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Mit dem Mythos Orpheus kehren wir zum Ursprung der Oper zurück. Ihm war das
Werk Monteverdis gewidmet, das ein Wendepunkt der Musiktheatergeschichte
ist, wenn nicht gerade die erste echte Oper, wie wir heute diese Gattung kennen.
Dann kamen andere wie Haydn oder selbstverständlich Gluck, fast immer auf den
Kampf des Helden fokussiert, Eurydike aus dem Totenreich zurückzuholen.
Anders haben wir es in Martina Franca erlebt, wo eine andere Version des Mythos
auf die Bühne gebracht wurde. Im Hof des imposanten Palazzo Ducale wurde Orfeo
von Nicola Antonio Porpora, einem der wichtigsten Vertreter der
neapolitanischen Schule des 18. Jahrhunderts, zum ersten Mal wieder gespielt.
Wir sehen uns diesmal der Vorgeschichte gegenüber: Orfeo und Aristeo sind beide
in Euridice verliebt, die Prinzessin Autonoe ist enttäuscht, die Aristeo für sich
haben wollte.
Vor Aristeo iehend stürzt Euridice und wird von einer Schlange gebissen. Im
dritten Akt nimmt endlich die bekannte Geschichte ihren Raum ein. Orfeo wird
erlaubt, seine Geliebte im Hades zu sehen und mit ihr zurückzukommen. Über alle
und alles wacht das königliche Paar der Unterwelt: Proserpina und Plutone, die
berührt der Bitte Orfeos stattgeben.
Porpora war der stärkste Rivale Händels in der englischen Hauptstadt, und nach
der Premiere 1736 wurde sein Orfeo so gefeiert, dass es viele Wiederholungen gab
und er kurz danach fast in ganz Europa aufgeführt wurde. Das verwundert nicht,
wenn man an die unglaubliche damalige Besetzung denkt: der Farinelli als Orfeo,
sein Rival Senesino in der Rolle Aristeo, und Euridice war Francesca Cuzzoni, ein
echter Star-Sopran, bereits ein Mythos, während sie noch tätig war.
Während die Rezitative von Porpora geschrieben wurden, zeigen weder die
Partitur noch das Libretto die Autoren der anderen Stücke: Die Namen der
zitierten Komponisten konnte man den jeweiligen Arien nicht zuschreiben. Erst
1984 konnte der englische Colin Timms dank der Entdeckung eines weiteren
Librettos neun Stücke den richtigen Autoren zuschreiben, und endlich fand der
junge Musikwissenschaftler Giovanni Andrea Sechi vor kurzer Zeit in einer
privaten Sammlung in der Schweiz eine Handschrift, in der insgesamt 19 Arien
aufgezählt wurden.
Durch stilistische Analyse konnte man eine präzise Zuschreibung erreichen, und
nun wissen wir, dass die Mehrheit der Stücke von Porpora ist. Die anderen
stammen von Arpaia, Hasse, Veracini, Vinci und Giacomelli.
Countertenor Ra aele Pe war der Titelheld, eine riesige Partie mit der Mehrheit
der Arien des gesamten Werks. Pe ist ein hervorragender Künstler, mit
o ensichtlicher Bühnenpräsenz und Expressivität. Seine lyrische volle Stimme
erklingt am besten im mittleren Register mit einer reinen Gesangslinie. In den
tiefsten Noten, wie in seiner Auftrittsarie „Parte talor dal mare“, gebraucht er
sein Brustregister, während er in den Höhen manchmal etwas angestrengt wirkt
(wie in „Vado seguendo amore“ am Ende des zweiten Aktes).
Mit glänzender Stimme hat Anna Maria Sarra die Euridice verkörpert. Ihre erste
Arie „Fasto altero, vero amore“ ist ein interessanter Wechsel zwischen
langsamen und schnellen Tempi, während sie in „Ah non lagnarti no“ mit guter
Agilität überzeugt.
Die junge Mezzosopranistin Federica Carnevale hat den Part der Autonoe mit
einem warmen, dunklen Timbre in der relativ dramatischen Auftrittsarie
„Menzogner t’ho trovato incostante“ und im stürmischen „Può ngere a etto“
überzeugend wiedergegeben, fast verschmilzt sie mit dem folgenden Chor
„Danze amorose“. Am meisten glänzt sie aber in ihrer Schlussarie „Se do
ancora“ mit ihrer perfekt unterstützen Gesangslinie und gut beherrschten
Agilität.
Foto: © Clarissa Lapolla
Aristeo gibt Rodrigo Sosa dal Pozzo. Er spielt den Charakter, den dereinst
Senesino verkörperte. Lobenswert sind seine heroischen Akzente in „Cacciator di
lento piede“ und in der „Tour de force“ im zweiten Akt, in dem er das furiose
„Sorgi dall’Erebo“ in Angri nimmt.
Mit seiner dunklen, fest timbrierten Stimme verleiht Davide Giangregorio dem
Plutone die notwendige Autorität, die auch in seinen zwei Arien gut ausgedrückt
ist, ebenso im würdevollen Rezitativ im dritten Akt mit Proserpina und Orfeo.
Foto: © Clarissa Lapolla
In den zwei kurzen Choralstücken ist das Vokal-Quartett zu loben, das von
Donatella De Luca, Arianna Manganello, Dario Pometti, Alberto Comes gebildet
wird. Die vier Sänger stammen aus der Akademie Bel Canto des Festivals della
Valle d’Itria, benannt nach Rodolfo Celletti, der für dreizehn Jahre Intendant des
Festivals in Martina Franca war und dessen Name noch heute mit dem Festival
assoziert wird.
Massimo Gasparon war für Regie, Szene, Kostüme und Licht verantwortlich. Dank
den Kostümen entstand eine barocke Atmosphäre: luxuriös, imposante, dunkle
Farben und ansehnliche Dekorationen waren laut Gasparon auch die damalige
szenische Ausstattung der Au ührung. Im Gegensatz war das Bühnenbild fast
neutral: eine nackte Szenerie, in drei Sektoren geteilt, wo nur die schwarzen
Türen und Faltenwürfe das beherrschende Weiß kontrastierten. Auch die Gestik
war würdevoll kontrolliert wie in einer historischen Au ührung, manchmal (ich
denke an Prosperpina und Plutone) in einer starren Haltung fast wie in einem
Bild.
Nach einem warmen Tag kühlte ein leichter frischer Wind den Hof. Am Schluss
feierte das Publikum die Künstler und ihren großen Erfolg.
Orfeo: Ra aele Pe
Euridice: Anna Maria Sarra
Aristeo: Rodrigo Sosa Dal Pozzo
Proserpina: Giuseppina Bridelli
Plutone: Davide Giangregorio
Autonoe: Federica Carnevale
Quartetto vocale: Donatella De Luca, Arianna Manganello, Dario Pometti,
Alberto Comes
Armonia Atenea
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