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Beginnen wir mit der Erörterung von „Medium". Dieser Ausgangspunkt liegt nahe,
weil Anwendungs- und Phänomenbereich dieses Begriffes die größere Reichweite be-
sitzen.4 Denn: Bilder, so scheint es, haben an medialen Bestimmungen teil. Zeichnung,
Radierung oder Tafelmalerei kann man beispielsweise auch Medien nennen, unbe-
nommen der Tatsache, daß die einzelne Zeichnung oder Radierung, das einzelne
Gemälde auf eine jeweilige Weise eben auch ein Bild ist. Umgekehrt kommen be-
stimmte Medien sehr wohl ohne irgendeinen ikonischen Einschluß aus. Mit anderen
Worten: es bedarf spezifischer Rahmenbedingungen, daß sich Medium und Bild wech-
selseitig determinieren.
Das zeigen die folgenden Exemplifizierungen. Sie betreffen jenen weiten Begriff
des Mediums, wie wir ihn z.B. in der Beobachtung der Natur antreffen. Bestimmte
ihrer Erscheinungsweisen, ihrer sichtbaren Befunde, so z.B. Licht, Luft oder Wasser,
lassen sich jeweils ein Medium nennen. Gleiches gilt vom scheinbar leeren interstella-
ren Raum. Niklas Luhmann hat im Hinblick auf solche Befunde das Medium gene-
rell als einen Verteilungszustand mit einem hohen Grad an Auflösung charakterisiert. 5
Die unbestimmte Streuung, oder auch die „lose Koppelung" 6 von Elementen - wel-
cher Beschreibungsweise auch immer - mithin statistische Verteilungszustände, er-
füllen einen ersten, fundamentalen Begriff des Mediums.
Zu dessen Phänomenologie zählen eine gleichmäßig hohe Durchlässigkeit und
gestreute, regellose Zwischenräume, die keine bestimmte Ordnung anbieten und keine
geregelten Wege vorschreiben. Medien sind auf eine universelle Weise hinderungsarm
und transitorisch. N u r ein latenter Selbstbezug der Elemente setzt der Diffusion des
jeweiligen Mediums jene Grenze, die verhindert, daß sich Medien untereinander um-
standslos vermischen. Eine wirksame Selbstreferenz sorgt dafür, daß beispielsweise
Licht und Luft nicht ineinander aufgehen, so sehr sie - unter irdischen Bedingungen
- auch interferieren mögen. Jeweilige Elemente beziehen sich auf ihresgleichen, was
sie freilich nicht daran hindert z.B. ein drittes Medium auszubilden, so etwas wie „At-
mosphäre" oder auch „Stimmung".
Medien unterscheiden sich in jedem Fall von diskreten Einzeldingen. Der ihnen in-
newohnende Formungszustand hat deshalb einen niedrigeren Differenzierungsgrad,
ohne daß man ihn mit einem Chaos verwechseln sollte. Ihre Unbestimmtheit macht
Medien aber auch geeignet, zum Träger von Gestaltungen zu werden, ihr implizites
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Die Entstehung von Bildern setzt, soviel ist klar geworden, die Existenz von „allge-
meineren" Medien voraus. Natürlich zuvorderst elementare Materialitäten wie das
Licht, die Fläche, die Farbe etc. In grundsätzlicherer Perspektive sind Raum und Zeit
die Medien, in die sich alle Künste auf die eine oder andere Weise einschreiben. Was
uns daran jetzt interessiert, ist eine signifikante Umkehr. Sie hat damit zu tun, daß
nicht ein vorhandenes Medium zu Bildwerken führt, sondern, umgekehrt, ein be-
stimmtes, historisch konditioniertes Hervorbringungsinteresse, d.h. eine künstleri-
sche Entscheidung, auch das Medium determiniert. So kann man beispielsweise an der
Glasmalerei den Rückbezug auf die natürliche Medialitat des Lichtes beobachten, die
aber natürlich erst in den Blick kommt, als es darum ging, einen Kirchenraum in be-
stimmter Weise zu deuten, ihn mit religiösem Sinn auszustatten. In anderer Weise re-
kurriert Landschaftsmalerei, z.B. diejenige Claude Lorrains oder Salomon Ruisdaels
auf das Medium Licht bzw. Atmosphäre, übersetzt diese Realitäten aber in die Form
einer Darstellung, in der sie indirekt, als Resultanten einer ikonischen Imagination,
auferstehen. Das Licht existiert durch Farben. Eine bestimmte Art luministischer Ma-
lerei bemächtigt sich seiner als eines dargestellten Mediums. Eine interessante Misch-
form repräsentieren abstrakte Reliefs. Einerseits lassen sie sich als Darstellungen lesen,
wie offen die in ihnen angelegte Referenz auch sein mag. Andererseits ist gerade das
Licht nicht dargestellt, sondern moduliert sich im realen Einfall auf einer differen-
zierten Oberfläche. Auch Mischformen existieren, die Licht zugleich imaginär dar-
stellen und in seiner direkten physischen Realität brechen. Man denke z.B. an die
Nagelbilder Günter Ueckers.
Auch die Bildhauerkunst knüpft an naturale, formlose oder formarme Medien wie
Ton, Gips, Blei, Holz oder Stein an. Auch sie werden als Substrat in der Perspektive
von Gestaltungsintentionen entdeckt.
Die vorausgesetzten Medien sind, wie wir sahen, aber nicht nur natürlicher, son-
dern auch religiöser, kultureller oder sozialer Art. Die in diesen Prämissen enthaltene
Formungslatenz entwickelt sich „im Lichte" bestimmter anthropologischer und hi-
storischer Konstellationen, die ihrerseits das repräsentieren, was man ein Kommuni-
kationsmedium nennen kann. Es stimuliert die Hervorbringung, beauftragt sie zu
gewissen Zeiten und ist zugleich der Adressat, an den sich die Bilder richten.
Reflexionen dieser Art schüren die Erwartung, als ließe sich die Realität des Bildes
aus der Interaktion von Medium und Form entwickeln bzw. verständlich machen. Sie
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In externer Sicht präsentieren sich die Werke unter Vorzeichen gemeinsamer Eigen-
schaften. Diese resultieren einzig und allein daraus, daß eine bestimmte Medialitat mit
ganz bestimmten Mitteln, gemäß einer bestimmten Manier und Sujetwahl geformt wird.
In diesem Zusammenhang hat sich der Begriff der Gattung eingebürgert. Er meint
Gruppeneigenschaften, die sich aus der Differenz von Medium und Formung erge-
ben, wobei erst dann von einer Gattungsordnung gesprochen werden kann, wenn sich
die einzelnen Gestaltungsformen zu einer Typologie verfestigt haben, deren Gliede-
rungen den Inbegriff aller praktizierten, bildnerischen Aktivitäten umfassen. Für die
europäische Neuzeit, zwischen der Mitte des 16. und dem frühen 19. Jahrhundert, be-
stand dieses System der Ausdifferenzierung in einer Reihe von Modalitäten, deren
wichtigste als Historienbild, Landschaft, Portrait, Stilleben und Genre geläufig waren.
Die unterschiedlichen Einzelfälle, d.h. Bilder innerhalb einer Gattung, lassen sich von
außen betrachtet wieder als Medien beschreiben, das Gattungsgefüge als ein System
medialer Ausgrenzungen und Korrespondenzen. Es etablierte sich im übrigen unter
der Voraussetzung, daß die Realität in ihrer Komplexität durch die Ordnung der Gat-
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tungen auf hinreichende Weise repräsentiert werden kann. Was nicht als Historie,
Landschaft, Portrait, etc., auch nicht durch ihre Mischformen, darzustellen war, das
hatte, bildnerisch gesprochen, auch kein Recht auf ein Bild, war mauere negligeable.
In interner Sicht bieten die Darstellungsregeln, d.h. die Modi, nach denen sich Me-
dien mit Form und Gehalt verbinden, erhebliche Spielräume der Gestaltung. Es ist
nicht ein für allemal ausgemacht, wie z.B. ein Portrait oder ein Altarbild auszusehen
haben. Im Prozeß der Konkretisierung, im Spannungsfeld von Auge und Hand,
fließen diverse Komponenten zusammen: das handwerkliche Können, künstlerisches
Ingenium, Auftraggeberwünsche, ikonographische Normen und: nicht zuletzt eben
die Materialität des Mediums selbst. Sie konvergieren, tendenziell, in jene Singularität,
die wir „Bild" nennen. An sie schließen verschiedenste, ästhetische und interpretato-
rische Reflexionen an.
Was heißt: Medium versus Bild? Damit wird ausgesprochen, daß mediale Disposi-
tive, wie z.B. die Handzeichnung, oder, enger gefaßt: das Stilleben, zwar Bilder be-
dingen, niemals aber selbst Bilder sind. Haben sich Bilder ausgeformt und werden sie
hernach als Gattungen oder Gruppen anderer Art beschrieben (z.B. „Freskomalerei
als Ordenspropaganda"), dann wird von ihrer Einzelexistenz wiederum abgesehen,
sie auf Charakteristiken allgemeiner Art hin befragt, sie sind damit nicht länger als Bil-
der im Spiel.
So einflußreich und wichtig mediale Prämissen für die einzelnen Werke sind, so
sehr sie auf sie einwirken, es kann nicht übersehen werden, daß Bilder erst in dem
Maße zu ihren eigenen Möglichkeiten kommen wie sie die Medialitat ihrer Ausgangs-
und Rahmenbedingungen überschreiten. Erst dann werden die damit gesetzten diffu-
sen Latenzen und Probabilitäten zu einem Gebilde, in dem nicht nur Bildmöglich-
keiten enthalten sind, sondern individuelle Konkretionen. Zu ihrer Eigenart zählt, daß
sich mediale Darstellungsbedingungen und Dargestelltes wechselseitig bestimmen,
ihre Interferenz zu einem definitiven Ereignis wird. Der Betrachter kann jetzt einen
spezifischen Sinn eruieren, indem er die materielle Fläche, im Falle der Malerei,
als Etwas wahrnimmt, oder - um eine Spezifikation Richard Wollheims aufzunehmen
- indem er in der Fläche Etwas erfährt. 12 „Sehen-In" reflektiert deutlicher als
„Sehen-Ais", daß Werke nicht einfach geformte Dinge sind, sondern komplexe, dem
Auge dargebotene Anordnungen, in denen dies oder jenes erscheint. Die Erzeugung
eines Sinnes verdankt sich der ikonischen Differenz. 13 Differenz ist sie auch deshalb,
weil die mediale Disposition sich in eine ganz bestimmte Realisierung verwandelt. Wer
den Gehalt eines jeweiligen Bildes, seine Metaphorizitat, im Kontext anderer Bilder
verstehen will, der muß sich auf Distinktionen einlassen, die er am jeweiligen Arte-
fakt abliest. Abliest an der spezifischen Differenz, die mediale Prämissen und Form-
entscheidungen jeweils miteinander ausgebildet haben. Damit ist natürlich nicht
bestritten, daß es methodisch sinnvoll sein kann, die Spezifik der Bilder, dort wo sie
vorliegt, zu vernachlässigen, verallgemeinernde Betrachtungen anzustellen, in denen
die Werke als Medien einer bestimmten Kommunikation wahrgenommen werden.
Was ihre Bildlichkeit bedingt, tritt dann aber in den Hintergrund.
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Geschichtliche Veränderungen der Kunst werden, wie wir gesehen haben, seit alters
von Veränderungen der einschlägigen medialen Prämissen begleitet. Beispiele dafür
existieren in Fülle. Sie haben aber zweifellos einen unterschiedlichen historischen Stel-
lenwert. Besonders folgenreich war eine Veränderung, die nicht zu einer neuen Ma-
terialität führte (z.B. zu monumentaler Plastik oder zur Vasenmalerei), sondern zu
einem Verfahren. Wir sprechen von jener Rationalisierung der Wahrnehmung und des
visuellen Darstellungsprozesses, zu der die Pythagoreer und die Euklidische Geome-
trie erste Grundlagen geschaffen haben. Erst in der Renaissance, durch die Erfindung
der zentralperspektivischen Konstruktion, die um 1425 geschehen ist, erreichte die-
ser rationale Weg ein neues Niveau, auf dem sich auch ein bis dahin unbekanntes Kon-
zept von Medium etablierte.
Wir ordnen in aller Regel, durch eine breite wissenschaftliche Literatur gestützt,
die Perspektivkonstruktion der Malerei, bzw. dem Bild zu. Jetzt sehen wir uns zu
einer Korrektur, bzw. einer Präzisierung dieser Annahme veranlaßt. Denn die mathe-
matische Zentralperspektive ist fürs erste und vor allem ein Verfahren, das Bilder er-
möglicht ohne selbst ein Bild zu sein. Sie bildet ein Medium ganz neuer Art aus. Von
ihm haben die Künstler sehr schnell einen faszinierten, aber auch ebenso reflektierten
Gebrauch gemacht, zu dem gehörte, daß nur ganz bestimmte Eigenschaften der per-
spektivischen Konstruktion im Bilde aktiviert wurden, andere aber nicht. Perspektive
als Verfahren und Medium und perspektivisches Bild indizieren mithin ganz unter-
schiedliche Sachverhalte.
Zunächst intendierte das perspektivische Darstellungsverfahren überhaupt kein be-
stimmtes Bild, sondern eben eine Möglichkeit, die sich für vielerlei darstellerische
Aufgaben eignete. Dies bestätigt auch seine Entstehung, die sich - vermutlich durch
Brunelleschi - im Milieu von Architekten und vielseitig arbeitenden Ingenieuren voll-
zog. Die neue Medialitat der Zentralperspektive charakterisiert die bereits angedeu-
tete Unabhängigkeit von einem bestimmten materiellen Substrat. Wer perspektivisch
konstruiert, der formt nicht Farbe, Ton oder Stein, der schließt auch nicht an Ikono-
graphien an, sondern der entscheidet sich für einen Satz mathematischer Regeln. Diese
erlauben es, im Prinzip und mit fortschreitender Bewältigung der konstruktiven Pro-
bleme umso mehr, alle überhaupt sichtbaren Dinge der Welt auf ihre Erscheinungs-
bedingungen hin zu überprüfen und nach Maßgabe der Regeln darzustellen.
Das Sichtbare wird vieler seiner natürlichen Eigenschaften entkleidet und als ein
dimensionales Konstrukt von Oberflächen verstanden, die sich nach der Logik der
Verkürzung wahrnehmungsrichtig darstellen lassen. Das Verfahren löst das Problem,
die Ungreifbarkeit des am Horizont verschwimmenden Fluchtpunktes derart mit dem
Augpunkt des Betrachters zu verbinden, daß sich zwischen beiden eine kontinuier-
liche, d.h. bruchlose, der realen Wahrnehmung möglichst ähnliche, Ordnung des Seh-
feldes herstellte. Die Lage der beiden Punkte verbindet eine geometrische Funktion.
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führte, sind solche Maßnahmen, die geeignet scheinen die Ordnung und Sichtbarkeit
der Fläche zu stärken. Gegen die eindeutige Dominanz von Transparenz führte er M o -
mente der Opazität ins Feld. Er aktivierte gewiße Möglichkeiten des perspektivischen
Mediums und unterwarf sie den Rahmenbedingungen der Malerei, sowohl im Fresko
wie im Tafelbild. Der Künstler stiftete eine Balance zwischen den Ansprüchen der
geometrischen Projektionslogik und jenen anderen, die sich aus der Logik des Bildes
ergeben, fallweise schlichtete er, was an Widersprüchen, was im .versus' aufkommt.
Natürlich wollte er von den Plausibilitäten profitieren, die das konstruktive Medium
bereithielt, aber er wollte ebenso sehr auch dem Bilde zu seinem Recht verhelfen.
Kurz gesagt: das perspektivische Bild unterwarf sich das perspektivische Medium.
Was aber bringt diesen Dissens überhaupt hervor? Die wichtigste Ursache liegt im
zentralperspektivischen Verfahren selbst. Es behandelt nämlich die Bildfläche als eine
reine Projektionsschicht, technisch gesprochen als ebenen Durchschnitt durch die
Sehpyramide. Damit wird der ungestörte Durchblick zum leitenden Prinzip und alles
vermieden, was ihn behindern könnte. Es geht einzig und allein darum, im prospek-
tiven Sehen das richtig verkürzte projectum auf der immateriellen Fläche aufzubauen
und alle hinderliche Opazität zu vermeiden. Für das Bild bedeutete dies einen dra-
matischen Verzicht. Wenn es nur noch transparentes Fenster wäre, durch welches der
Betrachter auf etwas stößt, dessen Anblick die eigene Wirklichkeit des Bildes verges-
sen läßt: nämlich auf das richtig Dargestellte, auf welches er durchblickt - dann hätte
die Perspektive ihre illusionistische Mitgift völlig eingelöst. Das illusionistische Bild
ist aber auf paradoxe Weise selbstzerstörerisch, d.h. ikonoklastisch. 17 Die gelungene
„Richtigkeit", die das perspektivische Medium bereitstellt, führte mithin - gesetzt sie
würde erschaffen - überhaupt nicht zu einem wirklichen Bild, als dessen minimales
Definiens wir die gleichzeitige Wahrnehmbarkeit von Darstellungsebene und Darge-
stelltem, von medialer Prämisse und ikonischer Formung nennen können.
Das perspektivische Medium ist keinesfalls neutral, es impliziert eine bestimmte
Ästhetik, die der Abbildung. Ihr Triumph besteht darin, modellhafte Analoga zur
sichtbaren Welt herzustellen und damit eine Rationalisierung zustande zu bringen, die
das reale Sehen (dieperspectiva videndi) mit dem Sehen von dargestellter Realität (der
perspectiva pingendi) zur Deckung zu bringen erlaubt. Die Mathematisierbarkeit der
Abbildungsleistung stattet das perspektivische Medium schließlich mit einer äußerst
folgenreichen Valenz, derjenigen zur Reproduktion aus. Das zeigt sich besonders deut-
lich an der Apparatur des Velums, die Leon Battista Alberti beschreibt und die dazu
diente, die mathematische Konstruktion zu mechanisieren, sie durch einen Apparat
zu vollziehen bzw. in ihrer Praktizierbarkeit zu erleichtern. 18 Zurecht sind die von
Albrecht Dürer geschaffenen Illustrationen dieser „Bilder in Aktion" berühmt und
immer wieder diskutiert worden, z.B. Der Zeichner aus seiner Abhandlung Unter-
weisung der Messung}1* Auch Dürer hegte nicht die Meinung, damit lasse sich das
richtige Darstellen dem handwerklichen bzw. künstlerischen Ingenium entziehen.
Aber er hatte verstanden, was in diesem Kontext allein interessiert, daß sich das neue
Medium nämlich tendenziell mechanisieren ließ, einer apparativen Praxis zugeführt
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Diese alten Medien des 19. Jahrhunderts, zu denen vor allem noch die bewegten Bil-
der des Films hinzugekommen sind, werden neuerdings durch eine Technologie über-
boten, die das analoge durch ein digitales Bild ersetzt. Diese neuen Medien sind nicht
nur besser und flexibler zu gebrauchen, sie durchdringen nicht nur die Arbeitswelt
und nisten sich im Alltag ein, dank ihres Anschlusses an den Computer bringen sie
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auch qualitative Differenzen ins Spiel, die der Kategorie Medium noch einmal einen
anderen Sinn und einen neuen Stellenwert verleihen.
Darüber ist inzwischen viel geschrieben worden. Nicht zuletzt ist die Konjunktur
der Kategorie Medium auf diese Entwicklung zurückzuführen, ein Begriff, der vorher
eine eher magere Geschichte durchlaufen hat, bevor er ins Zentrum von Diskursen
vordrang, auch analytische Möglichkeiten gewann, die retrospektive Anwendungen
nahelegten, wie wir sie auch selbst in diesem Zusammenhang vorgenommen haben.
Das wichtigste Unterscheidungskriterium besteht offensichtlich in einer, gegenüber
der Geometrie der Perspektive anders gearteten Unsichtbarkeit: im numerischen Code.
Gemeint sind die Rechenprozesse, die sich in der Apparatur in Gang setzen lassen. Sie
folgen einer Kette binärer Ja/Nein-Entscheidungen, einem mathematischen Pro-
gramm, dessen komplexe Anleitung imstande ist, die Generierung, Speicherung und
Kombination der Daten zu steuern. Bilder, die unter diesen Bedingungen entstehen,
sind Explikate eines Rechenvorgangs, gleichgültig, ob es sich um die Verarbeitung
eines externen Referenten handelt, der mittels Kamera auf einen Chip übertragen wird
oder um eine reine Simulation. Was sich in der visuellen Unzugänglichkeit des Rech-
ners abspielt, gelangt schließlich auf eine visuelle „Oberfläche", auf den Bildschirm
des Computers oder mittels eines Projektors an die Wand. Was immer wir als Bild
wahrnehmen, ohne den Code der Software würde es nicht entstehen. N u r was zuvor
seiner Möglichkeit nach programmiert wurde, läßt sich hernach auch als „Bild" rea-
lisieren. Im Sichtbaren, in Pixeln und Zeilenfolgen des Bildschirms, manifestieren sich
die unterlegten Codes. Die Bedingungen der Darstellung, die neue Art eines Medi-
ums, existieren in einer generellen Rechenanweisung, die den Umfang und die Struk-
tur des Möglichkeitsraumes festlegt. Jede konkrete Rechenoperation realisiert eine
zuvor festgelegte Option des Programms, die sich in diesem oder jenem Bild manife-
stiert. Digitale Bilder ähneln mithin dem Programm, das ihnen zugrunde liegt. Sie ex-
plizieren den numerischen Code.
Was bedeutet dies für den Status des Mediums, was für die entstehenden Bilder}
Digitale Bilder können im Grunde jede Gestalt annehmen. Eine leistungsfähige
Programmierung vorausgesetzt, können sie aussehen wie - wie Zeichnungen, wie
Fotos, wie Gemälde, wie verblasste oder gesteigerte Fotos von Gemälden, wie archi-
tektonische Modelle, wie ein Schachbrett mit Figuren, wie abstrakte Bilder usf. Ge-
speicherte Bilder lassen sich umrechnen, Figuren in ihrem Aussehen verändern, andere
hinzufügen, aus dem Repertoire bestimmter Merkmale eines Aussehens lassen sich
neue, virtuelle Figuren simulieren. Längst verblichene aber fotografisch gut doku-
mentierte Menschen, z.B. Schauspieler, könnten in einem neuen Film Rollen spielen,
von denen sie selbst und zu Lebzeiten keine Ahnung hatten. Die bescheidene Tech-
nik der fotografischen Manipulation mittels Retouchen, schreitet zu ungeahnter Per-
fektion weiter. Was folgt daraus für das Verhältnis von Medium und Bild?
Die neuen Medien sind in des Wortes genauer Bedeutung: wirklich Medien, d.h.
Bedingungen möglicher Bilder. Wie die Fototechnik sind sie zu fortgesetzten Repro-
duktionen imstande, wobei jetzt - der Sache nach - der Code reproduziert wird, der
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die rechnerische Realisierung steuert. Sie sind imstande, Darstellungsweisen oder Re-
ferenzen zu simulieren. So gesehen sind die Bilder der neuen Medien: Bilder von Bil-
dern. Im Sinne genuiner ikonischer Valenzen sind sie mithin überhaupt keine Bilder,
sondern Simulationen. Deren Referenz ist der Code, der sich nach einer Rechenan-
leitung ausdifferenziert. Gemessen an den Kriterien unserer Diskussion sind digitale
Bilder, als Reproduktionen, mit einem geringen Bildwert ausgestattet. Sie wollen
aussehen wie ..., nicht auf sich selbst verweisen, Transparenz an Opazität zurückbin-
den. Die Frage stellt sich, ob und wie die neuen Medien zu genuinen ikonischen Ma-
nifestationen imstande sind. Einige Ausprägungen der elektronischen Kunst, z.B.
durch Gary Hill, lassen keinen Zweifel an der prinzipiellen Eignung. 20 Ein eigenes
Thema wäre die genaue Kritik dieser Werke, der Vergleich und die Unterscheidung
gegenüber solchen Artefakten, die sich vor allem auf virtuose Vorführungen der me-
dialen Möglichkeiten, auf die Illustration des Mediums beschränken.
Das von einigen Theoretikern der neuen Medien prognostizierte Ende der Kunst
entbehrt in Wahrheit der Grundlage. Schon der Fotografie hatte man die gleiche Pro-
gnose gestellt: einerseits die Kunst zu verdrängen, andererseits nicht selbst Kunst wer-
den zu können. Unsere Argumentation betrifft vor allem den neuen medialen
Möglichkeitsraum. Seine größte Leistungsfähigkeit ist unbestritten, sie hegt aber, wie
wir sahen, vor allem im so ... wie, in der Simulation. Der unmittelbare Nutzen dieses
Mediums und seine umwälzende Bedeutung für die Arbeitswelt, ist vor allem ein in-
strumenteller. Es speichert, beschleunigt, organisiert, erschließt, informiert, illustriert,
steuert, verteilt, vernetzt, es diagnostiziert und analysiert, dient dem wissenschaftli-
chen Erkenntnisgewinn, zum Teil auf stupende Weise. Dieser rasende Erfolg hat mit
den Effekten und Evidenzen zu tun, die durch die Macht der Simulation möglich ge-
worden sind. Tatsächlich empfiehlt es sich, auch hier Medialitat und Ikonizität sorg-
sam zu unterscheiden. Ihre produktive Verbindung hat eben erst begonnen.
Anmerkungen
1
The Linguistic Turn. Recent Essays in Philosophical Method, hrsg. v. Richard Rorty,
Chicago, University of Chicago Press, 1967; vgl. hierzu auch Gottfried Boehm, „Die Wie-
derkehr der Bilder", in: Was ist ein Bild?, hrsg. v. Gottfried Boehm, München, 1994, S. 13.
2
vgl. stellvertretend: Räume des Wissens. Repräsentation, Codierung, Spur, hrsg. v. H.-J.
Rheinberger, Michael Hagner und Bettina Wahrig-Schmidt, Berlin, 1997.
3
Rheinberger, Hager, Wahrig-Schmidt (1997), S. 270.
4
Friedrich Kittler hat Elemente einer Begriffsgeschichte von Medium zusammengetra-
gen, insgesamt sind die Frequenz und der Stellenwert des Begriffes - vor dem „Medien-
zeitalter" - sporadisch und unentwickelt gewesen.
5
vgl. Niklas Luhmann, „Das Medium der Kunst", Delfln, 4, 1986, S. 6.
6
vgl. Niklas Luhmann, „Medium und Form", in: Ders., Die Kunst der Gesellschaft,
Frankfurt a.M., 1997, S. 167.
7
Luhmann (1997), S. 169.
8
Luhmann (1997), S. 165 und Luhmann (1986), S. 6.
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9
Arthur C. Danto, Die Verklärung des Gewöhnlichen, Frankfurt a.M., 1984, S. 243.
10
vgl. Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode, GW I, Tübingen, 1986, S. 146,
(Anm. 250), zur Geschichte von Darstellung/Repräsentation. Dazu auch: Gottfried
Boehm, „Zuwachs an Sein. Hermeneutische Reflexionen und bildende Kunst", in: Die
Moderne und die Grenze der Vergegenständlichung, hrsg. v. Hans-Georg Gadamer,
München, 1996, S. 110 f. Sowie: Hasso Hof mann, Repräsentation. Studien zu Wort- und
Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert, Berlin, 1974.
11
Niklas Luhmanns Argumentation in seinen wichtigen Beiträgen (Anm. 5 und 6) hat
darin ihr Ungenügen. Sie führt keine hinreichenden bildspezifischen Bestimmungen ein.
12
Richard Wollheim, Objekte der Kunst, Frankfurt a.M., 1982, S. 192-210.
13
Boehm (1994), S. 29.
14
Friedrich Kittler, Die Medien der Künste (Manuskript). Zur Perspektive als Medium:
Sybille Krämer, „Zentralperspektive, Kalkül, virtuelle Realität. Sieben Thesen über die
Weltbild-Implikationen symbolischer Formen", in: Medien-Welten, Wirklichkeiten, hrsg.
v. Gianni Vattimo/Wolfgang Welsch, München, 1998, S. 27-35. Zu den philosophischen
Implikaten der Zentralperspektivc: Gottfried Boehm, Studien zur Perspektivität. Philo-
sophie und Kunst in der frühen Neuzeit, Heidelberg 1969.
15
Gadamer (1986), S. 145.
16
Piero della Francesca, De Prospectiva Pingendi. Edizione Critica a cura di G. Nicco
Fasola, Reprint 1974 und den beigefügten Atlante dei Disegni Originali.
17
Gottfried Boehm, „Die Bilderfrage", in: Boehm (1994), S. 336.
18
Leon Battista Alberti, „Della pittura", in: Leon Battista Albertis kleine kunsthistorische
Schriften, hrsg. v. H. Janitschek, Wien, 1877, S. 100 und Anm. S. 43.
19
Albrecht Dürer, Unterweisung der Messung mit dem Zirkel und Richtscheit, Faksimile
der Ausgabe von 1525, Dietikon-Zürich, 1966.
20
vgl. Gary Hill, Arbeit am Video, hrsg. v. Theodora Vischer, Ostfildern 1995.