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Zentrum für Europäische

Integrationsforschung

Arbeitsgemeinschaft
Allgemeines Verwaltungsrecht/Verwaltungsprozessrecht
Termin 8 – 22.12.2020

Carlos Deniz Cesarano


Wissenschaftlicher Mitarbeiter – Zentrum für Europäische Integrationsforschung
(Lehrstuhl Prof. Koenig)
B.IV. Die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes

• Das abstrakte Prüfungsprogramm der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes ergibt sich aus den
verfassungsrechtlichen Maßstäben des Verwaltungshandelns gem. Art. 20 III GG i.V.m. Art. 1 III GG
(v.a. Vorbehalt und Vorrang des Gesetzes)

• Demnach ist ein Verwaltungsakt rechtmäßig, soweit er auf einer tauglichen


Ermächtigungsgrundlage beruht und sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht mit dem
geltenden Recht im Einklang steht

Verwaltungsprozessuale Verknüpfung
Die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes ist von Relevanz für die Begründetheit der verwaltungsgerichtlichen
Klage. Die Anfechtungsklage ist begründet, soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig ist und den Kläger in seinen
subjektiven Rechten verletzt (§ 113 I 1 VwGO). Im Rahmen der Verpflichtungsklage gilt es hingegen die
hypothetische Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes zu prüfen (§ 113 V 1 VwGO)
Abstrakte Darstellung
Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns
I. Ermächtigungsgrundlage
• Vorbehalt des Gesetzes gem. Art. 20 III GG
• Das Handeln der Verwaltung muss auf einer tauglichen gesetzlichen Grundlage beruhen, die die Verwaltung zu einer
entsprechenden Maßnahme ermächtigt

II. Formelle Rechtmäßigkeit


1. Zuständigkeit
2. Verfahren Vorrang des Gesetzes gem. Art. 20 III GG
3. Form Das Handeln der Verwaltung muss dem
geltenden Recht entsprechen
+ Grundrechtsbindung gem. Art. 1 III GG
III. Materielle Rechtmäßigkeit + Verhältnismäßigkeit und
1. Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage Vertrauensschutz
2. Rechtsfolge
Differenzierung zwischen Tatbestand und Rechtsfolge

• Im Rahmen der Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes gilt es zwischen
Tatbestand und Rechtsfolge klar zu differenzieren. Dies ist insbesondere auch für die gerichtliche
Kontrolldichte von Relevanz

• Im Rahmen des Tatbestandes gilt es zu überprüfen, ob es sich um einen Sachverhalt handelt, der
die Voraussetzungen der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage erfüllt (,,darf die Behörde
handeln?‘‘)
➢ Im Rahmen des Tatbestandes besteht grundsätzlich eine vollumfängliche gerichtliche Kontrolldichte
➢ Ausnahme: Unbestimmte Rechtsbegriffe mit Beurteilungsspielraum

• Im Rahmen der Rechtsfolge gilt es zu überprüfen, ob die Behörde ihre gesetzliche Ermächtigung
im Einzelfall rechtmäßig ausgeübt hat (,,hat die Behörde die richtige Maßnahme getroffen?‘‘)
➢ Hier richtet sich die gerichtliche Kontrolldichte im Falle einer Ermessensentscheidung nach § 114 VwGO, sodass die
gerichtliche Kontrolldichte auf die Prüfung der gesetzlichen Ermessensgrenzen beschränkt ist
B.IV.3.b) Die Rechtsfolge

• Im Rahmen der Rechtsfolge gilt es zwischen gebundenen Entscheidungen und


Ermessensentscheidungen zu differenzieren

• Im Falle einer gebundenen Entscheidung ist die Rechtsfolge im Gesetz vorgesehen. Die Behörde ist
dann verpflichtet, diese Rechtsfolge zu treffen

• Im Falle einer Ermessensentscheidung kann die Behörde eigenverantwortlich zwischen mehreren


Rechtsfolgen wählen

• In diesem Zusammenhang ist die Ermächtigungsgrundlage genau zu analysieren


• Eine gebundene Entscheidung liegt regelmäßig bei Formulierungen wie ,,ist‘‘, ,,muss‘‘ oder ,,hat‘‘ vor
• Eine Ermessensentscheidung liegt regelmäßig bei Formulierungen wie ,,kann‘‘, ,,darf‘‘ oder ,,ist befugt‘‘ vor.

Beachte: Vorschriften mit der Formulierung ,,soll‘‘ stellen im Grundsatz Ermessensvorschriften dar, bei
denen die Entscheidung durch den Gesetzgeber vorstrukturiert wurde (sog. intendiertes Ermessen)
B.IV.3.b) Das Ermessen

• Das Ermessen stellt einen besonderen Entscheidungsspielraum der Verwaltung dar, der eine
Flexibilität und Effizienz der Exekutive gewährleisten soll. Es wäre mit Blick auf die Anwendung
des Rechts im Einzelfall nicht praktikabel (und gesetzgebungstechnisch unmöglich) jede einzelne
Rechtsfolge zu kodifizieren

• Gesetzliche Grundlage des Ermessens ist der § 40 VwVfG, der zugleich den Maßstab für die
Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung statuiert

,,Ist die Behörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der
Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.‘‘

• Im Hinblick auf die Form des Ermessens lässt sich weiter differenzieren zwischen
Entschließungsermessen (,,Ob‘‘ des Handelns) und Auswahlermessen (,,Wie‘‘ des Handelns)
B.IV.3.b) Die Ermessenskontrolle

• Im Rahmen der Ermessenskontrolle ist zu prüfen, ob die Ermessensentscheidung der Behörde im


Einzelfall fehlerhaft war

• In diesem Zusammenhang sind verschiedene Ermessensfehler denkbar, die sich alle auf den
Wortlaut des § 40 VwVfG zurückführen lassen

➢ Ermessensüberschreitung (,,(…) die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten‘‘)


➢ Ermessensnichtgebrauch/Ermessensunterschreitung (,,hat sie ihr Ermessen (…) auszuüben‘‘)
➢ Ermessensfehlgebrauch (,,entsprechend dem Zweck der Ermächtigung‘‘)

Beachte: Die gerichtliche Kontrolldichte gem. § 114 VwGO ist allein auf die Prüfung dieser
Ermessensfehler beschränkt. Insbesondere findet keine Zweckmäßigkeitsüberprüfung statt.
B.IV.3.b) Die Ermessensüberschreitung

• Eine Ermessensüberschreitung liegt vor, wenn die Behörde mit ihrer Entscheidung gegen die
gesetzlichen Grenzen des ihr eingeräumten Ermessens verstößt

• Die gesetzlichen Grenzen des Ermessens ergeben sich aus dem Rechtsstaatsprinzip sowie dem
höherrangigen Recht

➢ Die Entscheidung der Behörde muss mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar sein. Hier gelten die
typischen Voraussetzungen (legitimer Zweck, Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit)

➢ Zudem darf die Entscheidung keine Verletzung von Grundrechten begründen


B.IV.3.b) Ermessensnichtgebrauch/-unterschreitung

• Ein Ermessensnichtgebrauch liegt vor, soweit die Behörde ihren Ermessensspielraum verkannt
hat und demzufolge ihr Ermessen gar nicht betätigt hat

➢ Ein Ermessensnichtgebrauch liegt insbesondere vor, wenn die Behörde davon ausgeht, zu einer bestimmten
Entscheidung gesetzlich verpflichtet zu sein

➢ Ein Ermessensnichtgebrauch kann nicht mehr im Prozess geheilt werden. Zwar ermöglicht der § 114 S. 2 VwGO die
Ergänzung von Ermessenserwägungen. Dies umfasst jedoch nicht die erstmalige Ermessensbetätigung im Prozess

• Eine Ermessensunterschreitung liegt hingegen vor, soweit die Behörde den Umfang ihres
Ermessensspielraums verkannt hat und davon ausgegangen ist, ihr stünden weniger
Entscheidungsmöglichkeiten zu, als dies tatsächlich der Fall ist
B.IV.3.b) Ermessensfehlgebrauch

• Ein Ermessensfehlgebrauch liegt vor, wenn die Behörde bei der Anwendung ihres Ermessens den
Zweck der gesetzlichen Grundlage verkannt hat

• Ein Ermessensfehlgebrauch kann grundsätzlich in zwei Formen auftreten

➢ Im Rahmen eines Ermessensdefizits hat die Behörde nicht alle relevanten Aspekte in die Entscheidung mit einfließen
lassen

➢ Zudem ist denkbar, dass die Behörde sachfremde Erwägungen heranzieht. In diesem Falle berücksichtigt die
Behörde folglich Aspekte, die nicht mit dem Zweck der gesetzlichen Grundlage vereinbar sind

Beachte: Im Rahmen der Prüfung des Ermessensfehlgebrauchs gilt es den Sinn und Zweck der
Ermächtigungsgrundlage im Wege einer teleologischen Auslegung zu identifizieren
Exkurs: Die Ermessensreduzierung auf Null

• Eine Ermessensreduzierung auf Null liegt vor, soweit in einer konkreten Situation nur eine
einzelne Maßnahme rechtmäßig erscheint. Voraussetzung ist somit, dass jede andere
Entscheidung ermessensfehlerhaft wäre.

• In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Grundrechte und der Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen. Eine Ermessensreduzierung auf Null ist in folgenden
Fallgruppen denkbar:

➢ Selbstbindung der Verwaltung, da jede andere Entscheidung gegen Art. 3 I GG verstieße

➢ Anspruch auf behördliches Einschreiten aufgrund der Schutzpflichten des Staates, da eine Unterlassung gegen das
Untermaßverbot verstieße

• Die Ermessensentscheidung der Behörde wandelt sich in Folge der Ermessensreduzierung auf
Null in eine gebundene Entscheidung
Die Begründetheit
Verwaltungsprozessuale Verknüpfung
Anfechtungs- und Verpflichtungsklage
Die Begründetheit
Anfechtungsklage - § 113 I 1 VwGO Verpflichtungsklage - § 113 V VwGO
,,Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger ,,Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des
dadurch in seinen subjektiven Rechten verletzt ist (…)‘‘ Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in
seinen subjektiven Rechten verletzt ist (…)‘‘
Im Rahmen der Verpflichtungsklage
I. Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes
1. Ermächtigungsgrundlage I. Anspruch auf Erlass ist die Rechtsfolge von Relevanz für
2. Formelle Rechtmäßigkeit 1. Anspruchsgrundlage die Spruchreife gem. § 113 V VwGO
3. Materielle Rechtmäßigkeit 2. Anspruchsvoraussetzungen

II. Subjektive Rechtsverletzung II. Subjektive Rechtsverletzung


III. Spruchreife
Die Spruchreife der Verpflichtungsklage

• Die Spruchreife der Verpflichtungsklage richtet sich nach § 113 V VwGO

,,Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten
verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung
vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung
der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.‘‘

• Die Spruchreife ergibt sich unmittelbar aus der Rechtsfolge der gesetzlichen Grundlage des
behördlichen Handelns

• Sofern eine gebundene Entscheidung vorliegt, ist die Sache spruchreif. Das Gericht erlässt ein Verpflichtungsurteil

• Sofern eine Ermessensentscheidung vorliegt, ist die Sache nicht spruchreif. Das Gericht erlässt ein
Bescheidungsurteil (Wahrung des Ermessensspielraums der Behörde)

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