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Gefeierte Wiederentdeckung: Porporas

"Orfeo" beim "Festival della Valle d'Itria" in


Martina Franca

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Foto: © Clarissa Lapolla

Nicola Antonio Porpora, Orfeo


FESTIVAL DELLA VALLE D’ITRIA
MARTINA FRANCA – PALAZZO DUCALE
2. August 2019

von Bruno Tredicine

Mit dem Mythos Orpheus kehren wir zum Ursprung der Oper zurück. Ihm war das
Werk Monteverdis gewidmet, das ein Wendepunkt der Musiktheatergeschichte
ist, wenn nicht gerade die erste echte Oper, wie wir heute diese Gattung kennen.
Dann kamen andere wie Haydn oder selbstverständlich Gluck, fast immer auf den
Kampf des Helden fokussiert, Eurydike aus dem Totenreich zurückzuholen.

Anders haben wir es in Martina Franca erlebt, wo eine andere Version des Mythos
auf die Bühne gebracht wurde. Im Hof des imposanten Palazzo Ducale wurde Orfeo
von Nicola Antonio Porpora, einem der wichtigsten Vertreter der
neapolitanischen Schule des 18. Jahrhunderts, zum ersten Mal wieder gespielt.

Wir sehen uns diesmal der Vorgeschichte gegenüber: Orfeo und Aristeo sind beide
in Euridice verliebt, die Prinzessin Autonoe ist enttäuscht, die Aristeo für sich
haben wollte.

Vor Aristeo iehend stürzt Euridice und wird von einer Schlange gebissen. Im
dritten Akt nimmt endlich die bekannte Geschichte ihren Raum ein. Orfeo wird
erlaubt, seine Geliebte im Hades zu sehen und mit ihr zurückzukommen. Über alle
und alles wacht das königliche Paar der Unterwelt: Proserpina und Plutone, die
berührt der Bitte Orfeos stattgeben.

Am interessantesten sind die musikalischen Aspekte. Es handelt sich um ein


sogenanntes „Pasticcio“, das heißt, dass ein Komponist eigene Musik mit
anderen Stücken zusammenstellt, die von ihm selbst oder anderen Komponisten
schon komponiert wurden. So etwas war nicht ungewöhnlich: Selbst Händel hatte
viele solcher „Pasticci“ in London komponiert, Werke von neapolitanischen
Kollegen mit seiner eigenen Musik mischend.

Porpora war der stärkste Rivale Händels in der englischen Hauptstadt, und nach
der Premiere 1736 wurde sein Orfeo so gefeiert, dass es viele Wiederholungen gab
und er kurz danach fast in ganz Europa aufgeführt wurde. Das verwundert nicht,
wenn man an die unglaubliche damalige Besetzung denkt: der Farinelli als Orfeo,
sein Rival Senesino in der Rolle Aristeo, und Euridice war Francesca Cuzzoni, ein
echter Star-Sopran, bereits ein Mythos, während sie noch tätig war.

Foto: © Clarissa Lapolla

Während die Rezitative von Porpora geschrieben wurden, zeigen weder die
Partitur noch das Libretto die Autoren der anderen Stücke: Die Namen der
zitierten Komponisten konnte man den jeweiligen Arien nicht zuschreiben. Erst
1984 konnte der englische Colin Timms dank der Entdeckung eines weiteren
Librettos neun Stücke den richtigen Autoren zuschreiben, und endlich fand  der
junge Musikwissenschaftler Giovanni Andrea Sechi vor kurzer Zeit in einer
privaten Sammlung in der Schweiz eine Handschrift, in der insgesamt 19 Arien
aufgezählt wurden.

Durch stilistische Analyse konnte man eine präzise Zuschreibung erreichen, und
nun wissen wir, dass die Mehrheit der Stücke von Porpora ist. Die anderen
stammen von Arpaia, Hasse, Veracini, Vinci und Giacomelli.

Die Partitur bietet einen überraschenden Schatz mit unkonventionellen


Lösungen: e ektvolle „Recitativi accompagnati“, einen bezaubernden Wechsel
zwischen Rezitativen und Arien im Duett zwischen Orfeo und Euridice kurz vor
Ende des ersten Akts („Sente del mio martir“), ein faszinierendes Duett mit
pastoralen Tönen im ersten Akt zwischen Orfeo und Aristeo oder ein kurzes
eindrucksvolles Arioso wie „Se da chi s’ama in bando“ von Orfeo im dritten Akt,
mitten in einem wunderbaren Rezitativ, mit Proserpina und Plutone.

Foto: © Clarissa Lapolla

George Petrou am Pult des exzellenten griechischen Ensembles Armonia Atenea


p egte eine sorgfältige stilistische Kontrolle. Mit einer guten Präsenz des
Continuo spielte das Orchester mit Klarheit und gut dosierter Dynamik und
angenehmen Farben. Ein e ektvoll dramatischer Hintergrund entstand, und der
Orchesterklang verschmolz fast mit den Stimmen zu einer Einheit.

Countertenor Ra aele Pe war der Titelheld, eine riesige Partie mit der Mehrheit
der Arien des gesamten Werks. Pe ist ein hervorragender Künstler, mit
o ensichtlicher Bühnenpräsenz und Expressivität. Seine lyrische volle Stimme
erklingt am besten im mittleren Register mit einer reinen Gesangslinie. In den
tiefsten Noten, wie in seiner Auftrittsarie „Parte talor dal mare“, gebraucht er
sein Brustregister, während er in den Höhen manchmal etwas angestrengt wirkt
(wie in „Vado seguendo amore“ am Ende des zweiten Aktes).

Pe ist ausgezeichnet in der natürlichen Gesangslinie von „Son pastorello amante


e sventurato“ und in den pathetischen Akzenten der langen Szene mit Euridice
vor dem ersten Finale („Sente del mio martir“), noch berührender in „Sempre a
sì vaghi rai Hasses“ im zweiten Akt und im schmerzvollen „M’abbandoni amato
bene“ (aus der Oper Demetrio Francesco Araias stammend).

Foto: © Clarissa Lapolla

Mit glänzender Stimme hat Anna Maria Sarra die Euridice verkörpert. Ihre erste
Arie „Fasto altero, vero amore“ ist ein interessanter Wechsel zwischen
langsamen und schnellen Tempi, während sie in „Ah non lagnarti no“ mit guter
Agilität überzeugt.

Die junge Mezzosopranistin Federica Carnevale hat den Part der Autonoe mit
einem warmen, dunklen Timbre in der relativ dramatischen Auftrittsarie
„Menzogner t’ho trovato incostante“ und im stürmischen „Può ngere a etto“
überzeugend wiedergegeben,  fast verschmilzt sie mit dem folgenden Chor
„Danze amorose“.  Am meisten glänzt sie aber in ihrer Schlussarie „Se do
ancora“ mit ihrer perfekt unterstützen Gesangslinie und gut beherrschten
Agilität.
Foto: © Clarissa Lapolla

Aristeo gibt Rodrigo Sosa dal Pozzo. Er spielt den Charakter, den dereinst
Senesino verkörperte. Lobenswert sind seine heroischen Akzente in „Cacciator di
lento piede“ und in der „Tour de force“ im zweiten Akt, in dem er das furiose
„Sorgi dall’Erebo“ in Angri nimmt.

Giuseppina Bridelli (Proserpina) ist eine Spitzenbesetzung. In ihrer Auftrittsarie


„Chi mi lascia a’ miei voleri“ zeigt sie eine runde, gut unterstütze Stimme mit
gutem Fluss und Beweglichkeit. Sie kehrt erst gegen Ende der Oper zurück,
angemessen großmütig und königlich im Rezitativ mit Orfeo und Plutone. Sie
glänzt mit stimmlicher Sicherheit in ihrer letzten Arie „Libertà non è che un
nome“.

Mit seiner dunklen, fest timbrierten Stimme verleiht Davide Giangregorio dem
Plutone die notwendige Autorität, die auch in seinen zwei Arien gut ausgedrückt
ist, ebenso im würdevollen Rezitativ im dritten Akt mit Proserpina und Orfeo.
Foto: © Clarissa Lapolla

In den zwei kurzen Choralstücken ist das Vokal-Quartett zu loben, das von
Donatella De Luca, Arianna Manganello, Dario Pometti, Alberto Comes gebildet
wird. Die vier Sänger stammen aus der Akademie Bel Canto des Festivals della
Valle d’Itria, benannt nach Rodolfo Celletti, der für dreizehn Jahre Intendant des
Festivals in Martina Franca war und dessen Name noch heute mit dem Festival
assoziert wird.

Massimo Gasparon war für Regie, Szene, Kostüme und Licht verantwortlich. Dank
den Kostümen entstand eine barocke Atmosphäre: luxuriös, imposante, dunkle
Farben und ansehnliche Dekorationen waren laut Gasparon auch die damalige
szenische Ausstattung der Au ührung. Im Gegensatz war das Bühnenbild fast
neutral: eine nackte Szenerie, in drei Sektoren geteilt, wo nur die schwarzen
Türen und Faltenwürfe das beherrschende Weiß kontrastierten. Auch die Gestik
war würdevoll kontrolliert wie in einer historischen Au ührung, manchmal (ich
denke an Prosperpina und Plutone) in einer starren Haltung fast wie in einem
Bild.

Nach einem warmen Tag kühlte ein leichter frischer Wind den Hof. Am Schluss
feierte das Publikum die Künstler und ihren großen Erfolg.

Bruno Tredicine, 12. August 2019, für


klassik-begeistert.de
Dirigent: George Petrou
Regie, Szene, Kostüme und Licht: Massimo Gasparon

Orfeo: Ra aele Pe
Euridice: Anna Maria Sarra
Aristeo: Rodrigo Sosa Dal Pozzo
Proserpina: Giuseppina Bridelli
Plutone: Davide Giangregorio
Autonoe: Federica Carnevale
Quartetto vocale: Donatella De Luca, Arianna Manganello, Dario Pometti,
Alberto Comes

Armonia Atenea

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Leon Battran / 14. August 2019 / Festival della Valle d'Itria

© Klassik begeistert

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