrten
Frau Gemahlin dies als kleines Zeichen meiner Dankbarkeit
schicken, in der Überzeugung, daß es sie immer an Tage
zurückerinnern wird, die einst ein Fest waren, in der
Zukunft aber Deutschland sein werden. Sie haben diese Tage
selbst miterlebt und werden aus ihnen heraus besser
verstehen als aus toten Nachrichten den lebendigen
Siegeszug unserer Bewegung.

Seien Sie und die gnädige Frau Gemahlin nochmals[34]


herzlichst bedankt und gegrüßt von Ihrem ergebenen

gez. Adolf Hitler

Au!ösungen, Ausblicke und Fragezeichen


Empfänger des Briefes von Hitler vom 2. Februar 1930 waren Walter und Ida
Eichhorn, die laut NSDAP-Mitglieds-Kartei in der argentinischen Kleinstadt La Falda
lebten. Von Hitler bekamen sie am 11. Mai 1935 das Ehrenzeichen der NSDAP
überreicht. O"enbar haben beide ihre Auszeichnungen später verloren, denn im
November 1938 ließ die NSDAP-Parteizentrale in München ihnen jeweils zwei
“Ersatz-Ehrenzeichen” aushändigen.[35] Mehr Informationen liefern die Akten aus
dem Bundesarchiv nicht.

Unbekannt ist die Geschichte des Ehepaars Eichhorn aber keineswegs. Als
Mitinhaber des Edén Hotels in La Falda machten sie sich seit 1912 in der Provinz
Córdoba einen Namen. In einer sehenswerten Reportage hat Dokumentar!lmerin
Cuini Amelio Ortiz die Geschichte des Hotels aufgearbeitet. Nebenbei zeigt Ortiz in
ihrem Film auch den Brief Hitlers vom 2. Februar 1930. Zu sehen ist ein grau
hinterlegtes Dokument mit handschriftlichen Änderungen in bräunlicher und einer
Unterschrift von Hitler in schwarzer Farbe. Unklar ist, ob es sich dabei um das
Original oder eine weitere Kopie handelte. Auch der Name Eichhorn ist zu lesen,
was wiederum den Namen auf der hier verö"entlichten Abschrift bestätigt.

Ortiz geht auch auf die Rolle der Eichhorns ein, die während einer
Deutschlandreise Mitte der 1920er Jahre auf Hitler trafen und ihn anschließend
!nanziell unterstützten. Übermäßig gefühlvolle Briefe Hitlers an die Eichorns
waren o"ensichtlich keine Seltenheit. Für andere Dinge hatte er sich bereits vor
dem 2. Februar 1930 regelmäßig bei ihnen bedankt. Ein wichtiges Detail wird im
Film über Walter Eichhorn erwähnt. Der geborene Leipziger handelte in
Argentinien mit Spitze, einer dekorativen Textilie überwiegend aus Garn, deren
industrielles Zentrum in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg im thüringischen
Plauen lag. Walter Eichhorn hatte also durchaus Interesse daran zu erfahren, wie
sich die mitteldeutsche Industrie gegenüber den Rechtsextremen verhielt. Hitler
teilte es ihm mit. Möglicherweise erklärt sich so auch die Bezeichnung Eichhorns
als “Großindustriellen”, die von der Person gewählt wurde, die die Abschrift
erstellte.

Ida Eichhorn, die, so berichtet Ortiz, bereits mit einem wesentlich älteren Mann
verheiratet war, verließ ihre Heimat und ihre vierjährige Tochter, um in Übersee
ihr Glück zu suchen. Auf der Schi"sreise 1912 lernte sie Walter kennen, die beiden
heirateten und kauften zusammen mit Walters Bruder Bruno sowie dessen Frau
das Edén Hotel in La Falda. Möglicherweise ist Ida Eichhorn, vor allem deren
Herkunft, auch die Schlüsselverbindung für den Vorgang von 1943. Ida, eine
geborene Bonfert, stammte aus Siebenbürgen (Rumänien). SS-Obergruppenführer
Berger, ein Schwabe, hatte dienstliche und persönliche Verbindungen nach
Rumänien. Als Chef des SS-Hauptamtes rekrutierte er dort sogenannte
Volksdeutsche für die Wa"en-SS. Außerdem war Bergers Tochter mit dem Führer
der Deutschen Volksgruppe in Rumänien, Andreas Schmidt, verheiratet war.
Schmidt hatte möglicherweise Kontakt zu Alfred Bonfert, dem ehemaligen
Präsidenten der Deutschen Volkspartei Rumäniens. Auch nach dem Unfalltod von
Bergers Tochter 1942 riß die Verbindung zwischen beiden Männern nicht ab.
Daher läßt sich vermuten, dass Berger die Fotokopie von Andreas Schmidt oder
einer Person aus dessen näheren Umfeld zugespielt bekam. Mit Thüringen und
dem Hotel Edén hatte der Vorgang 1943 daher weniger zu tun, vielleicht auch
weniger mit Wilhelm Frick. Für Berger bot der Vorgang die Möglichkeit, sich bei
Himmler in den Vordergrund zu spielen. Bekam der Reichsführer-SS dadurch die
Gelegenheit, mit Hilfe der Deutschen Volksgruppe und über den Namen
“Eichhorn” Ein$uss auf Hitlers Entscheidungen zu Rumänien auszuüben?

Das Verschwinden des Namens “Eichhorn” in der Dokumentation von 1966 hatte
über die persönliche Verbindung der Beteiligten hinaus vermutlich auch einen
brisanten politischen Rahmen. Spätestens seit dem Aufgreifen Adolf Eichmanns in
Argentinien Anfang der 1960er war die Flucht von NS-Tätern nach Südamerika
über die sogenannte Rattenlinie ein o"enes Geheimnis. Die Verö"entlichung des
Namens mit einer Lokalisierung der Eichhorns in Argentinien hätte im Jahr 1966
nicht nur die Frage nach der Finanzierung der NSDAP vor 1933, sondern auch die
Frage nach eventueller Fluchthilfe für Kriegsverbrecher nach 1945 aufgeworfen.
War das politisch zu heikel? Leider konnte Fitz Dickmann bis zu seinem frühen Tod
1969 nicht noch einmal zu dieser Problematik verö"entlichen. Seine
hervorragende Arbeit, was die Beschreibung der Quelle und seiner Eigenheiten
angeht, wird durch das bewußte Verschweigen des Namens zwar deutlich
geschmälert. Dennoch publizierte der Historiker ein einmaliges Dokument, dessen
Erscheinung in so verschiedenen Gestalten – vom Original bis zur Fotokopie – nur
in den Kontexten der jeweiligen Zeiten verständlich ist.

Den Erfolg NSDAP während der #Koalitionsverhandlungen in den Wintermonaten


1929/30 als Modell zur Eroberung der Macht zu verstehen, ist angebracht. Abseits
dieser auf Hitler und die NSDAP konzentrierten Sichtweise, ist es im Jahr 2019
genauso angebracht, auf die Unfähigkeit der demokratischen Mitte hinzuweisen,
ohne linke oder rechte Extremisten regierungsfähige Bündnisse zustande zu
bringen. Hitler schrieb in seinem Brief an die Eichhorns: “Die Parteien in Thüringen,
die bisher die Regierung bildeten, vermögen ohne unsere Mitwirkung keine Majorität
aufzubringen.” Das war schlichte Propaganda, denn auch ohne Mitwirkung der
NSDAP hätten Mehrheitsverhältnisse gebildet werden können.
Sozialdemokratische, bürgerlich-liberale und konservative Kräfte entschieden sich
trotz einer Mehrheit von 41 zu 53 Mandaten gegen die #Demokratie und wurden,
gewollt oder ungewollt, zu Mitschuldigen für den Untergang der
#WeimarerRepublik

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