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Thomas J. Vogl • Wolfgang Reith • Ernst J. Rummeny (Hrsg.

Diagnostische und Interventionelle Radiologie


Thomas J. Vogl • Wolfgang Reith • Ernst J. Rummeny (Hrsg.)

Diagnostische
und Interventionelle
Radiologie
Mit Beiträgen von: J. O. Balzer, A. Beer, B. Bodelle, M. Brügel, Th. Diebold,
M. Dobritz, M. Eiber, H.-P. Engels, J. Gaa, C. Hannig, P. Hellerhoff, C. Herzog,
C. Hillerer, K. Holzapfel, T. Link, F. Marquart, D. Müller, P. Proschek,
W. Reith, E. J. Rummeny, S. Schmidt, J. Stollfuss, Th. Vogl, S. Waldt, A. Wetter,
A. Wuttge-Hannig, S. Zangos

Mit 2551 Abbildungen

123
Prof. Dr. med. Thomas J. Vogl
Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie
Klinikum der Johann-Wolfgang Goethe-Universität
Theodor Stern Kai 7
60590 Frankfurt
T.Vogl@em.uni-frankfurt.de

Prof. Dr. med. Wolfgang Reith


Klinik für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie
Universitätsklinikum des Saarlandes
66421 Homburg/Saar
nrreith@uniklinik-saarland.de

Prof. Dr. med. Ernst J. Rummeny


Institut für Radiologie
Klinikum rechts der Isar
Technische Universität München
Ismaninger Straße 22
81675 München
rummeny@roe.med.tu-muenchen.de

ISBN 978-3-540-87667-0 Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York

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Lektorat: Dr. Susanne Meinrenken, Bremen
Zeichnungen: Emil Wolfgang Hanns, Gundelfingen, Ingrid Schobel, München
Layout und Umschlaggestaltung: deblik Berlin
Satz, Reproduktion und digitale Bearbeitung der Abbildungen: Fotosatz-Service Köhler GmbH – Reinhold Schöberl, Würzburg

SPIN: 10985953

Gedruckt auf säurefreiem Papier


V

Geleitwort
Die moderne Diagnostische und Interventionelle Radiologie ist von allen Disziplinen der Medizin in beson-
derem Maße ständig sich wandelnden Bedingungen unterworfen. Vor dem Hintergrund eines stetig sich be-
schleunigenden technischen Fortschritts und der sich weiter entwickelnden diagnostischen und interventio-
nell-therapeutischen Möglichkeiten ist es für jeden angehenden Facharzt wie auch jeden gestandenen Kolle-
gen trotz der zunehmenden Subspezialisierungen immens wichtig, einen möglichst kompletten Überblick
über das gesamte Fachgebiet zu haben. Leider gibt es seit Jahren in unserem Fach kein einzelnes Buch in
deutscher Sprache mehr, dass dem Anspruch, die gesamte Radiologie auf »state-of-the-art«-Facharztniveau
darzustellen, gerecht wird.
Vor diesem Hintergrund haben sich die Herausgeber des vorliegenden Werkes der Herausforderung ge-
stellt, ein solches aktuelles Übersichts- und Nachschlagewerk zu schaffen, welches den Anfänger durch seine
Facharztweiterbildung begleitet und auch dem erfahrenen Praktiker einen Überblick über das gesamte Fach
vermittelt.
Dieser großen Herausforderung wird das Werk voll und ganz gerecht. Den Herausgebern und Autoren ist
es gelungen, in prägnanten Kapiteln mit über 2500 hochwertig reproduzierten Abbildungen von der Indika-
tionsstellung und -überprüfung über die systematische Herangehensweise bei der Bildanalyse bis hin zu allen
gängigen interventionellen Verfahren das gesamte Fachgebiet auf heutigem Standard darzustellen.
Angesichts der großen und wachsenden Bedeutung der bildgebenden Verfahren und der Zunahme sowohl
der Patientenzahlen in der diagnostischen Radiologie wie auch der Zahl der interventionellen Eingriffe, ist die
Zeit für eine strukturierte Facharztweiterbildung häufig genug begrenzt. Gerade deshalb ist diesem Buch eine
große Verbreitung zu wünschen.

Prof. Dr. Maximilian Reiser


Direktor des Instituts für Klinische Radiologie am Klinikum der Universität München
VII

Vorwort
Die Fachgebiete der Diagnostischen und Interventionellen Radiologie wie auch der Neuroradiologie unter-
liegen einem enormen raschen Wandel und sowohl technische als auch klinische Innovationen stellen Tag
für Tag eine große Herausforderung an diese Disziplinen dar. Auch neue Therapieverfahren stellen den Radio-
logen täglich vor neue Herausforderungen. Jährlich ändern sich die Indikationen für die verschiedenen diag-
nostischen und interventionellen Fragestellungen, einzelne Techniken kommen hinzu und andere Techniken
werden durch moderne, weniger invasive oder belastende Verfahren abgelöst. Die ständige Qualitätsverbes-
serung resultiert in einer weiteren Standardisierung von diagnostischen Untersuchungen und Strukturierun-
gen von Befunden. Im vorliegenden Buch sind einmal zunächst die technischen Grundlagen für alle bild-
gebenden Verfahren vorgestellt. Für die jeweiligen Kapitel der Diagnostischen und interventionellen Radio-
logie sowie Neuroradiologie sind die klinischen Fragestellungen an die untersuchungstechnischen Aspekte
angelegt.
Trotz weiterer Subspezialisierungen in den obigen Fachgebieten ist es enorm wichtig, das notwendige
Facharztwissen und die Weiterbildungsinhalte zu definieren und die notwendigen Informationen für den
angehenden Facharzt zusammenzutragen. Gerade die Konzentration auf die wesentlichen Informationen stellt
die größte Herausforderung an Herausgeber und Autoren dar.
Die zunehmend eingeschränkten personellen und materiellen Ressourcen bei steigendem Leistungsvo-
lumen erfordern auch einen gezielten Einsatz der einzelnen bildgebenden Verfahren entsprechend den Leit-
linien. Dabei wurde versucht, den Einsatz der bildgebenden Verfahren den Leitlinien anzupassen, die sowohl
für die radiologischen Disziplinen als auch für die klinischen Disziplinen und Fragestellungen gelten.
Zusammen mit den Mitarbeitern vom Springer Medizin Verlag haben wir dieses gesamte Wissen struk-
turiert und in einem Buch zusammengefasst. Diesen dynamischen Prozess zu steuern, die wesentlichen In-
formationen herauszugreifen, hat uns – den Herausgebern und den Autoren – sehr viel Freude gemacht und
in den zahlreichen Kapiteln wird der Leser hoffentlich auf diesen Enthusiasmus stoßen.
Es ist uns gelungen, ein Kompendium für den angehenden Facharzt mit Zielrichtung einer strukturierten
Weiterbildung und der Umsetzung in die tägliche Praxis zu verfassen. Da es sich um einen sehr dynamischen
Prozess handelt, wird weiter an der Optimierung gearbeitet werden müssen.
Wir als Autoren und Herausgeber hoffen, dass ein hoher Bedarf an einer strukturierten systemischen und
übersichtlichen Darstellung der Technik, der Indikationen, der diagnostischen Kriterien und der Differenzial-
diagnostik wie auch der Interventionen auf dem Gebiet der Diagnostischen und Interventionellen Radiologie
und Neuroradiologie besteht.
Wir bedanken uns bei all den Kollegen und Kolleginnen, die dieses Buch unterstützt haben – sowohl bei
der Vorbereitung als auch bei der Erstellung und Zusammenstellung des Stoffs. Den Mitarbeitern des Springer
Medizin Verlags und der Lektorin Susanne Meinrenken sei für die hochkompetente Beratung und den
enormen Einsatz gedankt.

Thomas J. Vogl
Wolfgang Reith
Ernst J. Rummeny
IX

Inhaltsverzeichnis
14 Orbita . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415
I Allgemeine Radiologie Th. Vogl

15 Kiefergelenk und Zähne . . . . . . . . . . . . . . . . . 445


1 Physikalische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Th. Vogl
W. Reith
16 Speicheldrüsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455
2 Strahlenbiologie und Strahlenschutz . . . . . . . . . 11 Th. Vogl
W. Reith
17 Oropharynx und Mundhöhle . . . . . . . . . . . . . . 465
3 Konventionelle Röntgendiagnostik . . . . . . . . . . 21 Th. Vogl
W. Reith
18 Larynx, Hypopharynx und Weichteile . . . . . . . . . 473
4 Computertomographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Th. Vogl
W. Reith

5 Magnetresonanztomographie . . . . . . . . . . . . . 37
W. Reith IV Thorax, Mediastinum, Pleura
6 Angiographie und Intervention . . . . . . . . . . . . 45
W. Reith 19 Thorax, Mediastinum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489
P. Proschek, Th. Vogl
7 Ultraschall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
W. Reith

8 Kontrastmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 V Mamma
W. Reith

20 Bildgebende und Interventionelle Diagnostik


der Brustdrüse mittels Röntgen-Mammographie,
II Neuroradiologie Mamma-Sonographie und MR-Mammographie . . 613
Th. Diebold, Th.Vogl

9 Gehirn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
W. Reith
VI Herz und Gefäße
10 Wirbelsäule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
W. Reith
21 Herz und Gefäße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681
C. Herzog, Th. Vogl

III Kopf und Hals 22 Gefäßdiagnostik und Interventionstechniken . . . 715


J. O. Balzer, Th. Vogl

11 Felsenbein und mittlere Schädelbasis . . . . . . . . 361 23 Vaskuläre interventionelle Therapieverfahren . . . 739


Th. Vogl Th. Vogl, B. Bodelle

12 Nasopharynx und Parapharyngealraum . . . . . . . 385


Th. Vogl

13 Gesichtsschädel, Nasennebenhöhlen und Orbita 397


Th. Vogl
X Inhaltsverzeichnis

37 Primäre und sekundäre Knochentumoren . . . . . . 1141


VII Gastrointestinaltrakt S. Waldt

38 Tumorähnliche Knochenläsionen
24 Leber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 757 (Tumor-like lesions) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1171
C. Hillerer, K. Holzapfel, J. Gaa, Th. Vogl S. Waldt

25 Gallenblase und Gallenwege . . . . . . . . . . . . . . 827 39 Systemische Skeletterkrankungen . . . . . . . . . . 1179


M. Brügel, J. Gaa S. Waldt, D. Müller, T. Link

26 Pankreas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 863 40 Erkrankungen der Gelenke . . . . . . . . . . . . . . . 1221


M. Brügel S. Waldt, M. Eiber

27 Milz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 901
E.J. Rummeny, M. Eiber
Anhang
28 Radiologische Diagnostik des Schluckakts
und des Ösophagus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 913
P. Hellerhoff, A. Wuttge-Hannig, C. Hannig Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1271

29 Magen und Darm (Dünndarm, Dickdarm Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1277


und Rektum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 951
J. Stollfuss, P. Hellerhoff

VIII Urogenitaltrakt

30 Nebenniere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 995
E. J. Rummeny, K. Holzapfel

31 Nieren, Harnwege und Harnblase . . . . . . . . . . . 1005


A. Beer, E. J. Rummeny

32 Prostata, Hoden und Nebenhoden . . . . . . . . . . 1049


A. Wetter, Th. Vogl

33 Diagnostik der inneren weiblichen Genitalorgane 1061


S. Zangos, F. Marquart

IX Knochen und Gelenke

34 Allgemeine Traumatologie . . . . . . . . . . . . . . . . 1093


S. Schmidt, H.-P. Engels

35 Spezielle Traumatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 1099


H.-P. Engels

36 Entzündliche Erkrankungen des Knochens . . . . . 1131


S. Waldt, K. Holzapfel
XI

Autorenverzeichnis
Dr. med. Jörn O. Balzer Dr. med. Hans-Peter Engels Dr. med. Franz Marquart
Facharzt für Diagnostische Radiologie Radiologische Praxis Internist – Endokrinologie
St. Vincenz-Elisabeth-Hospital Halderstraße 29 Lehrpaxis der Universität München
Abteilung Radiologie 86150 Augsburg Isabellastraße 31
An der Goldgrube 11 80796 München
55131 Mainz Prof. Dr. med. Jochen Gaa
Institut für Radiologie Dr. med. Dirk Müller
PD Dr. med. Ambros Beer Klinikum rechts der Isar Institut für Radiologie
Klinik für Nuklearmedizin der Technischen Universität München Klinikum rechts der Isar
Klinikum rechts der Isar Ismaninger Straße 22 der Technischen Universität München
der Technischen Universität München 81675 München Ismaninger Straße 22
Ismaninger Straße 22 81675 München
81675 München Prof. Dr. med. Christian Hannig
Institut für Radiologie Dr. med. Petra Proschek
Dr. med. Boris Bodelle Klinikum rechts der Isar MedKonsil Medizinisches Versorgungs-
Institut für Diagnostische der Technischen Universität München zentrum GmbH
und Interventionelle Radiologie Ismaninger Straße 22 Friedrichstraße 43
Klinikum der Johann Wolfgang Goethe- 81675 München 65185 Wiesbaden
Universität
Theodor-Stern-Kai 7, Haus 23 C Dr. med. Paul Hellerhoff Prof. Dr. med. Wolfgang Reith
60590 Frankfurt Klinikum Dritter Orden Klinik für Diagnostische und Inter-
Abteilung Radiologie ventionelle Neuroradiologie
Dr. med. Melanie Brügel Menzinger Straße 44 Universitätsklinikum des Saarlandes
Institut für Radiologie 80638 München 66421 Homburg/Saar
Klinikum rechts der Isar
der Technischen Universität München Dr. med. Christopher Herzog Prof. Dr. med. Ernst J. Rummeny
Ismaninger Straße 22 Radiologie München Institut für Radiologie
81675 München Ärztehaus Klinikum rechts der Isar
Burgstraße 7 der Technischen Universität München
Dr. med. Thomas Diebold 80331 München Ismaninger Straße 22
Radiologische Gemeinschaftspraxis 81675 München
Bad Homburg Dr. med. Claudia Hillerer
Hessenring 64 Klinik für Nuklearmedizin Dr. med. Stefan Schmidt
61348 Bad Homburg Klinikum rechts der Isar Klinik für Nuklearmedizin
der Technischen Universität München Klinikum rechts der Isar
Dr. med. Martin Dobritz Ismaninger Straße 22 der Technischen Universität München
Institut für Radiologie 81675 München Ismaninger Straße 22
Klinikum rechts der Isar 81675 München
der Technischen Universität München Dr. med. Klaus Holzapfel
Ismaninger Straße 22 Institut für Radiologie PD Dr. med. Jens Stollfuss
81675 München Klinikum rechts der Isar Abteilung für Radiologie
der Technischen Universität München und Nuklearmedizin
Dr. med. Matthias Eiber Ismaninger Straße 22 Klinikum Memmingen
Institut für Radiologie 81675 München Bismarckstraße 23
Klinikum rechts der Isar 87700 Memmingen
der Technischen Universität München Prof. Dr. med. Thomas Link
Ismaninger Straße 22 Department of Radiology
81675 München University of Southern California
1500 San Pablo Street
90033 Los Angeles, CA, USA
XII Autorenverzeichnis

Prof. Dr. med. Thomas J. Vogl Dr. med. Axel Wetter PD Dr. med. Stephan Zangos
Institut für Diagnostische und Klinik für Radiologie und Neuroradiologie Institut für Diagnostische und
Interventionelle Radiologie Klinikum Duisburg-Wedau-Kliniken Interventionelle Radiologie
Klinikum der Johann Wolfgang Zu den Rehwiesen 9–11 Klinikum der Johann Wolfgang
Goethe-Universität 45133 Essen Goethe-Universität
Theodor-Stern-Kai 7, Haus 23 C Theodor-Stern-Kai 7, Haus 23 C
60590 Frankfurt Dr. med. Anita Wuttge-Hannig 60590 Frankfurt
Gemeinschaftspraxis Radiologie –
PD Dr. med. Simone Waldt Strahlentherapie – Nuklearmedizin
Institut für Radiologie Karlsplatz 3–5
Klinikum rechts der Isar 80335 München
der Technischen Universität München
Ismaninger Straße 22
81675 München
I

Allgemeine Radiologie

1 Physikalische Grundlagen –3
W. Reith

2 Strahlenbiologie und Strahlenschutz – 11


W. Reith

3 Konventionelle Röntgendiagnostik – 21
W. Reith

4 Computertomographie – 29
W. Reith

5 Magnetresonanztomographie – 37
W. Reith

6 Angiographie und Intervention – 45


W. Reith

7 Ultraschall – 49
W. Reith

8 Kontrastmittel – 55
W. Reith
1

1 Physikalische Grundlagen
W. Reith

1.1 Strahlungsarten –4
1.1.1 Teilchenstrahlung – 4
1.1.2 Wellenstrahlung (elektromagnetische Strahlung) –4

1.2 Struktur von Materie und radioaktiver Zerfall –4


1.2.1 Aufbau von Atomen – 4
1.2.2 Formen des radioaktiven Zerfalls –5
1.2.3 Das Zerfallsgesetz – 6

1.3 Wechselwirkung von Strahlung und Materie –6


1.3.1 Allgemeines – 6
1.3.2 Röntgenstrahlung –7

1.4 Messung von Strahlung/Dosimetrische Größen –9


1.4.1 Messgrößen in der Nuklearmedizin –9
1.4.2 Nachweis von Strahlung – 9
4 Kapitel 1 · Physikalische Grundlagen

1.1 Strahlungsarten
1 . Tab. 1.1. Die wichtigsten Korpuskel und ihre Eigenschaften
Als Strahlung wird jede freie Ausbreitung von Energie im Raum
Korpuskel Ladung Masse im Energie bei
bezeichnet, wobei man Teilchenstrahlung (Korpuskularstrahlung) Vergleich einer Reichweite
und Wellenstrahlung (elektromagnetische Strahlung) unterschei- zum Elektron von 10 cm
det. Da in der Quantentheorie der Wellenstrahlung Teilcheneigen-
schaften zugesprochen werden, wird elektromagnetische Wellen- Elektron (β–) –1 1 20 MeV
strahlung auch als Photonen- oder Quantenstrahlung bezeichnet. Positron (β+) +1 1 20 MeV
Die Energie der Strahlung wird in Joule oder Elektronenvolt ge-
Proton +1 1836 100 MeV
messen. Ein Joule ist die Energie, die man aufwenden muss, um
eine Masse von ca. 100 g um 1 m anzuheben. Eine Ladung Q kann Neutron 0 1839 –
durch elektrische Felder beschleunigt werden, wobei beim Durch-
α-Teilchen +2 7294 600 MeV
laufen einer Spannungsdifferenz U kinetische Energie gewonnen (Heliumkern)
wird. Ein Elektronenvolt ist die Energie, die ein Elektron beim
Die Reichweite von Neutronen ist wie bei Photonen nicht begrenzt,
Durchlaufen einer Spannungsdifferenz von 1 V aufnimmt. Für die
es findet nur eine exponenzielle Schwächung der Intensität statt
Umrechnung gilt:

1 J entspricht 6,242 · 1018 Elektronenvolt


lung, γ-Strahlung und Mikrowellen gerechnet. Sie unterscheiden
sich nur durch die Frequenz der Strahlung und damit durch ihre
1.1.1 Teilchenstrahlung Energie.

Die Bestandteile der Teilchenstrahlung, die Korpuskel, besitzen


eine Ruhemasse (m0) und können eine Ladung tragen. Ihre Ener- 1.2 Struktur von Materie
gie setzt sich aus der so genannten Ruheenergie E0 und Bewe- und radioaktiver Zerfall
gungsenergie Ekin zusammen:
1.2.1 Aufbau von Atomen
E = E0 + Ekin
Das Atom ist aus Protonen, Neutronen und einer Hülle aus Elek-
Die Ruheenergie ergibt sich aus der Ruhemasse und der Licht- tronen aufgebaut. Nach dem Atommodell von Rutherford be-
geschwindigkeit (c): stehen Atome aus einer Hülle aus negativ geladenen Elektronen
und einem positiv geladenen Kern. Die Elektronen werden durch
E0 = m0 × c2 die elektromagnetische Wechselwirkung an den Kern gebunden.
Der Atomkern besteht aus Nukleonen, den positiv geladenen
Protonen und den ungeladenen Neutronen. Die Nukleonen wer-
1.1.2 Wellenstrahlung den durch die Kernkraft aneinander gebunden. Diese anziehende
(elektromagnetische Strahlung) Kraft ist im Bereich der kurzen Distanz des Atomkerns sehr viel
stärker als die abstoßende elektromagnetische Kraft, die zwischen
Elektromagnetische Wellen bestehen aus einem elektrischen und den positiv geladenen Protonen wirkt.
einem magnetischen Feld. In der Quantentheorie werden elek- Die Atome eines chemischen Elements werden durch die
tromagnetischen Wellen Teilcheneigenschaften zugesprochen. Zahl der Protonen charakterisiert, die als Ordnungszahl Z be-
Diese Teilchen, Photonen, tragen weder Masse noch Ladung, zeichnet wird (. Abb. 1.1). Atome mit gleicher Protonenzahl,
sondern nur Energie der Strahlung. aber verschiedener Neutronenzahl N, werden als Isotope eines
Wellen werden durch ihre Wellenlänge λ, ihre Frequenz f und Elements bezeichnet. Eine durch eine bestimmte Protonen- und
ihre Amplitude A beschrieben. Wellenlänge und Frequenz sind Neutronenzahl charakterisierte »Atomsorte« wird als Nuklid be-
über die Ausbreitungsgeschwindigkeit C verknüpft: zeichnet. Die Summe aus Protonen- und Neutronenzahl wird als
Massenzahl A bezeichnet. Ein Atom ist dann nach außen hin
C=λ×f elektrisch neutral, wenn die Anzahl der Elektronen in der Hülle
der Anzahl der Protonen im Kern entspricht. Ist die Zahl der
Elektromagnetische Strahlung breitet sich stets mit Lichtge-
Hüllenelektronen verschieden von der Protonenzahl, so ist das
schwindigkeit aus. Die Energie der elektromagnetischen Strah-
Atom elektrisch geladen, wobei man dann nicht von einem Atom,
lung ist ihrer Frequenz f proportional:
sondern von einem Ion spricht. Dieser Zustand wird durch An-
E=h×f gabe des Ladungszustandes dargestellt, z. B. Na+, Cl-, Fe2+.
Aus der zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelten Theorie
Dabei ist h die Naturkonstante (Planck’sches Wirkungsquantum). der Quantenmechanik folgte, dass sich Elektronen nur auf Scha-
Zu den elektromagnetischen Wellen werden auch sichtbares Licht, len bestimmter Energie (Energieniveaus) bewegen können. Die
Infrarotstrahlung, UV-Strahlung, Radiowellen, Röntgenstrah- Zahl der Elektronen pro Schale ist dabei begrenzt, die Schalen
1.2 · Struktur von Materie und radioaktiver Zerfall
5 1

. Abb. 1.1. Aufbau eines Atoms am Beispiel von 4He (Schemazeichung; . Abb. 1.2. Das Schalenmodell am Beispiel des Natriums. Schematische
p: Protonen, n: Neutronen, e -: Elektronen) Darstellung von Anregung, Ionisation und Erzeugung der charakteristi-
schen Strahlung (Einzelheiten im Text)

werden in der Reihenfolge zunehmender Energie angeordnet 1.2.2 Formen des radioaktiven Zerfalls
und als K-, L-, M-, N-Schalen etc. bezeichnet. Ihr Energiewert
entspricht der Energie, die notwendig ist, um das jeweilige Elek- α-Zerfall. Beim α-Zerfall wird die α-Strahlung emittiert. Das Ele-
tron vollständig vom Atom zu trennen. Statt ein Atom zu ver- ment X wandelt sich unter Aussendung eines Heliumkerns in
lassen (Ionisation), kann ein Elektron auf eine Schale höherer das Element Y um. Dadurch verringert sich seine Massenzahl,
Energie übergehen (Anregung). Die Energiedifferenz muss dem die Ordnungszahl, um 2. Die frei werdende Energie wird in Be-
Elektron, z. B. durch Strahlung, zugeführt werden. Geht ein an- wegungsenergie des Heliumkerns umgesetzt.
geregtes Elektron wieder auf eine Schale geringerer Energie über,
wird die Energiedifferenz in charakteristische Strahlung (Rönt- β-Zerfall. Beim β-Zerfall wird β-Strahlung in Form eines β-Teil-
genstrahlung) oder bei leichtatomigem Material in Form eines chens (Elektron und Positron) emittiert. Daher unterscheidet
Auger-Elektrons umgesetzt. Die Emission von Licht wird als man zwischen β‒ und β+-Zerfall. Beim β‒-Zerfall wandelt sich
Lumineszenz bezeichnet. Durch die Messung der Energie der ein Neutron unter Aussendung eines Elektrons und eines Anti-
charakteristischen Strahlungen (Spektroskopie) kann das che- neutrinos in ein Proton um. Dadurch erhöht sich die Ordnungs-
mische Element eindeutig identifiziert werden. Die Elektronen- zahl des Elements um 1. Das Antineutrino besitzt keine Ladung
hülle legt die elektronischen Eigenschaften eines Atoms fest. und nur eine verschwindend geringe Masse, teilt sich jedoch mit
Atome mit abgeschlossenen Schalen (z. B. die Edelgase Helium dem Elektron die frei werdende Bewegungsenergie.
und Neon) sind chemisch reaktionsträge (. Abb. 1.2). Beim β+-Zerfall wandelt sich ein Proton unter Aussendung
Auch der Atomkern zeigt eine Schalenstruktur, wobei die eines Positrons und eines Neutrinos in ein Neutron um. Im Ge-
Schalenübergänge wie von Nukleonen nur unter Energieaufnah- gensatz zum β‒-Zerfall verringert sich dadurch die Ordnungszahl
me (Kernanregung) oder Energieabgabe (Kernzerfall) in Form des Elements um 1. Positron und Neutrino teilen sich die frei
von energetischer Strahlung möglich sind. werdende Energie.
1896 stellte Becquerel fest, dass eine photographische Platte Kurz nach seiner Entstehung vereinigt sich das Positron mit
durch Urankristalle geschwärzt wird. Dies führte zur Entdeckung einem Hüllenelektron. Dabei entstehen 2 Photonen (Vernich-
des radioaktiven Zerfalls. Beim radioaktiven Zerfall wandelt tungsstrahlung) mit einer Energie von je 0,511 MeV. Bei Aussen-
sich der Atomkern eines chemischen Elements spontan und dung eines Positrons und Neutrinos kann ein Elektron aus der
unter Aussendung von Strahlung in den Atomkern eines anderen K-Schale in den Atomkern integriert werden (Elektronenein-
chemischen Elements um. Diese Eigenschaft bezeichnet man als fang, K-Einfang). Dabei wird charakteristische Strahlung frei-
Radioaktivität. Nuklide mit dieser Eigenschaft werden als radio- gesetzt. Beim β-Zerfall und beim Elektroneneinfang bleibt die
aktive Nuklide bezeichnet. Bei den meisten Elementen lassen Massenzahl gleich.
sich stabile und instabile Isotope (radioaktive) unterscheiden.
Der durch einen radioaktiven Zerfall neu entstehende Kern kann γ-Zerfall. Der γ-Zerfall ist keine echte Kernumwandlung, da sich
seinerseits instabil sein, sodass eine Zerfallskette entsteht. Der weder die Massen- noch die Ordnungszahl verändert. Bei diesem
radioaktive Zerfall wird nach der dabei emittierten Strahlung Zerfall geht ein angeregter Kern X+, wie er z. B. nach einem
eingeteilt. Wird beim radioaktiven Zerfall eines instabilen Kerns α- oder β-Zerfall entsteht, unter Aussendung eines Photons
immer dieselbe Strahlungsart frei, spricht man von einem reinen (γ-Quant, daher γ-Strahlung) in einen Zustand geringerer Ener-
Strahler. Bei manchen radioaktiven Nukliden treten verschie- gie über. Nuklide, deren Kerne längere Zeit im angeregten Zu-
dene Zerfallsarten auf (z. B. bei 64Cu). stand verweilen, bezeichnet man als metastabil. Dies wird durch
6 Kapitel 1 · Physikalische Grundlagen

ein »m« neben der Massenzahl gekennzeichnet (z. B. 99mTc). Sie


1 sind reine γ-Strahler.

1.2.3 Das Zerfallsgesetz

Der radioaktive Zerfall ist ein stochastischer Prozess. Für einen


einzelnen Atomkern kann nur die Zerfallswahrscheinlichkeit pro
Zeitintervall oder die mittlere Lebensdauer angegeben werden.
Das Zerfallsgesetz N(t) = N0e-λt gibt an, wie viele von den
anfänglich vorhandenen Kernen (N0) nach Ablauf der Zeit t im
Mittel noch vorhanden sind. Dabei ist λ die Zerfallskonstante.
Die Zerfälle pro Sekunde ergeben die Aktivität des radioaktiven
Isotops (Einheit = Becquerel =1 Zerfall/s). Aus der mittleren Le-
bensdauer des radioaktiven Isotops lässt sich dessen Halbwerts-
zeit berechnen. Die Halbwertzeit ist die Zeitspanne, nach der die
Hälfte der ursprünglich vorhandenen Kerne und damit nur noch
die Hälfte der ursprünglichen Radioaktivität vorliegt.
Typische Radionuklide, die in der Medizin verwendet wer-
den, und ihre Halbwertzeiten sind : 99mTc (6 h), 60Co (5,3 Jahre),
131J (8 Tage) und 67Ga (78 h).

1.3 Wechselwirkung von Strahlung


und Materie

1.3.1 Allgemeines . Abb. 1.3a, b. Schwächungsvorgänge der diagnostischen Röntgenstrah-


lung bei zwei verschiedenen Spannungswerten, schematische Darstellung.
Bei einer Wechselwirkung von Strahlung mit Materie wird Ener- a Bei niedriger Spannung überwiegt die Absorption; die Streuung erfolgt
gie auf Atome übertragen, was zur Anregung oder Ionisation nach allen Richtungen. b Bei höherer Spannung nimmt die Absorption ab
führt. Die Wechselwirkungen, die hierzu führen, heißen auch und die Streustrahlung nimmt relativ zu; die Strahlung wird mehr in Rich-
tung der Primärstrahlung gestreut
Primärprozesse. Je nachdem, ob die übertragene Energie zur
Ionisation ausreicht, spricht man von ionisierender oder von
nichtionisierender Strahlung. Beispiele für ionisierende Strah-
lung sind alle Arten von Korpuskularstrahlung sowie Röntgen-, elektron übertragen. Das Elektron, auch als Photoelektron bezeich-
γ-, und UV-Strahlung. Nichtionisierende Strahlung sind sicht- net, löst sich dann aus der Atomhülle (Ionisation) (. Abb. 1.4).
bares Licht und Wärmestrahlung. Direkt ionisierende Strahlung Beim Photoeffekt ist die Energie des Photons größer als die Bin-
führt durch Zusammenstoß mit Elektronen zu Anregung und dungsenergie des Elektrons. Der Photoeffekt findet vorwiegend an
Ionisation. Indirekt ionisierende Strahlung wird durch Atome den inneren Schalen der Atomhülle statt. Die Schale wird durch ein
absorbiert oder gestreut, wobei geladene Korpuskeln entstehen, Elektron aus einer äußeren Schale wieder aufgefüllt, wobei charak-
die zu Anregung und Ionisation führen. Trifft indirekt ionisie- teristische Strahlung oder seltener ein Auger-Elektron emittiert
rende Strahlung auf Atome, kann sie durch diese absorbiert oder wird. Unterschreitet die Strahlungsenergie absorbierter Photonen
gestreut werden, wodurch sie geschwächt wird (. Abb. 1.3). die Energie einer Schale, tritt eine Absorptionskante auf.
Zwischen Photonen und Materie gibt es 5 Formen der Wech-
selwirkung: Compton-Effekt
4 Photoeffekt Beim Compton-Effekt (Compton-Streuung) gibt ein Photon
4 Compton-Effekt einen Teil seiner Energie an ein Hüllenelektron ab. Durch den
4 Paarbildung Zusammenstoß wird das Photon aus seiner ursprünglichen Rich-
4 klassische Streuung tung abgelenkt, gestreut und fliegt mit geringerer Energie bzw.
4 Kernreaktionen Frequenz weiter (. Abb. 1.5).

Dabei beruhen der Photoeffekt, Paarbildung und Kernreaktion Paarbildung


auf der Absorption eines Photons durch ein Atom. Bei hohen Strahlungsenergien tritt die so genannte Paarbildung
auf, bei der ein Photon von einem Atom absorbiert wird (. Abb. 1.6).
Photoeffekt Es wandelt sich im Feld des Atomkerns in ein Elektron-Positron-
Beim Photoeffekt trifft ein Photon auf ein Hüllenelektron und wird Paar um. Das Positron vereinigt sich in unmittelbarer Nähe seines
absorbiert. Die gesamte Energie des Photons wird auf das Hüllen- Entstehungsorts mit einem Hüllenelektron, und es entsteht Ver-
1.3 · Wechselwirkung von Strahlung und Materie
7 1

. Abb. 1.4. Schematische Darstellung des Photoeffekts: Freisetzung eines . Abb. 1.6. Schematische Darstellung der Paarbildung. Wechselwirkung
Elektrons aus einer inneren Schale durch vollständige Absorption eines Photons mit einem Kernfeld, wobei je ein Elektron und ein Positron auftreten

. Abb. 1.5. Schematische Darstellung des Compton-Effekts: Freisetzung


eines Elektrons aus einer äußeren Schale durch Absorption eines Photons;
dabei wird ein Photon geringerer Energie in einem abweichenden Winkel . Abb. 1.7. Schematische Darstellung der klassischen Streuung (Einzelhei-
abgestrahlt ten im Text)

nichtungsstrahlung mit einer Energie >1,022 MeV. Die bei diesen die Emission eines Protons oder eines Neutrons die größte Be-
Wechselwirkungen gebildeten Elektronen erzeugen durch weitere deutung hat (. Abb. 1.8).
Ionisationen sekundär Elektronen.

Klassische Streuung 1.3.2 Röntgenstrahlung


Bei der klassischen Streuung, kohärenten oder Rayleigh-Streu-
ung, trifft ein Photon auf ein Hüllenelektron und verändert da- Bei der Wechselwirkung von Strahlung mit Materie wird Energie
durch seine Richtung, ohne Energie an das Elektron abzugeben. übertragen. Je nachdem, wie viel Energie auf Atome übertragen
Es findet also keine Ionisation statt, das Photon wird lediglich wird, kommt es zu einer Anregung oder zu einer Ionisation. Die
ohne Energieverlust gestreut. Wechselwirkung von Strahlung mit Materie bezeichnet man
auch als Primärprozess.
Kernreaktion Reicht die übertragene Energie aus, um Atome zu ionisieren,
Absorbiert ein Atom ein Photon mit genügend Strahlungsener- spricht man von ionisierender Strahlung, reicht sie dazu nicht
gie, können verschiedene Kernreaktionen auftreten, von denen aus, spricht man von nicht ionisierender Strahlung. Ionisieren-
8 Kapitel 1 · Physikalische Grundlagen

. Abb. 1.8a, b. Schematische Darstellung der Kernreaktion; a Emission


eines Protons, b Emission eines Neutrons
. Abb. 1.9. Entstehung der charakteristischen Röntgenstrahlung (Sche-
ma). Ein Elektron aus einem Anodenatom wird durch ein Kathodenelektron
aus der k-Schale geschleudert; der frei werdende Platz wird durch ein Elek-
de Strahlung sind alle Arten von Korpuskularstrahlung, wie
tron der äußeren Schale oder durch ein Elektron der darüber liegenden
Röntgen-, y- und UV-Strahlung (. Abb. 1.9), nicht ionisierende Schale besetzt. Kommt es zu Elektronensprüngen auf niedrigere Energieni-
Strahlung sind sichtbares Licht und Wärmestrahlung. veaus, dann werden Röntgenphotonen bestimmter Energiebeträge frei
In der Radiologie und Nuklearmedizin wird ionisierende
Strahlung eingesetzt, die sich in direkt und indirekt ionisieren-
de Strahlung unterteilen lässt. Direkt ionisierend sind elektrisch
. Tab. 1.2. Schwächung von Röntgen- und Photonenstrahlung
geladene Korpuskel, die zu Anregung und Ionisation führen
können. Indirekt ionisierend sind ungeladene Korpuskel (Neu- Wechselwirkung mit den Elektronen Absorption
tronen), Röntgen- und y-Strahlung. Sie werden von Atomen in der Atomhülle Klassische Streuung
Compton-Streuung
Materie absorbiert oder gestreut. Welche Atome ionisiert werden,
hängt von der Energie der ionisierenden Strahlung ab. Die Häu- Wechselwirkung mit dem Kernfeld Paarbildung >1,02 MeV
figkeit der Wechselwirkung ioniserender Strahlung mit Materie
Wechselwirkung mit dem Atomkern Kernreaktion
hängt v. a. von der Art der Materie ab: Je größer die Dichte der (sehr hohe Photonenenergie)
Materie (größere Ordnungszahl), desto häufiger finden Wechsel-
wirkungen statt. Es gibt verschiedene Arten der Wechselwirkung:
Photoeffekt, Comptoneffekt, Paarbildung, klassische Streuung
und Kernreaktion (s. oben). energetische Strahlung mit einem großen Massenschwächungs-
Die Folgen der Wechselwirkung sind: Schwächung der koeffizienten einhergeht und deshalb zu einer hohen Dosisbelas-
Strahlung, an der die verschiedenen Wechselwirkungen je nach tung führt.
Strahlungsenergie und Material einen unterschiedlichen Anteil Als Streustrahlung bezeichnet man die Ablenkung von
haben, und die Streustrahlung (. Tab. 1.2). Dabei zeigt sich, Photonen aus ihrer ursprünglichen Richtung bei der Compton-
dass bei zunehmender Energie die Photoabsorption sich ver- und der klassischen Streuung, die zu einer Minderung der Qua-
ringert, der Compton-Effekt dagegen zunimmt. Bei einer lität von Röntgenaufnahmen führt. Bei Energien um 100 keV
weiteren Energieerhöhung auf >1,02 MeV tritt Paarbildung auf, wird Strahlung in Weichteilen fast ausschließlich durch den
und der Compton-Effekt geht zurück. Bei der Röntgenstrahlung Compton-Effekt absorbiert; um diesen negativen Effekt auf die
sind die Schwächungsvorgänge abhängig von der Röhrenspan- Qualität der Röntgenaufnahme zu verringern, wird in diesem
nung. Energiebereich ein Streustrahlenraster vor der Filmkassette
Durch den so genannten Schwächungskoeffizienten wird die platziert.
Schwächung der Röntgenquanten in Materie ermittelt. Wesent- In der Mammographie kommen als einzige radiologische
liche Faktoren für die Berechnung der Schwächungskoeffizienten Untersuchung geringe Strahlungsenergien bis ca. 30 keV zum
sind Quantenenergie, Dichte und Ordnungszahl des schwächen- Einsatz. Der Anteil an der Schwächung der Strahlung ist in
den Materials. Die Berechnung des Gesamtschwächungskoeffi- diesem Energiebereich niedrig, sodass man einen guten Kon-
zienten findet in der Praxis keine Anwendung, denn die Rönt- trast zwischen den unterschiedlichen Weichteilgeweben erhält.
genbremsstrahlung enthält im Gegensatz zur charakteristischen Kleinste Verkalkungen können somit sichtbar gemacht werden,
Strahlung ein relativ breites energetisches Quantenspektrum, nachteilig ist die relativ hohe Dosisbelastung. Um den negativen
das eine mathematische Berechnung kompliziert. Die Strah- Einfluss von Streustrahlung auf die Bildqualität zu reduzieren,
lungsintensität nimmt mit wachsender Schichtdicke exponen- werden auch hier Streustrahlenraster verwendet.
ziell ab. Die Halbwertschichtdicke gibt an, welche Schichtdicke
die Strahlungsintensität halbiert. Zu bemerken ist, dass nieder-
1.4 · Messung von Strahlung/Dosimetrische Größen
9 1
1.4 Messung von Strahlung/ Äquivalentdosis, oder Kerma) und der Expositionsdauer. Sie
Dosimetrische Größen beschreibt die pro Zeiteinheit eingestrahlte Dosis. Ihre Einheit
richtet sich nach der Dosis (Begriffe: Coulomb/kg/s: Ionendosis-
Die Energiedosis ist ein Maß für die absorbierte Strahlungsmen- leistung, Gray/s: Energiedosisleistung oder Kermaleistung, oder
ge und ist die auf die Masse bezogene absorbierte Strahlenenergie Sievert/s: Äquivalentdosisleistung).
(. Tab. 1.3). Sie gilt heute als dosimetrische Basisgröße:

E (absorbierte Menge)
Energiedosis D = 1.4.1 Messgrößen in der Nuklearmedizin
M (Masse des Volumens)
Die Aktivität einer radioaktiven Substanz folgt dem exponen-
Da die Energiedosis im Körper nicht direkt gemessen werden ziellen Zerfallsgesetz. Die Aktivität gibt die Zahl der Zerfälle pro
kann, wird sie aus der Energiedosis berechnet, die in einer Do- Sekunde an, ihre Einheit ist das Becquerel (Bq). Ein Bq ist ein
simetersonde erzeugt wird. Meist wird in einer luftgefüllten Zerfall pro Sekunde. Die Dosierung radioaktiver Substanzen er-
Ionisationskammer die Ionendosis gemessen, aus der sich die folgt in der Nuklearmedizin nach dem Gewicht des Patienten,
Energiedosis des zu interessierenden Materials ermitteln lässt. sodass für die Untersuchung eines Patienten eine festgelegte
Für den Strahlenschutz wird die äquivalente Dosis ermittelt. Menge Aktivität vorbereitet werden muss.
Durch die spezifische Aktivität, d. h. die Zahl der Zerfälle
Kerma pro Masse des absorbierten Substrats (Einheit Bq/kg), lässt sich
Kerma steht für »kinetic energy released in matter« und wird die für den jeweiligen Patienten gewünschte Aktivität be-
definiert als der Quotient aus der kinetischen Energie der in rechnen.
einem Volumen erzeugten Sekundärelektronen und der Masse Die physikalische Halbwertzeit des verwendeten Isotops, die
dieses Volumens. Applikationsart und Biokinetik sind ausschlaggebend für die
Strahlenbelastung.
Dosisleistung Als biologische Halbwertzeit wird die Zeitspanne bezeichnet,
Die Dosisleistung beschreibt die pro Zeit absorbierte Dosis. Sie nach der die Hälfte der Aktivität des verabreichten Isotops aus-
entspricht dem Quotienten aus der Dosis (Ionen-Energie- oder geschieden ist. Aus der physikalischen und biologischen Halb-
wertzeit lässt sich die effektive Halbwertzeit berechnen, welche
maßgeblich für die Strahlenbelastung des Patienten ist.
. Tab. 1.3. Wichtige dosimetrische Größen

Dosimetrische Größe SI-Einheit 1.4.2 Nachweis von Strahlung


Ionendosis (I) Coulomb/kg (C/kg) Radioaktivität ist für unsere Sinne nicht unmittelbar wahrnehm-
Energiedosis (D) Gray (Gy) bar, der Nachweis erfolgt indirekt durch so genannte Detektoren,
die reproduzierbar auf Bestrahlung reagieren (. Tab. 1.4).
Kerma (K) Gray

Äquivalentdosis (H) Sievert (Sv) Ionisationskammer


Eine Ionisationskammer ist eine mit Gas gefüllte Kammer, in der
Effektive Äquivalentdosis (Heff ) Sievert
sich 2 Elektroden befinden, zwischen denen eine Spannung an-

. Tab. 1.4. Übersicht über Strahlungsdetektoren und ihre Anwendungsbereiche

Detektor Messprinzip Bevorzugter Anwendungsbereich

Ionisationskammer Ionisation von Gas und Flüssigkeit Strahlentherapie: Dosismessung

Stabdosimeter Ionisation von Gas Strahlenschutz

Geiger-Müller-Zählrohr Nachweis durch Auslösung von Ladungslawinen Nuklearmedizin: Aktivitätsmessung

Röntgenfilm, Filmdosimeter Filmschwärzung Strahlentherapie: Strahlenschutz Dosismessung

Thermolumineszenzdetektor (TLD) Anregung und Speicherung von Elektronen Strahlentherapie: Strahlenschutz, Dosismessung
in Kristallen

Szintillationsdetektor Erzeugung von Photonen durch Stöße in Kristallen Nuklearmedizin: Nachweis der Kernzerfälle im Patienten

Eisensulfatdosimeter Umwandlung von Fe2+ in Fe3+ Strahlentherapie: Bestimmung der Absolutdosis

Wasserkalorimeter Erwärmung von Wasser Strahlentherapie: Bestimmung der Absolutdosis


10 Kapitel 1 · Physikalische Grundlagen

gelegt ist. Aus der freigesetzten Ladung lässt sich die Energiedosis Thermolumineszenzdetektor
1 berechnen. Der Thermolumineszenzdetektor besteht aus bestimmten Ionen-
kristallen. Im Verfahren nehmen bestimmte Stoffe durch die Be-
Stabdosimeter strahlung Energie auf, die unter Wärmeeinwirkung als Licht
Stabdosimeter werden im Strahlenschutz zur Überwachung von wieder abgestrahlt wird und gemessen werden kann. Die Licht-
Personen eingesetzt. Ein Stabdosimeter besteht aus 2 Elektronen, messung dient dann als indirekter Dosismesser.
die einen gasgefüllten Hohlraum umschließen. Vor Gebrauch
werden Elektronen aufgeladen. Einfallende Strahlung ionisiert Fingerdosimeter
die Gasmoleküle im Messvolumen und die dadurch erzeugte Fingerdosimeter dienen zur Ermittlung der Teilkörperdosen an
Ladung führt zu einer Entladung der Elektroden. Das Maß der den Händen der mit Röntgen-, γ- oder β-Strahlen arbeitenden
Entladung ist zur Dosis proportional. Personen. Der Dosisbereich liegt im Bereich bei 0,4 mSv bis
100 mSv. Der Energiebereich liegt bei Photonen zwischen 15 KeV
Geiger-Müller-Zählrohr bis 3 MeV und bei Elektronen >1 MeV. Ein Thermolumineszenz-
Das Geiger-Müller-Zählrohr ist wie eine Ionisationskammer auf- detektor findet sich hinter einem 1 mm dicken Kupferfilter. Mit
gebaut, hat aber im Vergleich zur Ionisationskammer eine höhere ihm ist es möglich, die Strahlenqualität zu identifizieren. Ring-
Spannung. Über eine Elektrodenlawine kommt es zu einer Ver- dosimeter müssen kalt sterilisiert werden (maximal 60°C).
stärkung des Messimpulses, sodass die Teilchen gezählt werden
können. Aus der Anzahl der Impulse kann die Aktivität bestimmt Szintillationsdetektor
werden. Durch Einbringen von Material zwischen der Strahlen- Absorption von Strahlung führt im Kristall des Szintillations-
quelle und dem Zählrohr kann die Reichweite der Strahlung ab- detektors zur Emission von Photonen, die mittels eines Photo-
geschätzt und so mit einfachen Mitteln die Strahlungsart ermit- multipliers, der hinter dem Kristall angeordnet ist, nachgewiesen
telt werden. werden kann. Szintillationsdetektoren werden v. a. in der Nuklear-
medizin zur ortsempfindlichen Messung der Aktivität einge-
> α-Teilchen werden wegen ihrer geringen Reichweite
setzt.
durch ein Blatt Papier bereits vollständig absorbiert,
für β-Strahlung ist wesentlich mehr Material erforder-
lich (z. B. Aluminiumplatten), γ-Strahlung wird nur
unwesentlich geschwächt.

Filmdosimeter
Die Filmdosimetrie hat eine besondere Bedeutung für die Strah-
lenschutzüberwachung des Personals in Strahlenbetrieben. Pho-
tographische Emulsionen und somit auch Röntgenfilme werden
durch die Bestrahlung geschwärzt. Durch Bestimmung der Film-
schwärzung kann die Dosis gemessen werden. Da in der Regel
ein nichtlinealer Zusammenhang zwischen Schwärzung und
Dosis besteht, muss die Dosis mittels eines anderen Dosimeters,
z. B. einer Ionisationskammer ermittelt werden. Durch den Ver-
gleich mit einer Dosisschwärzungskurve kann für eine gemes-
sene Schwärzung die Dosis ermittelt werden. Autorisierte Mess-
stellen werten die Filme hierzu an den Plaketten strahlenexpo-
nierter Personen alle 4 Wochen aus. Die schriftlichen Unterlagen
der Messergebnisse werden dem Strahlenschutzbeauftragten
mitgeteilt, sie sind 30 Jahre lang aufzubewahren.
Bei den Plakettendosimetern wird die Dosismessung mit der
Bestimmung der Strahlenqualität kombiniert. Die Filmkassette
aus gepresstem Kunstharz ist in 5 Felder unterteilt. Ein Feld ist
ohne Abdeckung, die anderen 4 Felder sind mit Metallfiltern
abgedeckt. Das unbedeckte Feld wird nur von energiearmer
Strahlung geschwärzt, während mit zunehmender Strahlen-
energie die stärker gefilterten Felder geschwärzt werden. Da-
durch können Rückschlüsse auf die Strahlenqualität gezogen
werden. Filmplaketten sind sichtbar auf der Kleidung in Brust-
höhe unter der Strahlenschutzkleidung zu tragen. Die untere
Strahlennachweisgrenze liegt bei 0,2 mSv.
2

2 Strahlenbiologie und Strahlenschutz


W. Reith

2.1 Strahlenwirkung auf biologisches Gewebe – 12


2.1.1 Phasen der Strahlenwirkung – 12
2.1.2 Strahlenschäden an der Zelle – 12
2.1.3 Akute Strahlenfolgen am menschlichen Körper – 14
2.1.4 Chronische Strahlenfolgen – 14
2.1.5 Lokale Strahlenfolgen – 14
2.1.6 Kanzerogenese – 15

2.2 Gefährlichkeit von Röntgenstrahlen – 15

2.3 Strahlenschutz und Qualitätssicherung in der Röngendiagnostik – 16


2.3.1 Strahlenschutzbeauftragter (RöV §13) – 16
2.3.2 Aufzeichnungspflicht bei Röntgenuntersuchung (RöV § 28) – 17
2.3.3 Aufbewahrungspflicht (RöV § 28 und 35) – 17
2.3.4 Belehrung (RöV § 36) – 17
2.3.5 Strahlenschutzbereiche (StrlSchV § 57 – 60) – 17
2.3.6 Qualitätssicherung in der Röntgendiagnostik (RöV §16) – 17
2.3.7 Auszüge aus der Röntgenverordnung – 18
12 Kapitel 2 · Strahlenbiologie und Strahlenschutz

2.1 Strahlenwirkung auf biologisches Biochemische Phase. In ihr laufen eine große Zahl chemischer
Gewebe und biochemischer Prozesse ab: Hydroxylierungen, Decarboxy-
lierungen, Reduktionen und Oxidationen. Dadurch können sich
2 Die heutige moderne Strahlentherapie und die Radiologie wären organische Moleküle verändern. Ihre Dauer schwankt zwischen
ohne das Wissen der grundlegenden Wirkung ionisierender Sekunden und Jahren. In dieser Phase stehen enzymatische Re-
Strahlung nicht vorstellbar. Die Gefahren und Risiken einer un- aktionen sowie Reparaturprozesse der Veränderungen der Bio-
kritischen Anwendung der Röntgenstrahlung in der Diagnostik moleküle im Vordergrund.
müssen jedem Radiologen bewusst sein; dies dient sowohl der
Sicherheit des Patienten als auch der eigenen Sicherheit. Durch Biologische Phase. Die biologische Phase umfasst die Auswir-
die CT und die interventionellen radiologischen Verfahren kung der physikalischen und chemischen Abläufe. Sie verursa-
nimmt die Dosisbelastung für Patienten und Arzt wieder zu. chen Störungen der Vitalfunktion am biologischen Substrat, die
Wissen über strahlenbiologische Grundlagen und der Umgang bis zum Zelltod führen können. Gleichzeitig können latente oder
mit ionisierenden Strahlen sind notwendig. manifeste Schäden auftreten, die sowohl den Zelltod als auch Mu-
Die ionisierende Strahlung verliert beim Durchtritt durch die tationen bewirken. DNA-Schäden sind dabei besonders schwer-
Materie oder den Körper einen Teil ihrer Energie durch Ab- wiegend (s. unten), da die DNA in der Zelle nur einmal vorhan-
sorption. Die Energieabgabe erfolgt dabei durch Anregung und den ist und sie alle für die Zelle relevanten Informationen enthält.
Ionisation (Primärprozesse). Im biologischen Gewebe ist nur die Diese Phase kann mehrere Jahre bis Jahrzehnte betragen.
absorbierte Energie der Strahlung wirksam, die Zellschäden her-
vorrufen kann. Durch chemische und biochemische Prozesse
können Veränderungen an Biomolekülen hervorgerufen werden 2.1.2 Strahlenschäden an der Zelle
(Sekundärprozesse). Die Wirkung ionisierender Strahlung lässt
sich in Phasen einteilen. Die Veränderungen an Biomolekülen Radiobiologische Untersuchungen von Zellen haben wesent-
entstehen durch unmittelbare oder mittelbare Übertragung von lich zum Verständnis der Wirkung ionisierender Strahlen auf
Strahlungsenergie auf Biomoleküle (direkte oder indirekte Strah- Normal- oder Tumorgewebe beigetragen. Die Strahlenwirkung
lenwirkung). betrifft jede einzelne Zelle, wird aber durch den Zellverband
Durch die Energieabsorption im Gewebe kann es zu Ionisa- modifiziert. Hemmung der Zellproliferation und Zelltod sind die
tion, Molekülanregung und Wärme kommen. Durch die Ionisa- schwerwiegendsten und in Tumorgewebe erwünschten Strahlen-
tion von Wassermolekülen entstehen H2O+ und ein freies Elek- wirkungen.
tron, in Folgereaktionen H- und OH-Radikale. Außerdem ent- Ionisierende Strahlen schädigen dosisabhängig biologische
stehen hydratisierte Elektronen. Die Reaktionsprodukte greifen Strukturen. Die Folgen der Schädigung werden nach einer Latenz-
direkt an Biomoleküle an und reagieren mit Sauerstoff zu Peroxid- zeit, während die Zell- und Organgzerstörung abläuft, manifest.
radikalen, die an Biomolekülen angreifen können. Genetische Strahlenschäden entstehen nach der Einwirkung
Biochemische Reaktionen können Veränderungen an Bio- ionisierender Strahlung auf Erbfaktoren oder funktionelle Ab-
molekülen bewirken. Veränderungen der Nukleinsäuren der schnitte der DNA (Mutation).
DNA führen zu genetischen Schäden, Veränderungen an ande- Jede proliferierende Zelle durchläuft einen Zyklus, der sich in
ren Biomolekülen, z. B. Proteinen oder Lipiden, zu Schädigun- Mitosephase und Intermitosephase einteilen lässt. In der Mito-
gen von Körperzellen oder des Embryos (somatische und terato- sephase (M-Phase) findet die Zellteilung statt. Die Intermitose-
gene Strahlenschäden). phase lässt sich weiter unterteilen in die G1-Phase, S-Phase und
Durch direkte Strahlenwirkung kann es zur primären G2-Phase.
Schädigung der Zelle kommen. Indirekt können die Zellen über In der G1-Phase werden Zytoplasma und Zellorganellen,
entstehende freie Radikale geschädigt werden (Strahlenwir- Enzyme und DNA-Bausteine zur Vorbereitung auf die DNA-
kung). Synthese produziert. In der Phase wird die DNA repliziert, die
Chromosomen haben nun 2 Chromatiden (Diploe der Chromo-
somen) (. Abb. 2.1).
2.1.1 Phasen der Strahlenwirkung

Die Strahlenwirkung läuft im biologischen Gewebe über 4 Stufen


ab. Die physikalische Phase entspricht der Energieabsorption im
Gewebe, bewirkt Ionisation, Molekülanregung und Wärme. Sie
erfolgt innerhalb von 10–60 s.

Physikalische/klinische Phase. Hierbei kommt es zu einer pri-


mären Schädigung der Zelle durch die Reaktion der angeregten
oder ionisierten Atome oder Moleküle mit anderen Molekülen.
Dabei entstehen freie Radikale, im Wesentlichen Wasserradikale.
Ca. 1 ms nach Strahlenexposition sind die Bildung und die Fol- . Abb. 2.1. Generationszyklus der Zellen. G1-Phase = Wachstumsphase
gereaktion der freien Radikale abgeschlossen. der Zellen; G0-Phase = Ruhephase der Zelle
2.1 · Strahlenwirkung auf biologisches Gewebe
13 2

. Abb. 2.2. Direkte und indirekte Strahlungswirkungen können zu Verän- . Abb. 2.3. Verschiedene Arten der DNA-Schäden durch ionisierende
derungen von Molekülen führen Strahlung

In der G2-Phase werden Proteine und RNA synthetisiert Strahlenwirkung auf Zellbestandteile
und die Mitose vorbereitet. Die Mitosephase läuft in Abhängig- DNA-Schäden wirken sich besonders ungünstig auf die Zellen
keit vom Zelltyp in einem genauen zeitlichen Rahmen von ca. aus. Durch direkte oder indirekte Strahlenwirkung können fol-
8–20 h ab. gende DNA-Schaäden vorkommen (. Abb. 2.2, . Abb. 2.3):
In der G1-Phase dagegen gibt es eine erhebliche zeitliche 4 Einzelstrangbruch
Variationsbreite von wenigen Stunden bis Tagen. Proliferierende 4 Doppelstrangbruch
Zellen können den Zellzyklus verlassen und in eine Ruhephase, 4 DNA-Vernetzung mit intra- oder intermolekularen Verbin-
die G0-Phase, eintreten. Aus dieser G0-Phase können sie wieder- dungen (crosslinks)
um in die G1-Phase eintreten oder differenzieren und sterben 4 Basenschäden, bei denen chemische Modifikationen oder
nach einiger Zeit ab. Untersuchungen haben gezeigt, dass Zellen Basenverluste auftreten.
in den einzelnen Zyklusphasen eine unterschiedliche Strahlen- 4 Mehrfachschäden, wobei mehrere DNA-Schäden in Kombi-
sensibilität aufweisen. nation auftreten (bulky lesion).
Die Strahlenempfindlichkeit ist in der M-Phase am größten,
am zweitgrößten in der G2-Phase und in der frühen S-Phase. Im Reparaturmechanismen
weiteren Verlauf ist die S-Phase sehr strahlenresistent, auch die Zelluläre Systeme können Strahlenschäden z. T. vollständig
lange G1-Phase ist relativ strahlenunempfindlich. Zu den ersten wieder reparieren.Nach einer Strahlenexposition können inner-
Strahlenwirkungen zählen die vorübergehende Teilsynchronisie- halb von Minuten bis Tagen Reparaturen des Schadens erfolgen.
rung des Zyklus und die Abnahme der Mitoserate. Die Dauer des So werden z. B. Einzelstrangbrüche sowie Basenschäden durch
Zellzyklus nimmt zu, nach einiger Zeit treten überlebende Zellen Herausschneiden des geschädigten Abschnitts behoben.
wieder in strahlensensible Zyklusphasen ein und sprechen dann Doppelstrangbrüche können ebenfalls repariert oder un-
wiederum auf erneute Bestrahlung an. schädlich gemacht werden. Auch Mehrfachschäden können
14 Kapitel 2 · Strahlenbiologie und Strahlenschutz

durch unterschiedliche Reperaturmechanismen beseitigt wer- Eine Dosis von bis zu 2 Gy führt zu Ermüdungserscheinungen
den. Die Apoptose (programmierter Zelltod) stellt ein wichtiges und Konzentrationsstörungen, ab 7 Gy ist die Dosis letal. Die
Reparatursystem dar, um irreparable Zellschäden durch Zellun- mediane Letaldosis beträgt 3–4 Gy (LD 50, d. h. 50% der Strah-
2 tergang zu beseitigen. lenexponierten sterben innerhalb von 30 Tagen).

Folgen von Strahlenschäden


Durch direkte und indirekte Strahlenwirkung und durch fehler- 2.1.4 Chronische Strahlenfolgen
hafte Reparaturen können Mutationen auftreten. Mutationen
sind irreversible Schäden der genetischen Information. Es gibt Chronische Strahlenfolgen treten ab 90 Tage nach der Strahlen-
Gen- oder Punktmutationen, Chromosomen- und Genom- exposition auf. Betroffen sind Gewebe mit einem niedrigem Zell-
mutationen. Bei Punktmutationen treten Veränderungen eines umsatz, Bindegewebe, aber auch das Gefäßsystem. Durch den
Nukleotids auf, z. B. Verlust einer Base (Deletion) oder Ersatz langsamen Zellumsatz zeigen diese Gewebe eine hohe Repara-
einer Base durch eine andere (Transition und Transversion) so- turkapazität. Der Verlust an Stammzellen wirkt sich bei diesen
wie die Umkehrung der Reihenfolge der Basen (Inversion). Geweben jedoch nicht so gravierend aus. Chronische Strahlen-
Bei Chromosomenmutationen treten Veränderungen der folgen sind von Strahlentherapeuten gefürchtet, da sie irreversi-
Chromsomenstruktur auf (Deletion, Duplikation, Translation, bel, teilweise progredient und schlecht therapierbar sind.
Inversion). Dabei können nur ein Arm, aber auch beide Arme
eines Chromosoms betroffen sein. Auch die Ausbildung von
Ring- oder dizentrischen Chromosomen kommt vor. Der Nach- 2.1.5 Lokale Strahlenfolgen
weis dieser Veränderungen in Lymphozyten erlaubt eine Aussage
über die empfangene Strahlendosis (Chromosomenaberrations- Hämatopoetisches System. Das Knochenmark ist sehr strah-
analyse). lenempfindlich, v. a. die pluripotenten Stammzellen sind sehr
Bei Genommutationen sind Veränderungen in der Anzahl empfindlich. Eine Einzeitbestrahlung von 3–4 Gy reduziert die
der Chromosomen nachweisbar, z. B. Monosomie oder Trisomie. Stammzellen um ca. 90%. Stammzellen können aus der Periphe-
Mutationen führen nicht immer zu klinischen Veränderun- rie oder unbestrahltem Knochenmarkbereichen nachwandern.
gen, sie können stumm bleiben, aber auch zur Entartung oder
Tod der Zelle führen. Gastrointestinaltrakt. Der Dünndarm ist am strahlenempfind-
lichsten, es kommt durch Absterben der Epithelzellen zu einer
Strahlenenteritis mit Resorptionsstörung, blutiger Diarrhoe,
2.1.3 Akute Strahlenfolgen am menschlichen Wasser- und Elektrolytverlust. Am Colon entsteht eine Strahlen-
Körper proktitis.

Akute Strahlenfolgen treten in einem Zeitraum von bis zu 90 Ta- Leber. Bei einer Strahlenexposition der Leber >30 Gy kommt
gen nach Strahlenexposition auf. Betroffen sind v. a. Gewebe mit es zu einer Strahlenhepatitis mit allmählichem Verschluss der
einem hohen Zellumsatz und das Gefäßsystem. Rasch prolife- Zentralvenen. Klinisch zeigt sich dies durch einen Anstieg der
rierende und somit früh reagierende Gewebe haben eine hierar- Leberenzyme, Ikterus, Hepatomegalie und Aszites.
chische Proliferationsorganisation; die Bestrahlung führt zu
einem Verlust der Stammzellen, der sich bei diesen Geweben Niere. Die Nieren sind relativ strahlenunempfindlich, nach ent-
rasch in einem Mangel an funktionstüchtigen Zellen äußert und spechend hoher Strahlenexposition kommt es jedoch zu einer
zu Funktionseinschränkungen führt. Strahlennephropathie mit Tubulusatrophie und interstitieller
Beim Gefäßsystem kommt es zunächst zu einer Vasodilata- Fibrose, die sich etwa 6 Monate nach Bestrahlung manifestiert.
tion der Kapillaren und einer Kontraktion der Venolen, was zu Ein strahleninduzierter Hypertonus kann sich auch noch 10 Jah-
einer Hyperämie (Erythem) und erhöhter Gefäßpermeabilität re nach Bestrahlung manifestieren.
(Ödem) führt.
Als »Akutes Strahlensyndrom« (akute Strahlenkrankheit) Lunge. Nach einer Strahlenexposition von 20–30 Gy kann sich
wird eine Vielzahl von Symptomen zusammengefasst, die nach akut nach 4–8 Wochen eine Strahlenpneumonitis zeigen, die sich
ausgedehnten Teil- oder Ganzkörperstrahlenexposition auftritt. klinisch ähnlich wie eine atypische virale Pneumonie äußert
Die Ausdehung der Strahlenkrankheit ist von der Dauer und (Husten, Dyspnoe), aber auch asymptomatisch verlaufen kann.
Intensität der Strahlenexposition abhängig. Als chronische Strahlenfolge kann sich dann eine Lungenfibrose
Das akute Strahlensyndrom verläuft üblicherweise in ausbilden.
3 Phasen:
4 Prodromalphase, gekennzeichnet durch Kopfschmerzen, Herzkreislaufsystem. Als akute Strahlenfolgen können EKG-
Übelkeit, Erbrechen. Sie tritt umso früher auf, je höher die Veränderungen auftreten, als Langzeitfolgen Perikardergüsse,
Dosis ist. Perikarditis. An den Gefäßen treten Veränderungen in Abhän-
4 Latenzphase, in der der Betroffene weitgehend asymptoma- gigkeit von der Gefäßgröße auf. An großen Gefäßen treten kaum
tisch ist. akute oder chronische Strahlenschäden auf. An den Arteriolen
4 Hauptphase, in der der Strahlenschaden manifest wird. und im Kapillarbett treten chronische Strahlenfolgen relativ spät
2.2 · Gefährlichkeit von Röntgenstrahlen
15 2
auf, sind aber von entscheidender Bedeutung. Durch die Strah- Die weiblichen Keimdrüsen sind am strahlensensibelsten
lenexposition kommt es zu einer Obliteration des Gefäßbetts im im späten Stadium der Oogenese, nämlich bei den primären
Bereich der Arteriolen und Kapillaren, Venen sind dagegen rela- Oozyten. Die Strahlensensibilität des sekundären Oozyten ist ge-
tiv strahlenresistent. ringer. Eine Infertilität tritt nach höheren Dosen auf. Bereits bei
Dosen von 1–2 Gy kann es zu einer Amenorrhoe kommen. Die
Nervensystem. Am ZNS können 3 strahleninduzierte Effekte Schwellendosis für die sensibelsten Zellen der Eierstöcke liegt bei
beschrieben werden: 2–6 Gy.
4 Frühe Veränderungen, die bei sehr hohen Dosen bereits in-
nerhalb von Stunden auftreten können. Ein radiogenes Ödem Pränatale Strahlenschäden. In der Blastogenese (bis 10. Ent-
tritt durch eine Störung der Blut-Hirn-Schranke auf; man wicklungstag) gilt das Alles-oder-Nichts-Gesetz. Hier führt
spricht dann von einer Strahlenenzephalitis oder -myelitis. eine Strahlung mit einer Dosis >0,05 Sv entweder zum Tod des
4 Eine »frühe Spätreaktion« tritt innerhalb von 6 Monaten Embryos oder es resultiert eine normale Entwicklung. Während
nach Bestrahlung auf. Es kommt zu einer subakuten Enze- der Organogenese entstehen Organfehlbildungen, v. a. des ZNS
phalitis, Myelitis oder Leukenzephalopathie. Es können re- (2.–8. Entwicklungswoche). In der Fetogenese kann es zu neuro-
versible Parästhesien auftreten. logischen Defiziten oder Wachstumsstörungen kommen (9. Ent-
4 »Späte Spätreaktionen« treten nach mehreren Monaten bis wicklungswoche bis zur Geburt).
Jahren auf, es kann zu einer Radionekrose kommen, die
häufig bildmorphologisch schlecht von einem Tumorrezidiv
unterschieden werden kann. 2.1.6 Kanzerogenese

Das periphere Nervensystem ist relativ strahlenresistent, als Eine maligne Entartung von Zellen durch Mutationen aufgrund
Spätfolgen nach hohen Bestrahlungen können jedoch Lähmun- ionisierender Strahlung, ein kanzerogener Effekt, zählt mit gene-
gen auftreten. tischen Schäden zu den stochastischen Strahlenfolgen. Das be-
deutet, dass es hierfür keine Schwellendosis gibt. Selbst sehr klei-
Haut. Eine der häufigsten Nebenwirkung der Strahlentherapie ne Dosen können z. B. zu Leukämien, Brustkrebs, Hautkrebs,
ist eine akute Radiodermatitis. Sie manifestiert sich nach einer Schilddrüsenkrebs führen. Bei soliden Tumoren vergehen durch-
Gesamtdosis von ca. 16–20 Gy, Einzeldosen von 2 Gy. Es zeigen schnittlich 20, bei Leukämien 5–10 Jahre bis zur klinischen
sich, abhängig von der Dosis, ein Erythem, Ödem, trockene Manifestation.
Schuppung, Haarverlust, feuchte Epitheliolyse, Blutung und
Nekrose. Die Ausprägung lässt sich durch gezielte Hautpflege
mindern. 2.2 Gefährlichkeit von Röntgenstrahlen
Als chronische Strahlenfolgen treten eine Atrophie der
Hautanhangsgebilde, Pigmentveränderungen, Teleangiektasien, Aussagen hierüber beruhen auf statistischen Berechnungen, sind
Epidermisatrophie, Hypo- und Dyskeratosen und Ulzeratio- also Wahrscheinlichkeitsabschätzungen. Wird der Körper einer
nen auf. Röntgenstrahlung (elektromagnetische Welle) ausgesetzt, geht
ein geringer Teil der Energie der Röntgenstrahlen auf den Körper
Auge. Die Linse ist der strahlensensibelste Teil des Auges. Schon über. Hierbei können prinzipiell alle Substanzen in einer Körper-
bei Dosen von ca. 10 Gy kann sich mit einer Latenz von Monaten zelle geschädigt werden. Schäden der DNA der Körperzellen
bis Jahren eine Strahlenkatarakt entwickeln. Durch eine Katarakt- können zu Krebserkrankungen führen. 99,9% der DNA-Schäden
operation und Einsetzen einer Kunststofflinse ist diese jedoch werden durch körpereigene Reparaturmechanismen beseitigt
gut therapierbar. Akut kann eine Keratokonjunktivitis entstehen, (s. oben). Eine hohe Strahlenempfindlichkeit haben blutbilden-
die sich bis Ende der Bestrahlung zurückbildet. Eine Strahlenke- des Knochenmark, Dickdarm, die weibliche Brust, Magen und
ratitis kann zu einer Trübung oder einem Ulkus der Hornhaut Lunge. Eine mittlere Strahlenempfindlichkeit haben Blase, Leber,
führen. Durch eine Beeinträchtigung der Tränendrüse kommt es Speiseröhre und Schilddrüse, eine geringe Strahlenempfindlich-
zu einer Conjunctivitis sicca. keit Haut, Knochenoberfläche und Muskulatur. Somit hängt die
Belastung durch Röntgenstrahlen sowohl von der Höhe der
Keimdrüsen. Die Keimdrüsen gehören zu den strahlenempfind- Strahlendosis als auch von dem Ort der Bestrahlung ab. Bei der
lichsten Organen. Insbesondere kindliche Keimdrüsen sollten Dosisabschätzung wird die Bestrahlung kritischer Organe daher
vor ionisierender Strahlung geschützt werden, da sie ca. 10-mal stärker gewichtet. Es wird eine vergleichbare effektive Dosis be-
strahlensensibler sind als bei Erwachsenen. Strahlenfolgen sind rechnet, die in Millisievert pro Jahr (mSV/a) angegeben wird.
eine Störung der Keimzellproduktion, endokrine Störungen so- Kosmische Strahlen, Erdstrahlung, natürliche Radoninhalation
wie genetische Schäden an den Keimzellen. und die Aufnahme natürlicher, radioaktiver Stoffe führen zu
Bei den männlichen Keimdrüsen kann es in der frühen Pha- einer Strahlenbelastung von ca. 2,4 mSV/a. Durch das Reaktor-
se der Spermatogenese zu genetischen Veränderungen kommen. unglück in Tschernobyl betrug die durchschnittliche Strahlenbe-
Die Spermien selbst sind relativ strahlenresistent. Als Schwel- lastung in Deutschland 1990 0,025 mSV/a. 100 h Farbfernsehen
lendosis bei Bestrahlung der männlichen Keimdrüsen gelten (3 m Abstand) entsprechen 0,01 mSV/a, 100 h vor einem Bild-
0,2 Gy. schirm (0,5 m Abstand) 0,12 mSV/a, eine 10-stündige Flugreise
16 Kapitel 2 · Strahlenbiologie und Strahlenschutz

0,1 mSV/a, eine Zunahme der kosmischen Strahlenbelastung in In Deutschland stirbt jeder 4. Mensch an einer Krebserkrankung.
2000 m Höhe gegenüber Meereshöhe 0,6 mSV/a (angegeben ist Dies entspricht einem Risiko von 25%. Eine einmalige Röntgen-
jeweils die zusätzliche Belastung auf das Jahr bezogen). Dahinge- untersuchung der Lunge erhöht das Risiko auf 25,001%. Durch
2 gen führt eine einmalige Röntgenuntersuchung zu einer zusätz- eine veränderte Lebensweise lässt sich das Risiko um 5% verrin-
lichen effektiven Dosis von: gern oder entsprechend erhöhen.
4 Röntgen (7 Kap. 3): Jede Röntgenuntersuchung birgt letztlich ein unkalkulier-
5 Schädel: 0,03 bis 0,1 mSv bares Risiko. Daher dürfen Röntgenuntersuchungen nur bei ent-
5 Thorax: 0,02 bis 0,08 mSv sprechender Indikation durchgeführt werden (s. unten).
5 Bauchraum: 0,6 bis 1,2 mSv
5 HWS: 2,0 mSv
5 Brustwirbelsäule: 0,5 bis 0,8 mSv 2.3 Strahlenschutz und Qualitätssicherung
5 LWS: 0,8 bis 1,8 mSv in der Röngendiagnostik
5 Becken: 0,5 bis 1,0 mSv
4 CT (7 Kap. 4): Die Röntgenverordnung (RöV §16) schreibt die Durchführung
5 Schädel: 2,0 mSv der Qualitätssicherung in der Röntgendiagnostik vor. Strahlen-
5 Thorax: 6 bis 10 mSv schutzverantwortlicher (RöV §13) ist, wer eine Röntgeneinrich-
5 Bauchraum: 10 bis 25 mSv tung betreibt. Der Strahlenschutzverantwortliche ist am Kran-
4 DSA Herz: 10 mSv kenhaus der Krankenhausträger und in der Röntgenpraxis der
4 Durchleuchtung Thorax: 1,5 mSv Praxisbetreiber. Er braucht selbst weder fachkundig zu sein, noch
muss er den Umgang mit radioaktiven Stoffen oder den Betrieb
Das Risiko, durch eine einmalige Röntgenuntersuchung an einer von Anlagen persönlich überwachen.
strahleninduzierten Krebserkrankung zu versterben, beträgt:
4 bei Röntgenuntersuchungen von Lunge und Schädel 1:100 000
(innerhalb von 10 Jahren vom Blitz erschlagen zu werden), 2.3.1 Strahlenschutzbeauftragter (RöV §13)
4 bei Röntgenuntersuchungen von BWS, weiblicher Brust
1:40 000 (innerhalb von 3 Monaten einen tödlichen Verkehrs- Der Strahlenschutzverantwortliche bestellt schriftlich den Strah-
unfall zu erleiden), lenschutzbeauftragten, der den Umgang mit radioaktiven Stoffen
4 CT-Kopf 1:10 000 (innerhalb eines Jahres einen tödlichen oder den Betrieb von Strahlenanlagen überwacht und der ver-
Verkehrsunfall zu erleiden), pflichtet ist, die Vorschriften einzuhalten. Der Strahlenschutz-
4 CT-Wirbelsäule 1:2000 (innerhalb von 5 Jahren einen töd- beauftragte muss über den Nachweis der Fachkunde verfügen.
lichen Verkehrsunfall zu erleiden), Die Röntgenverordnung schreibt vor, dass im Falle der Abwesen-
4 CT-Thorax, Angiographie 1:1000 (innerhalb von 10 Jahren heit des Strahlenschutzbeauftragten ein Stellvertreter bestellt
einen tödlichen Verkehrsunfall zu erleiden). sein muss. Organisatorisch getrennte Abteilungen mit Röntgen-
geräten müssen über einen eigenen Strahlenschutzbeauftragten
Es dauert viele Jahre, bis eine strahleninduzierte Krebserkran- und Stellvertreter verfügen. Das zuständige staatliche Gewerbe-
kung auftritt. Für die Leukämie geht man in diesem Dosisbereich aufsichtsamt muss schriftlich über die Bestellung des Strahlen-
von 15 Jahren, für andere Krebsformen von 40 Jahren aus. schutzbeauftragten und den Nachweis der Fachkunde informiert
werden.
Strahlungsbelastung/Strahlenschutz Dem Strahlenschutzbeauftragten obliegen die vorgegebenen
Ein wesentlicher Anteil der Strahlenexposition in der Medizin Pflichten nur im Rahmen seines innerbetrieblichen Entschei-
wird durch die CT verursacht (ca. 30%) (7 Kap. 4). Eine Dosis- dungsbereichs (RöV §14). Er hat dem Strahlenschutzverantwort-
reduktion kann neben einer strengen Indikationsstellung durch lichen unverzüglich alle Mängel mitzuteilen, die den Strah-
folgende Maßnahmen erreicht werden: lenschutz betreffen. Der Strahlenschutzverantwortliche hat den
4 Reduktion der Energie (mA) auf einen minimal erforder- Strahlenschutzbeauftragten über Verwaltungsakte, Maßnahmen,
lichen Wert. Dies führt jedoch zu einem verstärkten Bild- die die Aufgaben des Strahlenschutzbeauftragten betreffen, un-
rauschen. verzüglich zu unterrichten.
4 Erhöhung des Pitch-Faktors (Verhältnis Tischvorschub zu Der Strahlenschutzbeauftragte hat zum Schutz Einzelner und
Schichtdicke). Eine Beschleunigung des Tischvorschubs um der Allgemeinheit vor Strahlenschäden durch geeignete Maßnah-
50% bei konstanter nominaler Schichtdicke geht mit einer men dafür zu sorgen, dass jede unnötige Strahlenexposition von
Dosisreduktion um 33% einher. Zudem verbreitert sich je- Menschen unterbleibt (RöV §15), jede Strahlenexposition so ge-
doch die effektive Schichtdicke um 50%. ring wie möglich gehalten wird, die geeigneten Schutzvorschriften
4 Exaktes Festlegen des Untersuchungsbereichs. Eine einmal eingehalten werden, die Bestimmung des Bescheides über die Ge-
gestartete Spirale kann nicht angehalten werden. nehmigung oder Bauartzulassung eingehalten werden.
4 Speichern von Rohdaten für evtl. Rekonstruktionen.
2.3 · Strahlenschutz und Qualitätssicherung in der Röngendiagnostik
17 2
2.3.2 Aufzeichnungspflicht Kontrollbereich (RöV § 19)
bei Röntgenuntersuchung (RöV § 28) Ein Aufenthalt im Kontrollbereich liegt dann vor, wenn die Mög-
lichkeit besteht, dass eine Person höhere Körperdosen als 6 mSv
Vor Beginn einer jeden Röntgenuntersuchung oder Behandlung im Kalenderjahr aus Ganzkörperexposition absorbiert. Der Zu-
ist nach früherer Anwendung von ionisierten Strahlen zu fragen, tritt ist nur Beschäftigten >18 Jahren, Jugendlichen zur Ausbil-
diese sind aufzuzeichnen. Es ist nach dem Röntgennachweisheft dung und Patienten zur Untersuchung gestattet. Der Kontroll-
zu fragen und entsprechende Eintragungen sind vorzunehmen. bereich ist dann schon gegeben, wenn die Dosisbelastung von
Weibliche Patienten im gebärfähigen Alter sind nach einer 6 mSv pro Jahr oder höhere Organdosen als 45 mSv für die
bestehenden Schwangerschaft zu befragen. Das Ziel der Befra- Augenlinse oder 150 mSv für Haut, Hände, Unterarme, Füße
gung ist, Mehrfachuntersuchungen zu vermeiden. Das Ergebnis oder Knöchel möglich sind. Die Bedingung erfährt auch keine
der Befragung ist aufzuzeichnen. Aus der Aufzeichnung müssen Änderung durch das Tragen von Schutzkleidung für die beruf-
der Zeitpunkt, die Art der Anwendung, die untersuchte oder be- lich strahlenexponierten Personen, die im Kontrollbereich vorge-
handelte Körperregion sowie die Angaben hervorgehen, die zur schrieben ist.
Ermittlung der Körperdosen erforderlich sind. Die Aufzeich-
nungen sind auf Verlangen den zuständigen Behörden vorzule- Betrieblicher Überwachungsbereich (RöV § 19)
gen. Dem untersuchten Patienten sind auf Wunsch Auskünfte Der betriebliche Überwachungsbereich umfasst an den Kontroll-
über Aufnahme- und Durchleuchtungsdaten mitzuteilen. bereichen angrenzende Räume, in denen bei Daueraufenthalt im
Kalenderjahr eine Körperdosis von >1 mSv erreicht werden kann
oder höhere Organdosen als 15 mSv für die Augenlinse oder
2.3.3 Aufbewahrungspflicht (RöV § 28 und 35) 50 mSv für Haut, Hände, Unterarme, Füße oder Knöchel mög-
lich sind. Der Aufenthalt ist ohne zeitliche Begrenzung erlaubt.
Aufzeichnungen über Röntgenbehandlungen (Strahlentherapie)
müssen bis 30 Jahre nach der letzten Behandlung aufbewahrt
werden. Aufzeichnungen über Röntgenuntersuchungen (inkl. 2.3.6 Qualitätssicherung
Filme) müssen bis 10 Jahre nach der letzten Behandlung aufbe- in der Röntgendiagnostik (RöV §16)
wahrt werden. Bei Patienten <18 Jahren müssen die Aufzeich-
nungen nach dem vollendeten 18. Lebensjahr noch 10 Jahre Bei röntgendiagnostischen Anlagen ist vor der Inbetriebnahme
aufbewahrt werden. Aufzeichnungen über Messungen der Per- und nach jeder Änderung der Einrichtung eine Abnahmeprü-
sonendosis von Personen, die sich im Kontrollbereich aufhalten, fung durch den Hersteller oder Lieferanten durchzuführen. Bei
sind 30 Jahre aufzubewahren. der Abnahmeprüfung werden sämtliche Funktionsparameter
Röntgenaufnahmen bleiben Eigentum des Instituts, in dem der Anlage überprüft, v. a. Röhrenspannung, Dosisausbeute,
die Untersuchung gemacht wurde. Schaltfunktionen, Schwächungsfaktoren, Zentrierung des Nutz-
strahlenbündels und Aufnahmen mit dem Prüfkörper.
Der Betreiber ist in regelmäßigen Zeitabständen, mindestens
2.3.4 Belehrung (RöV § 36) monatlich, verpflichtet eine Konstanzprüfung mit einem Prüf-
körper durchzuführen und mit der Ursprungsaufnahme zu ver-
Die im Kontrollbereich tätigen Personen, die Röntgenstrahlen gleichen. Liegen Abweichungen der Bildqualität im Vergleich zur
anwenden, sind vorher über die Arbeitsmethoden, die möglichen Ursprungsaufnahme vor, ist der Betreiber verpflichtet, die Ur-
Gefahren und die anzuwendenden Schutzmaßnahmen zu be- sache zu ermitteln und zu beseitigen. Die Ergebnisse der Abnah-
lehren. me und Konstanzprüfungen sind von den Behörden zu benen-
nenden zahnärztlichen und ärztlichen Stellen zur Überprüfung
zugänglich zu machen.
2.3.5 Strahlenschutzbereiche (StrlSchV § 57 – 60) Die Maßnahmen der Qualitätssicherung haben das Ziel, eine
adäquate Bildqualität mit einer Strahlenexposition zu erreichen,
In der Strahlenschutzverordnung wurden Strahlenschutzbe- die mit Erfordernissen der medizinischen Wissenschaft zu ver-
reiche definiert: einbaren ist. Mit der angefertigten Röntgenuntersuchung soll die
4 Sperrbereich diagnostische Untersuchung mit einer Strahlenexposition durch-
4 Kontrollbereich geführt werden, die so niedrig gehalten wird, wie dies vernünfti-
4 Betrieblicher Überwachungsbereich gerweise vertretbar ist. Die regelmäßigen Konstanzprüfungen
4 Außerbetrieblicher Überwachungsbereich sollen eine Verbesserung der Bildqualität sowie eine Verringe-
rung von Strahlenbelastung und Kosten bewirken.
Sperrbereich
Der Sperrbereich ist ein Bereich mit einer höheren Dosisleistung Abnahmeprüfung
als 3 mJ/kg/h (0,3 REM/h). Der Sperrbereich muss mit folgender Bei einer Neuinstallation wird in einer Abnahmeprüfung nach-
Kennzeichnung markiert sein: Sperrbereich, kein Zutritt. Ein gewiesen, dass die Röntgeneinrichtungen in einem technisch
zeitlich begrenzter Zutritt ist nur mit Sondergenehmigung ge- optimalen Zustand sind und den Vorgaben des Gesetzgebers
stattet. entsprechen. Die Abnahmeprüfung wird bei Inbetriebnahme
18 Kapitel 2 · Strahlenbiologie und Strahlenschutz

und bei Änderung des Betriebs, welche die Bildqualität oder den wert von 400 mSv nicht überschreiten. Die zuständige Behörde
Strahlenschutz betreffen, vorgenommen. Bei kleineren Verände- kann im Benehmen mit dem Arzt nach § 41 Abs. 1 Satz 1 eine
rungen am Gerät, im Rahmen einer Reparatur oder eines Er- weitere berufliche Strahlenexposition zulassen, wenn diese
2 satzes genügt eine Teilabnahmeprüfung. Nach dem Medizin- eine effektive Dosis von 10 mSv im Kalenderjahr nicht über-
produktegesetzt entfällt bei Geräten mit CE-Zeichen die Abnah- schreitet und die beruflich strahlenexponierte Person schriftlich
meprüfung durch den Hersteller, ebenso die Kontrolle der Ab- einwilligt.
nahmeprüfung durch den Sachverständigen. Dennoch hat der
Hersteller und der Lieferant eine Abnahme vorzunehmen, die § 19 Strahlenschutzbereiche
der Produkthaftung genügt. (1) Bei genehmigungs- und anzeigebedürftigen Tätigkeiten nach
dieser Verordnung sind Strahlenschutzbereiche nach Maßgabe
des Satzes 2 einzurichten. Je nach Höhe der Strahlenexposition
2.3.7 Auszüge aus der Röntgenverordnung wird zwischen Überwachungsbereichen und Kontrollbereichen
unterschieden:
§ 31 Kategorien beruflich strahlenexponierter 1. Überwachungsbereiche sind nicht zum Kontrollbereich
Personen gehörende betriebliche Bereiche, in denen Personen im
Personen, die einer beruflichen Strahlenexposition durch Tätig- Kalenderjahr eine effektive Dosis von >1 mSv oder höhe-
keiten nach dieser Verordnung ausgesetzt sind, sind zum Zweck re Organdosen als 15 mSv für die Augenlinse oder 50 mSv
der Kontrolle und arbeitsmedizinischen Vorsorge folgenden Ka- für die Haut, die Hände, die Unterarme, die Füße und
tegorien zugeordnet: Knöchel erhalten können.
1. Beruflich strahlenexponierte Personen der Kategorie A: 2. Kontrollbereiche sind Bereiche, in denen Personen im
Personen, die einer beruflichen Strahlenexposition ausge- Kalenderjahr eine effektive Dosis von >6 mSv oder höhe-
setzt sind, die im Kalenderjahr zu einer effektiven Dosis von re Organdosen als 45 mSv für die Augenlinse oder
>6 mSv oder einer höheren Organdosis als 45 mSv für die 150 mSv für die Haut, die Hände, die Unterarme, die
Augenlinse oder 150 mSv für die Haut, die Hände, die Unter- Füße und Knöchel erhalten können.
arme, die Füße und Knöchel führen kann.
2. Beruflich strahlenexponierte Personen der Kategorie B: (2) Kontrollbereiche sind abzugrenzen und während der Ein-
Personen, die einer beruflichen Strahlenexposition ausge- schaltzeit zu kennzeichnen. Die Kennzeichnung muss deutlich
setzt sind, die im Kalenderjahr zu einer effektiven Dosis von sichtbar mindestens die Worte »Kein Zutritt – Röntgen« ent-
>1 mSv oder einer höheren Organdosis als 15 mSv für die halten; sie muss auch während der Betriebsbereitschaft vorhan-
Augenlinse oder 50 mSv für die Haut, die Hände, die Unter- den sein.
arme, die Füße und Knöchel führen kann, ohne in die Kate- (3) Aus anderen Strahlenquellen herrührende Ortsdosen
gorie A zu fallen. sind bei der Festlegung der Grenzen des Kontrollbereichs und
des Überwachungsbereichs einzubeziehen.
§ 31a Dosisgrenzwerte bei beruflicher (4) Die zuständige Behörde kann anordnen, dass weitere Be-
Strahlenexposition reiche als Kontrollbereiche oder als Überwachungsbereiche zu
(1) Für beruflich strahlenexponierte Personen darf die effektive Do- behandeln sind, wenn dies zum Schutz Einzelner oder der Allge-
sis den Grenzwert von 20 mSv im Kalenderjahr nicht überschreiten. meinheit erforderlich ist.
Die zuständige Behörde kann im Einzelfall für ein einzelnes Jahr (5) Die Bereiche nach den Absätzen 1 und 4 gelten als Strah-
eine effektive Dosis von 50 mSv zulassen, wobei für 5 aufeinander lenschutzbereiche nur während der Einschaltzeit des Strahlers.
folgende Jahre 100 mSv nicht überschritten werden dürfen. (6) Beim Betrieb ortsveränderlicher Röntgeneinrichtungen
(2) Für beruflich strahlenexponierte Personen darf die Or- oder Störstrahler nach § 5, Absatz 1 ist ein nach Absatz 1, Satz 2,
gandosis folgende Werte nicht überschreiten: Nr. 2 einzurichtender Kontrollbereich zu kennzeichnen und so
4 für die Augenlinse den Grenzwert von 150 mSv, abzugrenzen, dass unbeteiligte Personen diesen nicht unbeab-
4 für die Haut, die Hände, die Unterarme, die Füße und Knö- sichtigt betreten können. Kann ausgeschlossen werden, dass un-
chel jeweils den Grenzwert von 500 mSv, beteiligte Personen den Kontrollbereich unbeabsichtigt betreten
4 für die Keimdrüsen, die Gebärmutter und das rote Knochen- können, ist die Abgrenzung nicht erforderlich.
mark jeweils den Grenzwert von 50 mSv,
4 für die Schilddrüse und die Knochenoberfläche jeweils den § 23 Rechtfertigende Indikation
Grenzwert von 300 mSv, (1) Röntgenstrahlung darf unmittelbar am Menschen in Aus-
4 für den Dickdarm, die Lunge, den Magen, die Blase, die Brust, übung der Heilkunde oder Zahnheilkunde nur angewendet wer-
die Leber, die Speiseröhre, andere Organe oder Gewebe ge- den, wenn eine Person nach § 24, Abs. 1 Nr. 1 oder 2 hierfür die
mäß Anlage 3, Fußnote 1, soweit nicht unter Nummer 3 ge- rechtfertigende Indikation gestellt hat. Die rechtfertigende Indi-
nannt, jeweils den Grenzwert von 150 mSv. kation erfordert die Feststellung, dass der gesundheitliche Nut-
zen der Anwendung am Menschen gegenüber dem Strahlenrisiko
§ 31b Berufslebensdosis überwiegt. Andere Verfahren mit vergleichbarem gesundheit-
Die Summe der in allen Kalenderjahren ermittelten effektiven lichem Nutzen, die mit keiner oder einer geringeren Strahlenex-
Dosen beruflich strahlenexponierter Personen darf den Grenz- position verbunden sind, sind bei der Abwägung zu berücksich-
2.3 · Strahlenschutz und Qualitätssicherung in der Röngendiagnostik
19 2
tigen. Eine rechtfertigende Indikation nach Satz 1 ist auch dann
zu stellen, wenn die Anforderung eines überweisenden Arztes
vorliegt. Die rechtfertigende Indikation darf nur gestellt werden,
wenn der die rechtfertigende Indikation stellende Arzt den Patien-
ten vor Ort persönlich untersuchen kann, es sei denn, es liegt ein
Anwendungsfall des § 3 Abs. 4 vor. § 28a bleibt unberührt.
(2) Der die rechtfertigende Indikation stellende Arzt hat vor
der Anwendung, erforderlichenfalls in Zusammenarbeit mit
dem überweisenden Arzt, die verfügbaren Informationen über
bisherige medizinische Erkenntnisse heranzuziehen, um jede
unnötige Strahlenexposition zu vermeiden. Patienten sind über
frühere medizinische Anwendungen von ionisierender Strah-
lung, die für die vorgesehene Anwendung von Bedeutung sind,
zu befragen.
(3) Vor einer Anwendung von Röntgenstrahlung in der Heil-
kunde oder Zahnheilkunde hat der anwendende Arzt gebär-
fähige Frauen, erforderlichenfalls in Zusammenarbeit mit dem
überweisenden Arzt, zu befragen, ob eine Schwangerschaft be-
steht oder bestehen könnte. Bei bestehender oder nicht auszu-
schließender Schwangerschaft ist die Dringlichkeit der Anwen-
dung besonders zu prüfen.
3

3 Konventionelle Röntgendiagnostik
W. Reith

3.1 Technische und physikalische Grundlagen – 22

3.2 Bilddokumentation – 23

3.3 Untersuchungsgeräte/-verfahren – 24
3.3.1 Kontrastmittelunterstützte Aufnahmen – 24
22 Kapitel 3 · Konventionelle Röntgendiagnostik

3.1 Technische und physikalische


Grundlagen

Eine Anlage für die diagnostische Anwendung von Röntgen-


strahlen besteht in der Regel in der Röntgenröhre als Strahlen-
quelle, dem Hochspannungsgenerator zum Betrieb der Rönt-
3 genröhre, im Röntgengerät mit dem Aufnahmesystem und dem
Durchleuchtungsgerät.
Die Röntgenstrahlen werden durch die Abbremsung schnell
bewegter Elektronen im Anodenbrennfleck der Röntgenröhre
erzeugt. Für die medizinische Anwendung kommen die diagnos-
tische Röntgenröhre und die therapeutische Röntgenröhre zur
Anwendung.
Die Röntgenröhre besteht aus:
4 Elektronenquelle (Kathode) . Abb. 3.1. Röntgenröhre, schematisch dargestellt. A: Anode; B: Brenn-
4 Bremskörper (Anode) fleck; R: Röhrenabschirmung; UB: Beschleunigungsspannung; UH: Heizspan-
4 Glaszylinder mit Hochvakuum nung; F: Strahlenaustrittsfenster

Kathode, Anode und Glaszylinder


In der Projektionsradiographie (Röntgenübersichtsaufnahmen, röhrenspannung bei gleicher mAs-Produkt erhöht die Dosisaus-
Durchleuchtungsaufnahmen, kontrastmittelgestützte Röntgen- beute. Zusätzliche Filterung, z. B. mit Aluminium, haben den
aufnahmen bei Angiographie, Phlebographie) wird der Röntgen- Zweck, weiche Strahlenanteile der Strahlung, die nicht bildgebend
strahl durch Absorption bei Passage durch die einzelnen Gewe- wirken, also zum weit überwiegenden Teil im Objekt absorbiert
ben geschwächt und zur Bildgebung benutzt. Die örtliche Vertei- werden, aus dem Spektrum zu filtern. Diese zusätzliche Filterung
lung der unterschiedlich geschwächten Röntgenstrahlen wird als der Strahlung beträgt beim Strahler 2 mm Aluminiumgleichwert,
Strahlenbild bezeichnet. Es ist eine Summation der im Strahlen- der in der Projektionsradiographie bei Erwachsenen verwendet
gang erfolgten Absorption durch die unterschiedlichen Gewebe wird. In der pädiatrischen Radiologie wird ein höherer Alumini-
(Summations- oder Projektionsbild). umgleichwert gefordert, der meist durch zusätzliche Kupferfilter
Die ionisierende Strahlung wird erzeugt in Röntgenröhren, realisiert wird. Weiche Anteile der Röntgenstrahlungen werden
die von einem Schutzgehäuse umgeben sind. Dieses Schutzge- im Material stärker gefiltert als härtere Anteile; dieser Effekt wird
häuse hat eine doppelte Funktion: zum einen begrenzt es den üblicherweise als Aufhärtung der Strahlung beschrieben.
Austritt der Röntgenstrahlung auf das Strahlenaustrittsfenster, Der Anteil der charakteristischen Strahlung bei einer Molyb-
zum anderen übernimmt es die Funktion des Schutzes bei prin- dänanode ist gegen eine mit Wolfram erzeugte Strahlung deut-
zipiell nicht auszuschließenden Implosionen der Röntgenröhre. lich erhöht. Die Absorptionskante von Molybdän bewirkt bei
Die Erzeugung von Strahlung wird dadurch erreicht, dass eine einer zusätzlichen Molybdänfilterung mit 30 μm eine nahezu
Heizkathode erhitzt wird. Bei sehr hoher Temperatur der Heiz- völlige Auslöschung der K-Linie. Diese Strahlenqualität, die
wände wird notwendige Energie für die Austrittsarbeit von Elek- starke Anteile charakteristischer Strahlung aufweist, findet in
tronen aus dem Kathodenmaterial aufgebracht. Das Kathoden- der Mammographie Anwendung. Neben dem Anodenmaterial
material besteht in der Regel aus Wolfram oder einem Metall, das Molybdän wird in der Mammographie auch Rhodium als Ano-
einen ähnlich hohen Schmelzpunkt wie Wolfram besitzt. Durch denmaterial verwendet.
die angelegte Spannung zwischen Kathode und den Präanoden-
teller werden die thermisch erzeugten Elektronen von der Ober- Streustrahlung
fläche der Kathode auf die Anode hin beschleunigt. Der Aufprall Streustrahlung entsteht dann, wenn die Röntgenstrahlen auf
wird Brennfleck bzw. Fokus genannt. Materie auftreffen. Die gesamte im Nutzstrahlenbündel nicht
Hochleistungsröhren besitzen meist 2 unterschiedlich große gerichtete Strahlung gilt als Störstrahlung, ebenso die Strahlung,
Brennflecke. Die Energie, die ein Elektron aufnimmt, wird durch die außerhalb des Nutzstrahlenbündels den Film bzw. die digitale
die angelegte Röntgenröhrenspannung U bestimmt. Das auf das Detektorfläche erreicht. Diese Strahlung ist nicht bildgebend und
Anodenmaterial einfallende, schnelle Elektron wird vom elek- verschlechtert die Bildqualität. Eine Streustrahlung lässt sich
trischen Feld eines Atomkerns abgebremst und aus seiner Rich- durch folgende Maßnahmen reduzieren:
tung abgelenkt. Die dabei abgegebene Energie wird als Quant der Die effektivste Maßnahme zur Verringerung der Streustrah-
Röntgenbremsstrahlung frei. Der Wirkungsgrad, mit dem diese lung besteht in der Verwendung eines Rasters (. Abb. 3.2). Da-
Umwandlung stattfindet, ist von der Ordnungszahl Z des Anoden- bei handelt es sich um parallel oder auf den Fokus ausgerichtete
materials, von der Spannung U und einer Konstanten abhängig. Bleilamellen, die sich zwischen Patient und Film befinden. Die
Nur 1% der aufgewendeten Energie wird in Strahlung um- Primärstrahlung durchstrahlt im Wesentlichen die Freiräume
gewandelt. Die so erzeugte Strahlung wird allgemein als Brems- zwischen den Lamellen, die schräg auf die Lamellen treffende
strahlung bezeichnet. Die Energieverteilung der Quanten be- Streustrahlung wird absorbiert. Ein kleiner Teil der Primärstrah-
schreibt das Röntgenspektrum. Eine Erhöhung der Röntgen- len wird jedoch ebenfalls von den Bleistrahlen absorbiert, da-
3.2 · Bilddokumentation
23 3
Reduktionsvorgänge verstärkt (Entwicklung, nicht reduzierte
Silbersalze werden aus der Emulsion entfernt, Fixierung). Die
nicht belichteten Abschnitte des Films werden dabei transparent
und die durch die Röntgenstrahlung belichteten Bereiche ge-
schwärzt. Die Filmschwärzung ist dabei proportional zur Inten-
sität der auftreffenden Strahlung. Die Intensität der Filmschwär-
zung und der auftreffenden Röntgendosis ist nicht in allen Berei-
chen linear, sondern hat einen S-förmigen Verlauf. Die kleinste
Dosis Röntgenstrahlung kann den Film schon schwärzen, jedes
absorbierte Röntgenquant bewirkt eine geringe Schwärzung. Die
Lichtstrahlen dagegen rufen erst mit einer gewissen Intensität
(Schwellenwert) eine Dichte hervor. Eine bestimmte Zahl an
Quanten ist dabei notwendig, um den Effekt zu erziehlen.
In den unter- und überbelichteten Bildabschnitten besteht
kein linearer Zusammenhang in Dosis und Filmschwärze. Im
annähernden linearen Verlauf im Mittelteil der Schwärzungs-
kurve liegt der diagnostisch nutzbare Belichtungsbereich des
entsprechenden Films, in dem die Schwächungsunterschiede im
Strahlenbild proportional in Helligkeitsunterschiede im Film
umgesetzt werden.

Verstärkerfolien
. Abb. 3.2. Streustrahlenraster
In der Regel liegt der Röntgenfilm in den lichtundurchlässigen
Filmkassetten zwischen 2 Verstärkerfolien, die für eine Verringe-
rung der für die erforderliche Filmschwärzung notwendigen
durch erhöht sich bei Verwendung eines Rasters die zur Erzeu- Dosen sorgen. Durch die auftreffende Röntgenstrahlung werden
gung eines ausreichend belichteten Röntgenbildes notwendige die Verstärkerfolien zur Lichtemission angeregt. Das auf diese
Strahlendosis etwas. Damit die Bleilamellen nicht als feine Linien Weise imitierte Licht der Verstärkerfolien trägt mit 95%, die
auf den Röntgenaufnahmen sichtbar werden, werden sie wäh- Röntgenstrahlung nur mit 5% zur Filmschwärzung bei. Die aus
rend der Strahlenexposition bewegt. Raster werden dann ver- den Verstärkerfolien austretenden Lichtquanten haben im Ver-
wendet, wenn eine hohe Detailerkennbarkeit erwünscht ist. Bei gleich zur Röntgenstrahlung einen ungerichteten Verlauf, des-
Kindern <7 Jahren sollte zur Verringerung der Strahlendosis wegen entstehen auf dem Film Folienunschärfen, die in der
kein Raster verwendet werden. Praxis aber vernachlässigbar sind. Moderne Folien mit seltenen
Erden als Fluoreszenzstoffe haben den Dosisbedarf gegenüber
Dosisleistung folienlosen Filmen um ca. 50% gesenkt. Die Filmfoliensysteme
Zur Abschätzung der individuellen Dosisleistung des Exposi- werden in Empfindlichkeitsklassen eingeteilt. Diese unterschei-
tionsbedarfs des Patienten wird heute eine Belichtungsautomatik den sich im Auflösungsvermögen, im Rauschanteil und im Do-
standardmäßig verwendet. Unmittelbar vor oder hinter dem sisbedarf. Die Leitlinien der Bundesärztekammer zur Qualitäts-
Aufnahmesystem im Strahlengang befindet sich der zur Belich- sicherung in der Röntgendiagnostik legen fest, mit welcher Emp-
tungsautomatik gehörende Strahlendetektor, der die Dosisleis- findlichkeitsklasse bei Aufnahmen in den unterschiedlichen
tung misst. Nach Erreichen der vorgegebenen Dosisleistung wird Einsatzbereichen gearbeitet werden soll.
die Strahlung automatisch abgeschaltet.
Qualität
Die Bildqualität wird durch die Schärfe und den Kontrast be-
3.2 Bilddokumentation stimmt. Der Kontrast wird durch die Strahlencharakteristik, die
Strahlendosis, die Foliencharakteristik, die Streustrahlreduktion
Röntgenfilm und den Entwicklungsprozess beeinflusst. Wichtige Unschärfe-
Der Röntgenfilm war lange Zeit das Medium der Informations- faktoren sind die Bewegung von Objekt, Film und Röhre, die
aufnahme und der Informationswiedergabe. Bei der analogen Filmfolienkombination, Brennfleckgröße und Abstandsgeo-
Projektionsradiographie wird das aus dem Patienten austretende metrie. Die Röntgenstrahlung verursacht selbst eine gewisse Un-
Strahlenbild als Schwärzungsbild auf dem Röntgenfilm wieder- schärfe, die folgenden Gesetzmäßigkeiten unterliegt:
gegeben. Die Röntgenfilme bestehen aus einer Trägerschicht, die 4 Je größer der Brennfleck, desto größer die Unschärfe.
auf beiden Seiten mit einer photoempfindlichen Emulsion be- 4 Je größer der Abstand zwischen Brennfleck und Objekt, des-
schichtet ist. Die Emulsion enthält lichtempfindliche Silberhalo- to geringer die Unschärfe.
genidkörper (AgCr). Diese Silberbromidkristalle weisen einen
Durchmesser von 0,7 nm auf und bilden nach der Belichtung den Bei konstantem Bildfokusabstand kann der Vergrößerungseffekt
Entwicklungskeim. Im Laufe der Filmentwicklung werden die berechnet werden, wenn das Objekt auf dem filmnahen Bereich
24 Kapitel 3 · Konventionelle Röntgendiagnostik

in den röntgennahen Bereich des Strahlengangs gebracht wird. Die Photokathode setzt an den von Lichtquanten getroffenen
Dabei werden röhrennahe Objektbereiche vergrößert und un- Stellen mit dem photoelektrischen Effekt Elektronen frei. Die
schärfer abgebildet als filmnahe Objektanteile. In den Rand- freien Elektronen werden in dem elektrischen Hochspannungs-
bereichen des Bildes entsteht mit zunehmendem Abstand von feld zwischen der Photokathode und dem Ausgangsschirm
der Senkrechten projektionsbedingt eine Verzerrung der geo- mit beschleunigt. Das dem Strahlenbild hinter dem Patienten
metrischen Strukturen. entsprechende Elektronenbild in der Vakuumröhre wird durch
3 Fluoreszenzeffekte in der Phosphorschicht des Ausgangsschirms
Bildentwicklung in ein Lichtbild umgewandelt, das im Vergleich zum Eingangs-
Die Bildentwicklung erfolgt heute in automatischen Entwick- bild verkleinert, umgekehrt und intensiver ist.
lungsmaschinen, bei denen die Entnahme der belichteten Filme Durchleuchtungsgezielte Aufnahmen können dabei auf ana-
aus den Kassetten und Beladung der Kassetten mit unbelichteten logen Filmen oder digitalen Speicherfolien abgebildet werden
Filmen aus einem mit der Entwicklungsmaschine in Verbindung (direkte Aufnahmetechnik).
stehenden Vorratsmagazin automatisch abläuft. Bei der indirekten Aufnahmetechnik wird das verstärkte
Ausgangsbild auf eine 100 mm-Kamera (Mittelformattechnik)
oder auf eine Kinokamera gelenkt.
3.3 Untersuchungsgeräte/-verfahren Bei der digitalen Bildverstärkerradiographie wird das analo-
ge Signal der Videokamera in ein digitales Signal umgewandelt.
3.3.1 Kontrastmittelunterstützte Aufnahmen Der digitale Bilddatensatz wird nach Bearbeitung im Bildrechner
an eine Laserkamera übermittelt, dort auf einem Film dokumen-
Die häufigsten durchleuchtungsgezielten Aufnahmen sind tiert bzw. auf optische Medien gespeichert.
kontrastmittelunterstützte Aufnahmen des gastrointestinalen
Trakts, Fistel- und Gefäßdarstellung. Bei der Durchleuchtung Digitale Subtraktionsangiographie
werden spezielle Einstellungen mit entsprechend beweglichen Die digitale Subtraktionsangiographie (DSA) ist eine temporäre
Röntgen- und kippbaren Lagerungstischen für spezielle Einstel- Filtertechnik, die es erlaubt, Gefäßkontrastierungen nach der
lungen entsprechend den anatomischen Verhältnissen durchge- Kontrastmittelgabe isoliert darzustellen. Es ist eine spezielle
führt. Unter Sicht können dabei dynamische Untersuchungen Form der digitalen Bildverstärkerradiographie. Dabei werden in
durchgeführt werden. Diese Untersuchungstechnik wird für der Regel Bilddatensätze vor und nach intravasaler Kontrast-
folgende Untersuchungen benötigt: mittelgabe angefertigt. Anschließend werden die Bilddatensätze
4 Magendarmtrakt (Ösophagus-, Magen-, Dünn- und Dick- ohne und mit Gefäßkontrastierungen subtrahiert, sodass die
darmuntersuchungen) statischen Bildelemente der Gefäßumgebung rechnerisch elimi-
4 Gefäße (Arterio- und Phlebographie) niert werden und nur die von Kontrastmittel durchströmten
4 Darstellung der Gänge exokriner Drüsen (endoskopische re- Gefäße wirksam zur Darstellung kommen.
trograde Cholangiopankreatikographie, Cholezystangiogra- Durch die Eliminierung des Hintergrundes verschwinden
phie, Sialographie, Galaktographie, Dakrozystographie) dabei die Skelett- und Weichteilstrukturen. Inkongruente Sub-
4 Gelenke (Arthrographie) traktionsbilder treten auf, wenn durch Patientenbewegungen
4 Spinaler Subarachnoidalraum (Myelographie) während der DSA-Serie eine Deckungsungleichheit von Maske
4 Ableitende Harnwege (retrograde Ureteropyelographie, und Füllungsbild auftritt. Zur Korrektur dieser Inkongruenz
Urethrographie, Miktionszystourethrogramm) stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung:
4 Fisteldarstellung 4 Pixelshifting oder Bildpunktverschiebung: Auf elektro-
nischem Wege wird ein »Pixelshifting« oder eine Bildpunkt-
Mit den modernen Durchleuchtungsgeräten erfolgt zur Reduk- verschiebung durchgeführt und Inkongruenz beseitigt.
tion der Strahlenexposition die Darstellung mit gepulster Rönt- 4 Re-Masking: Durch die Auswahl eines anderen, nicht vorein-
genstrahlung. Die Pulsfolge kann dabei je nach dem zeitlichen gestellten Maskenbildes lässt sich evtl. die Inkongruenz eben-
Auflösungsbedarf in verschiedenen Stufen gewählt werden. falls reduzieren bzw. beseitigen.
Die Dosisbelastung ist bei der Durchleuchtung höher als bei 4 Bildintegrationsmethoden: Die Bildintegration bewirkt
Röntgenaufnahmen an Rasteraufnahmegeräten. eine deutliche Verbesserung des Signal-Rausch-Verhält-
Zur Reduzierung der Strahlenexposition und zur Verbes- nisses. Es können z. B. die ersten Bilder integriert und von
serung des Signalrauschverhältnisses werden heute Bildver- 3 integrierten Gefäßfüllungsbildern subtrahiert werden.
stärker-Fernsehketten bei der Durchleuchtung verwendet. 4 Vascular-Tracing: Bei Injektion eines kleinen Kontrastmittel-
Der Bildverstärker besteht dabei aus einem Vakuumgefäß, bolus kann eine längere Gefäßstrecke durch die Summation
in dem sich an der Frontseite der Eingangsschirm und an mehrerer DSA-Bilder dargestellt werden. Während einer
der abgewandten Seite der Ausgangsschirm befindet. Im In- Serie wandert der kleine Kontrastmittelbolus über eine Ge-
neren des Vakuumgefäßes ist der Eingangsschirm angeordnet, fäßstrecke zuerst durch zentrale und auf den späten Bildern
der aus Fluoreszensschicht (Cäsiumiodid-Schicht) und der durch die peripheren Arterien. Die Kombination der ausge-
Photokathode zusammengesetzt ist. Die Cäsiumiodidschicht wählten Bilder ergibt eine kontinuierliche Darstellung des zu
absorbiert einen großen Teil der auftreffenden Röntgenpho- untersuchenden Gefäßbaums. Die Methode bewirkt gleich-
tonen. zeitig eine Reduktion des Signal-Rausch-Verhältnisses.
3.3 · Untersuchungsgeräte/-verfahren
25 3

. Abb. 3.3. Funktionsprinzip der digitalen Subtraktionsangiographie

4 Road-Mapping/Pfadfindertechnik: Das Road-Mapping gibt möglichen Beschwerden müssen dem Patienten mitgeteilt
dem Untersucher eine Hilfe zur Positionierung des Katheters werden. Diese beinhalten Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen,
im Gefäß. Unter Durchleuchtung wird im Katheter eine diese evtl. über Tage anhaltend. Auch auf die sehr selten auf-
kleine Menge Kontrastmittel injiziert. Sobald sich das Gefäß tretenden Komplikationen wie Blutung in den Spinalkanal, evtl.
kontrastiert, unterbricht der Untersucher die Durchleuch- mit nachfolgender Operationsindikation, Lähmungen, Hör- und
tung und der Rechner speichert das letzte Bild als Maske. Sehstörungen (hier v. a. Lähmungen des N. abducens), Infek-
Nach Wiedereinschalten der Durchleuchtung werden die fol- tionen mit epiduralem oder intaduralem Abszess und Hirn-
genden Durchleuchtungsbilder fortlaufend von der Maske hautentzündung und die Möglichkeit einer Verschlimmerung
subtrahiert. Der Untersucher kann den Katheter unter Sicht der vorbestehenden Beschwerden muss der Patient vor der Unter-
im kontrastierten Gefäß lokalisieren und platzieren. suchung hingewiesen werden.

Myelographie Kontraindikationen. Es ist sicherzustellen, dass bei den Patien-


Grundlagen und Vorbereitung der Untersuchung ten keine Gerinnungsstörung vorliegt. Die häufig als Schmerz-
Bei der Myelographie wird der das Rückenmark umgebende li- mittel und zur Antikoagulation eingenommene Acetylsalicyl-
quorgefüllte Raum mit Kontrastmittel gefüllt. Der spinale Sub- säure, auch in niedriger Dosierung, ist 3–4 Tage vor der Unter-
arachnoidalraum kommuniziert mit dem Schädel und den Vent- suchung abzusetzen. Die Schilddrüsenwerte sollten vorliegen,
rikeln des Gehirns. Zur Verwendung kommen wasserlösliche bei Bestehen einer manifesten Hyperthyreose sollte diese zuvor
Kontrastmittel. Vor der Untersuchung muss der Patient über abgeklärt werden, evtl. eine andere Untersuchungsmodalität an-
mögliche Komplikationen, wie eine Kontrastmittel-Allergie, gewandt werden.
bakterielle oder abakterielle Meningitis, Arachnoiditis, Hirnner- Eine intrakranielle Druckerhöhung ist absolute Kontraindi-
venausfälle, Querschnittslähmung sowie intraspinale Blutungen kation für eine Myelographie. Bei schweren Funktionsstörungen
aufgeklärt werden. der Leber, Nieren, Lungen, sowie Herz- und Kreislaufschwäche
ist eine strenge Nutzen-Risiko-Abwägung erforderlich. Grund-
Aufklärung des Patienten. Die Myelographie ist als invasive, sätzlich sollten eine spinale CT- und/oder MRT-Untersuchung
den Patienten belastende Untersuchungstechnik zu werten. Über vorliegen.
den Untersuchungsablauf und das Ziel der Untersuchung muss
der Patient rein rechtlich 24 h im Voraus aufgeklärt werden. Die Vorgehen nach der Untersuchung. Nach der Untersuchung
aufgrund der Punktion und der Injektion des Kontrastmittels sollte der Patient über 24 h mindestens 3 l Flüssigkeit (Mineral-
26 Kapitel 3 · Konventionelle Röntgendiagnostik

wasser, Tee, etc.) zu sich nehmen. Die früher vorgeschriebene


24-stündige Bettruhe ist nicht notwendig, da kein eindeutig kau-
saler Zusammenhang zwischen Kopfschmerzen und Einhalten
einer Bettruhe nachgewiesen werden konnte.

Durchführung der Untersuchung


3 In der Regel wird ein nichtionisches Kontrastmittel in den Sub-
arachnoidalraum injiziert (s. unten); eine Punktion in Höhe
HWK 1/2 wird heutzutage nur noch selten durchgeführt. Vor der
Injektion wird Liquor zur Diagnostik und zur chemischen Un-
tersuchung entnommen.
Die Myelographie kann am sitzenden oder liegenden Pati-
enten am Durchleuchtungsgerät mit drehbarem Sitz durchge-
führt werden. Die Punktion des Liquorraums erfolgt mit einer
Spezialnadel (Yale Spinal 22 G) schmerz- und risikoarm, die
typische Punktionshöhe liegt bei LWK 4/5, doch kann auch die
Höhe LWK 3/4 oder LWK 2/3 gewählt werden, da der Konus
meist in Höhe Th 12/LWK 1 steht (. Abb. 4.3). Zu Beginn der
Kontrastmittel-Applikation ist eine kurze Durchleuchtung erfor-
derlich, um eine sichere intrathekale Lage zu gewährleisten.
Nach Punktion und Kopftieflagerung des Patienten lässt
man das Kontrastmittel unter ständiger Durchleuchtungs-
kontrolle nach kranial fließen, wobei deutlich wird, ob der Spi-
nalkanal durchgängig ist. Injiziert werden zur lumbalen Myelo-
graphie 10 ml anionisches, iodhaltiges Kontrastmittel (z. B.
Isovist, Solutrast) in einer Konzentration von 240 mg Iod/ml.
Für eine zervikale Myleographie und eine Panmyelographie
werden bis 18 ml in einer Konzentration von 300 mg Iod/ml . Abb. 3.4. Schematische Darstellung der Punktionsstelle für die Lumbal-
appliziert. punktion, z. B. zur Myelographie

> Es ist darauf zu achten, dass das Kontrastmittel nicht


über das Foramen magnum nach intrakraniell gelangt,
4 Posteroanteriore Aufnahme der mittleren Halswirbelsäulen-
weil dann die Wahrscheinlichkeit neurotoxisch beding-
segmente und der zerviko-thorakalen Übergangsregion bei
ter generalisierter Krampfanfälle ansteigt. Deswegen
deckungsgleicher Kinn und Okzipitalschuppe.
wird von manchen Untersuchern 10 mg Diazepam i. v.
4 2 Aufnahmen in 15–20° rechts- und linksanteriorer Schräg-
vor einer zervikalen Myleographie und einer Panmyelo-
projektion.
graphie appliziert, um dieses Risiko zu minimieren,
4 Aufnahmen mit angestellter Kassette in Bauchlage mit seit-
wobei der Nutzen nicht belegt ist.
lich eingefahrener zweiter Röhre und möglichst vollständiger
Für eine lumbale Myelographie werden nach Dokumentation der Darstellung auch des 7. Halswirbels und der zerviko-thora-
Nadellage eine a.p., eine seitliche und je 1‒2 schräge Aufnahmen kalen Übergangsregion (an Schultern ziehen).
durchgeführt. Abschließend werden noch Funktionsaufnahmen 4 Seitliche Aufnahme am stehenden Patienten in Extension der
und Aufnahmen des Konusbereichs angeschlossen. Halswirbelsäule.
Lumbale Myelographie: 4 Seitliche Aufnahme am stehenden Patientem in Anteflexion
4 Seitliche Aufnahme mit Dokumentation der Lage der Punk- der Halswirbelsäule.
tionsnadel
4 a.p.-Aufnahme CT-Myelographie
4 Schrägaufnahme, ca. 45% unter Freidrehung der Wurzel in Die spinale CT nach intrathekaler Gabe eines wasserlöslichen,
beiden Richtungen iodhaltigen Kontrastmittels (z. B. Isovist) erfolgt über eine Lum-
4 Aufnahme in Ante- und Retroflexion balpunktion im Rahmen einer Myelographie mit anschließender
4 Bis zur Anfertigung des CT-Myelographie ist der Patient in Post-Myelo-CT nach entsprechendem zeitlichem Intervall von
Bauchlage mit abgesenktem Kopf zu positionieren. 20 min bis 4 h. Die CT-Myelographie ist entweder in band-
scheibenparalleler Schnittführung oder im Spiralmodus anzu-
Die folgenden Aufnahmen sind bei einer zervikalen Myelogra- fertigen.
phie zu empfehlen: Durch die intrathekale Kontrastmittelgabe gelingt in der
4 Posteroanteriore Aufnahme in Hyperextension des Kopfs Regel eine gute Abgrenzbarkeit des Myelons und der Nerven-
zur Darstellung des kranio-zervikalen Übergangs und der wurzeln innerhalb der Wurzeltaschen. Die Anzahl der zu unter-
Cisterna magna. suchenden Segmente richtet sich nach dem myelographischen
3.3 · Untersuchungsgeräte/-verfahren
27 3
Befund und der klinischen Beschwerdesymptomatik. Zur Erken-
nung zusätzlicher degenerativer Wirbelsäulenveränderungen ist
die ergänzende HR-Knochendokumentation unerlässlich.
In der Diagnostik von Bandscheibenerkrankungen werden
bevorzugt dem Bandscheibenfach parallele 2‒3 mm dicke
Schichten angefertigt. Diese sollten jeweils den Bereich vom Wir-
belbogen des über dem Bandscheibenfach befindlichen Wirbels
bis zum Wirbelbogen des darunter befindlichen Wirbels umfas-
sen. Die Gantry-Neigung, d. h. die Winkelung der Schichtebene
relativ zur Körperlängsachse, wird dabei für jede Etage neu an-
gepasst. CT-Scans werden im Weichteil- und Knochenfenster
durchgeführt.
Nach der Injektion des Kontrastmittels werden Zielaufnah-
men in den entsprechenden Ebenen angefertigt, bei denen durch
die Neigung des Kipptischs und Rotation des Patienten eine
möglichst überlagerungsfreie Darstellung der anatomischen
Strukturen und pathologischen Veränderungen gegeben ist. Zu-
sätzlich zu den Aufnahmen in Neutralposition können Aufnah-
men in Funktionsstellung (Retroflexion, Anteflexion, Funktions-
myelographie) dokumentiert werden.
In Ergänzung zu den indirekten myelographischen Darstel-
lungen wird nach Abschluss der Myelogramme eine postmyelo-
graphische CT-Untersuchung durchgeführt, bei der der hohe
Kontrast zwischen Liquor und umgebenden Weichteilstrukturen
genutzt wird.
4

4 Computertomographie
W. Reith

4.1 Allgemeines – 30

4.2 Wichtige technische Charakteristika der Computertomographie – 30

4.3 Multidetektor-CT – 32
4.3.1 Akquisitionsparameter – 32
4.3.2 Rekonstruktionsparameter – 33
4.3.3 EKG-Synchronisation bei kardialer CT – 33

4.4 Abbildung und Darstellungstechniken – 34


30 Kapitel 4 · Computertomographie

4.1 Allgemeines
. Tab. 4.1. Typische Dichtewerte in der CT in Hounsfield-Einheiten
Die CT ist eine der wichtigsten Techniken der radiologischen
Gewebe Hounsfield-Einheiten
Diagnostik. Der erste Computertomograph wurde von Godfrey
Hounsfield für Schädeluntersuchungen entwickelt und 1971 Lunge –500
erstmalig eingesetzt. Im Jahr 1974 wurde dann der erste Ganz-
Fett –100 bis 0
körpercomputertomograph installiert.
Die CT basiert auf einer tomographischen Röntgentechnik, Wasser 0
4 bei der ein Röntgenstrahl den Patienten aus verschiedenen Rich- Leber (nativ) 40–60
tungen abtastet. Durch parallele Kollimation wird der Röntgen-
strahl zu einem dünnen Fächer geformt, der die Schichtdicke Frisches Blut 70–90
definiert. Bei Durchtritt durch den Körper wird die Röntgen- Leber nach Kontrastmittelgabe ca. 150
strahlung geschwächt und von Detektoren erfasst. Mittels mathe-
Spongiosa bis ca. 300
matischer Bildrekonstruktionen wird die lokale Röntgenschwä-
chung dann rekonstruiert und in so genannte CT-Werte, Grau- Kompakta 300–1000
stufen, kodiert und schließlich als Bild dargestellt.
Bei CT-Geräten der 1. und 2. Generation bewegte sich die
Röntgenröhre noch in 2 Einzelbewegungen: Translation und
Rotation. Bei den Geräten der 3. und 4. Generation rotiert die Die Bildrekonstruktion beginnt mit der Definition des inter-
Röntgenröhre um den Patienten. Mit einem Kollimatorensystem essierenden Bildausschnitts (Field of view, FOV). Ein CT-Bild
wird ein schmaler Fächer und somit der Röntgenstrahl aus besteht aus einer quadratischen Bildmatrix, bei neueren Geräten
dem Strahlenkegel ausgeblendet. Seine Breite entspricht der ge- in der Regel 1024×1024 Bildpunkte, wobei jede CT-Schicht eine
wünschten Dicke der Körperschicht. Da die Scanner der 3. Ge- definierte Dicke besitzt und jeder Bildpunkt einem Volumenele-
neration eine bessere Streustrahlunterdrückung und weniger ment (Voxel) entspricht. Die Größe des Voxel ergibt sich aus der
Detektorelemente haben, wird diese Technologie bei allen der- Matrixgröße, dem gewählten Bildausschnitt (Field of view) und
zeitigen Multidetektorsystemen eingesetzt. der Schichtdicke. Bei der Mehrzahl der Untersuchungen besitzen
die Voxel eine Balkenform, d. h. die XY-Ebene ist in der Regel
Elektronenstrahl-CT. Hier wird ein Elektronenstrahl mit einer kleiner als die Schichtdicke (Z-Richtung). Diese Anisotropie der
Hochspannung von 120 kV in einem trichterartigen Vakuum- Voxel lässt sich in der Regel nur durch eine Reduktion der
tunnel beschleunigt und von Ablenkspulen auf Targets zugelenkt, Schichtdicke vermindern. Mit einem modernen Multidetektor-
die halbkreisförmig unter dem Patienten eingebracht sind. Die CT-System wird eine annähernd isotrope Voxel erreicht.
einzelnen Targets entsprechen der Anode der Röntgenröhre, an Bei der Bildrekonstruktion wird jedem Voxel ein Zahlenwert
ihnen entsteht die Röntgenstrahlung. Die Schwächung des Elekt- (CT-Wert) zugeordnet, der ein Maß für die Röntgenschwächung
ronenstrahls wird über einen Detektorhalbkreis über dem Pa- μ in diesem Voxel ist. Die CT-Werte werden in Hounsfield-Ein-
tienten abgegriffen. heiten (HE) angegeben (. Tab. 4.1). Die Hounsfield-Skala be-
Die Vorteile der Elektronenstrahl-CT sind die extrem kurzen ginnt bei –1000 für Luft, besitzt den Wert 0 für Wasser und ist
Scan-Zeiten für Einzelschichtdicken, wodurch praktisch keine nach oben unbegrenzt, wird jedoch meist mit 3000 angegeben
Bewegungsartefakte entstehen. Nachteile sind jedoch die schlech- (. Abb. 4.1). Der verfügbare CT-Wertebreich ist gerätespezifisch,
te Bildqualität durch das Rauschen. Mehrfachmessungen zur je nach Bit-Tiefe (bits pro Pixel) verschieden (z. B. von ‒1024 bis
Verbesserung der Bildqualität bewirken wiederum längere Scan- 3071 HE bei 12 bit oder bis zu 64 500 Werte bei 16 bit).
Zeiten und höhere Dosen. Die Definition des CT-Werts ist wie folgt:

μ – μH2O
CT = 1000 × (HE)
4.2 Wichtige technische Charakteristika μH2O
der Computertomographie
Da das menschliche Auge lediglich eine begrenzte Anzahl
Bildrekonstruktion von ca. 40‒100 Graustufen unterscheiden kann, wird in der
Die bei der CT-Untersuchung aufgezeichneten Messungen und CT-Skala nicht der gesamte Umfang der Grauskala dargestellt.
Daten werden vorverarbeitet, um Schwankungen des Detektorsys- Vielmehr wird nur ein Teil der CT-Skala, das so genannte Fens-
tems und Aufhärtungsartefakte der Röntgenstrahlen zu korrigie- ter, definiert dargestellt. Das Fenster ist durch seine Weite und
ren. Die Schwächung der Röntgenstrahlen beim Durchtritt durch seine Lage (auch Level oder Center genannt) definiert. Die Brei-
den Patienten wird in jeder Position der Röntgenröhre ermittelt, te bestimmt den Bildkontrast, das Level die Helligkeit. Ein enge-
logarithmiert und nach einer Hoch- und Tiefpassfilterung (Fal- res Fenster (geringere Fensterweite) führt zu einer Kontrastan-
tungskerne) anhand eines Linienintegrals rückprojiziert (gefaltete hebung und zu einer verbesserten Darstellung kontrastarmer
Rückprojektion). Aus den Schwächungswerten aller Projektionen Strukturen, ein weites Fenster zu einer Kontrastreduktion und
ergibt sich durch Überlagerung ein Lichtbild, jedes zweidimensi- verbesserter Darstellung von Strukturen mit stark verschiedenen
onale Bild (Pixel) repräsentiert ein Volumenelement (Voxel). CT-Werten, z. B. Knochen- und Lungenparenchym. Durch die
4.2 · Wichtige technische Charakteristika der Computertomographie
31 4
ren Dichtewerten als hyperdens, mit geringeren Dichtewerten als
hypodens.

Gantry-Kippung
Die Scanner-Einheit (Gantry) lässt sich für schräge Schnitte um
die X-Achse je nach Hersteller bis zu ±30° kippen. In modernen
Multidetektor-Scannern ist es jedoch oft nicht notwendig, eine
Gantry-Kippung durchzuführen.

Schichtdicke
Die Kollimation der Röntgenstrahler bestimmt die Dicke
der untersuchten Schicht. Die Röntgenröhre gibt ähnlich wie in
der konventionellen Röntgendiagnostik eine konisch divergie-
rende Strahlung ab. Durch Blenden muss der Röntgenstrahl
eingeblendet werden (Kollimation). Eine exakte planparallele
Schicht wird jedoch nie erreicht. Die Röntgenröhre produziert
neben dem Primärstrahl einen Halbschatten, die so genannte
. Abb. 4.1. Skala der CT-Werte. Definiert wird die Skala durch die Werte 0 HE Penumbra (. Abb. 4.2). Aufgrund der Strahlengeometrie wer-
für Wasser und –1000 HE für Luft; Weichteilgewebe haben Werte um 50 HE den auch außerhalb der gewählten Schichtdicke gelegene
Regionen miterfasst. Daraus resultiert ein abgerundetes Schicht-
empfindlichkeitsprofil, was einem idealen Rechteckprofil für
Fensterwahl sind die Dichtewerte ober- und unterhalb dieses große Schichtkollimationen annähernd entspricht. Als Maß
Fensters einheitlich schwarz bzw. weiß. Gewebe bzw. patho- für die effektive Schichtdicke wird die Breite des Schichtprofils
logische Veränderungen, deren Dichte annähernd mit einer Be- in halber Höhe (FWHM) eingesetzt. Die effektive Schichtdicke
zugsgröße (z. B. Wasser, Gehirn) übereinstimmen, bezeichnet ist ein Maß für die Auflösung entlang der Patientenachse
man als isodens, solche mit im Vergleich zur Bezugsgröße höhe- (Z-Richtung).

b c

. Abb. 4.2a–c. Schematische Darstellung der Schichtdicke. a Infolge der keitsprofil« kommt einem idealen Rechteck nur für große Schichtkollimati-
Strahlengeometrie werden auch Regionen miterfasst, die außerhalb der ge- onen nahe. c FWHM als Maß für die effektive Schichtdicke
wählten Schichtdicke liegen. b Das entstehende »Schichtempfindlich-
32 Kapitel 4 · Computertomographie

10, 16, 20, 32, 40, 64, 128 und 256 Zeilen. Durch eine höhere
Rotationsgeschwindigkeit wurde die Leistung dieser Systeme
zusätzlich verbessert. Die Rotationszeiten liegen z. T. bei 0,3 s,
was gerade für die Kardiodiagnostik von großem Vorteil ist. Die
spiralförmige Datenakquisition wird häufig, v. a. für große Un-
tersuchungsvolumina im Abdomen, angewandt, ein sequenziel-
ler Modus (Schicht für Schicht) ist jedoch ebenfalls möglich und
wird v. a. bei Untersuchungen der Lunge (HR-CT), des Neuro-
4 kraniums oder bei Interventionen genutzt.
Die Vorteile der Multidetektor-CT liegen in der kürzeren
Abtastdauer mit reduzierten Bewegungsartefakten, v. a. bei Kin-
dern, Unfallpatienten und schwerkranken Patienten. Durch die
längeren Untersuchungsabschnitte sind Vorteile in der Gefäß-
darstellung gegeben. Durch die dünnere Kollimation und damit
dünneren Schichten ist eine nahezu isotrope Bildgebung ge-
geben, was v. a. bei der Felsenbeindarstellung und Darstellung
des Bewegungsapparats bei multiplanaren Rekonstruktionen
von Vorteil ist.

. Abb. 4.3. Partialvolumeneffekt. Die Voxel gleichen einem Streichholz


bzw. Rechteck, wodurch neben den interessierenden Objekten auch die 4.3.1 Akquisitionsparameter
Umgebung (entsprechend ihrem Volumenanteil) zum CT-Wert im Voxel bei-
trägt. Das führt zu einer Verfälschung des CT-Werts des Voxels
Ähnlich wie bei der konventionellen Spiral-CT sind beim Multi-
detektor-CT die wichtigsten Akquisitionsparameter Schicht-
Bei modernen Spiral- und Multidetektor-CT-Geräten sind kollimation, Tischvorschub pro Rotation und Pitch. Die effektive
die effektive Schichtdicke und die Schichtkollimation nicht mehr Schichtdicke oder Schichtweite ist ein weiterer wichtiger Rekons-
unbedingt übereinstimmend. truktionsparameter neben dem Rekonstruktionsinkrement.
Es muss zwischen Akquisitions- und Rekonstruktionspara-
Partialvolumeneffekt metern unterschieden werden.
Aufgrund der Rechteckgeometrie der Voxel tragen oft nicht nur
die interessierenden Objekte, z. B. ein Rundherd, zum CT-Wert Schichtkollimation
im Voxel bei, sondern entsprechend ihrem Volumenanteil auch Die an einem Multidetektor-CT verfügbaren Schichtkollima-
die Umgebung. Der resultierende CT-Wert des Voxel ist demge- tionen werden durch die Detektorkonfiguration vorgegeben. Die
mäß etwas verfälscht und stellt die Summe der verschiedenen Schichtkollimation bestimmt die Ortsauflösung in Z-Richtung.
Schwächungswerte dar (Teilvolumen- oder Partialvolumeneffekt) Für hochauflösende Filter, wie sie z. B. für Skelett- und Lungen-
(. Abb. 4.3). diagnostik eingesetzt werden, sind Kollimationen <1 mm erfor-
derlich. Die kleinste rekonstruierbare Schichtweite ist identisch
Schichtkollimation mit der Kollimation. Die Möglichkeit zur Rekonstruktion isotro-
Die in der CT üblicherweise axiale Schnittführung führt dazu, per Daten geht mit Verwendung dickerer Schichtkollimation
dass senkrecht, parallel zur Körperachse verlaufende Strukturen verloren.
nur geringe Partialvolumeneffekte aufweisen. Störend sind Par-
tialvolumeneffkte bei kleinen Strukturen und schräg zur Scan- Rotationsgeschwindigkeit
achse verlaufende Strukturen, wie Zwerchfell, Nierenpole, etc. Die Rotationsgeschwindigkeit beschreibt die Dauer einer voll-
Für parallel zur Schichtebene verlaufende Strukturen sollte die ständigen Rotation der Röntgenröhre um den Patienten. Die
Kollimation auf 3 mm verringert werden, z. B. Pankreas, Neben- neuesten Scanner haben Rotationsgeschwindigkeiten in einer
nieren. Dünne Kollimation von 1‒2 mm Schichtdicke werden bei Größenordnung von 0,33‒0,42 s. Um noch effektivere Rota-
der Diagnostik interstitieller Lungenerkrankungen eingesetzt, tionszeiten zu bekommen, eignen sich als Alternative Scanner
die eine Darstellung feinster Strukturen erfordert. mit mehreren Röntgenröhren (Dual-Source-Technologie). Da-
durch lassen sich bei limitierter mechanischer Röhrenbelastung
höhere effektive Rotationszeiten erzielen, was besonders für die
4.3 Multidetektor-CT Herzbildgebung hervorragend geeignet ist.

Im Gegensatz zu Systemen mit einem einzigen Detektorkranz Zwei-Röhrentechnologie (Dual-Source)


(1-Zeilen-CT) verfügen Multidetektorsysteme über 2 oder mehr Bei der Dual-Source-Technologie werden 2 Röntgenröhren und
parallele Detektorzeilen, die gleichzeitig Rohdaten erfassen kön- 2 Detektorkränze zur Verbesserung der zeitlichen Auflösung
nen. Die ersten Systeme mit 4 parallelen aktiven Detektorzeilen eingesetzt. Diese Technik wurde für die kardiale CT entwickelt.
wurden 1998 eingeführt, zwischenzeitlich gibt es Geräte mit 6, 8, Durch den Einsatz von 2 Akquisitionssystemen kann die Zeit zur
4.3 · Multidetektor-CT
33 4
TF
a P=
N × SC

Der Pitch kann zwischen 0 und 2 variieren, ohne dass Abtast-


lücken auftreten (. Abb. 4.4). Ein geringer Pitch-Faktor führt zu
geringeren Kegelstrahlartefakten, hat aber eine höhere Strahlen-
dosis für den Patienten bei gleichem Rauschverhältnis. Werden
eine dünne Schichtkollimation und ein hoher Pitch-Faktor ein-
gesetzt, so können aus den Rohdaten hochwertige mulitplanare
Rekonstruktionen gewonnen werden. Mit 16- und 64-Zeilen-
Scannern sind diese Unterschiede weniger relevant, da ohnehin
mit dünnen Schichten gearbeitet wird.

Scan-Dauer
Die Scan-Dauer berechnet sich aus Scan-Länge und Tischge-
schwindigkeit. Die Tischgeschwindigkeit berechnet sich aus dem
Tischvorschub pro Rotation und der Rotationszeit. Die Scan-
Dauer nimmt proportional mit der Rotationszeit und umgekehrt
proportional mit der Detektorweite und dem Pitch ab.

4.3.2 Rekonstruktionsparameter

Schichtweite
Die Schichtweite kann nur kleiner oder gleich der Kollimation
sein. Die verfügbaren Schichtweiten sind herstellerabhängig und
durch die z-Filterung und den Kegelstrahlalgorithmus bestimmt.
Eine identisch zur Kollimation gewählte Schichtdicke hat immer
ein höheres Rauschen und sollte daher nur für Untersuchungen
verwendet werden, bei denen eine höchstmögliche Auflösung in
Z-Achse notwendig ist.

Rekonstruktionsinkrement
Das Rekonstruktionsinkrement kann ähnlich der konventio-
nellen Spiral-CT eingestellt werden. Für die normale Befundung
ist eine moderate Überlappung von ca. 20% der Schichtdicke
. Abb. 4.4a–d. Pitch-Faktor. a Ein erhöhter Pitch-Faktor führt zu einem
»Auseinanderziehen« der Spirale. b Dadurch verbreitert sich bei konstanter ausreichend. Eine optimale Qualität von MPR- oder 3 D-Daten-
Kollimation das Schichtprofil. Ein Pitch von 2 und das Schichtprofil bei sätzen erfordert eine Überlappung von etwa 50%, so hat man
180°LI entspricht einem Pitch von 1 und dem Schichtprofil von 360°LI (siehe annäherend isotrope Voxel. Bei den meisten Körperunter-
auch c). Also vergrößert sich das Schichtprofil bei einer Erhöhung des Pitch suchungen beträgt die Pixel-Größe bei einem Field of view von
von 1 auf 2 nur um 30%, durch die Pitch-Erhöhung verdoppelt sich jedoch
30‒40 cm zwischen 0,6 und 0,8 mm. Ein Rekonstruktionsinkre-
die Scan-Länge. c Wird der Pitch erhöht, gleichzeitig die Kollimation SC ver-
ringert, dann verändert sich die Scan-Länge nicht. d Dies resultiert aber in ment von exakt der gleichen Größe produziert somit ein isotro-
einem um 35% schmaleren Schichtprofil bei 180°LI (LI: lineare Interpolation) pes Gitter von Bildpunkten.

4.3.3 EKG-Synchronisation bei kardialer CT


Bildakquisition halbiert werden. Ein weiterer potenzieller Vorteil
ist der Einsatz von 2 Röhren mit unterschiedlicher Spannung Für die kardiale Bildgebung, aber auch zur Analyse von Pulsa-
(kV). Der Unterschied in der Röntgenabsorption bei identischen tionseffekten, wird eine EKG-Synchronisation der Datenakqui-
Projektionswinkeln kann dazu genutzt werden, Materialien mit sition notwendig. Hier sind 2 Techniken verfügbar, die prospek-
verschiedenen Ordnungszahlen getrennt darzustellen (Kalzium, tive EKG-Triggerung und das retrospektive EKG-Gating. Bei der
Iod, Weichteile). prospektiven EKG-Triggerung werden die Daten innerhalb eines
vordefinierten Intervalls des RR-Zyklus abgetastet, beim retros-
Pitch pektiven EKG-Gating werden die Daten während des gesamten
Der Pitch-Faktor bei Multidetektor-Systemen ist definiert durch Herzzyklus aufgenommen und retrospektiv in verschiedenen
das Verhältnis von Tischvorschub pro Rotation zur Gesamtkol- Phasen rekonstruiert. Um die Herzbewegung auszuschalten und
limation: Artefakte zu minimieren, ist eine hohe zeitliche Auflösung not-
34 Kapitel 4 · Computertomographie

wendig. Für eine scharfe Abbildung des Herzens ohne Bewe-


gungsartefakte wird eine zeitliche Auflösung von 50‒100 ms in
der Endsystole und 100‒200 ms in der Mitdiastole benötigt.

4.4 Abbildung und Darstellungstechniken


Cine-Mode
4 Der Cine-Mode ist ein exzellentes Werkzeug zur Analyse größe-
rer Mengen an Schnittbildern. Damit kann eine große Anzahl
von Schnittbildern rasch durchgesehen werden. Wichtig ist, dass
Bildablauf und Geschwindigkeit kontrolliert werden können.

Multiplanare Rekonstruktion
Bei der multiplanaren Reformation werden zweidimensionale
unformatierte Bilder aus axialen Bilddaten in beliebiger Ebene
rekonstruiert (. Abb. 4.5). Koronare oder sagittale Rekons-
truktionen entstehen durch Auswahl und Darstellung jeweils
. Abb. 4.5. Rekonstruierte multiplanare Tomogramme. Verschiedene Pro-
übereinander liegender Voxel in der entsprechenden Ebene. Ge- jektionen, schematisch dargestellt
krümmte Rekonstruktionen (curved planar reformation) dienen
der Darstellung von Strukturen, die multiple axiale Schichten
eines Schnittvolumens kreuzen, z. B. Blutgefäße. Die Qualität
von MPR-Bildern verbessert sich, wenn die Schnittebene von der
Scan-Ebene etwas abweicht. Die Auflösung in der Z-Achse sollte
möglichst gering sein, um die Bildqualität zu verbessern. Se-
quenzielle Untersuchungstechniken und breite Kollimationen
führen zu Stufenartefakten bei Rekonstruktionen senkrecht zur
Untersuchungsebene. Eine dünne Kollimation und dünne
Schichtweite ermöglicht Rekonstruktionen in hervorragender
Qualität in jeder beliebigen Schnittrichtung.
Bei größeren Pitch-Faktoren treten Stufenartefakte oder
Zähnelungen an Strukturen auf, die außerhalb der Gantry-Mitte
liegen oder die schräg durch die Schichtebene verlaufen. Diese
Artefakte resultieren aus den Interpolationsverfahren unter einer
Abtastung der Daten in Z-Richtung (Undersampling).

Maximum- und Minimumintensitätsprojektion . Abb. 4.6. Prinzip der Maximum-Intensitäts-Projektion (MIP). Die maxi-
Maximum- und Minimumintensitätsprojektionen (MIP und malen CT-Werte werden durch diese Technik senkrecht auf die Betrach-
tungsebene projiziert. Durch zusätzliches Editieren des Datenvolumens
MINIP) sind Volumendarstellungsverfahren. Zunächst wird das
werden knöcherne Strukturen eliminiert, sodass die Gefäße darstellbar sind
darzustellende Volumen durch Anwendung geeigneter Editier-
verfahren bestimmt. MIP-Techniken werden in der CT-Angio-
graphie und bei speziellen pulmonalen Fragestellungen einge-
setzt (. Abb. 4.6). Die MINIP dient vorwiegend der Darstellung Bei zu großem VOI und relativ dichten Umgebungsstruktu-
des Tracheobronchialsystems. Die eigentlichen Bilder entstehen ren sind kleinere Gefäße mit geringerer oder identischer Dichte
durch die Projektion des interessierenden Volumens auf die Be- relativ zu ihrer Umgebung nicht mehr darstellbar. Intravaskuläre
trachtungsebene, wobei eine MIP den maximalen, eine MINIP Läsionen, wie wandständige Thromben oder weiche Plaques,
den minimalen CT-Wert entlang der Projektionsrichtung dar- sind mittels MIP häufig nicht direkt darstellbar. Dissektions-
stellt. Eine optimale Bildqualität bei der MIP-Darstellung erfor- membranen sind ebenfalls oft nicht darstellbar. Verkalkungen
dert ein möglichst schmales Darstellungsvolumen (VOI). haben eine höhere Dichte und projizieren sich dadurch über die
Die Vorteile der MIP-Bilder liegen darin, dass kontrastierte Gefäßstrukturen. Dabei ist es häufig nicht mehr möglich, den
Gefäße und Wandverkalkungen aufgrund unterschiedlicher Stenosegrad richtig einzuschätzen.
CT-Werte differenziert werden können. Auch kleinere Gefäße Hauptanwendungsgebiet bei der MIP ist die CT-Angio-
mit 1 mm Durchmesser bleiben sichtbar, solange sie einen graphie. Für die Diagnostik komplexer vaskulärer Malforma-
höheren CT-Wert als ihre Umgebung innerhalb des VOI besit- tionen, Aortendissektionen, zentraler Lungenembolien oder
zen. Ein optimaler Bildkontrast wird erzielt bei hohem intrava- flottierender Thromben ist sie jedoch nicht zu empfehlen.
salen Kontrast, geringem Partialvolumeneffekt und geringer
Dichte des Hintergrundes.
4.4 · Abbildung und Darstellungstechniken
35 4
3 D-Oberflächenrekonstruktion
(shaded surface display)
Die 3 D-Oberflächenrekonstruktion (SSD) ist ein Verfahren, mit
dessen Hilfe sich dreidimensionale Bilder von Oberflächenstruk-
turen rekonstruieren lassen. Dabei wird das Objekt von einer
virtuellen Lichtquelle angestrahlt, die Software berechnet die
Reflektion der Lichtintensität zurück zum Betrachter (. Abb. 4.7).
Klinisch muss jedoch das interessierende Volumen definiert und
sequenziert werden. Die 3 D-Oberflächendarstellung liefert ein-
drucksvolle Bilder definierter Oberflächenstrukturen in komp-
lexen Topographien. Die SSD dient in erster Linie der Befund-
präsentation, für die Diagnosefindung ist sie nur in Ausnahme-
fällen geeignet. Sie wird vorwiegend in der Skelettdiagnostik
eingesetzt. Die SSD gewinnt durch die virtuelle Endoskopie
wieder an Bedeutung, da der Bearbeitungsprozess im Vergleich
zu den Volumenrekonstruktionstechniken wesentlich schneller
ist. Sie ist für die interaktive Navigation durch den virtuellen
. Abb. 4.7. Oberflächenrekonstruktion (SSD). Spezielle Software berech-
endoskopischen Datensatz geeignet. net die Reflexion des Lichts einer virtuellen Lichtquelle vom darzustellen-
Zu beachten ist jedoch, dass der gewählte Schwellenwertbe- den Objekt zurück zum Betrachter, wodurch Oberflächen dreidimensional
reich die Qualität der SSD gravierend beeinflussen kann. dargestellt werden
5

5 Magnetresonanztomographie
W. Reith

5.1 Allgemeines – 38

5.2 Physikalische Grundlagen der MRT und Merkmale der Bildentstehung – 38


38 Kapitel 5 · Magnetresonanztomographie

5.1 Allgemeines

Basis für ein Verständnis von Theorie und Praxis der MRT ist ein
Grundwissen über Magnetismus und der Elektrizität. Magnetis-
mus beruht auf Elektrizität. Seit der ersten Hälfte des 19. Jahr-
hunderts ist bekannt, dass elektrische Ströme Magnetfelder er-
zeugen. Physiker messen die magnetische Felstärke in Ampère
pro Meter (A/m), während die Magnetfelddichte entweder in der
alten Größe Gauss (G) oder in der modernen SI-Einheit Tesla (T)
angegeben wird. Ein Tesla entspricht dabei 10 000 Gauss. Die . Abb. 5.1. TR und der T1-Kontrast. Bei kurzem TR (A) weist ein Gewebe
5 Einheit Tesla wird oft dazu verwendet, die Magnetfeldstärke an- mit kurzem T1 wieder viel Längsmagnetisierung auf und gibt viel Signal,
zugeben. Die meisten klinisch eingesetzten MR-Geräte arbeiten während ein Gewebe mit langem T1 noch wenig Signal gibt. Bei langem TR
im Bereich 0,5 und 1,5 Tesla. Die MRT verwendet sowohl sta- (B) haben beide Gewebe eine ähnlich große Magnetisierung aufgebaut und
geben etwa gleich viel Signal. (Aus: Weishaupt, Köchli, Marincek (Hrsg). Wie
tische als auch variable Magnetfelder. Des Weiteren benötigt sie
funktioniert MRI? 5. Aufl. New York, Heidelberg: Springer Verlag 2006)
Hochfrequenzwellen (HF). Magnetresonanzsignale sind zeitab-
hängige elektrische Ströme oder Spannungen. Sie entstehen in
Wellen, die von einem oszillierenden Magnetfeld induziert wer- Zwei unabhängige Vorgänge bewirken, dass die transversale
den. Magnetresonanzsignale sind im Grunde Sinus- und Kosi- Magnetisierung und damit das MR-Signal abnehmen und der
nuswellen, die durch 3 Faktoren definiert und beschrieben wer- stabile Ausgangszustand vor der Anregung wieder erreicht wird.
den: Amplitude, Frequenz und Phase. Dies sind zum einen die so genannte Spin-Gitter-Wechselwir-
Die Amplitude wird auch als Signalstärke bezeichnet und kung und zum anderen die Spin-Spin-Wechselwirkung. Beide
entspricht der endgültigen Helligkeit der Bildelemente einer Mag- Vorgänge werden auch als T1- und T2-Relaxation bezeichnet.
netresonanzaufnahme.
Frequenz und Phase bestimmen Form und räumliche Auf- T1-Relaxation
lösung des MR-Bildes. Die Phase bestimmt die Ausgangsampli- Mit der Zeit geht die transversale Magnetisierung in die Z-Rich-
tude einer Welle und kann nur für Wellen gleicher Frequenz tung zurück. Die in der XY verbleibende transversale Magneti-
verglichen werden. Phasenunterschiede werden in Grad ange- sierung nimmt ebenfalls langsam ab, das MR-Signal wird ent-
geben. Werden 2 Wellen gleicher Frequenz gegeneinander ver- sprechend kleiner. Dafür baut sich langsam die Längsmagnetisie-
schoben, entsteht eine Phasenverschiebung. Die Übertragung rung Mz wieder auf: longitudinale Relaxation. Sie ist verbunden
von Signalen erfolgt durch sich ändernde elektromagnetische mit der Abgabe von Energie an die Umgebung. Die Zeitkonstan-
Strahlung. Bei der MRT wird diese in Pulse zerstückelt, die in te dieses Vorgangs heißt T1 und ist abhängig von der Stärke des
unterschiedlicher Reihenfolge gesendet werden können. äußeren Magnetfeldes BO sowie der inneren Bewegung der Mo-
Die Bandbreite umfasst den Frequenzbereich des Pulses. In leküle. Sie liegt für Gewebe in der Größenordnung einer halben
analogen Systemen wird die Bandbreite als Unterschied zwischen bis mehreren Sekunden (. Abb. 5.1).
der höchst- und der niedrigstfrequenten Signalkomponente de-
finiert. Radiofrequenzimpulse besitzen eine bestimmte Wellen- T2/T2* – Transversale Relaxation
form und verändern sich in der Zeitdomäne. Mittels der Prä- Die transversale Relaxation ist der Verlust der transversalen
transformation lassen sich die Pulse besser analysieren. Magnetisierung durch die Dephasierung der Spins. Dabei wird
Die Grundlagen für die MRT wurden durch die Gruppen um keine Energie an die Umgebung abgegeben, die Spins tauschen
Russel und Bloch entdeckt. Beide Forscher wurden hierfür 1952 vielmehr untereinander Energie aus. Die transversale Relaxation
mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. 1973 publizierte besitzt 2 Komponenten:
Lauterpur das erste MRT-Bild, jedoch erst seit Beginn der 1980er Energieaustausch der Spins untereinander findet statt durch
Jahre erlangte die MRT zunehmend Bedeutung als digitales fluktuierende, teils rasch wechselnde lokale Magnetfeldverände-
Schnittbildverfahren in der Medizin. rungen aufgrund benachbarter Spins. Die reine Spin-Spin-Wech-
selwirkung ist durch einen 180°-Impuls nicht beeinflussbar. Ihre
Zeitkonstante ist T2, sie ist mehr oder weniger unabhängig von
5.2 Physikalische Grundlagen der MRT der Stärke des Magnetfeldes BO.
und Merkmale der Bildentstehung Zeitliche Konstante, d. h. immer gleich starke Inhomogeni-
täten des äußeren Magnetfeldes BO: sie werden verursacht durch
Atomkerne, die eine ungerade Anzahl von Protonen oder Neu- das MR-Gerät selber sowie den Körper der untersuchten Person
tronen enthalten, besitzen im Grundzustand einen eigenen und bewirken eine zusätzliche Magnetfeldveränderung, sodass
Drehimpuls oder Kernspin. das Signal nicht mit T2, sondern rascher mit einer Zeitkonstan-
ten T2* zerfällt. Die Relaxationszeit T2* ist in der Regel kürzer
Relaxation als die T2-Zeit. Der Hauptanteil der Inhomogenitäten, welche
Nachdem die Spins angeregt worden sind, kreist die Magnetisie- den T2*-Effekt ausmachen, tritt an Gewebegrenzflächen auf oder
rung in der XY-Ebene. Diese so genannte transversale Magne- werden durch lokale magnetische Felder, z. B. Eisenpartikel in-
tisierung Mxy erzeugt in der Empfangsspule das MR-Signal. duziert. Das mit T2*-abklingende MR-Signal nennt man auch
5.2 · Physikalische Grundlagen der MRT und Merkmale der Bildentstehung
39 5
Echozeit (TE) und T2-Gewichtung
Die Echozeit (TE) ist diejenige Zeitspanne, die man nach der
Anregung bis zur Messung des MR-Signals verstreichen lässt.
Die Gradienten bewirken im Magnetfeld Inhomogenitäten, die
T2- und T2*-Effekte noch weiter verstärken. Die angeregten
Spins geraten außer Phase und zerstören damit das MR-Signal.
Vor jeder Messung müssen diese Effekte der Dephasierung zuerst
rückgängig gemacht werden, damit die Spins wieder in Phase
kommen.
. Abb. 5.2. TE und T2-Kontrast. Bei sehr kurzem TE (A) besteht noch prak- Die Echozeit bestimmt den Einfluss von T2 auf dem Bild-
tisch kein Signalabfall für beide Gewebe, bei längerem TE (B) bestehen hin- kontrast. T2 ist viel kürzer als T1 und liegt im Bereich von bis zu
gegen deutliche Unterschiede: ein Gewebe mit kurzem T2 verliert rasch
einigen 100 m/s. Durch die Wahl der Echozeit TE wird die
Signal und wird rasch dunkel, ein Gewebe mit langem T2 bleibt länger hell.
(Aus: Weishaupt, Köchli, Marincek [Hrsg]. Wie funktioniert MRI? 5. Aufl. New T2-Wichtung bestimmt. Gewebe mit kurzem T2 geben wenig
York, Heidelberg: Springer Verlag 2006) Signal und erscheinen dunkel, Gewebe mit langem T2 erschei-
nen im MR-Bild hell.

Free Induction Decay (FID), mittels Spin-Echo-Sequenzen kann Pulswinkel


der T2*-Effekt eliminiert werden. Ein reduzierter Pulswinkel wird verwendet, um bei sehr kurzer
T2 beschreibt den eigentlichen Prozess des Energieaustauschs Repetitionszeit genügend Signal zu erhalten. Die Spins werden
unter den Spins (. Abb. 5.2), während weitere Inhomogenitäten dann nicht mehr um 90°, sondern z. B. nur noch um 30° aus-
zu einem zusätzlichen Phasenzerfall führen, den wir mit T2* cha- gelenkt. Man erhält weniger Signal in der XY-Ebene, es verbleibt
rakterisieren. aber ein Teil der Magnetisierung in der Z-Richtung und steht so
für die nächste Anregung zur Verfügung.
> T1- und T2-Relaxation sind voneinander vollkommen
Als »Ernst-Winkel« bezeichnet man denjenigen Pulswinkel,
unabhängig und laufen gleichzeitig ab.
der bei gegebenem TR und TE das maximale Signal angibt.

Bildkontrast Vorsättigung
Verschiedene Parameter eines Gewebes bestimmen seine Hellig- Eine weitere Methode, um den zu Bildkontrast beeinflussen, ist
keit und damit den Bildkontrast im MR-Bild. Die Protonendich- die Vorsättigung. Hierzu wird ein 90°- oder 180°-Impuls auf
te, die Anzahl anregbarer Spins pro Voxel, gibt das Maximum an die untersuchte Schicht angewendet, bevor die Messung beginnt.
Signal an, das ein Gewebe abgeben kann. Die T1-Zeit eines Ge- Die Vorsättigung kann bei allen Basis-Pulssequenzen angewandt
webes bestimmt, wie schnell sich die Spins von einer Anregung werden. Durch den Vorsättigungsimpuls kann der T1-Kontrast
erholen und wieder anregbar werden. Die T2-Zeit bestimmt im verstärkt werden, der Effekt ist dabei umso stärker, je weniger
Wesentlichen, wie rasch das MR-Signal nach einer Anregung Zeit zwischen dem Impuls und dem Beginn der eigentlichen
abklingt. Messung verstreicht. Die Stärke des T1-Kontrasts kann auch
durch den Abstand des 180°-Inversionspulses zum Anregungs-
> Protonendichte, T1 und T2 sind spezifische Merkmale,
puls gesteuert werden (= Inversionszeit T1). Die Inversionszeit
anhand derer sich verschiedene Gewebe unterscheiden
kann so gewählt werden, dass die Magnetisierung eines Gewebes
lassen.
bei der Anregung =0 und somit das Signal eines entsprechenden
Gewebes verschwindet, dadurch kann z. B. mit einem kurzen T1
Repetitionszeit (TR) das Fettsignal und mit einem langen T1 das Liquorsignal unter-
Die Repetitionszeit (TR) beeinflusst entscheidend den T1-Kon- drückt werden.
trast. Sie ist die Zeit, die zwischen 2 aufeinander folgenden An-
regungen derselben Schicht verstreicht. Je länger sie dauert, des- Magnetisierungstransfer
to mehr kippen die angeregten Spins in die Z-Richtung zurück Nass- und Fettmoleküle sind relativ klein und besitzen unter
und desto mehr Längsmagnetisierung steht bei der nächsten An- in-vivo-Bedingungen eine hohe Beweglichkeit. Makromoleku-
regung zur Verfügung. lare Protonen, z. B. in Eiweiß haben ein breiteres Spektrum
Wird die Repetitionszeit kurz gewählt, <600 m/s, so beein- von Larmorfrequenzen als die Protonen von freiem Wasser. Sie
flusst T1 wesentlich den Bildkontrast. Gewebe mit langem T1 können deshalb durch Radiofrequenzpulse angeregt werden.
erzeugen weniger Signal als Gewebe mit kurzem T1 und erschei- Dies führt zu einer Sättigung der Magnetisierung von makro-
nen im Bild dunkel. molekularen Protonen, was zu einem Signalabfall führt. Dieser
Wird die Repetitionszeit relativ lang gewählt, >1500 m/s, so Signalabfall hängt von der Konzentration von Makromolekü-
haben alle Gewebe, auch jene mit langem T1, genügend Zeit zu len und von der Interaktion mit freiem Wasser ab und wird
relaxieren. Die Wahl der Repetitionszeit kann mit T1-Wichtung als Magnetisierungstransfer bezeichnet. Der Abfall der Signal-
bestimmt werden. intensität durch Magnetisierungstransfer ist bei soliden Ge-
weben deutlich, der Effekt bei Flüssigkeiten und Fettgewebe ist
gering.
40 Kapitel 5 · Magnetresonanztomographie

kann, lassen sich MR-Schnittbilder in beliebiger Orientierung


erzeugen. Die Ortskodierung kann aufgeschlüsselt werden in
eine Phasen- und eine Frequenzkodierung. Zur Phasenkodie-
rung wird nach der Anregung ein Gradient in Y-Richtung ein-
geschaltet (Phasen-Gradient). Dadurch entsteht eine Phasenver-
schiebung der Spins gegeneinander. Sie ist abhängig von Dauer
und Stärke des Phasenkodiergradienten und vom Ort. Wird der
Gradient nach einer gewissen Zeit wieder abgeschaltet, so prä-
. Abb. 5.3. Schematische Darstellung des Magnetisierungstransfer-
zedieren alle Spins wieder genauso schnell wie vor der Anregung,
Kontrasts. (Aus: Weishaupt, Köchli, Marincek [Hrsg]. Wie funktioniert MRI? der Phasenvorsprung, d. h. die Phasenverschiebung, bleibt je-
5 5. Aufl. New York, Heidelberg: Springer Verlag 2006) doch. So kann jede Zeile innerhalb der Schicht durch jede Phase
identifiziert werden. Die Frequenzkodierung erfolgt in der 2., der
X-Richtung. Der Frequenzgradient bewirkt, dass das Magnetfeld
Die indirekten Effekte des Austauschs der Sättigung der Mag- von rechts nach links zunimmt und die Larmorfrequenzen sich
netisierung zwischen freien und gebundenen Protonen kann ge- entsprechend verhalten. Wird das MR-Signal ausgemessen, so
messen werden. Dies wird als Magnetisierungstransfer-Kontrast empfängt man ein ganzes Frequenzspektrum. Durch Frequenz
(MTC) bezeichnet. Diese Technik wird in der Knorpelbildgebung und Phase ist jedes Volumenelement (Voxel) eindeutig charakte-
angewendet, um den Kontrast zwischen Synovialflüssigkeit und risiert.
Knorpel zu verbessern. Dabei nutzt man die Tatsache, dass Syno- Formal enthalten Phase und Frequenz identische Informatio-
vialflüssigkeit wenig gebundene Protonen hat, der Knorpel hin- nen, da der Quotient aus dem Phasenwinkel und der Gradien-
gegen einen großen Anteil gebundener Protonen, was sich in tendauer t bis auf einen Faktor 2 π die Präzisionsfrequenz ergibt.
hohem Ausmaß als Magnetisierungstransfer äußert. Im ZNS kön- Demzufolge lässt sich die der Phase zugrunde liegende Ortsin-
nen gadoliniumanreichernde Läsionen, z. B. bei der multiplen formation mittels Fouriertransformation rekonstruieren, wenn
Sklerose, mithilfe des Magnetisierungstransfer-Kontrasts besser die Messsequenz unter Inkrementierung der Dauer des Phasen-
nachgewiesen werden. kodiergradienten wiederholt wird. Alternativ kann die Gradien-
tenstärke inkrementiert werden. Insgesamt erfolgt bei der Bild-
Schichtwahl und Ortskodierung gebung eine Aufnahme ortskodierter Zeitsignale als Funktion
Um die MR-Signale zur Bildgebung verwenden zu können, der Gradientendauer und -stärke. Eine zweidimensionale Roh-
müssen sie eine Ortskodierung erhalten. Die MRT ist ein tomo- daten-Matrix entspricht so einem Raster aus n-Zeilen und nF-
graphisches Verfahren, d. h. es werden Schnittbilder durch den Spalten, die im Zuge der Frequenz- bzw. Phasenkodierung auf-
Körper angefertigt. Um selektiv eine Schicht anzuregen, wird das gefüllt werden. Das eigentliche Bild wird durch Fourier-Trans-
Magnetfeld entlang der Z-Richtung inhomogen gemacht. Dazu formation errechnet.
dient eine zusätzliche Magnetspule, die das Magnetfeld unter- Der K-Raum enthält, ähnlich wie beim Hologramm, Infor-
schiedlich verstärkt bzw. abschwächt. Das Magnetfeld hat jetzt mationen über das gesamte Bild und entspricht nicht einfach
einen Gradienten entlang der Z-Richtung. Das bedeutet, dass einem Punkt der Bildmatrix.
auch die Larmor-Frequenz entlang der Z-Richtung unterschied- . Abb. 5.5 zeigt eine schematische Darstellung der Rohdaten
lich ist, jede Schicht besitzt nun eine eigene Frequenz. So kann im K-Raum. Die zentralen Linien im K-Raum bestimmen am
mit einer bestimmten Frequenz genau eine entsprechende stärksten den Kontrast, die äußeren Linien hauptsächlich die
Schicht angeregt werden (. Abb. 5.4). räumliche Auflösung.
Schichtdicke und -position sind durch den Schichtgradien- Manchmal ist es vorteilhaft, ein ganzes Volumen auf einmal
ten festgelegt. Da man die Gradientenstärke beliebig wählen zu untersuchten, anstatt nur eine Anzahl einzelner Schichten zu
messen. Wenn eine Messung erfolgt, muss die Ortsinformation
über die direkte Richtung (Z) erhalten werden.
Neben einer Fouriertransformation in X- und Y-Richtung
muss jetzt noch eine Transformation in Z-Richtung durchge-
führt werden. Das Ergebnis ist ein dreidimensionaler Datensatz
aus dem lückenlosen Volumen, aus dem beliebige Rekonstruk-
tionen und Projektionen berechnet werden können.

Determinanten des Signal- zu Rausch-Verhältnisses


Die Wechselwirkung zwischen dem MR-Signal und der Stärke
des Rauschens wird als Signal- zu Rausch-Verhältnis (SNR) aus-
gedrückt. Mathematisch besteht das SNR aus dem Quotienten
. Abb. 5.4. Schichtwahl durch den Z-Gradienten. Mit einer bestimmten
zwischen der Signalintensität einer interessierenden Fläche
Frequenz wird genau eine bestimmte Schicht (schraffiert) angeregt, die an-
grenzenden Schichten besitzen andere Resonanzfrequenzen und werden
(ROI) geteilt durch die Standardabweichung der Signalintensität
nicht beeinflusst. (Aus: Weishaupt, Köchli, Marincek [Hrsg]. Wie funktioniert einer Fläche außerhalb des abgebildeten Körperteils oder Gegen-
MRI? 5. Aufl. New York, Heidelberg: Springer Verlag 2006) standes.
5.2 · Physikalische Grundlagen der MRT und Merkmale der Bildentstehung
41 5

a b c

. Abb. 5.5a–c. a Graphische Darstellung bei vollständiger K-Raum-Akqui- Die nicht gefüllten Anteile entsprechen den partiellen Echos, die nicht ge-
sition. Jeder Bildpunkt repräsentiert eine K-Raum-Linie in Frequenz- und messen wurden. Das resultierende Bild wird eine ähnliche Auflösung wie
Phasenrichtung. b Graphische Darstellung der »Partial-Fourier-Technik«. b haben, jedoch wird das SNR geringer sein (weniger »echte« Daten).
Etwas weniger als die Hälfte der K-Linien in Phasenrichtung werden nicht (Aus: Weishaupt, Köchli, Marincek [Hrsg]. Wie funktioniert MRI? 5. Aufl.
gesammelt (graue Punkte). Diese werden durch rechnerische Interpolation New York, Heidelberg: Springer Verlag 2006)
gefüllt. c Graphische Darstellung der »Fractional-Echo-Technik«. Etwas
weniger als die Hälfte des K-Raums wird nicht direkt gefüllt (graue Punkte).

Das SNR wird von folgenden Parametern bestimmt: mittelbar benachbarte Schichten gegenseitig beeinflussen und zu
4 Schichtdicke und Bandbreite einer Abnahme des SNR führen. Durch die Verwendung eines
4 Gesichtsfeld (Field of view) Zwischenschichtabstandes wird diese partielle Anregung von
4 Größe der Bildmatrix benachbarten Schichten minimiert (in der Regel 25–50% der
4 Anzahl der Messungen Schichtdicke).
4 Bildparameter (TR, TE, Flipwinkel) Die Beziehung zwischen Field of view und SNR ist eng, bei
4 Magnetfeldstärke gegebener Matrixgröße bestimmt das Field of view die Pixel-
4 Wahl der Sende- und Empfangsspule (RF-Spule) größe. Je kleiner das Voxel, desto geringer ist das SNR. Die Bild-
aufnahmezeit ist direkt proportional zur Matrixgröße. Eine
Auflösung Signal-/Rausch-Verhältnis, Messzeit höhere räumliche Auflösung in vernünftiger Zeit kann erreicht
Die Auflösung eines MR-Bildes ist festgelegt durch die Schicht- werden, indem das Field of view nur in Phasenrichtung reduziert
dicke und die Pixelabmessungen. Letzte entsprechend dem Quo- wird (»Rectangular Field of view«). Da die örtliche Auflösung
tienten aus Bildfeld (Field of view) und Matrixgröße. Bei drei- durch die Matrixgröße in Frequenzrichtung, die Bildaufnahme-
dimensionalen Blöcken ist das Messvolumen aus lückenlos auf- zeit durch die Matrixgröße in Phasenrichtung bestimmt ist,
einander folgenden Partitionen zusammengesetzt, während bei kann die Matrix in Phasenrichtung reduziert werden, ohne dass
der zweidimensionalen Bildgebung zusätzlich der Abstand be- die örtliche Auflösung verringert wird. Bei einem »Rectangular
nachbarter Schichten eingestellt werden kann. Allgemein gilt: Field of view« wird nur die Hälfte der K-Linien in Phasenrich-
je kleiner die Voxelgröße ist, umso größer ist die Auflösung des tung im K-Raum gesammelt.
MR-Bildes. Eine weitere Möglichkeit die Bildaufnahmezeit zu ver-
Für eine optimale Bildauflösung sind möglichst dünne ringern, ohne die Voxelgröße zu beeinflussen, besteht in den
Schichten mit hohem SNR wünschenswert. Dünnere Schichten Techniken der unvollständigen Abtastung des K-Raums (Partial-
sind allerdings mit mehr Bildrauschen verbunden, umgekehrt Fourier-Technik), der Rest des K-Raums wird rechnerisch inter-
führt eine Erhöhung der Schichtdicke zu einer Erhöhung des poliert (. Abb. 5.5b). Dies führt zu einer Verkürzung der Mess-
Signal- zu Rausch-Verhältnisses. zeit sowie zu einer Verminderung des Signal- zu Rausch-Verhält-
Die Bandbreite ist das Spektrum der Spinfrequenzen, welches nisses.
ein MR-System bei der Frequenzkodierung erfasst. Eine hohe Die Anzahl der Messungen (Number of Excitations) ist die
Bandbreite ermöglicht eine raschere Datenaquisition und hat Anzahl, wie oft das Signal von einer bestimmten Schicht ge-
eine verminderte Anfälligkeit für Chemical-shift-Artefakte. Eine messen wird. Eine Erhöhung der Anzahl an Messungen führt zu
Halbierung der Bandbreite bewirkt eine Verbesserung des SNR einer Erhöhung des SNR.
um ca. 30%. Sequenztyp, Echozeit, Repetitionszeit, TR und der Flipwinkel
Der Zwischenschichtabstand (Interslice-Space, GAP) ist der beeinflussen ebenfalls das SNR. Je länger das TR, umso höher das
Abstand zwischen 2 Schichten. Wünschenswert ist, dass es kei- SNR. Je länger TE, umso geringer wird das SNR.
nen Abstand zwischen den einzelnen Schichten gibt, bei Spin- Bei höheren Magnetfeldstärken wird die longitudinale Magne-
Echosequenzen ist dies jedoch nicht möglich. Das sinusoidale tisierung größer, da sich mehr Protonen entlang der Hauptachse
RF-Profil von Spin-Echosequenzen führt dazu, dass sich 2 un- des Magnetfeldes ausrichten. Damit wird auch das SNR größer.
42 Kapitel 5 · Magnetresonanztomographie

. Abb. 5.6. SE-Sequenz. Der Pulswinkel beträgt


immer 90°, das Echo wird mit einem 180°-Impuls
erzeugt. Die verschiedenen Stufen des Phasen-
gradienten sind gestrichelt angedeutet. (Aus:
Weishaupt, Köchli, Marincek [Hrsg]. Wie funktio-
niert MRI? 5. Aufl. New York, Heidelberg: Springer
Verlag 2006)

Pulssequenzen eine relativ lange Messzeit und deshalb auch eine größere Emp-
Spin-Echo-Sequenzen (SE) findlichkeit gegenüber Bewegungsartefakten.
Die Spin-Echo-Sequenz ist charakterisiert durch die Anregung
mit einem schichtselektiven 90°-RF-Impuls (. Abb. 5.6). Danach Mehrschichtaufnahmen (Multislice Imaging)
zerfällt die transversale Magnetisierung mit T2*. Nachdem die Bei den Mehrschichtaufnahmen wird zwischen 2 Anregungen
Hälfte der gewünschten Echozeit verstrichen ist, wird ein 180°- diese Zeit genutzt, um weitere Schichten anzuregen (. Abb. 5.7).
Impuls gesendet, der die Reihenfolge der Spins umkehrt. Der Ein Nachteil dieser Technik ist, dass infolge Inperfektion des
Vorteil der Spin-Echo-Sequenz liegt in ihrer Unempfindlichkeit Schichtprofils oder Inperfektion der Sequenz des RF-Impulses
gegenüber statischen Feldinhomogenitäten und in der daraus Protonen außerhalb der gewünschten Schicht angeregt werden.
resultierenden sehr guten Bildqualität. Der Nachteil ist jedoch Dies führt zu einem Abfall der longitudinalen Magnetisierung
und kann das Signal vermindern.

Inversion-Recovery-Sequenz
Die Inversion-Recovery-Sequenzen werden zur Aufnahme von
T1-gewichteten oder fettsupprimierten Bildern verwendet. Es
sind Spin-Echo-Sequenzen, denen ein 180°-Impuls vorausgeht.
Im Gegensatz zu den Spin-Echo-Sequenzen wird bei der IR-Se-
quenz zuerst ein 180°-Impuls ausgesandt, dieser klappt die Längs-

a b c d
. Abb. 5.7. Aufnahme von mehreren Schichten, Multislice Imaging. Wäh-
rend für die erste Schicht die Repetitionszeit TR verstreichen muss, können . Abb. 5.8. Inversion-Recovery-Sequenz mit T1-Relaxation. Nach dem
weitere Schichten angeregt und gemessen werden. So erhält man wie in Aussenden des 180°-Impulses ist die Längsmagnetisierung (a) in die ent-
diesem Beispiel gezeigt statt nur einer gleich vier Schichten in derselben Zeit. gegengesetzte Richtung geklappt (b). c, d die T1-Relaxation erfolgt von
(Die Rechtecke repräsentieren verschiedene Schichten). (Aus: Weishaupt, –Z nach +Z. Solange keine Vektorkomponente in der Transversalebene ist,
Köchli, Marincek [Hrsg]. Wie funktioniert MRI? 5. Aufl. New York, Heidelberg: erfolgt kein Aussenden des Signals. (Aus: Weishaupt, Köchli, Marincek
Springer Verlag 2006) [Hrsg.]. Wie funktioniert MRI? 5. Aufl. New York, Heidelberg: Springer 2006)
5.2 · Physikalische Grundlagen der MRT und Merkmale der Bildentstehung
43 5
magnetisierung von der positiven Z-Richtung in die negative Bei dem Gradientenecho entfällt der 180°-Impuls, sodass
Z-Richtung (. Abb. 5.8). Es erfolgt die Relaxation des invertierten sehr kurze Repetitionszeiten (TR) erreicht werden können. So-
Längsmagnetisierungsvektors durch die transversale Ebene in mit ist eine viel schnellere Bildaufnahme möglich, womit Gra-
seine ursprüngliche Ausrichtung. Nach einiger Zeit der Relaxa- dientenecho-Sequenzen weniger anfällig für Bewegungsartefakte
tion wird der initiale Puls der Spin-Echo-Sequenz eingestrahlt, sind. Der Nachteil ist, dass die Zeit für die T1-Relaxation kurz
die Zeit zwischen dem Einstrahlen des 180°-Impulses und dem ist und somit das SNR infolge Sättigung vermindert sein kann.
90°-Impuls wird als Inversionszeit (TI) bezeichnet. Zur Verände- Da bei Gradientenecho-Sequenzen der 180°-Impuls wegfällt,
rung der Inversionszeit kann der Bildkontrast verändert werden. werden statische Feldinhomogenitäten nicht ausgeglichen und
In der klinischen Routine werden v. a. 2 Inversion-Recovery- das Signal zerfällt mit T2*. Der Bildkontrast, welcher aus den
Sequenzen angewendet: Differenzen des T2*-Zerfalls und den verschiedenen Geweben
4 Short inversion-time-Inversion-Recovery-Sequenz (STIR) resultiert, wird als T2*-Kontrast bezeichnet. Um eine optimale
4 Fluid attenuated-Inversion-Recovery-Sequenz (FLAIR) T1-Gewichtung zu erreichen, sollte deshalb das TE so kurz wie
möglich gewählt werden. Wenn ein T2*-Kontrast gewünscht
Die STIR-Sequenz ist eine häufig angewendete Sequenz zur Fett- wird, sollte das TE erhöht werden. Um T1-Effekte zu verringern,
suppression. Hier kann zuverlässig eine Fettsuppression erfolgen. wird gleichzeitig TR lang gewählt.
Die Inversionszeit wird so gewählt, dass der 90°-Impuls gerade T2*-gewichtete Bilder sind bei der Detektion von Kalkab-
zu dem Zeitpunkt gesendet wird, an dem die T1-Relaxationskur- lagerungen oder Blutprodukten in sehr kurzer T2-Zeit von Nut-
ve für Fett einen 0-Durchgang hat. So wird das Signal für Fett zen. Eine spezielle Art von Gradientenecho-Sequenzen, welche
unterdrückt. Bei der Feldstärke von 1,5 Tesla beträgt die erfor- in der klinischen Routine angewendet werden, sind die Steady-
derliche TI-Zeit ungefähr 150 ms, bei einer Feldstärke von State-free-Precession (SSFP)-Sequenzen. Blut erscheint in diesen
0,5 Tesla ist sie ungefähr 100 ms. Sequenzen als helles Signal, diese Sequenzen sind besonders un-
Die FLAIR-Sequenz ist eine Variante der IR-Sequenz, bei der empfindlich gegenüber fließendem Blut.
im Gegensatz zur STIR-Sequenz sehr lange Inversionszeiten (TI
> Die SSFP-Sequenzen zeigen sich durch sehr kurze Aqui-
ca. 2000 ms) verwendet werden. Ein weiterer Unterschied ist,
sitionszeiten aus und eignen sich besonders für die
dass FLAIR-Sequenzen FSE-Sequenzen sind. Durch die Verän-
vaskuläre Bildgebung und die Echtzeitbildgebung am
derung solcher langer Inversionszeiten wird das Liquorsignal
Herzen.
praktisch vollständig unterdrückt. Die FLAIR-Sequenz ist gut
geeignet, um Läsionen mit geringem Kontrastverhalten im Hirn-
parenchym darzustellen. Schnelle Pulssequenzen
Fast-Spin-Echosequenzen sind modifizierte Spin-Echo-Sequen-
Gradientenecho-Sequenzen zen, welche die Bildaufnahmezeit im Vergleich zu konventio-
Bei der Gradientenecho-Sequenz werden nicht ein RF-Impuls, nellen Spin-Echo-Sequenzen erheblich reduzieren. In FSE-Se-
sondern nur die Gradientenspulen zur Erzeugung des Echos ver- quenzen werden mehrere 180°-Pulse pro TR appliziert, wobei
wendet. zwischen den einzelnen Echos der Phasenkodiergradient jedes

. Abb. 5.9. Gradientenecho-Sequenz. Der Ein-


fachheit halber wurde ein Pulswinkel α von eben-
falls 90° angenommen. (Aus: Weishaupt, Köchli,
Marincek [Hrsg]. Wie funktioniert MRI? 5. Aufl.
New York, Heidelberg: Springer Verlag 2006)
44 Kapitel 5 · Magnetresonanztomographie

. Abb. 5.10. Fast-Spin-Echo. Mit vier 180°-Impulse werden vier Echos er- gen. In diesem Beispiel bestimmt das 3. Echo hauptsächlich den T2-Kon-
zeugt (Echozug). Da aber im Gegensatz zur Multi-Echo-Sequenz vor jedem trast. (Aus: Weishaupt, Köchli, Marincek [Hrsg.]. Wie funktioniert MRI? 5. Aufl.
Echo der Phasengradient neu eingeschaltet wid, erhält man vier Messungen New York, Heidelberg: Springer Verlag 2006)
mit unterschiedlichen Phasenkodierungen mit einer anstatt vier Anregun-

. Abb. 5.11. Echoplanar-Sequenz. Wie beim Fast-Spinecho werden meh- der Frequenzgradient sehr schnell hin- und hergeschaltet werden muss.
rere (in diesem Beispiel 8 Echos) Echos mit verschiedenen Phasenkodie- Die Spitzen des Phasengradienten heißen »blips«. (Aus: Weishaupt, Köchli,
rungen erzeugt. Im Gegensatz zum Fast-Spin-Echo verwendet aber der Marincek [Hrsg.]. Wie funktioniert MRI? 5. Aufl. New York, Heidelberg:
Echoplanar keine 180°-Impulse, sondern erzeugt Echos wie beim Gradien- Springer Verlag 2006)
tenecho mit dem Frequenzgradienten. Dies erfordert kräftige Verstärker, da

Mal kurz eingeschaltet wird (. Abb. 5.10). Somit kann man meh- bei besteht der Echozug aus bis zu 128 Echos. Es kann ein Bild
rere Messungen mit unterschiedlichen Phasenkodierungen pro mit einer Auflösung von 256×128 mit einer einzigen Anregung
Anregung aufnehmen, was eine Serie von Spin-Echos (Echo- (Single Shot) in 70 ms aufgenommen werden. Nachteile dieser
züge) hervorruft. Die Anzahl der erhaltenen Echos pro TR wird Sequenz sind, dass es zu Feldinhomogenitäten kommen kann.
auch als Echozuglänge bezeichnet. Durch das repetitive Schalten des Frequenzgradienten werden
FSE-Sequenzen benötigen längere TR-Zeiten, um möglichst zusätzliche Inhomogenitäten erzeugt, die sich mit der Zeit auf-
viele 180°-HF-Pulse gesetzt werden können. Die TR-Zeiten von addieren und zu geometrischen Verzerrungen des MR-Bildes
FSE-Sequenzen sind zwischen 4000 ms und mehr, diejenigen führen. Wegen des raschen Signalabfalls mit T2* bleibt zur Auf-
von Spin-Echo-Sequenzen bei 2000‒2500 ms. Dieses zeigt, dass nahme der Echos nur wenig Zeit. Notwendig ist hierfür deshalb
FSE-Sequenzen v. a. für T2-gewichtete Bilder geeignet sind. Die ein sehr starker und schneller Gradient, da es aufgrund der rasch
Echozeiten von FSE-Sequenzen für T2-gewichtete Bilder sind wechselnden Magnetfelder zu Nervenstimulationen und zu star-
ebenfalls länger. ker Geräuschentwicklung kommen kann.

Echoplanare (Epi-)Sequenz
Der Vorteil echoplanarer Episequenzen ist die schnelle Aquisi-
tionszeit. Sie sind deshalb für dynamische und funktionelle Bild-
gebung geeignet. Die Echos werden durch wiederholtes Hin- und
Herschalten des Frequenzgradienten erzeugt (. Abb. 5.11). Da-
6

6 Angiographie und Intervention


W. Reith

6.1 Angiographie – 46
6.1.1 Grundlagen – 46
6.1.2 Aufklärung des Patienten und Durchführung der Untersuchung – 46

6.2 Interventionelle Radiologie – 48


6.2.1 Vaskuläre Interventionen – 48
46 Kapitel 6 · Angiographie und Intervention

6.1 Angiographie sowie kontrastmittelbedingte toxische Endothelschädigungen,


thrombotische Wirkung des Kontrastmittels und eine mögliche
6.1.1 Grundlagen Verschleppung vorhandener Thromben zu beachten.
Bei der DSA sind die Risiken z. T. abhängig davon, in welchem
Die Angiographie (Gefäßdarstellung) dient dem Nachweis funk- Gefäßgebiet die Katheter eingeführt werden. Durch die Kathe-
tioneller morphologischer Gefäßveränderungen. Durch die mo- termanipulation kann es zu Thrombosen, Embolien, Dissektion
dernen Schnittbildverfahren wie CT-Angiographie und MR-An- und Gefäßwandperforationen kommen. Auch Komplikationen
giographie haben die Indikationen für die Durchführung angio- durch die Gefäßpunktion, die Risiken einer Fehlpunktion von
graphischer Untersuchungen abgenommen. Die Arteriographie Nerven, arteriovenösen Fisteln, Infektionen sowie Komplikati-
wird nahezu ausschließlich in digitaler Subtraktionsangiogra- onen nach Entfernung der Gefäßschleuse aus der Gefäßwand
phie-Technik (DSA) durchgeführt. In der Regel werden zur (Nachblutung, Aneurysma) sind bei Aufklärung anzugeben.
Kontrastmittel-Applikation intraarteriell eingeführte Katheter
verwendet. Nur in Ausnahmefällen erfolgt eine direkte Punktion Wichtige Patientendaten für die Untersuchung
6 der Arterie mit Injektion des Kontrastmittels über die Nadel und Vorbereitung des Patienten
(»Nadel-Angiographie«). Die digitale Subtraktionsangiographie Die Untersuchung beginnt mit den Angaben auf dem Überwei-
mit intravenöser Kontrastmittel-Applikation (i. v. DSA) wird nur sungsschein. Hier sollte eine präzise Fragestellung formuliert
noch ausnahmsweise durchgeführt. werden, um unnötige oder Folgeuntersuchungen des Patienten
zu vermeiden. Es sollte eine Unterschrift des anfordernden Arzts
vorhanden sein. Wünschenswert sind Angaben zu Voruntersu-
6.1.2 Aufklärung des Patienten chungen, die zum Vergleich herangezogen werden können, sowie
und Durchführung der Untersuchung das Datum vorangegangener Operationen und die Dauer von
Bestrahlungen im Untersuchungsgebiet. Ohne diese Angaben ist
Vorbereitung der Untersuchung die Befundung für den Radiologen deutlich erschwert oder nicht
Aufklärungsgespräch möglich, z. B. bei der Beurteilung von narbigen Veränderungen
Der Patient ist über den Sinn des Eingriffs, über Durchführung, und Rezidivtumoren. Der Patient sollte befragt werden, ob es bei
Dauer, Alternativen und Risiken zu informieren. Nur dann ist die vorherigen Kontrastmittelgaben zu allergischen Reaktionen kam.
Einwilligung des Patienten rechtswirksam (informed consent). Für eine geplante CT müssen Metallgegenstände im Unter-
Das Einverständnis muss der Patient schriftlich geben. suchungsbereich, wie Ohrringe, Zahnspangen und nicht fest im-
Beispielsweise werden bei rein diagnostischen Angiogra- plantierter Zahnersatz, vor der Untersuchung entfernt werden,
phien höhere Anforderungen an die Aufklärung gestellt als bei um Artefakte zu vermeiden. Bei Untersuchungen im Thoraxbe-
interventionellen Eingriffen mit primär therapeutischer Ziel- reich müssen Büstenhalter mit Metallverschlüssen sowie Reiß-
setzung. Bei einer vitalen Indikation darf die Aufklärung auf verschlüsse der Hosen beim Untersuchen der LWS aus dem Scan-
das Notwendigste beschränkt werden, jedoch nicht entfallen. Die volumen entfernt werden.
Verantwortung liegt jeweils beim behandelnden Arzt. Im Falle Die wichtigsten Laborparameter, wie Schilddrüsenwerte und
der Aufklärung durch einen Kollegen ist nicht dieser, sondern Nierenwerte, sollten vorliegen. Der Patient sollte gefragt werden,
der durchführende Arzt im Schadensfall ersatzpflichtig. Ein ob eine Schilddrüsen- oder Nierenfunktionsstörung vorliegt
rechtswirksames Aufklärungsgespräch geschieht bei interven- oder ob er Diabetiker ist und welche Allergien bei dem Patienten
tionellen Eingriffen spätestens (!) einen Tag vor dem vorgesehe- bestehen. Frauen müssen nach einer bestehenden Schwanger-
nen Termin. In lebensbedrohlichen Notfallsituationen gilt diese schaft gefragt werden. Ist dies nicht auszuschließen, sollte ein
Frist von 24 h nicht. Schwangerschaftstest durchgeführt werden. Wenn der Patient
angibt, bei einer Angiographie, Phlebographie, einem intravenö-
! Im Falle eines Kunstfehlerprozesses liegt die Beweislast
sen Urogramm (IVU) oder einer vorangegangenen CT-Untersu-
für die sachgerechte Durchführung eines Eingriffs
chung nach Kontrastmittelgabe nur geringe Übelkeit, Juckreiz
beim Arzt, daher sollten Form, Zeitpunkt und Inhalt
oder vereinzelte Hautrötungen erlitten zu haben, ist eine erneute
des Aufklärungsgesprächs schriftlich festgehalten
Kontrastmittelgabe nach vorheriger Prämedikation noch vertret-
werden, am besten handschriftlich.
bar. Berichtet der Patient jedoch über hypotone Kreislaufreak-
Das Aufklärungsgespräch beinhaltet die Verlaufserklärung und tionen oder einen Schock, wird die Indikation äußerst streng
die Risikoaufklärung. In diesem sollten Chancen und Risiken bei gestellt oder auf die Untersuchung verzichtet. Wird eine Unter-
Unterlassung des Eingriffs erörtert werden. Eine Aufklärung kann suchung mit Kontrasmittel nötig, muss der Überweiser vorher
nur entfallen, wenn der Patient ausdrücklich darauf verzichtet, als die Nierenfunktion durch Bestimmung des Kreatininwerts abklä-
Kollege über den geplanten Eingriff Bescheid weiß oder der Pa- ren. Bei etwa jedem 10. Patienten mit akutem Niervenversagen
tient im Falle eines Mehrfacheingriffs bereits über die konkreten sind vorausgegangene Kontrastmitteluntersuchungen als kau-
Behandlungsabläufe und Gefahren informiert wurde. saler Faktor zumindest mitverantwortlich. Vor allem bei einer
Risiken der DSA ergeben sich aus der Gefäßpunktion, der Kon- präexistenten Nierenerkrankung ist höchste Vorsicht geboten.
trastmittel-Injektion und der intravasalen Kathetermanipulation. Als weiterer Risikofaktor gilt die gleichzeitige Gabe einer ne-
Bei den Phlebographien sind Kontrastmittel-Nebenwir- phrotoxischen Begleitmedikation (Zytostatika, Aminoglykoside,
kungen (Allergie, Hyperthyreose, Niereninsuffizienz; 7 Kap. 8) Lithium, nichtsteroidale Antirheumatika, Amphotericin). Prin-
6.1 · Angiographie
47 6
zipiell ist eine Kreatininkonzentration in Serum von >1,5 mg/dl
einer eingeschränkten Nierenfunktion gleichzusetzen.
Weitere prognostisch wichtige Einzelrisikofaktoren sind der
Diabetes mellitus. Jeder zweite Patient mit kontrastmittelin-
duziertem Nierenversagen ist Diabetiker. Weitere Risikofaktoren
sind Leberzirrhose (hepatorenales Syndrom), Hyperurikämie,
hohes Alter und schließlich eine präexistente Dehydratation. Im
Zweifelsfall sollte zunächst eine Rücksprache mit einem kompe- a
tenten Kliniker erfolgen und man sich nicht, v. a. im Zeitalter der
MRT, vom Drängen der Station beeinflussen lassen. Die Verant-
wortung liegt beim durchführenden Arzt. Es gibt nur wenige
Notfallsituationen, bei denen eine sofortige Kontrastmittel-Ap-
plikation notwendig ist (Verdacht auf Basilaristhrombose, Kon-
trastmittel-Angiographie der hirnversorgenden Gefäße zum
Ausschluss eines Aneurysmas/Verschlusses). Also muss bereits b
bei einer latenten Niereninsuffizienz die Indikation zur Kontrast-
mittelgabe streng gestellt werden.
Zudem gibt es Berichte, dass besondere Vorsicht bei Diabeti-
kern unter Biguanid-Therapie geboten ist. Bei diesen Patienten
soll es nach Kontrastmittelgabe zu einer Laktatazidose oder blei- c
benden Nierenfunktionsstörungen gekommen sein. Retrospek-
tive Studien bezweifeln jedoch, dass das Kontrastmittel bei den
beschriebenen Fällen ursächlich war. Mehrere Autoren berich-
ten, dass eine Kontrastmittelgabe bei Patienten unter Biguanid-
Therapie bei normalen Nierenwerten vertretbar sei. Jedoch wird
von der Deutschen Gesellschaft für Radiologie ein Absetzen von
metforminhaltigen Medikamenten für 2 Tage vor und nach der
Untersuchung gefordert. Dies ist jedoch in der klinischen Routi- d
ne, insbesondere unter dem Druck der kürzeren Liegezeiten häu-
fig nicht möglich, sodass zumindest anschließend eine Kontrolle
der Nierenwerte durchgeführt werden soll. Ist bei dialysepflich-
tigen Patienten eine Kontrastmittel-Applikation unbedingt er-
forderlich, wurde bisher unmittelbar nach der Untersuchung ein
Dialysetermin festgelegt; neuere Arbeiten behaupten, dass eine e
Dialyse noch nach 1–2 Tagen erfolgen kann. Hierbei sollte je-
doch die direkt toxische Wirkung des Kontrastmittels beachtet
werden.

Durchführung der Untersuchung


In der Regel erfolgt die intraarterielle DSA über eine Punktion f
der A. femoralis oder A. brachialis in Seldinger-Technik.
Dabei wird mit einer Punktionskanüle von 6–8 cm Länge das . Abb. 6.1a–f. Arterielle Punktion in Seldinger-Technik. a Zur lokalen Be-
entsprechende Gefäß punktiert, nach Entfernung des Mandrins täubung eignen sich ca. 10 ml Lokalanästhetikum, anschließend wird der
wird ein spiraliger Katheterführungsdraht (Draht mit 3–4 cm Gefäßverlauf getastet und die Punktionsnadel im Winkel von 45° in Rich-
langer flexibler Spitze) durch die Kanüle in die Arterie eingeführt tung des Arterienpulses vorgeschoben. Es sollte nur die vordere Arterien-
wand durchstochen werden. b Nach Entfernung der Innennadel pulsiert
(. Abb. 6.1). Anschließend wird die Kanüle zurückgezogen und
das Blut sichtbar – Hinweis auf die korrekte Lage intraluminal. c Einführen
ein zugespitzter Plastikkatheter über den Draht in das Gefäß ein- des Führungsdrahts in die Außenkanüle. d Entfernung der Außenkanüle
geführt. Für die Darstellung der Aorta und ihrer Äste werden unter Kompression der Punktionsstelle mit dem Finger. e Einführen der Ge-
Katheter mit Seitlöchern im Spitzenbereich verwandt (z. B. Pig- fäßschleuse über den liegenden Führungsdraht; dabei stabilisiert ein koaxi-
tail-Katheter). al liegender Dilatator die recht flexible Schleuse. Durch den Dilatator lässt
sich der Punktionskanal auf Durchmesser zwischen 4 und 10 F erweitern
Bei der selektiven Arteriographie werden mithilfe von be-
(1 French =0,33 mm). f Dilatator und Draht können schließlich entfernt wer-
stimmten vorkonfigurierten Kathetern die Gefäßabgänge des den, ein Ventil stoppt eine evtl. Blutung. Durch einen Seitenarm lassen sich
entsprechenden Gefäßes sondiert. Nach Kontrastmittel-Injek- die Schleuse spülen bzw. Kontrastmittel bzw. Medikamente verabreichen
tion wird das dem Gefäß zugeordnete Organ dargestellt. Diese
Katheter für die selektive Angiographie besitzen nur eine Öff-
nung an der Spitze. Nach der Kontrastmittel-Injektion wird zu-
nächst die arterielle Phase, dann die Parenchymphase und an-
48 Kapitel 6 · Angiographie und Intervention

schließend die venöse Abflussphase dokumentiert. Die Katheter Regel manometerkontrolliert mit hohem Druck (1–15 Barr) un-
bestehen aus Polyäthylen oder Polyurethan und sind oft mit ter Durchleuchtung.
einem Geflecht verstärkt. Zur Verbesserung der Gleitfähigkeit In den letzten Jahren hat sich durchgesetzt, dass bei Gefäßs-
sind sie mit einer Silikonschicht ummantelt. An der Katheterspit- tenosen zusätzlich endoluminäre Gefäßprothesen (Stents) einge-
ze sind Marker angebracht. Die Katheterdurchmesser werden in setzt werden. Hierbei handelt es sich um röhrenförmige Metall-
French (Chariere) angegeben. Dabei entspricht 1 French einem gitter, die passiv entfaltet werden oder selbst expandierende Ge-
Drittel Millimeter, für die Druckumrechnung gilt: fäßwandstützen und so den Dilatationseffekt sichern. Die Wahl
des Stents hat sich ebenfalls nach der Länge der Stenose und des
1 PSI (pound per square inch) =0,07 kg pro cm2=6,895 kN Gefäßdurchmessers zu richten.

Die Katheter werden in der Regel über Führungsdrähte aus Lokale Lysetherapie
hochwertigem Stahl in die Gefäße vorgeführt. Oft sind die Füh- Frische thrombotische oder embolische Gefäßverschlüsse kön-
rungsdrähte mit Teflon beschichtet. Teflonbeschichtete Füh- nen durch eine lokale Lyse behandelt werden. Die Therapie ist
6 rungsdrähte dürfen nicht mit Strahlen sterilisiert werden. jedoch nur dann sinnvoll, wenn das nachgeschaltete Organ noch
Für die Darstellung kleinster arterieller Gefäße werden spe- nicht zugrunde gegangen ist. Beim zerebralen Schlaganfall gilt,
ziell konfigurierte Katheter bis in die dazu zuständige Gefäßpro- dass die lokale Lysetherapie bis zu einem Zeitraum von 6 h nach
vinz vorgeführt, um in den Gefäßen des Zielgebiets eine maxi- Beginn der klinischen Symptomatik durchgeführt werden kann.
male Konzentration des Kontrastmittels zu erreichen (superse- Das Ziel der Behandlung besteht darin, den Katheter unmittelbar
lektive Angiographie). Diese Form der Angiographie ist für die in oder vor dem Gefäßverschluss zu platzieren und so eine hohe
Diagnostik kleinster Veränderungen der Hirn-, Herzkranz-, Konzentration des Lysemedikaments (Urokinase oder RTPA)
Leber-, Pankreas-, Nieren- und Darmgefäße erforderlich. Die des Thrombus zu erreichen, ohne systemische Lyseeffekte zu er-
sichere Beherrschung der superselektiven Kathetertechnik ist die zielen. Die Lysetherapie ist auch nur dann sinnvoll, wenn noch
wichtigste Voraussetzung für die Durchführung von Maßnah- keine bindegewebige Organisation des Verschlussmaterials im
men in der interventionellen Radiologie. Gefäß erfolgt ist (venös ca. 14 Tage, arteriell bei Embolie bis
ca. 1 Monat, bei Thrombose bis ca. 6 Monate). Bei älteren länger-
streckigen Verschlüssen kann aufgrund der längeren Behand-
6.2 Interventionelle Radiologie lungsdauer und höheren Dosierung zwangsläufig eine syste-
mische Wirkung eintreten. Nach erfolgreicher Lyse zeigt sich oft
Bei der interventionellen Radiologie handelt es sich um: eine der Thrombose zugrunde liegende Gefäßstenose, die an-
4 Lumenerweiternde oder lumenverschließende Methoden schließend dann ebenfalls behandelt werden muss.
4 Konkrement- oder Fremdkörperextraktion
4 Perkutane Ableitungen pathologischer Flüssigkeitsansamm- Gefäßverschließende Maßnahmen
lungen Bei Blutungen, arteriovenösen Fisteln, Angiomen, Aneurysmen
4 Unterbrechung der Leitfähigkeit von Nerven oder in Vorbereitung einer Operation gefäßreicher Tumoren
4 Verfahren der lokalen Tumor- oder Metastasentherapie sind gefäßverschließende Maßnahmen oft notwendig. Aneurys-
men können interventionell radiologisch behandelt werden, in
Die Indikationsstellung erfolgt in der Regel interdisziplinär. dem das Trägergefäß verschlossen oder selektiv das Aneurysma,
Eine passende Aufklärung des Patienten vor der Durchführung z. B. mit Platinspiralen verschlossen wird. Außerdem kann eine
der Intervention ist Voraussetzung und muss individuell er- Überdeckung des Aneurysmas durch einen beschichteten Stent
folgen. erfolgen. Durch bei der Okklusion blutende Arterien, z. B. Ulkus,
Im Folgenden nicht beschriebene Interventionen werden in Tumorblutung, traumabedingte Gefäßverletzungen, kann die
den weiteren Kapiteln dieses Buchs bei den entsprechenden Or- Blutungsquelle lokalisiert werden und durch entsprechende
ganen dargestellt. Maßnahmen, wie selektivem Gefäßverschluss, Injektion von Ge-
fäßkleber, verschlossen werden. Dabei muss gewährleistet sein,
dass die Gefäßokklusion für das arterielle Versorgungsgebiet to-
6.2.1 Vaskuläre Interventionen lerabel ist. Eine Verschleppung von Embolisationsmaterial in
andere Gefäßgebiete muss vermieden werden.
Näheres hierzu auch in den 7 Kap. 22 und 23. Zur Aufklärung des Dabei gibt es resorbierbare Embolisationsmaterialien, die zu
Patienten s. oben. einem temporären Gefäßverschluss führen (Stärke, Partikel,
Lipiodol, Gelatine) und Verfahren mit einem definitiven Gefäß-
Gefäßerweiternde Maßnahmen verschluss, z. B. Metallspiralen, Kunststoffpartikel oder ablös-
Am häufigsten wird bei arteriellen Stenosen eine Ballondilata- bare Ballons. Bei einer lokalen Tumortherapie können Embo-
tion durchgeführt. Dabei wird nach Heparinisierung ein Kathe- lisationsmaterialien mit Chemotherapeutika vermischt werden,
ter in die Stenose vorgeführt. Der Katheter trägt einen Ballon, der um die Tumorpassage des Chemotherapeutikums zu verzögern
über einen kleinen Kanal gefüllt und entleert werden kann (In- und eine systemische Chemotherapie zu erzielen.
flation, Deflation). Der Ballon muss in seinem Durchmesser auf
das zu dilatierende Gefäß abgestimmt sein. Diese erfolgt in der
7

7 Ultraschall
W. Reith

7.1 Grundlagen – 50
7.1.1 Schwächung der Schallwellen – 50
7.1.2 Ortsauflösung – 51
7.1.3 Bildverarbeitung und Bilderzeugung – 51

7.2 Verschiedene Schallköpfe – 51

7.3 Ultraschallverfahren – 52
50 Kapitel 7 · Ultraschall

7.1 Grundlagen Schwächung bzw. Dämpfung der Schallwellen erfolgt exponen-


tiell, das Ausmaß hängt von der Kompressibilität und der Dichte
Die Sonographie ist ein Schnittbildverfahren, das auf der Aus- des Materials und von der Frequenz ab. Im Wasser ist die Dämp-
breitung von Ultraschallwellen basiert (. Abb. 7.1, . Abb. 7.2). fung durch Absorption geringer als im Weichgewebe, am höchs-
Charakteristika der Sonographie sind Schallwellen, die an Mate- ten im Knochen. Eine hohe Frequenz wird stark gedämpft und
rie gebunden sind und sich in longitudinaler Richtung ausbrei- hat deshalb nur eine geringe Eindringtiefe. Dies bedeutet, dass je
ten. Durch die Bewegung der Materieteilchen kommt es zu einer niedriger die Frequenz, desto größer die Eindringtiefe ist. Übli-
Kompression und Dekompression im Gewebe. Da die Materie- cherweise werden für die Sonographie oberflächlicher Struktu-
teilchen transversal zur Ausbreitungsrichtung der Welle um ihre ren Schallköpfe mit einer Frequenz von 10 MHz oder höher ver-
Ruhelage schwingen, wird Energie nur in der Ausbreitungsrich- wendet, für die Muskulatur- und Gefäßdiagnostik 5 MHz, für die
tung der Welle longitudinal transportiert. Die Lage der Teilchen Abdomensonographie 3,5 MHz. Die Ortsauflösung ist von der
bleibt im zeitlichen Mittel konstant. Zu den Kenngrößen der Frequenz abhängig: je höher die Frequenz, desto höher die Orts-
Schallwellen gehören die Wellenlänge λ, die Frequenz f und die auflösung.
Amplitude A. Dabei hängt die Ausbreitungsgeschwindigkeit der
Schallwellen wesentlich von der Dichte und Kompressibilität des Reflexion
7 untersuchten Gewebes ab; in Luft ist sie am niedrigsten (330 m/s) Unter Reflexion versteht man, dass eine Schallwelle auf eine
und im Knochen am höchsten (3300 m/s), für Weichgewebe be- Grenzfläche zwischen Geweben mit unterschiedlichen akusti-
trägt die Schallgeschwindigkeit ca. 1500 m/s. schen Eigenschaften trifft und teilweise als Echo zurückgeworfen
wird (. Abb. 7.2). Als Brechung wird eine Änderung der Aus-
breitungsrichtung bezeichnet. Das Ausmaß von Reflexion und
7.1.1 Schwächung der Schallwellen Brechung hängen davon ab, wie stark sich die Schallleitungsfä-
higkeit (akustische Impedanz) der beiden Gewebe unterscheidet.
Beim Durchtritt durch biologisches Gewebe werden Schallwel- Zwischen Luft und Knochen sowie den meisten anderen Gewe-
len geschwächt, die Ursache hierfür sind Absorption, Reflexion, ben zeigen sich besonders große Impedanzunterschiede. An
Brechung, Streuung und Divergenz. Grenzflächen zwischen Luft, Knochen oder kalkdichten Struktu-
ren und anderen Geweben findet eine nahezu 100%ige Reflexion
Absorption statt. Die Ultraschallwelle kann diese Grenzflächen nicht durch-
Absorption bedeutet, dass durch Reibung die kinetische Energie dringen, aus der Region hinter der Grenzfläche gelangen daher
von Schallwellen in Wärme umgewandelt (Absorption) und ihre keine Echos zum Empfangsschallkopf. Diese dorsal an der
Amplitude längs ihrer Ausbreitungsrichtung somit abnimmt. Die Grenzfläche gelegene Schallauslöschung wird auch als dorsaler

. Abb. 7.1. Die Schallausbreitung ist an Materie gebunden. a Darstellung von Transversalwellen und b Longitudinalwellen, wie sie in Festkörpern auftre-
ten. In Flüssigkeiten gibt es nur Longitudinalwellen
7.2 · Verschiedene Schallköpfe
51 7
7.1.3 Bildverarbeitung und Bilderzeugung

Grundlage für die Aussendung und Empfang von Ultraschall-


wellen ist der piezoelektrische Effekt. Der piezoelektrische Kris-
tall sendet einen kurzen Schallimpuls aus, wobei mechanische
Schwingungen entstehen. Dieser Effekt ist aber umkehrbar:
Schallwellen verformen Piezokristalle, was zu einer messbaren
Spannungsänderung führt. Daher dient der Piezokristall sowohl
als Sender als auch Empfänger. Üblicherweise wird ein kurzer
Schallimpuls mit einer Dauer von 0,3–0,6 μs gesendet, anschlie-
ßend dient er als Empfänger für diese Echos. Um jedoch eine
. Abb. 7.2. Reflexionswinkel und Brechungswinkel von Ultraschallwellen. Ortskodierung vornehmen zu können, müssen alle Echos am
Unter dem Winkel Θe trifft ein Ultraschallpuls auf den Grenzübergang zwi- Schallkopf angekommen sein, bevor der nächste Schallimpuls
schen den zwei Medien 1 und 2. Beim Auftreffen wird an diesem Punkt
erfolgen kann (Pulsechoprinzip).
ein Teil der Pulsintensität reflektiert (Reflexionswinkel Θr) und ein weiterer
Teil transmittiert (Brechungs- oder Transmissionswinkel Θt). Es hängt vom
Das Sonogramm beruht auf der Schwächung der Ultraschall-
Verhältnis der Schallgeschwindigkeiten in den Medien ab, ob der Trans- wellen im Körper (s. oben). Dabei werden Schallwellen an der
missionswinkel größer oder kleiner als der Einfallswinkel ist Grenze unterschiedlicher Gewebe absorbiert. Die Differenz der
Amplitude von ausgesandter Schallwelle und Echo gibt Auf-
schluss über das durchstrahlte Gewebe. Die Reflexion ist für die
Schallschatten bezeichnet. Die dorsale Schallauslöschung kann Bilderzeugung ausschlaggebend. Die Laufzeit der Schallwellen,
die Beurteilung der Untersuchung unter Umständen erheblich d. h. die Zeit von der Aussendung bis zum Empfang, ist je nach
behindern, z. B. Meteorismus bei der Oberbauchsonographie. Gewebe bzw. je nachdem, an welcher Grenzfläche sie reflektiert
An der Grenzfläche Luft/Haut wird die Reflexion in der Regel wird, unterschiedlich. Das Ausmaß der Reflexion an einer Grenz-
durch ein Ultraschallkontaktgel verhindert. fläche lässt Rückschlüsse auf die beteiligten Gewebearten zu.
Das Grauwertbild des Sonogramms ist eine zweidimensio-
Streuung und Divergenz nale Anordnung von Bildpunkten, auch Pixel genannt. Jedem
Unter Streuung und Divergenz versteht man, dass Schallwellen, Bildpunkt wird proportional zur Echointensität ein Grauwert
wenn sie auf Strukturen auftreffen, die kleiner als ihre Wellenlän- zugewiesen. Nach dem Empfang der Echos am Schallkopf wer-
ge sind, in alle Raumrichtungen abgelenkt werden. Durch die den die Signale verstärkt, gleichgerichtet und analog/digital ge-
Streuung (ungerichtete Echos) bekommt das Ultraschallbild ei- wandelt.
nen hellen Schleier. Der Kontrast und damit die Detailerkenn-
barkeit nehmen ab, dieser Effekt tritt am häufigsten bei der Le-
berverfettung auf. Die diffuse Leberverfettung führt zu einer 7.2 Verschiedene Schallköpfe
erhöhten Echodichte der Leber, wodurch Herdbefunde schlech-
ter abgrenzbar sind. Mit wachsender Entfernung von der Schall- Linear-Array Schallkopf
quelle geht das Strahlenbündel auseinander (Divergenz). Grund Im Linear-Array-Schallkopf sind die Laufrichtungen des Schalls
hierfür sind die technischen Eigenschaften des Schallkopfs und parallel zueinander. Bei anderen Schallköpfen werden die Positi-
die Eindringtiefe des Schalls. onen stets in unterschiedlichen Richtungen und einem Winkel Φ
ausgesandt. Das Schallfeld des Linearscanners ist rechteckig, wo-
durch auch in der Tiefe eine annähernd gleichbleibende Bildqua-
7.1.2 Ortsauflösung lität resultiert. Die Bildfeldbreite hängt dabei von der Breite des
Schallkopfs ab.
Die Ortsauflösung ist für die Aussagekraft der Sonographie von
großer Bedeutung. Das Auflösungsvermögen beschreibt die Fä- Sektorscanner
higkeit, zwei unterschiedliche Gewebestrukturen voneinander Beim Sektorscanner werden die Piezokristalle durch einen Elek-
getrennt darzustellen. Man unterscheidet zum einen das axiale tromotor schrittweise um ihre Achse bewegt. Die Schallwellen
Auflösungsvermögen, das ist der kleinste Abstand zweier noch werden dabei so ausgesandt, dass ein fächerförmiges Schallfeld
getrennt abgebildeter Grenzflächen in der Schallausbreitungs- entsteht. Sektorscanner sind besonders für Untersuchungen
richtung. Das axiale Auflösungsvermögen hängt von der Wellen- durch schmale Schallfenster geeignet, z. B. Untersuchung des
länge ab und beträgt ca. 0,2–0,3 mm bei Schallköpfen mit Interkostalraums. Nachteil ist die durch die starke Strahlendiver-
7,5 MHz. Das laterale Auflösungsvermögen zum anderen ist der genz bedingte Abnahme der Schallwellendichte in der Tiefe.
kleinste Abstand zweier noch getrennt abgebildeter Strukturen,
die senkrecht zur Schallausbreitungsrichtung liegen. Das laterale Konvexscanner
Auflösungsvermögen ist geringer als das axiale und hängt von Hierbei sind die Eigenschaften des Linear- und Sektorscanners
der Wellenlänge und der Schallfeldbreite, somit ebenfalls wieder- kombiniert. Die Piezokristalle sind bogenförmig angeordnet, da-
um von der Geometrie des Schallkopfs ab. Sie nimmt mit zuneh- durch kommt es zu einem guten Auflösungsvermögen mit dem
mender Eindringtiefe ab. weiten Gesichtsfeld des Sektorscanners.
52 Kapitel 7 · Ultraschall

. Abb. 7.3. B-Bild der A. carotis im Längsschnitt mit generell verdickter In- kleiner intramuraler Einblutung. (Mit freundlicher Genehmigung von Prof.
7 tima-Mediaschicht sowie Querschnitt mit exzentrisch verdickter Wand und R. Kubale, Pirmasens)

7.3 Ultraschallverfahren
A-Mode-Verfahren
Beim A-Mode-Verfahren werden die Amplituden der Echos auf
einer Zeitachse aufgetragen, die Zeitachse entspricht dabei der
Entfernung vom Schallsender. Dieses Verfahren wird nur noch
gelegentlich eingesetzt, z. B. bei der Sinusitisdiagnostik.

B-Mode-Verfahren
Das B-Mode-Verfahren stellt eine Weiterentwicklung des A-
Modes dar; je nach ihrer Amplitude im Verlauf der Laufstrecke
werden den Echos Grauwerte zugeordnet (. Abb. 7.3). Viele ne-
beneinander liegende Grauwertlinien ergeben ein Helligkeits-
schnittbild (B-Mode = Brightness-Mode), das B-Mode-Verfah-
ren ist das in der medizinischen Diagnostik am häufigsten einge-
. Abb. 7.4. Normale A. poplitea mit Abgang der A. suralis (rot kodiert) in
setzte Verfahren und ermöglicht am Beispiel der A. carotis in der farbkodierten Duplexsonographie. Je heller der Farbton ist (in der Mitte
. Abb. 7.3 die Beurteilung der Intima-Media-Schicht sowie der des Gefäßes), desto höhere Frequenzverschiebungen liegen zugrunde, je
Zusammensetzung von Plaques. dunkler er ist (am Rand des Gefäßes) desto niedriger ist die Frequenzver-
schiebung. (Mit freundlicher Genehmigung von Prof. R. Kubale, Pirmasens)
M-Mode-Verfahren
Die Echos eines Orts werden auf einer Zeitachse aufgetragen,
sodass sich dynamische Prozesse darstellen lassen (M-Mo- triert, die an bewegten Reflektoren (Blutkörperchen) auftreten.
de = Motion-Mode). Dadurch können dynamische Prozesse wie Diese Frequenzverschiebungen können farblich entsprechend
Herzklappenbewegungen dargestellt werden. Dieses Verfahren der Blutflussrichtung dargestellt werden.
wird hauptsächlich in der Kardiologie eingesetzt. Die farbkodierte Duplexsonographie verbindet das Doppler-
verfahren und das B-Mode-Verfahren (. Abb. 7.5). Ausgenutzt
Farbkodierte Duplexsonographie wird dabei der 1842 von Christian Doppler beobachtete und
Bei der farbkodierten Duplexsonographie, auch Color flow map- nach ihm benannte Effekt. Bewegen sich ein Beobachter und eine
ping genannt, wird jedem Farbfenster entweder ein Grau- oder Schallquelle relativ aufeinander zu oder voneinander weg, wird
ein Farbwert zugewiesen (. Abb. 7.4). Die Grauwerte (B-Bild) die vom Beobachter gemessene Frequenz je nach Bewegungs-
beschreiben die Morphologie und die Farbwerte den Blutfluss. richtung höher oder niedriger sein als die Frequenz, die von
Die Farben in der Frequenz- bzw. Geschwindigkeitsdarstellung einem stationären Beobachter gemessen wird (dieses Phänomen
repräsentieren die geschwindigkeitsgewichtete Dopplerverschie- wird als Doppler-Effekt bezeichnet).
bung (»je heller, desto schneller«). Analog zum Verhalten des Wassers an einer Enge im Fluss
kann man aus der Flussbeschleunigung auf eine Stenose schlie-
Dopplerverfahren ßen. Die FKDS bietet zusammen mit dem Dopplerspektrum die
Hierbei handelt es sich um spezielle Ultraschallverfahren für die Möglichkeit, Stenosen der A. carotis zu erfassen und zu quanti-
Gefäßdiagnostik. Dabei werden Frequenzverschiebungen regis- fizieren (. Abb. 7.6).
7.3 · Ultraschallverfahren
53 7

. Abb. 7.5. FKDS der A. carotis communis und A. carotis interna mit Dar- . Abb. 7.7. Vergleich zwischen fundamentaler (links) und harmonischer
stellung eines Doppler-Spektrums. Das Blutflussverhalten an einem Ort im Darstellung (rechts) einer Karotisbifurkation: Gefäßlumen und Plaquezu-
Gefäß ist als Funktion der Zeit aufgezeichnet. Nach Winkelkorrektur kann sammensetzung lassen sich deutlich besser erkennen. (Mit freundlicher Ge-
die Flussgeschwindigkeit in cm/s abgelesen werden. Bis 125 cm/s sind nor- nehmigung von Prof. R. Kubale, Pirmasens)
mal. (Mit freundlicher Genehmigung von Prof. R. Kubale, Pirmasens)

Neuere bildgebende Verfahren in der Sonographie schallechos. Beim Durchgang eines Ultraschallpulses durch ein
Die neueren Farb- und B-Bildverfahren werden hier nur kurz Medium kommt es zu einer Kompression des Mediums. Der nach-
gestreift. Sie sind in der Regel eine Ergänzung zu den bereits folgende Teil der Schallwelle sieht eine höhere Dichte des Mediums
etablierten Verfahren und liefern wenig neue Informationen. als der Anfangsteil der Welle. Die Schallgeschwindigkeit ist jedoch
Dazu zählen das Intensitäts-Doppler-Verfahren, der Tissue- in einem Medium höherer Dichte höher als in einem Medium
Doppler und das Harmonic Imaging im Farbbereich sowie das niedriger Dichte. Dadurch kommt es zu einer Aufsteilung der
Compound-B-Bildverfahren. Sämtliche Farbverfahren sind mit Welle, die hinteren Anteile des Schallpulses holen scheinbar die
»aliasing« behaftet und somit winkelabhängig. vorderen Teile des Pulses ein. Dadurch entstehen die höheren har-
monischen Frequenzen. Nutzt man zur Erzeugung des Bildes nur
Harmonic Imaging oder zusätzlich die nichtlinearen harmonischen Teile, so lassen
Das Harmonic-Imaging-Verfahren beruht auf der Auswertung der sich Störartefakte und Speckle reduzieren. Dadurch ist eine weitere
nichtlinearen harmonischen Teile des empfangenen Ultra- Verbesserung des B-Bildes möglich (. Abb. 7.7).

. Abb. 7.6. Hochgradige Stenose der A. carotis interna im B-Bild und in Dopplerspektrum. Die intrastenotische Geschwindigkeit liegt >450 cm/s
der FKDS. Im Querschnitt erkennt man das echoarme Plaquematerial sowie entsprechend einer Stenose von >90%. (Mit freundlicher Genehmigung von
das durchströmte Restlumen. Rechts Längsschnitt durch die Stenose mit Prof. R. Kubale, Pirmasens)
54 Kapitel 7 · Ultraschall

Gewebsdoppler (Tissue-Doppler) wird die bis dahin vorhandene Flussrichtungsdiskriminierung


Beim Gewebsdoppler wird nicht die Blutflussbewegung farbig verlassen, wodurch besonders niedrige Pulswiederholfrequenzen
kodiert, sondern die Bewegung des Gewebes, insbesondere des möglich sind. Die Intensität des Dopplersignals wird bei diesem
Herzmuskels. Hier werden nicht die schwachen Echos vom Blut Verfahren farbig kodiert. Je größer die Dopplersignalintensität,
auf ihre Dopplerfrequenzverschiebung hin untersucht, sondern desto heller ist an diesem Ort die Färbung. Der Vorteil des Inten-
die starken Echos aus der Gewebefrequenz analysiert. Die Signal- sitäts-Dopplers besteht in der Verwendung extrem niedriger
auswertung erfolgt auf ähnliche Weise wie bei den anderen farb- Pulswiederholfrequenzen in der Größenordnung von wenigen
kodierten Dopplersonographieverfahren. In der bildlichen Dar- 100 Hz. Dies ermöglicht, extrem niedrige Dopplerverschie-
stellung ist das bewegte Gewebe je nach seiner Bewegungsrich- bungen bzw. Flussgeschwindigkeiten aufzulösen.
tung und Geschwindigkeit farbkodiert und das Blut erscheint
schwarz. Compound-Echtzeit-B-Bildverfahren
Das Compound-Echtzeit-B-Bildverfahren wird verwendet, um
Intensitäts-Doppler z. B. einen Schnitt über den gesamten Oberbauch oder längs
Das Intensitäts-Doppler-Verfahren, auch Power-Doppler ge- eines Oberschenkels in einem ununterbrochenen Gesamtbild
nannt, ist in den letzten Jahren recht populär geworden. Hierbei darzustellen.
7
8

8 Kontrastmittel
W. Reith

8.1 Grundlagen – 56

8.2 Röntgenkontrastmittel – 56
8.2.1 Eigenschaften der Röntgenkontrastmittel – 56
8.2.2 Beeinflussung der Schilddrüsenfunktion – 56
8.2.3 Beeinflussung der Nierenfunktion – 56
8.2.4 Kontrastmittelreaktionen – 56
8.2.5 Überempfindlichkeitsreaktionen – 57

8.3 MR-Kontrastmittel – 57
8.3.1 Eigenschaften der MR-Kontrastmittel – 57
8.3.2 Kontrastmittelreaktionen – 57

8.4 Ultraschallkontrastmittel – 58
56 Kapitel 8 · Kontrastmittel

8.1 Grundlagen Körper kurz nach der Injektion sowie einem metallischen Ge-
schmack auf der Zunge sollten die Patienten informiert werden.
Die klinische Fragestellung bestimmt die Untersuchungsstrate- Da Nebenwirkungen auftreten können, muss die Indikation zur
gie. Nativuntersuchungen bei der CT dienen der Untersuchung Kontrastmittelgabe in jedem Einzelfall kritisch überprüft wer-
von Hochkontraststrukturen (Skelett- und Lungenparenchym), den, eine genaue Anamnese bzw. mögliche Risikofaktoren erho-
andererseits dem Hämatomnachweis. Die Untersuchungen von ben und die Kontrastmittelmenge auf das diagnostisch notwen-
parenchymatösen Organen und Weichteilgeweben profitieren dige Maß reduziert werden.
von der parenteralen Kontrastmittel-Applikation. Für die meis-
ten abdominellen Fragestellungen ist eine Darmkontrastierung
sinnvoll. 8.2.2 Beeinflussung der Schilddrüsenfunktion
Kontrastmittel verstärken den Kontrast durch im darzustel-
lenden Organ anreichernde Dichteunterschiede zwischen dem Das an den Benzolring gebundene Iod liegt zu einem geringen Teil
Organ und dem umgebenden Gewebe. Die Kontrastmittel kön- als freies atomares Iod vor und wird von der Schilddrüse aufge-
nen Nebenwirkungen hervorrufen, daher besteht eine Aufklä- nommen. Daher ist eine Funktionsdiagnostik oder Radioiodthe-
rungspflicht. rapie der Schilddrüse nach Gabe eines iodhaltigen Kontrastmittels
für Wochen bis Monate nicht möglich. Bei Patienten mit latenter
Hyperthyreose oder autonomem Adenom kann es zu einer Thy-
8 8.2 Röntgenkontrastmittel reotoxikose kommen. Diesbezüglich sollten verschiedene Schild-
drüsenwerte (fT3, fT4 und der basale TSH-Wert) vor Gabe eines
8.2.1 Eigenschaften der Röntgenkontrastmittel iodhaltigen Kontrastmittels bekannt sein. Ist eine Iodexposition
indiziert, bevor eine Hyperthyreose ausgeschlossen werden kann,
Röntgenkontrastmittel absorbieren Röntgenstrahlen stärker kann Natriumperchlorat 30 min vor der Kontrastmittelgabe appli-
(röntgenpositive Kontrastmittel) oder weniger (röntgennegative ziert und dann für weitere 5 Tage gegeben werden.
Kontrastmittel) als das umliegende Gewebe. Röntgenpositive
Kontrastmittel sind Verbindungen mit einer hohen Ordnungs-
zahl, z. B. Bariumsulfat- und iodhaltige Verbindungen. Barium- 8.2.3 Beeinflussung der Nierenfunktion
sulfathaltige Suspensionen werden vorwiegend in der Magen-
darm-Diagnostik eingesetzt, sie führen auf der Schleimhaut zu Die nierengängigen Kontrastmittel wirken insbesondere an vorge-
einem anhaltenden Kontrastmittelbeschlag und lassen sich mit schädigten Nieren tubulotoxisch. Bei alten Patienten, Diabetikern
röntgennegativem Kontrastmittel, z. B. Luft (Doppelkontrast- und Patienten mit erhöhtem Kreatininwert sollte die Kontrastmit-
technik), kombinieren. Da Bariumsulfat unlöslich ist, ist die teldosis reduziert und zusätzlich eine ausreichende Volumenzufuhr
Gabe bei Verdacht auf Perforation oder Aspiration kontraindi- vor Kontrastmittel-Applikation gewährleistet sein. In verschie-
ziert. In diesen Fällen sollten wasserlösliche iodhaltige Kontrast- denen Studien hat sich gezeigt, dass eine ausreichende Flüssigkeits-
mittel, z. B. Peritrast, eingesetzt werden. zufuhr mit 1000–2000 ml NaCl-Lösung, 0,9% i.v. zu einer gestei-
Iodhaltige Kontrastmittel sind fett- oder wasserlöslich. Fett- gerten Nierenperfusion und damit zu einer Verdünnung des ne-
lösliche Verbindungen wurden zur Lymphographie eingesetzt. phrotoxischen Kontrastmittels in den Tubuli führt. Eine durch
Die wasserlöslichen Verbindungen werden von allen Röntgen- Kontrastmittel induzierte Nephropathie kann bei ausreichender
kontrastmitteln am häufigsten eingesetzt, z. B. zur Angiographie, Flüssigkeitszufuhr und evtl. Verwendung von isoosmolaren nicht-
Cholezysto- und Cholangiographie, Urographie und Myelogra- ionischem Kontrasmittel Iodixanol reduziert werden.
phie. Bei den iodhaltigen Verbindungen wird zwischen ionischen
und nichtionischen Kontrastmitteln unterschieden. Ionische
Verbindungen haben eine höhere Osmolalität als Blut (hyperos- 8.2.4 Kontrastmittelreaktionen
molar). Sie können bei intravasaler Anwendung dem Extravasal-
raum Wasser entziehen und so das Endothel schädigen und Die meisten Kontrastmittelreaktionen treten innerhalb der ers-
Schmerzen hervorrufen. Nichtionische Verbindungen sind we- ten 20–30 min nach Applikation auf, 75% sogar innerhalb der
niger hyperosmolar als ionische Verbindungen und daher besser ersten 3–5 min. Kontrastmittelreaktionen werden in 4 Schwere-
verträglich. Moderne iodhaltige Kontrastmittel besitzen eine grade eingeteilt:
niedrige Viskosität und sind nichtionisch. Sie werden überwie- 4 Schweregrad 1: Hautreaktionen und leichtere Allgemein-
gend über die Nieren, zum kleineren Teil über den Darm, das symptome
hepatobilliäre System und die Speicheldrüsen eliminiert. 4 Schweregrad 2: Hämodynamische und gastrointestinale
Nichtionische Kontrastmittel sind in der Regel gut ver- Symptome
träglich, mit schweren allergischen Nebenwirkungen ist selten zu 4 Schweregrad 3: Anaphylaktischer Schock
rechnen. Die Angaben in der Literatur schwanken zwischen 4 Schweregrad 4: Anaphylaktischer Schock mit Herz- und
1:10 000 bis 1:100 000. Patienten müssen über das Risiko von Atemstillstand
Schilddrüsen- und Nierenfunktionsstörungen sowie einer aller-
gischen Reaktion bis hin zum Schock aufgeklärt werden. Auch Das therapeutische Vorgehen richtet sich nach dem Schwere-
über ein zu erwartendes allgemeines Wärmegefühl im gesamten grad.
8.3 · MR-Kontrastmittel
57 8
Schweregrad 1. Applikation eines H1-Rezeptorantagonisten,
H2-Rezeptorantagonisten. . Tab. 8.1. Reaktionen auf MR-Kontrastmittel

Reaktion Häufigkeit
Schweregrad 2. Zusätzlich sollen Kortikosteroide i.v. appliziert
werden. Als Richtdosis gelten 3 mg Prednisolon/kg Körperge- Übelkeit, Erbrechen 0,42%
wicht. Rasch wirken die Kortikosteroide mit geringerem Mine- Lokales Wärmegefühl 0,41%
ralkortikoidanteil.
Kopfschmerzen 0,26%
Parästhesie 0,13%
Schwere Kontrastmittelreaktionen Grad 3 und Grad 4. Ein ana-
phylaktischer Schock ist lebensbedrohlich. Ein Notfallmediziner Schwindel 0,10%
sollte hinzugezogen werden. Über die liegende Injektionsnadel Krampfanfälle 0,03%
sollte Adrenalin langsam unter Pulskontrolle injiziert werden. Urtikaria 0,03%
Die Adrenalingabe kann ggf. wiederholt werden. Eine nachfolgen-
Allergische Hautreaktionen 0,07%
de klinische Überwachung auf einer Überwachungs-/Intensiv-
station ist notwendig. Flash 0,06%

Kardiovaskuläre Reaktionen 0,04%

8.2.5 Überempfindlichkeitsreaktionen
men und führt zu einem lange anhaltenden Signalanstieg des Le-
Übelkeit, Erbrechen, Erythem, Urtikaria, Bronchospasmus, La- berparenchyms. In Tumorzellen gelangt die Substanz nicht.
ryngospasmus, Krämpfe und anaphylaktischer Schock können
auftreten. Die Anamnese bezüglich früher Kontrastmittelgaben
oder allergischer Prädisposition ist besonders wichtig. Die Häu- 8.3.2 Kontrastmittelreaktionen
figkeit letaler Komplikationen nach i.v. Kontrastmittelgabe liegt
für ionische Kontrastmittel bei 1:100 und für nichtionische Kon- Allergische Reaktionen auf MR-Kontrastmittel sind selten, können
trastmittel bei 1:1 000 000 Anwendungen. jedoch ebenso lebensbedrohlich sein (. Tab. 8.1). Der Mechanis-
mus ist unbekannt. Am ehesten wird das Immunsystem aktiviert
und Histamin ausgeschüttet. Bis jetzt wurden keine Spätreaktio-
8.3 MR-Kontrastmittel nen publiziert, wie sie von iodhaltigen Kontrastmitteln bekannt
sind. Typische Reaktionen auf Gadolinium-basierte Kontrastmittel
8.3.1 Eigenschaften der MR-Kontrastmittel variieren nicht wesentlich von denen auf iodhaltige Kontrastmittel.
Bei den Unverträglichkeitsreaktionen auf Kontrastmittel
MR-Kontrastmittel verstärken Gewebekontraste, indem sie werden Frühreaktionen (bis 60 min nach Injektion) von Spät-
die Relaxationszeiten der betroffenen Gewebe beeinflussen. Am reaktionen (60 min bis 3 Tage nach Injektion) unterschieden:
häufigsten wird die paramagnetische Substanz Gadolinium ein- 4 Frühreaktionen: Übelkeit, Erbrechen, Urtikaria, Erythem,
gesetzt. Das hochtoxische Gd 3+-Ion ist an einem Chelatbildner, Angioödem, Bronchospasmus, vasovagale Reaktion, Glottis-
z. B. DTPA, gebunden. Andere Elemente, welche zumindest ödem, anaphylaktischer Schock, Atemnot, Kreislaufreaktion
experimentell verwendet werden können, sind Mangan und Fer- 4 Spätreaktionen: Rötung, Quaddeln, Schwellung, Übelkeit,
ritin. Diarrhoe, Kopfschmerz, Schwindel, Rigor, Zittern, grippe-
Gadolinium-basierte Kontrastmittel zeigen eine geringe Pro- ähnliche Symptome.
teinbildung, werden nicht metabolisiert und verteilen sich im
extrazellulären Raum. Die Blut-Hirn-Schranke wird gewöhnlich Vorbereitung des Patienten
nicht passiert. Die Halbwertszeit der Blutzirkulation beträgt mit Kontrastmittelallergie
ca. 90 min. Sie kann in einer Dosierung von 0,1–0,3 mmol/kg Ist eine Kontrastmittelallergie bekannt, sollte der Patient entspre-
Körpergewicht appliziert werden. Bei pathologischen Prozessen chend auf die Untersuchung vorbereitet werden (. Tab. 8.2).
im zentralen Nervensystem mit gestörter Blut-Hirn-Schranke Für die endovasale Anwendung sind ausschließlich nichtioni-
kann eine Störung der Sensivität nachgewiesen werden. Gadoli- sche Kontrastmittel zugelassen, vorzugsweise sollten niedrig-
nium reichert sich dort an, verkürzt die T1-Relaxation und führt molare nichtionische Kontrastmittel zur Anwendung kommen.
so zu einer Signalzunahme in der T1-Wichtung. Es bestehen im Wesentlichen 2 Möglichkeiten zur Vorbereitung
Organspezifische Kontrastmittel haben die Sensitivität und des Patienten:
Spezifität v. a. in der Leberdiagnostik beträchtlich steigern kön- 4 Prophylaktische Kurzinfusion mit H1- und H2-Blockern
nen. Das sind v. a. superparamagnetische Eisenpartikel, die zuerst 4 Prophylaktische Kortikosteroidgabe
von der Leber phagozytiert werden und sich demzufolge nur im
gesunden, mit Hepatozyten ausgestatteten Lebergewebe anrei- Eine Prämedikation ist nur bei Patienten mit bekannter anam-
chern. Durch die Verkürzung der T2-Relaxation wird die gesunde nestischer Kontrastmittelreaktion erforderlich. Kortikoide soll-
Leber in der T2-Wichtung dunkel, die Läsionen bleiben hell. Das ten bei elektiven Untersuchungen 12 h vor der Untersuchung
Kontrastmittel Mangan-DPDP wird von Hepatozyten aufgenom- gegeben werden, der chemotoxische Effekt wird durch die Kor-
58 Kapitel 8 · Kontrastmittel

tiver Untersuchung erfolgt diese nach dem in . Tab. 8.3 genann-


. Tab. 8.2. Vorbereitung des Patienten mit Kontrastmittelallergie ten Schema, bei Notfalluntersuchungen gilt . Tab. 8.4.
Medikation Zeitpunkt der Applikation
Patienten mit Niereninsuffizienz
40–50 mg Prednisolon 12–24 h vor der Untersuchung Bei niereninsuffizienten Patienten sollte eine strenge Indika-
300 mg Cimetidin, 20–50 ml NaCl 30 min bis 2 h vor Untersuchung tionsstellung erfolgen und die Patienten bei der Notwendigkeit
Alternativ: 50 mg Ranitidin i.v. einer Kontrastmittel-Applikation ausreichend gewässert werden.
50 mg Diphenhydramin i.v. Unmittelbar vor der Unter-
Besonderes Augenmerk soll auf die glomeruläre Filtrationsrate
Alternativ: 2 mg Clemastin suchung gelegt werden, die über das Serumkreatinin und Alter, Geschlecht
des Patienten nach bestimmten Formeln berechnet werden kann:
(140 – Alter) × Körpergewicht (kg)
tikoide wahrscheinlich nicht ausreichend gedämpft, weshalb eine Kreatininclearance – Rate =
Serumkreatinin (μmol/l) × 0,8 l
Kombination mit H1-Blockern empfehlenswert ist (. Tab. 8.2).
Für Frauen kann ein Korrekturfaktor von 0,85 statt 0,80 l ange-
Vorbereitung bei erhöhtem Risiko nommen werden.
einer iodinduzierten Hyperthyreose
Da iodhaltige Kontrastmittel freies Iod in einer Konzentration Nephrogene systemische Fibrose nach
von bis zu 20 μg/ul enthalten, werden während einer normalen Anwendung gadoliniumhaltiger Kontrastmittel
8 CT-Untersuchung etwa 2–3 mg freies Iod verabreicht, eine Die Assoziation der seltenen Erkrankung »nephrogene syste-
Menge, die dem 10- bis 40-Fachen der normalen Tagesdosis ent- mische Fibrose« (NSF) mit der Anwendung gadoliniumhaltiger
spricht. Die Inzidenz für die Entwicklung der Thyreotoxikose MR-Kontrastmittel wurde kürzlich beschrieben. Die NSF ist eine
beträgt in etwa 0,03–0,2%, sowohl bei euthyreoiden als auch bei seltene sklerodermieähnliche Systemerkrankung, einhergehend
hyperthyreoiden Patienten. Eine Prophylaxe wird aber kontro- mit ausgedehnten Gewebsfibrosen. Im Januar 2007 informierte
vers diskutiert, besonders bei Patienten aus Iodmangelregionen. das Bundesamt für Arzeimittel und Medizinprodukte (BfArM)
Die Indikationen zur Prämedikation bestehen bei bekannter über eine neuartige unerwünschte Arzneimittelwirkung, die im
Hyperthyreose, bei Morbus Basedow, beim autonomen Adenom, Jahr 2006 beobachtet wurde. Die Erkrankung ist bisher aus-
der Knotenstruma sowie beim papillären oder follikulären schließlich bei Patienten mit Nierenschädigung aufgetreten. Am
Schilddrüsenkarzinom. häufigsten bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz, wo-
Folgende Faktoren bzw. Vorerkrankungen erhöhen das Risi- bei 90% der Patienten dialysepflichtig waren. Die Inzidenz der
ko für eine iodinduzierte Hyperthyreose: NSF ist nicht genau bekannt. Da die NSF zu schwerwiegenden
4 Bekannte Hyperthyreose Behinderungen führen und potenziell letal verlaufen kann, ist es
4 Morbus Basedow notwendig, dass die Indikation bei niereninsuffizienten Patienten
4 Latente Hyperthyreose bei autonomem Adenom streng gestellt wird. Bei der NSF entwickeln sich erythematöse
4 Papilläres Schilddrüsenkarzinom Papeln, bräunliche Plaques sowie eine ausgeprägte Verdickung
4 Follikuläres Schilddrüsenkarzinom und Verhärtung der Haut, die zu Kontrakturen und zunehmender
Immobilität führen können.
Auch diese Patienten bedürfen einer besonderen Vorbereitung Die US Food and Drug Administration (FDA) betont, dass bei
vor der Untersuchung mit iodhaltigen Kontrastmitteln; bei elek- Risikopatienten möglicherweise jedes gadoliniumhaltige Kon-
trastmittel zu einer NSF führen kann. Risikopatienten sollen über
die Gefahr einer NSF aufgeklärt werden. Alternative Untersu-
. Tab. 8.3. Vorbereitung des Patienten bei erhöhtem Risiko für eine chungsmethoden oder eine native MRT sollten erwogen werden.
iodinduzierte Hyperthyreose – elektive Untersuchung Es sollten nur geringe Mengen an gadoliniumhaltigen MR-Kon-
Medikation Zeitpunkt der Applikation
trastmitteln verwendet werden. Der Nutzen einer Dialyse ist un-
klar. Die FDA empfiehlt bei Patienten mit einer GFR <60 ml/min/
Na-Perchlorat: 3-mal tgl. 300 mg 1 Tag vor der Untersuchung 1,73 m2 eine prompte Dialyse. Jeder Fall einer NSF sollte den zu-
bis 8–14 Tage danach
ständigen Behörden gemeldet werden.
Thiamazol: 1-mal tgl. 30 mg 1 Tag vor bis 28 Tage danach

8.4 Ultraschallkontrastmittel
. Tab. 8.4. Vorbereitung des Patienten bei erhöhtem Risiko für eine
iodinduzierte Hyperthyreose – Notfalluntersuchung Als Ultraschallkontrastmittel stehen Mikrobläschen in definierter
Größe zur Verfügung. Die Gasbläschen erhöhen die Rückströ-
Medikation Zeitpunkt der Applikation mung der Ultraschallwellen und verstärken so das Signal. Ultra-
Na-Perchlorat: 1-mal 800 mg Vor der Untersuchung und 3-mal schallkontrastmittel verbleiben intravasal und gehen nicht in das
300 mg für 8–14 Tage danach Interstitium über. Sie werden zur besseren Demarkierung von Lä-
sionen in parenchymatösen Organen, v. a. der Leber, aber auch bei
Thiamazol: 1-mal 30 mg Vor Untersuchung und über 28 Tage
Herzecho- und kraniellen Ultraschalluntersuchungen eingesetzt.
II

Neuroradiologie

9 Gehirn – 61
W. Reith

10 Wirbelsäule – 273
W. Reith
9

9 Gehirn
W. Reith

9.1 Anatomie – 63
9.1.1 Gliederung des Gehirns – 63
9.1.2 Hirnnerven und Hirnnervenkerne – 65
9.1.3 Mittelhirn – 71
9.1.4 Hirnschenkel – 71
9.1.5 Kleinhirn – 71
9.1.6 Zwischenhirn (Diencephalon) – 72
9.1.7 Funktionelle Bahnsysteme des Großhirns – 72
9.1.8 Blutversorgung des Gehirns – 75
9.1.9 Hirnvenen und Sinus durae matris – 79

9.2 Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen des Gehirns – 81


9.2.1 Embryogenese des Nervensystems – 81
9.2.2 Myelinisierung des Gehirns – 82
9.2.3 Neuralrohrdefekte – 83
9.2.4 Anomalien der Medianstrukturen – 86
9.2.5 Störungen der Rindenentwicklung – 89
9.2.6 Schizenzephalie, Porenzephalie, Hemiatrophie – 91
9.2.7 Holoprosenzephalie – 92
9.2.8 Entwicklungsstörungen von Kleinhirn und Hirnstamm – 93
9.2.9 Arachnoidalzysten – 95
9.2.10 Neurokutane Syndrome (Phakomatosen) – 96

9.3 Vaskuläre Erkrankungen – 102


9.3.1 Intrazerebrale Gefäßmalformationen – 102
9.3.2 Schlaganfall – 120
9.3.3 Seltene Ursachen vaskulärer Erkrankungen – 137

9.4 Intrakranielle Tumoren – 145


9.4.1 Grundlagen – 145
9.4.2 Infratentorielle Tumoren – 148
9.4.3 Supratentorielle Tumoren – 158
9.4.4 Extraparenchymale Tumoren – 171
9.4.5 Missbildungs- und Keimzelltumoren – 175
9.4.6 Andere seltene Tumoren der hinteren Schädelgrube und der Schädelbasis – 177
9.4.7 Tumoren der Sellaregion – 190
9.4.8 Metastasen – 195

9.5 Schädelhirntrauma – 197


9.5.1 Grundlagen – 197
9.5.2 Geburtstrauma und andere Frakturen bei Kindern – 200
9.5.3 Weitere Traumafolgen – 205
9.5.4 Sekundäre Traumafolgen – 215
9.5.5 Kindesmisshandlung – 216
9.6 Entzündliche Erkrankungen des Gehirns – 218
9.6.1 Meningitis – 218
9.6.2 Komplikationen einer Meningitis bzw. intrazerebrale Infektionen – 221
9.6.3 ZNS-Infektionen bei immunsupprimierten Patienten – 225
9.6.4 Spongiforme Enzephalopathien – 237
9.6.5 Parasitäre Infektionen – 239
9.6.6 Multiple Sklerose und verwandte Erkrankungen – 240

9.7 Metabolische Erkrankungen des zentralen Nervensystems – 248


9.7.1 Grundlagen/Definition – 248
9.7.2 Leukodystrophien mit primärer Hypomyelinisierung – 248
9.7.3 Leukodystrophien mit unbekanntem metabolischen Defekt – 248
9.7.4 Leukodystrophien mit bekanntem Defekt – 249
9.7.5 Peroxisomale Krankheiten – 251
9.7.6 Neurolipidosen – 251
9.7.7 Störungen der Fettsäureoxidation – 253
9.7.8 Heteroglykanosen – 254
9.7.9 Störungen im System der oxidativen Phosphorylierung (OXPHOS) – 255
9.7.10 Stoffwechselstörungen der Aminosäuren – 256
9.7.11 Morbus Wilson – 258

9.8 Erkrankungen der weißen Substanz – 258


9.8.1 Primäre Demyelinisierung – 258
9.8.2 Ischämische Demyelinisierung – 258
9.8.3 Infektbedingte Demyelinisierung – 259
9.8.4 Toxisch oder metabolisch bedingte Demyelinisierung – 260
9.8.5 Dysmyelinisierende Erkrankungen – 262

9.9 Neurodegenerative Erkrankungen – 263

9.10 Hydrozephalus und intrakranielle Hypotension – 268


9.10.1 Hydrozephalus – 268
9.10.2 Liquorunterdrucksyndrom – 271
9.1 · Anatomie
63 9
9.1 Anatomie hirn, dem vorne Medulla oblongata und Pons anliegen. Am
Großhirn erkennt man den Frontal-, Parietal-, Temporal- und
9.1.1 Gliederung des Gehirns Okzipitallappen. Sulci (Furchen) unterteilen die Hemisphären-
oberfläche in zahlreiche Gyri (Windungen). Besonders wichtig
Das Gehirn lässt sich aufgrund morphologischer, entwicklungs- sind Sulcus centralis und Sulcus lateralis, Gyrus praecentralis
geschichtlicher und funktioneller Gesichtspunkte in folgende und Gyrus postcentralis. Der Sulcus centralis trennt den Frontal-
Abschnitte gliedern: vom Parietallappen, der Sulcus lateralis (Fissura Sylvii) trennt
4 Medulla oblongata den Temporal- vom Parietal- und Frontallappen.
4 Pons In der Basalansicht (. Abb. 9.1) des Gehirns sieht man den
4 Mesencephalon Hirnstamm in ganzer Ausdehnung, von kaudal nach kranial,
4 Diencephalon Medulla oblongata, Pons und Mittelhirn. Weiterhin erkennt man
4 Cerebellum die Abgänge der Hirnnerven. An das Mittelhirn schließt sich
4 Telencephalon nach vorne das Zwischenhirn an. Die basalen Anteile des Zwi-
schenhirns werden vom Hypothalamus gebildet. Dem Mittelhirn
Eine weitere Einteilung ist die in:
schließt sich nach vorne das Zwischenhirn an, von dem die bei-
4 Hirnstamm
den Corpora mamillaria und die Hypophyse sowie das Chiasma
4 Kleinhirn
opticum sichtbar sind. Im Chiasma opticum treten die Nn. opti-
4 Großhirn
ci beider Seiten zusammen und tauschen Fasern aus. Vor dem
Zum Hirnstamm werden Medulla oblongata, Pons und Mesence- Chiasma opticum befindet sich unten am Frontallappen der
phalon gezählt. Als Rhombencephalon (Rautenhirn) werden die Tractus olfactorius, der vorne in einer Verdickung im Bulbus
Medulla oblongata, Pons und Cerebellum zusammengefasst. olfactorius endet. Hier tritt der erste Hirnnerv (N. olfactorius)
In der Seitansicht des Gehirns nehmen die Großhirnhemis- ins Gehirn ein. Im Hirnstamm erkennt man den Ursprung der
phären den größten Raum ein. Kaudal befindet sich das Klein- anderen Hirnnerven von kaudal nach kranial: N. hypoglossus,

. Abb. 9.1. Basalansicht des Gehirns. (Aus: Tillmann B. Atlas der Anatomie des Menschen. 2. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York 2009)
64 Kapitel 9 · Gehirn

. Abb. 9.2. Mediansagittalschnitt des Gehirns. (Aus: Tillmann B. Atlas der Anatomie des Menschen. 2. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York 2009)

N. accessorius (aus dem Rückenmark mit nur einer kleinen Wur- gata an. Das Kleinhirn ist mit dem Mittelhirn durch das Velum
zel aus dem Hirnstamm), N. vagus, N. glossopharyngeus, N. ves- medullare superius (oberes Kleinhirnsegel) und mit der Medulla
tibulocochlearis, N. facialis, ganz medial am Unterrand des Pons oblongata durch das Velum medullare inferius (unteres Klein-
N. abducens, lateral aus dem großem Wulst des Pons N. trigemi- hirnsegel) verbunden.
nus, am Oberrand des Pons lateral nach vorne tretend N. troch- Der Hirnstamm besteht aus Medulla oblongata, Pons und
learis, zwischen den beiden Hirnschenkeln N. oculomotorius. Mesencephalon und enthält wichtige funktionelle Strukturen.
In der Medialansicht (. Abb. 9.2) blickt man auf den quer Die Medulla oblongata ist strukturell vom Rückenmark nicht
durchtrennten Balken, darüber erkennt man die Großhirnhe- scharf abgrenzbar. Nach kranial reicht die Medulla oblongata bis
misphäre, darunter das Zwischenhirn mit dem längs geschnitte- zum Beginn der quer verlaufenden, wulstartigen Fasern des
nen 3. Ventrikel. Über den Balken verläuft der Gyrus cinguli, Pons. Der Pons wird nach oben durch die längs verlaufenden
unmittelbar unter dem Balken verläuft ein großer Fasertrakt – Fasern der Crura cerebri des Mesencephalons begrenzt.
Fornix – von hinten nach vorn. Er wölbt sich wie ein Dach über Medulla oblongata und Pons bilden gemeinsam mit dem Ce-
den 3. Ventrikel. Der 3. Ventrikel ist ein Teil des Zwischenhirns. rebellum das Rhombencephalon. Bekannte Außenstrukturen
An der Hinterwand des 3. Ventrikels ist die zapfenförmige Epi- sind ventral die beiden Pyramiden, lateral anschließend die Oli-
physe zu sehen. Der Boden des 3. Ventrikels wird vom Hypotha- ven sowie darüber die den Brückenfuß bildenden, quer verlau-
lamus des Zwischenhirns gebildet. Kaudal an das Zwischenhirn fenden Fasermassen des Pons. Dorsal kann man als Tuberculum
schließen sich das Mittelhirn, der Pons und die Medulla oblon- cuneatum und Tuberculum gracile die Hinterstrangkerne erken-
9.1 · Anatomie
65 9
nen. Medulla und Pons bilden den Boden des 4. Ventrikels (Rau-
tengrube), dessen Dach vom Kleinhirn und von den Kleinhirn-
segeln gebildet wird. In der Medulla oblongata und dem Pons
finden sich zahlreiche Nervenkerne, wobei die dort befindlichen
Hirnnervenkerne den größten Anteil ausmachen. Die somato-
motorischen Kerne sind mehr medial und die somatosensiblen
Kerne mehr lateral gelegen. Die viszeromotorischen und viszero-
sensiblen Kerne liegen dazwischen. Die Kerne des 3.–12. Hirn-
nervs befinden sich im Hirnstamm.

9.1.2 Hirnnerven und Hirnnervenkerne

I. Hirnnerv – N. olfactorius
Der N. olfactorius (. Abb. 9.3) ist ein viszerosensibler Nerv, der
sich aus mehreren feinen Fasern (Fila olfactoria) zusammensetzt,
die im Bereich der Riechschleimhaut an der oberen Nasenmu-
schel ihren Ursprung nehmen. Die primären Sinneszellen der
Riechschleimhaut bündeln ihre marklosen Fortsätze zu den Fila
olfactoria zusammen und ziehen zwischen den Siebbeinzellen
hindurch zur Schädelbasis, wo sie das Siebbein in der Lamina
cribrosa durchbrechen und im zum Großhirn gehörenden Bul-
bus olfactorius enden. Dort werden sie zum ersten Mal verschal-
. Abb. 9.3. N. olfactorius (I), MR-Zisternographie. (Aus Naidich, Duvernoy,
tet, sodass der Bulbus olfactorius als Hirnnervenkern des 1. Hirn-
Sorensen, Haacke (Hrsg.). Duvernoy’s Atlas of the Human Brain Stem and
nervs aufgefasst werden kann. Von hier aus werden die olfakto- Cerebellum. Springer, Wien 2009). Legende: Einzelner schwarzer Pfeil:
rischen Impulse über den Tractus olfactorius, der sich dem Bul- Bifurcatio des Tractus olfactorius in Stria medialis und Stria lateralis; paarige
bus olfactorius als lang gestielte Struktur dorsal anschließt, in die schwarze Pfeile: laterale olfaktorische Stria; 3V: dritter Ventrikel; C: A. caro-
primäre Riechrinde weitergeleitet. tis interna; GR: Gyrus rectus; M1: A. cerebri media; PMOL: Gyrus orbitalis
posteromedialis; Un: Uncus; 60: Pedunculus cerebri; 101: Tractus opticus
Eine Schädigung der Fila olfactoria kommt bei Schädelba-
sisverletzungen vor, die zu einem Abriss der feinen Fasern bei
deren Durchtritt durch die Lamina cribrosa führen können. Da-
bei kommt es zur Anosmie, der Unfähigkeit zu Riechen bzw. zur
Riechminderung (Hyposmie). Charakteristisch ist dabei, dass
die Patienten aromatische Stoffe nicht mehr wahrnehmen kön-
nen, scharfe Agenzien wie z. B. Ammoniak aber schon noch, da
diese die Nasenschleimhaut reizen und damit über den N. trige-
minus wahrgenommen werden.

Bildgebung. Der Bulbus olfactorius ist am besten auf koronaren


T1-gewichteten Aufnahmen darzustellen.

II. Hirnnerv – N. opticus


Der N. opticus (. Abb. 9.4) ist ein speziell somatosensibler Nerv;
er führt die Fasern mit den Impulsen der Sinneszellen aus der
Retina des Auges, also die visuelle Information. Entwicklungsge- . Abb. 9.4. N.opticus (II), MR-Zisternographie. (Aus Naidich, Duvernoy, So-
schichtlich ist er als ein Teil des Zwischenhirns zu betrachten und rensen, Haacke (Hrsg.). Duvernoy’s Atlas of the Human Brain Stem and Cer-
demnach nicht als peripherer Nerv zu bezeichnen. Der N. op- ebellum. Springer, Wien 2009). Legende: Weiße Pfeile: N. opticus (II), intra-
ticus beginnt in der Retina nicht direkt an den Sinneszellen, son- orbitaler Verlauf und Verlauf im Canalis opticus; II: Chiasma opticum
dern setzt sich aus Fortsätzen der Ganglienzellen zusammen, die
die innerste, dem Licht zugewandte Zellschicht in der Retina weichen Hirnhäuten umgeben. Der Durchmesser des N. opticus
bilden. Diese Fortsätze treten dann gebündelt in der Sehnerven- liegt bei etwa 4–5 mm und hat eine Länge von ca. 5 cm.
papille zusammen und bilden dort den blinden Fleck der Retina. Der N. opticus verlässt die Augenhöhle zusammen mit der
Das Auge verlassen sie etwas medial, vom hintersten Pol des Bul- A. ophthalmica durch den Canalis opticus und zieht in die mitt-
bus, indem sie die Sklera nach dorsal durchbrechen. Ab da wer- lere Schädelhöhle. Der ipsilaterale N. opticus trifft unmittelbar
den sie von Oligodendrozyten ummarkt, wie alle zentralnervösen über der Hypophyse mit dem N. opticus der kontralateralen Sei-
Nervenbahnen, zu denen der N. opticus als Gehirnanteil gerech- te im Chiasma opticum zusammen. Der N. opticus selbst kann
net werden muss. Er ist ebenso wie das Gehirn von harten und bis zum Chiasma opticum in einen intraorbitalen, kanalikulären
66 Kapitel 9 · Gehirn

und intrakraniellen Anteil untergliedert werden. Im Chiasma


opticum kreuzen die Fasern, die von der medialen Netzhaut-
hälfte kommen, zur Gegenseite, während die Fasern der lateralen
Netzhauthälfte das Chiasma ungekreuzt durchlaufen. Gekreuzte
und ungekreuzte Fasern ziehen dann als Tractus opticus weiter
lateral an den Crura cerebri vorbei zum Corpus geniculatum la-
terale des Thalamus, wo sie erneut verschaltet werden, um von
dort zur visuellen Großhirnrinde zu gelangen. Dabei teilt sich der
Tractus opticus nach dorsolateral in einen lateralen Anteil (der
wie beschrieben zum Corpus geniculate laterale zeiht) und einen
dünneren, medialen Anteil, der zum Colliculus superior zieht.
Vom Corpus geniculate laterale verläuft die Sehstrahlung um das
Hinterhorn zum Sulcus calcarinus zur Sehrinde.
Entsprechend den topisch geordneten und kreuzenden Faser-
nverläufen kann man klinische Schädigungen der Sehbahn recht
gut lokalisieren. Eine Schädigung des N. opticus resultiert in einer
Blindheit auf dem Auge der betroffenen Seite, da der N. opticus
alle retinalen Fasern des entsprechenden Bulbus führt. Eine Schä-
digung im Chiasma hingegen hat eine so genannte bitemporale
Hemianopsie zur Folge (z. B. bei einem Hypophysentumor). Eine
9 Hemianopsie ist ein Ausfall einer Hälfte des Gesichtsfeldes. Der
. Abb. 9.5. N. oculomotorius (III), 3T MR-Zisternographie. (Aus Naidich,
Begriff »bitemporal« bezieht sich dabei auf die betroffenen Ge- Duvernoy, Sorensen, Haacke (Hrsg.). Duvernoy’s Atlas of the Human Brain
sichtsfelder. Bei einer Läsion des gesamten Chiasma resultiert eine Stem and Cerebellum. Springer, Wien 2009). Legende: Schwarze Pfeile: N.
Läsion aller Sehbahnenfasern, die zur völligen Blindheit führt. oculomotorius (III), zisternale Segmente; IP: Cisterna interpeduncularis; Un:
Eine Schädigung des Tractus opticus hat eine homonyme Hemi- Uncus; 60: Pedunculus cerebri
anopsie der betroffenen Seite zur Folge, was bedeutet, dass beide
ausgefallenen Gesichtshälften zur gleichen Seite zeigen. lus tendineus communis (den Sehnenursprungsring) der Augen-
Eine Stauungspapille ist bei gesteigertem intrakraniellem muskeln und zweigt sich in einen oberen und unteren Ast auf.
Druck zu erkennen. Bei der multiplen Sklerose kommt es zu ei- Der kleinere Ramus superior versorgt den M. rectus superior
ner Zerstörung der von den Oligodendrozyten gebildeten Mark- und den M. levator palpebrae superioris, der größere Ramus in-
scheiden und damit zu einem Funktionsverlust der entspre- ferior versorgt den M. rectus medialis, M. rectus inferior und
chenden Nervenbahnen. Da auch der N. opticus als zentralner- den M. obliquus inferior. Ein weiterer Ast mit parasympathischen
vöser Fasertrakt von Oligodendrozyten ummarkt wird, kann er Fasern innerviert die inneren Augenmuskeln (M. sphincter pu-
oft Erstmanifestationsort dieser Erkrankung sein. Die Folge ist pillae und M. ciliaris).
zunächst ein partieller, dann aber unter Umständen vollständiger Der III. Hirnnerv versorgt also alle äußeren Augenmuskeln
Funktionsverlust des Sehnervs. mit Ausnahme des M. rectus lateralis und des M. obliquus supe-
rior. Er ist damit für die Bulbusbewegung nach oben lateral, oben
Bildgebung. Der N. opticus sowie das Chiasma können am bes- medial, medial und unten medial zuständig. Die Augenbewe-
ten in axialen und koronaren Schichtführungen dargestellt wer- gung nach lateral und unten lateral werden durch andere Hirn-
den. Geeignet sind hier z. B. dünnschichtige, T1-gewichtete Se- nerven generiert (N. abducens und N. trochlearis).
quenzen. Tritt eine Schädigung des N. oculomotorius auf, steht das
betroffene Auge nach außen und unten. Daraus resultieren Dop-
III. Hirnnerv – N. oculomotorius pelbilder, die aufgrund der Blickabweichung des kranken Auges
Der N. oculomotorius (. Abb. 9.5) ist ein gemischt somato- und nach lateral unten schräg übereinander stehen. Weiterhin hängt
viszeromotorischer Nerv, der zusammen mit dem IV. und aufgrund des Ausfalls des M. levator palpebrae auf der betroffenen
VI. Hirnnerv für die Innervation der Augenmuskeln zuständig Seite das Augenlid schlaff herunter (Ptose). Zusätzlich kommt es
ist. Er hat seinen Ursprung im Mittelhirn mit 2 Kernkomplexen, durch einen Ausfall der parasympathischen Fasern zu einer Weit-
einem somatomotorischen für die Bewegung der quergestreiften stellung der Pupille (Mydriasis) und einer mangelnden Akkom-
äußeren Augenmuskeln und einem viszeromotorischen für die modationsreaktion, sodass scharfes Sehen in der Nähe (z. B. Lesen
Bewegung der glatten inneren Augenmuskeln. mit dem betroffenen Auge) nicht mehr möglich ist. Der Kernkom-
Der N. oculomotorius verlässt das Mittelhirn vorne zwischen plex des N. oculomotorius liegt im Mittelhirn in Höhe der Colli-
den beiden Hirnschenkeln in der Fossa interpeduncularis und culi superiores, nahe der Mittellinie, ventral des Aquädukts, aber
verläuft dann nach ventral zur Sella turcica. Dort durchbricht er ist z. T. noch im periaquäduktalen Grau eingebettet.
die Dura mater und tritt in den Sinus cavernosus ein, in dessen Der N. oculomotorius verläuft im zisternalen Abschnitt
Dach bzw. späterer Seitenwand er dann nach ventral zieht. Er durch den Spalt zwischen A. cerebelli superior und A. cerebri
gelangt schließlich ganz nach medial durch die Fissura orbitalis posterior und verläuft am äußersten Rand der A. communicans
superior in die Augenhöhle, zieht durch den gemeinsamen Anu- posterior. Diese enge Lage zur A. communicans posterior ist oft
9.1 · Anatomie
67 9
Grund dafür, dass es zu Irritationen des N. oculomotorius bei
Aneurysmen der A. communicans posterior kommen kann.

Bildgebung. Der N. oculomotorius kann in sagittalen Dünn-


schicht-Aufnahmen in seinem zisternalen Lauf nachgewiesen
werden, in axialen Aufnahmen ist er nur abschnittsweise zu er-
kennen. Die Beurteilung des N. oculomotorius im Sinus caver-
nosus ist am besten mit koronaren T1-gewichteten Sequenzen
nach Kontrastmittelgabe möglich, da sich der N. oculomotorius
dann von dem kräftigen, kontrastmittelanreichernden Sinus ca-
vernosus als dunkler Fleck abhebt.

IV. Hirnnerv – N. trochlearis


Der N. trochlearis (. Abb. 9.6) ist der dünnste der 12 Hirnner-
ven und versorgt als rein somatomotorischer Nerv nur einen
einzigen Augenmuskel. Sein Ursprungskern liegt im Mittelhirn. . Abb. 9.6. N. trochlearis (IV), MR-Zisternographie. (Aus: Naidich, Duvernoy,
Der N. trochlearis tritt am Unterrand der Vierhügelplatte als ein- Sorensen, Haacke (Hrsg.). Duvernoy’s Atlas of the Human Brain Stem and
ziger Hirnnerv an der Dorsalseite des Gehirns aus. Er verläuft Cerebellum. Springer, Wien 2009). Legende: schwarzer Pfeil: N. trochlearis
(IV), zisternale Segmente; 4V: vierter Ventrikel; 23: Pedunculus cerebellaris
dann lateral der Hirnschenkel und knapp oberhalb der Brücke
superior; 38: Pedunculus cerebellaris medius (Brachium conjunctivum);
nach vorne, wo er durch den Subarachnoidalraum abwärts zieht 56: Colliculus inferior
und am vorderen Ende des Tentorium cerebelli in die Dura ein-
tritt. Unter der Dura verläuft er dann in der Seitenwand des Sinus
cavernosus nach ventral und tritt zusammen mit dem N. oph-
thalmicus (1. Ast des N. trigeminus), dem N. oculomotorius und
dem N. abducens durch die Fissura orbitalis superior in die Au-
genhöhle ein. Er innerviert den M. obliquus superior und zieht
als einziger für die Augenbewegung zuständiger Nerv nicht
durch den Anulus tendineus.
Eine Schädigung des N. trochlearis führt zu einer Fehlstel-
lung des Auges, die in Primärstellung des Bulbus genau der Zug-
richtung des M. obliquus superior entgegengerichtet ist, also
geringfügig nach medial oben. Bei einer Schädigung resultieren
Doppelbilder, die entsprechend der Fehlstellung des betroffenen
Bulbus schräg verdreht übereinander stehen.

Bildgebung. Da der Hirnnerv so dünn ist, ist es schwierig, ihn im


. Abb. 9.7. N. trigeminus (V), MR-Zisternographie. (Aus: Naidich, Duvernoy,
MRT darzustellen. Am günstigsten ist eine 3D-Technik mit einer
Sorensen, Haacke (Hrsg.). Duvernoy’s Atlas of the Human Brain Stem and Cer-
Schichtdicke von <1 mm in T1- oder T2-Wichtung (MPRAGE, ebellum. Springer, Wien 2009). Legende: Schwarze Pfeile: N. trigeminus (V),
CISS, TRUFI). zisternales Segment; Weiße Pfeile: laterale Wände des Cavum Meckeli;
38: Pedunculus cerebellaris medius (Brachium pontis); 227: Lobulus quad-
V. Hirnnerv – N. trigeminus rangularis posterior; 4V: vierter Ventrikel; B: A. basilaris; C: A. carotis interna
Der N. trigeminus (. Abb. 9.7) ist ein gemischt sensibler und
motorischer Nerv. Der sensible Anteil versorgt das gesamte Ge- Die 3 Äste ziehen durch getrennte Öffnungen der Schädelbasis
sicht, die Mund- und Nasenschleimhaut sowie einen Großteil der und versorgen mit ihren sensiblen Fasern separate Bereiche der
Hirnhäute. Ein motorischer Anteil versorgt die Kaumuskulatur. Gesichtshaut und des Kopfs. Der N. ophthalmicus und der
Der N. trigeminus hat 3 sensible Kerne im ZNS, im oberen Zer- N. maxillaris sind rein sensibel, der N. mandibularis hat auch
vikalmark, in der Medulla oblongata und einen motorischen motorische Fasern für die Kaumuskulatur. Die Nerven geben
Kern. Der N. trigeminus ist der dickste Nerv; tritt an der Lateral- Äste zur sensiblen Innervation der Hirnhäute ab.
seite des Pons aus und zieht nach vorne über die Felsenbeinpyra-
midenkante, wo er unter der Dura endet. Dabei bildet er eine N. ophthalmicus (V1)
Duratasche (Cavum trigeminale), in der ein großes sensibles Der N. ophthalmicus zieht nach Verlassen des Ganglion Gasseri
Ganglion (Ganglion trigeminale oder Ganglion Gasseri) liegt. in den Sinus cavernosus, in dessen Seitenwand er nach ventral
Im Anschluss daran gabelt sich der N. trigeminus in 3 große verläuft. Er gibt einen Ast an die Meningen ab und zweigt sich
Äste auf: beim Eintritt durch die Fissura orbitalis superior in 3 Äste auf:
4 N. ophthalmicus (V1) 4 N. nasociliaris
4 N. maxillaris (V2) 4 N. frontalis
4 N. mandibularis (V3) 4 N. lacrimalis
68 Kapitel 9 · Gehirn

Diese 3 Nerven verzweigen sich in der Orbita weiter und ziehen zu


ihren Zielorganen. Der N. ophthalmicus versorgt sensibel den ge-
samten Bereich der Orbita und des Auges einschließlich Cornea,
die Haut der Stirn und der Nase sowie mit seinen Schleimhautäs-
ten die oberen Nasennebenhöhlen und die Nasenscheidewand.

N. maxillaris (V2)
Der N. maxillaris zieht in der basolateralen Wand des Sinus ca-
vernosus nach ventral und tritt im Foramen rotundum durch die
Schädelbasis. Er teilt sich auf in:
4 Rami ganglionares
4 N. zygomaticus
4 N. infraorbitalis

Er versorgt mit seinen sensiblen Ästen die Gesichtshaut der Wan-


ge zwischen Auge und Lippen sowie den vorderen Schläfenbe-
reich lateral des Auges. Zusätzlich versorgt er die Schleimhäute
der Nasenhöhle und des Gaumens sowie den knöchernen Ober-
kiefer mit sämtlichen Oberkieferzähnen.

9 N. mandibularis (V3) . Abb. 9.8. N. abducens (VI), MR-Zisternographie. (Aus: Naidich, Duver-
noy, Sorensen, Haacke (Hrsg.). Duvernoy’s Atlas of the Human Brain Stem
Dieser Nerv ist der kräftigste der 3 Trigeminusäste. Er verlässt die and Cerebellum. Springer, Wien 2009). Legende: Schwarzer Pfeil: N. abdu-
Schädelhöhle durch das Foramen ovale, tritt dann in die Fossa cens (VI), zisternale Segmente; Schwarzer Pfeil mit Kreuz: Arachnoidea
infratemporalis ein. Der sensible Anteil teilt sich auf in: und zerebrospinale Flüssigkeit um den N. abducens, der hier die Dura des
4 N. auriculotemporalis Clivus durchbricht; A: A. vertebralis
4 N. alveolaris inferior
4 N. lingualis gischen Prozessen besonders gefährdet, da er als einziger Nerv
4 N. buccalis mitten durch das Lumen dieses venösen Blutleiters zieht. So kann
er bei Schädelbasisbrüchen oder basalen Hirnhautentzündungen
Darüber versorgt er sensibel die Gesichtshaut über dem Kinn geschädigt werden. Bei der Schädigung kommt es entsprechend
und über dem angrenzenden Unterkieferbereich bis hinauf zur dem Funktionsverlust des M. rectus lateralis zu einer Blickabwei-
Schläfe. Zusätzlich versorgt er die vorderen zwei Drittel der Zun- chung des Auges der betroffenen Seite nach medial. Dies führt zu
ge sowie den Unterkiefer mit sämtlichen Zähnen und die Wan- Doppelbildern, die nebeneinander stehen.
genschleimhaut.
Der motorische Anteil versorgt über mehrere Äste die ge- Bildgebung. Aufgrund des schrägen Verlaufs ist der Nerv häufig
samte Kaumuskulatur. nicht in seinem gesamten Verlauf zu erkennen. Am besten sind
dünnschichtige CISS- oder MPRAGE-Sequenzen zur Darstel-
Bildgebung. Der N. trigeminus lässt sich auf T1- und T2-ge- lung des Nerven geeignet.
wichteten Schichten in axialer und koronarer Rekonstruktion am
besten darstellen. Klinisch ist am häufigsten eine Überempfind- VII. Hirnnerv – N. facialis
lichkeit des N. trigeminus zu beobachten, die meist auf eine Seite Der N. facialis (. Abb. 9.9) besteht aus 2 Anteilen, einem moto-
oder nur auf einzelne Äste beschränkt ist und als Trigeminus- rischen Anteil sowie dem Intermediusanteil. Er versorgt die mi-
neuralgie bezeichnet wird. Dabei können schon kleinste Berüh- mische Muskulatur und mit dem Intermediusanteil viszerosensible
rungsreize heftigste Schmerzattacken im Hautareal des betref- Geschmacksfasern. Der Intermediusanteil enthält zusätzlich para-
fenden Trigeminusasts auslösen. sympathische Fasern. Seinen 3 Leitungskategorien entsprechend
hat der N. facialis 3 Hirnnervenkerne im Hirnstamm. Intermedi-
VI. Hirnnerv – N. abducens us- und Fazialisanteil umfassen den Hirnstamm am Unterrand
Der N. abducens (. Abb. 9.8) ist ein reiner somatomotorischer der Brücke separat voneinander und treten dann zusammen mit
Nerv. Sein Kern befindet sich im Tegmentum pontis, nahe der dem N. vestibulocochlearis durch den Porus acusticus internus in
Mittellinie, am Boden des 4. Ventrikels in Höhe des Colliculus den inneren Gehörgang ein, in dem sie den N. vestibulocochlearis
facialis. Der Nerv verlässt den Hirnstamm am Unterrand der bis zum Innenohr begleiten. Im Canalis facialis des Felsenbeins
Brücke relativ weit medial. In seinem Verlauf tritt er am Klivus, biegt der Nerv fast rechtwinklig nach hinten um. Diese Stelle wird
auf dem er nach oben zieht, unter die Dura und verläuft im Sinus als äußeres Fazialisknie bezeichnet. Hier liegt das Ganglion geni-
cavernosus nach vorne zur Fissura orbitalis superior. Er versorgt culi für die sensorischen Geschmacksfasern. Der Canalis facialis
motorisch den M. rectus lateralis. führt die Fazialisfasern über die Paukenhöhle hinweg in einem
Eine Schädigung des N. abducens kann leicht bei seinem Bogen abwärts, wo sie im Foramen stylomastoideum zwischen
Verlauf im Sinus cavernosus erfolgen. Dort ist er bei patholo- Processus mastoideus und Processus styloideus an der Schädelba-
9.1 · Anatomie
69 9
sis erscheinen. In seinem Verlauf durch das Felsenbein verlassen
die parasympathischen Fasern und die Geschmacksfasern den
Nerven als N. petrosus major und Chorda tympani. Die moto-
rischen Fasern teilen sich in der Glandula parotis in ihre Äste, die
zur mimischen Muskulatur am Hals ziehen.
Der N. facialis kann wegen seines komplexen peripheren
Verlaufs an vielen Stellen geschädigt werden. Daraus resultiert
ein jeweils unterschiedliches Symptommuster, das eine relativ
genaue Lokalisation der Schädigung ermöglicht. Kardinalsymp-
tom der Facialisläsion ist immer die schlaffe Lähmung der Ge-
sichtsmuskulatur. Dabei hängt der Mundwinkel auf der betrof-
fenen Seite herunter, die Falten auf der Stirn sind verstrichen, das
Augenlid kann nicht mehr geschlossen werden.

Bildgebung. Der N. facialis kann in seinem Verlauf durch die prä-


mesencephalen Zisternen und den Porus acusticus internus, in
dem er gemeinsam mit dem N. vestibularis superior (oben dor- . Abb. 9.9. N. facialis (VII) and N. vestibulocochlearis (VIII), MR-Zisterno-
sal), dem N. cochlearis (unten ventral) und dem N. vestibularis graphie. (Aus: Naidich, Duvernoy, Sorensen, Haacke (Hrsg.). Duvernoy’s Atlas
of the Human Brain Stem and Cerebellum. Springer, Wien 2009). Legende:
inferior (unten dorsal) liegt, abgebildet werden. Am besten hierzu
Schwarze Pfeile: N. facialis (VII) and N. vestibulocochlearis (VIII), zisternale
geeignet sind axiale und koronare Schichten. Eine Kontrastmittel- Segmente; Schwarze Pfeile mit Kreuz: N. abducens (VI), zisternale Seg-
Anreicherung des N. facialis ist nicht unbedingt gleichbedeutend mente; 4V: vierter Ventrikel; B: A. basilaris; Co: Cochlea (Innenohr); Ve: Ves-
mit einer Entzündung, da dieser physiologisch Kontrastmittel an- tibulum; T: Tonsilla cerebelli
reichern kann, v. a. in seinem tympanalen Abschnitt.

VIII. Hirnnerv – N. vestibulocochlearis gut in der pontomedullären Zisterne und im Meatus acusticus
internus zu erkennen. In sagittaler Schnittführung durch den
Der VIII. Hirnnerv (. Abb. 9.9) ist rein somatosensibel und be-
Querschnitt des inneren Gehörgangs können die einzelnen Ner-
steht wieder aus 2 Anteilen:
ven identifiziert werden. Oben ventral liegt der N. facialis, dorsal
4 N. vestibularis
der N. vestibularis superior, unten ventral der N. cochlearis, dor-
4 N. cochlearis
sal davon der N. vestibularis inferior.
Er hat 2 Kerngebiete im Hirnstamm, den Nucleus cochlearis und
den Nucleus vestibularis. Der N. cochlearis beginnt in der Peri- IX. Hirnnerv – N. glossopharyngeus
pherie an den Perikaryen im Ganglion cochleare, das sich im Der N. glossopharyngeus (. Abb. 9.10) ist motorisch zuständig
Innenohr befindet und dort als spiralisiertes Zellband achsennah für die Pharynxmuskulatur und sensibel für das hintere Drittel
dem Verlauf der Cochlea folgt. Periphere, dendritische Fortsätze der Zungenschleimhaut sowie den Rachen. Er hat 4 verschiedene
dieser bipolaren Ganglienzellen enden an den Sinneszellen des Hirnnervenkerne im Hirnstamm:
Corti-Organs, während die zentralen Fortsätze in ihrer Gesamt- 4 Nucleus ambiguus
heit den Nucleus cochlearis bilden. 4 Nucleus salivatorius inferior
Der N. vestibularis beginnt mit den zentralen Fortsätzen der 4 Nucleus spinalis nervi trigemini
Perikaryen, die im Ganglion vestibulare liegen, das sich in einem 4 Nucleus tractus solitarii
gesonderten Fundus am Boden des inneren Gehörgangs befin-
det. Beide Anteile des N. vestibulocochlearis treten dann im Ge- Der Nerv tritt aus dem Hirnstamm zwischen 8. und 10. Hirnner-
hörgang des Felsenbeins zu einem Nervenstrang zusammen. Der ven unter der Brücke aus, zieht schräg abwärts und ventral durch
Nerv zieht am Unterrand der Brücke, unmittelbar kaudo-lateral den Subarachnoidalraum zum Foramen jugulare, durch das er die
des N. facialis in den Hirnstamm, wo sich cochleäre und vestibu- Schädelhöhle zusammen mit dem N. vagus und dem N. accesso-
läre Anteile wieder trennen. Klinisch können Schädigungen des rius verlässt. An dieser Stelle bildet er das Ganglion superius und
vestibulären und des cochleären Anteils des VIII. Hirnnervs un- kaudal davon in der Fossa petrosa das Ganglion inferius.
terschieden werden. Man findet zusätzlich häufiger auch eine Ein isolierter Ausfall des N. glossopharyngeus ist selten, häu-
Läsion des N. facialis, da dieser in seinem anfänglichen Verlauf fig sind der 10. und 11. Hirnnerv mitbetroffen, da sie alle einen
dem VIII. Hirnnerv unmittelbar anliegt. Eine Schädigung des gemeinsamen Austrittspunkt an der Schädelbasis im Foramen
cochleären Anteils hat entsprechend seiner Funktion eine jugulare haben. Dort können sie z. B. bei Tumoren in diesem
Schwerhörigkeit oder Taubheit auf dem Ohr der betroffenen Sei- Bereich oder bei Schädelbasisverletzung geschädigt werden. Eine
te zur Folge. Die Läsion des vestibulären Anteils kann zu Schwin- Glossopharyngeusläsion führt zu sensiblen Ausfällen im obe-
delerscheinungen, Übelkeit, Fallneigung zur erkrankten Seite ren Pharynxbereich und des hinteren Drittels der Zunge, wo
und pathologischem Nystagmus führen. auch die Geschmacksempfindung, v. a. die Qualität bitter auf der
betroffenen Seite verloren ist. Das Gaumenzäpfchen (Uvula)
Bildgebung. Der N. vestibulocochlearis und der N. facialis sind weicht in der Regel zur gesunden Seite ab. Auch das Schlucken
in T1- und T2-gewichteten axialen und koronaren Sequenzen ist eingeschränkt.
70 Kapitel 9 · Gehirn

. Abb. 9.10. N. glossopharyngeus (IX), MR-Zisternographie. (Aus: Naidich,


Duvernoy, Sorensen, Haacke (Hrsg.). Duvernoy’s Atlas of the Human Brain
Stem and Cerebellum. Springer Wien 2009). Legende: Schwarze Pfeile:
N. glossopharyngeus (IX), zisternale Segmente; Weißer Pfeil: Plexus choroi-
deus in der Cisterna cerebellopontomedullaris; 16: Pyramide, darin verläuft
der kortikospinale Trakt; 25 Pedunculus cerebellaris inferior; JFpN: Fossa
jugularis, Pars nervosa; T: Tonsilla cerebelli

9 Bildgebung. In T1- und T2-gewichteten Sequenzen kann er in . Abb. 9.11. N. vagus (X), MR-Zisternographie. (Aus: Naidich, Duvernoy,
axialer Schichtführung normalerweise nachgewiesen werden. Sorensen, Haacke (Hrsg.). Duvernoy’s Atlas of the Human Brain Stem and
Cerebellum. Springer Wien 2009). Legende: Schwarze Pfeiler: N. vagus (X),
X. Hirnnerv - N. vagus zisternale Segmente; 16: Pyramide, darin verläuft der corticospinale Trakt;
25 Pedunculus cerebellaris inferior; 237´: Flocculus; A: A. vertebralis; JFpN:
Der N. vagus (. Abb. 9.11) hat viszeromotorische Anteile und ist Fossa jugularis, Pars nervosa; O: Nucleus olivaris inferior; T: Tonsilla cerebelli
der größte parasympathische Nerv des Körpers. Zusätzlich be-
sitzt er motorische Fasern für die Schlund- und Kehlkopfmusku-
latur, die er auch sensibel innerviert. Ein zusätzliches sensibles
Areal befindet sich im äußeren Gehörgang.
Der N. vagus tritt lateral hinter der Olive aus der Medulla
oblongata aus und verlässt die Schädelbasis durch das Foramen
jugulare, wobei er ein kleineres somatosensibles Ganglion su-
perius und ein größeres viszerosensibles Ganglion inferius aus-
bildet.
Er ist der Hirnnerv mit dem weitesten Innervationsgebiet
und reicht als einziger bis hinab in den Brust- und Bauchraum.
Entsprechend seinen Leitungskategorien hat er 4 verschiedene
Hirnnervengebiete im Hirnstamm:
4 Nucleus ambiguus
4 Nucleus dorsalis nervi vagi
4 Nucleus spinalis nervi vagi
4 Nucleus tractus solitarii
. Abb. 9.12. N. accessorius (XI), MR-Zisternographie. (Aus: Naidich, Duver-
noy, Sorensen, Haacke (Hrsg.). Duvernoy’s Atlas of the Human Brain Stem
Ein wichtiger Nerv ist der N. laryngeus recurrens, der durch sei-
and Cerebellum. Springer, Wien 2009); Legende: Weiße Pfeile: N. accessori-
nen speziellen Verlauf und seine wichtige Funktion große kli- us (XI), zisternale Segmente; A: A. vertebralis; Med: Medulla oblongata
nische Bedeutung hat. Er kann durch vom Lungenhilus ins Me-
diastinum einwachsende Lymphknotenmetastasen komprimiert
werden. Auch bei einem Aortenaneurysma kann er geschädigt XI. Hirnnerv – N. accessorius
werden. Dies äußert sich in einem einseitigen Funktionsverlust Der N. accessorius (. Abb. 9.12) führt nur motorische Fasern
der Kehlkopfmuskeln und damit Heiserkeit, die auf diese Weise und innerviert den M. trapezius und den M. sternocleidomasto-
erstes Symptom eines Bronchialkarzinoms oder eines Aorten- ideus. Sein motorischer Kern bildet eine längliche Zellsäule, die
aneurysmas sein kann. Durch seinen Verlauf dorsal der Schilddrü- sich von der Medulla oblongata bis ins Halsmark in Höhe HWK
senkapsel wird er nicht selten bei Schilddrüsenoperationen ver- 5–7 erstreckt. Die Radices craniales nervi accessorii bestehen aus
letzt, was ebenfalls zum einseitigen Funktionsverlust der Kehlkopf- 3–4 Faserbündeln, die unmittelbar unterhalb des N. vagus aus
muskulatur mit Heiserkeit führt. Eine beidseitige Schädigung des der Medulla oblongata austreten, die Radices spinales, bestehen
N. laryngeus recurrens kann zu schwerster Atemnot führen, da aus 6–7 Faserbündeln, die aus dem Halsmark austreten und im
die Stimmbänder nicht mehr weit genug geöffnet werden können. Spinalkanal aufwärts durch das Foramen magnum verlaufen.
9.1 · Anatomie
71 9
sind die Hirnschenkel (Crura cerebri), nach hinten anschließend
das Tegmentum (Haube) und ganz dorsal schließlich das von hin-
ten sichtbare Tectum, die Vierhügelplatte. Die Vierhügelplatte be-
steht aus 2 oberen und 2 unteren Hügeln (Colliculi superiores und
inferiores). Das Mittelhirn wird von dem Liquor gefüllten Aquä-
dukt durchzogen, der den 3. mit dem 4. Ventrikel verbindet.

9.1.4 Hirnschenkel

Im Hirnschenkel verlaufen die kortikospinalen (Pyramiden-


bahnen), die kortikonukleären und die kortikopontinen Bahnen.
Im Tectum mesencephali werden in den Colliculi superiores op-
tische Reflexe durch Zustandekommen von Sakkaden umge-
schaltet, die beiden Colliculi inferiores sind eine Zwischenstation
der Hörbahn. Im Tegmentum mesencephali liegen die Substantia
nigra und der Nucleus ruber sowie die Formatio reticularis. Der
Nucleus ruber hat wichtige Funktionen bei der Koordination der
Feinmotorik. Die Substantia nigra hat eine wesentliche Funktion
beim Bewegungsantrieb und bei der Initiation adäquater Reak-
tionen auf Sinnesreize. Der Ausfall verursacht klinisch häufig das
Bild eines Parkinson-Syndroms. In der Formatio reticularis sind
. Abb. 9.13. N. hypoglossus (XII), MR-Zisternographie. (Aus: Naidich, Duver-
noy, Sorensen, Haacke (Hrsg.). Duvernoy’s Atlas of the Human Brain Stem and
funktionelle Zentren, wie das Atemzentrum, Kreislaufzentrum,
Cerebellum. Springer, Wien 2009); Legende: Schwarze Pfeile: N. hypoglossus Brechzentrum und Wach-/Schlafzentrum, lokalisiert.
(XII), zisternale Segmente; Weißer Pfeil mit Kreuz: zerebrospinale Flüssigkeit, Im Hirnstamm und Mittelhirn werden zahlreiche optische
den XII. Hirnnerv umgebend; A: A.vertebralis; HC: Canalis n. hypoglossi; Reflexe (z. B. Pupillenreflexe) und die Koordination und Gene-
JT: Tuberculum jugulare; Med: Medulla oblongata; OC: Condylus occipitalis rierung von horizontalen und vertikalen Blickbewegungen ge-
schaltet.
Durch die Innervation des M. sternocleidomastoideus sorgt
der N. accessorius für eine Neigung des Kopfs nach ipsilateral bei
gleichzeitiger Wendung des Gesichts nach kontralateral. Die In- 9.1.5 Kleinhirn
nervation des M. trapezius führt zu einer Fixierung der Scapula,
einer Hebung der Schulter und zu einer Elevation des Arms über Das Kleinhirn ist die wichtigste und höchste Kontrollinstanz für
die Horizontale. Eine Schädigung führt zu einer ausgeprägten Koordinationen und Feinabstimmungen von Bewegungsabläu-
Schwäche beim Heben des Arms der betroffenen Seite über die fen. Es lässt sich in einen Wurm und 2 Kleinhirnhemisphären
Horizontale und einer Schwäche beim Hochziehen der Schulter aufteilen. Kaudal am Kleinhirnwurm findet man den Lobus floc-
mit einem abstehenden Schulterblatt (Scapula alata). culonodularis. Die Oberfläche des Kleinhirns ist durch zahlreiche
Folia gekennzeichnet. Über die 3 Kleinhirnstiele (Pedunculi cere-
XII. Hirnnerv – N. hypoglossus bellares superior, medius und inferior), die zu- und abführenden
Der N. hypoglossus (. Abb. 9.13) ist ein rein motorischer Nerv Bahnen des Cerebellums enthalten, ist es mit dem Hirnstamm
und hat entsprechend nur einen Hirnnervenkern, den Nucleus verbunden (. Abb. 9.14). Im Sagittalschnitt entsteht das Bild des
nervi hypoglossi. Der Nerv entspringt mit mehreren Faserbündeln Arbor vitae. Es lässt sich eine Gliederung in Rinde und Mark er-
als einziger Nerv vor der Olive aus der Medulla oblongata und kennen. Hinsichtlich funktioneller und anatomischer Parameter
verlässt die Schädelhöhle durch den Canalis nervi hypoglossi im kann das Kleinhirn in 3 Anteile gegliedert werden:
Foramen magnum. Er versorgt die Zunge und hat größte Bedeu- 4 Vestibulocerebellum: Es erhält den Hauptteil der Afferenzen
tung beim Sprechen, Essen, Trinken und Schlucken. Eine Schädi- aus dem vestibulären System und wird durch den Lobus floc-
gung äußert sich mit einem Abbweichen der Zunge zur erkrank- culonodularis repräsentiert.
ten Seite beim Herausstrecken; sie führt histopathologisch zu einer 4 Spinocerebellum: Es erhält die meisten Afferenzen aus dem
fettigen Degeneration der Zunge auf der erkrankten Seite. Rückenmark und wird vereinfacht durch den Kleinhirn-
wurm und die paravermale Zone repräsentiert.
Bildgebung. Im MRT lässt er sich in dünnschichtigen T1- und
4 Pontocerebellum: Es erhält die meisten Afferenzen über die
T2-gewichteten Sequenzen in seinem Verlauf nachweisen.
pontinen Kerne vom Großhirn und wird durch die beiden
Hemisphären repräsentiert.
9.1.3 Mittelhirn
Ein Ausfall des Cerebellums verursacht vielfältige Symptome, die
Das Mittelhirn grenzt kaudal an den Pons, kranial an das Zwischen- schwerpunktmäßig mit dem Begriff der zerebellären Ataxie
hirn und lässt sich längs in 3 Schichten gliedern. Von vorne sichtbar (mangelnde Koordination der an einer Bewegung beteiligten
72 Kapitel 9 · Gehirn

. Abb. 9.14. Kleinhirn mit Projektionsfasern; Kleinhirnstiele, Faserpräparat, Ansicht von links-lateral. (Aus: Tillmann B. Atlas der Anatomie des Menschen.
2. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York 2009)

Komponenten, Blickstabilisierungsstörungen und herabgesetz- 4 Epithalamus, bestehend aus Epiphyse, Habenulae und Area
ter Muskeltonus) umschrieben werden können. praetectalis.
Mediane sagittale Schichten ergeben die beste Übersicht über 4 Thalamus, ein großer Kernkomplex, der von beiden Seiten
die topographische Beziehung von Hirnstamm und Kleinhirn. her den 3. Ventrikel begrenzt.
Dabei lässt sich die Basis pontis klar gegen das Mesencephalon 4 Subthalamus, bestehend aus Nucleus subthalamicus und Tei-
der Medulla oblongata abgrenzen. In der Mittelebene scheidet len des Pallidums.
der Aquädukt das Tegmentum vom Tectum mesencephali, der 4 Hypothalamus, bestehend aus vielen kleineren Kerngebieten,
Vierhügelplatte. Der Aquädukt mündet nach unten in den 4. Vent- die den Boden des 3. Ventrikels bilden und nach unten mit dem
rikel, der zeltartig vom Velum medullare superius und posterius Hypophysenstiel in den Hypophysenhinterlappen auslaufen.
nach oben und hinten begrenzt wird. Nach unten läuft der 4. Vent-
rikel in das Foramen Magendii aus. Die Spitze des Ventrikeldachs, Der Thalamus ist ein Konglomerat einzelner Kerne, die – mit
das Fastigium, zeigt auf die zentrale weiße Substanz des Klein- Ausnahme der olfaktorischen – Teile der sensorischen und sen-
hirnwurms. Von hier verzweigt sich die weiße Substanz baumar- siblen Bahnen umschalten und zum Großhirn weiterleiten. Der
tig. Oben, dem vorderen Ventrikeldach anliegend, befinden sich Hypothalamus enthält viele Kerngebiete für das vegetative und
der Lobus centralis und das Culmen, die zusammen den Lobus endokrine System sowie Atmung, Kreislauf, Flüssigkeits- und
anterior cerebelli bilden. Durch die Fissura prima getrennt folgen Nahrungsaufnahme. Im Epithalamus werden vegetative Reflexe
dann Declive, Folium, Tuber, Pyramis und Uvula vermis sowie und der Pupillenreflex umgeschaltet.
Anteile des Lobus posterior cerebelli. Im hinteren Velum medul-
lare liegt der Nodulus an, der mit dem Flocculus der Kleinhirnhe-
misphären den Lobus flocculonodularis cerebelli bildet. 9.1.7 Funktionelle Bahnsysteme des Großhirns

Den Neocortex des Großhirns kann man in Primär-, Sekundär-


9.1.6 Zwischenhirn (Diencephalon) und Assoziationsfelder einteilen. Die Primärfelder sind die pri-
mären Repräsentationsfelder von Sinnesafferenzen (Sehrinde,
Das Zwischenhirn (Diencephalon) wird kaudal vom Mittelhirn Hörrinde) oder der Ursprungsort für absteigende motorische
und rostral sowie dorsal vom Großhirn begrenzt. Nach ihrer to- Bahnen (Motorcortex). Sekundärfelder sind den Primärfeldern
pographischen Lage in der Embryonalzeit werden 4 Abschnitte nach- (bei sensorischen) oder vorgeschaltet (bei motorischen). Im
unterschieden: Frontallappen ist v. a. das somatomotorische System lokalisiert.
9.1 · Anatomie
73 9
Der Gyrus praecentralis, auch als Motorcortex bezeichnet, Bewegung im Raum erkannt. Schädigungen führen oft zu räum-
liegt vor dem Sulcus centralis und ist Ursprungsort des größten lichen Orientierungsstörungen oder zu Apraxie.
Teils der Pyramidenbahnen (. Abb. 9.2). Er ist somatotopisch ge-
gliedert (Homunculus), d. h. jedem Abschnitt entspricht die Initi- Okzipitallappen
ation von Bewegungen bestimmter Körperteile. Über kortikonuk- Der Okzipitallappen ist der neokortikale Manifestationsort des
leäre und kortikospinale Fasern initiiert der Motorcortex v. a. visuellen Systems. Die Sehbahn beginnt in der Retina, deren
feinmotorische Bewegungen der kontralateralen Körperhälfte. Ganglienzellen mit ihren Axonen den N. opticus bilden. Diese
Schädigungen verursachen eine v. a. distal betonte Parese der kon- vereinigt sich mit dem N. opticus mit der Gegenseite im Chiasma
tralateralen Körperhälfte. Der prämotorische Cortex und das opticum, wo die Fasern der nasalen Netzhauthälften auf die je-
frontale Augenfeld liegen medial vor dem Motorcortex. Er kann weils kontralaterale Seite kreuzen. Der sich an das Chiasma an-
direkte Bewegungen initiieren, v. a. extrapyramdiale Motorik. Das schließende Tractus opticus endet im Corpus geniculatum late-
frontale Augenfeld liegt dem prämotorischen Cortex an und ist für rale des Thalamus und setzt sich von dort als Sehstrahlung breit
die Initiation von willkürlichen Augenbewegungen zuständig. gefächert bis zur primären Sehrinde fort. Die primäre Sehrinde
Im Gyrus frontalis inferior liegt das so genannte Broca- (Area striata) liegt in der Wand des Sulcus calcarinus und bildet
Sprachzentrum. Es ist für die Initiation der Sprache in ihrem den Okzipitalpol des Gehirns. Die Sehrinde ist für die interpre-
Wort- und Satzbau verantwortlich. Dieses Zentrum ist nur ein- tationsfreie Bewusstwerdung der visuellen Impulse der kontrala-
seitig ausgebildet (meist in der dominanten linken Hemisphäre). teralen Gesichtshälfte beider Augen verantwortlich. Eine Läsion
Eine Schädigung führt zur so genannten motorischen Aphasie, dieses Gebiets verursacht Blindheit in dem Areal der Netzhaut,
wobei die Sprachbildung stark beeinträchtigt, das Sprachver- das in das geschädigte Sehrindengebiet projiziert. In der sekun-
ständnis weitgehend erhalten ist. Dem präfrontalen Cortex wer- dären Sehrinde und den übergeordneten visuellen Assoziations-
den funktionell höhere psychische und geistige Leistungen des feldern werden z. B. Zeichen und Schrift erkannt.
Menschen zugeschrieben, dementsprechend hat eine Schädi-
gung schwere Persönlichkeitsschädigungen zur Folge. Temporallappen
Im Temporallappen ist das auditorische System lokalisiert. Die
Parietallappen Hörbahn beginnt in den Nuclei cochleares, in der Medulla oblon-
Im Parietallappen ist das somatosensible System lokalisiert. Alle gata, von wo aus sich die Fasern mit der Gegenseite kreuzen, aber
protopathischen Bahnen für Schmerz, Temperatur und grobe Tast- auf der ipsilateralen Seite nach oben ziehen. Als Lemniscus late-
empfindung gehen im Rückenmark mit dem Tractus spinotha- ralis läuft die Hörbahn mit einer Zwischenstation bis zu den Col-
lamicus vom Hinterhorn, im Hirnstamm vom Nucleus spinalis liculi inferiores, von wo aus sie zum Corpus geniculatum mediale
nervi trigemini aus. Alle diese Bahnen kreuzen auf die Gegenseite des Thalamus zieht. Von dort ziehen die Fasern anschließend als
und laufen als Zone des 2. Neurons zum Thalamus (Nucleus vent- Hörstrahlung zur primären Hörrinde im Temporallappen.
ralis posterior). Dort werden sie auf das 3. Neuron der Bahn ver- Die primäre Hörrinde (Heschl Querwindungen) liegt im
schaltet und zum somatosensiblen Cortex, dem Gyrus postcentra- Sulcus lateralis versteckt. Hier werden Töne oder Klänge erkannt,
lis, weitergeleitet. Die epikritischen Bahnen für feine Tastempfin- nicht aber Sprache oder Musik. Die Läsion der primären Hörrin-
dung und Propriozeption ziehen mit den Fasern des 1. Neurons im de einer Seite bewirkt eine Hörminderung, aber keine Taubheit.
Rückenmark unverschaltet und ungekreuzt nach oben zur Medul- Sekundäre Hörrinde: Im sensorischen Sprachzentrum (Wer-
la oblongata, wo sie in den Nuclei cuneatus und gracilis verschaltet nicke-Zentrum), das lateral der primären Hörrinde im Gyrus
werden. Gemeinsam mit den Fasern des Nucleus principalis nervi temporalis superior liegt, wird Sprache erkannt. Das Wernicke-
trigemini ziehen sie nach Kreuzung auf die Gegenseite zum Thala- Sprachzentrum ist nur in der dominanten (meist linken) Hemi-
mus und von dort nach Verschaltung auf das 3. Neuron der Bahn sphäre ausgebildet. Seine Schädigung verursacht einen Verständ-
zum Gyrus postcentralis. Der Gyrus postcentralis liegt, durch den nisverlust für Sprache mit entsprechenden Störungen des eige-
Sulcus centralis getrennt, hinter dem Motorcortex und ist der pri- nen Sprechens (sensorische Aphasie).
märe Einigungsort der somatosensiblen Bahnen.
Eine Schädigung hat Empfindungslosigkeit in den entspre- Liquor- und Ventrikelsystem
chenden Arealen zur Folge, er ist ebenfalls wie der Motorcortex Der Liquor cerebrospinalis umgibt als Flüssigkeitskissen das
somatotopisch gegliedert. Der sekundäre somatosensible Cortex Gehirn und das Rückenmark. Er unterscheidet sich in seiner
liegt dem Gyrus postcentralis hinten und unten an und ist für die Zusammensetzung deutlich vom Blutplasma. Die Gesamtliquor-
Interpretation sensibler Informationen zuständig. Eine Läsion menge beträgt ca. 150 ml. Die intrakraniellen Liquorräume werden
führt zur taktilen Agnosie, dabei können getastete Gegenstände durch die 4 Ventrikel, die basalen Zisternen und die Subara-
nicht mehr erkannt werden. chnoidalräume über den Hirnkonvexitäten gebildet (. Abb. 9.15).
Der Gyrus angularis legt sich um das Ende des Sulcus tem- Die beiden Lateral- oder Seitenventrikel liegen in den Hirnhemi-
poralis superior und ist eine zentrale Schaltstelle zwischen sphären und werden jeweils in ein Vorder- oder Frontal-, eine Cel-
Sehrinde und sensorischem Sprachzentrum in der sekundären la media, ein Okzipital- und Temporalhorn unterteilt. Den Über-
Hörrinde; er ist für Lesen und Schreiben unverzichtbar, eine gangsbereich zwischen Temporal- und Okzipitalhorn bezeichnet
Schädigung führt zur Unfähigkeit zu lesen und zu schreiben man auch als Antrum oder Trigonum. Die Seitenventrikel kom-
(Alexie und Agraphie). Im posterioren parietalen kortikalen munizieren über das Foramen interventriculare (Foramen Mon-
Cortex werden Raumwahrnehmungen sowie Orientierung und roi) mit dem 3. Ventrikel. Der 3. Ventrikel liegt in der Mittellinie
74 Kapitel 9 · Gehirn

. Abb. 9.15a–c. Liquor- und Ventrikelsystem. a, b Ausgusspräparat, An- den Schädel. (Aus: Tillmann B. Atlas der Anatomie des Menschen. 2. Aufl.
sicht von links-seitlich und hinten-oben, c Projektion der Hirnventrikel auf Springer, Berlin Heidelberg New York 2009)
9.1 · Anatomie
75 9
und ist mit dem 4. Ventrikel über den durch das Mesencephalon der Schädelhöhle tritt sie direkt in den Sinus cavernosus ein und
verlaufenden Aquädukt verbunden. Der 4. Ventrikel kommuni- durchläuft diesen S-förmig, lateral der Hypophyse. Anschließend
ziert mit den äußeren Liquorräumen durch die lateral gelegenen verläuft sie unter Abgabe kleinerer Äste im Subarachnoidalraum
Foramina Luschkae und das mediodorsal gelegene Foramen Ma- (Cisterna chiasmatica) ein Stück nach vorne, bis in Höhe der
gendii (Apertura mediana ventriculi quarti). Substantia perforata anterior des Frontalhirns, wo sie sich in die
Die Liquorproduktion (ca. 500 ml pro Tag) findet in den Ple- A. cerebri anterior und die A. cerebri media aufteilt. Im Verlauf
xus choroidei statt, die als speziell differenzierte Gefäßkonvolute der A. carotis interna werden 4 Abschnitte unterschieden:
in jedem Ventrikel zu finden sind. Die Rückresorption des Li- 4 Pars cervicalis (C1-Segment): am Anfang bis zur Schädel-
quors erfolgt überwiegend über die Pacchioni-Granulationen, basis
die Ausstülpungen des Subarachnoidalraums in die duralen ve- 4 Pars petrosa (C2-Segment): im Verlauf durch die Schädel-
nösen Sinus entsprechen. basis
Liquor wird im Plexus choroideus im Seitenventrikel gebil- 4 Pars cavernosa (C3-Segment): im Verlauf durch den Sinus
det, über die Foramen Monroi in den 3. Ventrikel, in den Aquä- cavernosus
dukt des Mesencephalon, danach in den 4. Ventrikel und über 4 Pars cerebralis (C4-Segment): nach Verlassen des Sinus ca-
die Foramina Magendie und Luschkae in den Subarachnoidal- vernosus bis zur Aufteilung in die A. cerebri anterior und
raum geleitet. Die Resorption erfolgt, wie bereits erwähnt, über media.
die Pacchioni-Granulationen in das venöse System. Die Liquor-
bewegung wird wahrscheinlich durch Pulsationen des Plexus Der S-förmige Verlauf in der Pars cavernosa und in der begin-
choroideus im Wechsel von Systole und Diastole erzeugt. nenden Pars cervicalis wird auch als Carotissiphon bezeichnet.
In der MRT kann mit dynamischen Liquorflussmessungen In der Pars cerebralis gibt die A. carotis interna zunächst die
der Liquorfluss dargestellt werden. A. ophthalmica ab, die das Auge und Teile der Nasennebenhöhle
Bei einem Hydrozephalus liegt ein Ungleichgewicht zwi- versorgt. Die A. ophthalmica kommuniziert im Bereich des me-
schen Bildung, Fluss und Rückresorption des Liquor cerebrospi- dialen Augenwinkels mit Ästen der A. facialis, die aus der A. ca-
nalis vor (7 Kap. 9.11). Dadurch kommt es zu einem Anstieg des rotis externa abstammt. Bei Stenosen der A. carotis interna kann
Volumens und Drucks des Liquor cerebrospinalis und zu einer über diese Anastomose ein Kollateralkreislauf erfolgen. Als
Aufweitung der Liquorräume. Der Anstieg führt zu einer intra- nächster Ast geht aus der A. carotis interna die A. communicans
kraniellen Drucksteigerung. Bei Säuglingen und Kleinkindern posterior ab, die als Teil des Circulus arteriosus cerebri Willisii
fällt ein Hydrozephalus durch Zunahme des Kopfumfangs und eine Anastomose zwischen hinterem und vorderem Hirnkreis-
durch ein Hervortreten der vergrößerten Fontanellen auf. Bei lauf bildet. Zusätzlich gibt die A. carotis interna vor ihrer Auftei-
Erwachsenen führt der gesteigerte intrakranielle Druck zu Symp- lung die A. hypophysialis superior und A. hypophysialis inferior
tomen wie Unruhe, Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. zur Hypophyse sowie die A. choroidea anterior ab.
Später treten Merkfähigkeitsstörungen, vermehrte Müdigkeit, Die A. choroidea anterior ist ein wichtiges Gefäß, sie versorgt
Vergesslichkeit, Doppelbilder, Gangunsicherheit und Blasenstö- neben dem Plexus choroideus des Seitenventrikels v. a. die Capsu-
rungen hinzu. Ein Hydrozephalus kann durch eine Liquorüber- la interna, Teile der Basalganglien, Hippocampus, Amygdala, Tha-
produktion, eine Flussbehinderung des Liquors oder durch ver- lamus und Sustantia nigra. Die Versorgung in der A. carotis inter-
minderte Resorption bedingt sein. na umfasst den vollständigen Frontal- und Parietallappen, den
größten Teil des Temporallappens und des Zwischenhirns, das
Auge und die Hypophyse. Der Durchmesser des Karoti-
9.1.8 Blutversorgung des Gehirns sendabschnitts beträgt in der Regel zwischen 3,5 und 5 mm. Die
A. ophthalmica hat einen Durchmesser von ca. 0,7–1,4 mm und
Das Gehirn wird aus 4 großen extrakraniellen Arterien mit Blut verläuft lateral und parallel zur Unterfläche des N. opticus. In der
versorgt: Orbita überkreuzt sie den N. opticus, um sich dann in ihre Endäs-
4 Rechte und linke A. carotis interna te aufzuteilen. Als Variante ist der Ursprung der A. meningea me-
4 Rechte und linke A. vertebralis dia aus der A. ophthalmica zu erwähnen.
Die A. communicans posterior zeigt in der Regel erhebliche
Aus dem Aortenbogen gehen 3 Arterien ab, der Truncus brachio- Variationen in ihrem Kaliber, Hypoplasien, Aplasien und Dupli-
cephalicus, die A. carotis communis sinistra und die A. subclavia kationen sind keine Seltenheit. Bei der kaliberkräftigen A. com-
sinistra. Diese Arterien sind an der Schädelbasis durch einen municans posterior entsteht der Eindruck, dass die A. cerebri
großen Anastomosenkreislauf, den Circulus arteriosus cerebri posterior direkt aus der A. carotis interna entspringt. Sie wird als
Willisii miteinander verbunden. fetaler Abgang der A. cerebri posterior bezeichnet.
Die A. choroidea anterior geht distal von der A. communi-
A. carotis cans posterior aus der A. carotis interna hervor. Sie hat ein Lu-
Die A. carotis communis teilt sich meist in Höhe HWK 4–5 oder men von etwa 0,5 mm.
HWK 3–4 in die A. carotis externa und die A. carotis interna.
Die A. carotis interna zieht, ohne einen Ast abzugeben, bis zur Karotidobasiläre Anastomosen
Schädelbasis. Sie verläuft im Canalis caroticus des Felsenbeines Arterien, die beim Fetus Verbindungen zwischen dem Carotis-
und tritt über das Foramen lacerum in das Schädelinnere ein. In und Basilarisstromgebiet herstellen, obliterieren in dem Maße, in
76 Kapitel 9 · Gehirn

A. carotis externa
Die A. carotis externa versorgt den Gesichtsschädel, die Kopf-
haut, den Großteil der Dura mater und den oberen Schilddrü-
senpol. Die Carotis externa verläuft nach ihrem Ursprung aus der
A. carotis communis in der Regel anteromedial von der A. caro-
tis interna, doch kommt als Variante auch ein posterolateraler
oder lateraler Verlauf vor. Die A. carotis externa ist ungefähr 7–
8 cm lang und kann in 3 Abschnitte unterteilt werden:
4 Unterer Zervikalabschnitt
4 Mittelabschnitt im Bereich des Kieferwinkels
4 Endabschnitt im Bereich der Ohrspeicheldrüse (Parotis)

Die A. carotis externa hat zahlreiche Äste, die in Abbildung 1.21


dargestellt sind.

A. thyroidea superior. Sie zweigt als 1. Ast aus der Vorderwand


der A. carotis externa ab, kann aber auch in 16% der Fälle aus der
A. carotis communis entspringen.

A. lingualis. Die A. lingualis ist der 2. Ast aus der Vorderwand der
9 A. carotis externa und bildet in ca. 20% der Fälle mit der A. faci-
alis einen gemeinsamen Stamm. Sie bildet einen nach unten kon-
vexen charakteristischen Bogen und gibt die A. profunda linguae
. Abb. 9.16. Karotidobasiläre Anastomosen, Schema. Persistierende und die A. sublingualis ab. Sie versorgt Zunge und Pharynx.
primitive Verbindungen zwischen A. basilars und A. carotis interna. 1:
A. trigemina primitiva, 2: A. acustica, 3: A. hypoglossica primitiva, 4: A. A. facialis. Der 3. Ast weist einen geschlängelten Verlauf nach
proatlantica oben auf und zieht über den Kieferast zum Mundwinkel und zum
medialen Augenwinkel, wo er in der A. angularis endet und mit
dem sich die Vertebralarterien bilden, wobei zuerst die A. otica/ der A. dorsalis nasi, dem Endast der A. ophthalmica, anastomo-
acustica, dann die A. hypoglossica und schließlich die A. trige- siert. Die A. facialis versorgt mit ihren Endästen den weichen Gau-
mina primitiva verschwinden. Gelegentlich können einzelne die- men, die Pharynxtonsillen und die Glandula submandibularis.
ser Arterien persistieren (. Abb. 9.16). Die A. trigemina primitiva
findet sich in einer Häufigkeit von 0,1–2%. Die Arterie entspringt A. pharyngea ascendens. Kleinster Ast der A. carotis externa ist
aus der A. carotis interna nach dem Austritt aus dem Canalis die A. pharyngea ascendens, die von der Hinterwand gerade
caroticus und verläuft nach dorsal in einem bogenförmigen oder nach oben zieht und Äste zur Pharyngealmuskulatur abgibt. Sie
geraden Verlauf zum oberen Abschnitt der A. basilaris. hat einen meningealen Ast, der die Dura des Clivus und des
Kleinhirnbrückenwinkels versorgt.
A. acustica primitiva/otica
Sie ist sehr selten, geht aus dem petrösen Segment der A. carotis A. occipitalis. Die A. occipitalis entspringt ebenfalls aus der Hin-
interna ab und verläuft mit dem N. facialis und N. acusticus im terwand und anastomisiert mit Ästen der A. temporalis superfi-
inneren Gehörkanal. cialis und der A. auricularis posterior sowie Muskelästen der
A. vertebralis. Die A. meningea posterior versorgt die Dura der
A. hypoglossica primitiva hinteren Schädelgrube.
Sie ist ebenfalls relativ selten und entspringt aus dem zervikalen
Segment der A. carotis interna auf Höhe des ersten und zweiten A. auricularis posterior. Die A. auricularis posterior entspringt
Halswirbels, verläuft im Canalis hypoglossicus und mündet in ebenfalls aus der Hinterwand und versorgt die Ohrmuschel und
den unteren Abschnitt der A. basilaris. das Ohrläppchen sowie die Muskulatur im Mastoidbereich.

A. proatlantica A. temporalis superficialis. Die A. temporalis superficialis ist


Die persistierende A. proatlantica ist ebenfalls sehr selten. Sie ein Endast der A. carotis externa. Sie überkreuzt in ihrem Verlauf
entspringt aus dem oberen zervikalen Abschnitt der A. carotis den Processus zygomaticus und versorgt große Teile der Galea.
interna, dringt durch das Foramen magnum in das Schädelinne-
re und vereinigt sich mit der A. vertebralis. Eine persistierende A. maxillaris. Die A. maxillaris stellt den größten Endast dar,
A. stapedia ist ebenfalls sehr selten, sie gehört nicht zu den karo- zieht zum hinteren Abschnitt der Fossa pterygopalatina und gibt
tidobasilären Anastomosen. Sie ist ein Ast der Carotis interna, zahlreiche Äste ab, u. a. die A. meningea media, die A. meningea
die aus dem petrösen Abschnitt abzweigt, durch das Mittelohr accessoria und die A. infraorbitalis. Die A. meningea media ver-
zieht und zur A. meningea media wird. sorgt die Dura mater, sie verläuft durch das Foramen spinosum
9.1 · Anatomie
77 9
in die Schädelhöhle. Die A. infraorbitalis durchläuft den Canalis messer von knapp 4–4,5 mm. Die A. basilaris gibt zahlreiche
infraorbitalis und tritt durch das Foramen infraorbitale zur Wan- kleine Äste zur Brücke und Medulla ab, die angiographisch nicht
ge, zum Unterlid, der Oberlippe, dem Tränensack und der Nase. darstellbar sind.
Sie anastomosiert mit Endästen der A. ophthalmica und kann
somit beim Verschluss der A. carotis interna in das Kollateralsys- A. cerebelli inferior anterior. Die A. cerebelli inferior anterior
tem mit einbezogen werden. (AICA) ist der erste größere Ast aus der A. basilaris. Sie ist in
Ursprung und Ausbildung sehr variabel und weist zahlreiche Va-
A. vertebralis riationen auf. Die AICA verläuft in Richtung des Kleinhirnbrü-
Die A. vertebralis zweigt als Ast aus der A. subclavia ab und ver- ckenwinkels und kann mit einer Schlinge in den inneren Gehör-
läuft nach kranial im Foramen costotransversarium vom 6. bis gang hinein reichen. Sie gibt die A. labyrinthi ab, die das Innenohr
zum 2. Halswirbel. Nach dem Durchtritt durch das Foramen und anteriore Anteile des Cerebellums versorgt.
costotransversarium des Axis beschreibt sie einen nach lateral
konvexen Bogen, um das Querloch des Atlas zu erreichen. Sie A. cerebelli superior. Die A. cerebelli superior entspringt kurz
zieht nach hinten und schlängelt sich um die Rückseite der Mas- vor der Aufteilung in die A. cerebri posterior aus der A. basilaris.
sa lateralis des Atlas. Sie hat dabei einen stark gewundenen Ver- Sie versorgt Teile des Mittelhirns, die Oberfläche der Kleinhirn-
lauf, um so bei dem weiten Bewegungsumfang in den oberen hemisphären und die oberen Wurmanteile. Die beiden Aa. cere-
Zervikalwirbeln nicht überdehnt zu werden. Sie zieht anschlie- belli superiores sind konstanter vorhanden als die übrigen Klein-
ßend lateral der Medulla oblongata durch das Foramen magnum hirnarterien. Der Hauptstamm zeigt relativ häufig eine Duplika-
in die Schädelhöhle hinein. Am Unterrand der Brücke vereinigt tion, die in 28% der Fälle unilateral, in 8% bilateral vorkommt.
sie sich mit der A. vertebralis der Gegenseite zur A. basilaris
(. Abb. 9.17). A. cerebri posterior. Die Aa. cerebri posteriores gehen sowohl
Im extrakraniellen Abschnitt gibt die A. verterbalis in vari- phylo- wie ontogenetisch ursprünglich aus der A. carotis interna
abler Weise Muskeläste ab, die mit den Ästen der A. carotis ex- ab. Die Verbindung zur A. basilaris wird erst später angelegt.
terna anastomosieren. Einzelne feine Äste treten als Rami me- Anatomische Untersuchungen ergeben, dass die A. cerebri pos-
ningei in den Wirbelkanal und anastomosieren mit anderen terior in 10–30% der Fälle direkt von der A. carotis interna ab-
spinalen Arterien. Aus dem distalen extrakraniellen Abschnitt geht. Die Aa. cerebri posteriores gehen als paarige Endäste von
zweigen dann Arterien zur Dura des Foramen magnum, der hin- der Bifurkationsstelle der A. basilaris ab. Die Äste der A. cerebri
teren Schädelgrube und des Tentoriums ab (Ramus meningeus posterior lassen sich entsprechend ihrem Versorgungsgebiet un-
anterior und Ramus meningeus posterior). terteilen in kortikale Äste zum Okzipital- und Temporallappen,
Äste zum Thalamus (Aa. thalamoperforantes anteriores und
A. spinalis anterior. Die A. spinalis anterior entspringt ebenfalls posteriores), Äste zu den Plexus choroidei (Aa. choroidei poste-
aus der A. vertebralis, kurz vor der Vereinigung aus dem so ge- riores mediales et laterales) und mesencephale Äste.
nannten V4-Segment. Die A. spinalis anterior verläuft zunächst Die Blutversorgung des Hirnstamms lässt sich vereinfacht
nach medial unten und vereinigt sich nach ca. 2 cm mit der Ar- in 3 Bereiche einteilen:
terie der Gegenseite zu einem unpaaren mittelständigen Gefäß 4 ventromedian
an der Vorderseite der Medulla. 4 ventrolateral
4 dorsolateral
A. cerebelli inferior posterior. Die A. cerebelli inferior posterior
(PICA) ist ein kaliberkräftiger Ast (. Abb. 9.17), der in unter- Die ventromedianen Anteile des Hirnstamms werden aus di-
schiedlichen Höhen aus der A. vertebralis entspringt. In ca. 20% rekten kleinen Ästen der A. vertebralis (Medulla oblongata),
der Vertebralisangiogramme ist keine A. cerebelli inferior poste- A. basilaris (Pons) oder A. cerebri posterior (Mesencephalon)
rior identifizierbar, die Gefäßversorgung wird von einer kräfti- versorgt. Dabei ist v. a. im Medulla oblongata-Bereich durch die
gen A. cerebelli inferior anterior übernommen. Der Verlauf der beiden Aa. vertebrales eine deutliche Seitentrennung in der Ver-
Arterie weist zahlreiche Varianten auf. In der Regel zieht sie um sorgung vorhanden, sodass eine einseitige Durchblutungsstö-
die Medulla und die Kleinhirntonsillen nach hinten. PICA-In- rung in der A. vertebralis isolierte Schäden in einer Hälfte dieses
farkte können ein Wallenberg-Syndrom verursachen, eine Isch- Hirnstammabschnitts zur Folge hat. Die ventrolateralen und
ämie der dorsolateralen Medulla oblongata. Dies verursacht dorsolateralen Hirnstammanteile werden von kurzen und langen
Schmerz- und Temperaturverlust mit einer ipsilateralen Ataxie, Ästen der A. basilaris oder der Kleinhirnarterien und der A. ce-
Vertigo und Nystagmus sowie ein ipsilaterales Horner-Syn- rebri posterior versorgt.
drom.
Circulus arteriosus Willisii
A. basilaris Dies ist ein Gefäßsystem, das den vorderen Hirnkreislauf und
Die A. basilaris (. Abb. 9.17) zieht in der Medianebene am Pons den hinteren Hirnkreislauf über Anastomosenarterien miteinan-
entlang und zweigt sich an dessen Oberrand in die beiden Aa. ce- der verbindet (. Abb. 9.17). Rechter und linker Hirnkreislauf
rebri posteriores auf. Diese sind überwiegend für die Versorgung werden auf diese Weise verbunden. So geht aus der linken und
des Okzipital- und z. T. auch des Temporallappens der jeweiligen rechten A. carotis interna je eine A. communicans posterior ab,
Seite zuständig. Die A. basilaris hat in der Regel einen Durch- die eine Anastomose zwischen den Aa. carotides internae und
78 Kapitel 9 · Gehirn

b
. Abb. 9.17a, b. Hirnarterien. a Mittlerer Bereich der inneren Schädelba- fall des Circulus arteriosus cerebri (Willisii). (Aus: Tillmann B. Atlas der Anato-
sis mit Arterien der Hirnbasis und Hirnnerven, Ansicht von oben. b Normal- mie des Menschen. 2. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York 2009)

den beiden Aa. cerebri posteriores bildet. Letztere sind wiede- A. cerebri anterior
rum selbst über einen gemeinsamen Ursprung aus der A. basilaris Die A. cerebri anterior (. Abb. 9.18) zweigt sich aus der A. caro-
miteinander verbunden. Die beiden Aa. cerebri anteriores tis interna ab. Sie zieht über das Chiasma opticum hinweg und
schließlich sind durch die A. communicans anterior verbunden. zieht nach Abgabe der A. communicans anterior in den Interhe-
Der Circulus arteriosus Willisii ist häufig Sitz von Aneurysmen. misphärenspalt. Dort verläuft sie vorne um das Balkenknie he-
9.1 · Anatomie
79 9

. Abb. 9.18. A. cerebri anterior und media. Arterielle Versorgung von Gehirn im Bereich des Striatum. (Aus: Tillmann B. Atlas der Anatomie des
Hirnrinde, Basalganglien und Capsula interna; Frontalschnitt durch das Menschen. 2. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York 2009)

rum auf die Dorsalseite des Balkens und teilt sich dabei in ihre 4 Pars sphenoidalis (M1-Abschnitt)
beiden Hauptäste, die A. pericallosa und die A. callosomargina- 4 Pars insularis (M2-Abschnitt)
lis, auf. Sie gibt zahlreiche Äste ab und verläuft bis zur Grenze von 4 Pars opercularis (M3-Abschnitt)
Parietal- und Okzipitallappen. Vor Abgang der A. communicans 4 Pars terminalis (M4-Abschnitt)
anterior wird sie als A1-Segment (Pars praecommunicalis), der
anschließende Anteil als A2-Segment bezeichnet (Pars postcom- Die A. cerebri media ist am häufigsten von ischämischen Ereig-
municalis). nissen bei Arteriosklerose, Embolien und Gefäßrupturen bei
Das Versorgungsgebiet der A. cerebri anterior erstreckt sich Bluthochdruck betroffen. Ist die gesamte A. cerebri media ver-
medial über den ganzen Frontal- und Parietallappen, das Septum schlossen, kommt es auf der kontralateralen Seite zu einer armbe-
und die basalen Vorderhornstrukturen. Es reicht auch über die tonten Halbseitenlähmung. Dies ist v. a. auf die Minderversorgung
Mantelkante hinaus auf die Konvexität der Großhirnhemisphäre, der Capsula interna-Anteile, die die kortikofugalen Fasern führen,
wo noch ein Teil des Frontal- und Parietallappens versorgt wird. und auf die Minderversorgung des motorischen Cortex zurückzu-
Die Aa. cerebri anteriores versorgen einen großen Teil des führen. Zusätzlich zeigt sich eine halbseitige Empfindungslosig-
präfrontalen und prämotorischen Cortex. Über die A. recurrens keit auf der kontralateralen Seite. Da auch das frontale Augenfeld
Heubner, die nach Abgabe der A. communicans anterior aus der von der A. cerebri media versorgt wird, kommt es zu einer Blick-
A. cerebri anterior entspringt, werden der vordere Schenkel der deviation zur ipsilateralen Seite. Ist die dominante Hemisphäre
Capsula interna sowie die vorderen Teile des Striatums versorgt. betroffen, zeigt sich eine globale Aphasie, da beide Sprachzentren
Da im vorderen Kapselschenkel auch kortikopontine Bahnen betroffen sind. Zusätzlich zeigt sich oft auch eine Agraphie.
verlaufen, kann es bei Verschluss dieser Arterie zu ähnlichen
Symptomen wie bei einem Kleinhirnausfall, wie z. B. einer Dys-
arthrie, kommen. Beim Verschluss der A. cerebri anterior 9.1.9 Hirnvenen und Sinus durae matris
kommt es zu einer beinbetonten Lähmung der kontralateralen
Seite. Zusätzlich können schwere Persönlichkeitsveränderungen Hirnvenen
auftreten. Der Verlauf der Hirnvenen ist von den Arterien unabhängig
(. Abb. 9.19). Wie fast alle Venen des Kopfs haben auch die Ge-
A. cerebri media hirnvenen keine Klappen. Ihre zarten Wände sind frei von Mus-
Die A. cerebri media (. Abb. 9.18) ist als Endast der A. carotis kelgewebe und meist hauchdünn. Man unterscheidet im Gehirn
interna die stärkste und dickste der 3 großen Hirnarterien. Nach prinzipiell oberflächliche Venen und tiefe Venen. Die oberfläch-
Abzweigung aus der A. carotis interna gibt die A. cerebri media lichen Venen münden direkt in die Sinus durae matris, während
die Aa. centrales anterolaterales (A. lenticulostriatae) ab. Es han- die tiefen Venen in die V. magna cerebri Galeni ableiten, die dann
delt sich dabei um mehrere senkrecht abzweigende Arterien, die ihrerseits in den Sinus rectus mündet.
durch die Substantia perforata anterior in das Gehirn eintreten Die oberflächlichen Venen leiten das Blut aus den äußeren
und das Striatum und Pallidum und einen Teil von Capsula in- 1–2 cm des Großhirns ab. Bei diesen Venen unterscheidet man
terna und Thalamus versorgen. Angiographisch sind 4 Ab- obere Venen, mittlere Venen und untere Venen. Die oberen Ve-
schnitte der A. cerebri media unterscheidbar: nen (Vv. superiores cerebri) drainieren das Blut der oberen, late-
80 Kapitel 9 · Gehirn

. Abb. 9.19a, b. Hirnvenen und Sinus durae matris. a Linke Hemisphä- mann B. Atlas der Anatomie des Menschen. 2. Aufl. Spinger, Berlin Heidel-
re, Ansicht von lateral, b rechte Hemisphäre, Ansicht von medial. (Aus: Till- berg New York 2009)

ralen und medialen Hemisphäre, verlaufen im Subarachnoidal- Die unteren Venen (Vv. inferiores cerebri) sammeln das Blut
raum und leiten das Blut direkt in den Sinus sagittalis superior. aus dem basalen Hemisphärenbereich und münden in den Sinus
Von der Hirnoberfläche aus müssen sie den Subarachnoidalraum transversus.
durchqueren und anschließend als so genannte Brückenvenen Die tiefen Venen des Gehirns münden in die V. magna ce-
die Arachnoidea durchbohren, um dann vom Subduralraum aus rebri Galeni und drainieren v. a. das Blut aus den subkortikalen
in den venösen Sinus zu enden. Großhirnstrukturen und dem Zwischenhirn. Bei den tiefen
Diese Venen können bei leichteren Schädelhirntraumen ver- Hirnvenen können 2 Gefäße hervorgehoben werden, in die alle
letzt werden, wodurch es zu meist ausgedehnten Blutungen in den anderen tiefen Venen einmünden, und die sich dann beide zur
Subduralspalt, zu so genannten subduralen Blutungen, kommt. unpaaren V. magna cerebri Galeni vereinigen:
Die mittleren Venen (Vv. mediae superficiales cerebri) leiten 4 V. basalis Rosenthal
das Blut aus der Umgebung des Sulcus lateralis direkt in den Si- 4 V. interna cerebri
nus sphenoparietalis.
9.2 · Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen des Gehirns
81 9

. Tab. 9.1. Zeitplan zur Entwicklung des menschlichen Gehirns

Gestationsalter Entwicklungsgang Fehlbildung

0–18 Tage Anlage der Keimblätter Absterben

19–21 Tage Neuralplatte, Neuralwülste, Neuralrinne komplette Dysraphie

22–24 Tage Augenbläschen Hydrozephalus

24–28 Tage Neuralrohr, Verschluss von Neuroporus cranialis und caudalis Anenzephalie, Enzephalozele, Spina bifida

4. Woche Rhombencephalon, Auge, mediane Längsfissur Holoprosenzephalie

5. Woche Riechlappen, Kleinhirn, Vorder-, Hinterwurzeln, Gefäßsystem Kleinhirnhypoplasie, Mikrenzephalie, Prolifera-


tions- und Migrationsstörungen

7. Woche Schläfenlappen

8. Woche Plexus choroideus

3. Monat Balkenstrahlung, Insel, Balken, Septum pellucidum, Fornix, Kleinhirnoberwurm Balkenaplasie, Wurmaplasie

4. Monat Differenzierung von Cortex, Meningen, Liquorzirkulation

5.–6. Monat Abgrenzung der Hirnlobi, primäre Hirnfurchen, Proliferation beendet, Massen- Störung der zellulären Architektur, Dystopie,
zunahme des Kleinhirns, Foramina des 4. Ventrikels, Kommissuren vollständig Myelinisierungsstörung

7.–9. Monat Entwicklung der Gyri und Sulci, Sekundär-, Tertiärfurchung Destruktive Veränderungen

6. Monat bis Neurale Migration, Gliazellproliferation, Apoptose, axosomatische und Störung der zerebralen und zerebellären
1. Lebensjahr axodendritische Verbindungen, Myelinisierung Mikroarchitektur

Die V. basalis entsteht durch Zusammenschluss der V. anterior 9.2 Entwicklungsstörungen


cerebri und V. media profunda cerebri im Bereich der Substantia und Fehlbildungen des Gehirns
perforata anterior. Die V. interna cerebri entsteht im Bereich des
Foramen interventriculare zwischen Seitenventrikel und 3. Vent- Die Bildgebung des Gehirns hat sich durch die Einführung der
rikel durch die Vereinigung von 3 Venen: zerebralen MRT entscheidend verbessert. Der hohe Weichteilkon-
4 V. choroidea superior trast und die beliebige Wahl der Schnittbildebene lassen detaillier-
4 V. septi pellucidi te Strukturen des Nervensystems sichtbar werden, die bisher weit-
4 V. thalamostriata superior gehend den Anatomen und Pathologen vorbehalten waren.

Die Vv. basales und Vv. internae cerebri beider Seiten vereinigen
sich dann zur V. magna cerebri, die nach einem kurzen, nach 9.2.1 Embryogenese des Nervensystems
dorsal gerichteten Verlauf in den Sinus rectus mündet.
Die Entwicklung des Nervensystems während der Embryonal-
Sinus zeit beinhaltet 3 Schlüsselschritte:
Die wichtigsten Sinus sind der Sinus sagittalis superior und der 4 Induktion
Sinus sagittalis inferior im Ober- bzw. Unterrand der Falx cereb- 4 Neurulation
ri, der Sinus rectus, der Sinus transversus und der Sinus sig- 4 Bläschenformation
moideus, die an der okzipitalen Schädelbasis entlang laufen, so-
wie der Sinus cavernosus, der die Hypophyse umgibt und beson- Induktion. Nachdem sich beim Embryo die 3 übereinander lie-
dere klinische Bedeutung hat. Er bekommt venöse Zuflüsse u. a. genden Keimblätter Endoderm, Mesoderm und Ektoderm ent-
aus der V. ophthalmica superior des Auges, die am medialen Au- wickelt haben, entsteht durch Induktion des darunter liegenden
genwinkel mit Gesichtsvenen anastomosiert. Durch den Sinus Mesoderms und der Chorda dorsalis im Ektoderm etwa am
cavernosus ziehen die A. carotis und der N. abducens, in seiner 17. Embryonaltag das Neuroektoderm (. Tab. 9.1).
Seitenwand verlaufen der N. ophthalmicus, N. oculomotorius,
der N. trochlearis und N. maxillaris. Diese Leitungsbahnen kön- Neurulation. Früh in der Entwicklung des Embryos, um die
nen bei Sinus cavernosus-Läsionen, z. B. Fisteln, Aneurysmen, 3. Woche, ist vom zentralen Nervensystem nichts als eine flache
Tumoren, Thrombosen etc. geschädigt werden. Neuralplatte zu sehen. Anschließend entstehen am Rand Aus-
stülpungen, die so genannten Neuralwülste (. Tab. 9.1). Diese
Wülste richten sich zunehmend auf und bilden die Neuralfalten,
die die Neuralrinne einschließen. Die beiden Wülste verschmel-
82 Kapitel 9 · Gehirn

zen daraufhin miteinander, sodass das Neuralrohr entsteht (Neu- Der Okzipitalpol des Großhirns beginnt sich am Ende der
rulation = Abschnürung von Neuralleiste und Neuralrohr aus 6. Woche zu entwickeln, der Temporalpol gegen Anfang der
dem Ektotoderm) (. Abb. 10.7). Am kranialen Abschnitt ent- 8. Woche. Am Anfang ist das Gehirn glatt, eine Gyrierung fehlt
steht das Gehirn, aus dem kaudalen Abschnitt das Rückenmark. vollständig. Der erste abgrenzbare Sulcus ist die Sylvi’sche Fissur.
Aus dem Hohlraum des Rohrs entwickelt sich später das Ventri- Das Gehirn sieht zu diesem Zeitpunkt im 4. Monat aus wie eine
kelsystem. Am vorderen und hinteren Ende ist das Neuralrohr angedeutete Zahl acht. Das Rindenband ist noch relativ dünn.
zunächst noch offen. Am 25. Embryonaltag schließt sich das vor- Zwischen der 20. und der 22. Woche entstehen der Gyrus cinguli
dere, 2 Tage später das hintere Ende. sowie der Sulcus parietooccipitalis. Die Gyrierung schreitet in
Fehlentwicklungen im Stadium der Neurulation führen zu so den Anteilen mit sensomotorischen und visuellen Funktionen
genannten dysraphischen Störungen. Bleibt der Schluss des fort. Um den eigentlichen Geburtstermin haben sich die Gyri und
vorderen Kopfendes (Neuroporus rostralis) aus, kommt es zu Sulci ähnlich wie beim Erwachsenen ausgebildet. Die Sulci sind
einer nicht mit dem Leben vereinbaren Anenzephalie. Bleibt der allerdings noch nicht so tief ausgeprägt wie später. Die Myelini-
Schluss des hinteren Endes (Neuroporus caudalis) aus, kommt es sierung der weißen Substanz beginnt erst im 5. Entwicklungsmo-
zur Spina bifida. Sie ist gekennzeichnet durch einen unvollstän- nat. Zum Zeitpunkt der Geburt sind in der Regel die Medulla
digen Schluss der Wirbelbögen und kann verschiedene Schwere- oblongata, das dorsale Mittelhirn, die oberen und unteren Klein-
grade und Ausprägungen haben, von einer Spina bifida occulta hirnschenkel und die hinteren Schenkel der Capsula interna my-
bis hin zur Myelomeningozele. elinisiert.
Das Diencephalon entsteht aus dem mittleren Abschnitt
Bläschenformation. Kurz nach dem Verschluss des Neuralrohrs des Prosencephalons. Aus den so genannten Flügelplatten des
lassen sich am kranialen Ende 3 kleine Bläschen erkennen, die Diencephalons entwickeln sich Thalamus und Hypothalamus.
9 primären Hirnbläschen. Diese bezeichnet man als: Die Hypophyse besteht aus einem Teil des Diencephalons. Da-
4 Prosencephalon (Vorderhirn) raus entstehen später Hypophysenstiel und Hypophysenhinter-
4 Mesencephalon (Mittelhirn) lappen. Der Hypophysenvorderlappen entsteht aus der Rathke-
4 Rhombencephalon (Rautenhirn) Tasche, einer ektodermalen Ausstülpung des Stomodeums vor
der Rachenmembran. Daraus lässt sich auch das Vorkommen
Zusätzlich biegt sich das Neuralrohr in der Nackenbeuge und der von Rachendachhypophysen und Rathke-Taschenzysten ab-
Scheitelbeuge. Im Prosencephalon stülpen sich schließlich in der leiten.
5. Woche die beiden Großhirnbläschen aus, zusätzlich bilden Aus den Grundplatten des Mesencephalons entstehen die
sich 2 kleine Augenbläschen, die später zu den Augenbechern Hirnschenkel und verschiedene Kerngruppen, die für die Oku-
werden. Zwischen den beiden Großhirnbläschen kommt die La- lomotorik wichtig sind. Angrenzend an die Vierhügelplatte ent-
mina terminalis zu liegen. Lamina terminalis und Großhirnbläs- stehen Substantia nigra und Nucleus ruber. Aus dem vorderen
chen zusammen nennt man Telencephalon (Endhirn). Das üb- Anteil des Rhombencephalons entwickelt sich das Metencepha-
rige Prosencephalon wird Diencephalon (Zwischenhirn) ge- lon, aus dem ventralen Abschnitt des Metencephalons die Brü-
nannt. Im Rhombencephalon entsteht durch Einfaltung die cke, aus der Rückseite bildet sich das Kleinhirn. In der frühen
Brückenbeuge, wobei der vordere Abschnitt des Rhombence- Kleinhirnentwicklung nähern sich die beiden dorsalen Rauten-
phalons nun als Metencephalon bezeichnet wird. Aus seinem lippen des Rhombencephalons einander und werden schließ-
Dach entsteht später das Kleinhirn, der hintere Abschnitt wird lich zur Kleinhirnplatte. In der 12. Woche lassen sich Kleinhirn-
als Myelencephalon bezeichnet. hemisphären und Vermis unterscheiden. Aus den hinteren An-
teilen des Rhombencephalons entsteht das Myelencephalon,
Entwicklung ab der 6. Woche. Am Ende der 6. Woche beginnt woraus sich schließlich die Medulla oblongata entwickelt.
sich der Boden der Seitenventrikel vorzuwölben, daraus entste-
hen die Basalganglien. Am Übergang von der Hemisphärenwand
zum Diencephalon entsteht der Plexus choroideus, direkt an- 9.2.2 Myelinisierung des Gehirns
grenzend zieht sich das Pallidum zum Hippocampus. Die Ent-
wicklung des Balkens und der Kommissuren beginnt in der Bildgebung. Zur Darstellung der normalen Hirnreifung und
7. Woche mit einer Verdickung des dorsalen Anteils der Lamina Myelinisierung haben sich T1- und T2-gewichtete Spinecho-
terminalis. Dieser verdickte Anteil wird Lamina reuniens ge- Aufnahmen als gut geeignet erwiesen (. Abb. 9.21). Daneben
nannt. Der ventrale Anteil der Lamina reuniens wird als Meninx können aber auch T1-gewichtete Bilder in Inversion-recovery-
primitiva bezeichnet. Die Axone beginnen die Mittellinie zu Sequenz-Technik oder Turbo-Spinecho-Sequenzen in T2-Wich-
überkreuzen, wahrscheinlich vermittelt durch chemische Boten- tung verwendet werden.
stoffe, und bilden die »Brücke« zwischen den Hemisphären, die
Commissura anterior, den Balken und die Commissura posteri- Entwicklung. Bei termingerechter Geburt sind der hintere
or. Zunächst kreuzen die Axone des posterioren Anteils des Schenkel der Capsula interna, Teile der Medulla oblongata, das
Genu, darauf des Korpus und des anterioren Anteils des Genu, dorsale Mittelhirn und Teile der Hirnschenkel myelinisiert. Im
zuletzt des Spleniums und des Rostrums des Balkens. Während Alter von 4 Monaten ist der Brückenfuß myelinisiert, der Klein-
der Balken sich vergrößert, wird die Lamina terminalis immer hirnstiel zeigt ebenfalls eine weitere Myelinisierung. Auch in den
dünner, aus ihr entsteht schließlich das Septum pellucidum. Hirnschenkeln lässt sich jetzt eine Myelinisierung nachweisen.
9.2 · Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen des Gehirns
83 9
. Abb. 9.20. Myelinisierungsschema nach
Grodd. Zeitplan für die normale Myelinisierung
– zusammengefasste Angaben verschiedener
Publikationen. Für 11 Hirnstrukturen sind sche-
matisch Anfangs- und Endpunkte der Zeiträume
aufgetragen, in denen in T1w (helle Balken) und
T2w (dunkle Balken) Myelinisierungsvorgänge
erkennbar sind (. Abb. 9.21). (Aus: Reiser M,
Semmler W. Magnetresonanztomographie.
Springer, Berlin Heidelberg New York 2002)

Mit 4 Monaten erscheint der Hinterschenkel der Capsula interna Frontallappen bis in die Peripherie aus. Allerdings wirkt der Cor-
in seiner ganzen Länge myelinisiert, wobei sich der mittlere An- tex wie in den übrigen Regionen des Großhirns noch relativ dick.
teil noch etwas heller darstellt. Darüber hinaus lässt sich jetzt Beim 2-jährigen Kind ist das Centrum semiovale weitgehend
auch eine Myelinisierung des vorderen Schenkels der inneren homogen, hypointens in T2-gewichteten Sequenzen mit guter
Kapsel sowie des Splenium des Balkens, nicht aber des Genu, Demarkierung der Mark-Rindengrenze. Ausgenommen hier-
nachweisen. Lateral angrenzend an das Temporalhorn des Sei- von ist das bereits erwähnte Areal dorsolateral der Hinterhörner
tenventrikels zeigt sich jetzt ebenfalls eine deutliche Myelinisie- der Seitenventrikel.
rung. Die Myelinisierung der Sehbahn schreitet nach posterior
und medial fort, sodass bald die Sehrinde erreicht wird. Im Cen-
trum semiovale breitet sich die Hyperintensität des Marklagers 9.2.3 Neuralrohrdefekte
in den T1-gewichteten Sequenzen vom Sulcus centralis nach pa-
rietal und frontal aus (. Abb. 9.20, . Abb. 9.21). Schlussstörungen des Neuralrohrs sind die häufigsten Fehlbil-
Im Alter von 2 Jahren ist die Basis pontis weitgehend myeli- dungen des Nervensystems und treten bevorzugt am rostralen
nisiert, darüber hinaus sind nur noch die Foliae cerebelli und die oder kaudalen Ende auf (. Abb. 10.7). Die Folge sind Anenze-
mittleren Kleinhirnstiele myelinisiert. In den T2-gewichteten phalie, Kraniorhachischisis, Meningomyelozele oder Spina bifi-
Sequenzen lassen sich im Alter von 24 Monaten Balken und in- da occulta.
nere Kapsel mit vermindertem Signal erkennen. Der Thalamus
weist weiterhin unterschiedliche Kompartimente auf, die bis in Anenzephalie
die Adoleszenz nachweisbar sein können. Im Temporallappen ist Bei der Anenzephalie ist das Großhirn vollständig oder teilweise
die Myelinisierung in allen Gyri entwickelt, erreicht aber v. a. aplastisch, die Schädelkalotte fehlt, der Gesichtsschädel ist meist
rostral noch nicht den Cortex. Im Okzipitallappen ist die Mark- normal geformt. Mittelhirn und Pons sind angelegt, die Entwick-
/Rindengrenze jetzt überall scharf gezeichnet, da die Myelinisie- lung von Cerebellum, Hypothalamus und Neurohypophyse
rung bis in alle Gyri reicht. Im Frontallappen ist im Alter von bleibt aus. Extrakranielle Fehlbildungen kommen nur gelegent-
2 Jahren das gesamte Marklager gut ausgereift und füllt den lich vor, häufig sind endokrine Veränderungen. Klinisch fallen
84 Kapitel 9 · Gehirn

. Abb. 9.21a. Myelinisierung. T1w (a) und T2w


(b) axiale Ausschnittsbilder in Höhe des 4. Ven-
trikels (obere Reihe), des Mesenzephalons
(2. Reihe), der Basalganglien (3. Reihe) und des
Centrum semiovale (untere Reihe) in sechs
verschiedenen Altersstufen von 1 Monat bis
6 Jahren. (Aus: Reiser M, Semmler W. Magnet-
resonanztomographie. Springer, Berlin Heidel-
berg New York 2002)

abnorme Bewegungsmuster des Feten bei der Ultraschallunter- beschrieben. Dabei gibt es deutliche Unterschiede in der geogra-
suchung auf, auch die mangelnde Ausbildung des Hirnschädels phischen Verteilung. In Mitteleuropa kommen okzipitale Enze-
ermöglicht eine frühe pränatale Diagnose, deren Konsequenz die phalozelen am häufigsten vor, im südostasiatischen Raum wer-
Beendigung der Schwangerschaft ist. den frontoethmoidale Zelen häufiger beobachtet.
Beim Meckel-Syndrom sind sie mit anderen Anomalien
Zephalozelen kombiniert (Hexadaktylie, zystische Veränderungen innerer
Betrifft die Verschlussstörung nur einen begrenzten Bezirk des Organe).
Schädels, bestehen lokale, in der Medianlinie gelegene Vorwöl-
bungen, meist von intakter Haut gedeckt. Sie enthalten entweder Okzipitale und parietale Zephalozelen
nur Meningen (Meningozele cranialis) oder Teile des Gehirns Okzipitale Enzephalozelen sind bereits bei der Geburt vorhanden
(Meningoenzephalozele) bzw. des Ventrikelsystems (Enzephalo- und treten zwischen dem Foramen magnum und der Lambdanaht
zystozele). auf. Das Gehirn innerhalb der Zephalozelen ist in der Regel dys-
Enzephalozelen kommen in verschiedenen Lokalisationen plastisch. Es zeigt sich eine weibliche Prädominanz und eine Ver-
vor. Am häufigsten werden okzipitale und frontoethmoidale Ze- gesellschaftung mit Neuralrohrstörungen (Myelomeningozelen
len beobachtet, die jeweils in der Mittellinie liegen. Es wurden ca. 7%, Diastematomyelie ca. 3%). Parietale Zephalozelen zeigen
jedoch auch parietale, okzipitozervikale, temporale, frontale, einen Schädeldefekt zwischen der Lambdanaht und dem Bregma.
sphenomaxilläre, nasopharyngeale und laterale Lokalisationen Sie sind ebenfalls mit Mittellinienanomalien vergesellschaftet.
9.2 · Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen des Gehirns
85 9
. Abb. 9.21b. Myelinisierung. T1w (a) und
T2w (b) axiale Ausschnittsbilder in Höhe des
4. Ventrikels (obere Reihe), des Mesenzephalons
(2. Reihe), der Basalganglien (3. Reihe) und des
Centrum semiovale (untere Reihe) in sechs
verschiedenen Altersstufen von 1 Monat bis
6 Jahren. (Aus: Reiser M, Semmler W. Magnet-
resonanztomographie. Springer, Berlin Heidel-
berg New York 2002)

Frontoethmoidale Zelen Atretische Zelen


Frontoethmoidale Zelen werden oft erst spät klinisch auffällig, Atretische Zelen beinhalten Anteile der Dura mater und Binde-
meist durch eine Behinderung der nasalen Atmung. Gelegentlich gewebe. Sie finden sich am häufigsten in der Okzipitalregion.
kann sich jedoch eine Dysmorphie des Gesichts zeigen. Die fron- Atretische Zelen parietal sind häufig mit anderen Fehlbildungen
toethmoidalen Enzephalozelen können nach ihrer Lage einge- vergesellschaftet. Eine atretische Zele liegt vor, wenn lediglich ein
teilt werden in: schmaler Kanal durch die knöchernen Strukturen des Schädels
4 nasofrontale Enzephalozelen zieht. Innerhalb dieses Kanals liegen Anteile der Dura mater und
4 nasoorbitale Enzephalozelen Bindegewebe. In der MRT sollten dünnschichtige T1- und T2-
4 nasoethmoidale Enzephalozelen gewichtete Sequenzen bzw. Volumensequenzen durchgeführt
werden. Hilfreich können auch CT-Aufnahmen sein, um die
Bildgebung. Bei einer frontoethmoidalen Enzephalozele sollten knöchernen Defekte darzustellen.
T1- und T2-gewichtete Sequenzen in sämtlichen Raumebenen
durchgeführt werden, um den Defekt darzustellen (. Abb. 9.22). Spina bifida
Ebenfalls sollten dünnschichtige CT-Aufnahmen zum Nachweis Dysrhaphische Störungen im Bereich der Wirbelsäule und des
des knöchernen Defekts angefertigt werden. Dabei muss beach- Rückenmarks kommen je nach der Entstehungsgeschichte in un-
tet werden, dass bis zum 2. Lebensjahr die knöcherne Frontoba- terschiedlicher Ausprägung vor. Die Störungen werden detail-
sis noch nicht komplett ausgebildet ist. liert im Kapitel der Wirbelsäule behandelt (7 Kap. 10).
86 Kapitel 9 · Gehirn

Mit einer Balkenagenesie assoziierte Syndrome


4 Chiari-Malformation-Typ 2
4 Dandy-Walker-Malformation
4 Aicardi-Syndrom
4 Morning-Glory-Syndrom
4 Apert-Syndrom
4 Rubinstein-Taybi-Syndrom
4 Cogan-Syndrom

Die Entwicklung des Balkens findet bereits in der 7. Embryonal-


woche mit einer Verdickung des dorsalen Anteils der Lamina
terminalis statt. Dieser verdickte Anteil wird dann Lamina reuni-
ens genannt (7 Kap. 9.2.1). Die gesamte Entwicklung des Balkens
verläuft zwischen der 7. und der 20. Woche. Mögliche Ursachen
sind primäre Anlagestörungen bei autosomal rezessiv oder ge-
schlechtsgebundenen vererbten Mutationen, multifaktorielle
Entstehung, Kombination mit bestimmten Hirnfehlbildungen,
sekundäre Folgen bei Gefäßstörungen, Entzündungen, Terato-
9 genen (z. B. Alkohol) oder Hydrozephalus. Die Anomalie kann
symptomlos bleiben, mit verschiedenen Störungen einhergehen
(Entwicklungsverzögerung, Zerebralparese, Anfälle) und auch
im Rahmen von Syndromen vorkommen (. Übersicht, z. B. Ai-
cardi-Syndrom bei Mädchen mit Chorioretinopathie, Hemihy-
. Abb. 9.22. Frontale Enzephalozele. In den sagittalen T2w-Sequenzen pertrophie und BNS-Krämpfen). In der MRT lassen sich die
zeigt sich an der Frontobasis eine Knochenlücke, durch die Hirnparenchym strukturellen Änderungen darstellen und quantitativ erfassen
tritt (. Abb. 9.23).
! Eine Differenzierung zwischen Anlagestörung und
sekundärenSchädigungen des Balkens sind wichtig,
9.2.4 Anomalien der Medianstrukturen
da Anlagestörungen vollkommen andere Ätiologien
aufweisen als sekundäre Schädigungen.
Bei der pathogenetischen Beziehung zur Dysrhaphie und Holo-
prosenzephalie findet man Anomalien der Mittellinien, nicht Im Gegensatz zu den Anlagestörungen des Balkens, die im Rah-
selten in Kombination mit anderen Fehlbildungen, sie können men einer Hypogenesie oder einer Agenesie vorkommen, kann
aber auch isoliert vorkommen. es bei sekundären Schädigungen zu einer Balkenläsion bzw. zu
einer Ausdünnung des Balkens nach vollständiger Anlage kom-
Agenesie des Corpus callosum (Balkenmangel) men. Eine häufige Ursache für eine sekundäre Ausdünnung im
Ein partielles oder völliges Fehlen der großen Kommissur kann periisthmischen Bereich ist die periventrikuläre Leukomalazie
klinisch unbemerkt bleiben. Die Untersuchung isolierter Funk- (PVL) (. Abb. 9.24). Eine PVL entsteht durch eine hypoxisch-
tionen ist schwierig, da zu oft weitere Anomalien vorhanden ischämische Schädigung der germinalen Matrixzone. Diese ist
sind. v. a. im Frühgeborenenalter metabolisch hoch aktiv, sodass dies
Da die Entwicklung des Balkens in einer kritischen Periode ein häufiges Schädigungsmuster bei Frühgeborenen darstellt.
der Gehirnentwicklung stattfindet, ist diese Störung oft mit Durch den Untergang der kreuzenden Bahnen kommt es zu ei-
verschiedenen Syndromen assoziiert (. Übersicht). Relativ ner periisthmischen Ausdünnung des Balkens, die so ausgeprägt
häufig ist eine Balkenanomalie mit dem Chiari-Syndrom asso- sein kann, dass sie wie ein vollständiger Defekt in diesem Bereich
ziiert (Chiari-Malformation Typ 2). Dabei zeigen sich neben der aussieht. Andere sekundäre Schädigungen können folgende Ur-
Balkenagenesie/-dysplasie ein Tiefstand der Kleinhirntonsillen, sache haben:
eine schnabelförmige Konfiguration des Tectum, eine Kompres- 4 Leukodystrophien
sion und Abflachung des 4. Ventrikels und des Pons und eine 4 Infarkte
Knickbildung der Medulla oblongata. Nicht selten findet man 4 Autoimmunerkrankungen, z. B. bei Enzephalomyelitis disse-
auch eine Balkenagenesie/-dysplasie mit dem Dandy-Walker- minata
Syndrom vergesellschaftet. Hierbei zeigt sich eine Vergrößerung
der hinteren Schädelgrube mit einer Hypoplasie oder Aplasie Bildgebung. Innerhalb des Balkens befinden sich dicht aneinan-
des Vermis und einer zystischen Aufweitung des 4. Ventrikels. der liegende Fasern, die durch ihre Struktur für die Stabilität und
die Form der Seitenventrikel wichtig sind. Ein typisches Zeichen
für eine Balkenagenesie oder Hypogenesie ist in der axialen
9.2 · Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen des Gehirns
87 9

. Abb. 9.23a–c. Balkenentwicklung und Balkenmangel. a In der T1w-


Sequenz zeigen sich eine Aufweitung der Hinterhörner und annähernd
parallel verlaufende Seitenventrikel. b In der koronaren T1w-Sequenz sieht
man eine »Stierhornform« der Corpora der Seitenventrikel, die durch eine
Vorwölbung der Probst-Bündel in das Ventrikelsystem hervorgerufen wird.
b
c Die sagittale T2w-Sequenz stellt den kompletten Balkenmangel dar

Schichtführung eine Aufweitung der Seitenventrikel mit einer Störungen sind im Allgemeinen Indikation für die Untersu-
Betonung der Hinterhörner. Diese charakteristische Konfigura- chung, ein Zusammenhang bleibt meist ungeklärt.
tion bezeichnet man auch als Kolpozephalie. Im Bereich der
Vorderhörner ist die Aufweitung geringer ausgeprägt, da Nucle- Septooptische Dysplasie
us caudatus und Linsenkern dort zusätzlich zur Formgebung Bei der septooptischen Dysplasie (De-Morsier-Syndrom) sind
beitragen. Ein weiteres charakteristisches Zeichen eines Balken- Fehlen des Septum pellucidum, Hypoplasie der Sehnerven (mög-
mangels in axialer und koronarer Schichtführung ist eine »Stier- liche Sehstörungen) und verschiedene endokrine Störungen zu
hornform« der Corpora der Seitenventrikel (. Abb. 9.23). Diese finden (Störung der hypothalamisch-hypophysären Achse).
Konfiguration resultiert aus einer Einbuchtung der Seitenventri- Beim Neugeborenen finden sich Hypotonie, Krämpfe, Hypo-
kel von medial durch das so genannte Probst-Bündel, das in der glykämie und Ikterus, später werden Sehstörungen, Entwick-
Embryonal- bzw. Fetalentwicklung bei einem Balkenmangel ent- lungsverzögerungen und Anfälle beobachtet.
steht.
Bildgebung. Fällt bei einem Kind ein Fehlen des Septum pellu-
Anomalien des Septum pellucidum cidums auf, so sollte nach einer septooptischen Dysplasie gesucht
Während der Entwicklung entstehen normalerweise Hohlräume werden. Hierzu empfiehlt es sich, dünnschichtige MRT-Aufnah-
im Septum pellucidum. Sie verschwinden meist nach der Geburt, men der vorderen Abschnitte der Sehbahn durchzuführen
können aber als 5. und 6. Ventrikel Verbindung mit dem übrigen (. Abb. 9.25).
Liquorraum haben (Cavum septi pellucidi, Cavum vergae, Ca-
vum veli interpositi). Selten kommen echte Zysten mit raumfor- Balkenanomalien mit intrakraniellen Lipomen
dernder Wirkung vor. Eine Agenesie des Septum pellucidum Intrakranielle Lipome sind wahrscheinlich Fehldifferenzie-
wird in Kombination mit einer Balkenaplasie oder Holoprosen- rungen der Meninx primitiva, undifferenzierten Mesenchyms,
zephalie beobachtet. Zerebrale Anfälle und andere neurologische das während der embryonalen Entwicklung das Gehirn umgibt.
88 Kapitel 9 · Gehirn

9
a a

. Abb. 9.24a, b. Periventrikuläre Leukomalazie (PVL). a In den T2w axi-


alen Sequenzen zeigt sich eine deutliche Rarefizierung des Marklagers mit
unregelmäßiger Ventrikelbewandung. Der jetzt 7-jährige Patient ist ein ehe- b
maliges Frühgeborenes der 24. Schwangerschaftswoche mit bekannter pe-
riventrikulärer Blutung Grad II. b Auch in den FLAIR-Sequenzen zeigt sich . Abb. 9.25a, b. Septooptische Dysplasie. a In der koronaren T1w-
die Rarefizierung des periventrikulären Marklagers mit Unregelmäßigkeiten Sequenz Hypoplasie des Chiasma und der Nn. optici sowie ein fehlendes
in der Ventrikelwand Septum pellucidum. b T2-Wichtung: Fehlendes Septum pellucidum

Etwa 30% aller intrakraniellen Lipome kommen im Bereich des sind oft mit anderen Mittellinienfehlbildungen, z. B. Lippen-Kie-
Balkens vor (. Abb. 9.26). Tritt das Balkenlipom im vorderen fer-Gaumen-Spalten assoziiert.
Abschnitt des Balkens auf, so ist es meist mit einer Balkenano-
malie vergesellschaftet, während Lipome im hinteren Abschnitt Bildgebung. Im CT zeigen sich die Balkenlipome mit fettisodensen
des Balkens oft mit einer normalen Ausbildung des Balkens ein- (negativen) Dichtewerten. Selten können aber auch noduläre und
hergehen. Balkenassoziierte Lipome können verkalken und stel- schollige Verkalkungen auftreten. Im MRT stellen sich die Lipome
len sich dann bereits auf Röntgenübersichtsaufnahmen dar. Sie in sämtlichen Sequenzen fettisointens dar, d. h. in T1-gewichteten
9.2 · Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen des Gehirns
89 9
9.2.5 Störungen der Rindenentwicklung

Verschiedene Anomalien bei der Differenzierung des Cortex,


meist Folge einer Migrationsstörung, beeinträchtigen die Ausbil-
dung von Gyri und Sulci in der 2. Schwangerschaftshälfte. Es
können an Störungen der neuronalen und der glialen Prolifera-
tion auftreten:
4 generalisierte Störung der Rindenentwicklung (Mikrolissen-
zephalie)
4 fokale oder multifokale Störung (bei Phakomatosen, isoliert,
neoplastisch)

Störungen der neuralen Migration. Hier sind zu unterscheiden:


4 Generalisiert: Klassische Lissenzephalie (Typ 1) (Agyrie/Pa-
chygyrie-Spektrum), an Chromosom 17 gebunden (Miller-
Dieker-Syndrom, isoliert), an X-Chromsom gebunden (Liss-
enzephalie, subkortikale Heterotopie), Pflastersteinlissenze-
phalie (Typ 2), bei kongenitaler Muskeldystrophie Fukoyama,
bei Walker-Warburg-Syndrom, Muscle-Eye-Brain-Disease
. Abb. 9.26. Balkenlipom. Im CT stellt sich das Balkenlipom als Hypoden- als Heterotopie (subependymal, subkortikal, kortikal).
sität mit fettäquivalenten Hounsfieldeinheiten (negative Werte) in Projekti- 4 Fokal und multifokal: Fokale Agyrie oder Pachygyrie (parti-
on auf den Balken dar
elle Lissenzephalie), fokale oder multifokale Heterotopie, mit
Anomalie der Organisation des Cortex (z. B. Aicardi-Syn-
Sequenzen sind sie stark hyperintens. Eine Sequenz mit einem Fett- drom, paroxysmale Krankheiten).
sättigungsimpuls kann zur Differenzierung weiterhelfen.
Störungen der Organisation des Cortex. Hier sind zu unter-
Balkenanomalien mit interhemisphärischen Zysten scheiden:
Balkenfehlbildungen sind oft auch mit Interhemisphärenzysten 4 generalisiert: Polymikrogyrie
vergesellschaftet. Interhemisphärenzysten können klinisch 4 fokal oder multifokal: Polymikrogyrie/Schizenzephalie
stumm sein, aber auch mit Epilepsien auffällig werden. Die inter-
hemisphärischen Zysten werden in 3 Gruppen eingeteilt: Lissenzephalie
4 Typ 1: eine einzelne große Zyste, die mit dem Seitenventrikel Eine weitgehend glatte Hirnoberfläche findet man bei der Lis-
oder dem 3. Ventrikel in Verbindung steht. senzephalie (Agyrie) (. Abb. 9.27). Die Pachygyrie zeigt einige
4 Typ 2: zusätzlich Störungen der Kortexentwicklung, wie Po- schwach ausgeprägte, grobe Windungen. Der Cortex ist relativ
lymikrogyrien, Pachygyrien, Migrationsstörungen oder dick, seine Neuronen sind unregelmäßig in nur 4 Schichten an-
Schizenzephalien. Die Zysten sind septiert und stehen nicht geordnet. Die weiße Substanz erscheint schmal, das Ventrikelsys-
mit dem Ventrikelsystem in Verbindung. tem ist meist erweitert.
4 Typ 3: Zysten mit komplexen Binnenstrukturen mit asym- Nach Morphologie und Genetik sind verschiedene Formen der
metrischen Subseptierungen. Aufgrund der unterschied- Lissenzephalie zu unterscheiden. Ein Gen (LES 1) ist als verantwort-
lichen Zusammensetzung des Zysteninhalts kann das Signal lich nachgewiesen, wobei Beziehung zum plättchenaktivierenden
der Zysten vom Liquorsignal abweichen, wenn keine direkte Faktor (PAF) bestehen, der für die Differenzierung des Cortex
Kommunikation mit dem Ventrikelsystem existiert. wichtig ist. Das Gen ist auf dem Chromosom 17p13.3 lokalisiert.

. Abb. 9.27. Lissenzephalie. Ausgeprägte


Gyrierungsstörung bei diesem 2 Wochen alten
Säugling in den axialen T2w-Sequenzen. Hier
handelt es sich um eine besonders schwere
Form, bei der auch die Ausbildung der
Sylvi’schen Fissur fehlt (Mikrolissenzephalie
Gruppe 5)
90 Kapitel 9 · Gehirn

. Tab. 9.2. Gruppeneinteilung der Mikrolissenzephalien

Gruppeneinteilung Charakteristische Darstellung

Gruppe 1 Unkomplizierte Geburt und Schwangerschaft, Mikrozephalie mit wenigen, breiten Gyri, Cortex selbst nicht dysplastisch

Gruppe 2 Komplizierte Geburt, Mikrozephalie mit wenigen, breiten Gyri, Cortex selbst nicht dysplastisch, oft Myelinisierungsverzögerung

Gruppe 3 Unkomplizierte Geburt und Schwangerschaft, weniger und breitere Gyri als bei Gruppe 1 und 2, oft mit Heterotopien und
Arachnoidalzysten vergesellschaftet

Gruppe 4 Pränatale Probleme, oft Polyhydramnion, jejunale Atresie und Arthrogryposis multiplex

Gruppe 5 Schwerste Form, massive Mikrozephalie, maximal 5 Gyri pro Hemisphäre, ausgedünnt erscheinender Cortex

Die Gruppe der Mikrolissenzephalien lässt sich in 5 verschie-


dene Untergruppen unterteilen, die sich klinisch und MR-tomo-
graphisch unterscheiden (. Tab. 9.2).
Beim Lissenzephaliesyndrom (Miller-Dieker) wird neben
einer autosomalen Vererbung auch eine Mikrodeletion im Be-
reich des kurzen Arms von Chromosom 17 beobachtet. Neben
9 der Hirnfehlbildung treten weitere Anomalien auf: hohe Stirn,
prominentes Hinterhaupt, schräge Lidachsen, antevertierte Na-
senlöcher, Hornhauttrübung, abnorm geformte Ohrmuscheln,
Mikrogenie, Hirsutismus, Poly- und Syndaktylie, Vierfingerfur-
che, Herzfehler. Die betroffenen Kinder zeigen kaum Entwick-
lungsfortschritte. Neben Gedeihstörungen und rezidivierenden
Infekten haben sie zerebrale Anfälle bei Hypsarrhythmie. Eine
Mikrozephalie wird schon intrauterin beobachtet. Mit der MRT
ist die Diagnose zu stellen.

Polymikrogyrie
Die Vermehrung der Windungen gibt dem Gehirn ein blumen-
kohlähnliches Aussehen. Oft sind die Veränderungen lokalisiert
(Poikilogyrie, z. B. im Bereich dysgenetischer Bezirke)
(. Abb. 9.28). Die Differenzierung des Cortex ist verändert, die
weiße Substanz hypoplastisch. Die beeinträchtigte Neuroblas-
. Abb. 9.28. Polymikrogyrie. Okzipital zeigen sich kleine und kleinste
tenmigration hat Bewegungsstörungen, geistige Behinderung
Gyri in der axialen T1w-Aufnahme
und Anfälle zur Folge.

Hemimegalenzephalie partiellen Anfällen), aber auch für Entwicklungs- und Teilleis-


Die Hemimegalenzephalie ist eine komplexe und relativ seltene tungsstörungen verantwortlich sein können. Aufgrund der Mor-
Störung der neuronalen Proliferation, Migration und Organisa- phologie werden unterschiedliche Formen differenziert (fokale
tion. Hierbei handelt es sich um eine hamartomatöse Verände- oder laminäre Dysplasien, Heterotopien). Neben der Rinde sind
rung einer Hemisphäre, die meist die gesamte, aber auch nur auch Markstrukturen betroffen, es können die neuronale Proli-
Teile einer Hemisphäre betreffen kann. Die Hemimegalenzepha- feration und kortikale Organisation beeinträchtigt sein. Mit der
lie kann mit einer Hemihypertrophie des Körpers einhergehen, verbesserten Diagnostik sind derartige Anomalien zunehmend
aber auch isoliert vorkommen. häufig nachzuweisen, sodass die Ursache mancher kryptogenen
Epilepsie oder Entwicklungsauffälligkeit geklärt werden kann.
Bildgebung. Es zeigt sich in der Regel eine Vergrößerung einer Es werden fokale kortikale Dysplasien mit und ohne Ballon-
Hemisphäre oder Teile der Hemisphäre. Der Cortex ist meist zellen unterschieden. Histopathologisch kann zwischen einer
dysplastisch, oft findet sich eine Pachygyrie oder eine Agyrie im Dysplasie der Kortexarchitektur mit ektopen Neuronen in der
betroffenen Bereich. weißen Substanz, einer Dysplasie der Zytoarchitektur des Cortex
mit vergrößerten Neuronen und einer Dysplasie vom Typ Taylor,
Kortikale Dysplasie bei denen dysmorphe Neuronen und Ballonzellen zur Darstel-
Mithilfe der MRT sind umschriebene Differenzierungsstörun- lung kommen, unterschieden werden.
gen der Hirnrinde (Anomalien der kortikalen Entwicklung) fest- Bei der transhemisphärischen kortikalen Dysplasie finden
zustellen (. Abb. 9.29), die für zerebrale Anfälle (ca. 25% bei sich dysplastische Zellen auf der gesamten Länge zwischen sub-
9.2 · Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen des Gehirns
91 9
nalen Migration auf ihrem Weg von der subependymalen germi-
nalen Matrixzone zur Hirnoberfläche liegen geblieben. Es wer-
den subependymale und fokal-subkortikale Heterotopien unter-
schieden:
4 Bei den subependymalen Heterotopien sind die Neuronen
direkt in der germinalen Matrixzone verblieben.
4 Bei den fokal-subkortikalen Heterotopien befinden sich die
Neuronen zwischen Ventrikeloberfläche und Cortex.
> Eine 3. Form, die so genannte bandförmige Heteroto-
pie, bei der graue Substanz breitbasig, bandförmig in-
nerhalb der weißen Substanz verblieben ist, wird neu-
erdings zu den Lissenzephalien gerechnet.

Klinisch zeigen Patienten mit Heterotopien oft epileptische An-


fälle und Entwicklungsverzögerungen. Heterotopien sind häufig
mit anderen Fehlbildungen assoziiert, z. B. mit kortikalen Dys-
plasien, Pachygyrien und Polymikrogyrien. Ein Teil der sub-
ependymalen Heterotopien zeigt einen X-chromosomalen oder
autosomal-rezessiven Abgang. Die wichtigste Differenzialdiag-
nose zu subependymalen Heterotopien ist die tuberöse Sklerose.
Bei den fokal-subkortikalen Heterotopien sind die Neuronen in
Richtung Kortexoberfläche gewandert, aber innerhalb der wei-
ßen Substanz verblieben. Sie können einzeln oder auch multipel
. Abb. 9.29. Kortikale Dysplasie, Heterotopie. In den axialen T1w Inver-
sion-recovery Aufnahme zeigen sich eine bandförmige Signalveränderung
vorkommen. Das zugehörige Rindenband ist meist dysplastisch
im Marklager, eine Verdickung des Cortex sowie eine Gyrierungsstörung, oder ausgedünnt.
zugleich zystische Erweiterung des Seitenventrikels
Bildgebung. Die subependymalen Heterotopien liegen direkt
periventrikulär, angrenzend an das ventrikuläre Ependym
ependymaler germinaler Matrixzone und Cortex. Histologisch (. Abb. 9.30). In der Bildgebung stellen sich diese subependyma-
zeigen sich hierbei atypische Neuronen und Gliazellen. Der his- len nodulären Heterotopien in sämtlichen Sequenzen zur grauen
tologische Befund entspricht dem einer tuberösen Sklerose, wes- Substanz in isointenser Signalgebung dar.
wegen die fokalen transhemisphärischen, kortikalen Dysplasien Differenzialdiagnostisch sind sie von Tubera bei der tube-
bisweilen auch als abortive Formen der tuberösen Sklerose be- rösen Sklerose abzugrenzen. Fokale subkortikale Heterotopien
zeichnet werden. liegen direkt subkortikal, innerhalb der weißen Substanz. Sie
können einzeln oder multipel vorkommen. Fokal-subkortikale
Bildgebung. In der MRT zeigt sich eine Dysplasie, die von der Heterotopien sind häufig mit anderen kongenitalen Fehlbil-
subependymalen Ventrikeloberfläche bis zum Cortex reicht und dungen des Gehirns vergesellschaftet. Der darüber liegende Cor-
meist linear bzw. trichterförmig konfiguriert ist. Der angren- tex ist häufig dysplastisch. Die bandförmigen Heterotopien wer-
zende Cortex ist in der Regel ebenfalls dysplastisch. Die Dyspla- den zum Lissenzephaliekomplex gezählt.
sie ist im Vergleich zur umliegenden weißen Substanz in den
T2-gewichteten Sequenzen und in den FLAIR-Aufnahmen hy-
perintens. Der Übergang zwischen grauer und weißer Substanz 9.2.6 Schizenzephalie, Porenzephalie,
erscheint unscharf. Hemiatrophie
Pflasterstein-Lissenzephalie Strukturdefekte im Bereich der Hemisphären sind Folge einer
(Cobblestone-Lissenzephalie) Entwicklungsstörung oder eines Gefäßverschlusses. Bei der
Die Pflastersteinlissenzephalie ist mit einer kongenitalen Mus- Schizenzephalie findet man die Pori symmetrisch, bevorzugt pa-
keldystrophie assoziiert. Das Fehlen bestimmter Proteine führt rietotemporal (. Abb. 9.31). Sie reichen von der Rinde bis zum
zu einer Migrationsstörung. Zu dieser Erkrankungsgruppe gehö- Ventrikel und sind von einer Polymikrogyrie umgeben. Es kön-
ren das Walker-Warburg-Syndrom, die Fukoyama-kongenitale nen Anfälle auftreten. Eine Schizenzephalie kann auch unbe-
Muskeldystrophie und die Muscle-Eye-Brain-Erkrankung. merkt bleiben.

Heterotopien Schizenzephalie
Subependymale und fokal-subkortikale Heterotopien Die Spaltbildungen werden in so genannte offene und geschlos-
Heterotopien stellen die klassische Störung der neuronalen sene Spalten eingeteilt (Open-lip- und Closed-lip-Schizenze-
Migration dar. Hierbei handelt es sich um versprengte graue phalien). Bei der Open-lip-Schizenzephalie kommuniziert das
Substanz; die Neuronen sind aufgrund eines Arrests der neuro- Ventrikelsystem über die Spalte direkt mit den äußeren Liquor-
92 Kapitel 9 · Gehirn

a b
9
. Abb. 9.30a, b. Subependymale Heterotopie. In sämtlichen Wichtun- sich noduläre, subependymal gelegene Heterotopien grauer Substanz, iso-
gen (a T1-Wichtung in Inversion-recovery-Technik, b T2-Wichtung) zeigen intens zum Cortex

Porenzephalie
Als Porenzephalie (. Abb. 9.32) wird eine Läsion bezeichnet, die
infolge von Durchblutungsstörungen (Gefäßanomalien, Embo-
lie, Thrombose) intrauterin aufgetreten ist und zu einem Paren-
chymuntergang geführt hat. Diese Pori sind unregelmäßig ange-
ordnet und zeigen v. a. in den FLAIR-Sequenzen je nach Ausbil-
dung unregelmäßige Wandungen.

Hemiatrophie
Die Läsion einer ganzen Hälfte (Hemiatrophia cerebri) ist meist
auf pränatale Durchblutungsstörungen zurückzuführen. Es re-
sultieren Schädelasymmetrien, spastische Hemiplegie mit
Wachstumsverzögerung, oft auch zerebrale Anfälle und Intelli-
genz- oder Teilleistungsstörungen.

9.2.7 Holoprosenzephalie
Bei enger Beziehung zum prächordalen Mesoderm führen Ent-
. Abb. 9.31. Schizenzephalie. In den axialen FLAIR-Aufnahmen zeigt sich wicklungsstörungen des Prosencephalons (4. bis 6. Gestations-
eine Spaltbildung links parietookzipital, die die inneren und äußeren Li- woche) auch zu Anomalien des Gesichts:
quorräume verbindet und entlang des Spalts mit grauer Substanz ausge- 4 Zyklopie
kleidet ist 4 Ethmozephalie mit Hypotelorismus
4 Mediane Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte
räumen. Bei der Closed-lip-Schizenzephalie berühren sich die
mit grauer Substanz ausgekleideten Spalten. Die Ursachen sind heterogen, es kommt ein monogener Erbgang
In der MRT zeigt sich bei der Schizenzephalie, dass die Spalt- vor (autosomal-rezessiv und -dominant oder eine Chromsomen-
bildung von grauer Substanz ausgekleidet ist. Die angrenzenden aberration auf Trisomie D, Deletion 18t und 13q), aber auch exo-
kortikalen Strukturen zeigen jedoch Dysplasien. Die Closed-lip- gene Faktoren sind in Betracht zu ziehen (Virusinfektion, Diabe-
Schizenzephalie ist häufig nur an einer fokalen Ausziehung der tes der Mutter, Dioxin). Es gibt verschiedene Formen der Holo-
Ventrikelseitenwand in Richtung der Spaltbildung zu erkennen. prosenzephalie:
Häufig sind die Formen der Schizenzephalie mit einem Fehlen 4 alobäre Holoprosenzephalie
des Septum pellucidum vergesellschaftet. 4 semilobäre Holoprosenzephalie
4 lobäre Holoprosenzephalie
9.2 · Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen des Gehirns
93 9

. Abb. 9.32. Porenzephalie. Defekt rechts frontal bei Zustand nach Teilin-
farkt im Versorgungsgebiet der A. cerebri media (T2w-Sequenz)

. Abb. 9.33. CDG-Syndrom (Congenital Disorder of Glycosylation). In der


Die alobäre Holoprosenzephalie ist die schwerste Störung. Die
sagittalen T2w-Aufnahme erkennt man die für diese seltene Stoffwechseler-
Lebenserwartung ist deutlich reduziert, häufig werden die be- krankung typische zerebelläre Hypoplasie
troffenen Kinder tot geboren. Bei der alobären Holoprosenze-
phalie besteht keine Differenzierung der Hemisphären. Man
findet einen halbmondförmigen Holoventrikel, der in eine große, Klinisch sind die Symptome oft sehr mild, auch bei ausgeprägten
dorsal gelegene Zyste übergeht. Die Seitenventrikel sind nicht Befunden, was für eine gute Kompensationsfähigkeit des zere-
getrennt. bellären Systems spricht.
Bei der semilobären Holoprosenzephalie sind die Hemi- Die Hypoplasie einer Kleinhirnhemisphäre ist mit einer prä-
sphären typischerweise im anterioren Bereich verschmolzen. Im natalen Läsion oder Fehlbildung der kontralateralen Hirnhälfte
posterioren Bereich ist das Splenium des Balkens angelegt, im verbunden. Verschiedene Anomalien des Kleinhirns kommen
anterioren Bereich fehlt er. Das Ausmaß des Fehlens des Balkens familiär vor und führen zu nichtprogredienten Heredoataxien.
kollidiert mit dem Schweregrad der klinischen Störung. Die se- Eine progrediente Kleinhirnatrophie ist für die angeborene Stö-
milobäre Holoprosenzephalie ist die einzige kongenitale Störung, rung der Glykosylierung typisch (CDG-Syndrom) (. Abb. 9.33).
bei der die anterioren Anteile des Balkens fehlen, der posteriore
Balken jedoch angelegt ist. Chiari-Anomalien
Die lobäre Form der Holoprosenzephalie besteht aus einem Im Rahmen einer dysraphischen Störung kommt es oft zu Ver-
Fehlen des Septum pellucidum. Die Vorderhörner der Seiten- änderungen an Kleinhirn und Hirnstamm mit Dislokalisation
ventrikel sind meist rudimentär angelegt, der 3. Ventrikel ist re- und Verformung, oft auch mit Hydrocephalus occlusus.
gelrecht ausgebildet. Übergänge zur septooptischen Dysplasie Bei Chiari-Malformationen Typ I findet man symmetrische
sind z. T. fließend. oder asymmetrische Verlagerungen der Kleinhirntonsillen in das
Foramen magnum (. Abb. 9.34). Als Ursache ist meist eine Hy-
poplasie der hinteren Schädelgrube nachzuweisen. Oft sind zu-
9.2.8 Entwicklungsstörungen von Kleinhirn sätzlich andere Fehlbildungen wie Blockwirbelbildung, cranio-
und Hirnstamm vertebrale Anomalien etc. zu finden. Die klinischen Symptome
können relativ unspezifisch sein, neben Kopfschmerzen können
Kleinhirnagenesie und- hypoplasie auch Kompressionen der kaudalen Hirnnerven auftreten. Es
Selten fehlt das Kleinhirn völlig, meist liegen Entwicklungsstö- kann aber auch zu Liquorzirkulationsstörungen kommen. Bei
rungen einzelner Teile, der Hemisphären oder median gelegener Patienten mit Chiari-Malformation sollte immer die gesamte
Strukturen (Kleinhirnwurm) vor. Mit der MRT kann die hintere Neuroachse untersucht werden (Syringohydromyelie).
Schädelgrube gut dargestellt werden, und es lassen sich Anoma- Bildgebung. Zur Beurteilung einer Chiari-Malformation
lien von Varianten (Erweiterung der Cisterna magna) abgrenzen. sollten dünnschichtige sagittale Aufnahmen durchgeführt wer-
94 Kapitel 9 · Gehirn

. Abb. 9.34. Chiari-I-Malformation. Tiefstand der Kleinhirntonsillen und


Hypoplasie der hinteren Schädelgrube (sagittale T2-Wichtung)
9
den. Die Kleinhirntonsillen sollten nicht mehr als 5 mm unterhalb
einer Verbindungslinie zwischen Basion und Opisthion stehen.
Bei der Chiari-Malformation Typ 2 (. Abb. 9.35), kommt es
zu einer Verlagerung von Teilen des Kleinhirnunterwums in den
Spinalkanal. Zusätzlich ist diese Malformation mit einer Spina
bifida aperta und einer Meningomyelozele assoziiert. Durch
die zu kleine hintere Schädelgrube kommt es zu einer Steil-
stellung des Tentoriums, am Übergang der Medulla oblongata
ins Halsmark entsteht eine bajonettförmige Abwinkelung (Kin-
king) des Hirnstamms. Die Kleinhirnhemisphären legen sich
um den Hirnstamm und sind im Foramen magnum nachweis-
bar. Der 4. Ventrikel ist schmal und komprimiert. Es zeigt sich
oft auch eine Formveränderung der Vierhügelplatte (beaking).
Dies kann zu Hirnnervenstörungen und vegetativen Dysregula-
tionen führen. b
Durch die Druckveränderungen in der hinteren Schädelgru-
be kommt es häufig zu einer Liquorzirkulationsstörung, die sich
als Hydrocephalus noncommunicans manifestiert.
Eine Chiari-Malformation Typ 2 ist oft auch mit supratento-
riellen Fehlbildungen assoziiert (Balkenagenesie, -hypogensie).
Die Falx cerebri ist häufig nicht vollständig angelegt, es kommt
zu einem Ineinandergreifen von Sulci und Gyri der beiden He-
misphären (Interdigitationen). Die Gyri des medialen Okzipital-
lappens sind oft zu zahlreich und zu schmächtig (Stenogyri).
Bei der Chiari-Malformation Typ 3 findet man eine extrakra-
nielle Verlagerung des Kleinhirns in eine subokzipitale-zervikale
Zele; die der Typ 4-Malformation zugerechneten Beobachtungen
haben eine Kleinhirnhypoplasie gemeinsam.

. Abb. 9.35a–c. Chiari-Malformation Typ 2. a Tiefer Ansatz des Tentori- 7


ums bei kleiner hinterer Schädelgrube, Tiefstand der Kleinhirntonsillen in
der T2-Wichtung. b In den axialen T1-gew. Aufnahmen sind die Kleinhirn-
tonsillen lateral um den Hirnstamm zu erkennen und umgreifen diesen.
c Zusätzlich supratentorielle Fehlbildung mit Balkendysplasie. Die spinale
Meningomyelozele, die ebenfalls zum Chiari-II gehört, ist nicht mit abge-
bildet c
9.2 · Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen des Gehirns
95 9

a b

. Abb. 9.36a, b. Dandy-Walker-Malformation. a Zystische Fehlbildung axialen T1w-Sequenzen. b Zusätzlich Hypogenesie des Kleinhirnwurms in
der hinteren Schädelgrube mit hochstehenden Torcular herophili in den der sagittalen T2-Wichtung

! Eine wichtige Differenzialdiagnose zur Chiari-Malfor- Joubert-Syndrom


mation ist das Liquorunterdrucksyndrom bei einem Hierbei handelt es sich um eine komplette oder partielle Vermis-
Leakage. agenesie ohne zystische Aufweitung der Rautengrube. Beim Jou-
bert-Syndrom wird ein autosomal-rezessiver Erbgang diskutiert,
Dandy-Walker-Syndrom es geht mit Anfällen von Hyperpnoe, abnormen Augenbewe-
Kennzeichen für das Syndrom ist eine partielle oder komplette gungen (Opsoklonus), Ataxie und geistiger Retardierung einher.
Vermis-Agenesie, weshalb das Dach der Rautengrube defekt und
zystisch verändert wird (Ventrikulozele). Die hintere Schädel- Bildgebung. In der MRT zeigen sich in den axialen Schichten die
grube kann dadurch stark aufgeweitet sein, das Tentorium und Hypoplasie der Vermis und die dadurch im kaudalen Anteil di-
der Torcular stehen hoch (. Abb. 9.36). Auch wenn die Aper- rekt aneinander liegenden Kleinhirnhemisphären. Durch die
turen des 4. Ventrikels nicht verschlossen sind, wird ein Hydro- Konfiguration des schmächtigen Mittelhirns und der Kleinhirn-
zephalus meist durch eine Entwicklungsstörung des Subarach- schenkel stellt sich der 4. Ventrikel wie eine Fledermaus konfigu-
noidalraums verursacht. Zusätzliche Fehlbildungen am Groß- riert dar.
hirn kommen vor. Klinische Symptome sind eine vorspringende
Okzipitalschuppe, Hirnnervenstörung, Nystagmus und Rumpf- Rhombenzephalosynapsis
ataxie, auch spastische Erscheinungen können auftreten. Bei der Rhombenzephalosynapsis sind die beiden Hemisphären
Im Allgemeinen können 3 Gruppen unterschieden werden: des Cerebellums nicht vollständig voneinander separiert
4 Dandy-Walker-Malformation (. Abb. 9.37). Der Vermis fehlt oft vollständig. Zusätzlich finden
4 Dandy-Walker-Variante sich meist andere Fehlbildungen wie ein fehlendes Septum pel-
4 Megacisterna magna lucidum oder kortikale Anomalien.

Die Übergänge zwischen diesen Gruppen sind fließend und


nicht immer eindeutig abgrenzbar. Bei der Dandy-Walker-Vari- 9.2.9 Arachnoidalzysten
ante kommt es zu einer Volumenminderung der Vermis, zugleich
tritt auch eine zystische Dilatation des 4. Ventrikels auf. Die hin- Definition
tere Schädelgrube ist jedoch nicht vergrößert. Arachnoidalzysten sind mit Flüssigkeit gefüllte Hohlräume im
Bei der Megacisterna magna kommt es zu einer Vergrößerung Bereich der Meningen oder unterhalb der Arachoidea (Sub-
der hinteren Schädelgrube ohne Nachweis einer zystischen Malfor- arachnoidalzysten) (. Abb. 9.38). Sie können mit Strukturverän-
mation des 4. Ventrikels, lediglich die Cisterna magna ist vergrö- derungen angrenzender Hirnareale einhergehen und Anschluss
ßert und zystisch aufgeweitet. Der 4. Ventrikel und der Kleinhirn- an das Liquorsystem haben. Angeborene, echte Arachnoidalzys-
wurm sind bei diesen Störungen nicht pathologisch verändert. ten werden von 2 Lagen der Arachnoidea umgeben, bei der Sub-
96 Kapitel 9 · Gehirn

9
. Abb. 9.37. Rhombenzephalosynapsis. In der axialen T2w-Sequenz ist . Abb. 9.38. Arachnoidalzyste. Temporomesial gelegene, liquorisointen-
die Verschmelzung der beiden Kleinhirnhemisphären gut zu erkennen se Raumforderung, typisch für eine Arachnoidalzyste

arachnoidalzyste enthält die Wand auch Anteile von Pia mater 9.2.10 Neurokutane Syndrome (Phakomatosen)
und neuralem Gewebe. Abzugrenzen sind intrazerebrale Zysten,
Pori und zystische Tumoren. Unter neurokutanen Syndromen oder Phakomatosen versteht
man eine heterogene Gruppe von genetisch bedingten Krank-
Epidemiologie und Ätiologie heiten, die durch Dysplasien, v a. von neuroektodermalem Ge-
In Autopsiestudien werden in 1 von 1000 Fällen Arachnoidalzys- webe charakterisiert sind. In den letzten Jahren konnten für eine
ten gefunden. Als angeborene Anomalien entstehen Arachnoi- Reihe dieser Krankheiten die zugrunde liegenden Gendefekte
dalzysten wahrscheinlich in den ersten Wochen der Schwanger- aufgeklärt werden. Hieraus ergeben sich ein erweitertes pathoge-
schaft. In einigen Fällen wird ein familiäres Vorkommen beob- netisches Verständnis und Perspektiven für neue Therapiean-
achtet. Arachnoidalzysten als erworbene Anomalien können sätze. Zu den neurokutanen Syndromen zählen neben den hier
Folge von Entzündungen, Traumata oder Blutungen sein. aufgeführten Krankheiten eine Reihe seltener Störungen, die den
Die Zellen der Zystenwand können Flüssigkeit sezernieren, Rahmen dieses Buchs sprengen würden und in speziellen Lehr-
sodass es zu einer Größenzunahme kommen kann, wenn eine büchern nachgelesen werden können.
Verbindung zum Subrachnoidalraum fehlt.
Neurofibromatose Typ I (NF I)
Klinik Definition, Epidemiologie
Arachnoidalzysten bleiben nicht selten klinisch asymptomatisch Die autosomal-dominant vererbte Neurofibromatose Typ I, auch
und werden als Zufallsbefund festgestellt. Gelegentlich können periphere Neurofibromatose oder Morbus Recklinghausen ge-
sie zu Symptomen wie Liquorzirkulationsstörung mit Kopf- nannt, tritt mit einer Häufigkeit von ca. 0,3/1000 auf. Es zeigen
schmerzen, Stauungspapillen, Erbrechen und Wesensverände- sich keine regionalen oder Geschlechtsunterschiede. Sie stellt
rungen führen. Bei Säuglingen kommt es meist zu einem be- eine der häufigsten Erbkrankheiten überhaupt dar. Spektrum
schleunigten Schädelwachstum. und Ausprägungsgrad der für die Krankheit typischen Befunde
sind ausgesprochen variabel und im Einzelfall nicht vorherseh-
Bildgebung bar, was die Beratung und Betreuung betroffener Patienten er-
Im CT und MRT sind die Arachnoidalzysten in der Regel einfach schwert.
zu erkennen, oft liegt eine Ausdünnung der Kalotte bei ober-
flächlich gelegenen Arachnoidalzysten vor. Differenzialdiagnos- Ätiologie
tisch abzugrenzen sind zystische Tumoren, Schizenzephalien, Die Krankheit wird verursacht durch eine Mutation des auf
subdurale Hämatome, Dandy-Walker-Syndrom sowie eine große Chromosom 17q11.2 lokalisierten 1990 identifizierten NF I-
Cisterna magna. Gens. Die Hälfte der NF I-Fälle geht auf Spontanmutationen zu-
Arachnoidalzysten liegen v. a. im Interhemisphärenspalt, rück. Es handelt sich hier um ein Tumorsuppressorprotein, das
temporal, im Bereich der basalen Zisternen oder der hinteren in vielfältiger Weise die Zellproliferation und -differenzierung
Schädelgrube. beeinflusst.
9.2 · Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen des Gehirns
97 9
Klinik in den Basalganglien, im Hirnstamm und des Cerebellum, die
Das charakteristische Merkmal der Neurofibromatose Typ I sind am ehesten Myelinvakuolisierungen entsprechen (. Abb. 9.39,
umschriebene, Milchkaffee-artige Hyperpigmentierungen der . Abb. 9.40). Hierbei handelt es sich um passagere Befunde, die
Haut mit einem Durchmesser von 0,5 bis ca. 5 cm. Diese Café-au- bei Kindern <15 Jahren häufiger, bei älteren Erwachsenen nur
lait-Flecken lassen sich bei fast 100% der Betroffenen nachweisen noch in 30% der Fälle gefunden werden.
und führen bei der Mehrzahl der Patienten zur erstmaligen Vor-
stellung. Café-au-lait-Flecken können auch ohne Zusammenhang Diagnose
mit NF I auftreten, jedoch weisen >6 dieser gutartigen Hautver- Bei international festgelegten NF I-Diagnosekriterien kann die
änderungen mit großer Wahrscheinlichkeit auf eine Neurofibro- Diagnose gestellt werden, wenn mindestens 2 der in der fol-
matose hin. Die Flecken können bereits bei Geburt vorhanden genden Übersicht genannten Kriterien erfüllt sind.
sein und in der Kindheit an Größe und Zahl zunehmen. Bei 40%
der Patienten kommen sommersprossenartige Pigmentierungen
der Achseln und Inguinalregion (Freckling) vor. NF I-Diagnosekriterien
Neurofibrome sind gutartige Tumoren des peripheren Ner- 4 6 oder mehrere Café-au-lait-Flecken mit einem Durch-
venbindegewebes, die sich bei fast allen NF I-Patienten im Laufe messer von >5 mm bei präpubertären, von >15 mm bei
des Lebens entwickeln. Unterschieden werden im Wesentlichen postpubertären Patienten
2 Formen: 4 2 oder mehrere Neurofibrome jeglichen Typs oder min-
4 Plexiforme Neurofibrome: sie gehen von größeren viszeralen destens 1 plexiformes Neurofibrom
Nervensträngen aus und können durch ihre Größenausdeh- 4 Sommersprossenartige Pigmentierung der Achselhöh-
nung zur Verdrängung benachbarter Organe und erheblicher len oder der Inguinalregion
kosmetischer Entstellung führen. Dieser Tumortyp ist hoch- 4 Optikusgliom
spezifisch für NF I und tritt kongenital oder im Säuglings- 4 Lisch-Knötchen (Irishamartome)
und Kleinkindesalter auf. In ca. 5% der Fälle entwickeln sich 4 Typische Knochenläsionen wie Keilbeinflügeldysplasie
aus plexiformen Neurofibromen Neurofibrosarkome bzw. oder Verkrümmung der langen Röhrenknochen mit oder
maligne Schwannome. ohne Pseudoarthrose
4 Dermale Neurofibromatome werden dagegen nur selten vor 4 Ein Verwandter ersten Grades (Elternteil, Geschwister
dem 5. Lebensjahr diagnostiziert und sind kleine, häufig in oder Kind) mit Diagnose von NF I aufgrund o. g.
großer Zahl auftretende Tumoren, die von den terminalen Kriterien
Aufzweigungen kutaner Nerven ausgehen.

Die häufigsten intrazerebralen Tumore stellen Optikusgliome Bildgebung


dar, die meist im Kleinkindesalter auftreten und bei ca. 15% aller Bei Patienten mit dem klinischen Verdacht auf eine Neurofibro-
NF I-Patienten vorkommen. Beidseitiges Auftreten wird fast matose vom Typ I sollten immer T2- und T1-gewichtete Sequen-
ausschließlich im Zusammenhang mit NF I beobachtet, einsei- zen und eine FLAIR-Sequenz des gesamten Neurokraniums so-
tige Optikusgliome sind in ca. 70% der Fälle mit NF I assoziiert. wie eine STIR-Sequenz der vorderen Sehbahn angefertigt wer-
Diese Tumoren verursachen in der Regel keine klinischen Symp- den. Zusätzlich sollten T1-gewichtete Aufnahmen vor und nach
tome. Da Optikusgliome nur selten einen progredienten Verlauf Kontrastmittel-Applikation durchgeführt werden. Die Schicht-
zeigen und in Einzelfällen auch eine Spontanregression beschrie- führung sollte an den Verlauf des N. opticus und an das Chiasma
ben wurde, ist bei asymptomatischen Tumoren in der Regel keine angepasst werden.
spezielle Therapie notwendig. Bei Kindern mit einer Neurofibromatose vom Typ I fallen in
Zu den pathognomonischen Befunden der NF I gehören die der T2w- und FLAIR-Sequenz häufig multiple, relativ geringe
so genannten Lisch-Knötchen. Hierbei handelt es sich um Iris- Signalintensitätssteigerungen im Marklager auf, in den T1-ge-
Hamartome von 1–2 mm Durchmesser. Lisch-Knötchen neh- wichteten Sequenzen stellen sich diese Läsionen meist nicht dar.
men mit zunehmenden Lebensalter an Zahl zu und werden bei Für diese Marklagerläsionen hat sich der Begriff der Myelinva-
100% der erwachsenen NF I-Patienten gefunden. kuolen eingebürgert, wenn gleich er aus histopathologischer
Primäre Knochenläsionen sind ein weiteres Merkmal der NF Sicht eigentlich nicht korrekt ist. Wahrscheinlich handelt es sich
I. Bei 10% der Patienten werden Skoliosen gefunden, die typi- hierbei um kleine Areale mit einer Dysplasie des Myelins. Diese
scherweise im Alter von 6–10 Jahren beginnen. Weitere charak- Myelinvakuolisierungen sind nur noch in ca. 30% der Fälle bei
teristische Knochendefekte sind Keilbeinflügeldysplasien, kon- Erwachsenen zu finden. Klinisch haben sie wahrscheinlich keine
genitale Pseudoarthrosen der Tibia sowie frühkindliche Ver- Bedeutung.
krümmungen der langen Röhrenknochen. Zu den häufigen Bei Kindern mit einer Neurofibromatose vom Typ I kommt
weiteren Befunden gehören Minderwuchs, Makrozephalie, zere- es gehäuft zur Entstehung verschiedener Arten von Tumoren,
brale Anfälle sowie häufig vorkommende Durchblutungsstörun- v. a. Gliomen der vorderen Sehbahn (7 Kap. 9.4). Histopatholo-
gen, die durch umschriebene zelluläre Hyperproliferationen an gisch sind diese Optikusgliome pilozytische Astrozytome (WHO
der Gefäßwand zustande kommen. Grad I). Es können jedoch auch hochmaligne Gliome der vorde-
Bei kernspintomographischen Befunden des Parenchyms ren Sehbahn vorkommen. Nach Kontrastmittelgabe zeigen die
von NF-I-Patienten zeigen sich häufig fokale Hyperintensitäten Optikusgliome häufig ein ausgeprägtes Enhancement, v. a. im
98 Kapitel 9 · Gehirn

a b c

. Abb. 9.39a–c. Neurofibromatose Typ I. a, b In den T2-gew. und FLAIR- zeigen sich verdickte und elongierte Nn. optici mit erweiterter Nervenschei-
Aufnahmen zeigen sich an typischer Stelle um den 4. Ventrikel Signalan- de. c In der T1-Wichtung nach KM-Gabe ist kein pathologisches Enhance-
9 hebungen, die mit einer Myelinvakuolisierung vereinbar sind. Zusätzlich ment zu erkennen

Da auch gehäuft Veränderungen an den Gefäßen auftreten,


sollte wenn möglich auch eine Darstellung der intra- und extra-
kraniellen Gefäße im MRT erfolgen.
Fibröse Dysplasien, v. a. am Os sphenoidale, treten ebenfalls
gehäuft auf und können zu einer Druckwirkung auf die Orbita
mit einem resultierenden Exophthalmus oder im Verlauf auch zu
einer Optikusatrophie führen.
Das typische Charakteristikum der Neurofibromatose vom
Typ I ist das Vorliegen von Neurofibromen. Hierbei handelt es
sich um Tumore der Nervenscheiden. In der MRT der Neuroach-
se zeigen sich Neurofibrome meist in intra- oder paraspinaler
Lage. Sie können als noduläre Tumoren an der Cauda equina
oder auch intraforaminal liegen. Intraforaminale Neurofibrome
können zu einer Aufweitung des betroffenen Neuroforamens
führen. Reicht dieses Neurofibrom nach intra- und nach extra-
spinal, so zeigt sich die Konfiguration einer Sanduhr.
Im MRT stellen sich die Neurofibrome in den T1-gewichte-
ten Sequenzen leicht hyperintens dar. In den T2-gewichteten
Sequenzen ist ihre Signalintensität variabel, nach i. v. Kontrast-
mittelgabe kommt es meist zu einem deutlichen Enhancement
der Neurofibrome. Vor allem bei paravertebraler Lage können
fettunterdrückte T1-gewichtete Sequenzen nach Kontrastmittel-
gabe hilfreich sein.
. Abb. 9.40. Myelinvakuolisierung. Typische Myelinvakuolisierung in
den Stammganglien bei einem Patienten mit NF I > Neurosarkome sind im Gegensatz zu Neurofibromen
meist größer und oft auch unscharf begrenzt. Die Bin-
nenstruktur ist häufig inhomogener, allerdings gibt es
Bereich der Nn. optici und des Chiasmas, z. T. auch der Tractus
kein verlässliches Kriterium, das eine sichere Differen-
optici.
zierung eines Neurofibroms von einem Neurofibrosar-
Neben den Optikusgliomen kommen auch intrazerebrale
kom erlaubt. Im Zweifelsfall sollte eine operative Ent-
Astrozytome gehäuft vor. Diesen können jeden histologischen
fernung bzw. eine Biopsie erfolgen.
Grad aufweisen, pilozytische Astrozytome WHO Grad I sind je-
doch besonders häufig anzutreffen (. Abb. 9.83). Bei Patienten Plexiforme Neurofibrome bestehen aus einfachen Neurofibro-
mit einer Neurofibromatose NF I treten diese Astrozytome v. a. men. Die Ausbreitung erfolgt meist diffus entlang eines Nervs,
im Bereich des Pons, der Medulla oblongata und des Mittelhirns, wobei sich der Ursprungsnerv in der Regel nicht mehr abgrenzen
aber auch im Bereich der Kleinhirnhemisphären auf. lässt. Sie wachsen lokal aggressiv, metastasieren jedoch nicht. In
9.2 · Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen des Gehirns
99 9
Wirbelkörper, die zu einer Skoliose führen können. Hierbei han-
delt es sich meist um eine Dextroskoliose.
Patienten mit NF I zeigen zusätzlich durale Ektasien und la-
terale Meningozelen.

Neurofibromatose Typ II
Definition, Epidemiologie, Ätiologie
Die Neurofibromatose Typ II (NF II) oder zentrale Neurofibro-
matose – unterscheidet sich klinisch und genetisch von der NF I.
Sie kommt mit einer Inzidenz von ca. 1:30 000 vor und ist damit
wesentlich seltener als die NF I. Auch hier konnte eine Mutation
des auf Chromosom 22 q11.2 lokalisierten NF II-Gens lokalisiert
werden, die autosomal-dominant vererbt wird und in der Hälfte
der Fälle auf eine Spontanmutation zurückgeht. Das veränderte
Protein ist an der Kontrolle von Zellform, Zellbewegung und
Zell-Zell-Kommunikation beteiligt.

Klinik
Die NF II ist eine Krankheit des Jugendlichen und jungen Er-
wachsenen, nur 10% der Patienten werden vor dem 10. Lebens-
jahr symptomatisch. Die klinische Variabilität ist bei Weitem
nicht so groß wie für die NF I. Der typische und bei >80% der
a
Patienten anzutreffende Befund sind bilaterale Tumoren des
8. Hirnnervs (. Abb. 9.41, . Abb. 9.86). Diese Tumoren bestehen
fast ausschließlich aus Schwannzellen und gehen vom Vestibula-
risanteil des Nervs aus, sodass die Bezeichnung Vestibularis-
Schwannom dem früher üblichen und immer noch oft ge-
brauchten Akustikusneurinom vorzuziehen ist.

Klinik
Die Vestibularis-Schwannome machen sich durch progrediente
Hörminderung bis zur Ertaubung sowie durch Tinnitus und
Schwindel bemerkbar. Bei zusätzlicher Beeinträchtigung von
N. facialis und N. trigeminus können auch Muskelschwäche
und Sensibilitätsstörungen im Gesichtsbereich auftreten.
Schwannome können bei NF II auch im Verlauf anderer
Nerven oder der Spinalwurzeln auftreten. Wenn subkutane pe-
riphere Nerven betroffen sind, können diese Schwannome kli-
nisch wie dermale Neurofibrome bei NF I imponieren.
Ca. 40% der Patienten zeigen im Verlauf der Erkrankung
Meningeome, die auch multipel auftreten können. Daneben
wird aber auch eine Häufung verschiedener anderer intrakrani-
eller Tumoren beobachtet. Café-au-lait-Flecken kommen auch
bei NF II ebenfalls häufiger vor als in der Normalbevölkerung.
b Das Auftreten von >6 dieser Hyperpigmentierungen ist bei NF
II jedoch selten.
. Abb. 9.41a, b. Neurofibromatose Typ II. Bilaterale Vestibularis-Schwan-
nome als typisches Beispiel für NF II. a T1-Wichtung vor KM; b T1-Wichtung
Subkapsuläre posteriore Katarakte werden bei fast der
nach KM-Gabe mit kräftigem Enhancement Hälfte der Patienten gefunden. Sie treten meist schon im Kin-
desalter auf und können wegweisend für die Diagnosestellung
sein. Hamartome der Retina werden ebenfalls gehäuft bei NF II
der MRT stellen sie sich in der Regel als flächig wachsende infilt- gefunden.
rative Raumforderungen dar. In den T1-gewichteten Sequenzen
sind sie leicht hyperintens, nach Kontrastmittelgabe kommt es zu Diagnose
einem fokalen, inhomogenen Enhancement. In den T2-gewich- Auch hierfür gibt es klinische Kriterien, anhand derer eine Di-
teten Sequenzen stellen sie sich relativ hyperintens dar. agnose gestellt werden kann (Übersicht).
Bei der Neurofibromatose NF I kommt es gehäuft auch zu
spinalen Fehlbildungen. Häufig finden sich Dysplasien der
100 Kapitel 9 · Gehirn

konnten 2 unterschiedliche Genloci identifiziert werden: das


NF II-Diagnosekriterien TSC 1-Gen auf Chromosom 9q34 und das TSC 2-Gen auf
Die Diagnose NF II kann gestellt werden, wenn die Kriterien 16p13.3.
für die Punkte I oder Punkt II erfüllt sind:
4 I. Computer- oder kernspintomographischer Nachweis Klinik
von bilateralen Tumoren der 8. Hirnnerven oder Neben zerebralen Krampfanfällen und einer psychomotorischen
4 II. Ein Verwandter 1. Grades mit gesicherter Diagnose Retardierung treten hypopigmentierte Flecken der Haut (white
von NF II spots) auf, deren Größe von wenigen Millimetern bis zu ca. 5 cm
variiert. Diese Hypopigmentierungen lassen sich in ca. 90% der
und entweder Fälle schon im Säuglingsalter nachweisen, die fazialen Angiofib-
a) einem unilateralen Tumor des 8. Hirnnerven oder rome treten meist erst im Alter von 3–4 Jahren auf. Dabei handelt
b) 2 der folgenden Befunde: es sich um kleine, symmetrisch über Wangen, Nasolabialfalten
– Neurofibrom und Kinn ausgebreitete teleangiektatische Papeln, die hamartöse
– Meningeom Fehlbildungen der Gesichtshaut darstellen und früher als Adeno-
– Gliom ma sebaceum bezeichnet wurden.
– Schwannom Sub- und periunguale Fibrome gehören ebenfalls zu den cha-
– Juvenile posteriore subkapsuläre Linsentrübung rakteristischen Befunden. Diese Erkrankungen treten auch als
gliomatöse Tumoren der Retina und Rhabdomyome des Herzens
auf. Eine renale Beteiligung in Form von Angiomyolipomen oder
Bei Verdacht auf NF II sollten eine gründliche ophthal- Nierenzysten ist ebenfalls bedeutsam.
9 mologische und HNO-Untersuchung sowie eine kranielle
Kernspintomographie durchgeführt werden. Kinder betrof- Diagnose
fener Eltern sollten in jährlichen Abständen körperlich, neuro- Die Kombination eines zerebralen Anfallsleiden mit fleckför-
logisch und ophthalmologisch untersucht werden. Zwischen migen Hypopigmentierungen der Haut muss an das Vorliegen
dem 10. und 30. Lebensjahr werden jährlich audiometrische einer tuberösen Sklerose denken lassen. Zur Diagnose gehören
Untersuchungen empfohlen. Ein normales kranielles MRT im eine dermatologische und ophthalmologische Untersuchung so-
Alter von 30 Jahren macht jedoch die Diagnose NF II sehr un- wie die Durchführung einer kraniellen Kernspintomographie
wahrscheinlich. (. Abb. 9.42). Bei diesen Patienten sollten eine FLAIR- sowie
eine T1- und T2-gewichtete axiale Sequenz durchgeführt wer-
Bildgebung. Bei NF II sollten T2w- und FLAIR-Sequenzen den. Zur Beurteilung von subependymalen Tubera der Seiten-
durch das gesamte Neurokranium sowie zusätzlich axiale wand der Ventrikel sind koronare T1-gewichtete Sequenzen vor
T1-gewichtete Sequenzen vor und nach Kontrastmittelgabe und nach Kontrastmittelgabe hilfreich.
sowie axiale dünnschichtige Sequenzen durch den Kleinhirn- Pathognomonisch für die Erkrankung sind fokale Dysplasien
brückenwinkel angefertigt werden. Besteht der Verdacht auf des zerebralen Cortex, die so genannten Tuber. Dabei handelt es
kleine intrameatal gelegene Vestibularis, sind zusätzliche T2- sich um harte und auffallend weiße Läsionen von wenigen Mil-
gewichtete Sequenzen bzw. eine CISS-Sequenz hilfreich. limetern bis einigen Zentimetern Durchmesser, die histologisch
Bei einer Neurofibromatose vom Typ II unterscheiden sich durch Verlust der normalen Hirnrindenarchitektur, Nerven-
die auftretenden intrakraniellen Tumoren nicht von spontan auf- zelluntergang und Astrogliose gekennzeichnet sind. Ähnliche
tretenden Tumoren. Es ist die Kombination der Tumoren, die die Gliaknötchen finden sich subependymal in den lateralen Wän-
Diagnose einer Neurofibromatose vom Typ II nahe legt. Bei bi- den der Seitenventrikel. Die Zahl der kernspintomographisch
lateralen Vestibularis-Schwannomen ist die Diagnose der Neu- nachweisbaren Tuber scheint mit dem Schweregrad der Krank-
rofibromatose vom Typ II auch ohne das Vorliegen weiterer Tu- heit zu korrelieren. Eine maligne Transformation einzelner Tu-
moren zu stellen, es sollte jedoch an deren mögliches Vorhan- ber ist ebenfalls beschrieben worden.
densein gedacht werden. Deswegen sollte die gesamte Neuroach- Tuber stellen sich in den T1-gewichteten Sequenzen hypoin-
se untersucht werden, da gehäuft intraspinale und paraspinale tens, in der T2-Wichtung und in der FLAIR-Sequenz hyperin-
Schwannome auftreten können. tens zur myelinisierten weißen Substanz dar. Tuber können auch
außerhalb des Rindenbandes heterotop liegen. Subependymale
Tuberöse Sklerose Noduli, kleine fokale Hamartome in subependymaler Lage, im-
Definition, Epidemiologie ponieren als kleine noduläre Vorwölbungen, die in den T2-ge-
Früher wurde die tuberöse Sklerose als Morbus Bourneville- wichteten Sequenzen hypo- und in den T1-gewichteten Sequen-
Pringle und in neuester Zeit auch als TSC (tuberous sclerosis zen leicht hyperintens im Vergleich zur noch nicht myelinisierten
complex) bezeichnet. Diese Krankheit gehört mit den Neurofi- weißen Substanz zur Darstellung kommen. Mit zunehmendem
bromatosen zu den häufigsten neurokutanen Syndromen. Die Alter neigen subependymale Knötchen zu Verkalkungen, diese
tuberöse Sklerose tritt in einer Inzidenz von ca. 1:20 000 auf, in Verkalkungen stellen sich oft schollig konfiguriert im CT dar und
der Hälfte der Fälle kann ein autosominal-dominanter Verer- führen zu Signalminderungen bzw. -auslöschungen in den T2-
bungsmodus nachgewiesen werden, der restliche Anteil der und T2*-gewichteten Sequenzen.
TSC-Erkrankungen geht auf neue Mutationen zurück. Bisher
9.2 · Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen des Gehirns
101 9

a b

. Abb. 9.42a–c. Tuberöse Hirnsklerose. a In den FLAIR-Sequenzen sind


die kortikalen Tubera als Signalintensitäten nachweisbar. b, c In der T1-
Wichtung nach KM-Applikation nehmen die subependymalen Knötchen
z. T. kräftig homogen KM auf, die Raumforderung am Foramen Monroi ist
verdächtig auf ein Riesenzellastrozytom

schrieben worden. Riesenzellastrozytome weisen ein deutliches


Enhancement nach Kontrastmittelgabe auf. Die Kontrastmittel-
Aufnahme ist jedoch kein Differenzierungskriterium zu unkom-
plizierten subependymalen Knötchen. Zur Beurteilung ist im
Verlauf besonders auf eine Größenprogredienz eines subependy-
malen Hamartoms zu achten, wobei dem Foramen Monroi als
bevorzugte Lokalisation der Riesenzellastrozytome besondere
Aufmerksamkeit gewidmet werden muss. Eine subependymale
Raumforderung mit einem Durchmesser >12 mm und einem
deutlichen Kontrastmittel-Enhancement ist verdächtig auf ein
c Riesenzellastrozytom.

Sturge-Weber-Syndrom
> Die wichtigste Differenzialdiagnose zu subependyma- Definition, Epidemiologie, Ätiologie
len Tuber ist die subependymale Heterotopie. Die He- Bei dem nach den britischen Ärzten William A. Sturge und Fre-
terotopie zeigt immer in allen Sequenzen isointenses derick Parkes Weber benannten Syndrom handelt es sich um eine
Signalverhalten zur grauen Substanz. Subependymale meningofaziale Angiomatose mit zerebralen Verkalkungen. Die
Noduli sind nicht kortexisointens in T2-gewichteten kongenitale Krankheit tritt meist sporadisch mit einer Häufigkeit
Sequenzen. von ca. 1:50 000 auf. Einzelne familiäre Fälle sind jedoch eben-
falls beschrieben, der Vererbungsmodus und der zugrunde lie-
Von einem Riesenzellastrozytom spricht man, wenn ein sube- gende genetische Defekt sind nicht bekannt.
pendymales Knötchen bei der tuberösen Sklerose eine deutliche
Wachstumstendenz aufweist. Riesenzellastrozytome treten bei Klinik
10% der Patienten auf (. Abb. 9.42). Sie liegen meist im Bereich Typisch für diese Erkrankung ist ein Naevus flammeus, eine Ek-
des Foramen Monroi und können dort zu einer Verlegung des tasie oberflächlicher Gefäße der Haut, deren Ursache in einem
Foramens mit einem konsekutiven Liquoraufstau des betrof- lokalen Verlust autonomer Gefäßinnervation vermutet wird. Die
fenen Seitenventrikels führen. Riesenzellastrozytome wachsen zentralen Veränderungen werden durch embryonale venöse Ge-
in der Regel verdrängend und nicht invasiv. In seltenen Fällen ist fäßmissbildungen des Cortex erklärt, die einerseits zu einer hy-
jedoch auch eine Entartung zu höhergradigen Astrozytomen be- poxischen Schädigung der Hirnrinde führen, andererseits die
102 Kapitel 9 · Gehirn

a b c

. Abb. 9.43a–c. Sturge-Weber-Syndrom. Die axialen T2w- (a) und die te piale Angiom mit angrenzender kortikaler Atrophie und deutlicher korti-
T1w-Sequenzen vor (b) und nach KM-Applikation (c) zeigen das ausgedehn- kaler Kontrastanhebung

9 kompensatorische Ausbildungen leptomeningealer Gefäßekta- myelinisierten Marklager zeigt sich zudem in den nativen T2-
sien bewirken. Durch die anatomische Nachbarschaft von gewichteten Sequenzen häufig eine relative Hypointensität in
Sehrinde, Augenanlage und Großhirn in der frühen embryo- dem Bereich des Marklagers, der direkt an das Angiom angrenzt.
nalen Periode lässt sich das häufig gemeinsame Auftreten von Im MRT lassen sich die pialen Angiome in T2-gewichteten Se-
okulärer und zerebraler Beteiligung erklären. quenzen meist als hypointense Areale darstellen, nach Kontrast-
Der Naevus flammeus tritt meist im Innervationsgebiet des mittelgabe zeigt sich hier ein lineares, oft z. T. aber auch flächiges
N. trigeminus auf und ist bereits bei Geburt vorhanden. Die Aus- Enhancement.
dehnung des Naevus ist unterschiedlich, betrifft jedoch immer Die zerebralen Verkalkungen, in der Regel verkalkter Cortex
das Gebiet des Stirnasts des N. trigeminus. Ebenso können die und subkortikales Marklager, zeigen sich am besten in T2-ge-
Schleimhäute von Mund, Larynx oder Pharynx mitbetroffen wichteten Sequenzen oder in CT-Aufnahmen. Meist lässt sich in
sein. Eine angiomatöse Veränderung der Choroidea ist ebenfalls dem betroffenen Areal eine Atrophie nachweisen, eine Hypotro-
häufig anzutreffen und kann zur Ausbildung eines Glaukoms phie des Plexus choroideus tritt lateral zum Angiom auf und zeigt
führen. oft auch ein verstärktes Enhancement. Erklärt wird dies durch
Bei rund 80% der Patienten mit Sturge-Weber-Syndrom tre- einen verstärkten Rückfluss über den Plexus choroideus. Die
ten Krampfanfälle auf, die meist schon im 1. Lebensjahr beginnen Angiome der Choroidea können mit einem verstärkten Enhance-
und als Folge der zerebralen Veränderungen angesehen werden. ment an der Bulbushinterwand nachweisbar werden. Oft zeigt
Bis zu zwei Drittel der Patienten zeigen eine mentale Retardie- sich bei diesen Patienten ein Pneumatosinus dilatans, d. h. eine
rung. Je nach Ausmaß und Lokalisation der zerebralen Beteili- über die Norm hinausgehende Erweiterung der Sinus frontales.
gung können im weiteren Verlauf neurologische Störungen auf- Die an das Angiom angrenzende Kalotte zeigt oft auch eine Ver-
treten, wie spastische Hemiparesen und sensorische Defizite. dickung.

Diagnostik
Ein Naevus flammeus des Gesichts stellt in der überwiegenden 9.3 Vaskuläre Erkrankungen
Mehrzahl der Fälle eine isolierte Anomalie dar, sind jedoch Stirn
und Oberlid mitbetroffen, muss an ein Sturge-Weber-Syndrom 9.3.1 Intrazerebrale Gefäßmalformationen
gedacht werden, insbesondere, wenn gleichzeitig zerebrale
Krampfanfälle auftreten. Intrazerebrale Gefäßmalformationen beinhalten:
4 V. Galeni-Anomalien
Bildgebung. Neben einer MR-Untersuchung sollten EEG und 4 arteriovenöse Malformationen (AVM)
augenärztliche Untersuchungen durchgeführt werden. Im MRT 4 Kavernome
(. Abb. 9.43) sollten neben T2-, FLAIR- und T1-gewichteten 4 durale arteriovenöse Fisteln
Aufnahmen vor und nach Kontrastmittelgabe auch T2*-gewich- 4 kapilläre Teleangiektasien
tete Sequenzen angefertigt werden. Auf diesen stellen sich die 4 venöse Anlagevarianten DVA (»developmental venous ano-
oben beschriebenen Verkalkungen als schmale, lineare Hypoin- malies«)
tensitäten im Bereich des Rindenbandes dar. In den nativen Se-
quenzen fällt oft auch eine Vergrößerung des ipsilateralen Plexus Obwohl einige familiäre Gefäßmalformationen beschrieben
choroideus auf. Bei Säuglingen mit einem noch nicht vollständig sind, tritt die überwiegende Mehrzahl spontan auf.
9.3 · Vaskuläre Erkrankungen
103 9
Klassifikation der vaskulären Malformationen in Hinweise auf eine Wasserretention zeigen sich in einer Makro-
den verschiedenen Altersgruppen kranie ohne Ventrikulomegalie. Klinische Konsequenzen sind
Die verschiedenen vaskulären Malformationen können in unter- meist neurokognitive Verzögerungen ohne direkte Korrelation
schiedlichem Alter symptomatisch werden. Der Zeitpunkt und zu dem Grad der Zunahme des Kopfumfangs. Ist die Erweite-
die Art der Therapie hängen u. a. vom Alter der Patienten ab. In rung der Suturen und die Erweiterung des Kopfumfangs zu ge-
diesem Abschnitt werden die Patienten in die folgenden Alters- ring im Vergleich zur intrakraniellen Druckzunahme, kommt es
gruppen eingeteilt: zu einer transependymalen Liquorresorption.
4 Fetalperiode Bei pialen arteriovenösen Malformationen zeigt sich oft eine
4 Neugeborenenperiode (bis zum 30. Tag) piale oder subarachnoidale venöse Stauung, die bei V. Galeni-
4 Kinder bis zum 2. Lebensjahr Malformationen – wenn überhaupt – dann erst sehr spät auftritt.
4 Ältere Kinder bis zum 18. Lebensjahr Bei den arteriovenösen Malformationen führt diese lokale ve-
4 Erwachsene nöse Stauung zu Ischämien, die sich in Anfällen und auch Blu-
tungen äußern können. Eine diffuse venöse Stauung durch eine
Fetalperiode Konstriktion der venösen Abflussbedingungen kann auch zu di-
In der Fetalperiode werden durch die Vorsorgeultraschallunter- rekten Hirnparenchymschädigungen führen. Eine adäquate The-
suchungen in zunehmendem Maße zerebrale Raumforderungen rapie kann die Progredienz dieser Symptomatik stoppen.
oder Zysten, aber auch vaskuläre Malformationen, wie eine V.-
Galeni-Malformation und eine durale Sinusmalformation, ent- Kinder bis zum 18. Lebensjahr
deckt. Dabei zeigt sich im Ultraschall oder in einer fetalen MR- In dieser Altersgruppe treten kardiale Symptome sehr selten auf.
Untersuchung oft eine Makrokranie. Gefäßmalformationen werden meist erst dann symptomatisch,
Eine Makrokranie kann sowohl bei einer V. Galeni-Malfor- wenn es zu einer Kompression des Mesencephalons und des
mation (VGAM) als auch bei einer duralen Sinusmalformation Aquädukts mit einem konsekutiven Hydrozephalus kommt. Ve-
(DSM) nachgewiesen werden. Der Nachweis einer Enzephalo- nöse Thrombosen können als Teil des so genannten »High-flow-
malazie hat erheblichen Einfluss auf die Diagnose und Prognose, Angiopathiephänomens« auftreten.
unabhängig von der Art der arteriovenösen Malformation. Eine
Kardiomegalie geht ebenfalls mit einer schlechteren Prognose Erwachsene
einher. Bei atypisch gelegenen Blutungen muss bei jungen Erwachsenen
stets an eine Gefäßmissbildung als Ursache gedacht werden, und
Neugeborenenperiode es müssen entsprechende diagnostische Maßnahmen durchge-
In diesem Alter zeigt sich ein grundlegender Unterschied zwi- führt werden.
schen einer V.-Galeni-Malformation und anderen arteriove-
nösen Malformationen, insbesondere pialen arteriovenösen V. Galeni-Malformationen
Malformationen. Malformationen der V. Galeni sind relativ selten. Es handelt sich
Früh auftretende neurologische Symptome bei V. Galeni- hierbei um kongenitale Verbindungen zwischen den intrakrani-
Malformationen sind meist Hinweis auf eine schlechte Progno- ellen Arterien, üblicherweise den Aa. thalamoperforantes, den
se. Die weiterführende Therapie ist abhängig vom Ausmaß der Choroidalarterien und der A. cerebri anterior mit der V. Galeni
neurologischen Symptome. Wird keine Therapie eingeleitet, oder mit primitiven Mittellinienvenen. V.-Galeni-Malformati-
kommt es bei der V. Galeni-Malformation innerhalb von Tagen onen können direkte größere Fistelverbindungen oder eine An-
oder Wochen zu einem Multiorganversagen und zu ausgedehn- zahl kleinerer Verbindungen darstellen. Die Ursache dieser ab-
ten zerebralen Läsionen. Bei der V. Galeni-Malformation sind normen Verbindungen ist unbekannt. In einigen Fällen wurde
Anfälle häufig Hinweis auf ischämische Hirnläsionen. V. Galeni- eine Venenanomalie mit fehlendem Sinus rectus und mit einem
Malformationen führen in der Regel rasch zu einer Herzinsuffi- persistierenden falzinen oder okzipitalen Sinus beobachtet. Da-
zienz, da die duralen Venen keinen Widerstand darstellen. Dies her wird eine intrauterine Thrombose des Sinus rectus mit Reka-
schützt jedoch andererseits das Gehirn vor einer retrograden ve- nalisation als Ursache diskutiert. Es konnte gezeigt werden, dass
nösen Kongestion. es sich bei der dilatierten venösen Struktur um die persistierende
Bei pialen arteriovenösen Malformationen sind Anfälle ein prosenzephale Vene von Markowski handelt. Zusätzlich konnte
erster Hinweis auf eine venöse Ischämie oder eine fokale Hämor- eine Assoziation mit bestimmten kardiovaskulären Anomalien,
rhagie. Bei diesen Patienten sollte eine schnelle Behandlung meist mit einer Koarktation des Aortenbogens und Atriumsep-
durchgeführt werden, um weitere Schädigungen des Hirnparen- tumdefekten, demonstriert werden.
chyms zu verhindern. Bei V. Galeni-Malformationen treten Hä- Es gibt 2 große Gruppen der V. Galeni-Malformationen:
morrhagien in dieser Altersgruppe so gut wie nie auf. 4 choroidale Malformationen
4 murale Malformationen
Kinder bis zum 2. Lebensjahr
In dieser Altersgruppe ist das venöse System noch nicht komplett Choroidale Malformationen. Über 90% der V. Galeni-Malfor-
ausgebildet. Die Pacchioni-Granulationen sind ebenfalls noch mationen sind choroidale Malformationen. Dabei handelt es sich
nicht vollständig entwickelt; es wird sogar angenommen, dass ein um eine arteriovenöse Verbindung zwischen der vorderen Wand
erhöhter Druck zu einer verzögerten Ausreifung führt. Erste der prosenzephalen Vene, die aus einer Anzahl von choroidalen,
104 Kapitel 9 · Gehirn

perikallösen und thalamoperforanten Gefäßen gespeist wird. Ty- chym hinweisen. Die Auswirkungen einer Hirnschädigung soll-
pischerweise zeigen die Neugeborenen eine Kardiomegalie mit ten sorgfältig analysiert werden. Die Eltern sollten vor der The-
Symptomen der Herzinsuffizienz. Choroidale Malformationen rapie über mögliche neurologische Entwicklungsverzögerungen
haben eine sehr schlechte Prognose und oft ein fatales Outcome, informiert werden.
wenn sie nicht adäquat behandelt werden. In der MRT stellt sich die Malformation in der Regel hypointens
dar, was auf die Signalauslöschung durch den schnellen Fluss in der
Murale Malformation. Die murale Malformation ist charakteri- arteriovenösen Malformation zurückzuführen ist (. Abb. 9.44).
siert durch wenige, üblicherweise 1–4, aber kaliberkräftige Ver- Die zuführenden Gefäße können als dünne Hypointensitäten, die
bindungen der prosenzephalen Venen, die aus der posteriorcho- zu dem Varixknoten führen, nachgewiesen werden.
roidalen Arterie gespeist werden. Patienten mit einer muralen Akute Thrombosen innerhalb der arteriovenösen Malforma-
Malformation der V. Galeni zeigen eine Entwicklungsverzöge- tion zeigen sich in den T1-gewichteten Sequenzen iso- und in
rung, einen Hydrozephalus und Anfälle, weisen normalerweise den T2-gewichteten Sequenzen hypointens zum Hirnparen-
jedoch nur milde oder keine Zeichen der Herzinsuffizienz auf. chym, während subakute Thrombosen in den T1- und T2-ge-
Die Gefäßmalformationen werden mit einer endovaskulären wichteten Sequenzen eine Signalanhebung zeigen. Läsionen des
Therapie angegangen, d. h. mit Verschluss der Kurzschlussver- Hirnparenchyms sind auf den T2- gewichteten Sequenzen in die-
bindungen. Murale Malformationen weisen häufig ein gutes sem Alter oft schwer nachweisbar. T1-gewichtete Sequenzen sind
Outcome mit einer geringen Morbidität auf. hierfür besser geeignet.

Klinik Therapie
Nach den klinischen Symptomen können 3 Gruppen eingeteilt Die Herzinsuffizienz sollte nach Möglichkeit vor einer Behandlung
9 werden: der arteriovenösen Malformation therapiert werden. Es hat sich
1. Neugeborene mit Herzinsuffizienz und intrakraniellen Ge- gezeigt, dass Neugeborene mit einer Herzinsuffizienz eine Morta-
räuschen lität von bis zu 90% aufweisen. Danach sollte eine interventionelle
2. Neugeborene mit Hydrozephalus und/oder Anfällen neuroradiologische Behandlung durchgeführt werden mit dem
3. Ältere Kinder oder junge Erwachsene Ziel, die Kurzschlussverbindungen zu verschließen. Alternativ be-
steht die Möglichkeit der chirurgischen Ligatur der Kurzschluss-
Die Patienten der Gruppe 1 haben typischerweise choroidale verbindungen – hier haben sich allerdings etwas schlechtere Resul-
Malformationen, während die Patienten der Gruppe 2 und 3 tate ergeben. Die V. Galeni-Malformation kann interventionell-
meist murale Malformationen der V. Galeni aufweisen. neuroradiologisch über einen transarteriellen oder transvenösen
Zugang behandelt werden. Die definitive kurative Behandlung ist
Bildgebung bei dem weniger häufig vorkommenden muralen Typ der V. Gale-
Durch die üblicherweise durchgeführten pränatalen Ultra- ni-Malformationen in bis zu 100% der Fälle möglich.
schalluntersuchungen werden viele V. Galeni-Malformationen
bereits intrauterin diagnostiziert. Im pränatalen Sonogramm Kavernome
zeigt sich eine große echoarme Raumforderung, die in der Dopp- Definition, Epidemiologie, Ätiologie
leruntersuchung einen sehr ausgeprägten Fluss aufweist. Wird Kavernöse Malformationen oder auch Kavernome (früher kaver-
eine solche Diagnose gestellt, sollte unverzüglich ein interventi- nöse Hämangiome genannt) zeigen typischerweise einen sinuso-
oneller Neuroradiologe, der mit dem Erkrankungsbild vertraut idalen, sphärischen Aspekt der Gefäße. Die Inzidenz der Kaver-
ist, hinzugezogen werden. Zeigt das Neugeborene Zeichen der nome liegt in der Bevölkerung bei etwa 0,5–1%. Eine genetische
nicht medikamentös therapierbaren Herzinsuffizienz, sollte es Prädisposition wird angenommen. Multiple Kavernome sind
sofort nach der Geburt oder innerhalb der ersten Lebenstage häufig anzutreffen und in diesen Fällen mit einer familiären Prä-
behandelt werden. In den postnatalen Ultraschalluntersu- disposition assoziiert. Der Gendefekt liegt auf dem Chromosom
chungen zeigt die V. Galeni-Malformation eine echoarme bis 7q. Bei familiärem Vorkommen kommt es in 50% zu multiplen
gering echogene Struktur in der Mittellinie, die manchmal den Kavernomen, während bei sporadischen Fällen die Inzidenz
vorderen Abschnitt des 3. Ventrikels verlagert. multipler Kavernome bei lediglich 13% liegt.
> Wichtig ist es, die Kontinuität zum Sinus rectus nach- Pathologie, Histologie
zuweisen.
Pathoanatomisch handelt es sich bei Kavernomen um livid-blaue,
Doppleruntersuchungen liefern Informationen über die Fluss- prall gefüllte und mit Endothel ausgekleidete Hohlräume. Häufig
geschwindigkeit der arteriovenösen Malformation. In der CT sind daneben verschiedene alte, z. T. hyalinisierte Thromben im
stellt sich der Varixknoten nativ iso- bis hyperdens zum Hirnpar- Präparat erkennbar. Zwischen den Hohlräumen findet sich kein
enchym dar. Eine gewisse Hyperdensität findet sich, wenn es zu Hirngewebe, das umgebende Hirnparenchym zeigt häufig Glio-
Thrombosen innerhalb der Malformation gekommen ist. Das sen. Kavernome haben eine sehr langsame Zirkulation; arteriove-
Hirnparenchym zeigt häufig Dichteminderungen, die auf eine nöse Shunts kommen normalerweise nicht vor. Das Kaliber der
sekundäre Ischämie bzw. auf eine beginnende Enzephalomalazie zuführenden Arterien und drainierenden Venen ist deshalb nor-
zurückzuführen sind. Andererseits können hyperdense Areale mal groß. Venöse Malformationen und kapilläre Teleangiektasien
auf eine Hämorrhagie oder dystrophe Verkalkungen im Paren- werden häufig neben Kavernomen nachgewiesen. Hieraus resul-
9.3 · Vaskuläre Erkrankungen
105 9

a b

. Abb. 9.44a, b. V. Galeni-Malformation. 13 Monate alter Säugling mit ist altersentsprechend. b Die Seitprojektion der DSA stellt die massiv erwei-
Verdacht auf V. Galeni-Malformation. a In den T2-gewichteten Aufnahmen terte A. chorioidea posterior und die Fistelverbindung zu dem venösen Sack
stellt sich ein hypointenses Areal, einer Signalauslöschung entsprechend, in dar. (Aus Radiologe 2003, 43:936, Abb. 1 b, d)
Projektion auf den Sinus sagittalis superior dar. Das übrige Hirnparenchym

tiert die Annahme, dass eine venöse Hypertension der obstruier- Ob weitere kleine Kavernome vorliegen, kann mit Gradien-
ten abfließenden Venen der Malformation die entsprechenden tenecho-Sequenzen beurteilt werden, die sehr sensitiv für Hämo-
Veränderungen in den venösen Gefäßen hervorruft. siderin und Verkalkungen sind (. Abb. 9.45). In einigen Fällen
kann die Differenzialdiagnose zu einem thrombosierten Aneu-
Klinik rysma, einem älteren Hämatom oder einer Tumorblutung schwie-
Das klinische Erscheinungsbild ist sehr variabel. Etwa 10–20% rig sein. Etwa 20% der in der MRT erkennbaren Läsionen weisen
der Patienten sind asymptomatisch, das Kavernom wird nur zu- angiographisch eine assoziierte Gefäßmissbildung auf, meist eine
fällig entdeckt. 30–50% der Patienten haben epileptische Anfälle, arteriovenöse Malformation oder eine angeborene venöse Ano-
wobei unklar ist, ob der Hämosiderinsaum als Folge rezidivie- malie (DVA). Da dies die Therapie beeinflussen kann, wird oft
render Blutungen den epileptogenen Fokus darstellt. Die meisten vorgeschlagen, bei Patienten, die eine Kavernomblutung erlitten
Kavernome werden allerdings erst im 3. bis 4. Lebensjahrzehnt haben, präoperativ eine Angiographie durchzuführen. In der An-
symptomatisch. Etwa 20% der Patienten mit einem Kavernom giographie selbst sind die Kavernome nicht nachweisbar, was als
erleiden eine intrakranielle Blutung. Die Blutungsinzidenz in der diagnostisches Kriterium herangezogen werden kann.
pränatalen Periode wird auf 0,25–0,7% geschätzt und ist damit
deutlich niedriger als bei der arteriovenösen Malformation.
Kavernom
Bildgebung 4 Pathologie: Sinusoidaler, sphärischer Aspekt von endo-
In der CT erscheinen Kavernome, falls sie nicht durch eine frische thelausgekleideten, dilatierten Gefäßen; kein normales
Blutung maskiert werden, als inhomogene Rundherde, die wenig Hirnparenchym innerhalb der Läsion; Blutungen unter-
Kontrast anreichern und oft stippchenförmige Verkalkungen auf- schiedlichen Alters nachweisbar.
weisen. Die höchste Sensitivität im Nachweis von Kavernomen 4 Lokalisation: 80% supratentoriell, kommen aber in jegli-
hat die MRT. Das Signalverhalten der Läsion wird bestimmt durch cher Lokalisation vor, 50–80% multipel.
die Mischung aus Blut in unterschiedlichen Abbaustufen und 4 Inzidenz: Liegt bei der normalen Bevölkerung etwa bei
Flussgeschwindigkeiten, intrinsischen Verkalkungen und reak- 0,5–1%, eine genetische Prädisposition wird angenom-
tiven Veränderungen des angrenzenden Parenchyms. Die meis- men, multiple Kavernome sind häufig anzutreffen und
ten Kavernome sind in der T1- und T2-gewichteten Sequenz sind dann assoziiert mit einer familiären Prädisposition.
zentral hyperintens mit randständigem hypointensem, hämosi- Der Gendefekt liegt auf dem Chromosom 7q.
derinhaltigem Randsaum. Das Zentrum der Kavernome kann ein 4 Klinische Symptome: Anfälle, fokal neurologische Defizi-
heterogenes Signalverhalten aufweisen, was im Wesentlichen auf te, Kopfschmerzen.
die unterschiedlichen Flussverhältnisse und den Anteil an Verkal- 4 Blutungsrisiko: 0,25–0,7%/Jahr und Kavernom.
kungen und Thrombosen zurückzuführen ist.
106 Kapitel 9 · Gehirn

a b c

d
. Abb. 9.45a–e. Kavernom. a In den T2-gewichteten Sequenzen zeigt sich
oberhalb des Trigonums rechts eine Raumforderung mit perifokalem fingerför-
migen Ödem. Die Raumforderung weist einen hypointensen Randsaum auf und
ist zentral inhomogen hyperintens. b In den T1-gewichteten Sequenzen vor KM-
Applikation stellt sich der in den T2-gewichteten Sequenzen hyperintense Anteil
der Raumforderung mit einer T1-Verkürzung hyperintens dar. Nach KM-Gabe
(nicht dargestellt) kommt es zu keinem wesentlichen zusätzlichen Enhancement.
c In den T2*-gewichteten Sequenzen stellt sich die Läsion vorwiegend hypoin-
tens dar mit leicht hyperintensem perifokalem Ödem. d DSA. e Schematische Dar-
stellung eines Kavernoms im Bereich des Pons mit multiplen eingeschlossenen
e
Blutabbauprodukten. Die Pfeile zeigen den Hämosiderin-/Ferritinrandsaum an

Therapie Kapilläre Teleangiektasien


Oberflächlich gelegene Kavernome können mit einer niedrigen Definition
Mortalität und Morbidität operiert werden. Normalerweise Kapilläre Teleangiektasien sind wahrscheinlich Varianten einer
wird man erst dann zu einer Operation raten, wenn nicht be- kapillären Malformation und vorwiegend im Hirnstamm lokali-
herrschbare, vom Kavernom ausgehende Anfälle vorliegen oder siert. Es handelt sich hierbei um eine Ansammlung dilatierter
wenn es zu rezidivierenden Blutungen gekommen ist. Asympto- Kapillaren, die durch normales Hirnparenchym separiert sind.
matische Kavernome ohne Blutungshinweis müssen nicht the- Sie bluten in der Regel sehr selten und werden meist zufällig bei
rapiert werden. Autopsien gefunden.
9.3 · Vaskuläre Erkrankungen
107 9

a b

. Abb. 9.46a–c. Kapilläre Teleangiektasie. 17-jähriges Mädchen mit un-


spezifischen Kopfschmerzen. a In der axialen T2w-MRT hyperintenses Areal
im Pons ohne Raumforderung. Vor KM-Gabe (nicht abgebildet) unauffällige
Darstellung der Pons in der T1w-Aufnahme, nach KM-Gabe zeigt sich ein
flaues Enhancement (b, c). Befund vereinbar mit einer kapillären Teleangi-
ektasie

desoxygeniertem Blut in den Gefäßen. Die Befundkombination


von schlechter Nachweisbarkeit in den Turbospinecho-Sequen-
zen und deutlicher Erkennbarkeit in der Gradientenecho-Se-
quenz sowie die Kontrastmittel-Anhebung ist typisch für kapil-
läre Teleangiektasien (. Abb. 9.46).
> Vermutlich sind kapilläre Teleangiektasien harmlose
Zufallsbefunde. Die seltenen Berichte über intrazere-
brale Blutungen sind wahrscheinlich eher auf assoziier-
te Kavernome zurückzuführen.

Kapilläre Teleangiektasien
4 Pathologie: Ansammlung dilatierter Kapillaren, die
durch normales Hirnparenchym separiert sind.
c 4 Lokalisation: Vor allem im Pons, Kleinhirn und Myelon;
können aber überall vorkommen.
4 Blutungsrisiko: Wenn überhaupt, dann sehr gering.

Bildgebung
In der CT sind die kapillären Teleangiektasien meist nicht zu Entwicklungsbedingte Venenanomalien
erkennen. In der MRT zeigen sich in den T2-gewichteten Se- (»developmental venous anomalies«)
quenzen erhöhte Signalintensitäten. In den T1-gewichteten Se- Definition, Ätiologie
quenzen sind kapilläre Teleangiektasien meist iso- bis hypoin- Venöse Malformationen, früher als venöse Angiome bezeichnet,
tens. Nach Kontrastmittelgabe ist typischerweise eine flaue, sind ähnlich wie die kapillären Teleangiektasien nicht als echte
manchmal feinfleckige Kontrastanhebung zu erkennen. In Gra- Malformationen, sondern als Anlagevarianten aufzufassen. Ma-
dientenecho-Sequenzen findet sich oft eine deutliche Hypoin- kroskopisch finden sich medusenhauptförmig erweitere Veno-
tensität, wahrscheinlich aufgrund des langsamen Flusses mit len, die in eine transzerebral verlaufenden Sammelvene drainie-
108 Kapitel 9 · Gehirn

. Abb. 9.47. DVA, schematische Darstellung. Zahlreiche vergrößerte me-


dulläre Venen (kleine Pfeile) tief innerhalb der weißen Substanz vereinigen
sich in der Nähe des Ventrikels zu einer vergrößerten transkortikalen Sam-
9 melvene (großer Pfeil). Diese Vene führt dann zum Sinus sagittalis superior
a

ren (. Abb. 9.47). Histologisch handelt es sich um eine primäre


Dysplasie der kapillären und der kleinen Venen oder um die Fol-
ge embryonal angelegter und später wieder verschlossener arte-
riovenöser Kurzschlüsse. Das zwischen den Gefäßstrukturen
interponierte Hirnparenchym ist unauffällig, wobei die Gefäße
oft weder Venen noch Arterien darstellen. Es handelt sich eher
um eine nichtpathologische Variante der venösen Drainage in
der weißen Substanz, daher wird jetzt anstatt von venösen Angi-
omen von angeborenen venösen Anomalien (DVA) gesprochen
(. Abb. 9.48, . Abb. 9.49).
Angeborene venöse Anomalien liegen bevorzugt im Frontal-
hirn und im Kleinhirn. Die venöse Venenanomalie (DVA) be-
steht aus radiär angeordneten, dilatierten Kollektorvenen, die
von normalem Hirnparenchym umgeben sind. Diese Kollektor-
venen, auch als Medusenhaupt bezeichnet, drainieren in eine
erweiterte Vene. Ein arteriovenöser Shunt ist normalerweise
nicht nachweisbar.

Epidemiologie
In Autopsiestudien ist die Inzidenz der angeborenen venösen
Anomalien mit 1,5% etwa 3- bis 4-mal so hoch wie die der arte-
riovenösen Malformationen.
b

Klinik . Abb. 9.48a, b. DVA. a Die T2w-Sequenz bei einem 16-jährigen Mädchen
In der Regel stellt die angeborene venöse Anomalie einen Zufalls- zeigt als Zufallsbefund ein hyperintenses Areal im Centrum semiovale
rechts. b In den T1w-Sequenzen nach KM-Gabe ist ein enhancendes Gefäß
befund dar und steht in keinem eindeutigen Zusammenhang mit
nachweisbar (»developmental venous anomaly«/DVA). (Aus: Radiologe
den klinischen Beschwerden, die zur Untersuchung geführt 2003, 43:940, Abb. 4 a,b)
haben. Dies gilt besonders für Patienten mit Kopfschmerzen.
Das Blutungsrisiko für intrazerebrale und subarachnoidale Blu-
tungen wird allgemein mit etwa 0,22% pro Jahr angegeben. Auf- Bildgebung
fällig ist dabei eine hohe Koinzidenz von angeborenen venösen In der Nativ-CT ist die angeborene venöse Anomalie häufig nicht
Anomalien mit Kavernomen. Die Blutungen stammen dann eher zu erkennen. Oft können erst in der Kontrastmittel-CT neben der
aus dem Kavernom und nicht aus der angeborenen venösen transzerebral verlaufenden Vene die medusenhauptförmigen, er-
Anomalie. weiterten Venolen sichtbar sein. Eine Raumforderung oder ein
9.3 · Vaskuläre Erkrankungen
109 9

a b

. Abb. 9.49a, b. DVA und Kavernom. 15-jährige Patientin mit einer Lä- b In den T1-gewichteten Sequenzen nach KM-Gabe zeigt sich eine mäßig
sion im Trigonum rechts. a In den T2-gewichteten Sequenzen zeigt sich ein ausgeprägte Hyperintensität, die am ehesten kleinen Verkalkungen bzw.
hypointenser Saum mit hypo-, nahezu hirnisointensem Zentrum mit nur Blut im Methämoglobinstadium entspricht, zusätzlich zeigt sich eine DVA
geringer raumfordernder Wirkung auf das umgebende Hirnparenchym.

DVA, developmental venous anomaly


4 Pathologie: Nicht als echte Malformationen zu bezeich-
nen, sondern als Anlagevariante aufzufassen. Die venöse
Malformation besteht aus einer radiär angeordneten, di-
latierten Kollektorvene, die von normalem Hirnparen-
chym umgeben ist.
4 Lokalisation: Bevorzugte Lokalisation der DVA ist das
Frontalhirn und das Kleinhirn.
4 Klinische Symptome: Meist asymptomatisch.
4 Bildgebung: In der Nativ-CT ist die drainierende Sammel-
vene der DVA oft nicht zu erkennen, erst in der Kontrast-
mittel-CT können neben der transzerebral verlaufenden
Vene meist die medusenhauptförmigen, erweiteren Ve-
nolen sichtbar sein. Keine Raumforderung, kein Perifokal-
ödem. In der MRT sind die Gefäßstrukturen als typische
Signalauslöschungen nachweisbar, in den T1-gewichte-
ten Bildern nach Kontrastmittelgabe stellen sich die Sam-
melvene und die erweiterten Venolen hyperintens dar.
. Abb. 9.50. Angiom, schematische Darstellung. Die kegelförmige Struktur
der arteriovenösen Malformation besteht aus Arterien und Venen, die Basis
liegt an der Hirnoberfläche, die Spitze zeigt in Richtung des lateralen Ventri-
Perifokalödem sind nicht nachweisbar. In der MRT sind die Gefäß- kels. 1: AVM-Nidus, 2: Vergrößerte kortikale drainierende Venen, 3: Venöse Va-
strukturen als typische Signalauslöschungen nachweisbar. In den rize, 4: Aneurysma innerhalb des Nidus, 5: Aneurysma an der Bifurkation der
A. cerebri media, 6: Vergrößerte Feeder der A. cerebri anterior und media,
T1-gewichteten Sequenzen nach Kontrastmittelgabe stellen sich 7: Vaskulopathie mit fokalen Stenosen der Feeder-Arterien, 8: vaskulopathi-
die Sammelvene und die erweiterten Venolen hyperintens dar. sche Veränderungen der drainierenden Vene
Angiographisch zeigen sich in der venösen Phase eine oder
mehrere pathologisch erweiterte, intrazerebrale Venen, die das
Blut in eine Sammelvene nach außen zu den Brückenvenen und eine arteriovenöse Gefäßmissbildung oder ein Kavernom vor-
zu den inneren Hirnvenen drainieren. Nur in der MRT sind mit liegt (. Abb. 9.49, Übersicht).
der angeborenen venösen Anomalie assoziierte Kavernome si-
cher identifizierbar. Eine digitale Subtraktionsangiographie Arteriovenöse Malformationen
(DSA) ist bei typischem CT- oder MRT-Befund nicht indiziert. Die Inzidenz der arteriovenösen Malformationen beträgt etwa 2
Zeigt sich jedoch eine Blutung, sollte der Patient angiographiert pro 100 000 Einwohner. Charakteristisch ist die direkte Kommu-
werden, um eine zusätzliche arteriovenöse Gefäßmissbildung nikation zwischen Arterien und Venen. Nach klassischen Eintei-
nicht zu übersehen. Eine Indikation zur Operation einer angebo- lungen wird nicht zwischen duralen und pialen arteriovenösen
renen venösen Anomalie ist nur dann gegeben, wenn zusätzlich Malformationen unterschieden. Beide werden unter dem Begriff
110 Kapitel 9 · Gehirn

a b
9

c d

. Abb. 9.51a–d. Angiom. a In den T2w-Sequenzen zeigt sich rechts tem- ßend durchgeführten digitalen Subtraktionsangiographie (in a.p.-Projekti-
poral eine inhomogene Struktur mit girlandenartigen hypointensen Gebil- on) zeigen sich die kräftige A. cerebri media und 2 kräftige Mediaäste, die
den, die großen Gefäßen und drainierenden Venen entspricht. Kein Ödem zum Angiomnidus führen. Die venöse Drainage erfolgt über kortikale Ve-
und keine Raumforderung nachweisbar. b In der MR-Angiographie (TOF) nen. d Zustand nach Embolisation mit einem Flüssigembolisat (Onyx). In a.
stellt sich die A. cerebri media rechts sehr kräftig dar. Zwei größere zufüh- p. sind keine zuführenden Gefäße und keine frühe drainierende Vene nach-
rende Äste führen zu dieser arteriovenösen Malformation. c In der anschlie- weisbar. Das Angiom ist komplett verschlossen

des Angioms subsummiert, wobei der ätiologische und pathoge- Ursache für die hohe Blutungsneigung, denn die Drainagevenen
netische Unterschied der beiden Erkrankungen nicht berück- sind dadurch unmittelbar dem arteriellen Druck ausgesetzt. Als
sichtigt wird (. Abb. 9.50, . Abb. 9.51). Folge des venösen Hochdrucks bilden sich häufig venöse und
arterielle Aneurysmen sowie Stenosen in den Drainagevenen.
Piale arteriovenöse Malformationen
Histologisch bestehen arteriovenöse Malformationen aus Arte- Epidemiologie, Pathogenese und Klinik
rien, Venen und interponierten, primitiv aufgebauten Gefäßen. Über 50% der arteriovenösen Malformationen manifestieren sich
Normale Kapillaren fehlen in der Regel. Dies ist wahrscheinlich klinisch durch eine Blutung, die meist intrazerebral auftritt (63%),
9.3 · Vaskuläre Erkrankungen
111 9
bei 32% der Fälle subarachnoidal, bei 6% rein intraventrikulär. Ein formationen auf, die zu Stenosen oder Okklusionen der zufüh-
Viertel bis zwei Drittel aller Patienten mit arteriovenösen Malfor- renden zerebralen Gefäße geführt haben. Arteriovenöse Malfor-
mationen leiden unter epileptischen Anfällen. Arteriovenöse Mal- mationen in der Okzipitalregion sind besonders häufig mit Mig-
formationen haben ein jährliches Blutungsrisiko von etwa 2–4%. räneattacken mit visuellen Symptomen assoziiert.
Die Blutungshäufigkeit hängt von der Größe, der Lage und der Progrediente neurologische Symptome treten bei einem
venösen Drainagesituation ab. Die Wahrscheinlichkeit des Angi- geringen Prozentsatz der Kinder mit arteriovenösen Malforma-
ompatienten, eine tödliche oder aber mit erheblichen Defiziten tionen auf, insbesondere dann, wenn die Malformation sehr groß
einhergehende intrazerebrale Blutung zu erleiden, liegt kumulativ und nahe am Cortex gelegen ist. In diesen Fällen wird das so
bei 2,7% pro Jahr. Blutungen sind oft die ersten Symptome einer genannte vaskuläre Steal-Phänomen als Ursache diskutiert. Eine
arteriovenösen Malformation (>50%). Sie liegen oft in Hirnregi- andere Ursache für neurologische Defizite ist eine venöse Hyper-
onen, die von hypertensiven Blutungen nur selten betroffen sind. tension. Sie kann so ausgeprägt sein, dass es durch den hohen
Die Mortalität einer initialen Blutung einer arteriovenösen venösen Druck zu einer Malresorption des Liquors mit einem
Malformation wird mit 10% angegeben, die Morbidität zwischen konsekutiven Hydrozephalus kommt.
30 und 50%. Mortalität und Morbidität nehmen mit jeder Blu-
tung weiter zu. Die arteriovenösen Malformationen sind Ursache Bildgebung
von bis zu 40% der spontanen intrakraniellen Blutungen bei jün- Die Nativ-CT kann erste Hinweise geben, v. a. wenn Verkal-
geren Patienten. Oberflächliche Malformationen können in den kungen, fokale Atrophien oder tubuläre hypodense Strukturen,
Subarachnoidalraum einbluten, tiefere Malformationen können die Gefäßen entsprechen, nachweisbar sind. Lineare oder stipp-
eine intraventrikuläre Blutung hervorrufen. Symptomatische Va- chenförmige Verdichtungen und irreguläre Parenchymhypoden-
sospasmen und eine Reblutung können dann auftreten, wenn die sitäten sind hier oft die einzigen Hinweise auf eine arteriovenöse
Blutungsursache ein flussassoziiertes Aneurysma war. Das Risi- Malformation. Nach i. v.-Kontrastmittelgabe kommt es zu einer
ko einer Reblutung einer arteriovenösen Malformation ist bei kräftigen Dichteanhebung der Gefäße, wobei sich die dilatierten
Kindern höher als bei Erwachsenen. Bei Kindern <15 Jahren Drainagevenen deutlich darstellen. Im akuten Stadium der intra-
stellen die arteriovenösen Malformationen die häufigste Ursache zerebralen Blutung kann der Nachweis einer arteriovenösen
einer intrakraniellen spontanen Blutung dar. Sie machen etwa Malformation durch die Blutung maskiert sein.
20% aller Schlaganfälle im Kindesalter aus. In der MRT sind neben den Folgen vorangegangener Blu-
Arteriovenöse Malformationen können mit dem Alter an tungen (Hämosiderin) auch eine Gliose und eine Signalauslö-
Größe zunehmen und eine progrediente Dilatation der zufüh- schung durch die Gefäßkonvolute sichtbar. Wie bei den Durafis-
renden Arterien und drainierenden Venen aufweisen. Aufgrund teln handelt es sich um Gefäßfehlbildungen mit schnellem Fluss.
des hohen Shuntvolumens kann es zu einer Hypoperfusion von Das in den drainierenden Venen noch schnell fließende Blut
noch normalem Hirnparenchym kommen mit daraus resultie- stellt sich als Areal überwiegender signalleerer, punktförmiger
render Gliose und Atrophie – dies wird als so genanntes Steal- Strukturen dar.
Phänomen bezeichnet. Der schnelle Fluss in den zuführenden In der MR-Angiographie, evtl. als »Time of-flight-(TOF-)
Arterien kann auch zu arteriellen Aneurysmen führen, ähnlich Technik« oder als kontrastmittelangehobene MR-Angiographie,
den klassischen sakkulären Aneurysmen am Circulus arteriosus lassen sich der Nidus und die zuführenden Arterien bzw. drai-
Willisii. Der hohe Druck und die Scherkräfte sowie der turbu- nierenden Venen oft gut nachweisen.
lente Fluss können zu einer Stenosierung oder Okklusion der
> Die intraarterielle DSA (als Panangiographie) ist in der
drainierenden Venen führen, insbesondere an den Einmün-
Diagnostik von arteriovenösen Malformationen trotz
dungsstellen in die duralen Sinus. Proximal der venösen Steno-
CT, MRT und MRA unverzichtbar. Die zuführenden Ge-
sen können so genannte Varizen oder venöse Aneurysmen auf-
fäße, die Hämodynamik sowie die Drainage sind bisher
treten und Blutungen verursachen. Arteriovenöse Malformati-
nur angiographisch optimal nachweisbar.
onen können auch zu einem raumfordernden Effekt führen.
Arteriovenöse Malformationen werden – neben den o. g. Eine häufig verwendete Klassifikation der Angiome, die das thera-
Blutungen – klinisch auffällig durch Anfälle, Kopfschmerzen, peutische Risiko des einzelnen Patienten berücksichtigt, ist die
progrediente neurologische Defizite oder Hydrozephalus. Etwa Einteilung der arteriovenösen Malformationen nach Spetzler
20% der Patienten werden vor dem 20. Lebensjahr symptoma- und Martin (. Tab. 9.3). Die Angiome werden anhand der Größe
tisch. Anfälle treten bei etwa 70% der Patienten mit arteriove- der arteriovenösen Malformation, der Lokalisation und der ve-
nösen Malformationen auf, wobei die Hälfte der Patienten einen nösen Drainage unterschieden (Übersicht). Zerebrale arteriovenö-
generalisierten Anfall zeigt. Am häufigsten sind Anfälle bei arte- se Malformationen werden ganz oder vorwiegend von hirnversor-
riovenösen Malformationen, die im zerebralen Cortex auftreten: genden Arterien gespeist. An den Angiom-zuführenden Gefäßen
Ursache dieser Anfälle ist häufig eine Gliose nach einer vorange- sind oft Aneurysmen nachweisbar. Intranidale Aneurysmen lassen
gangenen Blutung oder ein so genanntes vaskuläres Steal-Phäno- sich meist nur durch die intraarterielle DSA darstellen.
men mit konsekutiver Ischämie.
Chronisch wiederkehrende Kopfschmerzen können eben- Therapie
falls bei arteriovenösen Malformationen auftreten und werden Die Entscheidung, eine Behandlung einer symptomatischen ar-
wahrscheinlich durch hypertrophierte durale Gefäße verursacht. teriovenösen Malformation durchzuführen, muss den natür-
Kopfschmerzen treten v. a. bei peripheren arteriovenösen Mal- lichen Verlauf der Erkrankung sowie die Risiken und den Nutzen
112 Kapitel 9 · Gehirn

. Tab. 9.3. Grading-System für piale AV-Malformationen nach Piale arteriovenöse Malformationen
Spetzler und Martin 4 Pathologie: Kongenital (multipel bei Wyburn-Mason-
Größe der AV-Malformation
und Rendu-Osler-Weber-Syndrom); dilatierte Arterien
und Venen ohne Kapillarbett, meist gliotisches Hirnpar-
Klein (<3 cm) 1 enchym. Flussbedingte Aneurysmen in etwa 10–12% der
Mittel (3–6 cm) 2
Fälle nachweisbar.
4 Lokalisation: 85% supratentoriell, 15% infratentoriell.
Groß (>6 cm) 3 4 Klinische Symptome: Blutungsrisiko 2–3% pro Jahr; An-
fälle in etwa 25% der Fälle.
Betroffene Hirnregion

Nicht eloquent 0
Durale arteriovenöse Fisteln
Eloquent 1
Unter einer duralen arteriovenösen Fistel (DAVF) versteht man
Muster der venösen Drainage direkte arteriovenöse Kurzschlussverbindungen innerhalb der
Ausschließlich oberflächliche Venen 0
Dura (. Abb. 9.52). Diese bestehen zwischen duralen Arterien
oder leptomeningealen Ästen pialer Arterien und einem duralen
Tiefes Venensystem 1 Sinus, duralen oder leptomeningealen Venen.

9 der Therapie berücksichtigen. Die wesentlichen therapeutischen Einteilung der duralen AV-Malformationen
Behandlungsansätze können in 3 Kategorien eingeteilt werden: nach Djindjian
4 Chirurgische Exzision 4 Typ I: Unmittelbare Drainage in einen duralen Sinus mit
4 Radiochirurgie normaler Flussrichtung
4 Endovaskuläre Embolisation der arteriovenösen Malforma- 4 Typ II: Normale Drainage wie bei Typ I, allerdings mit
tionen Reflux in eine Brückenvene
4 Typ III: Direkte Drainage in eine Brückenvene
Oft wird eine Kombination dieser Techniken durchgeführt 4 Typ IV: Drainage in einen venösen Pouch, der auch
(s. u.). Durch die Verbesserung der mikrochirurgischen Opera- raumfordernd sein kann
tionstechniken können auch große und komplexe Malformati-
onen mit einer relativ geringen Morbidität und Mortalität be-
handelt werden. Die komplette Exzision oder Ausschaltung des
Nidus der Malformation ist das Ziel jeder Therapie. Die Radio-
chirurgie produziert hypoplastische Veränderungen in den Ge-
fäßwänden der arteriovenösen Malformation. Eine komplette
Okklusion einer arteriovenösen Malformation kann v. a. bei ei-
ner Nidusgröße <3 cm erreicht werden. Der größte Nachteil der
radiochirurgischen Technik ist, dass innerhalb der ersten 1–
2 Jahre nach stereotaktischer Bestrahlung das Blutungsrisiko
weiterhin besteht. Um strahleninduzierte Schädigungen des
umgebenden Hirnparenchyms weitgehend zu vermeiden, wer-
den in der Regel nur stereotaktische Einzeitbestrahlungen mit
einem Linearbeschleuniger oder einem Gamma-Knife durchge-
führt.
Endovaskuläre Techniken haben sich als die dritte Therapie-
modalität etabliert. Eine komplette angiographische Obliteration
einer großen arteriovenösen Malformation ist oft nicht möglich.
Kleinere arteriovenöse Malformationen können auch endovas-
kulär komplett verschlossen werden. Häufig wird eine kombi-
nierte Behandlung durchgeführt. Dabei werden die tiefen und
chirurgisch nicht erreichbaren, zuführenden Gefäße der arterio-
venösen Malformationen embolisiert, um anschließend die chi-
rurgische Exstirpation zu erleichtern. Diese präoperative Embo-
. Abb. 9.52. Durale AV-Fistel, schematische Darstellung.1: Die durale AV-Fis-
lisation kann die Größe und den Druck innerhalb des Nidus
tel wird durch ein Netz von duralen Arterien und Venen an der Wand des Si-
reduzieren und so die operative Exzision erleichtern und den nus transversus und sigmoideus gebildet. 2: Die gepunktete Linie deutet das
intraoperativen Blutverlust minimieren. verschlossene Lumen des Sinus an. 3: Blutzuflüsse (Feeder) der Fistel kommen
auch von den okzipitalen, retroaurikulären und vertrebralen Arterien
9.3 · Vaskuläre Erkrankungen
113 9
Ätiologie, Klinik nismus der Vasa vasorum der entsprechenden Nerven aus du-
Bei Erwachsenen und bei Kindern zeigt sich bei duralen arterio- ralen Arterien. Papillenödeme sind oft Ausdruck eines erhöhten
venösen Fisteln ein breites Spektrum an klinischen Symptomen, Drucks im venösen System. Ophthalmoplegische Symptome
abhängig von der Lokalisation, Größe und venösen Drainage können ebenfalls als Lokalbefund bei Fisteln des Sinus caverno-
bzw. dem arteriovenösen Shunt. Die Ursachen für durale arteri- sus vorkommen. Seltener verursachen durale arteriovenöse Fis-
ovenöse Fisteln werden kontrovers diskutiert. Einige Fisteln im teln auch einen Pseudotumor cerebri oder eine akute Visusver-
Bereich des Sinus transversus und sigmoideus sind erworben schlechterung.
und Folge einer duralen Sinusthrombose. Mehrere genetische
Faktoren, die zu einer Hyperkoagulabilität führen, gehen mit Bildgebung
einem gehäuften Vorkommen duraler arteriovenöser Fisteln in Die Diagnose einer duralen arteriovenösen Fistel ist nur mit der
unterschiedlicher Lokalisation einher. Selten gibt es bei Kindern intraarteriellen DSA möglich, da diese den arteriellen Zufluss,
auch kongenitale durale arteriovenöse Fisteln. Bei diesen konge- die genaue Lokalisation und Lage sowie den venösen Abfluss
nitalen Fisteln zeigen sich oft eine größere arteriovenöse Verbin- zeigt. In der CT und MRT können manchmal erweiterte Draina-
dung und ein erhöhter Fluss im Vergleich zu den erworbenen gevenen erkennbar sein. Eine Unterscheidung zwischen pialen
duralen arteriovenösen Fisteln bei Erwachsenen. Die Ursache und duralen arteriovenösen Malformationen ist hier aber oft
der kongenitalen duralen Malformationen ist unbekannt. nicht möglich. Bei einer Karotis-Sinus cavernosus-Fistel zeigen
Durale Malformationen in der Pädiatrie werden meist bereits CT und MRT auf der Läsionsseite oft einen Exophthalmus und
bei Neugeborenen diagnostiziert. Häufig zeigen sie ähnliche die gut identifizierbare, dilatierte V. ophthalmica. Liegt ein ve-
Symptome wie eine V.-Galeni-Malformation mit Makrozephalie, nöser Abfluss auch posterobasal vor, dann ist eine durale arteri-
Herzinsuffizienz, Gefäßgeräuschen, erhöhtem intrakraniellem ovenöse Fistel in den üblichen Turbospinecho-Sequenzen kaum
Druck und Hämorrhagien sowie erweiterten Venen im Kopfbe- nachweisbar.
reich. Die Kombination aus einer Makrozephalie, erweiterten Große Durafisteln der Schädelbasis nahe am Sinus sind com-
Skalpvenen und einer Herzinsuffizienz sollte den Verdacht auf putertomographisch oft nicht erfassbar und auch in der MRT-
eine vaskuläre intrakranielle Malformation lenken. Diagnostik problematisch. Bei einer ausgeprägten Arterialisie-
Intrakranielle Blutungen sind die schwerwiegendste Kom- rung kann im Sinus ein Signalverlust durch den schnellen Fluss
plikation einer duralen arteriovenösen Fistel. Die Blutung kann eintreten, was bei duralen Fisteln am Sinus cavernosus am leich-
sowohl nach intrazerebral, subdural, aber auch nach subarach- testen nachweisbar ist. Führt der Shunt ausnahmsweise in die
noidal erfolgen. Bei subkortikal gelegenen, ätiologisch unklaren Oberflächenvenen des Gehirns, so entstehen in der CT und MRT
intrazerebralen Blutungen, bei Subarachnoidalblutungen ohne Bilder wie bei pialen arteriovenösen Malformationen.
Aneurysmanachweis und bei akuten Subduralhämatomen ohne
> Durale arteriovenöse Fisteln des Sinus transversus ge-
adäquates Trauma sollte auch an eine durale arteriovenöse Fistel
hen häufig mit einer Sinusthrombose einher, sodass
gedacht werden.
mitunter der Nachweis der Sinus transversus-Thrombo-
Die Blutungsneigung der duralen arteriovenösen Fisteln
se ein entscheidender Hinweis darauf sein kann.
hängt im Wesentlichen von der venösen Drainage ab. Die indivi-
duelle Abschätzung des Blutungsrisikos und damit die Indikati- Therapie
on zu therapeutischen Maßnahmen wird entscheidend von ih- Eine zerebrale Panangiographie ist erforderlich, um ein endovas-
rem angiographischen Bild beeinflusst. Um das Blutungsrisiko kuläres Vorgehen zu planen. Dies kann entweder transarteriell
besser abschätzen zu können, wird eine angiographische Typisie- oder transvenös erfolgen. Eine operative Therapie wird seltener
rung der duralen arteriovenösen Fistel vorgenommen. angewendet. In letzter Zeit gibt es Hinweise, dass auch eine Ra-
Intrazerebrale Blutungen treten bei duralen arteriovenösen diatio des Fistelpunkts zu guten Ergebnissen führt.
Fisteln mit kortikaler venöser Drainage besonders häufig auf. Die
Blutungsinzidenz dieses Drainagetyps liegt bei über 40%. Mög- Intrakranielle Aneurysmen
licherweise liegt die Blutungsinzidenz noch höher, denn bei Ätiologie
einem Teil der Patienten sind anamnestisch erhobene Kopf- Intrakranielle Aneurysmen stellen keine angeborenen Erkran-
schmerzereignisse Folge einer Mikroblutung. Das Blutungsrisiko kungen dar. Es wird davon ausgegangen, dass eine Kombination
kann auch anhand der Lokalisation der duralen arteriovenösen bestimmter Faktoren für die Entwicklung eines Aneurysmas, ins-
Fistel eingeschätzt werden. Diejenigen in der vorderen Schädel- besondere vom sakkulären Typ, verantwortlich sind (. Abb. 9.53).
grube weisen meist eine venöse Drainage über Brückenvenen in Es ist mittlerweile nachgewiesen, dass Hypertonus, Zigaretten-
den Sinus sagittalis superior oder den Sinus cavernosus auf und rauchen und Kontrazeptiva die Ausbildung eines Aneurysmas
haben damit ein deutlich höheres Blutungsrisiko (84%). begünstigen. In der Regel dauert es 15 Jahre, bis sich ein Aneurys-
Durale arteriovenöse Fisteln verursachen deutlich häufiger ma ausgebildet hat. Andererseits gibt es eine Reihe von Erkran-
als piale arteriovenöse Malformationen Symptome, die nicht kungen, bei denen aufgrund einer Wandschwäche der Gefäße
durch eine Blutung hervorgerufen werden. Der turbulente gehäuft Aneurysmen auftreten. Diese Faktoren spielen wahr-
Fluss in den drainierenden Venen und im Nidus bedingt oft ein scheinlich eine entscheidende Rolle in der Ätiologie bei Aneurys-
pulssynchrones Ohrgeräusch, v. a. wenn die Drainage in unmit- men im Kindesalter. Das gehäufte Auftreten von Aneurysmen mit
telbarer Nachbarschaft des Felsenbeins liegt. Beschrieben sind infektiösem und traumatischem Ursprung bei Kindern impli-
auch Hirnnervenausfälle, vermutlich durch einen Steal-Mecha- ziert, dass die Gefäße hierfür anfälliger sind als im Erwachsenen-
114 Kapitel 9 · Gehirn

9 a b

. Abb. 9.53a–c. Aneurysma. 17-jähriger Junge mit plötzlich aufgetrete-


nen Kopfschmerzen. a Die CT zeigt eine ausgeprägte Subarachnoidalblu-
tung mit beginnender Liquorzirkulationsstörung. b In der DSA stellt sich
dann ein Aneurysma der A. communicans anterior dar. c Das Aneurysma
wurde mit GDC-Coils endovaskulär verschlossen. (Aus Radiologe 2003,
43:944, Abb. 7 a–c)

4 höhere Inzidenz traumatischer und infektiös bedingter An-


eurysmen
4 höhere Inzidenz spontaner Thrombosen

Mit zunehmendem Alter werden diese Unterschiede geringer.

Epidemiologie
Die Inzidenz intrakranieller Aneurysmen in der Bevölkerung
variiert zwischen verschiedenen Ländern und Kontinenten und
beträgt 4,9% in Nordamerika, Europa und Japan und nur 0,2% in
einigen Ländern des mittleren Ostens.
Die intrakraniellen Aneurysmen in der pädiatrischen Alters-
c gruppe machen <5% aller intrakraniellen Aneurysmen in der Be-
völkerung aus. Es gibt keine Angaben über inzidenziell entdeckte
Aneurysmen im Rahmen von Autopsiestudien an Kindern. Einer
alter. Andererseits muss davon ausgegangen werden, dass die höheren Inzidenz intrakranieller Aneurysmen beim weiblichen
Gefäße bei Kindern eher eine »Heilung« der Aneurysmen be- Geschlecht im Erwachsenenalter steht bei Kindern ein umgekehr-
günstigen als bei Erwachsenen, da es zahlreiche Berichte über tes Verhältnis gegenüber: Hier zeigt sich ein vermehrtes Auftreten
spontane Thrombosen bei Aneurysmen im Kindesalter gibt. bei Jungen in einem Verhältnis von 3:1, v. a. bei Kindern <8 Jahren
Die Aneurysmen im Kindesalter zeigen einige Abwei- (s. o.). In der Gruppe der 10- bis 20-Jährigen beträgt das Verhältnis
chungen von Aneurysmen im Erwachsenenalter: noch 1,2:1. Das Verhältnis kehrt sich im 5. Lebensjahrzehnt um,
4 ein Überwiegen bei Jungen im Verhältnis 3:1 hier sind dann etwas mehr Frauen als Männer betroffen. Mit zu-
4 eine höhere Inzidenz ungewöhnlicher Lokalisation, z. B. mit nehmendem Alter nimmt der Anteil der Frauen weiter zu.
etwa 15% in der hinteren Zirkulation, gehäuft peripheres
Auftreten Pathogenese
4 Prädilektion der Karotisbifurkation (31–54%) Es wird davon ausgegangen, dass bei Kindern etwa 75% der An-
4 gehäuftes Auftreten von großen und Riesenaneurysmen (20%) eurysmen den sakkulären Typ aufweisen. Sie treten meist an Ge-
4 geringere Inzidenz multipler Aneurysmen (2%) fäßaufteilungsstellen auf. Prädilektionsstellen sakkulärer Aneu-
4 geringere Morbidität rysmen bei Erwachsenen sind die Gabelung der A. communicans
9.3 · Vaskuläre Erkrankungen
115 9
anterior mit der A. cerebri anterior, die Aufzweigung der A. com-
municans posterior mit der A. carotis interna sowie die Bifurkati-
on der A. cerebri media. Sie treten v. a. an der Schädelbasis auf.
Des Weiteren kommen sakkuläre Aneurysmen am Basilaris-
kopf und an der Aufteilung der A. basilaris mit der A. cerebelli
superior oder der A. cerebelli anterior inferior vor. In 85% der
Fälle treten die Aneurysmen im Circulus arteriosus Willisii auf.
10–30% der erwachsenen Patienten haben multiple Aneurys-
men, in 10–20% findet sich ein weiteres Aneurysma in iden-
tischer Lokalisation auf der kontralateralen Seite.
Bei der Entstehung eines Aneurysmas kommt es meist zur
Ausbildung eines Halses und eines Aneurysmasacks. Die Weite des
Halses und die Größe des Aneurysmasacks sind entscheidende
Faktoren für die weitere therapeutische Planung. Die Lamina elas-
tica interna verschwindet im Bereich des Aneurysmahalses, die
Media verdünnt sich. An der Rupturstelle, welche meist im Bereich
des Aneurysmasacks auftritt, verdünnt sich die Wand auf <0,3 mm,
der Riss ist oft nicht länger als 0,5 mm. Bei welchen Aneurysmen
es zu einer Blutung kommt, ist nicht vorhersehbar. Mehrere Studi-
en deuten aber darauf hin, dass Aneurysmen mit einer Größe
>7 mm eine höhere Rupturwahrscheinlichkeit besitzen. . Abb. 9.54. Riesenaneurysma. 26-jähriger Patient mit Augenmuskelpare-
Bei Patienten <20 Jahren treten häufig traumatische Aneu- se. Im petrösen Segment der A. carotis interna ist ein nach lateral gerichtetes,
rysmen auf. Sie machen ungefähr 5–15% bei den pädiatrischen ca. 18×25 mm großes Aneurysma nachweisbar (paralytisches Aneurysma)
Aneurysmen aus. Die spontane Heilungstendenz dieser trauma-
tischen Aneurysmen wird mit bis zu 20% angegeben. 40% der
traumatischen Aneurysmen liegen im Bereich der A. cerebri an- borenen oder rheumatischen Herzerkrankungen auf. Es gibt
terior, 35% finden sich in den großen Gefäßen der Schädelbasis auch einige Berichte über intrakranielle Aneurysmen bei HIV-
und etwa 25% sind distal in der Peripherie zu finden. Die meisten Infektion. Hier finden sich meist fusiforme Aneurysmen, die
der Kinder hatten etwa 3–4 Wochen nach dem Traumaereignis anscheinend oft im Verlauf einer opportunistischen Infektion
eine intrakranielle Blutung. Über 70% hatten ein geschlossenes auftreten. Infektiös verursachte Aneurysmen entwickeln sich in-
Schädel-Hirn-Trauma erlitten, etwa 16% eine Schussverletzung. nerhalb kurzer Zeit und werden oft durch ischämische Infarkte
In Einzelfällen wird auch über Aneurysmen berichtet, die an- symptomatisch, die durch eine Arteriitis entstehen. Selten treten
scheinend durch Geburtstraumen entstanden sind. Posttrauma- intrakranielle Blutungen dabei auf.
tische Aneurysmen sind häufig so genannte falsche oder Pseu- Auch bei systemischen Erkrankungen, z. B. bei Kollagener-
doaneurysmen mit einer Ruptur der Wand. Hierbei ist das An- krankungen, können Aneurysmen auftreten. Aneurysmen im
eurysma nur durch das umliegende Parenchym gedeckt. Kindesalter sind im Zusammenhang mit dem Ehlers-Danlos-
Syndrom, dem Klippel-Trenaunay-Weber-Syndrom, hereditären
Sonderform: Riesenaneurysmen hämorrhagischen Teleangiektasien, der tuberösen Sklerose, dem
und infektiöse Aneurysmen Moya-Moya-Syndrom, der Aortenstenose und fibromuskulären
Riesenaneurysmen (>25 mm im Durchmesser) (. Abb. 9.54) Dysplasien beschrieben worden.
scheint eine besondere Form der Wandschwäche zugrunde zu
! Multiple Aneurysmen bei Kindern werden, wie oben
liegen. Sie sind etwa 4-mal häufiger bei Kindern anzutreffen als
erwähnt, in nur etwa 2% gesehen. Bei infektiösen An-
bei Erwachsenen. Bei Kindern <5 Jahren wird der Anteil der Rie-
eurysmen wird allerdings über eine Multiplizität in
senaneurysmen auf bis zu 20% geschätzt. In einigen Fällen wird
etwa 15% der Fälle berichtet. Bei Erwachsenen treten
auch über noch höhere Inzidenzraten mit bis zu knapp 50% be-
multiple Aneurysmen in bis zu 15% der Fälle auf; des-
richtet. Die Inzidenz disseziierender Aneurysmen traumatischen
wegen ist es notwendig, in einer Panangiographie
oder spontanen Ursprungs wird wahrscheinlich stark unter-
sämtliche hirnzuführende Gefäße darzustellen, alter-
schätzt, da Gefäßeinengungen distal oder proximal des Aneurys-
nativ MR- oder CT-Angiographie.
mas des Trägergefäßes nicht erkannt werden.
Flussbedingte Aneurysmen treten in der pädiatrischen Al-
tersgruppe in der Regel nicht auf, auch nicht bei sehr hohen ar- Klinik
teriovenösen Shunts. Die Ruptur eines intrakraniellen Aneurysmas ist die häufigste
Infektiöse Aneurysmen machen ungefähr 5–15% aller päd- Ursache einer Subarachnoidalblutung (SAB) (. Abb. 9.55).
iatrischen Aneurysmen aus. Die häufigste Ursache sind Infekti- Eine intrakranielle Aneurysmablutung wird bei Säuglingen und
onen mit Staphylokokken, Streptokokken und verschiedenen Kleinkindern <5 Jahren in 82% der Fälle als Ursache für eine
gramnegativen Bakterien. Infektiöse Aneurysmen treten oft im Subarachnoidalblutung angegeben. Die Inzidenz nimmt mit stei-
Rahmen einer Endokarditis oder im Zusammenhang mit ange- gendem Alter ab und beträgt nur noch etwa 45% bei Kindern
116 Kapitel 9 · Gehirn

9
. Abb. 9.55. Subarachnoidalblutung. Im CT zeigt sich die typische basa- . Abb. 9.56. Paralytisches Aneurysma. Fusiforme Erweiterung des Karo-
le Blutverteilung bei einer ausgeprägten SAB tisendabschnitts führt zu einer Lähmung kaudaler Hirnnerven: paralyti-
sches Aneurysma

>5 Jahren. Zwischen dem 10. und 20. Lebensjahr ist die Ursache Unabhängig von der Lokalisation des Aneurysmas sind die
einer Subarachnoidalblutung in etwa 40% ein intrakranielles An- Kopfschmerzen fast immer diffus. Bei einer Aneurysmaruptur
eurysma und in knapp 30% eine arteriovenöse Malformation. Es mit einer ausgeprägten subarachnoidalen Blutung nähert sich
gibt allerdings starke Unterschiede zwischen verschiedenen Be- der intrakranielle Druck dem arteriellen Druck, und der Hirn-
völkerungsgruppen. Bei der asiatischen Bevölkerung finden sich perfusionsdruck fällt. Dies ist wahrscheinlich die Erklärung für
signifikant weniger intrakranielle Aneurysmen. Es gibt nur we- den plötzlichen transienten Bewusstseinsverlust, der in etwa 45%
nige Berichte über subarachnoidale Blutungen bei Neugebore- auftritt. Der Vernichtungskopfschmerz kann dem vorausgegan-
nen. Klinische Symptome sind in diesen Fällen Anfälle, Hirn- gen sein, jedoch klagen die meisten Patienten erst über Kopf-
druckzeichen und Hemiparesen. Bei älteren Kindern und Er- schmerzen, nachdem sie das Bewusstsein wieder erlangt haben.
wachsenen manifestiert sich eine Subarachnoidalblutung typi- Wenn mit einem plötzlichen Kopfschmerz Erbrechen verbunden
scherweise mit einem schlagartig einsetzenden Kopfschmerz, ist, sollte immer der Verdacht auf eine akute Subarachnoidalblu-
der von den Patienten als »Kopfschmerz wie noch nie« beschrie- tung geäußert werden.
ben wird. Häufige Begleitsymptome sind Übelkeit, Erbrechen, Wenngleich das Fehlen fokal-neurologischer Symptome ein
Nackenschmerzen sowie Bewusstseinsstörungen. Charakteristikum der Aneurysmablutung ist, können diese den-
Die Einteilung des klinischen Zustands wird anhand der noch auftreten und das nicht nur durch direkte Nervenkompres-
Klassifikation von Hunt und Hess durchgeführt (. Tab. 9.4). Die sion durch Druck des erweiterten Aneurysmas (paralytisches
Prognose ist abhängig vom Schweregrad der initialen klinischen Aneurysma) (. Abb. 9.56).
Symptome. Als Grad 0 werden oftmals die asymptomatischen, Einige Faktoren können auf das Vorhandensein und die Lo-
zufällig entdeckten Aneurysmen bezeichnet. Nicht immer ist die kalisation eines nicht rupturierten Aneurysmas hinweisen.
Diagnose aber so »klassisch«. Es gibt Patienten, die zwar über Zum Beispiel kann es bei einem Aneurysma im Bereich der Tei-
heftige Kopfschmerzen klagen, bei denen aber die Schmerzinten- lung der A. carotis interna und der A. communicans posterior
sität aufgrund der meningealen Reizung allmählich zunimmt. In zu einer Lähmung des N. oculomotorius kommen. Daran sollte
dieser Situation kann es dann häufiger zu Fehldiagnosen kom- v. a. dann gedacht werden, wenn es zusätzlich zu einer Pupillen-
men, z. B. einer Erstmanifestation einer Migräne, Spannungs- erweiterung, einem Verlust des Lichtreflexes oder fokalen
kopfschmerzen etc. Gerade bei Kindern wird oft nicht gleich an Schmerzen über und hinter dem Auge kommt. Eine Lähmung
das Vorliegen einer Subarachnoidalblutung gedacht. Bei älteren des N. abducens kann auf ein Aneurysma im Sinus caverno-
Kindern ist die Klinik ähnlich wie bei Erwachsenen. Meist be- sus hinweisen. Bei einem supraklinoidalen Karotisaneurysma
steht ein schlagartiges Kopfschmerzereignis. Zudem kann es zu kann es zu Gesichtsfeldausfällen kommen. Okzipitale Schmer-
einem kurzen Bewusstseinsverlust und einem Meningismus zen können auf PICA- oder AICA-Aneurysma hindeuten. Zu
kommen. Bei etwa 10% der Patienten bestehen beidseitige Pyra- Schmerzen in und hinter dem Auge sowie im unteren Tempo-
midenbahnzeichen. Bei einem Drittel der Fälle tritt eine Ruptur ralbereich kann es bei einem expandierenden Mediaaneurysma
nach einer körperlichen Anstrengung auf. kommen.
9.3 · Vaskuläre Erkrankungen
117 9

. Tab. 9.4. Klassifikation der Subarachnoidalblutung nach Hunt


und Hess

Grad Befund

0 Asymptomatische Aneurysmen

I Leichte Kopfschmerzen und Meningismus, keine fokale


Neurologie

II Mäßige bis starke Kopfschmerzen, Meningismus, keine


neurologischen Ausfalle außer Hirnnervensymptome

III Benommenheit, Verwirrtheit oder/und leichtes neuro-


logisches Defizit

IV Sopor, mäßige bis schwere neurologische Defizite wie


Halbseitenlähmung, vegetative Störungen

V Koma, Dezerebrationszeichen

Bildgebung
Ziel der radiologischen Untersuchung ist es festzustellen, ob eine
Subarachnoidalblutung tatsächlich stattgefunden hat. Kann ra- . Abb. 9.57. Blutungen bei Aneurysma, CT. Bei dieser Patientin sieht
man die typische basale Blutverteilung im Subarachnoidalraum und zusätz-
diologisch der Nachweis einer Subarachnoidalblutung nicht er- lich eine frontale intraparenchymale Blutung; hinweisend auf ein Aneurys-
bracht werden, muss bei klinischem Verdacht auf eine Subarach- ma der A. communicans anterior
noidalblutung unbedingt eine Liquorpunktion duchgeführt wer-
den. Bei Nachweis von Blut im Liquor muss zwingend nach einer
Blutungsquelle gesucht werden.

Computertomographie. Besteht der Verdacht auf eine Subarach-


noidalblutung, so ist die CT aufgrund der hohen Sensitivität von
85–100% innerhalb der ersten 3 Tage nach Blutungsereignis die
Methode der Wahl (. Abb. 9.57). Die Blutverteilung in der CT lässt
nicht immer auf die Aneurysmalage schließen. Bei mehreren An-
eurysmen kann oft aufgrund der Blutverteilung auf das rupturierte
Aneurysma geschlossen werden, das dann vordringlich behandelt
werden muss. Liegt das Blutungsereignis einige Tage zurück, sinkt
die Sensitivität der CT stark, nach 14 Tagen liegt sie nur noch bei
etwa 50%. Bei geringen Blutanteilen im subarachnoidalen Raum
kann das Blut schon nach einigen Tagen resorbiert sein.

CT-Angiographie. Die CT-Angiographie der intrakraniellen Ge-


fäße ist mit modernen Mehrzeilenscannern bei einer gleichzeitig
hervorragenden Bildqualität schnell durchführbar (. Abb. 9.58).
Zurzeit gilt für den Nachweis eines Aneurysmas mit einem Durch-
messer <3 mm die CT-Angiographie der DSA jedoch als unter-
legen. Auch bei schädelbasisnahen Aneurysmen bestehen noch
diagnostische Probleme. Die CT-Angiographie kann allerdings
komplementär zur DSA eingesetzt werden. In einer prospektiven
Studie an 134 konsekutiven Patienten mit DSA fand sich bei 21 Pa- . Abb. 9.58. Subarachnoidalblutung. Aneurysma-Nachweis im End-
tienten in der DSA kein Aneurysma. In 5 von diesen Patienten abschnitt der linken ACI
konnte in der CT-Angiographie ein kleines Aneurysma der
A. communicans anterior und in einem Fall ein Aneurysma der
A. cerebri media nachgewiesen werden. In der Therapieplanung Magnetresonanztomographie. Die MRT stand viele Jahre im
kann eine CT-Angiographie zur elektiven Operationsplanung hilf- Ruf, eine akute Blutung schlechter nachweisen zu können als die
reich sein, besonders bei großen und morphologisch komplexen CT. Für das intrazerebrale Hämatom stehen mittlerweile gute
Aneurysmen. So kann bei teilthrombosierten und verkalkten An- »blutungssensitive« Sequenzen zur Verfügung, sodass die MRT
eurysmen das durchströmte Restlumen besser dargestellt werden. hier zumindest als gleichwertig einzustufen ist. Da die radiolo-
118 Kapitel 9 · Gehirn

giographie-Quellenbilder in Kombination mit 3D-Rekonstrukti-


onen haben eine hohe Sensitivität beim Nachweis von Rezi-
divaneurysmen. Zwar verursachen die zum Verschluss eines
Aneurysmas verwendeten Platinspiralen Artefakte mit »Signal-
auslöschung« benachbarter Strukturen, doch kann das Aneury-
ma-tragende Gefäß oft ausreichend gut beurteilt werden. Noch
besser geeignet scheint hierzu die kontrastmittelgestützte MRA
zu sein. Hiermit lassen sich auch kleine restperfundierte Aneu-
rysmaanteile nachweisen. Die Platinspiralen stellen keine Kon-
traindikation für eine MR-Untersuchung dar, im Gegenteil, die
MRT ist fester Bestandteil der Nachsorge endovaskulär mit Pla-
tinspiralen versorgter Aneurysmen.

Komplikationen der Subarachnoidalblutung


Rezidivblutungen. Je nach Größe, v. a. jedoch je nach der Loka-
lisation eines rupturierten Aneurysmas, kommt es in bis zu 40–
50% der Fälle zu einer frühen Nachblutung. Entscheidend ist
daher, das Aneurysma so bald wie möglich aus der Blutzirkula-
tion auszuschalten. Patienten, die eine Rezidivblutung überle-
ben, haben eine schlechtere Prognose als Patienten ohne Nach-
9 blutung. Dies liegt vermutlich u. a. daran, dass es infolge der
Nachblutung zu Verklebungen des Subarachnoidalraums kommt,
was später eher zu intrazerebralen Blutungen führen kann. Das
Nachblutungsrisiko ist innerhalb der ersten Tage sehr hoch und
. Abb. 9.59. Subarachnoidalblutung mit perimesenzephalen Blutantei-
wird mit 1,5% pro Stunde für die ersten 6 h angegeben, weswegen
len. Die Temporalhörner sind betont, hinweisend auf einen beginnenden
hydrozephalen Aufstau eine schnelle Versorgung der Aneurysmen erfolgen sollte.

Hydrozephalus. Durch eine akute Resorptionsstörung bzw. eine


gische Schlaganfalldiagnostik zunehmend mit der MRT durchge- akute Abflussstörung des Liquors durch intraventrikuläre Blut-
führt wird, war es wichtig, spezielle MR-Protokolle zu erstellen, gerinnsel kann ein akuter Hydrozephalus auftreten. Dieser Um-
mit denen eine Subarachnoidalblutung – die klinisch einen Schlag- stand ist häufig Grund für die primär schlechte Bewusstseinslage
anfall imitieren kann – nicht übersehen wird. Ein MR-Protokoll der Patienten. Im weiteren Krankheitsverlauf persistiert der Hy-
bei der Frage nach einem Schlaganfall sollte daher eine FLAIR- drozephalus bei etwa 25–30% der Patienten, was dann eine dau-
Sequenz (»fluid attenuated inversion recovery«) und evtl. noch erhafte Ventrikeldrainage durch Shuntanlage erfordert.
eine Protonendichte(PD)-gewichtete Sequenz enthalten, damit
auch eine Subarachnoidalblutung nachgewiesen werden kann. Vasospasmus. Neben der Rezidivblutung eines nicht behandel-
In der Akutphase ist die MRT aber noch nicht die Methode ten Aneurysmas ist der Vasospasmus eine gefürchtete Komplika-
der Wahl zum Nachweis einer Subarachnoidalblutung. Das liegt tion nach Subarachnoidalblutung. Durch das Auftreten von Blut
außer an den höheren Kosten auch an der im Vergleich zur CT im Subarachnoidalraum entstehen meistens 4–14 Tage nach der
längeren Untersuchungszeit und der aufwendigeren Überwa- Blutung aus pathophysiologisch bisher ungeklärten Gründen
chung in der MRT bei oftmals bewusstseinsgetrübten Patienten. Vasospasmen der größeren, aber auch der kleineren, intrakrani-
In der subakuten Phase der Subarachnoidalblutung ist die MRT ellen Arterien. Wahrscheinlich sind die Ursache des Vasospas-
der CT jedoch überlegen, weil dann die erhöhten Liquoreiweiß- mus Blutabbauprodukte oder freigesetzte Mediatorstoffe. Die
konzentrationen zusammen mit paramagnetischen Effekten von Vasospasmen können zu erheblichen Durchblutungsstörungen
Blutabbauprodukten lokal zu charakteristischen MR-Verände- mit neurologischen Defiziten bis hin zum Multiinfarktsyndrom
rungen führen können (. Abb. 9.59). mit Todesfolge führen. Die Engstellung der Gefäße bleibt dabei
nicht auf das Aneurysma-tragende Gefäß beschränkt, sondern
MR-Angiographie. Wie die CT-Angiographie erlaubt die MR- ist häufig auch generalisiert zu beobachten. Sie kann sich sogar
Angiographie prätherapeutisch die verlässliche Darstellung kom- an den Gefäßen der anderen Hemisphäre bzw. infratentoriell ma-
plex geformter größerer Aneurysmen, spielt aber in der Akutsitu- nifestieren. Persistierende neurologische Ausfälle durch einen
ation zum Aneurysmanachweis zurzeit nur eine untergeordnete vasospastischen Hirninfarkt treten bei etwa 20% aller Patienten
Rolle. Anders als mit der DSA lassen sich jedoch mit der CTA und mit Subarachnoidalblutung auf (. Abb. 9.60).
MRA thrombosierte Aneurysmaanteile nachweisen. Diagnostiziert wird der Vasospasmus heute üblicherweise
Eine große Bedeutung kommen der MR-Angiographie, be- durch wiederholte transkranielle Doppleruntersuchungen. Eine
sonders der TOF-MR-Angiographie, der kontrastmittelunter- DSA ist nur dann notwendig, wenn die Dopplersonographie die
stützten MR-Angiographie und T1-gewichteten Sequenzen in klinische Verschlechterung des Patienten nicht ausreichend er-
der Nachsorge verschlossener Aneurysmen zu. Die MR-An- klärt ober aber wenn bei einem dopplersonographisch nachge-
9.3 · Vaskuläre Erkrankungen
119 9

a b

. Abb. 9.60a, b. Vasospasmen bei SAB

wiesenen und klinisch symptomatischen Vasospasmus eine en- solches Hämatom muss operativ entfernt werden, und in der Re-
dovaskuläre Spasmolyse durchgeführt werden soll. Die translu- gel lässt sich dann über den gleichen Zugang auch das Aneurys-
minale Angioplastie eignet sich bei Spasmen der distalen ACI, ma clippen. Für Aneurysmen, bei denen die regionale Gefäßana-
allenfalls noch bei Spasmen der proximalen Abschnitte der tomie nicht eindeutig dargestellt werden kann oder aus denen
A. cerebri media (M1-Segment). Im hinteren Hirnkreislauf kann Arterien hervorgehen, ist die Operation ebenfalls die Methode
die Angioplastie bei Spasmen der A. vertebralis und der A. basi- der Wahl. Diese Konstellation tritt häufiger bei Aneurysmen an
laris eingesetzt werden. Hat der Patient generalisierte Vasospas- der Aufzweigung der A. cerebri media auf.
men unter Einbeziehung distaler Gefäßsegmente, kann die in- Aneurysmen im hinteren Kreislauf werden wegen der Nähe
traarterielle Gabe von Nimodipin, einem Kalziumantagonisten, zum Hirnstamm, wegen des schwierigen operativen Zugangs
versucht werden. Nachteilig ist dabei die nur kurze Wirksamkeit entlang der Hirnnerven und wegen der zahlreichen, funktionell
des Medikaments, sodass bei manchen Patienten diese Therapie wichtigen Perforansarterien aus der A. basilaris bevorzugt endo-
mehrfach angewandt werden muss. vaskulär behandelt. Die Ergebnisse der endovaskulären Therapie
sind hier so überzeugend positiv, dass eine randomisierte Studie
Therapie ethisch nicht mehr vertretbar ist.
Das Prinzip der Aneurysmabehandlung besteht in der Ausschal- Die Annahme, dass durch intraoperatives Spülen des Suba-
tung des Aneurysmas aus der Blutbahn. Das kann durch ein rachnoidalraums mit Kochsalz und rTPA zur Entfernung des
operatives Vorgehen erfolgen – Aneurysmaclipping – oder subarachnoidalen Bluts Vasospasmen verhindert werden kön-
durch einen endovaskulären Verschluss mittels Platinspiralen nen, konnte bislang nicht bestätigt werden. Eine vergleichende
– GDC-Coiling. Eine frühe Behandlung wird angestrebt, um Studie hat sogar gezeigt, dass in der Gruppe der mit Coiling be-
eine Rezidivblutung zu verhindern. Generell sollte die Thera- handelten Patienten weniger Vasospasmen auftraten als in der
pie eines Aneurysmas in einem interdisziplinären Team, beste- operierten Gruppe.
hend aus Neurochirurgen und Neuroradiologen, besprochen Durch die Einführung des Mikroskops während neurovas-
werden. kulärer Operationen durch Krayenbühl und Yasargil 1967/1968
Die Daten der ISAT-Studie zeigten, dass die endovaskuläre hat sich die offene Behandlung intrakranieller Aneurysmen
Behandlung bei Patienten mit rupturierten Aneurysmen ein bes- deutlich verbessert, und zwar sowohl im Hinblick auf das kli-
seres klinisches Outcome aufwies. Diese kontrollierte prospekti- nische Outcome als auch auf die Effizienz. Der zusätzliche Ein-
ve Studie zum Behandlungsrisiko rupturierter Aneurysmen wur- satz eines Endoskops kann in einigen Fällen wichtige Informati-
de nach 2143 von 2500 geplanten Patienten vorzeitig gestoppt, da onen zur Konfiguration des Aneurysmahalses und der regio-
der endovaskuläre Therapiearm im Vergleich zu den operierten nalen Gefäßanatomie geben und dadurch die Geweberetraktion
Patienten ein um 6,9% reduziertes absolutes Therapierisiko minimieren. In jedem Fall ist jedoch eine Schädeltrepanation –
zeigte. Die endovaskuläre Therapie sollte deshalb zunächst als wenn auch nicht mehr so ausgedehnt wie vor 50 Jahren – nötig,
erste Option angestrebt werden (s. u.). um den Clip präzise auf den Aneurysmahals zu platzieren und
Eine Operationsindikation ist jedoch dann gegeben, wenn die Gefäßaussackung damit sicher von der Blutzirkulation aus-
ein raumforderndes intraparenchymales Hämatom vorliegt. Ein zuschließen.
120 Kapitel 9 · Gehirn

Allerdings gibt es auch nach Clipping eines Aneurysmas re- tionen sind thromboembolische Ereignisse. Hierbei können dis-
siduale Aneurysmaanteile und Rezidivaneurysmen. Die Rate tale Gefäßverschlüsse, aus dem Katheter abgeschwemmte
der Rezidivaneurysmen ist wegen der selten durchgeführten, Thromben oder aus dem Aneurysma freigesetzte Thromben auf-
postoperativen Angiographie noch nicht ausreichend bekannt. treten.Durch eine während der Prozedur durchgeführte Hepari-
In den bisher vorliegenden Studien werden bis zu 13% angege- nisierung kann die Rate thromboembolischer Komplikationen
ben. Klinisches Outcome, prozedurale Morbidität und Mortalität deutlich gesenkt werden. In 2–3% der Fälle kommt es während
lassen sich bei Patienten mit Subarachnoidalblutung nur schwer der Therapie zu einer Aneurysmaruptur. Fast immer kann diese
von krankheitsbedingten Komplikationen trennen. Eine Meta- Situation aber durch weiteres Einbringen von Platinspiralen in
analyse von 2460 Patienten mit 2568 nichtrupturierten, geclipp- das Aneurysma beherrscht werden.
ten Aneurysmen ergab eine prozedurale Morbidität mit perma- Breitbasige Aneurysmen waren bisher schwierig bis nicht
nenten Defiziten von 10,9% und eine prozedurale Mortalität von endovaskulär zu behandeln. Mithilfe intrakranieller Stents, die
2,6%. Eine höhere Morbidität wiesen hierbei größere Aneurys- über den breiten Hals des Aneurysmas im Trägergefäß platziert
men im hinteren Kreislauf auf. werden, kann das Prolabieren von Coilschlingen in das Träger-
gefäß verhindert werden. Alternativ können auch weiche Ballons
Endovaskuläre Therapie verwendet werden – Remodelling-Technik.
Die Entwicklung von weichen elektrolytischen, ablösbaren Pla-
tinspiralen durch den Italiener Guglielmo (»Guglielmo De- Klinisches Outcome der endovaskulären Therapie. Prozedu-
tachable Coil«/GDC) brachte den Durchbruch in der endovas- rale Morbidität und Mortalität sind bei den endovaskulären Ver-
kulären Therapie intrakranieller Aneurysmen. Mit dieser Tech- fahren mit etwa 3,7 bzw. 1% deutlich geringer als bei einem neu-
nik kann unmittelbar nach der diagnostischen Angiographie ein rochirurgischen Clipping. Die prospektive, randomisierte ISAT-
9 speziell markierter Mikrokatheter koaxial durch den Führungs- Studie konnte auch ein besseres klinisches Outcome bei den mit
katheter in dem jedes Aneurysma manövriert werden. Je nach Platinspiralen behandelten Patienten feststellen. Neuropsycholo-
Größe und Form des Aneurysmas wird dann eine speziell ausge- gische Defizite, die bei der üblichen Bewertung, z. B. mit der
wählte Platinspirale unter Bildwandlerkontrolle durch den Mi- »Glasgow Outcome Scale«, keine Rollen spielen, sind bei endo-
krokatheter in dem Aneurysma platziert. Diese Spirale besteht vaskulärer Behandlung ebenfalls deutlich geringer. Entscheidend
aus verschiedenen Komponenten. Die wichtigste hiervon ist eine für das Outcome von Patienten mit einer Subarachnoidalblutung
Ablösestelle, die so genannte Sollbruchstelle, die durch das An- sind aber die Schwere der initialen Blutung und die Qualität der
schalten von Gleichstrom aktiviert wird, sodass sich die Spirale intensivmedizinischen Behandlung der Komplikationen.
an dieser Stelle elektrolytisch von ihrem Einführungsdraht löst. Bisher erscheint das Risiko einer Rezidivblutung nach Be-
Hilfreich und neu an dieser Entwicklung ist, dass die Spirale bis handlung eines Aneurysmas mit Platinspiralen nicht relevant
zu ihrer Ablösung jederzeit wieder problemlos aus dem Aneurys- erhöht. Trotzdem sollten endovaskulär behandelte Patienten
ma herausgezogen werden kann. Dies ist besonders dann wich- nach 6 Monaten sowie nach einem weiteren Jahr zur Befund-
tig, wenn die Spirale zu groß oder zu klein gewählt wurde und kontrolle angiographiert oder aber mit einer TOF- bzw. kontrast-
teilweise in das Trägergefäß hineinragt. Nur wenige Aneurysmen unterstützten MR-Angiographie oder einer mehrzeiligen CT-
lassen sich mit nur einer Spirale vollständig verschließen, in den Angiographie untersucht werden, um eine Rekanalisierung des
meisten Fällen sind dazu 2 oder mehrere Spiralen notwendig. Die Aneurysmas auszuschließen. Sollte sich in der Kontrolluntersu-
Therapie wird beendet, wenn die Kontrollangiographie keine chung ein Rezidiv herausstellen, ist unter Umständen eine erneu-
Füllung des Aneurysmas mehr zeigt (. Abb. 9.61). Bei Anwen- te endovaskuläre Therapie notwendig. Abhängig vom Befund
dung herkömmlicher Platinspiralen sind zu diesem Zeitpunkt der zweiten Kontrolle können dann in größeren Abständen Kon-
allerdings erst maximal 30–40% des Aneurysmalumens durch trolluntersuchungen durchgeführt werden. Aufgrund der throm-
Material verlegt. bogenen Materialien, die zur Aneurysmabehandlung verwendet
Ein Nachteil der endovaskulären Therapieverfahren be- werden, ist es denkbar, dass vermehrt thromboembolische Ereig-
steht darin, dass eine relativ hohe Rekanalisierungsrate der An- nisse auftreten. Deshalb wird an vielen Zentren vorübergehend
eurysmen zu erwarten ist. Hauptsächlich betrifft dies große An- eine Gabe von ASS (100–300 mg) für 3–6 Monate nach endovas-
eurysmen mit >25 mm Durchmesser. Mittlerweile sind aller- kulärer Behandlung des Aneurysmas empfohlen.
dings auch Platinspiralen mit einer Beschichtung erhältlich, die
die Rekanalisierungsrate minimieren sollen. Die ersten Ergeb-
nisse bei Anwendung dieser neuartig beschichteten Spiralen sind 9.3.2 Schlaganfall
ermutigend. Auch Flüssigembolisate (Onyx), die unter Zuhilfe-
nahme eines Ballonkatheters in das Aneurysmalumen einge- Schlaganfall bei Erwachsenen – Grundlagen
bracht werden, dienen der verbesserten Okklusionsrate. Der Definition, Ätiologie
Ballonkatheter wird hierbei vorübergehend im Trägergefäß in Unter dem Symptom Schlaganfall subsummieren sich eine ganze
Höhe des Aneurysmahalses so lange aufgeblasen, bis die Flüssig- Reihe von verschiedenen Erkrankungen. Am häufigsten wird der
keit ausgehärtet ist. Dieser Vorgang wird so oft wiederholt, bis Schlaganfall verursacht durch eine zerebrale Ischämie (ca. 70–
das Aneurysma komplett mit Flüssigembolisat ausgefüllt ist. 80%) oder eine intrazerebrale Blutung (ca. 15–20%). Daneben
Die endovaskuläre Behandlung ist zwar »minimal invasiv«, können Subarachnoidalblutungen (2–5%), Tumoren, Entzün-
aber auch nicht komplikationsfrei. Die wesentlichen Komplika- dungen und auch epileptische Anfälle Ursache eines Schlagan-
9.3 · Vaskuläre Erkrankungen
121 9

a b

. Abb. 9.61a–d. Coiling eines Aneurysmas. a Aneurysma vor Coiling,


c
b Aneurysma während Coiling, c Aneurysma nach Coiling, d Platinspirale

falls sein. Dabei kommt es zu einer plötzlich subakut auftre- (. Abb. 9.64) oder hämodynamischen Infarkten (. Abb. 9.65)
tenden, fokal-neurologischen Symptomatik, die abhängig von führen, sind die Ursache weiterer 45–60%. Sie entstehen häufig
der betroffenen Hirnregion ist. Eine exakte Differenzierung, z. B. durch kardiale Embolien bei absoluter Arrhythmie, Herzklap-
zwischen einer intrazerebralen Blutung und einer Ischämie, ist penersatz oder einem offenen Foramen ovale und durch arterio-
oft auch klinisch nicht möglich; hier muss die Bildgebung die arterielle Embolien auf dem Boden arteriosklerotischer Ge-
Ursache klären. fäßveränderungen wie der Karotisstenose, oder durch lokale
Der Schlaganfall, die akute Durchblutungsstörung des Ge- Thrombosen, beispielsweise bei Atherosklerose, Arteriitiden
hirns, ist keine einheitliche Erkrankung, sondern hat vielfältige oder Gerinnungsstörungen. Die Kombination aus Mikro- und
Ursachen. Mikrozirkulationsstörungen machen rund 30–35% Makrozirkulationsstörungen ist für 10–20% der Hirninfarkte
aller Hirninfarkte (HI) aus. Sie manifestieren sich in akuten verantwortlich, weitere 10% können nicht sicher klassifiziert
lakunären Infarkten (. Abb. 9.62) und im chronischen Verlauf werden.
in der subkortikalen arteriolosklerotischen Enzephalopathie In den letzten 10 Jahren haben sich die therapeutischen Mög-
(SAE) (. Abb. 9.63). Ihr wichtigster Risikofaktor ist der Hy- lichkeiten beim Schlaganfall v. a. durch die Etablierung der
pertonus. Makrozirkulationsstörungen, die zu Territorial- Stroke-Unit-Behandlung und die Einführung der Fibrinolyse
122 Kapitel 9 · Gehirn

dern und relativ niedrige Raten in den westeuropäischen Län-


dern, Skandinavien und Nordamerika. Den ersten Schlaganfall
überleben ca. 80–85% der Patienten in der Akutphase. Von die-
sen Patienten erleiden 8–15% im ersten Jahr ein zweites Ereig-
nis. Hierbei ist das Risiko in den ersten Wochen am höchsten
und nimmt mit zunehmender Zeit zum nächsten Ereignis im-
mer weiter ab. Besonders gefährdet sind Patienten mit multiplen
vaskulären Risikofaktoren oder solchen mit begleitender KHK
oder pAVK. Bei TIA’s sind v. a. Patienten mit zerebralen Symp-
tomen gegenüber jenen mit retinalen Symptomen (Amaurosis
fugax) gefährdet sowie Patienten >60 Jahre mit Symptomdauer
länger als 10 min und Symptomen mit Lähmungen oder Sprach-
störungen. Das größte Risiko besteht in den ersten 3 Tagen nach
einer TIA.

Verlauf und Prognose


15% der Patienten mit einem ischämischen Insult sterben inner-
halb der ersten 3 Monate. Durch die Verbesserung der Therapie-
konzepte können heute etwa 40% der Patienten nach dem ersten
Schlaganfall ein unbehindertes Leben führen. Das Risikoprofil
9 für zerebrale Ischämien ist relativ gut bekannt, der größte Risi-
. Abb. 9.62. Lakunärer Infarkt im Thalamus. 75-jähriger Patient mit neu kofaktor ist die arterielle Hypertonie. Die konsequente Behand-
aufgetretener Hemiparese. CT 48 h nach Beginn der klinischen Symptoma- lung einer arteriellen Hypertonie reduziert das Schlaganfallsrisi-
tik zeigt eine lakunengroße Läsion im Thalamus rechts ko sowohl bei primärer als auch bei sekundärer Prävention. Das
Hirninfarktrisiko steigt mit zunehmendem Lebensalter beson-
ders dann, wenn Vorhofflimmern, eine Linksherzinsuffizienz
bedeutend verbessert. Obwohl die Therapieverfahren so vielfäl- oder ein Diabetes mellitus vorliegen. Männer sind häufiger be-
tig wie die Ursachen der Schlaganfälle sind, gibt es wichtige troffen als Frauen. Der zweitgrößte Risikofaktor ist Nikotinmiss-
Grundprinzipien, auf die im Folgenden für den ischämischen brauch, daneben sind Alkohol, Fettleibigkeit und Hyperlipidä-
Hirninfarkt eingegangen werden soll. mie als Risikofaktoren bekannt.
Die Behandlung der Risikofaktoren umfasst:
Ischämischer Schlaganfall 4 Konsequente Behandlung einer arteriellen Hypertonie
Epidemiologie 4 Behandlung eines Diabetes mellitus
Je nach geographischer Einteilung rechnet man mit 100– 4 Bei Patienten mit fokaler zerebraler Ischämie und KHK soll-
700 Schlaganfällen pro 100 000 Menschen und Jahr. Derzeit fin- ten unabhängig vom Ausgangswert des LDL-Cholesterins
den sich die höchsten Inzidenzen in den osteuropäischen Län- Statine eingesetzt werden.

a b c

. Abb. 9.63a–c. Subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie lich fällt eine deutliche Erweiterung der inneren und äußeren Liquorräume
(SAE). 82-jähriger Patient mit langjährig bestehendem Hypertonus. a In auf. b, c In den T2w- (b) und FLAIR-Sequenzen (c) stellen sich die diffusen
den axialen CT-Aufnahmen konfluierende Hypodensität v. a. im frontalen, Marklagerveränderugen hyperintens dar
weniger ausgeprägt auch im parietalen Marklager periventrikulär. Zusätz-
9.3 · Vaskuläre Erkrankungen
123 9

. Tab. 9.5. Therapie des Schlaganfalls in der Prähospitalphase

Vitalparameter Therapieoption

Hypoxämie 4 l O2 über Nasensonde

RR <220/120 mmHg keine RR-Senkung

RR >220/120 mmHg langsame RR-Senkung

Hypotonie und/oder Exsikkose Flüssigkeitssubstitution (Ringerlö-


sung i.v.)

Hypoglykämie <80 mg% Glukose 40% 30 ml i.v.

Hyperglykämie 160 mg% 2 IE Altinsulin als Bolus

Hyperglykämie 200 mg% 4 IE Altinsulin as Bolus

Herzinsuffizienz, relevante s. weiterführende Literatur


Herzrhythmusstörungen

Krampfanfall Clonazepam 1–2 mg i.v.


. Abb. 9.64. Territorialinfarkt. In der diffusionsgewichteten Sequenz
Signalsteigerung im linken Stammganglienbereich sowie im hinteren Aspirationsgefahr Magensonde
rechten Mediastromgebiet, vereinbar mit frischen Ischämien am ehesten
kardioembolischer Genese Körpertemperatur Therapie bei Fieber >37,5°C

Doppler-/Duplexsonographie, die transthorakale oder transöso-


phageale Echokardiographie, ein Internist mit kardiologischer
Kompetenz, eine intensivmedizinische Behandlungsmöglich-
keit, die schnelle Erreichbarkeit einer neurochirurgischen Abtei-
lung, klinisches und apparatives Monitoring zur Patientenüber-
wachung und -behandlung, die Möglichkeit zur Fibrinolyse. Die
Beteiligung an einer anerkannten externen Qualitätssicherung
ist obligat.
Für die Prognose des Patienten ist ausschlaggebend, dass er
wie beim Herzinfarkt so schnell wie möglich einer entspre-
chenden Klinik zugeführt wird. Die Maßnahmen in der Prähos-
pitalphase dienen der Sicherung der Diagnose und der Vitalpa-
rameter. Weist z. B. eine gekreuzte neurologische Symptomatik
auf einen akuten Hirnstamminfarkt oder hat der Patient eine
schwerste Bewusstseinsstörung, sollte die Einweisung in eine
überregionale Stroke Unit mit der Möglichkeit der direkten An-
giographie zur Indikationsstellung der Fibrinolyse erfolgen. Das
Monitoring umfasst, abgesehen von der neurologischen Sympto-
matik, die Vitalparameter Atmung, Blutdruck, Herzleistung und
. Abb. 9.65. Hämodynamischer Infarkt. Signalsteigerung in der diffusi- Blutzucker (. Tab. 9.5). Es muss beachtet werden, dass in der
onsgewichteten Sequenz, passend zu einer frischen Ischämie bei einer 72- Akutphase Blutdruckwerte bis 220/120 mmHg toleriert werden
jährigen Patientin mit vorgeschalteter filiformer ACI-Stenose rechts und keine schematische Blutdrucksenkung erfolgt, da sonst die
Prognose des Patienten verschlechtert wird (s. u.) Genau so
wichtig ist es, eine unbehinderte Atmung mit hohem O2 und
Diagnose, Therapie niedrigem CO2 zu gewährleisten.
Jeder akute Schlaganfall ist ein Notfall, daher muss die Einwei- Die akute Basistherapie sieht folgendermaßen aus:
sung in eine Stroke Unit erfolgen. Unter Stroke Unit (SU) versteht 4 O2 und RR hoch
man eine räumliche Behandlungseinheit, auf der rund um die 4 Blutzucker und Körpertemperatur niedrig
Uhr ein auf die Schlaganfallbehandlung spezialisiertes ärztliches 4 Infektionsprophylaxe
und pflegerisches Team unter der ständigen Leitung eines Neu-
rologen die akut notwendige Diagnostik, Therapie und das ent- Atmung
sprechende Monitoring durchführt. Zur ständigen 24 h-Verfüg- Die Atemwege müssen freigehalten werden, sodass eine optima-
barkeit gehören u. a. die zerebrale CT (CCT) oder MRT, die le periphere Sauerstoffsättigung von >95%, u. U. durch eine kon-
124 Kapitel 9 · Gehirn

a b

9 . Abb. 9.66a, b. Blutung nach Ischämie, hämorrhagische Transforma-


tion. a In der axialen T2-Wichtung Darstellung eines Posteriorteilinfarkts;
78-jähriger Patient mit Hemianopsie seit 7 Tagen. b In der T1-Wichtung un-
regelmäßige Hyperintensität entsprechend Blut im Methämoglobinstadium

tinuierliche Sauerstoffgabe mittels Nasensonde (2–4 l/min), er- Körpertemperatur


reicht wird. Genauso wichtig sind optimale pCO2-Werte von Erhöhte Körpertemperaturen wirken sich negativ auf die Morbi-
35–40 mmHg. Indikationen zur mechanischen Beatmung sind: dität und Letalität der Schlaganfallpatienten aus. Zunächst steht
4 pO2 <50 mmHg die Prophylaxe von Infektionen, v. a. der Pneumonie und des
4 pCO2 >55 mmHg Harnwegsinfekts, im Vordergrund. Wichtig sind physikalische
4 respiratorische Erschöpfung Maßnahmen wie Lagerung und Physiotherapie, ferner das recht-
4 schwere Vigilanzstörung zeitige Erkennen einer schlaganfallbedingten Aspirationsgefahr
4 Hirnstammläsion mit erhöhter Aspirationsgefahr und die Prophylaxe durch frühzeitige Anlage einer Magensonde
oder PEG. Die effiziente antipyretische Therapie wird schon ab
Blutdruck Werten von 37,5°C empfohlen.
75–80% aller Schlaganfallpatienten haben aufgrund eines zentra-
len Regulationsmechanismus innerhalb der ersten 3 Tage er- Hirndruck
höhte Blutdruckwerte mit oder ohne Aufhebung des zirkadianen Die Therapie des erhöhten intrakraniellen Drucks (ICP) und des
Rhythmus, die sich innerhalb 1 Woche normalisieren oder auf Hirnödems erfolgt mit abgestuften Maßnahmen. Therapiebe-
die Hypertonus bedingten Werte abfallen. Es konnte nachgewie- dürftig ist ein ICP >20 mmHg. Zur Basistherapie gehören eine
sen werden, dass hohe Blutdruckwerte bis 230 mmHg die bei Normoglykämie, -thermie und -kapnie sowie eine ausreichende
einem Drittel der Schlaganfallpatienten noch während der ersten Oxygenierung und Analgosedierung. Mittelgradig erhöhte Blut-
3 Tage zu beobachtende klinische Verschlechterung verringern. druckwerte sollten toleriert werden. Auf keinen Fall darf der
Bei Patienten mit bestehender Hypertonie werden Zielwerte von Blutdruck vor dem ICP gesenkt werden, da sonst der zerebrale
180 mmHg systolisch und 100–105 mmHg diastolisch empfoh- Perfusionsdruck auf kritische Werte abfallen kann.
len. Bei zuvor normotonen Patienten sollten systolische Werte
zwischen 160–180 mmHg systolisch und 90–100 mmHg diasto- Dekompressive Kraniektomie
lisch angestrebt werden. Die Hemikraniektomie (. Abb. 9.67) senkt nach Studien die
Mortalität beim großen raumfordernden, so genannten malig-
Blutzucker nen Mediainfarkt von 80 auf 40%. Mit einem malignen Mediain-
Erhöhte Blutzuckerwerte fördern über eine Laktatazidose die farkt muss gerechnet werden, wenn mehr als zwei Drittel des
Hirnödementwicklung und den Anstieg des ICP und verschlech- Territoriums betroffen sind, v. a. wenn es sich um jüngere Pati-
tern die Prognose des Patienten. Mit der diffusions- und perfu- enten handelt. Die Trepanation sollte ausreichend groß sein und
sionsgewichteten MRT konnte nachgewiesen werden, dass bei einen Durchmesser von 12–14 cm haben.
gleicher Größe der Penumbra zu Beginn des Hirninfarkts das Beim Kleinhirninfarkt können sich in Einzelfällen trotz der
endgültige Infarktvolumen bei normoglykämischen Patienten beschriebenen Hirndrucktherapie ein Liquoraufstau und eine
kleiner war als bei hyperglykämischen. Es sind daher Blutzucker- lokale Kompression des Hirnstamms entwickeln. Sie sind bei zu-
werte zwischen 100–150 mg/dl anzustreben. nehmender schwerer Vigilanzstörung eine Indikation zur exter-
9.3 · Vaskuläre Erkrankungen
125 9
tellen Ansatz, der entsprechenden Kliniken mit Erfahrung vor-
behalten sein muss.

Fibrinolyse
Die i. v.-Fibrinolyse mit rtPA im vorderen Hirnstromgebiet ist
die Therapie, die den höchsten Evidenzgrad und die größte Ef-
fektivität hat. Sie ist beim Hirninfarkt in Bezug auf Reduktion
von Tod und Behinderung mehr als doppelt so effizient wie beim
Myokardinfarkt. Der Erfolg der Fibrinolyse hängt zum einen da-
von ab, dass die Rekanalisierung des Gefäßes möglichst frühzei-
tig erfolgt und zum anderen, dass die Rate schwerer intrazere-
braler Einblutungen in das restliche Infarktareal möglichst nied-
rig ist. Die klinisch relevante intrazerebrale Blutung darf aber
nicht mit der nicht selten vorkommenden hämorrhagischen
Transformation ischämischen Gewebes verwechselt werden, die
in der Regel zu keiner klinischen Verschlechterung führt. Daher
gibt es Einschränkungen für die Indikation zur Lyse, die v. a. das
therapeutische Zeitfenster und den Schweregrad der klinischen
Symptomatik betreffen. In Deutschland ist die Fibrinolyse mit
rtPA für die Behandlung des ischämischen Hirninfarkts inner-
halb von 3 h nach dem Ereignis zugelassen (. Abb. 9.68). Die
. Abb. 9.67. Hemikraniektomie. Großflächige Trepanation bei malignem Effektivität ist aber auch innerhalb dieses Zeitfensters noch deut-
Infarkt zur Druckentlastung
lich höher, je kürzer die Spanne zwischen Symptom- und Thera-
piebeginn ist (»symptom to needle time«). So ist die »number
nen Ventrikeldrainage und operativen Dekompression durch needed to treat« mit 4 statt 9 nur halb so hoch, wenn die Lyse
subokzipitale Trepanation. Die Letalität kann durch den Eingriff innerhalb von 1,5 h statt 3 h durchgeführt wird.
bei komatösen Patienten von 80 auf 30% gesenkt werden. Vor-
aussetzungen sind ein im CCT oder MRT nachgewiesener, zu- Studiendaten. In Deutschland muss die Fibrinolyse von einem
nehmender Hydrozephalus bzw. eine Kompression des 4. Vent- mit der Lyse vertrauten Team unter Mitwirkung eines in der neu-
rikels und der basalen Zisternen. rologischen Intensivmedizin erfahrenen Arztes durchgeführt
werden und die Weiterbehandlung auf einer Stroke Unit gewähr-
Hypothermie leistet sein. Die Zulassungsbeschränkung für Patienten >80 Jahre
Obwohl es für die neuroprotektive Wirkung der Hypothermie ist nach einer Metaanalyse der NINDS-Studie nicht gerechtfer-
viele Belege gibt, handelt es sich aufgrund der möglichen tigt. Die Metaanalyse hat weiterhin ergeben, dass alle Infarkt-
schwerwiegenden Komplikationen noch um einen experimen- typen unabhängig vom Geschlecht, Vorerkrankungen und kli-

. Abb. 9.68a, b. Medialyse. a In der Angio-


graphie stellt sich der Verschluss der A. cerebri
media dar; b nach Thrombolyse komplette
Wiedereröffnung des verschlossenen Gefäßes

a b
126 Kapitel 9 · Gehirn

nischen Status von der Fibrinolyse profitieren. Wegen der erhöh- oder auch CT (PWI-DWI-Mismatch) darzustellen, häufiger ge-
ten Einblutungsgefahr bei großen Infarkten ist sie aber nur bei nutzt werden (. Abb. 9.69). Das PWI-MRT zeigt das Gebiet, in
einem mittleren neurologischen Defizit sinnvoll, das nach der dem die Durchblutung gestört ist. Das DWI-Bild stellt den In-
NIH-Stroke-Scale Werten zwischen >4 und <26 entspricht. farktkern dar, indem die Durchblutung so stark abgesunken ist,
Nach den Erfahrungen aus den europäischen rtPA-Studien dass der Strukturstoffwechsel zusammengebrochen und ein irre-
gelten frühe Infarktzeichen im CCT in >33% des Mediastromge- versibler Gewebsschaden eingetreten ist. Die Differenz, d. h. das
biets in der Regel als Kontraindikation, da sonst die Gefahr einer Mismatch zwischen PWI und DWI entspricht der Penumbra,
schweren intrazerebralen Einblutung als zu groß erscheint. Dieses also dem Areal, in dem die verminderte Durchblutung zwar zu
Konzept wird jedoch ebenfalls nicht durch die entscheidende nord- einem Funktionsverlust, aber noch zu keiner Strukturzerstörung
amerikanische NINDS-Studie gestützt, da nach einer Post-hoc- geführt hat, und das durch die Lyse gerettet werden soll. Pati-
Untersuchung frühe ischämische Zeichen im CCT in >33% des enten mit einem relevanten PWI-DWI-Mismatch sind also un-
Mediastromgebiets weder für den Erfolg der Lyse noch für die abhängig vom Zeitfenster geeignete Kandidaten für eine erfolg-
Komplikationen ausschlaggebend waren. Patienten mit diesen frü- reiche Lyse. Diese Untersuchung ist deshalb Voraussetzung, um
hen Ischämiezeichen im CCT profitierten vielmehr besonders gut die i. v.-Lyse auch in diesem nicht zugelassenen Zeitfenster im
von der Lyse. Es erscheint daher sinnvoll, dieses Kriterium durch Rahmen eines individuellen Heilversuchs und entsprechenden
den Befund nach dem Mismatchkonzept zu ersetzen (s. u.). Vor- Studienprotokolls von erfahrenen Zentren durchzuführen.
aussetzungen, Kontraindikationen und Durchführung müssen
also sehr individuell am jeweiligen Fall orientiert sein. Eine Gefäß- Intraarterielle Thrombolyse im vorderen Kreislaufgebiet
darstellung ist nicht erforderlich. Sie ist aber für die Verlaufsbeur- Die intraarterielle Katheterlyse mit Pro-Urokinase, für die es
teilung sinnvoll, wenn sie den Therapiebeginn nicht verzögert. Die noch keine Zulassung gibt, ist innerhalb eines Zeitfensters von
9 erfolgreiche Rekanalisierung ist bei einem distalen Gefäßverschluss bis zu 6 h sicher und wirksam. Sie führt zu einer höheren und
wahrscheinlicher als bei einem proximalen. Ein proximaler Karo- schnelleren Rekanalisierungsrate und bietet die Möglichkeit, den
tisverschluss oder ein distaler Karotis-T-Verschluss sind aber keine Thrombus auch mechanisch zu zerkleinern und damit die Chan-
Kontraindikation für eine i. v.-Lyse. Voraussetzung für den Erfolg ce der Rekanalisierung weiter zu verbessern. Sie ist aber an ein
ist, dass noch eine Penumbra vorhanden ist (s. u.). Die rtPA-Dosis entsprechend spezialisiertes und verfügbares Team sowie einen
beträgt 0,9 mg/kg Körpergewicht (max. 90 mg). hohen apparativen Aufwand gebunden. Voraussetzung ist auch
hier das Vorliegen eines PWI-DWI-Mismatch. Als Fibrinolyti-
PWI-DWI-Mismatch. Im 3–6 h-Fenster ist die Fibrinolyse auch kum werden bisher Urokinase oder rtPA verwendet.
wirksam, aber in deutlich geringerem Maße, es sei denn, bei dem Das Bridging-Verfahren kombiniert die intravenöse mit der
Patienten besteht noch ein großes PWI-DWI-Mismatch. Da die intraarteriellen Applikation. Um keine Zeit bis zur Angiographie
Wirksamkeit der Lyse unabhängig vom Zeitfenster v. a. vom Vor- zu verlieren, wird ein Teil der rtPA-Dosis oder ein Thrombolyti-
handensein einer Penumbra abhängt, sollte die diagnostische kum (z. B. Abciximab) direkt nach der Entscheidung zur Lyse als
Möglichkeit, sie als Perfusions-Diffusions-Mismatch im MRT Bolus und Dauerinfusion gegeben und anschließend der Rest des

. Abb. 9.69. PWI-DWI-Mismatch. In der DWI Hyperintensität, einer fri- dass dieses Areal noch durch eine Therapie, eine Thrombolyse, vor der Infar-
schen Ischämie entsprechend. Das Perfusionsdefizit im der PWI ist deutlich zierung gerettet werden kann
größer; dieses Mismatch entspricht dem tissue-at-risk. Es wird postuliert,
9.3 · Vaskuläre Erkrankungen
127 9
Fibrinolytikums intraarteriell über den platzierten Katheter als Thrombolyse bei Basilaristhrombose
lokale Lyse verabreicht. Nach den bisherigen Pilotstudien wur- Durchblutungsstörungen bei A. basilaris-Verschluss oder -Teil-
den eine höhere Rekanalisierungsrate und ein besseres Outcome thrombosierung sind ein lebensgefährliches Krankheitsbild mit
erzielt als nach systemischer Lyse allein. einer Letalität von 50%, das einer sofortigen Diagnostik und
Die mechanische Thrombusextraktion hat sich in ersten Therapie in einer überregionalen Stroke Unit bedarf. Bei mittel-
Pilotstudien ebenfalls als vielversprechend erwiesen; mithilfe gradigen und schweren neurologischen Symptomen stellt sich
verschiedener mechanischer Systeme kann der Thrombus aus die Indikation zur intraarteriellen Katheterthrombolyse mit oder
dem Gefäß entfernt werden, wobei eine relativ hohe Rekanalisie- ohne Bridging-Verfahren (. Abb. 9.70).
rungsrate erzielt wird (z. T. bis >90%). Ausreichende Studien, um Durchführungsempfehlungen ge-
ben zu können, liegen weder für das Zeitfenster noch für das zu
verwendende Thrombolytikum vor. Im Gegensatz zur Lyse im
Vorgehen bei i. v.-Thrombolyse mit rtPA im vorderen vorderen Kreislauf ist das Zeitfenster deutlich größer und wird mit
Hirnkreislauf <12 h, in Einzelfällen bis 24 h, angegeben. Entscheidende Aus-
Voraussetzungen: schlusskriterien sind lichtstarre weite Pupillen, Koma seit 2–4 h
4 Ausschluss ICB im CCT/MRT und im CCT schon nachweisbare Hypodensitäten frischer Infarkte
4 Zeitintervall zwischen Beginn der Symptomatik und im vertebrobasilären Stromgebiet. Die Lyse wird in spezialisierten
Beginn der Thrombolyse <3 h (Einzelheiten s. Text) Zentren mit Urokinase (bis 1,5 Mio. IE) oder rtPA (70–90 mg
4 Mittleres neurologisches Defizit (NIH-Stroke-Scale >4 fraktioniert) durchgeführt. Beim Double-shot-Verfahren wird die
und <26) intraarterielle rtPA-Fibrinolyse mit der anschließenden i. v.-Gabe
4 Mismatch im PWI-/DWI-MRT eines Gp IIa/IIIb-Inhibitors wie Abciximab verbunden.

Kontraindikationen: Frühe Sekundärprophylaxe


4 Intrazerebrale Blutung Die frühe Sekundärprophylaxe soll Reinfarkte in der Akutphase
4 Frühe Infarktzeichen im CCT (Hypodensität des Versor- verhindern. Folgende Möglichkeiten stehen zur Verfügung:
gungsgebiets der A.cerebri media: mehr als ein Drittel) 1. Thrombozytenfunktionshemmer: Die Effektivität einer frü-
4 Fixierte Kopf- und/oder Blickdeviation mit Hemiplegie hen Therapie mit Acetylsalicylsäure zur Reinfarktprophylaxe
oder mehr als somnolente Bewusstseinsstörung als Zei- ist in verschiedenen Studien nachgewiesen worden. Sie ist
chen eines sehr großen Infarkts nicht sehr hoch, wird aber in den Leitlinien generell empfoh-
4 Weiter s. Fachinformation len. Die Dosierungen bewegen sich zwischen 100–300 mg
ASS/Tag.
Durchführung: 2. Frühe Antikoagulation mit Heparin bei kardioembolischen
4 rtPA 0,9 mg/kg Körpergewicht, 10% als i. v. Bolus; Infarkten:
max. 90 mg Die Vollheparinisierung wurde bis vor Jahren in manchen
4 Rest in 40 ml 0,9%igem NaCl kontinuierlich i. v. über 1 h Kliniken sehr häufig angewendet. Die Indikation wird heute
4 Heparin oder Thrombozytenfunktionshemmer frühes- fast ausschließlich nur noch bei kardioembolischer Genese und
tens nach 24 h bei Dissektion gestellt. Grundlage dieses Vorgehens ist die ge-
sicherte Studienlage, nach der zum einen die Marcumarisie-

a b

. Abb. 9.70a, b. Basilaristhrombose und Lyse. In der DSA sieht man ei- ten Urokinase ist die A. basilaris wieder komplett rekanalisiert. Die A. cerebri
nen Verschluss im mittleren Abschnitt der A. basilaris. Nach 1,0 Mio. Einhei- posterior rechts kommt direkt aus der A. carotis interna rechts
128 Kapitel 9 · Gehirn

rung in der Sekundärprophylaxe kardioembolischer Hirnin- zu 30%, die Hypertonusbehandlung um 50% und die Mar-
farkte außerhalb der Akutphase mit einer Risikoreduktion von cumarisierung bei kardialen Embolien aufgrund einer
75% die effektivste Reinfarktprophylaxe überhaupt ist, und absoluten Arrhythmie um 75%.
zum anderen das höchste Reembolierisiko unmittelbar nach 5 Etwa 10% der Patienten entwickeln eine symptomatische
dem akuten Schlaganfall besteht. Trotzdem konnte in verschie- Epilepsie und 50% eine Depression, die durch sozialen
denen Studien die prophylaktische Wirkung der frühen PTT- Rückzug die Wiedererlangung der Selbstständigkeit und
wirksamen Vollheparinisierung nicht zweifelsfrei nachgewie- Eingliederung in das Alltagsleben verzögert.
sen werden, sondern die erhöhte intrazerebrale Einblutungsra-
te mit der dadurch bedingten klinischen Verschlechterung hob Intrazerebrale Blutungen
in Gesamtkollektiven den Vorteil der geringeren Rezidivrate Ätiologie
wieder auf. Erstaunlicherweise besteht aber auch in Nordame- Das klinische Erscheinungsbild intrazerebraler Blutungen ist
rika noch eine große Diskrepanz zwischen dieser schlechten vielfältig, es reicht von heftigen, akut einsetzenden Kopf-
Datenlage und der täglichen Praxis, in der nahezu 90% aller schmerzen mit oder ohne neurologische Ausfälle bis zu subaku-
kardioembolischen Infarkte noch vollheparinisiert werden.Zu- ten Verläufen ohne Schmerzsymptomatik. Etwa 15% der Schlag-
sammenfassend besteht, bei allerdings unbefriedigender Studi- anfälle sind auf intrazerebrale Blutungen zurückzuführen, etwa
enlage, keine evidenzbasierte Grundlage für eine frühe Antiko- 2–5% auf eine Subarachnoidalblutung.
agulation mit Heparin, sodass sie allenfalls bei gesichertem
hohem Rezidivrisiko im Einzelfall infrage kommt. Epidemiologie und Ätiologie
3. Frühe Antikoagulation mit Heparin bei A. carotis-Dissektion: Die jährliche Inzidenz einer intrazerebralen Blutung beträgt
Die Häufigkeit von Dissektionen als Ursache von Hirnin- 10–15 Fälle pro 100 000 Einwohner. Männer und Frauen sind
9 farkten ist mit 3/100 000/Jahr nicht gering. Sie betrifft v. a. dabei gleich häufig betroffen.
jüngere Patienten und ist in der Altersgruppe <45 Jahren im- Ursachen einer spontanen, nichttraumatischen intrazere-
merhin in 15% der Fälle die HI-Ursache. Sie geht oft mit ty- bralen Blutung sind:
pischen Schmerzen im Halsbereich einher, und in der Angio- 4 in >60% der Fälle eine Hypertonie
graphie ist die flammenartige Verengung des Gefäßes charak- 4 weniger häufig die Folge des Alkoholismus (ca. 10%)
teristisch. Auch hier gibt es für die Vollheparinisierung keine 4 die Amyloidangiopathie oder Gefäßmissbildungen (je
durch Studien gesicherte Datenlage, aber wegen der hohen ca. 10%)
Reinfarkt-Rate und häufig erzielten Rekanalisierung wird sie 4 seltener Blutkrankheiten und Gerinnungsstörungen, Tumo-
in vielen Leitlinien mit einer Anhebung der PTT auf das 2- bis ren, Venenthrombosen und Intoxikationen
3-Fache empfohlen. Eine Gefäßoperation oder eine alternative
interventionelle Stentimplantation kommt allenfalls bei hoch- Die nichttraumatischen Hirnblutungen treten am häufigsten im
gradigen Stenosen und begleitendem, insbesondere hämody- 5.–7. Lebensjahrzehnt auf, v. a. im Zusammenhang mit arterieller
namischem Hirninfarkt infrage. Es schließt sich eine Marcu- Hypertonie und dadurch verursachten Gefäßveränderungen wie
marisierung mit einer INR von 2,0–3,0 über 6 Monate an. Hyalinose und Mikroaneurysmen. Das Risiko, eine intrazerebrale
Danach wird der Gefäßbefund zum Ausschluss einer Stenose Blutung zu erleiden, steigt mit dem Alter deutlich an. In der Al-
oder eines Pseudoaneurysmas angiographisch oder doppler- tersgruppe bis 45 Jahre sind Subarachnoidalblutungen häufiger als
sonographisch abgeklärt. Bei unauffälligen Gefäßverhältnis- intrazerebrale Blutungen, danach überwiegen die intrazerebralen
sen wird die medikamentöse Therapie beendet. Bei persistie- Blutungen. Bei jüngeren Patienten sind Aneurysmen der Hirn-
renden embolieträchtigen Gefäßveränderungen erfolgt die arterien und arteriovenöse Malformationen (AVM, 7 Kap. 9.3.1),
Umstellung auf einen Thrombozytenfunktionshemmer. Ein seltener Hirntumoren, Blutgerinnungstörungen, Entzündungen
Pseudoaneurysma rechtfertigt keine Dauerantikoagulation. und Sinusvenenthrombosen als Ursache zu berücksichtigen.
4. Weitere Maßnahmen:
5 Die große Bedeutung der Frühmobilisierung wurde v. a. Prognose
in skandinavischen Studien belegt und beginnt unmittel- Die Mortalität intrazerebraler Blutungen, die stark von der Blu-
bar auf der Stroke Unit. tungsgröße und -lokalisation abhängt, beträgt zwischen 30 und
5 Auch die Pneumonie-, Dekubitus- und Thrombosepro- 50%. Je größer die Blutung ist, desto schlechter wird die Prognose:
phylaxe mit einer Low-dose-Heparinisierung haben ihren überschreitet das Blutungsvolumen 100 ml, so steigt die Mortali-
festen Stellenwert. tät auf 90%. Ein frühes Koma sowie Blutungen im Thalamus und
5 Ein Gesundheitstraining zur Bekämpfung der Risikofak- Hirnstamm haben ebenfalls eine schlechtere Prognose. Weitere
toren Rauchen, Hypertonus, Diabetes mellitus, Überge- prognostisch ungünstige Faktoren sind ein Einbruch der Blutung
wicht, Bewegungsmangel, Hyperlipidämie muss schon in das Ventrikelsystem oder in den Subarachnoidalraum.
am Krankenbett beginnen.
5 Je nach Schweregrad und Art der neurologischen Defizite, Bildgebung
einschließlich der neuropsychologischen, schließt sich bei Die bildgebende Diagnostik dient primär zur Unterscheidung
35% der Patienten eine Rehabilitationsbehandlung an. einer zerebralen Ischämie von einer intrazerebralen Blutung
5 Die konsequente Sekundärprophylaxe mit Thrombozy- oder einer Subarachnoidalblutung und bildet damit die Voraus-
tenfunktionshemmern senkt das Reinfarkt-Risiko um bis setzung für eine weiterführende spezifische Therapie. Die genaue
9.3 · Vaskuläre Erkrankungen
129 9

. Tab. 9.6. Signalcharakteristika intrazerebraler Blutungen in SE-Sequenzen

Biochemische Form Zeit T2 T1

Oxyhämoglobin >24 h hyperintens hypointens bis isointens

Deoxyhämoglobin einige Stunden bis Tage hypointens hypointens bis isointens

Methämoglobin
5 intrazellulär 5 >3 Tage 5 hypointens 5 hyperintens
5 extrazellulär 5 >7 Tage bis Monate 5 hyperintens 5 hyperintens

Ferritin/Hämosiderin >14 Tage hypointens hypointens bis isointens

Lokalisation und Ausdehnung einer intrazerebralen Blutung


oder einer Subarachnoidalblutung ist mit der CT gut und sicher
zu erkennen. Subakute und chronische Blutungen sind dagegen
verlässlicher mit der MRT zu diagnostizieren. Die MRT galt bis-
her als nicht sehr sensitiv in der Frühdiagnose der intrazerebralen
Blutung. Neuere Untersuchungen zeigen jedoch, dass die MRT
sehr wohl in der Lage ist, eine intrazerebrale Blutung auch in der
Akutphase eindeutig darzustellen, wenn adäquate MR-Sequen-
zen verwendet werden (. Tab. 9.6). Aus der unterschiedlichen
Signalgebung in den verschiedenen MR-Sequenzen kann auf das
Alter der Blutung rückgeschlossen werden.
In die differenzialdiagnostischen Überlegungen bei intraze-
rebraler Blutung gehen folgende Fragen ein:
4 Sind Risikofaktoren wie Hypertonus oder Alkoholerkran-
kung bekannt?
4 Liegen Gerinnungsstörungen vor oder werden Substanzen
oder gerinnungsbeeinflussende Medikamente wie Marcu-
mar, Heparin, Fibrinolytika oder Antikonzeptiva eingenom-
men?
4 Liegt ein malignes Grundleiden vor, eine Endokarditis, eine
Kollagenose?
4 Gibt es Hinweise auf einen erst kürzlich erlittenen ischä-
mischen Infarkt? . Abb. 9.71. Stammganglienblutung. In der CT zeigt sich bei diesem 58-
jährigen Patienten eine Hyperdensität die lateralen Stammganglien betref-
fend; es handelt sich um das typische Bild einer lateral gelegenen hyperten-
Blutungstypen siven Stammganglienblutung
Hypertensive Blutungen
Als klassische hypertensive Massenblutung wird die Stamm-
ganglienblutung (. Abb. 9.71) angesehen. Die Stammganglien das Ventrikelsystem kommen. Ganz selten treten rein intravent-
werden von perforierenden Arterien versorgt, die in ihrem Auf- rikuläre Blutungen auf. Eine Komplikation intraventrikulärer
bau dünnere Wände als die kortikalen Arterien gleichen Durch- Blutungen ist die Ausbildung einer Liquorzirkulationsstörung
messers aufweisen. Chronischer Hypertonus führt zu Gefäß- durch Verlegung des Aquädukts durch koaguliertes Blut oder
wandveränderungen mit fibrinoider Nekrose, Lipohyalinose mit einer Liquorresorptionsstörung durch Verkleben der Pacchioni-
fettigen subintimalen Ablagerungen und zur Ausbildung von Granulationen.
Mikroaneurysmen. Eine zusätzliche Blutdruckerhöhung kann,
bei dann eingeschränkter Vasoreaktivität, nicht mehr kompen- Blutungen bei Amyloidangiopathien
siert werden und zur so genannten Rhexisblutung führen. Typi- Atypisch gelegene intrazerebrale Blutungen bei über 70-jährigen
scherweise sind hypertensive Massenblutungen lokalisiert in: Patienten, so genannte Lobärblutungen (. Abb. 9.72), sind häu-
4 den Basalganglien (ca. 40%) fig die Folge einer Amyloidangiopathie. Sie treten meist parietal
4 dem subkortikalen Marklager (ca. 25%) oder okzipital, weniger häufig temporal auf. Bei kortexnahen
4 dem Thalamus (ca. 20%) Blutungen kann es zu einer subarachnoidalen Mitbeteiligung
4 dem Cerebellum (ca. 10%) kommen. Lobärblutungen bei jüngeren Patienten sollten immer
4 dem Pons (ca. 5%) Anlass zur Suche nach einer Gefäßmissbildung geben, z. B. einer
duralen Fistel, einer arteriovenösen Malformation oder eines
Insbesondere bei Thalamusblutungen und medial gelegenen Ba- atypisch gelegenen Aneurysmas.
salganglienblutungen kann es zu einem Einbruch der Blutung in
130 Kapitel 9 · Gehirn

Sinus- und Hirnvenenthrombosen


Sie können zu Stauungsblutungen mit hämorrhagischen Infark-
ten im Einzugsgebiet der verschlossenen Venen führen (s. u.). Es
können aber auch ausgedehnte intrazerebrale oder subdurale Blu-
tungen durch Ruptur venöser Kollateralen auftreten. Ist der Sinus
sagittalis superior verschlossen, treten oft bilaterale Blutungen im
subkortikalen Marklager der Großhirnhemisphären auf.

Tumoreinblutungen
Dies kann die Erstmanifestation eines zerebralen Tumors sein
oder ein bereits bestehendes neurologisches Defizit verschlech-
tern. Dabei handelt es sich meist um hirneigene maligne Tumo-
ren oder um Metastasen. Besonders häufig bluten Metastasen
von malignen Melanomen, Bronchial-, Nieren-, Mamma-,
Schilddrüsen- und Chorionkarzinomen. Metastasen führen häu-
figer zu subkortikalen Blutungen, während Glioblastome öfter in
der Tiefe gelegene Blutungen verursachen. Bei den hirneigenen
Tumoren bluten Glioblastome und Oligodendrogliome am häu-
. Abb. 9.72. Blutung bei Amyloidangiopathie. Lobärblutung links pa- figsten. Allerdings kann fast jeder intrazerebrale Tumor bluten.
rietookzipital bei einer 84-jährigen Patientin, mutmaßlich bei Amyloidan- Die Inzidenz für Tumorblutungen wird mit 1–15% angegeben.
9 giopathie. (Aus Radiologe 1999;39:828–838, S. 830, Abb. 2) Für eine Tumorblutung sprechen ein relativ frühes ausgedehntes
Ödem sowie eine inhomogene und unregelmäßig begrenzte Hy-
> Eine Blutung auf dem Boden einer Amyloidangiopathie perdensität. Nach Kontrastmittelgabe zeigt sich oft eine zusätz-
kann nur histologisch gesichert werden, ist aber als liche Störung der Blut-Hirn-Schranke. Meist lässt sich jedoch
wahrscheinlich anzunehmen,wenn es bei einem älteren erst in Verlaufsuntersuchungen, wenn die Blutung weitgehend
Menschen ohne Hypertonus in der Anamnese zu rezidi- resorbiert ist, der zugrunde liegende Tumor nachweisen.
vierenden Blutungen in das subkortikale Marklager ge- > Eine sichere Unterscheidung zwischen einer Tumorblu-
kommen ist. tung und einer spontanen intrazerebralen Blutung ist
meist nicht möglich. Ein inkompletter Hämosiderinring
Blutungen unter Antikoagulanzien und thrombolytischen
in der MRT spricht eher für eine Tumorblutung, wäh-
Substanzen
rend multiple Blutungen und das Fehlen eines Ödems
Das Risiko, unter einer Marcumartherapie eine intrazerebrale
eher auf eine primär intrazerebrale Blutung hinweisen.
Blutung zu erleiden, liegt bei 0,5–1% pro Patientenjahr. Ca. 5%
aller intrazerebralen Blutungen treten unter einer Therapie mit Blutungen bei Gefäßmissbildungen
Marcumar oder Heparin auf, wobei nur bei einem Drittel der Die Gefäßfehlbildungen können weiter unterteilt werden in (s. o.):
Patienten eine Überdosierung vorliegt. Die intrazerebralen Blu- 4 arteriovenöse Malformationen (AVM) (. Abb. 9.73)
tungen sind oft sehr groß und liegen meist subkortikal im Mark- 4 durale arteriovenöse Fisteln
lager. Oft sind Spiegelbildungen innerhalb des Hämatoms nach- 4 Aneurysmen
weisbar oder hypodense Areale, die auf eine hyperakute Blutung 4 Kavernome
hinweisen. Eine sekundäre intrazerebrale Blutung unter Anti- 4 kapilläre Teleangiektasien
koagulanzien und Thrombolyse wird eingeteilt in:
4 die klinisch stumme hämorrhagische Transformation und Zerebrale Gefäßmissbildungen stellen nach der Hypertonie die
4 die parenchymatöse Blutung zweithäufigste Ursache nichttraumatischer intrakranieller Blu-
tungen dar.
Eine hämorrhagische Transformation tritt bei ca. 60–70% der
Patienten mit embolischen Hirninfarkten auf. Eine parenchy- Therapie und Verlauf
matöse Blutung nach Infarkt führt fast immer zu einer klinischen Spontane supratentorielle Hämatome werden in der Regel kon-
Verschlechterung. Eine thrombolytische Therapie eines Herzin- servativ behandelt, außer man verspricht sich von der operativen
farkts hat ein Risiko für intrazerebrale Blutungen zwischen 0,5 Dekompression eine Verbesserung des klinischen Zustandes; bei
und 2%. Eine Thrombolyse bei zerebraler Ischämie führt in ca. drohender Hinstammkompression kann eine Hämatomausräu-
6–15% zu einer intrazerebralen parenchymatösen Blutung. mung durchaus sinnvoll sein. Bei Entwicklung eines Verschluss-
hydrozephalus kann eine externe Liquordrainage angelegt wer-
Intrazerebrale Blutungen bei Bluterkrankungen den. Das Einbringen eines Katheters in das Hämatom zur spon-
Bei Bluterkrankungen, besonders bei Leukämien, können intra- tanen Entleerung und zur Instillation von Fibrinolytika ist noch
zerebrale Blutungen auftreten. Es gibt keine Kriterien, leukä- im experimentellen Stadium und kann noch nicht abschließend
misch verursachte Blutungen von anderen intrazerebralen Hä- beurteilt werden. Bleibt die Blutungsursache ungekärt, müssen
matomen zu unterscheiden. weitere diagnostische Maßnahmen ergriffen werden.
9.3 · Vaskuläre Erkrankungen
131 9

a d

b e

. Abb. 9.73a–e. Blutung bei AVM. a Laterale Stammganglienblutung


rechts mit Ventrikeleinbruch bei einer 27-jährigen Patientin mit einer akut
aufgetretenen Hemiparese links. b Angiographisch zeigt sich eine kleine
AVM mit Versorgung aus der A. cerebri anterior und A. cerebri media. c In
der Vergrößerung in der späten arteriellen Phase Nachweis der früh dranie-
renden Vene; Darstellung des KM-angehobenen Sinus transversus links.
d Im Kontroll-CT nach 3 Wochen ist die Blutung weitgehend resorbiert; noch
leichte Raumforderung mit Verlagerung des rechten Vorderhorns des Sei-
tenventrikels nachweisbar. e Im MRT stellt sich die Blutung nach 4 Wochen
in den T1w-Sequenzen hyperintens dar (Methämoglobin). (Aus: Radiologe
c
1999;39:832, Abb.4a–e)
132 Kapitel 9 · Gehirn

! Um eine intrazerebrale Blutung entwickelt sich im wei-


teren Verlauf oft ein ausgeprägtes Ödem. Bei Kontrast- . Tab. 9.7. Akute zerebrale Ischämien im Kindesalter
mittelgabe kann in diesem Stadium dann leicht die
Klinische Manifestation (%)
Blutung mit einem Tumor oder einem Abszess ver-
wechselt werden. Hemiplegie 76

Bewusstseinsstörung 35
Die Blutung wird langsam über Tage und Wochen abgebaut, als
Residualzustand ist oft nur ein kleiner schlitzförmiger Defekt zu Aphasie 18
sehen, manchmal auch größere zystische Läsionen. Anfälle 17

Stroke im Kindesalter Locked-in-Syndrom 6

Etwa 3% aller Schlaganfälle treten im Kindesalter auf, bei jungen Ataxie 3


Erwachsenen ist das Vorkommen eines Schlaganfalls sogar noch
Doppelbilder 3
seltener. Zerebrale Infarkte im Kindesalter haben meist eine an-
dere Ätiologie verglichen mit der von Erwachsenen. Die Sinus-
venenthrombose ist ein Krankheitsbild, das häufig nicht recht-
zeitig diagnostiziert wird. Klinik, Ursachen, Diagnostik und tikörper sowie Urin- und Liquoruntersuchung sollten zur Abklä-
Therapie werden dargestellt. rung der Ätiologie durchgeführt werden. Zusätzlich sollten noch
Antikörpertiter auf Varizella-Zoster-Virus, Zytomegalievirus,
Epidemiologie Herpes-simplex-Virus Typ 1 und auf das Masernvirus in Serum
9 Vaskuläre okklusive Erkrankungen sind im Kindesalter selten und und Liquor vorgenommen werden.
variieren zwischen den unterschiedlichen ethnischen Gruppen. In Die Ursache eines ischämischen Schlaganfalls im Kindesalter
den USA wird die Inzidenz ischämischer und hämorrhagischer variiert signifikant von den zugrunde liegenden Ursachen im
Schlaganfälle bei Kindern auf 2,5 Fälle pro 100 000 Einwohner/ Erwachsenenalter (. Abb. 9.74, . Abb. 9.75, . Abb. 9.76). In der
Jahr und die Rate ischämischer Schlaganfälle auf 1,2 Fälle pro 100 Mehrheit der Fälle (etwa 80%) kann eine spezifische Ätiologie für
000/Jahr geschätzt. Diese Daten beziehen sich auf Patienten den Schlaganfall gefunden werden (. Tab. 9.8). Die häufigste Ur-
<15 Jahren und schließen die periventrikulären Leukomalazien sache für einen Schlaganfall im Kindesalter ist eine angeborene
mit ein. Die Verteilung des Schlaganfalls zeigt eine gleich bleibende Herzerkrankung: Embolien aus dem Herzen oder aus der Peri-
Inzidenz ab dem 2. Lebensjahr. Während der Neonatal- und Säug- pherie über einen Rechts-Links-Shunt sind die häufigsten Ursa-
lingsperiode ist die Inzidenz jedoch deutlich höher. chen für einen ischämischen Schlaganfall. Die häufigsten hierbei
vorliegenden kardialen angeborenen Erkrankungen sind die Fal-
Klinik lot-Tetralogie und die Transposition der großen Gefäße. Embo-
Ischämien können bereits in utero auftreten. Bisweilen manifes- lien von prothetischen Herzklappen sind ebenfalls eine wichtige
tieren sich die klinischen Symptome erst Tage oder Wochen Quelle für zerebrale Ischämien. Ein Mitralklappenprolaps wird
nach der Geburt, je nach Ausprägung und Lokalisation des In- hingegen nicht als erhöhtes Risiko für einen Schlaganfall im Kin-
farkts. Bei Neugeborenen mit einem akuten Schlaganfall treten desalter angesehen.
oft Anfälle auf, fokal-neurologische Defizite sind seltener. Die Kinder >2 Jahre zeigen bei Embolien im Rahmen kongenita-
neurologischen Defizite werden meist erst später klinisch appa- ler Herzerkrankungen häufiger einen Hirnabszess als eine zere-
rent, oft über die nächsten Monate und Jahre hinweg. Klein- brale Ischämie. Bei Kindern mit kongenitalen Herzerkrankungen
kinder und Schulkinder reagieren auf einen akuten Schlaganfall sind häufig als Begleitsymptome eine Polyzythämie und eine er-
oft mit einer Bevorzugung einer Hand bzw. einer Körperseite höhte Blutviskosität zu finden, was auch als eine Ursache für das
(. Tab. 9.7). Der genaue Zeitpunkt des Schlaganfalls kann bei gehäufte Vorkommen von zerebralen Sinus-Venen-Thrombosen
Kleinkindern oft nicht genau bestimmt werden. Die klinischen gilt. Ein transösophagealer Ultraschall kann und sollte auch bei
Symptome können Fieber, Anfälle und Koma beinhalten. Bei kleineren Kindern durchgeführt werden, um einen Thrombus
älteren Kindern tritt typischerweise ein akutes fokal-neurolo- oder ein offenes Foramen ovale mit paradoxer Embolie aufzude-
gisches Defizit auf, meistens eine Hemiparese mit oder ohne cken. Infektionen, wie bakterielle oder virale Meningitiden, kön-
begleitende Anfälle. Die neurologischen Symptome bessern sich nen die Ursache für eine entzündliche Arteriitis sein, die zu
meist innerhalb kurzer Zeit. einem akuten ischämischen Schlaganfall führen kann. Ein
Anfälle, Fieber, Kopfschmerzen und Bewusstseinsstörungen Schlaganfall wurde auch als eine seltene Komplikation bei Kin-
können vorkommen, sind aber bei älteren Kindern nicht so häu- dern mit einer HIV-Infektion beschrieben (etwa 1% der betrof-
fig wie bei Kleinkindern und in der Neugeborenenperiode. fenen Kinder). Autopsien ergaben bei HIV-Kindern eine Beteili-
gung der Gefäße in etwa 10–30%.
Ätiologie
CT, MRT, konventionelle Angiographie, Blutbild, Serumelektro- Hämatologische Erkrankungen und Koagulopathien
lyte, Entzündungsparameter (CRP, Blutsenkung), Gerinnungs- Die Sichelzellenanämie ist die häufigste, mit zerebrovaskulären
parameter, transösophageales Echokardiogramm, EEG, 24 h- Komplikationen verbundene Gerinnungsstörung. Etwa 25% die-
EKG, Blutfette, Laktat, Protein C, Protein S, Antiphospholipidan- ser Patienten entwickeln zerebrovaskuläre Komplikationen, 80%
9.3 · Vaskuläre Erkrankungen
133 9

a b c

d e

. Abb. 9.74a–e. Stroke im Kindesalter. 5 Jahre altes Mädchen mit be- Ausdehnung den Arealen mit gestörter Diffusionswichtung entspricht.
kannter Trisomie 21. Das Kind erlitt 4 h vor Durchführung der MRT eine d Trotz dieses Mismatches wurde eine arterielle DSA durchgeführt, die ei-
Aphasie und rechtsseitige Hemiparese. a Diffusionsgewichtete Sequenzen nen kompletten Verschluss der A. cerebri media zeigte. e Eine sofort durch-
mit hyperintensen Arealen links frontal im Versorgungsgebiet der A. cerebri geführte, intraarterielle Thrombolyse zeigte nur eine Teilrekanalisation ein-
media und A. cerebri anterior. b In der FLAIR-Sequenz zeigt sich noch keine zelner Mediaäste, ein Thrombus verblieb noch im Mediahauptstamm. (Aus:
pathologische Signalveränderung. c In der perfusionsgewichteten Sequenz Radiologe 2003;43:952, Abb. 2a–e)
deutliches perfusionsgestörtes Areal links frontal, das in seiner Größe und

davon im Alter <15 Jahren. Ein Schlaganfall tritt meist im Rah- bralen Infarkten im Kindesalter führen. Diese Antiphospholi-
men einer akuten thrombozytischen Krise auf. Der Verschluss pidantikörper sind Autoantikörper gegen Phospholipide und bei
kleiner und größerer Blutgefäße durch die sichelförmigen Eryth- systemischem Lupus erythematodes und anderen Autoimmun-
rozyten führt zu lokalen Durchblutungsstörungen. Fokale oder erkrankungen erhöht nachweisbar. Ihre pathogenetische Rolle
generalisierte Krampfanfälle treten bei etwa 70% dieser Patienten beim akuten Schlaganfall ist allerdings noch nicht ganz geklärt.
auf. Wenn eine Angiographie durchgeführt werden muss, sollte
das Risiko durch eine gute Hydratation und eine ausreichende Metabolische Erkrankungen
Transfusion minimiert werden. Der Homozystinurie liegt ein Defekt der Zystathioninsynthase
Es gibt auch mehrere angeborene Gerinnungsstörungen, die (Chromosom 21q22–3) zugrunde. Sie ist eine der metabolischen
zu einer Thrombose oder zu einem Schlaganfall führen. Bei Kin- Erkrankungen, die zu arteriellen und venösen Thrombosen mit
dern sollten v. a. Protein C, Protein S, Antithrombin III und eine zerebralen Infarkten prädisponieren. Infarkte können oft auftre-
Dysfibrinogenämie untersucht werden. Verschiedene Antiphos- ten, bevor die anderen Folgen dieser Erkrankung, z. B. eine Dis-
pholipidantikörper, einschließlich des Lupus-Antikoagulans, lokation der Linsen, eine Entwicklungsverzögerung und ein
können ebenfalls zu einer gestörten Gerinnung und zu zere- marfanoider Habitus evident werden. Der Morbus Fabry, verur-
134 Kapitel 9 · Gehirn

9 a b

. Abb. 9.75a,b. Stroke im Kindesalter. 13-jähriger Patient mit bekanntem zone zu erkennen. Das Vorderhorn des rechten Seitenventrikels ist konseku-
peripartalem Infarkt rechts frontal. a In den FLAIR-Sequenzen stellt sich der tiv eweitert. b In den koronaren T1w-Aufnahmen ist der Defekt ebenfalls li-
Defekt liquorisointens dar, lediglich am dorsalen Rand ist eine kleine Gliose- quorisointens. Der an das Defektareal angrenzende Cortex ist ausgedünnt

a b

. Abb. 9.76a, b. Vaskulitis im Kindesalter. 10-jähriger Patient mit seit b Die durchgeführte MR-Angiographie in TOF-Technik zeigt jedoch einen
Monaten andauernden Kopfschmerzen und Schwindelsymptomatik (in T2- deutlichen Kalibersprung in der A. cerebri media als Hinweis auf eine
Wichtung keine pathologische Signalabweichung). a Die koronaren FLAIR- Vaskulitis der Aa. cerebri mediae beidseits. (Aus: Radiologe 2003;
Sequenzen zeigen ebenfalls keine pathologischen Signalveränderungen. 43:953,Abb. 3 b,c)

sacht durch einen Mangel an α-Galaktosidase, führt ebenfalls zu mit Enzephalopathie, Laktatazidosen und schlaganfallartigen
zerebralen Infarkten. Die Infarkte sind hier allerdings eher vom Episoden (7 Kap. 9.8, Metabolische Erkrankungen) können
lakunären Typ und treten häufiger im frühen Erwachsenenalter ebenfalls bereits im Kindesalter mit Kopfschmerzen, Anfällen,
auf. Beim Morbus Fabry kommt es zu Ablagerungen von Globo- Hemiparesen und kortikaler Blindheit auftreten.
triaosylceramid in zahlreichen Organen wie den Nieren, dem Eine akute, regressive zerebrale Arteriopathie ist charakte-
Herz, Nervensystem und Gefäßen. Mitochondriale Myopathien risiert durch eine vorübergehende akute Angiitis der Gefäß-
9.3 · Vaskuläre Erkrankungen
135 9
in einer Serie von Lasjaunias und Mitarbeitern mit 12 Jahren hö-
. Tab. 9.8. Ätiologie des ischämischen und hämorrhagischen her. Es war auch anamnestisch meist ein Neurotrauma zu eruie-
Schlaganfalls im Kindesalter (nach Lo, Stephens, Fernandez: State-
ren. Bei Dissektionen waren die Gefäßunregelmäßigkeiten meist
ment of Correction: Pediatric Stroke in the United States and the
Impact of Risk Factors. J Child Neurol 2009 24: 194) im supra- und infraklinoidalen Segment der A. carotis interna
nachweisbar, jedoch nicht fokal oder multifokal im Bereich der
Pathologie Auslöser % A. cerebri anterior und media.
Ischämischer Kongenitale Herzerkrankung 9,6 Eine zeitliche Korrelation zwischen einem ischämischen
Schlaganfall Kopftrauma 9,5 Schlaganfall bei jungen Patienten und infektiösen Erkrankungen
Meningitis, Enzephalitis 8,7 (Tonsillitis, zervikale Lymphadenopathie [Varizella-Zoster-In-
Sepsis 8,5
fektion, EBV]) wurde in mehreren Studien beschrieben. In der
Serie von Sebiri lag bei 5 Kindern eine Varizelleninfektion vor,
Sichelzellanämie 7,8
die der akuten zerebralen Ischämie voranging.
Gerinnungsstörung 6,2
Arrhythmie 6,1 Vaskulopathien
Hypertonie 5,4 Nichtinfektiöse Gefäßerkrankungen, wie die Periarteriitis nodo-
Autoimmunerkrankungen 4,6 sa und der systemische Lupus erythematodes kommen bei Kin-
Purpura 4,4 dern deutlich seltener als bei Erwachsenen vor. Gleiches gilt für
Moya Moya 2,6 die fibromuskuläre Dysplasie, die im Kindesalter selten mit
einem Infarkt assoziiert ist. Die Moya-Moya-Erkrankung ist eine
Hirntumoren 2,4
primäre Gefäßerkrankung, die durch progressive Stenosen und
Leukämien 2,4
Okklusionen, v. a. des supraklinoidalen Abschnitts der A. carotis
Migräne 2,4
interna, charakterisiert ist (s. unten: Seltene Ursachen vaskulärer
Herzstillstand 2,4 Erkrankungen). Oft sind auch die angrenzenden Segmente der
Hämorrhagischer Kongenitale Herzerkrankung 13,6 A. cerebri media und anterior mitbeteiligt. Der Körper reagiert
Schlaganfall Arteriovenöse Malformationen 13,5 mit der Ausbildung eines abnormalen vaskulären Netzwerks, des
Sepsis 9,4 so genannten Rete mirabile, im Japanischen als Moya-Moya be-
Arrhythmie 9,0
zeichnet, um die Gefäßverschlüsse auszugleichen.
Die häufigsten Symptome des Kindesalters sind multiple,
Gerinnungsstörungen 7,7
vorübergehende Ischämien, z. T. mit bleibenden klinischen
Hypertonie 6,1
Symptomen. Bei Kindern <6 Jahren treten häufiger Anfälle als
Purpura 6,0 Symptome der akuten Ischämie auf. Die Erkrankung kann sich
Hirntumor 5,6 auf einem bestimmten Level stabilisieren, häufiger kommt es je-
Meningitis, Enzephalitis 3,8 doch zu einem progressiven Verlauf mit zunehmenden moto-
Leukämie (inklusive ALL) 2,9 rischen Defiziten und intellektuellen Verschlechterungen.
Herzstillstand 2,9 So genannte Moya-Moya-artige Bilder können bei Kindern
Kopftrauma 2,9
mit verschiedenen, langsam progredienten »Large-vessel-Vasku-
lopathien« mit Ausbildung von Kollateralkreisläufen auftreten.
Autoimmunerkrankung 2,6
Die Symmetrie, die transdurale Angiogenese, das Fehlen lep-
ALL 2,1
tomeningealer Kollateralen sowie die normale Erscheinung der
Sichelzellanämie 1,5 Gefäße der hinteren Schädelgrube und die Rolle der ventrikulo-
striatären Gefäße unterscheiden diese Erkrankung jedoch von
wände. Sie wurde in der Serie von Sebiri in etwa 26% der Fälle einer echten Moya-Moya-Erkrankung (s. unten, . Abb. 9.78).
als die Ursache eines Schlaganfalls ausgemacht. Häufiger Auslöser Die Takayasu-Erkrankung ist eine Arteriitis, die hauptsäch-
dieser zerebralen Arteriopathie sind infektiöse Erkrankungen, lich die Aorta und die supraaortalen Gefäße betrifft. Sie geht mit
wie ein Varizella-Zoster-Infektion oder eine andere virale Menin- fehlenden Pulsen und Gefäßgeräuschen einher. Ein akuter
goenzephalitis. Bei dieser Art der Arteriopathie tritt der patholo- Schlaganfall tritt bei etwa 5–10% dieser Patienten auf. Die Er-
gische Prozess nur transient auf, was auch angiographisch nach- krankung betrifft meist junge Frauen zwischen 15 und 20 Jahren,
gewiesen werden kann. In der Akutphase zeigen sich segmentale wurde aber auch bei jüngeren Kindern beschrieben.
Einengungen der basalen Arterien, insbesondere der A. cerebri
media, die sich oft innerhalb von Wochen bis Monaten wieder Trauma
zurückbilden. Die Angiographie kann diese entzündlichen Ge- Intrazerebrale Traumen oder Verletzungen im Halsbereich
fäßwanderkrankungen nicht direkt nachweisen. Die fokalen oder können einen akuten Schlaganfall hervorrufen (7 Kap. 9.5,
segmentalen Stenosen sind jedoch nicht typisch für einen embo- 7 Kap. 9.3.3). Diese Verletzungen können eine Dissektion der Ka-
lischen oder thrombotischen Prozess, sie sprechen daher eher für rotiden oder der Vertebralarterien mit konsekutiver Thrombose-
eine Veränderung der Gefäßwand. Als Differenzialdiagnose müs- oder Emboliebildung bedingen. Die neurologischen Symptome
sen Dissektionen, die auch intrakraniell auftreten können, in Er- können bisweilen erst Stunden oder sogar Tage nach dem Unfall-
wägung gezogen werden. Das mittlere Alter bei Dissektionen war ereignis auftreten. Es kann auch zu einer eher schrittweisen Ver-
136 Kapitel 9 · Gehirn

9
a b

. Abb. 9.77a–c. Dissektion. 17-jähriges Mädchen, das eine Schwäche der


linken Hand und des Arms bemerkte. a In der FLAIR-Sequenz hyperintense
Darstellung des kleinen ischämischen Areals. b In der anschließend durch-
geführten DSA zeigt sich ein Verschluss der A. carotis interna rechts, direkt
nach dem Abgang mit flammenförmigem Auslaufen als Hinweis für eine
Dissektion. c Die intrakranielle Einstellung zeigt eine gute Kollateralisation
über einen kräftigen R. communicans posterior bei Injektion in die A. verte-
bralis links. (Aus Radiologe 2003;43:955, Abb. 5 c, d, e)

schlechterung der klinischen Symptomatik kommen. Dissekti-


onen können aber auch spontan auftreten (. Abb. 9.77). Ein
Horner-Syndrom sollte die Aufmerksamkeit immer auf eine Be-
teiligung der ipsilateralen A. carotis interna lenken.

Gefäßveränderungen nach Radiotherapie


Ein radiogen induzierter Gefäßverschluss ist eine seltene Ursa-
che für einen Schlaganfall im Kindesalter und tritt meist mehr als
6 Monate oder sogar Jahre nach der strahlentherapeutischen Be-
handlung von intrakraniellen Tumoren auf.
c
Bildgebung
Die CT wird nach wie vor als die Methode der Wahl zur Unterschei-
dung von intrazerebralen Blutungen oder einer akuten Ischämie MR-Angiographie im Bereich der Halsgefäße bieten die am bes-
angesehen. Durch die Mehrzeilentechnologie lässt sich die Nativdi- ten geeignete Technik, um Gefäßpathologien nachzuweisen.
agnostik inzwischen mit einer CT-Angiographie in hervorragender Die DSA ist nach wie vor Standard für den Nachweis kleinster
Qualität und mit einer Perfusionsbildgebung kombinieren. Gefäßveränderungen, insbesondere vaskulitischer Verände-
Bei Verdacht auf eine akute, frühe intrazerebrale Ischämie rungen der Gefäßwände. Auch ist die DSA Bestandteil endovas-
bietet allerdings die MRT die besseren Möglichkeiten. Insbeson- kulärer interventioneller Therapieoptionen.
dere die zunehmend in der klinischen Routine eingesetzten dif-
fusionsgewichteten MR-Sequenzen sind in der Lage, innerhalb Outcome und Prognose
der ersten Stunden das gesamte Ausmaß des ischämischen Areals Die Prognose von Kindern mit einer akuten zerebralen Ischämie
darzustellen (. Tab. 9.9). Mit der CT gelingt dies meist erst nach wird allgemein als günstiger angesehen als bei Erwachsenen, ob-
etwa 12 h. Die MR-Angiographie, insbesondere die TOF-Tech- wohl nur wenige Studien dies belegen. Studien zufolge wird eine
nik für die intrakraniellen Gefäße sowie die kontrastunterstützte Überlebensrate von 85% der Kinder mit einer akuten zerebralen
9.3 · Vaskuläre Erkrankungen
137 9

. Tab. 9.9. Schlaganfallprotokoll

MR-Sequenz TR (ms) TE (ms) Schichtdicke (mm) Akuisitionszeit (min)

T2-gewichtete Sequenz 4010 108 6 2:14

Diffusionsgewichtete Sequenz 3800 120 6 0:11

Perfusionsgewichtete Sequenz 1550 30 5,0 1:36

MRA, TOF 21 3,24 0,94 5:44

FLAIR 7400 119 6,0 2:13

TI 2300 mg

Ischämie beschrieben. Ein residuales Defizit wurde jedoch bei mit 400 Neumanifestationen jährlich, und gilt dort als häufigste
75–100% der Patienten nachgewiesen. Nahezu alle Kinder mit Ursache des Schlaganfalls im Kindesalter. In der übrigen Welt ist
einem Schlaganfall in der Neonatalperiode zeigten eine mentale die Manifestation wesentlich niedriger. Moya-Moya kann sowohl
und physische Entwicklungsverzögerung. Wie bereits erwähnt, im Kindes- als auch im Erwachsenalter in Erscheinung treten,
treten bei akuten zerebralen Ischämien im Kindesalter Anfälle zu allerdings mit anderer klinischer Manifestation. Es besteht eine
Beginn eines Schlaganfalls auf. Dies ist wahrscheinlich auch von Dominanz des weiblichen Geschlechts.
prognostischer Bedeutung, da 60% der Kinder <3 Jahren mit
einem Anfall zu Beginn einer zerebralen Ischämie im weiteren Ätiologie
klinischen Verlauf Entwicklungsverzögerungen aufweisen. 75% Die Ätiologie dieser Erkrankung ist weiterhin unklar. Durch die
haben später weiterhin Anfälle. Bei Kindern mit einem Schlag- erhöhte Inzidenz in Japan und Korea wie auch durch das famili-
anfall, die keinen Anfall zu Beginn hatten, weisen nur 20% Ent- äre Auftreten in Japan wurde vermutet, dass genetische Kompo-
wicklungsverzögerungen auf und <10% haben in der Folgezeit nenten eine mögliche Rolle spielen. So zeigte sich u. a. eine gene-
weiter Anfälle. Da Anfälle bei Kindern unter 3–4 Jahren häufiger tische Veränderung in den Chromosomenloci 3p24.2–26 und 6.
sind, haben jüngere Patienten vermutlich eine schlechtere Prog-
nose für ihre weitere Entwicklung im Langzeitverlauf. Klinisches Bild
Ein wahrscheinlich auch unterrepräsentiertes Phänomen ist Das klinische Erscheinungsbild der Moya-Moya-Erkrankung ist
das Vorkommen von »movement disorders« (Bewegungsstö- im Kindes- und Erwachsenenalter unterschiedlich. In der 1. De-
rungen) als Langzeitfolge bei Kindern mit Basalganglienin- kade des Lebens zeigt sich eine erhöhte Inzidenz der Erkrankung.
farkten. Die Kinder präsentieren sich häufig mit transitorisch ischä-
Das Risiko eines erneuten Schlaganfalls im Kindesalter wird mischen Episoden (TIA). Zerebrale Ischämien können sich als
als gering angesehen, die Wiederholungsrate wird auf etwa 20% reversible motorische Defizite, sensorische oder visuelle Stö-
geschätzt. rungen sowie auch als rezidivierende Hemiparesen manifestie-
ren. Kopfschmerzen und Krampfanfälle treten ebenfalls bei eini-
gen Patienten auf. Selten kann es bei Kindern zu einer intrazere-
9.3.3 Seltene Ursachen vaskulärer Erkrankungen bralen Blutung kommen. Mehrere Berichte zeigen, dass bei
Kindern mit symptomatischer Moya-Moya-Erkrankung eine
Moya-Moya Erkrankung Verringerung des Intelligenzquotienten (IQ) auftreten kann.
Definition Diese Verringerung ist von der Dauer der Symptomatik abhängig
Die Moya-Moya-Erkrankung ist eine idiopathische zerebrovas- und stabilisiert sich nach etwa 10 Jahren. Einige Studien zeigen
kuläre Erkrankung, die durch eine spontane, langsam progre- eine Besserung des IQ nach einem chirurgischen Eingriff. Über
diente Stenosierung der distalen A. carotis interna und der pro- eine Hypothalamus-Hypophysen-Dysfunktion bei Kindern wird
ximalen Arterien des Circulus arteriosus Willisii mit sekundärer in einigen Fallbeschreibungen ebenfalls berichtet.
Ausbildung eines dichten Netzes aus kollateralen Gefäßen cha- Im Gegensatz zu den Kindern manifestiert sich die Erkran-
rakterisiert ist. Das Kollateralnetz besteht hauptsächlich aus den kung bei den Erwachsenen in den überwiegenden Fällen als in-
lentikulostriären und den Choroidalarterien. trakranielle Blutung. Faktoren, die evtl. zu einer Blutung führen,
umfassen arterielle Hypertonie sowie Pseudo- und Mikroaneu-
Epidemiologie rysmen. Jede Art von intrakranieller Blutung kann vorkommen.
Die Erkrankung, die zuerst in Japan in den 1960er Jahren be- Eine Studie zeigte Stammganglienblutungen in 40% der Fälle,
schrieben wurde, tritt häufiger in Asien auf. Der Begriff »moya- intraventrikuläre Blutungen in 30%, Thalamusblutungen mit
moya« bedeutet auf japanisch »Nebel, Rauch« und wurde be- Ventrikeleinbruch in 15% und subkortikale Blutungen in 5%.
nutzt, um das charakteristische angiographische Erscheinungs- Eine Nachblutung kann längere Zeit nach der 1. Episode auftre-
bild der pathologischen Kollateralgefäße zu beschreiben. In Japan ten. Die Mortalität steigt nach einer Nachblutung; generell ist die
wird die Erkrankung mit einer Inzidenz von 0,35% beschrieben, Prognose nach einer Nachblutung schlecht. Wenn auch seltener,
138 Kapitel 9 · Gehirn

9
a b

. Abb. 9.78a–c. Moya-Moya. 1 Jahr alter Säugling mit plötzlich aufgetre-


tenem Krampfanfall. In den daraufhin durchgeführten MRT-Untersuchun-
gen zeigte sich in der diffusionsgewichteten Sequenz zunächst eine frische
Ischämie im Mediastromgebiet links. a In den Kontrollaufnahmen 1 Woche
später zusätzlich eine Ischämie im Mediastromgebiet rechts. b Eine darauf-
hin durchgeführte DSA zeigt eine sehr schmächtige A. carotis interna links.
Der Karotisendabschnitt lässt sich nicht richtig einsehen, es zeigt sich aller-
dings ein diffuses Netzwerk (Rete). Über diese Kollateralen werden die
A. cerebri media und die Stammganglienarterien aufgefüllt. Die Injektion in
die A. carotis interna rechts zeigt ein ähnliches Bild mit ebenfalls feinen Kol-
lateralen, die zu einer Auffüllung des Mediastromgebiets beitragen. c Eine
Injektion in die A. vertebralis links zeigt eine kräftige A. basilaris und kräfti-
ge Rami communicantes posteriores, über die eine Mitversorgung der
A. cerebri media beidseits erfolgt. (Aus Radiologe 2003;43:954, Abb. 4 a, d, f )

betont ist, lassen sich ebenfalls nachweisen. Die CT ist hilfreich


bei der Diagnose intrakranieller Blutungen, die meistens in der
Nähe der Seitenventrikel lokalisiert sind. In der kontrastmittel-
gestützten CT können sich im Bereich der Stammganglien Kon-
trastmittel-affine »Punkte« zeigen, die großen Gefäßen des Kol-
c
lateralnetzes (lentikulostriären Arterien) entsprechen.

Magnetresonanztomographie. Die Befunde der Moya-Moya-


können chronische Kopfschmerzen, rezidivierende TIA und Erkrankung in der MRT sind gut dokumentiert. Eine Vielzahl
neuropsychologische Veränderungen auftreten. von Pulssequenzen steht zur Verfügung, einschließlich FLAIR-,
diffusionsgewichteter- (DWI-), perfusionsgewichteter, KM-ge-
Bildgebung stützter Sequenzen sowie einer MR-Angiographie. Die MRT ist,
CT sowie konventionelle MRT und MR-Angiographie verglichen mit der CT, bei der Darstellung ischämischer Regi-
(. Abb. 9.78) sind nicht nur zur Diagnose der Moya-Moya-Er- onen empfindlicher. In den T2-gewichteten Sequenzen zeigen
krankung, sondern auch zur präoperativen Einschätzung und sich die Infarktareale als signalgesteigerte Regionen kortikal ge-
zum postoperativen Follow-up sehr hilfreich. legen, aber auch in der weißen Substanz. Die Kollateralgefäße
können sich als hypointenses »Netz« im Bereich der basalen Zis-
Computertomographie. In der kraniellen CT können sich be- ternen oder als hypointese »Punkte« im Bereich der Stamm-
reits bei der Erstdiagnose hypodense fokale Areale im Sinne von ganglien abbilden. Wie auch in der CT kann eine frontal betonte
Infarkten zeigen. Zeichen einer Hirnatrophie, die häufig frontal Hirnvolumenminderung nachweisbar sein. Zur Darstellung
9.3 · Vaskuläre Erkrankungen
139 9
kortexnaher Infarkte sind die FLAIR-Sequenzen durch die Un-
terdrückung des Flüssigkeitsignals gegenüber den T2-gewichte- ein transduraler Kollateralkreislauf ein, und es kann zur
ten Sequenzen empfindlicher. In den Kontrastmittelgestützten Entwicklung eines orbitalen und ethmoidalen Moya-
T1-gewichteten Sequenzen zeigen sich die Kollateralgefäße im Moya kommen. Die A. cerebri media, A. cerebri anterior
Bereich der Stammganglien und der basalen Zisternen Kon- und A. pericallosa sind nur noch dünn und stellen sich
trastmittel-affin. In den kortikalen Sulci zeigt sich ein leptome- schlecht dar.
ningeales Enhancement, das als »ivy sign« bezeichnet wurde. 4 Stadium V: Das basale Moya-Moya ist nur noch spärlich
Dieses leptomeningeale Enhancement entspricht am ehesten entwickelt, die A. cerebri anterior und A. cerebri media
feinen Anastomosen. Es zeigte sich, dass nach effektiver Bypass- sind kaum mehr erkennbar. Die intrazerebralen Anasto-
operation dieses Enhancement geringer wird. Das »ivy sign« ist mosen der A. cerebri posterior und die transduralen Kol-
in den FLAIR-Sequenzen als hyperintenser kortikaler Sulcus zur lateralwege verstärken sich.
erkennen. 4 Stadium VI: Die Vaskularisation des Anterior-, Perikallosa-
Zur Differenzierung akuter von älteren ischämischen Ereig- und Mediastromgebiets findet nur noch über Externaäs-
nissen ist die DWI hilfreich. Frische Infarkte sind in der DWI als te und vom Vertebralis-Basilaris-Stromgebiet statt.
signalgesteigerte Areale nachweisbar. Die perfusionsgewichteten
Sequenzen zeigen eine relativ niedrige Perfusion der weißen Subs-
tanz im vorderen Stromgebiet im Vergleich zur Perfusion des hin- Therapie
teren Stromgebiets. Sie ist zur Abgrenzung infarktgefährdeter Die einzige effektive Theraphie der Moya-Moya-Erkrankung be-
Areale wertvoll, aber auch, um die postoperative Perfusionsbesse- steht in der chirurgischen Revaskularisierung des minderper-
rung nachzuweisen. Die MR-Angiographie zeigt eine hochgradi- fundierten Parenchyms. Eine Reihe operativer Techniken wird
ge Stenosierung der beiden distalen Aa. carotides internae und angewendet, um eine Kollateralisation zu erstellen. Bei den chi-
der proximalen Arterien des Circulus arteriosus Willisii. rurgischen Prozeduren wird entweder eine direkte Revaskulari-
sation angestrebt, wie der Bypass zwischen der A. temporalis
Zerebrale Angiographie. Zur Diagnosestellung und auch Thera- superficialis und der A. cerebri media, oder eine indirekte Revas-
pieplanung ist die Durchführung einer zerebralen Angiographie kularisation wie EDAS (Enzephaloduro-Arteriosynangiosis)
nötig. Angiographisches Charakteristikum der Erkrankung ist oder eine piale Synangiose durchgeführt. Generell wird die indi-
eine bilaterale supraklinoidale Stenosierung der A. carotis inter- rekte Revaskularisierung bei der Therapie von Kindern bevor-
na. Das Ausmaß der Veränderungen ist nicht unbedingt symmet- zugt. In erfolgreichen Fällen wird die Frequenz der TIA reduziert
risch. Als Folge dieser progredienten Stenosierung, die schließlich und dadurch neue Infarkte vermieden.
zu einem Verschluss führt, kommt es zur Entwicklung eines Kol-
lateralnetzes im Bereich der Stammganglien, des Thalamus und Sinusvenenthrombosen
Hypothalamus und evtl. des Mesencephalons über die lentikulo- Epidemiologie
striären Arterien, die vorderen Choroidalarterien, die A. commu- Sinusvenenthrombosen sind bei Kindern seltener als bei Er-
nicans posterior und deren Seitenäste sowie über Kollateralwege wachsenen. Bei Kindern wird die Häufigkeit auf 0,07 Fälle pro
der A. carotis externa zum Stromgebiet der A. carotis interna dis- 100 000 Einwohner, bei Erwachsenen auf 0,25–0,5 pro 100 000
tal vom Circulus Willisii. Diese Kollateralen erweitern sich mit Einwohner geschätzt. Die tatsächliche Zahl duraler Sinusve-
der Zeit und bilden ein dichtes Netzwerk. In den späteren Stadien nenthrombosen im pädiatrischen Krankengut ist nicht genau
der Krankheit zeigen sich Stenosierungen auch im Bereich des bekannt, sie sind aber wahrscheinlich doch häufiger als bisher
Circulus arteriosus Willisii, die zu neuen Kollateralnetzen führen, angenommen wurde.
z. B. leptomeningeale oder transdurale Anastomosen.
Ätiologie
Bei Neugeborenen geht man davon aus, dass eine hämorrha-
Klassifikation der Moya-Moya-Krankheit gische Infarzierung der Thalami durch eine Thrombose der zen-
Durch eine Klassifikation der angiographischen Befunde tralen Venen und des Sinus rectus, beispielsweise durch eine
nach Suzuki wird die Krankheit in 6 Stadien unterteilt: Dehydratation, verursacht wird. Im Säuglings-und Kindesalter
4 Stadium I: Isolierte Stenose der Karotisendstrecke liegt einer Sinusvenenthrombose in der großen Mehrzahl der
4 Stadium II: Auftreten eines feinen Kollateralgeflechts Fälle ein eitriger Fokalinfekt im Kopfbereich (Otitis media, Mas-
und Erweiterung der distalen Hirnarterien toiditis, Sinusitis, Tonsillitis, Meningitis) zugrunde. Das klinische
4 Stadium III: Volle Entwicklung des Kollateralgeflechts Bild wird von der Lokalisation und der Ausdehnung des venösen
(Moya-Moya) mit verminderter Darstellung der A. cereb- Verschlusses bestimmt. Eine Mastoiditis kann z. B. eine Throm-
ri anterior und A. cerebri media bose im Sinus transversus und sigmoideus hervorrufen. Darüber
4 Stadium IV: Das basale Gefäßgeflecht verschwindet all- hinaus gibt es eine Beziehung zwischen einer duralen Sinusve-
mählich und wird durch ein gröberes Geflecht ersetzt. nenthrombose und generalisierten Infektionen, z. B. einer Erkäl-
Die Stenosen der Karotisendstrecke dehnen sich aus und tung sowie Traumen und Dehydratation.
greifen auf die basalen Hirnarterien über. Es stellt sich Intrakranielle arteriovenöse Kurzschlüsse, wie eine V.-Gale-
6 ni-Malformation oder ein duraler arteriovenöser Shunt, können
ebenfalls zu einer Sinus- und Venenthrombose führen. Bei ma-
140 Kapitel 9 · Gehirn

9 a b

. Abb. 9.79a–d. Sinusthrombose, Sinusvenenthrombose. Junge mit


bekannter akuter lymphatischer Leukämie und Chemotherapie. Seit 3 Ta-
gen Kopfschmerzen. a Die zunächst durchgeführte CT-Untersuchung zeigt
einen hyperdensen Sinus sagittalis superior. b In den FLAIR-Sequenzen
deutlich verstrichene Hirnfurchen apikal beidseits. c In den T1-gewichteten
Sequenzen vor KM-Gabe stellt sich der Sinus sagittalis hyperintens dar, er
scheint nicht durchströmt zu sein. d In der MR-Angiographie in Phasenkon-
trasttechnik stellt sich der Sinus sagittalis superior im gesamten Verlauf
c
nicht dar. (Aus: Radiologe 2003;43:956, Abb. 6a,c,d,e)

lignen Erkrankungen, z. B. einer Leukämie, können ebenfalls und führt ebenfalls gehäuft zu Sinusvenenthrombosen. Eine
Sinusvenenthrombosen auftreten, genauso wie bei Vaskulopa- APC-Resistenz wurde im Plasma von bis zu 50% der Patienten
thien, die als prädisponierender Faktor gelten (. Abb. 9.79). mit einer individuellen oder familiären Häufung von Sinus-Ve-
Selbst bei Kindern mit angeborenen Gerinnungsstörungen, nen-Thrombosen gefunden. 5% der gesunden Bevölkerung zei-
wie einem Antithrombindefekt oder Protein-C- oder Protein-S- gen eine APC-Resistenz, die mit einem 7-fach erhöhten Risiko
Defekten, treten Sinusvenenthrombosen gehäuft auf – dies ist für tiefe Beinvenenthrombosen assoziiert ist. Die APC-Resis-
jedoch meist erst im späteren Kindesalter der Fall. Ein Defekt im tenz ist der häufigste genetisch bedingte, autosomal-dominant
Faktor-5-Gen ist mit einer Protein-C-Resistenz (APC) assoziiert vererbte Risikofaktor für die Entstehung von Thrombosen. Eine
9.3 · Vaskuläre Erkrankungen
141 9
APC-Resistenz führt zu einem 10-fach höheren Risiko als alle renen in etwa 88% durch Anfälle. Bei weiteren Verlaufskontrol-
bekannten genetischen Risikofaktoren für Thrombosen (Prote- len dieser Patienten zeigt sich, dass in nahezu allen Fällen mit
in-C-, Protein-S-, Antithrombindefekt) zusammen. Homozygo- einem guten klinischen Outcome zu rechnen ist. Anamnestisch
te Anlageträger haben sogar ein 50- bis 100-fach erhöhtes Risi- ist in nur ganz wenigen Fällen eine perinatale Asphyxie nach-
ko, an einer Thrombose zu erkranken. weisbar.
Hämatologische Erkrankungen, wie eine Polyzythämie, oder
> Eine Sinusvenenthrombose stellt also eine wichtige
angeborene Herzerkrankungen gehen ebenfalls mit einem er-
und häufig nicht erkannte Ursache zerebraler Anfälle
höhten Risiko für zerebrale Sinus-Venen-Thrombosen einher.
im Neugeborenenalter dar.
Zentrale Venenkatheter sind die häufigste Ursache iatrogener
Venenthrombosen, insbesondere diejenigen der V. jugularis. Liegt keine perinatale Asphyxie vor, ist in der Regel mit einer
normalen neurologischen Entwicklung zu rechnen. Das Risiko,
Klinik weitere Anfälle zu entwickeln, ist als sehr gering anzusehen. Eine
Das klinische Bild der Sinusvenenthrombose wird von der Loka- Thrombose der zentralen Venen kann zu einer Thalamushämor-
lisation und Ausdehnung des venösen Verschlusses bestimmt. rhagie führen, während eine laterale Sinus-sigmoideus-Throm-
Solange bei Sinusthrombosen die Zirkulation eines Thrombose- bose eher einen benignen Pseudotumor cerebri hervorruft.
gefäßes offen bleibt, kommt es nur zu Allgemeinsymptomen wie
Fieber, Kopfschmerzen, Erbrechen und erhöhtem intrakrani- Bildgebung, Diagnose
ellen Druck. Die Diagnose wird häufig nicht oder verspätet ge- Computertomographie. Eine zerebrale Sinusvenenthrombose
stellt, besonders wenn die Patienten nur milde oder ungewöhn- zeigt sich in der nativen CT oft als eine umschriebene Hypoden-
liche klinische Symptome aufweisen. Kommt es zu einer lang- sität in den entsprechenden venösen Blutleitern. Zusätzlich fin-
samen Entwicklung der duralen Sinusvenenthrombose, zeigen det sich häufig eine fokale Hirnschwellung, z. T. mit hämorrha-
die Kinder oft Zeichen der chronischen Abflussbehinderung mit gischen Transformationen im Sinne von venösen Infarzierungen.
Makrokranie und erweiterten fazialen Venen. In der CT unterscheidet man direkte und indirekte Zeichen. Die
Ein Verschluss des Sinus transversus ist als eine der Ursachen direkten Zeichen zeigen den intraluminalen Thrombus in einem
einer benignen intrakraniellen Hypertension bekannt. Fokale duralen Sinus oder einer pialen Vene. Die indirekten Zeichen
Symptome werden hervorgerufen durch ein lokalisiertes Ödem sind Ausdruck der von einer Thrombose verursachten venösen
und durch Hämorrhagien. Die klinische Symptomatik hängt v. a. Stauung des Hirnparenchyms. Sie sollten zwar den Verdacht auf
von der Lokalisation des Verschlusses und von den anatomischen eine zerebrale venöse Durchblutungsstörung lenken, müssen
Gegebenheiten ab. Eine links lateral gelegene Thrombose kann aber gegen andere Differenzialdiagnosen abgegrenzt werden. Als
zu einer Kongestion im Temporallappen mit Aphasie führen. In direkte Zeichen gelten:
fortgeschrittenen Fällen kann es sogar zu einer Temporallappen- 4 ein hyperdenser Sinus in der Nativ-CT (. Abb. 9.79)
herniation und zu einer arteriellen Infarzierung der A. cerebri 4 das so genannte »cord sign« einer Brückenvene in der Nativ-
posterior kommen. CT
Zerebrale Symptome treten beim Übergreifen der Thrombo- 4 das »empty-triangle-Zeichen« des Sinus in der kontrastver-
se auf die Hirnvenen auf. Die Befunde lassen häufig an eine En- stärkten CT
zephalitis denken. Kopfschmerzen und Bewusstseinsstörungen
entstehen v. a. durch eine Erhöhung des intrakraniellen Drucks. Frisch thrombosiertes Blut stellt sich in der CT hyperdens dar,
Die Initialsymptome eines Pseudotumor cerebri sind bei älteren während sich ein etwa 1–2 Wochen altes Blutgerinnsel durchaus
Kindern und bei Erwachsenen meist Kopfschmerzen, die mit iso- bis hypodens darstellen kann. Bei einem frischen Thrombus
Übelkeit und Erbrechen einhergehen. Bei jüngeren Kindern im Sinuslumen ist deshalb ein hyperdenser Sinus in der Nativ-CT
kann sich ein Pseudotumor cerebri klinisch mit Somnolenz oder zu erwarten, bei einer frisch thrombosierten Brückenvene
Apathie manifestieren. Bei asymptomatischen Patienten wird ein kommt es zu dem hyperdensen »cord sign«. Zu einem späteren
Papillenödem häufig zufällig entdeckt. Ataxie und Schwindel Zeitpunkt mit iso- oder hypodensem Thrombus wird die Si-
können ebenfalls als Frühsymptome vorkommen, ebenso wie nusthrombose erst nach Gabe von Kontrastmittel durch das so
Schulter- und Nackenschmerzen. genannte »empty-triangle-Zeichen« direkt nachweisbar.
Ein einseitiger Exophthalmus mit einem periorbitalen Ödem Als indirekte Zeichen gelten ein globales Hirnödem, fokale
und mit einer ipsilateralen Lähmung der Augenmuskelnerven Ödeme sowie uni- oder multilokuläre Stauungsblutungen. Die
und der ersten beiden Trigeminusäste entwickelt sich bei einer Bewertung der indirekten Zeichen muss unter Berücksichtigung
Thrombose des Sinus cavernosus. Eine Thrombose eines Sinus der klinischen und radiologischen Differenzialdiagnosen ge-
transversus entwickelt sich am häufigsten bei einer Otitis media troffen werden. Ist ein fokales Ödem venöser Genese, so ist zu
mit oder ohne Mastoiditis. Die Prognose ist als relativ günstig erwarten, dass die Form und Ausdehnung nicht typischen arte-
anzusehen, solange die Thrombophlebitis lokalisiert bleibt. riellen Gefäßterritorien entspricht. Differenzialdiagnostisch ist
Das klinische Outcome verschlechtert sich bei einem Über- dies von multifokalen Läsionen bei Vaskulitis und von einer pos-
greifen des entzündlichen Prozesses auf den Sinus sagittalis su- terioren Enzephalopathie abzugrenzen. Andere differenzialdi-
perior. agnostische Überlegungen sind Infarkte oder andere mit Hirn-
In der Neugeborenenperiode sind durale Sinusvenenthrom- blutungen einhergehende Erkrankungen. Zu Beginn der compu-
bosen seltener dokumentiert. Sie manifestieren sich bei Neugebo- tertomographischen Abklärung sollte immer eine native CT er-
142 Kapitel 9 · Gehirn

. Tab. 9.10. Stadien und Signalcharakteristika von Sinusthrombosen

Stadium I Akute Thrombose 1.–5. Tag T1-Wichtung: isointens


T2-Wichtung: stark hypointens

Stadium II Subakute Thrombose bis 15. Tag T1-Wichtung: hyperintens


T2-Wichtung: hyperintens

Stadium III 16. Tag bis 3. Monat T1-Wichtung: inhomogen, hyper-, iso-, hypointens
T2-Wichtung: inhomogen, hyper-, iso-, hypointens

Stadium IV >3 Monate T1- und T2-Wichtung: Normalisierung mit flussbedingter Signalauslöschung
oder isodens organisiertem Thrombus

folgen. Mit der kontrastverstärkten CT-Angiographie kann meist > Mit der Möglichkeit der CT-Angiographie und MR-An-
die genaue Lokalisation des Thrombus nachgewiesen werden. giographie, aber auch schon durch den Einsatz fluss-
sensitiver Gradientenecho-Sequenzen, sind durale Si-
Magnetresonanztomographie. Akute und subakute Sinusve- nusthrombosen fast ausnahmslos unter Verzicht auf
nenthrombosen sind in der MRT meist direkt nachweisbar, eben- eine invasive Katheterangiographie zu sichern. Seltene
so wie die dabei fakultativ auftretenden ödematösen und hämor- Probleme, wie etwa umschriebene Kontrastmittel-Aus-
9 rhagischen Veränderungen des vom Gefäßverschluss abge- sparungen, z. B. durch Pacchioni-Granulationen, kön-
henden Hirnparenchyms. Das Wichtigste ist hierbei jedoch, an nen zu Fehlbeurteilungen führen. In diesem Fall sollte
die Diagnose zu denken, da sie ein adäquates Untersuchungspro- zur Klärung die CT-Angiographie bzw. dann doch eine
tokoll verlangt (s. u.). Thrombosierte zerebrale Sinus zeigen zeit- Katheterangiographie durchgeführt werden.
abhängige typische Veränderungen ihrer Signalintensitäten, die
in den ersten Wochen ähnlich verlaufen wie bei intrazerebralen Liquor. Der Liquorbefund bei Sinusvenenthrombosen ist über-
Hämatomen. Hämosiderineffekte treten in den venösen Sinus aus variabel. Am konstantesten findet sich eine Eiweißerhöhung.
allerdings nicht auf. Das Signalmuster des intraluminalen Die Zellzahl ist meist mäßig erhöht, oft jedoch normal. Bei einer
Thrombus lässt Rückschlüsse auf sein Alter zu. In . Tab. 9.10 hämorrhagischen Infarzierung kommt es zu einer Xanthochro-
sind die entsprechenden Stadien und Signalcharakteristika von mie oder zu Blutbeimengungen.
Sinusthrombosen aufgelistet.
Bei einer frischen Sinusthrombose fehlen in den T1-ge- Krankheitsverlauf
wichteten Aufnahmen die sonst typischen, flussbedingten Sig- Der klinische Verlauf der Sinusvenenthrombose ist schwierig
nalauslöschungen. Zwischen dem 1. und 5. Tag erscheint der vorherzusagen. Bei Kindern kann ein spontaner, günstiger Aus-
venöse Blutleiter auf den T2-gewichteten Sequenzen stark hypo- gang beobachtet werden, v. a. bei fokalen Thrombosen mit mini-
intens. In diesem frühen Stadium kann aufgrund der sehr gerin- malen klinischen Symptomen, da bei Kindern die Toleranz ge-
gen Veränderungen eine Sinusvenenthrombose oft übersehen genüber Änderungen im Blutfluss in der Regel besser ist als bei
und als Normalbefund gedeutet werden. Bei klinischem Ver- Erwachsenen. Die Prognose einer spontanen duralen Sinus-
dacht auf eine Sinusvenenthrombose sollten deshalb flusssensi- Venen-Thrombose ist daher für Kinder meist günstiger als für
tive Gradientenecho-Sequenzen oder eine Phasenkontrast-MR- Erwachsene. Eine Ausnahme stellen Neugeborene und Säuglinge
Angiographie durchgeführt werden. dar.
In der subakuten Phase kommt es zu einer Hyperintensität
in den T1-gewichteten Sequenzen. Dieser Befund muss aller- Therapie
dings von flussbedingten Signalintensitätsabhebungen abge- Üblicherweise wird eine durale Sinusvenenthrombose antikoagu-
grenzt werden. latorisch behandelt. Es gab und gibt immer wieder Hinweise, dass
Im späteren Stadium, ab der 3. bis 4. Woche, wird das Signal Heparin eine Einblutung in hämorrhagische Areale provozieren
als Ausdruck von Organisation und Rekanalisationsvorgängen kann. Da eine nichtbehandelte Sinusvenenthrombose zu einem
inhomogen. Es kommt zu einer Organisation des Thrombus, der ernsthaften Krankheitsbild führen kann, wird aber Heparin ein-
sich dann isointens darstellt, oder zu einer Rekanalisation des gesetzt. Es konnte gezeigt werden, dass es zu einer deutlichen Ver-
Gefäßes mit Wiederauftreten flussbedingter Signalauslö- besserung der Prognose führt. Der Nutzen einer lokalen fibrino-
schungen. lytischen Therapie ist umstritten. Wenn nötig, kann außerdem
Die zuverlässige Beurteilung einer vermuteten Sinus-Venen- eine großflächige Trepanation erwogen werden. Im Anschluss an
Thrombose durch die MRT verlangt ein entsprechendes Unter- die Antikoagulation mit Heparin muss eine Marcumarisierung für
suchungsprotokoll. Es sollte neben axialen und koronaren Tur- die Dauer von etwa 6 Monaten angeschlossen werden. Eine Anti-
bo-Spinecho-Sequenzen auch eine Phasenkontrastangiographie biotikatherapie bei septischen Thrombosen und eine antikonvul-
und evtl. eine kontrastverstärkte MR-Angiogaphie zur Darstel- sive Begleitbehandlung sind selbstverständlich.
lung der venösen Blutleiter beinhalten.
9.3 · Vaskuläre Erkrankungen
143 9

a b

. Abb. 9.80a, b. Dissektion. a In der DSA ist ein Gefäßverschluss der A ca- stumpfs. b In der axialen T2-Wichtung durch den Hals ist das Wandhämatom
rotis interna zu erkennen mit flammenförmigem Auslaufen des Gefäß- in der A. carotis interna als halbmondförmige Signalsteigerung zu sehen

Gefäßdissektion
Epidemiologie, Ätiologie
Dissektionen treten v. a. bei jüngeren Patienten <45 Jahre auf
(. Abb. 9.80, . Abb. 9.77). Oft können anamnestisch Traumen,
manchmal nur »Bagatelltraumen« eruiert werden. Kann keine Ur-
sache nachgewiesen werden, bezeichnet man dies als »spontane«
Dissektion. Prädisponierende Erkrankungen für eine Dissektion
sind eine fibromuskuläre Dysplasie, Ehler-Danlos-Syndrom, ande-
re Elastin- oder Kollagenoseerkrankungen sowie Entzündungen.

Bildgebung
Digitale Subtraktionsangiographie. Eine Dissektion kann ein-
deutig in der DSA nachgewiesen werden; hier zeigt sich in der
akuten Phase ein flammenförmiges Auslaufen des Kontrastmit-
tels im verschlossenen Gefäß (. Abb. 9.80). In subakuten und
späteren Stadien sind oft nur noch Gefäßwandunregelmäßig-
keiten, Stenosen oder pseudoaneurysmatische Aufweitungen an
der Schädelbasis zu erkennen. Selten können intrakranielle Dis-
sektionen auftreten, die zu einer SAB führen können.

MRT und MR-Angiographie. Im MRT lassen sich Dissektionen . Abb. 9.81. Fibromuskuläre Dysplasie. DSA der A. carotis communis
in der Regel ebenfalls eindeutig nachweisen. In den axialen links. In der Seitprojektion Darstellung der Bifurkation und einer Wandunre-
Schnittbildern lässt sich meist die exzentrische Einengung der gelmäßigkeit der A. carotis interna, typisch für das Bild einer fibromuskulä-
ren Dysplasie
Gefäße durch das intramurale Hämatom signalangehoben nach-
weisen. Vor allem auf fettsupprimierten T1w-Sequenzen in ko-
ronarer Schichtführung ist das intramurale Hämatom hyperin- Fibromuskuläre Dysplasie
tens zu sehen. In der MR-Angiographie kann bei alleiniger Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei etwa 50 Jahren, es sind
Durchführung einer TOF-Angiographie und MIP-Rekonstruk- v. a. junge Frauen betroffen. Die Erkrankung betrifft vorwiegend
tion das Wandhämatom dem Nachweis entgehen. die Aa. carotides internae und die Nierenarterien, die Aa. verteb-
144 Kapitel 9 · Gehirn

rales sind weniger häufig betroffen. Die Verändungen an den


Gefäßen sind gekennzeichnet durch Verengungen und Erweite- Sekundäre Vaskulitiden
rungen und haben ein perlschnurartiges Aussehen. Eine ein- 4 Rheumatischer Formenkreis:
deutige Diagnose ist meist nur durch eine DSA zu stellen – Systemischer Lupus erythematodes
(. Abb. 9.81). – Mischkollagenosen
– Rheumatoide Arthritis
! Bei jüngeren Frauen ohne vaskuläre Risikofaktoren
– Sjögren-Syndrom
sollte bei Infarkten oder TIA’s oder ungeklärten zere-
4 ZNS-Infektionen:
bralen Embolien immer auch an die Möglichkeit des
– Viren
Vorliegens einer fibromuskulären Dyplasie gedacht
– Bakterien
werden.
– Pilze
– Parasiten
Vaskulitis 4 Andere:
Epidemiologie, Einteilung, Klinik – Medikamente
Die isolierte Vaskulitis des ZNS ist sehr selten. Die Vaskulitiden – Neoplasien
lassen sich in primäre und sekundäre einteilen, von denen sich – Entzündliche Darmerkrankungen
die überwiegende Mehrzahl an verschiedenen Organsystemen – Sarkoidose
einschließlich des ZNS manifestieren kann. Die isolierte ZNS-
Vaskulitis ist auf das ZNS beschränkt, bei ihr stehen klinisch-
neurologisch wie bei den anderen Vaskulitisformen Kopf- CADASIL
9 schmerzen, Enzephalopathie, fokale Defizite und epileptische Klinik und Ätiologie
Anfälle im Vordergrund. Ein Kriterium der isolierten ZNS-Vas- CADASIL steht für »Cerebrale Autosomal Dominante Arterio-
kulitis ist der klinische und laborchemische Ausschluss anderer pathie mit Subkortikalen Infarkten und Leukenzephalopathie«.
Vaskulitiden bzw. der Beteiligung anderer Organsysteme. Im Vordergrund stehen im mittleren Erwachsenenalter ein-
setzende zerebrale Durchblutungsstörungen und die Entwick-
Bildgebung lung einer subkortikalen Demenz mit spastischer Tetraparese
Multiple Kalibersprünge intrakranieller Arterien in der zere- und Pseudobulbärparalyse. Zusätzlich treten auch gehäuft
bralen Angiographie und multiple, kleine, z. T. Kontrastmittel migräneartigen Kopfschmerzen und psychiatrische Störungen
aufnehmende Läsionen in der MRT des Schädels sind vaskuli- auf.
tistypische Befunde, die allerdings auch bei anderen Vaskuliti- 1993 gelang mithilfe einer großen französischen Familie die
den zu finden sind (. Abb. 9.76). Einzig beweisend ist eine Hirn- Lokalisierung des verantwortlichen Gendefekts auf dem kurzen
haut- und Hirnparenchymbiopsie. Besonders vor dem Hinter- Arm von Chromosom 19 (26). Inzwischen sind in Europa
grund der therapeutischen Option, Immunsuppression mit >100 Familien mit dieser Erkrankung bekannt geworden.
Kortison und Cyclophosphamid, ist eine möglichst genaue Dia-
gnose erforderlich. Die MRT ist sensitiver als die CCT, um die Klinik
bei der Vaskulitis auftretenden multiplen kleinen Läsionen im Klinisch zeigen die Patienten das Bild einer subkortikalen De-
Hirnparenchym nachzuweisen. Ein normales MRT schließt eine menz mit Antriebsstörung und emotionaler Verflachung, redu-
intrakranielle Vaskulitis, sei es als Mitbeteiligung einer syste- zierter Aufmerksamkeitsspanne, Perseverationen und herabge-
mischen Vaskulitis oder als isolierte ZNS-Vaskulitis, weitgehend setzten aktiven Gedächtnisleistungen. Migräneartige Kopf-
aus. schmerzen sind häufig und anamnestisch ein wichtiges Früh-
symptom der Erkrankung.

Einteilung der Vaskulitiden Diagnose, Bildgebung


Primäre Vaskulitiden Wegweisend für die Diagnose ist neben der Klinik und einer
4 Große Gefäße: positiven Familienanamnese in erster Linie der Befund in der
– Riesenzellarteriitis MRT. In den T2-gewichteten Aufnahmen zeigen sich diffuse,
– Takayasu-Arteriitis vorwiegend periventrikulär lokalisierte, später das gesamte
– Isolierte Angiitis des ZNS Marklager betreffende konfluierende Hyperintensitäten und
4 Mittlere Gefäße: umschriebene, lakunäre Infarkte mit einer Prädilektion für die
– Panarteriitis nodosa Basalganglien, die Capsula interna, den Thalamus und den
– Kawasaki Hirnstamm. Die Hirnrinde ist meist nicht betroffen und steht in
4 Kleine Gefäße: fortgeschrittenen Fällen in scharfem Kontrast zu den ausge-
– Churg-Strauss-Syndrom prägten Marklagerveränderungen. Infratentorielle Läsionen
– Wegener-Granulomatose sind selten. Territorialinfarkte gehören nicht zum Krankheits-
– Mikroskopische Polyangiitis bild.
6 Da der Gendefekt bei CADASIL jetzt identifiziert ist, wird
eine direkte DNA-Diagnostik schon bald verfügbar sein.
9.4 · Intrakranielle Tumoren
145 9
9.4 Intrakranielle Tumoren 4 Persistierende Kopfschmerzen ohne familiäre Belastung, wie
Migräne.
9.4.1 Grundlagen 4 Persistierende Kopfschmerzen, die einhergehen mit Episo-
den von Verwirrtheit, Desorientiertheit und Erbrechen.
Primäre Hirntumoren 4 Kopfschmerzen, die bei Kindern aus dem Schlaf heraus auf-
Epidemiologie treten oder unmittelbar nach dem Aufwachen auftreten.
Jährlich erkranken in Deutschland 3700 Männer und 3400 Frau- 4 Kopfschmerzen bei Kindern mit Syndromen, die mit einer
en an tumorösen Neubildungen des Nervensystems. Dies ent- erhöhten Rate an Hirntumoren einhergehen (z. B. Neurofib-
spricht einer Inzidenz von 6–7 Neuerkrankungen/100 000 Ein- romatose oder andere Phakomatosen).
wohner/Jahr. 30% der Tumoren bei Frauen und >50% der Tumo-
ren bei Männern treten vor dem 60. Lebensjahr auf, 10% davon Bildgebung
manifestieren sich im Kindesalter. Charakteristika intrazerebraler Tumoren. Raumforderungen
Die Altersverteilung der Hirntumoren zeigt einen ersten werden typischerweise in der CT oder MRT aufgrund ihrer ab-
Häufigkeitsgipfel in der Kindheit (3–9 Jahre) und einen zweiten weichenden Dichte oder Signalintensität zum normalen
Gipfel im Alter zwischen 55 und 65 Jahren. Histologie und Loka- Parenchym gesehen. Des Weiteren können ein raumfordernder
lisation der Hirntumoren von Kindern unterscheiden sich von Effekt, welcher zu einer Verlagerung der Hirnstrukturen führt,
denen der Erwachsenen. Bei Kindern sind Medulloblastome und oder ein pathologisches Enhancement nach Konstrastmittelappli-
niedriggradige Astrozytome am häufigsten, während bei Er- kation auffallen. Im gesunden zentralen Nervensystem wird ein
wachsenen maligne Gliome und Meningeome vorherrschen. Kontrastmittel-Enhancement nur im Bereich der Hypophyse, des
Männer erkranken häufig an Gliomen, während Frauen häufiger Hypophysenstiels und ihrem Ursprungsort vom Hypothalamus
an Meningeomen erkranken. gesehen sowie in der Pinealdrüse und dem Plexus choroideus.
Hirntumoren im Kindesalter machen etwa 15–20% aller pri- Fast alle Hirntumoren stellen sich im Vergleich zum übrigen
mären Hirntumoren aus. Tumoren des Zentralnervensystems Hirngewebe in der Nativ-CT hypodens dar. Auf T1-gewichteten
sind die zweithäufigsten pädiatrischen Tumoren nach den leuk- MRT-Sequenzen erscheinen sie hypointens zur myelinisierten
ämischen Erkrankungen. Dabei treten infra- und supratentoriel- weißen Substanz, auf T2-gewichteten Bildern hyperintens.
le Tumoren mit nahezu gleicher Häufigkeit auf. Hinsichtlich des Das Vorkommen von Einblutungen, Nekrosen, Kalzifikati-
Erkrankungsalters gibt es jedoch Unterschiede, supratentorielle onen und das Kontrastmittelverhalten variieren schon unter Tu-
Tumoren kommen häufiger in den ersten 2–3 Lebensjahren vor, moren ähnlicher histologischer Klassifikation und umso mehr
während infratentorielle Tumoren ihren Altersgipfel zwischen bei Tumoren verschiedenen Zelltyps. Alle Tumoren weisen einen
dem 4. und 10. Lebensjahr erreichen. Ab dem 10. Lebensjahr tre- Masseneffekt auf. Im Falle eines relativ langsam wachsenden,
ten die Tumoren infra- und supratentoriell in nahezu gleicher peripheren Tumors bewirkt der Masseneffekt eine Expansion
Häufigkeit auf. oder Erosion des Kraniums.
In den USA beträgt die Inzidenz der primären intrakrani- Bei schneller wachsenden, mehr zentral gelegenen Tumoren
ellen Tumoren jährlich etwa 11,5 pro 100 000 Einwohner. Unter kommt es zu Verlagerungen. Dies kann bis zu einer Herniation
diesen Tumoren finden sich 52% Gliome, 24% Meningeome, 8% von Hirngewebe führen. Supratentorielle Raumforderungen
Hypophysenadenome, 6,5% Schwannome und 4% primäre ZNS- verursachen üblicherweise eine Herniation nach kaudal durch
Lymphome. Bei den restlichen 5,5% der primären intrakraniellen den Tentoriumschlitz, infratentorielle Raumforderungen kön-
Tumoren handelt es sich um andere, z. T. sehr seltene Tumoren. nen zu einer Herniation nach kranial führen.
Transtentorielle Herniation führt üblicherweise zu Druck auf
Klinik das Mittelhirn mit nachfolgenden Störungen der Augenbewe-
Die Symptome intrakranieller Tumoren hängen stark vom Le- gung und Pupillenreaktion. Auch kann eine tentorielle Herniati-
bensalter ab. Im Säuglingsalter treten eine Vergrößerung des on zu einer Kompression der Aa. cerebri posteriores zwischen
Kopfumfangs, Übelkeit, Erbrechen und Lethargie auf. Ältere Mittelhirn und Tentorium führen mit nachfolgenden unilate-
Kinder zeigen meist ähnliche Symptome wie Erwachsene: hier ralen oder bilateralen Ischämien im Versorgungsgebiet dieser
treten neben den Allgemeinsymptomen, wie Kopfschmerzen, Arterien. Die Herniation der Kleinhirntonsillen durch das Fora-
Anfälle oder Visusstörungen, lokale oder neurologische Defizite men magnum kann sowohl bei supra- als auch bei infratentori-
und Nervenlähmungen bzw. Ataxie und Hemiparese auf. ellen Raumforderungen vorkommen. Die Tonsillenherniation
Tumoren der Hypophysenregion im Bereich des Hypothala- kann leicht mittels MRT dargestellt werden und kann zu einer
mus gehen häufig entsprechend ihrer endokrinen Dysfunktion respiratorischen Insuffizienz führen.
mit Symptomen wie Diabetes insipidus, Wachstumsstörungen Sobald eine Raumforderung festgestellt wird, muss entschie-
oder Pubertas praecox einher. den werden, ob diese intra- oder extraparenchymal liegt. Mit
Indikationen zur neuroradiologischen Diagnostik bei Ver- anderen Worten: Kommt die Raumforderung vom Hirnparen-
dacht oder zum Ausschluss eines Hirntumors sind: chym oder von extraparenchymalen Strukturen wie den Menin-
4 Persistierende Kopfschmerzen >6 Monate Dauer, die nicht gen, dem Plexus choroideus oder dem Subarachnoidalraum?
auf medikamentöse Behandlung ansprechen. Intraparenchymale Raumforderungen komprimieren die
4 Kopfschmerzen, die mit neurologischen Symptomen einher- Zisternen und Sulci, sie infiltrieren das umgebende Hirnparen-
gehen. chym und können ein deutliches Ödem verursachen.
146 Kapitel 9 · Gehirn

Extraparenchymale Läsionen verlagern typischerweise die Auch ist die MRT sensitiver bei der Frage nach Tumorausbrei-
Hirnstrukturen, anstatt sie zu infiltrieren. Das Gehirn wird vom tung entlang der Subarachnoidalräume.
Knochen oder der Dura weggeschoben, was zu einer erweiterten
> Bei Kindern sollte wegen der Strahlenbelastung zu Be-
Zisterne führt. Ein gut abgrenzbarer Zwischenraum teilt die ex-
ginn der Diagnostik eine MRT erfolgen. Bei Kleinkin-
traparenchymale Raumforderung vom Gehirn. Normalerweise
dern ist auf eine ausreichende Sedierung zu achten,
zeigt sich nur wenig oder kein Perifokalödem.
um Bewegungsartefakte zu vermeiden.
Andere Charakteristika, welche auf einen extraparenchyma-
len Tumor hinweisen, sind ein geringer Masseneffekt im Vergleich Computertomographie. Die Bildgebung sollte nativ sowie nach
zur Größe des Tumors, eine Ausweitung der Raumforderung über Kontrastverstärkung in axialen Schichten erfolgen. Handelt es
die Mittellinie ohne Beteiligung der zerebralen Kommissur und sich um einen Tumor in der hinteren Schädelgrube, sind koro-
eine relativ blande klinische Symptomatik. Natürlich gibt es auch nare Bilder (entweder direkt oder reformatiert) hilfreich, um die
hier Ausnahmen, so kann z. B. auch eine intraparenchymale Beziehung des Tumors zum Tentorium und Foramen magnum
Raumforderung mit langsamem Wachstum nur einen geringen darzustellen. Auch können kleine Läsionen nahe der Dura oder
Masseneffekt zur Folge haben. Jedoch wird es anhand der o. g. des Knochens so leichter gefunden werden. Reformatierte sagit-
Regeln in den meisten Fällen möglich sein, zwischen einem intra- tale Bilder sind v. a. bei mittig gelegenen Tumoren, wie am
und extraparenchymalen Wachstum zu unterscheiden. 3. Ventrikel, hilfreich.

Differenzialdiagnose. Nachdem nun festgestellt wurde, dass die Magnetresonanztomographie. Die Standardsequenzen beste-
Raumforderung intraparenchymal liegt, muss entschieden wer- hen aus einer sagittalen T1-gewichteten Sequenz sowie axialen
den, ob es sich hierbei wirklich um eine Neoplasie handelt. Infek- T2-gewichteten Spinecho(SE)- oder Fast-Spinecho(FSE)-Bil-
9 tionen und Ischämien können dem Bild einer Neoplasie ähneln dern. Die Sequenzen sollten eine Schichtdicke von 5 mm oder
und sollten zumindest kurzzeitig in die Differenzialdiagnose auf- weniger über das gesamte Gehirn aufweisen. Zusätzlich kön-
genommen werden. Zerebrale Abszesse sind intraparenchymale nen zur besseren Beurteilung des Ausmaßes und des Verhält-
Raumforderungen, welche durch ein rasches Wachstum und ein nisses zu den umgebenden Strukturen T1-gewichtete Bilder
randständiges Enhancement charakterisiert sind. Tumoren in entweder koronarer oder axialer Schnittführung durch den
wachsen typischerweise langsamer und zeigen ein mehr irre- Tumor gefahren werden. Nach Kontrastmittelgabe sollten die
guläres, randständiges Enhancement. Die Unterscheidung zu Schichtrichtungen der Prä-Kontrastuntersuchung angepasst
Ischämien geschieht anhand der Lokalisation in einem vasku- werden.
lären Stromgebiet und der Beteiligung von sowohl grauer als Generell werden Hirnstamm, supraselläre und Raumforde-
auch weißer Substanz. Tumoren und Infektionen entstehen typi- rungen des 3. und 4. Ventrikels am besten in der sagittalen oder
scherweise in der weißen Substanz oder an der Mark-Rinden- koronaren Schichtebene dargestellt. Raumforderungen in den
Grenze. Jedoch gibt es auch Tumoren, welche primär kortikal zerebralen und zerebellären Hemisphären können am leichtes-
gelegen sind und in der Bildgebung einem akuten Infarkt ähneln. ten in den axialen und koronaren Schichtrichtungen beurteilt
Sollte die Differenzialdiagnose aufgrund der Bildgebung und werden.
klinischen Kriterien erschwert sein, sollte vor Biopsieentnahme Die Kontrastmittelmenge beträgt 0,1 mg/kg Körpergewicht
eine Verlaufskontrolle stattfinden. Handelt es sich bei der Struk- und wird als i. v.-Bolus kurz vor der Untersuchung gegeben.
turveränderung um einen Infarkt, kommt es innerhalb von 5 Ta-
gen zu einem Enhancement, der raumfordernde Effekt wird bis ! Der Zeitpunkt der Konstrastmittelgabe sollte möglichst
zum Ende der ersten Woche abgenommen haben. Ein Abszess einheitlich sein, da es bei einer Verzögerung zu einer
wächst schnell, und der randständige, kontrastmittelaffine Ring vermehrten Diffusion in den Extrazellularraum kommt,
wird deutlicher. Tumoren werden sich innerhalb von 7 Tagen was zu einem größeren enhancenden Areal führt. So
nicht oder nur wenig verändern. können Unterschiede im Zeitintervall zu einer falschen
Die bildgebende Diagnostik stützt sich auf kranielle und spi- Beurteilung hinsichtlich der Tumorgröße führen.
nale CT und v. a. MRT. Präoperativ wird nach Maßgabe des Ope-
rateurs eine Angiographie vorgenommen. Bei Hirntumoren, die Flusskompensationstechniken (peripheres oder kardiales Ga-
zur Metastasierung im Liquorraum neigen, wie Medulloblastome ting) sind bei Tumoren in der hinteren Schädelgrube nützlich, da
und Ependymome, gehören zur Primärdiagnostik auch eine spi- eine teilweise Missregistration des Kontrastmittel aufnehmenden
nale MRT und Liquoruntersuchung. Bei gestörter Liquorzirkula- fließenden Bluts Areale verdecken kann. Fließendes Blut, v. a.
tion kann sich durch die mit der Lumbalpunktion verbundene dann, wenn dessen T1-Relaxationszeit durch paramagnetisches
Druckentlastung der neurologische Status verschlechtern. Kontrastmittel heruntergesetzt wurde, kann zu Artefakten füh-
Auch wenn die Erstdiagnose eines intrakraniellen Tumors ren. Diese Artefakte sind v. a. in der hinteren Schädelgrube prob-
zumeist mittels der CT geschieht, sollte zur präoperativen Evalu- lematisch. Hohe Kontrastmitteldosen können das Ausmaß der
ierung eine MRT erfolgen, da hier in den multiplanaren Schich- Artefakte noch steigern. Auch daher sind Flusskompensations-
ten eine genauere Ausdehnung des Tumors und seine Beziehung techniken entweder durch Gradientenpulse oder Gating-Auf-
zu Umgebungsstrukturen erfolgen kann. Vor allem im Bereich nahmen nach Kontrastmittelgabe wichtig. Eine Verzögerung von
der hinteren Schädelgrube ist eine Beurteilung aufgrund der 15–30 min nach Kontrastmittelgabe kann die Artefakte reduzie-
Knochenartefakte in der CT oft nur eingeschränkt möglich. ren, da der intravaskuläre Kontrast sich durch Umverteilung re-
9.4 · Intrakranielle Tumoren
147 9
duziert, jedoch beinhaltet dies eine in der klinischen Routine fokale neurologische Störungen, Hirndruckzeichen oder zere-
kaum akzeptable Zeitverzögerung. bralorganische Anfälle symptomatisch. Maligne Hirntumoren
metastasieren gelegentlich im Liquorraum und führen, wie auch
CT versus MRT. Entgegen der allgemeinen Annahme ist die CT in primäre spinale Tumoren, zu spinalen und radikulären Symp-
der Zuordnung von Tumoren häufig genauer als die MRT. Kleine tomen. Systemische Metastasen primärer intrakranieller Tumo-
Rundzelltumoren, wie die Germinome oder Medulloblastome, ren sind selten.
sind z. B. im Vergleich zum übrigen Hirnparenchym vor Kon-
trastmittelgabe iso- oder hyperdens. Astrozytome bei Kindern Therapie
sind meist hypodens. So lässt sich z. B. ein supraselläres Germi- In der Regel wird eine vollständige Resektion der Tumoren an-
nom von einem suprasellären Astrozytom und ein Medulloblas- gestrebt. Bei Verdacht auf Germinom oder Lymphom oder bei
tom vom zerebellären Astrozytom unterscheiden. In der MRT ist Tumorlokalisation in funktionell kritischen Regionen wird zur
dieses schwieriger, Kalzifikationen, welche z. B. bei Kraniopha- Diagnosesicherung stereotaktisch oder neuronavigiert offen bi-
ryngeomen und Teratomen vorkommen, sind in der CT leichter opsiert. Anschließend wird je nach histologischem Befund zuge-
zu entdecken. Die zusätzlichen anatomischen Informationen, wartet oder eine spezifische Therapie ± Strahlentherapie, Che-
welche die MRT liefert, lassen die eingeschränktere präoperative, motherapie oder eine kombinierte Strahlen- und Chemotherapie
histologische Zuordnung jedoch in den Hintergrund treten. eingeleitet. Die vollständige Resektion eines WHO-Grad-I-Tu-
mors ist kurativ.
Postoperative Kontrolle. Das postoperative »follow up« besteht Bei Neurinomen, v. a. Akustikusneurinomen bis zu einem
in der Regel aus nativen und kontrastverstärkten CT- oder besser Durchmesser von 2 cm, ist besonders bei erhöhtem Operations-
MRT-Bildern innerhalb von 72 h. Nach der unmittelbaren post- risiko die einzeitige oder fraktionierte Strahlentherapie eine
operativen Phase sollte die initiale Bildgebung T1- und T2-ge- Alternative zur Operation. Die fraktionierte Bestrahlung kommt
wichtete axiale Sequenzen vor Kontrastmittelgabe sowie T1-ge- auch bei größeren Neurinomen in Betracht. Die postoperative
wichtete Bilder nach Kontrastmittelgabe beinhalten. Die Nativ- Bestrahlung ist eine etablierte Therapie bei den höhergradigen
bilder werden zur Unterscheidung zwischen postoperativen Gliomen der WHO-Grade III und IV, beim Medulloblastom und
Blutungen und Residualtumor benötigt. Ein Enhancement ent- bei den Keimzelltumoren des ZNS. Operation und Strahlenthe-
lang des Resektionsrandes kann innerhalb von 24 h nach Tumor- rapie kurieren >50% der Medulloblastome. Germinome werden
resektion beobachtet werden. Das Ausmaß des Enhancements meist ausschließlich durch Bestrahlung geheilt. Die Strahlenthe-
nimmt in der postoperativen Phase rapide zu, sodass eine frühe rapie wird bei makroskopisch inkomplett resezierten niedriggra-
Bildgebung (innerhalb der ersten 72 h) stattfinden sollte, um das digen Gliomen des WHO Grads II und bei makroskopisch kom-
Ausmaß der Resektion zu bestimmen. Das operationsbedingte plett entfernten malignen Meningeomen kontrovers diskutiert.
Enhancement an den Operationsrändern nimmt im Lauf der Die Chemotherapie spielt im Vergleich zur Bestrahlung bei
weiteren Untersuchungen nach 6 Wochen ab und sollte nach der Behandlung primärer hirneigener Tumoren eine untergeord-
12 Monaten nicht mehr nachweisbar sein. Ein meningeales und nete Rolle, ist aber bei einigen Tumoren wirksam. Bei den ana-
parenchymales Enhancement ist nach Kontrastmittelgabe auf plastischen Gliomen und den Glioblastomen zeigt Temozolomid
postoperativen MRT-Bildern fast immer vorhanden. Ein durales in der Primärtherapie und in der Rezidivtherapie einen Effekt
Enhancement unterschiedlicher Dicke ist meistens glatt und per- und konkurriert hier mit Nitrosoharnstoffbasierten Protokollen
sistiert oft über mehrere Jahre über den zerebralen Konvexitäten wie PCV. Auch Kinder mit Medulloblastomen scheinen von ei-
und entlang des Tentoriums. Kommt es jedoch zu einem nodu- ner Chemotherapie zu profitieren. In den letzten Jahren wurde
lären meningealen Enhancement, muss an ein subarachnoidales zudem die Wirksamkeit der Chemotherapie bei malignen Keim-
Tumorwachstum gedacht werden. zelltumoren des ZNS belegt. Für die primären Non-Hodgkin-
Lymphome des ZNS ist eine methotrexathaltige Chemotherapie
Histologie in der Primärtherapie heute Standard.
Die Klassifikation einschließlich des Gradings der intrazere-
bralen Tumoren basiert nach wie vor auf dem histogenetischen Hirnmetastasen
Befund. Mit der Revision der WHO-Klassifikation der Hirntu- Epidemiologie
moren von 1993 hat sich auch eine Änderung im Grading der Bei 10–20% aller systemischen Tumorerkrankungen kommt es
astrozytären Gliome ergeben. Außerdem wurde das atypische zu einer Metastasierung in das Nervensystem. Das Risiko be-
Meningeom eingeführt. Für die prognostische Beurteilung sowie trägt 20–50% bei malignem Melanom und kleinzelligem Bron-
für therapeutische Entscheidungen ist eine eindeutige Zuord- chialkarzinom und 10–30% bei nichtkleinzelligem Bronchialkar-
nung wichtig, die im Endeffekt nur durch die Histopathologie zinom, Mammakarzinom und Nierenzellkarzinom. Es handelt
erfolgen kann. Die Prognose des Glioblastoms (Astrozytom Grad sich überwiegend um zerebrale intraparenchymatöse oder spina-
IV) ist mit einer mittleren Überlebensrate von 15 Monaten nach le epidurale Metastasen.
wie vor relativ schlecht.
Die histologische Klassifikation der WHO berücksichtigt die Klinik
zytogenetische Herkunft der Hirntumoren und unterscheidet bis Hirnmetastasen werden durch fokale neurologische Störungen,
zu 4 Malignitätsgrade (WHO-Grade I–IV). Hirntumoren wer- Hirndruckzeichen oder zerebralorganische Anfälle, epidurale
den meist durch Wesens- und Persönlichkeitsveränderungen, Metastasen durch Querschnittsyndrome symptomatisch.
148 Kapitel 9 · Gehirn

Bildgebung Medulloblastom (primitiver neuroektodermaler


Die Diagnostik beinhaltet MRT als Methode der Wahl, alternativ Tumor der hinteren Schädelgrube)
CT, nativ und mit Kontrastmittel. Die MRT ist insbesondere dann Definition, Epidemiologie
essenziell, wenn es um die Frage geht, ob einzelne oder multiple Medulloblastome sind hochmaligne Tumoren, die aus primitiven
Metastasen vorliegen. 5% der Mammakarzinom-Patientinnen, undifferenzierten, kleinen runden Zellen bestehen. Diese undif-
10% der Patienten mit Bronchialkarzinom, 5–15% der Melanom- ferenzierten Zellen wurden von Bede und Cushing als Medullo-
und Non-Hodgkin Lymphom-Patienten und trotz ZNS-Prophyla- blasten bezeichnet, was zu der Bezeichnung »Medulloblastom«
xe 5–15% der Patienten mit akuter lymphatischer Leukämie (ALL) führte.
entwickeln eine Meningeosis neoplastica. Bis zu zwei Drittel die- Medulloblastome sind nach den zerebellären Astrozytomen
ser Patienten weisen gleichzeitig intraparenchymatöse Metastasen die zweithäufigsten infratentoriellen Tumoren im Kindesalter.
auf. Zusätzlich zu den bei Hirnmetastasen auftretenden Symp- Sie machen etwa 15–20% aller intrakraniellen Tumoren im Kin-
tomen kommt es bei der Meningeosis neoplastica zu Hirnnerven- desalter und 30–40% der Tumoren der hinteren Schädelgrube
und radikulären Störungen. Die Meningeosis neoplastica kann aus. Jungen sind 2- bis 4-mal häufiger als Mädchen betroffen.
kernspintomographisch oder computertomographisch durch den Etwa 40% der Medulloblastome treten innerhalb der ersten 5 Le-
Nachweis Kontrastmittel aufnehmender Läsionen im Subarachno- bensjahre auf, 75% innerhalb der ersten10 Jahre. Medulloblasto-
idalraum wahrscheinlich gemacht, sollte aber möglichst durch den me können jedoch auch im Erwachsenenalter entstehen, sie bil-
Nachweis von Tumorzellen im Liquor gesichert werden. den hier etwa 0,5–1% der Hirntumoren.
Seltener sind Medulloblastome in den Kleinhirnhemisphä-
Prognose ren nahe der Oberfläche lokalisiert. Diese Tumoren sind histolo-
Zerebrale oder spinale Manifestationen treten meist bei fortge- gisch häufig vom desmoplastischen Typ und kommen besonders
9 schrittener Grunderkrankung auf und bedeuten auch bei adä- bei Erwachsenen vor. Sie sind auch genetisch vom klassischen
quater Therapie eine geringe mittlere Überlebenszeit von 3– Typ zu unterscheiden. Da sie wahrscheinlich von der äußeren
6 Monaten. Die 1-Jahres-Überlebensrate beträgt 10–20%. Bei Körnerzellschicht der Kleinhirnrinde ausgehen, liegen sie meist
Patienten mit solitären Metastasen oder isoliertem leptomenin- an der Oberfläche und haben eine enge Beziehung zur Dura oder
gealen Befall, z. B. beim Mammakarzinom, ist gelegentlich auch infiltrieren diese frühzeitig.
mehrjähriges Überleben möglich.
Klinik, Lokalisation
Nach dem Auftreten klinischer Symptome durch ein Medullo-
9.4.2 Infratentorielle Tumoren blastom wird die Diagnose in der Regel innerhalb von 4 Wochen
gestellt. Die häufigsten klinischen Symptome sind Übelkeit, Er-
Die häufigsten Tumoren der hinteren Schädelgrube im Kindes- brechen und Kopfschmerzen. Übelkeit und Erbrechen können
alter sind das Medulloblastom, Astrozytome des Kleinhirns und neben dem allgemeinen Hirndruck auch durch ein Vorwachsen
des Hirnstamms, atypische Teratome, Rhabdoidtumoren und des Tumors in die Area postrema, die allgemein als »Brechzent-
Ependymome. Obwohl Medulloblastome, Ependymome, aty- rum« gilt, erklärt werden.
pische Teratome und Rhabdoidtumoren häufig den Anschein Innerhalb des 1. Lebensjahres, wenn die Schädelnähte noch
erwecken, als würden sie intraventrikulär wachsen, handelt es nicht komplett verschlossen sind, kommt es häufig zu einem
sich um intraparenchymale Tumoren, die in den 4. Ventrikel vor- schnellen Wachstum des Kopfumfangs. Medulloblastome der
wachsen. Hirnstammtumoren werden seit kurzem in verschie- ersten 3 Lebensjahre unterscheiden sich von denjenigen älterer
dene Gruppen untergliedert. Kinder v. a. durch einen häufiger auftretenden Hydrozephalus,
Die differenzialdiagnostischen Überlegungen der infratento- durch ein höheres Tumorstadium und eine höhere Inzidenz ei-
riellen Hirntumoren im Kindes- und Erwachsenenalter sind in ner Liquordissemination bereits bei Diagnosestellung. Die Prog-
der Übersicht zusammengefasst. nose ist deshalb auch vom Patientenalter abhängig.
Bei älteren Kindern und jungen Erwachsenen ist häufig eine
Rumpf- und Standataxie das führende Symptom. Treten eine Pa-
Differenzialdiagnose infratentorieller Tumoren bei raparese oder Symptome der Cauda equina auf, muss von einer
Kinden und Erwachsenen nach abnehmender Häufigkeit Liquoraussaat nach spinal ausgegangen werden. Dies gilt als ein
Kinder: schlechter prognostischer Faktor. Bei bekanntem bzw. nachge-
4 Kleinhirnastrozytom wiesenem Medulloblastom in der hinteren Schädelgrube muss
4 Medulloblastom anschließend immer die gesamte Neuroaxis mittels MRT unter-
4 Hirnstammgliom sucht werden.
4 Ependymom
Im Kindesalter treten zwei Drittel aller Medulloblastome im
Vermis auf, während sie bei Jugendlichen und Erwachsenen
Erwachsene:
4 Schwannom häufiger in den Kleinhirnhemisphären lokalisiert sind. Der Tu-
4 Meningeom mor bildet oft eine gut definierte Raumforderung im Vermis, die
4 Epidermoid den Raum zwischen den Kleinhirntonsillen aufweitet. Er impri-
4 Metastase miert das Dach des 4. Ventrikels und führt zu einer partiellen
oder kompletten Verlegung der Liquorzirkulation mit konseku-
9.4 · Intrakranielle Tumoren
149 9
tivem Hydrocephalus occlusus. Dorsal kann er an die Cisterna Magnetresonanztomographie. In der MRT stellen sich die Me-
magna und nach kaudal durch das Foramen magnum vorwach- dulloblastome variabel und unspezifisch dar (. Abb. 9.82). Die
sen. Gelegentlich kann das Medulloblastom durch die Foramina Tumorlokalisation und das Patientenalter sind die wichtigsten
Luschkae in den Kleinhirnbrückenwinkel vorwachsen. Ein Vor- Faktoren, die zu einer korrekten Diagnose führen. Auf sagittalen
wachsen in den Hirnstamm wird bei etwa einem Drittel der Pati- Schichten ist der Ausgangspunkt des klassischen Medulloblas-
enten gesehen. Eine leptomeningeale Dissemination über den toms vom Kleinhirnwurm gut zu erkennen, da eine ventrale
Liquorraum geschieht sehr häufig; sie wird in der Literatur mit in schlitzförmige Lamelle von Liquor den Tumor vom Boden des
bis zu 100% der Fälle angegeben. Supratentoriell ist eine Aussaat 4. Ventrikels trennt. Ein Hydrocephalus occlusus ist die Folge der
am häufigsten in der Fissura Sylvii, in den basalen Zisternen so- Liquorabflussstörung aus der hinteren Schädelgrube.
wie in der hinteren Schädelgrube nachzuweisen. Eine leptome- Auf T1-gewichteten Bildern stellt sich das Medulloblastom
ningeale Tumoraussaat stellt sich in den T1-gewichteten Sequen- als hypointense Raumforderung dar. Nach Kontrastmittelgabe
zen nach Kontrastmittelgabe als hyperintense Struktur dar, die zeigt sich meist ein homogenes, z. T. auch inhomogenes Enhan-
die Sulci und Zisternen nachzeichnet. Häufig ist auch eine zu- cement. In 5–10% der Fälle zeigen Medulloblastome kein Enhan-
ckergussartige Überziehung des Hirnstamms zu erkennen. cement nach Kontrastmittelgabe. Überwiegend nimmt der Tu-
Eine retrograde Dissemination über den Aquädukt in den mor jedoch schwach bis stark Kontrastmittel auf. Auf T2-gewich-
3. Ventrikel sowie in die Seitenventrikel kann ebenso vorkom- teten Sequenzen ist der Tumor hyper- bis isointens zur grauen
men. Von dort kann es dann wieder zu einem intraparenchyma- Hirnsubstanz. Das Signalverhalten ist abhängig von der Zell-
len Vorwachsen des Tumors kommen. Abtropfmetastasen nach dichte und dem freien Wasser innerhalb des Tumors. Eine hohe
spinal werden in bis zu 40% der Fälle nachgewiesen. Eine syste- Zellzahl und wenig Wasseranteile innerhalb des Tumors führen
mische Metastasierung ist selten und kommt meist nur bei Tu- zu einer geringeren Hyperintensität in T2-gewichteten Bildse-
morrezidiven vor. Dann ist häufig das Skelett betroffen, gefolgt quenzen. Meist ist das Medulloblastom im T2-gewichteten Bild
von Lymphknoten- und Lungenbefall. deutlich hypointenser als ein pilozytisches Astrozytom.
Eine leptomeningeale Ausbreitung des Tumors über die
Diagnose, Bildgebung Liquorräume ist auf nicht-kontrastangehobenen Bildern nur
Histologie. Histologisch sind über die Hälfte der Medulloblasto- schwer nachzuweisen. Deshalb muss bei Verdacht auf ein Medul-
me vom klassischen undifferenzierten Typ. In 25% der Fälle han- loblastom bereits präoperativ die gesamte Neuroaxis vor und
delt es sich um ein so genanntes desmoblastisches Medulloblas- nach paramagnetischer Kontrastanhebung untersucht werden.
tom, welches häufiger im 2. Lebensjahrzehnt und in den Klein- Medulloblastome haben oft schon zum Zeitpunkt der Diagnose
hirnhemisphären auftritt. Etwa 20–25% zeigen eine gliale oder in den Liquorraum metastasiert. In einer Studie zeigten 17% der
neuronale Differenzierung innerhalb des Tumors, damit ist eine Medulloblastome eine Liquordissemination zum Zeitpunkt der
insgesamt noch schlechtere Prognose verbunden. Diagnose. Die Liquormetastasen sind meist nodulär, z. T. lami-
när. Sie können sowohl kraniell als auch spinal vorkommen. Me-
Computertomographie. In der CT erscheint das typische Medullo- ningeale und epidurale Metastasen sind in ihrem Kontrastmittel-
blastom als eine relativ umschriebene hyperdense Raumforderung Verhalten variabel und können ein anderes Verhalten aufweisen
im Kleinhirnwurm, die nach Kontrastmittelgabe meist ein homo- als der Primärtumor. Besonders häufig sieht man eine Liquor-
genes Enhancement zeigt. Diese primäre Hyperdensität kommt aussaat im Recessus infundibularis des 3. Ventrikels, die manch-
durch die hohe Zellzahl der kleinzelligen Medulloblastome zustan- mal nur anhand einer unphysiologischen Verdickung des Hypo-
de. Häufig ist der Tumor von einem hypodensen Randsaum, einem physenstiels zu erkennen ist.
Ödem, umgeben. Verkalkungen und Zysten können vorkommen.
Der 4. Ventrikel wird meist nach anterior abgedrängt und ist Zerebelläre Astrozytome
manchmal nicht mehr abgrenzbar. Aufgrund der Raumforderung Definition, Epidemiologie, Klassifikation
in der hinteren Schädelgrube zeigt sich häufig eine beginnende Astrozytome sind die häufigsten Hirntumoren im Kindesalter
Liquorzirkulationsstörung mit Erweiterung der Temporalhörner und machen etwa 40–50% der primär intrakraniellen Neoplas-
und des 3. Ventrikels. Ein Hydrozephalus wird bei ungefähr 95% men im Kindesalter aus. Etwa 60% aller Astrozytome im Kindes-
der Patienten zum Zeitpunkt der Bildgebung gesehen. alter sind infratentoriell lokalisiert, 40% im Cerebellum und un-
Zysten und Verkalkungen treten bei Medulloblastomen ins- gefähr 20% im Hirnstamm.
gesamt selten auf. Mehrere Studien zeigten allerdings in bis zu Die meisten zerebellären Astrozytome im Kindesalter sind
60% atypische CT-Erscheinungen auf mit Verkalkungen in bis zu von einem speziellen histologischen Typ, dem so genannten ju-
40% und Zysten oder Nekrosen und Tumoranteile ohne Enhan- venilen pilozytischen Astrozytom. Diese Astrozytome werden
cement in bis zu 50% der Fälle. als eine eigene Tumorentität angesehen und nach den WHO-
Kriterien als Grad-I-Tumor klassifiziert. Der Name leitet sich aus
> Eine Differenzialdiagnose ist das Astrozytom, das je- den charakteristischen haarähnlichen Fortsätzen der Tumorzel-
doch in der Regel hypodens zum umliegenden Hirnpa- len ab. Juvenile pilozytische Astrozytome sind der häufigste be-
renchym in den nativen CT-Aufnahmen zur Darstellung nigne, astrozytäre Tumor des Zentralnervensystems. Es handelt
kommt. Die Hyperdensität in den nativen CT-Aufnah- sich um gut abgegrenzte, niedrig maligne Tumoren, die beson-
men ist das beste Unterscheidungskriterium zu ande- ders häufig in der Umgebung des 3. und 4. Ventrikels vorkom-
ren Tumoren der hinteren Schädelgrube. men. Ihr Anteil an allen Gliomen bei Kindern und Jugendlichen
150 Kapitel 9 · Gehirn

a b

c d

. Abb. 9.82a–d. Medulloblastom. 3-jähriges Mädchen mit seit 2 Wochen quenzen vor und nach KM-Applikation zeigen die Raumforderung hypoin-
bestehendem Nüchternerbrechen. a In der T2-Wichtung zeigt sich eine im tens mit inhomogener mäßiger KM-Aufnahme. d In den sagittalen Aufnah-
Vergleich zur grauen Substanz etwas hyperintense Raumforderung im men ist die Ausdehnung des Tumors und der Ausgang vom Dach des
4. Ventrikel mit Kompression des Hirnstamms und beginnender Liquorzir- 4. Ventrikels zu erkennen
kulationstörung (Aufweitung der Temporalhörner). b, c Die axialen T1w-Se-

beträgt etwa 30%, an allen Gliomen etwa 5–10%. Sie stellen damit Klinik, Prognose
den häufigsten Tumor in dieser Altersgruppe dar. Die klinischen Symptome bei Patienten mit zerebellären Astro-
Juvenile pilozytische Astrozytome kommen mit gleicher zytomen sind häufig ein morgendliches Erbrechen, Kopf-
Häufigkeit bei Jungen und Mädchen vor. Meist treten diese Tu- schmerzen über Wochen und Monate. Zerebelläre Symptome,
moren innerhalb der ersten 10 Lebensjahre auf. Blastische Astro- wie Ataxie oder eine Dysdiadochokinese, treten auf und können
zytome, die ungefähr 25% der zerebellären Astrozytome ausma- Hinweise auf die Lokalisation des Tumors innerhalb des Klein-
chen, kommen eher bei älteren Kindern, meist in der 1. Hälfte hirns geben. Patienten mit juvenilen pilozytischen Astrozytomen
des 2. Lebensjahrzehnts, vor. haben eine sehr gute Prognose mit einer Überlebensrate von 90%
Maligne infratentorielle Astrozytome, Glioblastome (Grad- nach 25 Jahren; dies gilt insbesondere für zystische juvenile pilo-
IV-Astrozytome) können – wenn auch selten – im Kindes- und zytische Astrozytome. Bei soliden zerebellären Astrozytomen
Jugendlichenalter auftreten. wird die Überlebensrate nach 25 Jahren mit 40% angegeben. Eine
9.4 · Intrakranielle Tumoren
151 9

a b

. Abb. 9.83a–c. Pilozytisches Astrozytom. a In der axialen T2-Wichtung


zeigt sich eine teils solide, teils zystische Raumforderung in der Medulla ob-
longata, vorwiegend lateral links lokalisiert. b In den nativen T1w-Sequen-
zen stellen sich die soliden Anteile parenchym-isointens, die zystischen hy-
pointens dar. c Nach KM-Gabe reichern die soliden Anteile kräftig an

tisch, solide oder solide mit nekrotischen zentralen Anteilen sein


(. Abb. 9.83). Häufig zeigt sich eine zystische Läsion mit einem
Tumorknötchen innerhalb der Zystenwand. Die Zystenwand be-
steht dann meist aus komprimiertem Kleinhirnparenchym. Zysti-
sche pilozytische Astrozytome mit wandständigen Tumorknoten
machen etwa 50% der zerebellären Astrozytome aus. Die restli-
chen 40–45% bestehen meist aus einem soliden Tumor mit einem
zystischen zentralen Anteil bzw. einem nekrotischen Anteil.
Verkalkungen werden bei ungefähr 20% der zerebellären As-
trozytome in der Histologie gefunden. Tumoreinblutungen kom-
men sehr selten vor. Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung weisen
die Tumoren meist einen Durchmesser von etwa 5 cm auf. Wenn
c sich der Tumor in den 4. Ventrikel ausdehnt, muss er von einem
Medulloblastom oder Ependymom abgegrenzt werden.
Im Gegensatz zu den pilozytischen Astrozytomen am Chias-
maligne Transformation eines benignen zerebellären Astrozy- ma und Hypothalamus sind die meisten Kleinhirnastrozytome
toms ist sehr ungewöhnlich. zumindest partiell zystisch. Das typische Erscheinungsbild der
zerebellären Astrozytome ist eine große vorwiegend zystische
Therapie Raumforderung im Kleinhirnwurm oder in der Kleinhirnhemis-
Eine komplette Resektion eines pilozytischen Astrozytoms wird phäre. Der solide Anteil des Tumors erscheint meist iso- bis hy-
allgemein als ein kurativer Eingriff angesehen. Bei guter Lage podens zur umgebenden weißen Hirnsubstanz. Höhergradige
und Inoperabilität kann eine stereotaktische Bestrahlung durch- Tumoren können jedoch auch iso- oder sogar hyperdens erschei-
geführt werden. nen. Nach Kontrastmittelgabe zeigt sich in der CT häufig ein ir-
reguläres Enhancement. Die Hälfte der Tumoren zeigt ein ausge-
Bildgebung sprochen inhomogenes Muster.
Die meisten zerebellären Astrozytome im Kindesalter entstehen Pilozytische Astrozytome (WHO Grad I) weisen in der Re-
in der Mittellinie und breiten sich in die zerebelläre Hemisphäre gel ein kräftiges homogenes Enhancement der soliden Tumoran-
aus. Eine Ausbreitung in die Kleinhirnhemisphären allein tritt in teile auf. Zeigt sich eine große Zyste mit einem wandständigen
etwa 15% der Fälle auf. Zerebelläre Astrozytome können zys- Tumorknoten, kommt es zu einem kräftigen homogenen Enhan-
152 Kapitel 9 · Gehirn

cement nach Kontrastmittel-Applikation. Kommt es zu keinem des 3. Ventrikels aus. Sie wachsen entweder intraventrikulär oder
Tumorenhancement, handelt es sich in aller Regel nicht um ein liegen paraventrikulär im Marklager des Großhirns.
pilozytisches Astrozytom. Die Zystenwand kann in der CT leicht Etwa 50% wachsen durch die Foramina Luschkae in den
hyperdens erscheinen, weist jedoch normalerweise kein Enhan- Kleinhirnbrückenwinkel. In einigen Fällen können Ependy-
cement auf. Ein Enhancement der Zystenwand spricht für ein mome auch im Kleinhirnbrückenwinkel vorkommen, ohne dass
pilozytisches Astrozytom und gegen ein Hämangioblastom ein Tumor im 4. Ventrikel oder im Recessus lateralis nachgewie-
(Lindau-Tumor), das bei älteren Jugendlichen und jungen Er- sen werden kann. In diesem Fall muss davon ausgegangen wer-
wachsenen in der Differenzialdiagnose Schwierigkeiten berei- den, dass der Tumor aus minimalen Zellnestern im Kleinhirn-
ten kann. brückenwinkel gewachsen ist. Diese im Kleinhirnbrückenwinkel
In der MRT stellen sich die zerebellären Astrozytome sehr vorkommenden Ependymome haben eine relativ schlechte Prog-
variabel dar. Solide und zystische Anteile können klar abgegrenzt nose.
werden. Normalerweise sind die soliden Anteile in T1-gewichte- Eine subarachnoidale Ausbreitung der Ependymome über
ten Sequenzen hypointens, in den T2-gewichteten Sequenzen den Liquorraum kommt in etwa 10–12% der Fälle vor, meist bei
hyperintens zum umliegenden Hirnparenchym. Höhergradige Tumoren mit einem höheren Grading. Wenn eine subarachnoi-
Tumoren können jedoch auch eine geringere Signalintensität in dale Ausbreitung vorliegt, muss von einem anaplastischen Epen-
den T2-gewichteten Sequenzen aufweisen, teilweise sogar einem dymom ausgegangen werden.
Medulloblastom ähneln. Die soliden Tumoranteile zeigen nach Die meisten Ependymome sind solide. Kalzifikationen sind
paramagnetischer Kontrastmittel-Applikation in der Regel ein in bis zu 50% der Fälle histologisch nachweisbar, Zysten in etwa
ähnliches Kontrastverhalten wie in der CT. 20%. Ependymome können sich entlang des Subarachnoidal-
raums ausbreiten und Blutgefäße und Nerven ummauern. Sie
9 > Die seltenen anaplastischen pilozytischen Astrozytome
können auch durch die Ventrikelwand in das angrenzende Hirn-
können sich klinisch wie maligne Tumoren verhalten.
parenchym vorwachsen. Dieses so genannte plastische Wachs-
Trotz der niedrigen Malignität wird bei etwa 5% aller
tum der Ependymome verläuft unregelmäßig, der Form des
pilozytischen Astrozytome entweder primär oder se-
4. Ventrikels angepasst. Dadurch ist eine vollständige Tumorent-
kundär im Verlauf eine leptomeningeale Aussaat beob-
fernung oft sehr schwierig und die Rezidivrate dementsprechend
achtet. Der Nachweis einer leptomeningealen Aussaat
hoch.
schließt deshalb die Diagnose eines niedriggradigen
Astrozytoms nicht aus. Bildgebung
Computertomographie. Die infratentoriellen Ependymome
Ependymome stellen sich in der CT meist als iso- bis hyperdense Raumforde-
Lokalisation, Epidemiologie rungen des 4. Ventrikels dar, z. T. mit punktförmigen Verkal-
Ependymome machen etwa 8–9% der primären Hirntumoren kungen und kleinen Zysten. Größere schollige Verkalkungen
im Kindesalter aus und 8–15% der infratentoriellen Tumoren. Im sind eher selten nachzuweisen. Intratumorale Einblutungen sind
Kindesalter treten Ependymome häufiger infratentoriell (70%) bei etwa 10% der Patienten zu erkennen. Nach Kontrastmittel-
als supratentoriell (30%) auf und häufiger intrakraniell als intra- Applikation zeigt sich meist ein mäßig ausgeprägtes Enhance-
spinal. Bei Jungen sind sie etwas häufiger als bei Mädchen. ment. Die Ausbreitung des Tumors durch die Foramina Lusch-
Ependymome der hinteren Schädelgrube zeigen 2 Altersgip- kae in die Kleinhirnbrückenwinkelzisternen stützt die Diagnose
fel: den ersten zwischen dem 1. und 5. Lebensjahr und den zwei- eines Ependymoms.
ten zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr.
Magnetresonanztomographie. In der MRT stellen sich Ependy-
Klinik mome in den T1-gewichteten Sequenzen normalerweise leicht
Bei Patienten mit einem Ependymom der hinteren Schädelgrube hypointens zum umliegenden Hirnparenchym dar, z. T. mit klei-
lässt sich oft eine lange Anamnese eruieren. Die Verzögerung in nen Arealen, die stark hypointens sind und am ehesten kleinen
der Diagnosestellung resultiert meist aus wenig ausgeprägten zystischen bzw. regressiven Veränderungen entsprechen. In den
klinischen Symptomen. Bei Diagnosestellung leiden die Kinder T2-gewichteten Sequenzen erscheint die Raumforderung meist
häufig unter Übelkeit und Erbrechen, was meist auf den Begleit- isointens zur grauen Hirnsubstanz, die zystischen bzw. nekro-
hydrozephalus und intrakraniellen Druckanstieg durch die Ver- tischen Areale stellen sich stark hyperintens dar. Manchmal kön-
legung des 4. Ventrikels zurückzuführen ist, was bei etwa 90% nen Flüssigkeitsspiegel innerhalb der zystischen Veränderungen
der Patienten vorkommt. Andere Symptome sind Tortikollis und nachgewiesen werden. Nach Kontrastmittelgabe nehmen Epen-
Ataxie sowie Läsionen der kaudalen Hirnnerven. dymome kräftiger und regelmäßiger als Medulloblastome Kon-
trastmittel auf. Das Enhancement in den Zystenwänden führt zu
Lokalisation, Histologie einem traubenartigen Bild, das für Ependymome besonders
Ependymome stammen von differenzierten ependymalen Zellen charakteristisch ist (. Abb. 9.84). Differenzialdiagnostisch kön-
aus Boden und Dach des 4. Ventrikels, sie wachsen in den Reces- nen Medulloblastome oft nicht sicher davon abgegrenzt werden.
sus lateralis des 4. Ventrikels sowie in die Foramina Luschkae Eine Dissemination in die Liquorräume ist beim Ependymom
(. Abb. 9.84). Supratentoriell gehen sie vom Ependym des Sei- eher selten.
tenventrikels (Foramen Monroi- oder Trigonumbereich) oder
9.4 · Intrakranielle Tumoren
153 9

a c

. Abb. 9.84a–c. Ependymom. 6-jähriger Junge mit unspezifischen Be-


schwerden im Rachenraum und Schluckbeschwerden. a In der axialen T2-
Wichtung ist eine etwas hyperintense Struktur lateral der Medulla oblonga-
ta zu erkennen. b, c Nach KM-Gabe stellt sich die Raumforderung mit unre-
gelmäßigem, z. T. etwas traubenförmig anmutendem Enhancement dar

tio von 0,17±0,09 und eine Kreatin-Cholin-Ratio von


0,32±0,19. Mittelgradige Astrozytome und Ependymome
weisen typischerweise vergleichbare Werte wie das Medull-
oblastom und das normale Cerebellum auf. Die MR-Spekt-
roskopie kann daher in der Differenzierung eines Medullo-
blastoms von Astrozytomen und Ependymomen hilfreich
sein. Die Cholin- und NAA-Werte von Hirntumoren variieren
jedoch stark. Pilozytische Astrozytome z. B., allgemein als
benigne Hirntumoren angesehen, haben sehr hohe Cholin-
Werte, hohe Laktat-und niedrige NAA-Werte (NAA-Cholin-
Ratio von 0,29, Kreatin-Cholin-Ratio von 0,29). Solche Werte
werden normalerweise bei »High-grade-Tumoren« gesehen.
Aber auch inflammatorische Läsionen können ähnliche
Spektren vorweisen wie maligne Tumoren.
b

Akustikusneurinom
Definition, Epidemiologie, Bildgebung
MR-Spektroskopie bei Medulloblastomen, Es ist eine gutartige Geschwulst der Schwann-Zellen und betrifft
zerebellären Astrozytomen und Ependymomen fast immer den vestibulären Anteil des N. acusticovestibularis.
Im Allgemeinen zeigt ein Protonenspektrum der Hirntumo- Bei einer Inzidenz von 1,3 Erkrankungen/100 000 Einwohner/
ren hohe Cholin-Peaks und verminderte NAA-Peaks. Das Jahr nimmt es eine wichtige Rolle im Spektrum der Neuroradio-
normale Spektrum des Cerebellums im Kindesalter hat eine logie ein.
NAA-Cholin-Ratio von 1,49±0,36 und Kreatin-Cholin-Ratio
von 1,3±0,23. Medulloblastome haben eine NAA-Cholin-Ra- Ätiologie
6 Das bilateral auftretende Akustikusneurinom ist pathognomo-
nisch für eine Neurofibromatose Typ II. Verantwortlich für die
154 Kapitel 9 · Gehirn

9
a b

. Abb. 9.85a–c. Akustikusneurinom. a In der T2-Wichtung ist der Tumor


im Kleinhirnbrückenwinkel leicht hyperintens zum Hinrparenchym. b T1-
Wichtung vor KM-Gabe. c In der T1-Wichtung zeigt sich nach KM-Gabe ein
deutliches homogenes Enhancement des Tumors

gen. Häufig treten auch eine Fazialisparese sowie Schmerzen


okzipital, bis zum Ohr ziehend, und bei sehr ausgedehnten Tu-
moren Hirnstammsymptome auf. Die Pathophysiologie der Hör-
verschlechterung ist letztendlich nicht geklärt. Dabei wird nicht
allein von einer Degeneration des N. acusticus, sondern auch
von degenerativen Veränderungen im Innenohr ausgegangen.

Pathogenese und Bildgebung


Meist beginnt das Wachstum im inneren Gehörgang und erreicht
im späteren Stadium den Kleinhirnbrückenwinkel (. Abb. 9.85).
Der Meatus acusticus internus wird dabei häufig aufgeweitet, bei
sehr kleiner Tumorausprägung fällt evtl. nur eine Verdickung des
Modiolus im Seitenvergleich in der MRT auf. Das Tumorgewebe
nimmt homogen Kontrastmittel an, kann aber auch zystische
Komponenten aufweisen. Meist wächst der intrakanalikuläre
Anteil posteriorwärts, da der N. facialis eine anteriore Grenze
c darstellt.
Differenzialdiagnostisch muss bei kleinen Tumoren im Me-
atus acusticus internus auch an das sehr seltene kavernöse Häm-
Erkrankung ist ein Gendefekt auf Chromosom 22 mit einer In- angiom gedacht werden.
aktivierung des NF2-Tumorsuppressorgens (. Abb. 9.41). Bei
mehr als der Hälfte der Patienten handelt es sich allerdings um Histologie
eine Neumutation. 25% zeigen eine Mosaikbildung. Bei diesen Histologisch wird das Akustikusneurinom in Antoni Typ A und
Patienten lässt sich häufig ein abweichender und milderer kli- Antoni Typ B, abhängig vom unterschiedlichen Retikulinfaser-
nischer Verlauf beobachten. netz, das die Tumorzellen umgibt, eingeteilt. Die Tumorareale
vom Antoni-A-Typ sind zellreich, die Zellen sind parallel ange-
Klinik ordnet. Es findet sich ein so genanntes faszikuläres Muster (fisch-
Die Patienten entwickeln in der Regel eine langsame Hörver- zug- oder palisadenförmiges Kernmuster). Die Tumorareale vom
schlechterung, Tinnitus, Schwindel bzw. Gleichgewichtsstörun- Antoni-B-Typ sind zellarm und regressiv verändert. Die Tumor-
9.4 · Intrakranielle Tumoren
155 9
zellen liegen in einem mikrozystisch aufgelockerten Retikulinfa- Syringomyelie begleitet. Seltener sind Hämangioblastome des
sernetz. Gelegentlich finden sich innerhalb des Tumors Verfet- Hirnstamms oder der Großhirnhemisphären. Da sie normaler-
tungen. Die Akustikusneurinome vom Typ B entwickeln signifi- weise von der Oberfläche des Gehirns ausgehen, besitzen die
kant häufiger eine Fazialisparese und vestibuläre Symptome als Tumoren immer eine Anbindung an die piale Oberfläche. Häm-
die vom Typ A. angioblastome sind normalerweise gut umschriebene weiche,
zystische Tumoren mit einem wandständigen Tumorknoten.
Atypische Teratome und Rhabdoidtumoren 30–40% der Hämangioblastome zeigen jedoch nur solide An-
Definition, Charakeristika teile.
In den letzten 7–15 Jahren hat sich herausgestellt, dass sich eini-
ge Tumoren, die als Medulloblastome klassifiziert worden waren, Bildgebung
komplett anders verhalten. Diese so genannten atypischen Tera- Computertomographie. In der CT erscheinen Hämangioblasto-
tome oder Rhabdoidtumoren kommen in einem jüngeren Alter me normalerweise als zystische oder solide Raumforderungen in
vor als die Medulloblastome. Das mittlere Alter bei Diagnosestel- der hinteren Schädelgrube. Der solide Tumoranteil zeigt meist
lung beträgt 16 Monate, das mittlere Alter bei Diagnosestellung ein homogenes kräftiges Kontrastmittel-Enhancement. Kleine
eines Medulloblastoms aber etwa 6 Jahre. solide Tumoranteile können jedoch nicht immer mit der CT
Da die atypischen Teratome/Rhabdoidtumoren auf die Stan- nachgewiesen werden.
dardtherapie nicht ansprechen, ist es wichtig, sie von den Medul-
loblastomen zu differenzieren. Ein Resultat dieses fehlenden Angiographie. Ein Hämangioblastom kann angiographisch be-
Ansprechens auf die gängige Chemotherapie des Medulloblas- stätigt werden, da der solide Tumorknoten typische durchblutete
toms ist, dass die Patienten mit atypischen Teratomen/Rhabdoid- Gefäßstrukturen besitzt oder einen ausgedehnten kräftigen Tu-
tumoren meist innerhalb eines Jahres nach Diagnosestellung morblush aufweist.
versterben.
Magnetresonanztomographie. In der MRT zeigt sich in den
Diagnose T1-gewichteten Sequenzen meist eine zystische Raumforderung
Die atypischen Teratome/Rhabdoidtumoren können vom Me- mit einem wandständigen, leicht hyperintensen Knoten. Dieser
dulloblastom durch mikroskopische und histologische Tech- kann in den T1-gewichteten Sequenzen oft »flow voids« auf-
niken unterschieden werden. Die meisten dieser Tumoren weisen, die Ausdruck der kräftigen Vaskularisation sind. Nach
kommen im Kleinhirn vor (etwa 60%), können jedoch auch in Kontrastmittelgabe zeigt sich dann ein kräftiges homogenes
den Großhirnhemisphären (20%), in der Pinealisregion und Enhancement. Bei allen Patienten mit Verdacht auf eine Hippel-
im Hypothalamus auftreten. Durch die Bildgebung lassen sich Lindau-Erkrankung sollte die gesamte Neuroaxis magnetreso-
diese Tumoren von den Medulloblastomen und Ependymo- nanztomographisch untersucht werden.
men in der hinteren Schädelgrube nicht differenzieren. Supra-
tentoriell lassen sie sich ebensowenig von den Ependymomen
und den primitiven neuroektodermalen Tumoren unterschei-
den.

Hämangioblastome
Definition, Epidemiologie
Hämangioblastome sind relativ seltene, benigne Tumoren vas-
kulären Ursprungs mit einer Häufigkeit von 1–2,5% aller intra-
kraniellen Neoplasien. Die meisten Hämangioblastome werden
im jungen und mittleren Erwachsenenalter diagnostiziert. Das
männliche Geschlecht ist etwas häufiger betroffen als Frauen.
Etwa 10% der Hämangioblastome kommen gemeinsam mit
retinalen Angiomen vor, eine Konstellation, die als Hippel-Lin-
dau-Erkrankung bezeichnet wird. Patienten mit einer Hippel-
Lindau-Erkrankung weisen häufig multiple Hämangioblastome
im zentralen Nervensystem auf, multiple Zysten oder Tumoren
involvieren oft Pankreas, Leber, Nieren und Lunge. Im Herz
kommen Rhabdomyome vor. Patienten mit Hämangioblas-
tomen zeigen manchmal eine Erythrozythämie, die durch eine
erhöhte Erythropoetin-Ausschüttung des Tumors entstehen
soll.

Lokalisation
Hämangioblastome kommen meist in der Kleinhirnhemisphäre . Abb. 9.86. Hämangioblastom. DSA der A. vertebralis: deutliches Tu-
vor. Wächst der Tumor in der Medulla, ist er häufig von einer morblush des Hämangioblastoms
156 Kapitel 9 · Gehirn

Hirnstammtumoren der MRT einen infiltrativen Charakter zeigen, sind sie operabel.
Epidemiologie, Klassifikation Eine Biopsie sollte zugunsten einer Resektion, deren Radikalität
Hirnstammgliome machen etwa 15% aller Tumoren des Zentral- erst intraoperativ entschieden wird, vermieden werden.
nervensystems bei Kindern und etwa 20–30% der infratentoriel-
len Hirntumoren aus. Jungen und Mädchen sind gleich häufig Pontine Tumoren
betroffen, der Altersgipfel dieser Tumoren liegt zwischen dem 3. Pontine Tumoren sind unter den Hirnstammgliomen die häufigs-
und 10. Lebensjahr. Hirnstammtumoren sollten nicht als eine te Erscheinungsform. Ihre häufigsten Symptome sind multiple
einzige Entität betrachtet werden, sondern in mindestens 4 Ka- Hirnnervenausfälle, kombiniert mit Pyramidenbahnzeichen und
tegorien eingeteilt werden: einer zerebellären Dysfunktion, meist Ataxie und Nystagmus.
4 Medulläre Tumoren Kleinere Tumoren zeigen oft zuerst isolierte Hirnnervenausfälle.
4 Pontine Tumoren Ein Hydrozephalus und erhöhter intrakranieller Druck sind eher
4 Mesenzephale Tumoren selten anzutreffen. Die Prognose hängt stark von der Lokalisation
4 Tumoren bei Neurofibromatose Typ I (NF I) des Tumors und seiner Ausdehnung ab. Die Prognose für die Pa-
tienten ist insgesamt schlecht, mit einer 5-Jahres-Überlebensrate
Innerhalb jeder dieser Kategorien können die Tumoren noch- von ungefähr 10% trotz optimaler Therapie. Auch hier zeigen die
mals unterschieden werden in fokale und diffuse Tumoren. seltenen fokalen, exophytisch wachsenden Tumoren, die auch
Die MRT ist die Methode der Wahl, um Hirnstammtumoren häufig in den 4. Ventrikel vorwachsen, eine bessere Prognose, mit
nachzuweisen. Hauptvorteil ist, dass im Gegensatz zur CT keine einer 5-Jahres-Überlebensrate von bis 73%.
Artefakte durch die knöchernen Strukturen der Schädelbasis
auftreten. Ein weiterer Vorteil ist die multiplanare Schichtfüh- Bildgebung. Diffuse pontine Tumoren stellen sich als hypoden-
9 rung. Bei Verdacht auf Hirnstammtumoren sollten sagittale und se Tumoren in der CT, in der MRT in den T1-gewichteten Se-
axiale T2-gewichtete Sequenzen sowie FLAIR-Sequenzen ver- quenzen hypointens, in der T2-Wichtung hyperintens dar. In
wendet werden. axialer und sagittaler Ausdehnung zeigt der Pons eine Größen-
Diffuse Tumoren tendieren dazu, das betroffene Hirnparen- zunahme, der 4. Ventrikel wird von ventral konvexbogig vorge-
chym mäßig zu vergrößern, ohne fokale exophytische Tumoran- wölbt und eingeengt. Die diffusen pontinen Tumoren zeigen in
teile aufzuweisen. Die Tumorgrenzen sind in der Regel schlecht der Regel keine pathologische Aufnahme nach i.v.-Kontrastmit-
abgrenzbar und involvieren >50% des Hirnstamms in axialer telgabe (. Abb. 9.87). Fokale pontine Tumoren sind sehr selten
Schichtführung in Höhe der maximalen Ausdehnung. Norma- und bilden nur einen Anteil von etwa 10% aller pontinen Tumo-
lerweise zeigt sich nur ein minimales, meist aber kein Kontrast- ren. Definitionsgemäß betreffen diese Tumoren <50% in der axi-
mittel-Enhancement. alen Schichtführung des Pons. Diese Tumoren zeigen nach Kon-
Fokale Neoplasien sind gut umschriebene Tumoren und in- trastmittelgabe typischerweise ein heterogenes Enhancement.
volvieren normalerweise <50% des Hirnstamms in der axialen
Ausdehnung. Fokale Tumoren zeigen öfter ein Enhancement Mesenzephale Tumoren
und haben in der Regel eine günstigere Prognose als diffuse Tu- Das Mittelhirn ist der zweithäufigste Sitz dieser Tumorentität.
moren. Auch hier können fokale und diffuse Tumoren unterschieden
werden. Im Gegensatz zum Pons kommen hier fokale Tumoren
Klinik, Bildgebung häufiger als diffuse Tumoren vor. Patienten mit diffusen
Medulläre Tumoren Hirnstammgliomen klagen typischerweise über Sehstörungen
Die Medulla oblongata ist eher selten von einem Hirnstammtu- oder Doppelbilder, die oft akut einsetzen. Fokale Tumoren ver-
mor betroffen. Üblicherweise zeigen die Patienten Zeichen eines ursachen in der Regel Kopfschmerzen, Erbrechen, Doppelbilder
intrakraniellen Hirndrucks. Zusätzlich können Ausfälle der kau- und eine Hemiparese. Ein Parinaud-Syndrom kann ebenfalls
dalen Hirnnerven beobachtet werden. Im fortgeschrittenen Sta- vorkommen. Bei tektalem Tumorsitz kommt häufig ein Hydro-
dium treten Hemiparesen oder eine Tetraparese auf. Innerhalb zephalus hinzu.
dieser Tumorentität können fokale, nach dorsal wachsende, exo-
phytische Tumoren von den mehr diffus wachsenden Tumoren Bildgebung. Die genaue Diagnose und Ausdehnung dieser Tu-
abgegrenzt werden. Die diffusen medullären Tumoren wachsen moren im Mittelhirn ist für das weitere Prozedere wichtig, da
mehr infiltrativ und breiten sich nach rostral in den Pons und fokale Hirnstammtumoren chirurgisch behandelt werden kön-
kaudal nach intramedullär aus. Diffuse medulläre Tumoren ha- nen, diffuse Tumoren dagegen bestrahlt werden. Diffuse
ben eine sehr schlechte Prognose im Vergleich zu den mehr fokal Hirnstammtumoren zeigen normalerweise wenig Raumforde-
exophytisch wachsenden medullären Tumoren. Fokale medul- rung und weisen in der Regel ein geringes Enhancement nach
läre Tumoren kommen häufig bei Neurofibromatose Typ I vor. Kontrastmittelgabe auf. Bei fokalen Hirntumoren kommen in
Es handelt sich histologisch oft um pilozytische Astrozytome. etwa 25% der Fälle Einblutungen und zystische Veränderungen
vor. Die Tumorausdehnung kann nach superior bis in den Tha-
Bildgebung. Wie bei den pilozytischen Astrozytomen anderer lamus hinaufreichen, nach inferior in den Pons. Nach Kontrast-
Lokalisation ist das Signal in der T2-gewichteten Sequenz meist mittelgabe kann sich bei den fokalen Mittelhirntumoren ein
deutlich hyperintens, und im T1-gewichteten Bild zeigt sich ein ringförmiges Enhancement zeigen. Tumoren der Vierhügelplat-
unscharf begrenztes Enhancement. Obwohl diese Tumoren in te, so genannte tektale Gliome, sind meist gutartig und werden
9.4 · Intrakranielle Tumoren
157 9

a b

c d

. Abb. 9.87a–e. Hirnstammgliom. a In den FLAIR-Sequenzen stellt sich


der Pons aufgetrieben und im Vergleich zum angrenzenden Hirnparenchym
hyperintens dar. Der 4. Ventrikel wird leicht pelottiert. b, c In den T1w-Se-
quenzen vor KM-Gabe stellt sich der Tumor hauptsächlich hypointens dar,
nach KM-Gabe zeigen sich mehrere ringförmige KM-aufnehmende Areale.
e
d T2w-Aufnahme und e Verlauf nach 12 Monaten
158 Kapitel 9 · Gehirn

9 a b

. Abb. 9.88a, b. Hamartom bei NF I. 16-jähriger Patient mit bekannter zeigt sich eine mäßige Signalsteigerung in den axialen T2W-Sequenzen (a)
Neurofibromatose Typ 1. Im Pons paramedian rechts, anterior gelegen, und FLAIR-Sequenzen (b)

nur symptomatisch behandelt, indem ein Begleithydrozephalus den. Schwieriger kann es jedoch in einigen Fällen sein, eine En-
therapiert wird. Die meisten dieser tektalen Gliome zeigen kein zephalitis oder ein Tuberkulom von einem Hirnstammtumor
Wachstum. anhand einer einzelnen Untersuchung zu differenzieren. Ver-
laufskontrollen, Laboruntersuchungen, die Liquorpunktion und
Hirnstammtumoren bei Neurofibromatose Typ I die klinische Untersuchung ermöglichen dann die korrekte Dia-
Bei Patienten mit Neurofibromatose Typ I treten gehäuft gnose.
Hirnstammtumoren auf (. Abb. 9.88). Die häufigste Tumorloka-
lisation ist in diesem Fall die Medulla mit 68–82%. Obwohl sich
die Hirnstammgliome bei Patienten mit Neurofibromatose Typ 9.4.3 Supratentorielle Tumoren
I von denjenigen ohne Neurofibromatose Typ I nicht unterschei-
den, haben sie oft ein völlig anderes klinisches Verhalten. Viele Supratentorielle Tumoren sind bei Kindern <2 Jahren und
dieser Patienten sind asymptomatisch, die Tumoren werden zu- >10 Jahren häufiger als infratentorielle Tumoren anzutreffen
fällig entdeckt. Der auffälligste Unterschied ist das Tumorwachs- (. Tab. 9.11).
tum. In der Nachsorgeuntersuchung zeigte sich, dass nur bei
32–42% der Patienten mit Neurofibromatose Typ I radiologisch Tumoren der Hemisphären
eine Progression des Hirnstammglioms nachweisbar war, eine Tumoren der Astrozytomreihe werden im Kindesalter am häu-
klinische Progression sogar nur bei 14–18% der Patienten. Selbst figsten in den Großhirnhemisphären gefunden. Bei neugebore-
spontane Remissionen dieser Tumoren sind in Einzelfällen be- nen Säuglingen sollten jedoch auch andere Tumorentitäten in
richtet worden. Deshalb sind bei Patienten mit Neurofibromato- Betracht gezogen werden, insbesondere das Teratom. Bei älteren
se Typ I eine abwartende Haltung und Verlaufskontrollen zu Kindern muss differenzialdiagnostisch an einen atypischen Te-
empfehlen. ratoid-/Rhabdoidtumor (AT/RT), an das Ependymom und an
primäre neuroepidermiale Tumoren (PNET) gedacht werden. Der
Differenzialdiagnose der Hirnstammtumoren primäre neuroepidermale Tumor sollte insbesondere dann in die
Die wichtigste Differenzialdiagnose ist die Enzephalitis (viral Diagnose miteinbezogen werden, wenn solide Tumoranteile in
oder autoimmunenzephalitisch). Ein weiterer wichtiger differen- der CT hyperdens erscheinen und in der MRT ein ähnliches
zialdiagnostischer Aspekt ist die Dysmyelinisierung, z. B. bei Signalverhalten wie die graue Hirnsubstanz aufweisen. Bei Kin-
Neurofibromatose Typ I, sowie die Langerhanszell-Histiozytose, dern mit einer langen Anfallsanamnese sollte an ein Ganglio-
Hamartome, Hämatome und vaskuläre Malformationen sowie gliom und einen dysembryoblastischen neuroepithelialen Tumor
Tuberkulome. Aufgrund des ausgezeichneten Weichteilkontrasts (DNET) gedacht werden.
und der guten Differenzierung von Blut- und Blutabbaupro-
dukten können in der MRT Astrozytome von vaskulären Malfor- Histologie. Die Klassifikation einschließlich des Gradings der
mationen und subakuten Blutungen leicht unterschieden wer- intrazerebralen Tumoren basiert nach wie vor auf dem histopa-
9.4 · Intrakranielle Tumoren
159 9

. Tab. 9.11. Charakteristische Befunde bei supratentoriellen Tumo- . Tab. 9.12. Malignitätsgrade des Astrozytoms
ren bei Kindern
Malignitätsgrad Beschreibung WHO-Grad
Tumor Typische Befunde/Charakteristika
Astrozytom Grad I Entspricht dem juvenilen WHO-Grad I
Astrozytom Häufigster Tumor pilozytischen Astrozytom
Erscheinungsbild variiert mit Tumorgrading
Astrozytom Grad II Enstpricht dem fibrillären/ WHO-Grad II
Riesenzelltumor Nähe zum Foramen Monroi diffusen Astrozytom

Ependymom Peritrigonal, heterogen Astrozytom Grad III Entspricht dem anaplasti- WHO-Grad III
schen Astrozytom
PNET Junge Kinder
Heterogen, solide Anteile, Intensität wie Astrozytom Grad IV Entspricht dem Glioblasto- WHO-Grad IV
graue Substanz ma multiforme

DNET Kortikale Lage


Stark hyperintens in T2-Wichtung

Teratoide/ Kortikale Lage


meinsymptome wie Kopfschmerzen, Erbrechen und Übelkeit
rhabdoide Tumoren Hyperintens in T2-Wichtung auf. Anfälle treten v. a. dann auf, wenn der Tumor frontal oder
temporal kortikal gelegen ist.
Neuronal-gliale Kortikale Lage
Tumoren Verkalkungen, Zysten
Pathologie
Die in den Großhirnhemisphären vorkommenden Astrozytome
ähneln denen im Kleinhirn. Sie können solide sein, solide mit
thologischen Befund (. Übersicht). Mit der Revision der WHO- nekrotischen Anteilen oder zystisch mit einem wandständigen
Klassifikation der Hirntumoren von 1993 hat sich auch eine Än- Tumorknoten. Die meisten Astrozytome sind niedriggradige As-
derung im Grading der astrozytären Gliome ergeben. Außerdem trozytome, obwohl auch Glioblastome im Kindesalter vorkom-
wurde das atypische Meningeom eingeführt. men können. Sie haben dann allerdings eine etwas bessere Prog-
nose als im Erwachsenenalter.
Juvenile pilozytische Astrozytome (Grad I) sind seltener in
Grading der Tumoren nach der WHO den Hemisphären lokalisiert und kommen häufig im Cerebel-
4 Grad I: zellarmer Tumor ohne Mitosen und Nekrosen, lum vor. Diese Tumorentität kommt v. a. in der weißen Substanz
keine Gefäßproliferationen vor und infiltriert häufig die Basalganglien und den Thalamus.
4 Grad II: vermehrte Zellzahl, keine Mitosen Oft ist auch mehr als ein Hirnlappen infiltriert.
4 Grad III: erhöhte Zelldichte, Polymorphien, Kernatypien, Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung sind diese Astrozytome
Mitosen, keine Gefäßproliferationen z. T. schon sehr groß. Astrozytome im Kindesalter, auch mit
4 Grad IV: zellreicher und polymorpher Tumor mit zahl- niedrigem histologischen Grading, können multizentrisch auf-
reichen atypischen Mitosen, Nekrosen, Gefäßproliferati- treten. Dies ist meist auf eine subarachnoidale oder intraventri-
onen kuläre Tumorausbreitung zurückzuführen. Diese Multizentrizi-
tät wird v. a. dann vorgefunden, wenn der primäre Tumorsitz im
Hypothalamus ist.
Tumoren der Astrozytomreihe
Definition, Epidemiologie, Lokalisation Astrozytom Grad I
Astrozytome nehmen ihren Ausgang von Astrozyten. Sie ma- Pilozytische Astrozytome treten vorzugsweise im Kindes- und
chen etwa 10% aller Hirntumoren aus. Astrozytome wachsen v. a. frühen Erwachsenenalter auf und machen etwa 5% aller Hirntu-
im Frontal- und Temporallappen. Bei Kindern <10 Jahren ist die moren aus. Astrozytome Grad I treten häufig in Verbindung mit
typische Lokalisation der Pons. Nach dem Grad der Anaplasie einer Neurofibromatose Typ I (NF I) v. a. im Chiasma opti-
werden 4 Malignitätsgrade unterschieden (. Tab. 9.12). Astrozy- cum, im Hypothalamus, im Hirnstamm und Kleinhirn auf
tome der Großhirnhemisphären machen ungefähr 30% der su- (. Abb. 9.89).
pratentoriellen Hirntumoren im Kindesalter aus. In den meisten
Serien ist ein leichtes Überwiegen des männlichen Geschlechts Astrozytom Grad II und III
nachgewiesen worden. Sämtliche pädiatrischen Altersgruppen Definition
sind betroffen. Ein Altersgipfel zwischen dem 7. und 8. Lebens- Da kein signifikanter Unterschied in der Überlebensrate besteht,
jahr ist dabei zu erkennen. können die Astrozytome Grad II und III zu »Low grade-
Gliomen« zusammengefasst und den »High grade-Gliomen«,
Klinik den Glioblastomen, gegenübergestellt werden. Bei Low
Die klinischen Symptome hängen v. a. von der Lokalisation des grade-Astrozytomen beträgt die mittlere Überlebenszeit etwa
Tumors ab. Neben Anfällen, fokalen neurologischen Defiziten 5 Jahre.
und Zeichen des erhöhten intrakraniellen Drucks treten Allge-
160 Kapitel 9 · Gehirn

Differenzialdiagnosen des Astrozytoms Grad II


4 Oligodendrogliom: Dieses ist oft kalzifiziert. Etwa 20%
der Astrozytome Grad II weisen jedoch ebenfalls Verkal-
kungen auf.
4 Astrozytom Grad III: Hierbei zeigt sich typischerweise ein
infiltrativeres Wachstum, meist mit Perifokalödem und
Kontrastmittel-Aufnahme.
4 Gangliogliom: Hier sind oft Zysten und Verkalkungen
nachweisbar, der Tumor ist meist im Temporallappen ge-
legen.
4 Arachnoidalzyste: Extraaxiale Lage, auf allen Sequenzen
liquorisointenses Signal in der MRT.

Astrozytom Grad III


Definition
Anaplastische Astrozytome sind Tumoren mit höherer Zell-
dichte, Polymorphien, Blutungen, kleineren Nekrosen und pa-
thologischen Gefäßen. Der Übergang zum Astrozytom Grad IV
9 (Glioblastom) ist fließend und oft schwierig zu bestimmen.
. Abb. 9.89. Astrozytom Grad I. Astrozytom mit kräftiger KM-Aufnahme
in den sagittalen T1w-Aufnahmen am Boden des 4. Ventrikels
Bildgebung
In der CT und MRT sind Astrozytome Grad III sehr variabel und
Bildgebung zeigen solide und zystische Anteile sowie z. T. Nekrosen. In den
In der Bildgebung lassen sich die Astrozytome Grad II durch die T1-gewichteten Aufnahmen sind sie hypointens, in den T2-ge-
fehlende Kontrastmittel-Aufnahme vom anaplastischen Astrozy- wichteten Sequenzen hyperintens. Nach Kontrastmittelgabe zei-
tom Grad III differenzieren (. Abb. 9.90, . Abb. 9.91). Astrozy- gen sie ein Kontrastmittel-Enhancement (. Abb. 9.91). Um eine
tome Grad II wachsen langsam und infiltrierend, und sie können Verwechslung mit einer Einblutung zu vermeiden, sollte immer
gegenüber gesundem Hirngewebe schlecht abgegrenzt werden. eine native T1-gewichtete Sequenz durchgeführt werden.
Die Form des Gehirns wird nicht verändert, d. h. es lässt sich
keine Raumforderrung nachweisen. Astrozytom Grad IV/Glioblastom
In der CT imponieren die Astrozytome Grad II als umschrie- Epidemiologie, Lokalisation
bene Zonen verminderter Dichte. Eine Abgrenzung gegenüber Glioblastome zählen zu den häufigsten hirneigenen Tumoren
einem den Tumor umgebenden Perifokalödem ist meist nicht und kommen im Erwachsenenalter mit 50% doppelt so häufig
möglich. Die indirekten Raumforderungszeichen sind diskret vor wie die übrigen Astrozytome. Histologisch zeigen sich Ne-
oder können sogar fehlen. Intravenös appliziertes Kontrastmittel krosen, Gefäßproliferationen, Zellreichtum und Zellkernpoly-
wird nicht angereichert. Gelegentlich ist auch eine Unterschei- morphien. Sie fallen durch ein schnelles infiltratives Wachstum
dung von Infarkten schwer möglich. Die typische Keilform und auf und sind vorwiegend im Marklager und in den Stammgangli-
die bei Verlaufskontrollen zunehmende Demarkierung der In- en des Großhirns lokalisiert. Gelegentlich wird auch der Balken
farkte sind differenzialdiagnostische Kriterien. durchsetzt, sodass es zu einem Wachstum in beide Hemisphären
In der MRT zeigt sich das Astrozytom Grad II auf den T1- kommt (Schmetterlingsglioblastom). Glioblastome können auch
gewichteten Sequenzen mit geringer Signalintensität, auf T2-ge- multizentrisch auftreten. Der Häufigkeitsgipfel liegt zwischen
wichteten und FLAIR-Sequenzen hyperintens. Auch hier fehlt dem 4. und 6. Lebensjahrzehnt, allerdings können Glioblastome
typischerweise ein eindeutiges Enhancement nach Kontrastmit- in jedem Lebensalter auftreten.
telgabe. Es besteht nur ein geringes oder kein Perifokalödem. Die Anamnese beträgt meist nur wenige Wochen bis Monate.
Vereinzelt finden sich auch zystische Degenerationen und/oder Bei Kindern treten Glioblastome auch als Zweitmalignome nach
Einblutungen. Auch die diffusionsgewichtete Bildgebung kann akuten Leukämien und anderen Hirntumoren (insbesondere
zwischen akutem Infarkt und Tumor unterscheiden. Medulloblastomen) als Folge einer Schädelbestrahlung auf.

> Die Diagnose des Astrozytoms Grad II gilt als wahr- Bildgebung
scheinlich bei allen gut abzugrenzenden, intraaxialen In der CT zeigt sich im nativen Scan eine Raumforderung, meist
Läsionen, welche auf T2-gewichteten Sequenzen ein hy- mit gemischter Dichte. Oft finden sich Nekrosezonen, selten
perintenses Signal aufweisen und in den T1-gewichteten auch Zysten und Blutungen. In der Regel findet sich ein aus-
Aufnahmen keine Kontrastmittel-Aufnahme zeigen. Die gedehntes Perifokalödem mit deutlichen Zeichen der indi-
endgültige Tumoreinteilung erfolgt jedoch nicht anhand rekten Raumforderung. Es kommt fast immer zu einem En-
der Bildgebung, sondern kann nur histologisch erfolgen. hancement nach Kontrastmittelgabe. Das gefäßreiche Tumor-
9.4 · Intrakranielle Tumoren
161 9

a b

c d

. Abb. 9.90a–d. Astrozytom Grad II. a Bei diesem 14-jährigen Jungen rung, keine wesentliche Umgebungsreaktion. c, d In den T1-gewichteten
zeigt sich im CT eine inhomogen hyperdense, glatt begrenzte Raumforde- Sequenzen vor (c) und nach KM-Gabe (d) stellt sich der Tumor hypointens
rung rechts parietal. b In den FLAIR-Aufnahmen stellt sich der Tumor hyper- ohne Enhancement dar
intens relativ glatt begrenzt dar. Es zeigt sich keine wesentliche Raumforde-

gewebe zeigt sich als girlandenförmiger Ringwall oder seltener und Einblutungen verschiedenen Alters erkennbar. In den T2-
als Knoten, während die nekrotischen Areale kein Kontrastmit- gewichteten Sequenzen zeigt sich häufig die heterogene Raum-
tel aufnehmen. Verkalkungen sind selten anzutreffen. Die hohe forderung mit zentraler Nekrose und Blutungen verschiedenen
Vaskularität kann eine arteriovenöse Malformation vortäu- Alters. Typisch ist das ausgeprägte Perifokalödem. Anaplastische
schen. Zellen können aber auch außerhalb der T2-Veränderungen
Die MRT spiegelt ebenfalls die Heterogenität des Glioblas- nachgewiesen werden. Die Kontrastmittelgabe ist auch dazu ge-
toms wider (. Abb. 9.92, . Abb. 9.93). T1-gewichtete Sequenzen eignet, leptomeningeale Absiedlungen, Rezidive oder ein multi-
zeigen ein schlecht abgrenzbares Tumorsignal mit Nekrosen zentrisches Wachstum aufzuzeigen.
oder Zysten und einer dicken irregulären Wand. Es kommt zu
einem deutlichen, aber inhomogenen Enhancement. Da die Glio-
blastome stark vaskularisiert sind, sind oft deutliche Flow voids
162 Kapitel 9 · Gehirn

a b

c d

. Abb. 9.91a–d. Anaplastisches Astrozytom Grad III. a, b In den axialen Raumforderung vorwiegend hypointens dar; d Nach KM-Gabe in axialer
T2w- und FLAIR-Aufnahmen zeigt sich eine z. T. hyperintense, z. T. leicht zur Schichtführung kommt es zu einem teils flächigen, teils ringförmigen
grauen Substanz isointense Raumforderung im Thalamus und in den KM-Enhancement. Histologisch ergab sich ein anaplastisches Astrozytom
Stammganglien links. c In den T1-gewichteten Sequenzen stellt sich diese Grad III

Riesenzelltumoren zurückzuführen. Selten kann der Tumor malignisieren und das


Definition, Epidemiologie, Klinik umgebende Hirnparenchym infiltrieren.
Der Name Riesenzelltumor wird bei Tumoren verwendet, die in
der Regel mit der tuberösen Sklerose assoziiert sind (7 Kap. 9.2). Pathologie
Diese Tumoren kommen bei 5–15% der Patienten mit tuberöser Riesenzelltumoren haben ihren Ursprung an der Wand des
Sklerose vor. Wird ein Riesenzelltumor nachgewiesen, sollte da- Seitenventrikels, in der Nähe der Foramina Monroi und können
her gezielt nach dieser Phakomatose untersucht werden. Die Prog- durch deren Obstruktion einen Hydrozephalus hervorrufen
nose für Patienten mit Riesenzelltumoren und tuberöser Skle- (. Abb. 9.94). Sie stammen wahrscheinlich von subepen-
rose ist besser als für Patienten mit Riesenzellkomponenten bei dymalen Hamartomen ab und sind als ein Teil des tuberösen
normalen Astrozytomen. Jungen und Mädchen sind gleich häu- Sklerosekomplexes anzusehen. In aller Regel sind die Riesen-
fig betroffen. Der Tumor kann in jedem Alter diagnostiziert wer- zellastrozytome scharf begrenzt. Fokale Verkalkungen sind sel-
den, der Häufigkeitsgipfel liegt zwischen dem 5. und 10. Lebens- ten anzutreffen, Anaplasien sind ebenfalls nicht sehr häufig zu
jahr. Die klinischen Symptome sind meist auf den Hydrozephalus finden.
9.4 · Intrakranielle Tumoren
163 9

a b

c d

. Abb. 9.92a–d. Glioblastom. a–c 43-jährige Patientin mit frontalem TE = 135 ms, Erhöhung von Cho, Erniedrigung von NAA und Cr, Verhältnisse
Glioblastom. a Flair-Sequenz, große Raumforderung links frontal mit Aus- Cho/Cr (3,1) und Cho/NAA (4,54) stark erhöht, vereinbar mit hochgradigem
breitung über den Balken zur Gegenseite und Verlagerung der Mittellinie, Tumor (Pfeil: Laktatpeak). (Aus: Radiologe 2007;47:523, Abb. 4a-d)
nach KM-Gabe kräftige inhomogene Aufnahme. d Tumorspektrum:

a
b

. Abb. 9.93a, b. Hochmalignes Gliom bei 4-jährigem Mädchen (a). Tu- niedrigung von NAA als Zeichen des Malignitätsgrades der Läsion, stark er-
morspektrum (b), TE = 135 ms, ausgeprägte Erhöhung von Cho, starke Er- höhtes Cho/NAA-Verhältnis (7,98). (Aus: Radiologe 2007;47:524, Abb. 5a,b)
164 Kapitel 9 · Gehirn

9
a b

. Abb. 9.94a, b. Riesenzellastrozytom. a, b In den T1w-Sequenzen zeigt toms am Eingang des Foramen magnum. Durch diese Lokalisation kann es
sich nach KM-Gabe ein homogenes Enhancement des Riesenzellastrozy- zu einer akuten Liquorzirkulationsstörung kommen

Bildgebende Diagnostik Oligodendrogliome


Das charakteristische Erscheinungsbild der Riesenzellastrozy- Epidemiologie, Lokalisation
tome in der CT ist eine hypo- bis isodense, gut demarkierte runde Oligodendrogliome machen etwa 7% aller Hirntumoren aus, mit
Läsion im Bereich der Foramina Monroi sowie ein Hydrozepha- einer Häufung zwischen dem 35. und 55. Lebensjahr und einer
lus. Diese subependymalen Raumforderungen können Verkal- leichten Bevorzugung des männlichen Geschlechts. Bei Kindern
kungen aufweisen. Nach Kontrastmittelgabe zeigen die Riesen- sind Oligodendrogliome sehr selten. Sie bilden nur ungefähr 1%
zellastrozytome ein homogenes, deutliches Enhancement. aller pädiatrischen Hirntumoren.
In der MRT stellen sich die umschriebenen, rundlichen Oligodendrogliome kommen vorwiegend supratentoriell
Raumforderungen im Bereich der Foramina Monroi gut dar. In vor, selten infratentoriell oder intraventrikulär. Sie sind v. a. in
den T1-gewichteten Sequenzen erscheinen sie meist hypointens, den Großhirnhemisphären lokalisiert, hier v. a. im Frontal- und
in den T2-gewichteten Sequenzen hyperintens. Nach Kontrast- Temporallappen. Nur die Oligodendrogliome des Thalamus
mittelgabe zeigt sich ein kräftiges homogenes Enhancement. Bei werden auch bei jüngeren Patienten gefunden.
Patienten mit tuberöser Sklerose zeigen sich neben den sube-
pendymalen Tubera oft multiple kortikale Hamartome. Vor Klinik
allem in den T2-gewichteten Sequenzen stellen sich diese korti- Die Betroffenen haben häufig epileptische Anfälle. Andere kli-
kalen Hamartome als hyperintense, unscharf begrenzte Sig- nische Symptome sind Kopfschmerzen, Gesichtsfelddefekte und
nalanhebungen dar. Paresen. Der Tumor wächst sehr langsam, oft vergehen Jahre zwi-
schen dem Auftreten erster Symptome und der Diagnosestellung.
! Riesenzelltumoren wachsen normalerweise langsam.
Wird in Kontrollaufnahmen jedoch eine schnelle Grö- Klassifikation, Histologie
ßenzunahme eines Riesenzellastrozytoms entdeckt,
Die Tumoren leiten sich von Oligodendrozyten ab und wachsen
sollte auch an eine Malignisierung gedacht werden.
diffus infiltrierend. Die Prognose hängt vom histologischen Grad
des Tumors ab. Eine Kombination mit astrozytären Anteilen, die
Pleomorphes Xanthoastrozytom als Oligoastrozytom (Mischtumor) bezeichnet wird, kommt häu-
Eine weitere seltene Form der Astrozytome sind die pleomor- fig vor. Die WHO unterscheidet Tumoren des Grades II und III.
phen Xanthoastrozytome. Sie treten meist an der Mark-Rinden- Histologisch zeigen sich in bis zu 90% der Fälle Verkalkungen,
Grenze auf, sind temporal lokalisiert und haben häufig Zysten. oft in den Randpartien des Tumors. Auch andere regressive Ver-
In den T1-gewichteten Aufnahmen nach Kontrastmittelgabe änderungen mit Blutungen und Zysten kommen vor. Oligo-
kann ein geringes Enhancement auftreten. Auch diese Tumoren- dendrogliome des Grades III zeigen verstärkt Zellpolymorphien
tität kommt v. a. im Kindes- und frühen Erwachsenenalter vor. mit riesenzellulären Elementen, analog zu den Astrozytomen.
9.4 · Intrakranielle Tumoren
165 9

a b

c d

. Abb. 9.95a–d. Oligodendrogliom. a In der CT auffällige schollige Ver- zen vor KM-Gabe zeigen die Raumforderung und ein hyperintenses Areal
kalkungen links frontal mit Ödem v. a. im vorderen Balkenknie. Mäßige links frontal, das am ehesten Verkalkungen entspricht. d Nach Gadolinium-
Kompression des Vorderhorns des linken Seitenventrikels. b In der T2-ge- Gabe kommte es zu einem nodulären Enhancement im vorderen Balken-
wichteten Sequenz zeigt sich die Ausdehnung des Ödems viel deutlicher. knie. (Aus Radiologe 2003;43:992, Abb. 5a–d)
Die Verkalkungen stellen sich hypointens dar. c Die T1-gewichteten Sequen-

Die Differenzierung in Grad II und III kann nur histologisch Kontrastmittelgabe zeigt sich häufig ein inhomogenes Enhance-
sichergestellt werden. Eine eindeutige Differenzierung zu Astro- ment. Auch zystische Veränderungen oder Einblutungen können
zytomen ist oft nicht möglich. vorkommen. Verkalkungen und Einblutungen sowie eine ober-
flächliche Lage sprechen eher für ein Oligodendrogliom. Diese
Bildgebung Kalkherde sind meist von hyperdensen Tumorarealen umgeben,
In der CT lassen sich die charakteristischen Verkalkungen, die in gelegentlich sind diese jedoch auch isodens, sodass die wahre
>50% der Fälle auftreten, gut nachweisen (. Abb. 9.95). Nach Ausdehnung des Tumors nicht zu erkennen ist. Wie die Astrozy-
166 Kapitel 9 · Gehirn

tome sind auch die Oligodendrogliome schlecht gegen ein peri- durch epileptische Anfälle. Sie sind meist im Temporallappen
fokales Ödem abzugrenzen. Oligodendrogliome mit niedriger lokalisiert, können aber durchaus an jeder anderen Stelle des
Malignität (Grad II) nehmen nur selten Kontrastmittel auf. Die Zentralnervensystems vorkommen, einschließlich Hirnstamm
anaplastischen Oligodendrogliome (Grad III) sind seltener, ihre und Myelon (. Abb. 9.96).
Gewebedichte ist gemischt, hypo-, iso- und hyperdens. Sie wei-
sen oft zystische Areale und selten intratumoröse Blutungen auf. Infantiles desmoblastisches Gangiogliom
Meist besteht ein geringes perifokales Ödem. In 50% der anaplas- Das infantile desmoblastische Gangliogliom ist ein seltener, em-
tischen Oligodendrogliome kommt es zu einer fleckig-diffusen bryonaler Tumor, der im Säuglingsalter durch Makrozephalie
oder ringförmigen Kontrastmittel-Anreicherung. und/oder komplex fokale Anfälle auffällt.
In der MRT zeigen Oligodendrogliome ebenfalls ein relativ
buntes Bild. Mit Gradientenecho-Sequenzen können die Verkal- Bildgebung. Es zeigt sich ein großer, vorwiegend zystischer Tu-
kungen und Einblutungen gut nachgewiesen werden. Kalk kann mor in den Großhirnhemisphären. Die Infiltration von mehre-
mit den konventionellen Spinecho-Sequenzen und auch Fast-Spi- ren Hirnlappen ist nicht ungewöhnlich, in diesem Fall sind der
necho-Sequenzen nicht sehr sensitiv dargestellt werden. In den Frontal- und Parietallappen betroffen. In der Peripherie kann
T1-gewichteten Sequenzen zeigen sie in den Nativaufnahmen häufig eine solide Tumorkomponente identifiziert werden. Die-
selten primäre, hyperintense Areale, die entweder Einblutungen ser solide Tumoranteil infiltriert oft die Leptomeningen, sodass
im Methämoglobinstadium entsprechen oder Verkalkungen. durchaus auch ein extraparenchymaler Tumor vorgetäuscht wer-
Nach Kontrastmittelgabe tritt ein inhomogenes Enhancement den kann. Eine kurative Behandlung kann durch komplette Tu-
auf. Die Kontrastmittel-Aufnahme ist nicht immer gleichzusetzen morresektion erzielt werden.
mit einem Oligodendrogliom Grad III. In den T1-gewichteten Der solide Tumoranteil ist iso- bis hyperdens im Vergleich
9 Sequenzen sind die Tumoren iso- bis leicht hypointens. In den zur grauen Hirnsubstanz in der CT und isointens zum Cortex in
T2-gewichteten Sequenzen zeigen sie sich homogen signalinten- T1- und T2-gewichteten Sequenzen der MRT. Dieser Tumoran-
siv, häufig mit nur geringem Perifokalödem. Anaplastische Oli- teil zeigt ein kräftiges Enhancement nach Kontrastmittel-Appli-
godendrogliome Grad III weisen eine stärkere Signalabsenkung kation. Die Zystenwand des Tumors zeigt in der Regel keine Kon-
in den T1-gewichteten Sequenzen auf, diese Tumoren nehmen trastmittel-Aufnahme.
meist Kontrastmittel auf. Die Abgrenzung vom Meningeom ge- Die Bildgebung beim desmoblastischen juvenilen Ganglio-
lingt, da dieses ein deutliches Enhancement nach Kontrastmittel- gliom ist wichtig, da die Histologie häufig nur in Zusammenschau
gabe zeigt. Astrozytome zeigen seltener Verkalkungen. Ependy- mit dieser eindeutig zu stellen ist. Neben astroglialen und neuro-
mome sind nicht immer eindeutig davon abzugrenzen. nalen Tumorzellen enthalten diese Tumoren oft Komponenten
aus kleinen, mitotisch aktiven Zellen, die als maligne Neoplasien
> Die Diagnose eines Oligodendroglioms stützt sich v. a.
missinterpretiert werden können. Infantile desmoblastische
auf das Vorkommen von Verkalkungen, Zysten, gering
Gangliogliome unterscheiden sich von zystischen Astrozytomen
ausgeprägtem Ödem und inhomogenem Kontrastmit-
durch die periphere Lokalisation und die relative Hyperdensität
tel-Enhancement.
in der CT und die T2-Verkürzung der soliden Tumoranteile, ver-
glichen mit der Hypodensität und relativen T2-Verlängerung der
Neuronale Tumoren Astrozytome. Differenzialdiagnostisch kommen außerdem in
Neuronale Tumoren leiten sich von den Nervenzellen ab. Sie sind Betracht: High-grade-Astrozytome, primitive neuroektodermale
mit einer Häufigkeit von 0,4% aller Hirntumoren sehr selten. In Tumoren und das Ependymom. Ist der leptomeningeale Tumor-
etwa 80% der Fälle treten sie bei Patienten <30 Jahren auf. Neu- anteil sehr ausgedehnt, muss auch ein Meningeom oder ein Me-
ronale Tumoren können prinzipiell überall im Gehirn auftreten, ningosarkom in die Überlegung mit einbezogen werden.
bevorzugen jedoch den mittleren Temporallappen.
Auch bei dieser Tumorentität ist eine lange Anamnese, oft Zentrales Neurozytom
mit Anfallsleiden über Jahre hinweg, typisch. Die meisten Tumo- Das zentrale Neurozytom ist ein intraventrikulärer, neuronaler
ren können dem WHO Grad I zugeordnet werden, außer dem Tumor des Erwachsenenalters mit relativ guter Prognose. Meist
Neuroblastom, das einem Grad IV-Tumor entspricht. Neuronale ist er in den vorderen Abschnitten der Seitenventrikel um das
Tumoren werden wie folgt eingeteilt: Foramen Monroi lokalisiert; das häufigste Vorkommen ist bei
4 Gangliogliom, Gangliozytom, infantiles desmoblastisches jungen Erwachsenen mit einem durchschnittlichen Alter von ca.
Gangliogliom 30 Jahren. Der Tumor ist mit derm Ependym des Ventrikels ver-
4 Zentrales Neurozytom wachsen und wölbt sich oft nach intraventrikulär vor. Histolo-
4 Neuroblastom gisch handelt es sich um einen zellreichen Tumor mit geringer
mitotischer Aktivität. Immunhistochemisch lässt sich eine neu-
Gangliogliome ronale Differenzierung durch Nachweis des synaptischen Memb-
Gangliogliome sind die häufigsten gemischt-glialen, neuronalen ranproteins Synaptophysin belegen. Herdförmige Verkalkungen
Tumoren des Zentralnervensystems. Die Inzidenz ist mit 0,4– sind nachweisbar (. Abb. 9.97).
1,3% aller Hirntumoren sehr gering. Im pädiatrischen Kranken- Klinisch stehen Hirndrucksymptome als Folge der Verlegung
gut treten sie mit einer Inzidenz von bis zu 7,6% aber weitaus des Foramen Monroi im Vordergrund. Auch bei inkompletter
häufiger auf. Klinisch auffällig werden die Gangliogliome meist Resektion kann eine dauerhafte Heilung erzielt werden.
9.4 · Intrakranielle Tumoren
167 9

. Abb. 9.96a–e. Gangliogliom. 17-jähriger Junge mit rezi-


divierenden, schlecht einstellbaren epileptischen Anfällen. a
In der T2-Wichtung ist eine zystische Raumforderung in den
Stammganglien rechts zu sehen, die zu einer leichten Kom-
pression des rechten Seitenventrikelvorderhorns führt. b In
den koronaren FLAIR-Sequenzen sind die Zysten leicht hyper-
intens zu Liquor, die soliden Anteile sind deutlich hyperintens.
c In den diffusionsgewichteten Sequenzen sind die zystischen
Anteile ähnlich wie Liquor abgebildet. d, e In den T1w-Se-
quenzen nach KM-Gabe nehmen die soliden Tumoranteile
kräftig KM auf e
168 Kapitel 9 · Gehirn

9 a b

c d

. Abb. 9.97a–d. Neurozytom. a In der FLAIR-Sequenz zeigt sich eine un- am ehesten Verkalkungen entsprechend. c In den T1-gewichteten Sequen-
regelmäßige, zentral sitzende Raumforderung, die durch die Blockade der zen vor KM-Gabe stellt sich der Tumor z. T. bereits nativ mit hyperintensen
Foramina Monroi zu einer Liquorzirkulationsstörung mit hydrozephalem Anteilen dar, diese entsprechen den Verkalkungen, DD: kleine Einblutungen
Aufstau geführt hat. Der solide Tumoranteil stellt sich mit inhomogenem im Methämoglobin-Stadium. d Nach KM-Gabe zeigt sich ein flaues Enhan-
Signal dar. b In den T2*-Sequenzen deutliche Hypointensität des Tumors, cement

Supratentorielle Ependymome Klinik


Epidemiologie Die klinische Symptomatik hängt v. a. von der Lokalisation des
Supratentorielle Ependymome machen zwischen 20 und 40% der Tumors ab. Hirndruckzeichen und fokale Anfälle sind die häu-
Ependymome im Kindesalter aus. Sie kommen häufiger bei Jungen figsten klinischen Manifestationen eines supratentoriellen Epen-
als bei Mädchen vor mit einem Häufigkeitsgipfel zwischen dem 1. dymoms.
und 5. Lebensjahr, bei Erwachsenen treten sie seltener auf.
9.4 · Intrakranielle Tumoren
169 9

a b

. Abb. 9.98a–c. Supratentorielles Ependymom. 8-jähriges Mädchen mit


rechts paramedianer Raumforderung. a In den Flair-Sequenzen erkennt
man die große, teils solide, teils zystische Raumforderung mit Perifokalö-
dem. Das Vorderhorn des rechten Seitenventrikels wird durch den Tumor
komprimiert, die Mittellinie nach links verlagert. In den b axialen und c ko-
ronaren T1w-Sequenzen reichert der solide Anteil inhomogen KM an, der
zystische Teil zeigt ein wandständiges KM-Enhancement. Histologisch gesi-
chertes Ependymom

und in der Temporoparietalregion anzutreffen. Im Gegensatz zu


den infratentoriellen Ependymomen sind die supratentoriellen
Ependymome in der Regel nicht intraventrikulär lokalisiert. Eine
metastatische Ausbreitung des Tumors über die Liquorräume ist
dementsprechend selten anzutreffen.

Bildgebung
Die supratentoriellen Ependymome zeigen ein variables Erschei-
nungsbild in der CT und MRT. Meist sind sie scharf begrenzt und
kommen iso- bis hyperdens in der CT auf den Nativaufnahmen
zur Darstellung. Verkalkungen und zystische Anteile sind häufig
zu finden. Nach Kontrastmittelgabe zeigen v. a. die soliden Tu-
moranteile ein variables Enhancement. Die Diagnose eines
Ependymoms sollte in Betracht gezogen werden, wenn eine iso-
c dense frontale oder parietale, juxtaventrikuläre Raumforderung
mit Verkalkungen, Zysten und homogenem Enhancement ange-
troffen wird.
Histologie, Lokalisation In der MRT zeigt sich eine inhomogene Signalgebung in
Supratentorielle Ependymome unterscheiden sich histologisch sämtlichen Sequenzen. Diese Inhomogenität resultiert aus den
nicht von den infratentoriellen Ependymomen (s. oben). In intratumoralen Verkalkungen, Zysten und gelegentlich vorkom-
knapp der Hälfte der Fälle werden kleine Foci von Verkalkungen menden Einblutungen, die eine gemischte Signalintensität in
nachgewiesen. Zystische Areale sind ebenfalls häufig anzutref- allen Sequenzen ergeben. Supratentorielle Ependymome können
fen, insbesondere bei größeren Tumorläsionen. jedoch auch homogen in der MRT erscheinen und sind dann von
Die Tumoren sind in der Regel bei Diagnosestellung sehr niedriggradigen Astrozytomen nicht abzugrenzen. Selten kann
ausgedehnt, wahrscheinlich aufgrund ihrer häufigen Lokalisati- auch eine ringförmige Kontrastmittel-Aufnahme auftreten mit
on im Frontallappen. Weniger häufiger sind sie in der Parietal- ausgedehntem Perifokalödem, dann ist dieser Tumor nicht von
170 Kapitel 9 · Gehirn

. Abb. 9.99. PNET. MRT eines PNET in der Pinealisregion, Befund zum Zeitpunkt der Diagnose. (Aus Radiologe 2003;43:994, Abb. 6a)

einem High-grade-Astrozytom oder einem primitiven neuroek- Pathologie


9 todermalen Tumor abzugrenzen (. Abb. 9.98). Die primitiven neuroektodermalen Tumoren kommen v. a. in
der tiefen weißen Substanz vor und sind zum Zeitpunkt der Di-
Differenzialdiagnose. Supratentorielle Ependymome sind v. a. agnose meist schon sehr groß. In der Regel weisen sie scharfe
im jungen Kindesalter anzutreffen. Wenn bei einer MRT ein he- Grenzen auf, auch wenn histologisch eine Ausbreitung des Tu-
terogener mittelliniennaher Tumor im 1. Lebensjahr, insbeson- mors über die bildgebend nachgewiesenen Tumorgrenzen fest-
dere in den ersten 6 Monaten, erkannt wird, sollte differenzialdia- stellbar ist. Nekrotische Areale und Verkalkungen sind in der
gnostisch an ein Teratom gedacht werden. Ist der Tumor nicht Hälfte der Tumoren zu finden. Eine Absiedelung über die Li-
mittelliniennah und extraventrikulär gelegen, sollten Ependy- quorräume und Metastasen in den Spinalkanal, in Lungen, Leber
mome, primitive neuroektodermale Tumoren und atypische Te- und Knochenmark wurden beschrieben.
ratoid-/Rhabdoidtumoren in die differenzialdiagnostischen
Überlegungen mit einbezogen werden, insbesondere wenn das Bildgebung
Kind zwischen 1 und 5 Jahre alt ist. Ist ein heterogener intravent- In der nativen CT zeigen die soliden Tumoranteile des primitiven
rikulärer Tumor nachweisbar, muss an ein Kolloidplexuskarzi- neuroektodermalen Tumors eine Hyperdensität zum umlie-
nom gedacht werden. genden Hirnparenchym, wahrscheinlich aufgrund ihrer hohen
Zelldichte. Zysten und Verkalkungen sind häufig nachweisbar,
Primitive neuroektodermale Tumoren Einblutungen sind in etwa 10% der Fälle zu erkennen. Nach Kon-
Definition, Epidemiologie trastmittelgabe zeigt sich immer ein Enhancement, z. T. hetero-
Primitive neuroektodermale Tumoren (PNET) wurden zuerst gen, z. T. mit ringförmigem Enhancement, aufgrund der Zysten
von Hard und Earl definiert als Tumoren, die in über 90–95% und nekrotischen Tumoranteile.
aus undifferenzierten Zellen bestehen. Auch wenn innerhalb In der MRT stellt sich der primitive neuroektodermale Tumor
der Tumormassen eine Differenzierung von glialen oder neuro- als eine große, gut begrenzte Raumforderung dar, die in den
nalen Zellen gefunden werden kann, ist dieser Tumor aufgrund Großhirnhemisphären oder den Seitenventrikeln lokalisiert ist
seines hohen Anteils undifferenzierter Zellen von den anderen (. Abb. 9.99). Wie die Ependymome können sie ein sehr variab-
Tumoren abzugrenzen. Primitive neuroektodermale Tumoren les Bild aufweisen, hervorgerufen durch die verschiedenen soli-
sind histologisch verwandt mit dem Medulloblastom, Pineo- den Anteile, Zysten und nekrotischen Areale sowie Verkalkungen
blastom, atypischen Teratoid-/Rhabdoidtumoren und peri- und Einblutungen. Nach Kontrastmittelgabe stellt sich ein ähn-
pheren Neuroblastomen. Sie treten mit <5% der supratentoriel- liches Bild wie in der CT dar mit heterogenem kräftigen Enhan-
len Neoplasien bei Kindern relativ selten auf. Obwohl sie auch cement, z. T. mit nekrotischen Arealen und Tumorzysten.
bei jungen Erwachsenen, z. T. bis zur Mitte des 20. Lebensjahres,
beschrieben worden sind, sind sie hauptsächlich bei Kindern > Wenn bei einem Kind <5 Jahren eine sehr große Raum-
<5 Jahren zu beobachten. Eine Geschlechtsbevorzugung ist forderung mit in der MRT sehr variablem Erscheinungs-
nicht nachzuweisen. bild und heterogenem Kontrastmittel-Enhancement
nachweisbar ist, sollte differenzialdiagnostisch an ei-
Klinik nen primitiven neuroektodermalen Tumor gedacht
Die Patienten fallen klinisch meist durch einen Makrozephalus werden, alternativ an ein Ependymom und einen aty-
und Hirndruckzeichen bzw. Anfälle auf. pischen Teratoid-/Rhabdoidtumor.
9.4 · Intrakranielle Tumoren
171 9
Atypischer Teratoid-/Rhabdoidtumor aufweisen. Zum Teil werden diese Tumoren neben kortikalen
Definition, Lokalisation Dysplasien angetroffen. Dies wird als Hinweis darauf gewertet,
Maligne Rhabdoidtumoren sind Neoplasien unbekannter Histo- dass sie entweder eine Zellfehlbildung sind oder eine Fehlent-
genese. Die Bezeichnung leitet sich von ihrem histologisch-rhab- wicklung von Zellen während des 2. Trimenons der Schwanger-
doiden Erscheinungsbild ab, obwohl diese Entität nicht der schaft.
Gruppe der Rhabdomyosarkome angehört. Rhaboidtumoren
> Es ist anzunehmen, dass manche der früher histolo-
kommen selten im Hirnparenchym vor, normalerweise treten sie
gisch als Gangliogliome oder gemischte Oligoastrozy-
als maligne Neoplasien der Niere auf. Die meisten Fälle von ze-
tome klassifizierten Tumoren heute wahrscheinlich als
rebralen Rhabdoidtumoren werden in den ersten Lebensjahren
dysembryoblastische neuroepitheliale Tumoren einge-
beschrieben.
stuft werden.
Klinik und Prognose
Klinisch fallen die Patienten durch Übelkeit, Sehstörungen und Bildgebung
Lethargie auf. Die Prognose ist sehr schlecht, mit einer mittleren In der Bildgebung zeigt sich u. U. ein sehr variables Erschei-
Überlebenszeit von etwas mehr als einem Jahr. nungsbild. Trotz dieses variablen Erscheinungsbildes sind alle
dysembryoblastischen neuroepithelialen Tumoren gut umschrie-
Pathologie bene, lobulierte, kortikal gelegene Raumforderungen, die in der
Meist handelt es sich um solide Tumoren mit nekrotischen An- Nativ-CT hypodens zur weißen Substanz zur Darstellung kom-
teilen. Histologisch zeigen sich rundliche bis ovoide Zellen mit men. In der MRT zeigen sie in den T2-gewichteten Sequenzen
exzentrischen und prominenten Nuklei, eosinophilem Zytoplas- einen Signalanstieg, in den T1-gewichteten Sequenzen stellen sie
ma und Hyalineinschlüssen. Molekulargenetisch ist die Deletion sich hypointens dar (. Abb. 9.100). In etwa 30–40% der Fälle sind
im INI1-Gen auf Chromosom 22 im Tumor beweisend. Diese zystische oder mikrozystische Tumoranteile erkennbar. Verkal-
findet sich ansonsten nur noch in Plexuskarzinomen. kungen können in bis zu 30% der Tumoren nachgewiesen wer-
den. Da diese Läsionen primär kortikal und somit oberflächlich
Bildgebung gelegen sind, zeigen die dysembryoblastischen neuroepithelialen
Bei Diagnosestellung zeigt sich häufig ein sehr großer solider Tumoren oft eine Ausdehnung der Tabula interna der Schädel-
Tumor mit einem Durchmesser von >5 cm und nekrotischen kalotte. Eine subkortikale Ausbreitung wird in etwa 30% der Fäl-
Anteilen. Die soliden Tumoranteile sind iso- bis hyperdens zur le gesehen. Ein Kontrastmittel-Enhancement ist nur in 20–40%
grauen Hirnsubstanz in der CT und isointens zur grauen Subs- nachweisbar, dann diffus und eher schlierenförmig.
tanz in der MRT. Nach Kontrastmittelgabe zeigen die soliden
> Die Diagnose eines dysembryoblastischen neuroepitheli-
Tumoranteile ein heterogenes Enhancement. Bildgebend kann
alen Tumors sollte dann in Erwägung gezogen werden,
der Tumor nicht vom Ependymom oder primitiven neuroekto-
wenn eine Raumforderung primär kortikal gelegen ist
dermalen Tumoren differenziert werden.
und sich in den T2-gewichteten Sequenzen hyperintens
Dysembryoblastischer neuroepithelialer Tumor darstellt und der Patient eine lange Anfallsanamnese bei
Definition, Klinik sonst normalem neurologischem Untersuchungsbefund
aufweist (. Abb. 9.100).
Bei den dysembryoblastischen neuroepithelialen Tumoren
(DNET) handelt es sich um benigne Raumforderungen des zere-
bralen Cortex, die klinisch meist durch komplex-partielle Anfäl-
le im Kindes- und Jugendalter auffallen. Andere fokal-neurolo- 9.4.4 Extraparenchymale Tumoren
gische Zeichen sind sehr selten. Die besten diagnostischen Kri-
terien, die für einen dysembryoblastischen neuroepithelialen Extraparenchymale Läsionen verlagern typischerweise die Hirn-
Tumor sprechen, sind: strukturen anstatt zu infiltrieren. Das Gehirn wird vom Knochen
4 komplex-partielle Anfälle, die vor dem 20. Lebensjahr auf- oder der Dura abgedrängt, was zu erweiterten Zisternen führen
treten kann. Ein gut abgrenzbarer Raum teilt die extraparenchymale
4 keine neurologischen oder kognitiven Defizite Raumforderung vom Gehirn. Normalerweise zeigt sich nur we-
4 kortikale Raumforderung nig oder kein Perifokalödem.
Intraparenchymale Raumforderungen dagegen komprimie-
Sehr selten kann der Tumor auch einmal in der tieferen Region ren die Zisternen und Sulci, sie infiltrieren oft das umgebende
der Hemisphären vorkommen, z. B. im Kaudatuskopf. Hirnparenchym und können ein deutliches Ödem verursachen.
Alle Charakteristika, welche auf einen extraparenchymalen
Pathologie Tumor hinweisen, sind:
60% der dysembryoblastischen neuroepithelialen Tumoren wer- 4 ein im Vergleich zur Größe des Tumors geringer Massenef-
den im Temporallappen gefunden, 30% im Frontallappen, weni- fekt,
ger als 10% im Parietallappen, Okzipitallappen, den tiefen Kern- 4 eine Ausbreitung der Raumforderung über die Mittellinie
gebieten, im Hirnstamm und im Kleinhirn. Es handelt sich um ohne Beteiligung der zerebralen Kommissur und
solide Tumoren, die häufig zystische oder mikrozystische Anteile 4 eine relativ blande klinische Symptomatik.
172 Kapitel 9 · Gehirn

a b

. Abb. 9.100a–d. Dysembryoblastischer neuroepithelialer Tumor. 17-


jähriger Junge mit schlecht einstellbaren fokalen Anfällen. a, b In den
FLAIR- und T2w-Sequenzen ist rechts temporal im Cortex bis nach subkorti-
kal reichend eine Signalintensität zu erkennen. c, d In der T1-Wichtung ist
der Tumor überwiegend hypointens, nach KM-Gabe ist ein geringes Enhan-
c
cement nachweisbar

Die Differenzierung zwischen extraaxial und intraaxial ist im Meningeome


Hinblick auf die Artdiagnose des Tumors von Interesse, des Definition, Epidemiologie
Weiteren ist sie für die Operationsplanung von Bedeutung. Die Meningeome sind nach den den astrozytären Tumoren die häu-
wichtigsten extraaxialen Tumoren sind Meningeom, Neurinom, figste Tumorentität. Sie sind die häufigsten primären nichtglialen
Subarachnoidalzyste, Dermoid- und Epidermoidzyste. Letzere intrakraniellen Tumoren. Es handelt sich um extraaxiale Neopla-
können auch intraaxial gelegen sein. sien, die 15–20% der primären intrakraniellen Neoplasien aus-
9.4 · Intrakranielle Tumoren
173 9

a b c

. Abb. 9.101a–e. Meningeom. a In den diffu-


sionsgewichteten Sequenzen stellt sich das Me-
ningeom leicht hyperintens zum umgebenden
Hirnparenchym dar. b In den FLAIR-Sequenzen
stellt sich der Tumor nahezu isointens zum an-
grenzenden Parenchym dar. Frontal zeigt sich
ein hyperintenses Areal, einem Ödem entspre-
chend. c, d In den T1-gewichteten Sequenzen
vor und nach KM-Gabe stellt sich der Tumor na-
tiv isointens, nach KM-Gabe mit deutlichem ho-
mogenen Enhancement dar. e In den T2-ge-
wichteten Sequenzen stellt sich der Tumor
ebenfalls isointens zur grauen Hirnsubstanz dar.
Das Ödem frontal des Tumors ist hyperintens zu
erkennen

d e

machen. Der Häufigkeitsgipfel liegt im 5.Lebensjahrzehnt, bei mittelgabe kommt es zu einem ausgeprägten homogenen En-
Kindern und Jugendlichen sind Meningeome selten, Frauen sind hancement mit scharfer Abgrenzbarkeit der Tumoren und Be-
häufiger betroffen als Männer. ziehung zu den Meningen.
Kernspintomographisch zeigen die Meningeome sich iso-
Pathogenese, Lokalisation bis hypointens auf T1-gewichteten Sequenzen, iso- bis hyperin-
Die meisten Meningeome entstehen aus arachnoidalen Zellen an tens auf T2-gewichteten Bildern. Die gut abgrenzbare extraaxiale
der inneren Dura und wachsen daher nach innen, dem Hirn Raumforderung verlagert den Cortex nach innen. Nach Kontrast-
entgegen, wo sie eine intradurale Masse bilden. Sie sind meist mittelgabe kommt es zu einem homogenen kräftigen Enhance-
gutartig, in 6% sind sie jedoch atypisch oder aggressiv, in 1–2% ment (. Abb. 9.101, . Abb. 9.102), ein »dural-tail«-Zeichen (eine
maligne. Die typischen Lokalisationen sind parasagittal, an der Verdickung und deutliches Enhancement der anliegenden Dura)
Falx, der Konvexität, der gesamten Schädelbasis, dem Kleinhirn ist häufig, aber unspezifisch. Da die Meningeome im Vergleich
und dem Tentorium. In 90% finden sie sich supratentoriell. Pati- zur grauen Substanz auf allen Sequenzen oft isointens erscheinen,
enten mit Brustkrebs haben eine höhere Inzidenz von Meninge- können sie ohne Kontrastmittelgabe leicht übersehen werden.
omen. Meningeome können rasenartig »en plaque« wachsen, den
inneren Schädel auskleiden und Knochen und Dura infiltrieren.
Bildgebung Kalzifizierte Meningeome sind nur selten maligne. Selbst beim
In der Röntgennativaufnahme zeigen sich Hyperostosen der Fehlen einer Neurofibromatose Typ II kann das Meningeom in
Kalotte an den Anheftungsstellen und eine Erweiterung der me- 16% der Fälle multipel auftreten, sodass gezielt nach weiteren
ningealen Gefäßkanäle. In der CT sind sie meist hyperdens, sel- Läsionen gesucht werden muss.
tener auch isodens homogen.Teilweise finden sich Verkalkungen. In <1% der Fälle entstehen die Meningeome extradural. Ur-
Sie haben ein mittelgradiges perifokales Ödem. Nach Kontrast- sprungsorte können der intradiploische Raum, die äußere Schä-
174 Kapitel 9 · Gehirn

9
a b

. Abb. 9.102a–c. Olfaktoriusmeningeom. a In den FLAIR-Sequenzen


Hyperintensität bilateral frontobasal. b In der T1-gewichteten koronaren
Sequenz nach KM-Gabe stellt sich der Tumor homogen KM-aufnehmend
mit breiter Lagerung an der Frontobasis dar. Der Bulbus olfactorius ist
beidseits nicht mehr abgrenzbar. c In den T1-gewichteten axialen Se-
quenzen vor KM-Gabe ist der Tumor isointens zum Hirnparenchym

zipiell können aber auch Äste der A. carotis interna an der Me-
ningeomversorgung beteiligt sein, insbesondere von zentralen
Anteilen des Tumors. Deshalb ist bei angiographischer Darstel-
lung eine selektive Sondierung der A. carotis externa und interna
notwendig.

Neurinome
Definition, Pathologie
Neurinome, oder auch Schwannome genannt, sind Tumoren,
die von den Schwann-Zellen ausgehen. Sie bilden sich in den
Myelinscheiden um die Axone der Nervenfasern. Neurinome
c
machen ungefähr 8% der primären Hirntumoren aus. Sie kom-
men häufiger bei Erwachsenen vor. Bei Kindern machen sie etwa
2% der Tumoren in der hinteren Schädelgrube aus. Wenn ein
delkalotte, die Haut, die paranasalen Sinus sowie die Parotis und Schwannom bei einem Kind diagnostiziert wird, sollte auch das
die parapharyngealen Räume sein. Gutartige, atypische und ma- Vorliegen einer Neurofibromatose Typ II (NF II) in Betracht ge-
ligne Meningeome sehen auf der Bildgebung oft identisch aus, zogen werden. Eine Suche nach anderen Schwannomen und Me-
obwohl maligne Tumoren häufiger ein Perifokalödem sowie ei- ningeomen sollte angeschlossen werden.
nen Hirnbefall zeigen. Schwannome treten bevorzugt an Stellen auf, an denen oligo-
In 15% zeigen Meningeome eine atypische Bildgebung mit dendrogliale Zellen zu Schwann-Zellen übergehen. Schwannome
heterogenem Enhancement, Zysten, Einblutungen und/oder fet- des N. acusticus kommen häufig im Meatus acusticus internus
tiger Degeneration. oder im Kleinhirnbrückenwinkel vor.
Als extraaxiale Tumoren meningealen Ursprungs zeigen Me-
ningeome eine typische Gefäßversorgung über Meningealarte- Klinik
rien, bei intraventrikulären Meningeomen über Choroidalarte- Bei Schwannomen handelt es sich um Tumoren der Nerven-
rien. Angiographisch ist deshalb die Darstellung der A. carotis scheiden und nicht der Nervenzellen. Die Patienten weisen oft
externa, insbesondere der A. meningea media notwendig. Prin- Neuropathien auf, da die Tumoren aufgrund ihrer Größe Druck
9.4 · Intrakranielle Tumoren
175 9

a b

. Abb. 9.103a, b. Ästhesioneuroblastom. a In den T1w koronaren Se- zen nach KM-Gabe stellt sich der Tumor in seiner kompletten Ausdehnung
quenzen stellen sich die soliden Tumoranteile nach KM-Gabe hyperintens von den Nasennebenhöhlen bis nach dorsal zum 3. Ventrikel mit z. T. zysti-
dar. Zusätzlich zeigen sich zystische Tumorareale frontal beidseits. Der Tu- schen, z. T. soliden Tumoranteilen dar
mor hat die Nasennebenhöhlen infiltriert. b In den sagittalen T1w-Sequen-

auf die Nervenzellen ausüben. Wächst ein Schwannom des 9.4.5 Missbildungs- und Keimzelltumoren
N. acusticus im Kleinhirnbrückenwinkel, kommt es meist erst
dann zu Symptomen, wenn umliegende neurale Strukturen Einteilung der Missbildungs- und Keimzelltumoren:
durch den Druck in Mitleidenschaft gezogen werden. Häufig tre- 4 Epidermoidzysten/Epidermoid
ten dann Zeichen einer Hirnstammkompression oder ein Hydro- 4 Kolloidzysten
zephalus durch Kompression des Aquädukts des 4. Ventrikels 4 Arachnoidalzysten
auf. Neurinome befallen am häufigsten den 8. Hirnnerven, ge- 4 Hamartome
folgt vom 5., 9. und 10. Hirnnerven. Andere intrakranielle 4 Lipome
Schwannome sind extrem selten. 4 Keimzelltumoren

Bildgebung Hierbei handelt es sich um Tumoren, bei denen eine Fehlbildung


In der CT stellen sich die Schwannome hypo- bis isodens dar, z. T. der Organdifferenzierung mit versprengten, nicht weiter ent-
mit Verkalkungen. Zentrale Nekrosen können bei großen Tumo- wickelten Zellen die Grundlage darstellt. Epidermoid, Dermoid
ren vorkommen. Nach Kontrastmittelgabe kommt es typischer- und Teratom stellen relativ benigne Missbildungstumoren dar.
weise zu einem homogenen Enhancement. Wächst das Schwan- Sie haben ihren Ursprung in embryonalen versprengten Epider-
nom innerhalb des Meatus acusticus internus, kommt es zu einer misnestern. Sie wachsen langsam, können jedoch ein beträcht-
Aufweitung des Tränenkanals innerhalb des Felsenbeins. liches Ausmaß erreichen. Typische Lokalisationen sind Klein-
In der MRT haben Schwannome eine verlängerte T1- und hirnbrückenwinkel, paraselläre Region, Pinealisregion und die
T2-Relaxationszeit. Große Schwannome zeigen oft ein hetero- Ventrikel. Dermoide und Epidermoide stammen wahrscheinlich
genes Signal mit Arealen hoher und niedriger Signalgebung in von kongenitalen, intrakraniell verbliebenen Zellen als Resultat
den T2-gewichteten Sequenzen. Diese hypointensen Areale sind einer inkompletten Separierung des Neuroektoderms vom Ekto-
oft durch intratuberale Einblutungen verursacht. Die verdickten derm während des Zeitpunkts des Schlusses der Neuraltube. Epi-
kraniellen Nerven sind häufig durch die vergrößerten neuro- dermoide sind häufiger als Dermoide anzutreffen.
nalen Neuroforamina, z. B. des Foramen ovale und des Foramen
rotundum bei Trigeminusschwannomen und im Meatus acusti- Epidermoide
cus internus bei Akustikusschwannomen nachzuweisen. Auch Definition, Epidemiologie, Pathologie
hier zeigt sich nach i. v.-Kontrastmittelgabe ein kräftiges, meist Epidermoide bestehen aus einem Hornschuppenkonglomerat,
homogenes Enhancement. welches von einer epidermalen Kapsel umgeben ist. Sie machen
0,2–1% der intrakraniellen Tumoren aus. Aufgrund des lang-
Ästhesioneuroblastom samen Wachstums werden sie hauptsächlich im Erwachsenenal-
Das Ästhesioneuroblastom ist ein Tumor, der vom Riechepithel ter gefunden.
ausgeht (. Abb. 9.103).
176 Kapitel 9 · Gehirn

9 a b

. Abb. 9.104a–c. Epidermoid. a In den T2w-Sequenzen sieht man eine li-


quorisointense Raumforderung in der linken Kleinhirnhemisphäre (stellt
sich in den T1w-Sequenzen ebenfalls liquorisointens dar). b, c Erst in den
Flair- und v. a. in den diffusionsgewichteten Sequenzen zeigt sich ein vom
normalen Liquor abweichendes Signal, was für ein Epidermoid typisch ist.
Eine Arachnoidalzyste würde sich auch in der Diffusion hypointens darstel-
len, da in der Zyste keine Restriktion des Wassers gegeben ist

te sind ähnlich wie die einer Zyste. Gelegentlich finden sich in den
umgebenden Kapselanteilen Kalkeinlagerungen. In 25% der Fälle
finden sich bei den Epidermoiden periphere Verkalkungen. Da die
Dichtewerte ähnlich wie Liquor sind, erweist sich eine Identifizie-
rung dieser extraaxialen Raumforderungen oft als sehr schwierig.
Einzig die Verdrängung der umliegenden Hirnstrukturen kann
bei Nativ-CT-Aufnahmen Hinweis auf eine extraaxiale Raumfor-
derung sein. Eine Möglichkeit, diese Tumoren in der CT besser
abzugrenzen, ist die intrathekale Gabe von Kontrastmittel.
c
Heute stehen jedoch moderne MR-Techniken und -Sequen-
zen zur Verfügung, um die Diagnose eines Epidermoids zu si-
chern. An erster Stelle sind hier die so genannten FLAIR- und
diffusionsgewichteten Sequenzen zu nennen (. Abb. 9.104). Bei
Lokalisation, Klinik den FLAIR-Sequenzen kommt es zu keiner kompletten Liquor-
In 40% der Fälle treten die intrakraniellen Epidermoide im Klein- unterdrückung, die Epidermoide stellen sich hyperintens dar.
hirnbrückenwinkelbereich auf. Sie machen 5% aller Kleinhirn- Ähnlich ist es bei den diffusionsgewichteten Sequenzen, auch
brückenwinkeltumoren aus. Die nächsthäufigsten Lokalisationen hier stellt sich der Liquor normalerweise aufgrund seiner hohen
sind die Pinealisregion, die supraselläre Region und die mittlere Diffusion hyperintens dar. In den konventionellen T1-und T2-
Schädelgrube. Epidermoide in der suprasellären und Pinealisre- gewichteten Sequenzen zeigt sich ein Signal, das wiederum ähn-
gion werden klinisch meist auffällig durch einen Hydrozephalus, lich wie das von Liquor erscheint. Bei den konventionellen Se-
während Epidermoide der mittleren Schädelgrube häufig symp- quenzen ist es ebenfalls sehr schwierig, ein Epidermoid zu diag-
tomatisch werden durch eine chemische Meningitis, verursacht nostizieren. Eine Identifizierung eines in den basalen Zisternen
durch ein Ausbreiten des Tumors in den Subarachnoidalraum. wachsenden Epidermoids kann durch die Aufweitung der Zister-
nen und anhand der oft charakteristischen lobulierten Erschei-
Bildgebung nungen der Raumforderung erfolgen.
In der CT stellen sich Epidermoide als hypodense, lobulierte Alternativ zu FLAIR- und diffusionsgewichteten Sequenzen
Raumforderungen in typischer Lokalisation dar. Die Dichtewer- können auch die magnetisierten Transfertechniken eingesetzt
9.4 · Intrakranielle Tumoren
177 9
werden, um die solide Matrix des Tumors vor und neben dem pomen die Gefäße und Nerven innerhalb der Raumforderung
umgebenden freien Wasser nachzuweisen. So können Epider- eingebettet sind.
moide eine T1-Verkürzung mit hyperintensem Signal auf-
weisen. In diesem Fall kann eine Unterscheidung von Der- Teratome
moiden oder Lipomen schwierig sein. Hier kann eine T1-ge- Definition, Lokalisation
wichtete Sequenz mit Fettsättigung weiterhelfen, da bei Lipo- Intrakranielle Teratome sind sehr selten und machen nur ca.
men und Dermoiden das Fett unterdrückt wird, während 0,5% der intrakraniellen Tumoren aus. Bei Kindern <15 Jahren
Epidermoide nach wie vor noch ein hyperintenses Signal auf- sind sie für 2% der intrakraniellen Tumoren verantwortlich. In-
weisen. Hin und wieder zeigen Epidermoide nach Kontrastmit- trakranielle Teratome kommen häufiger bei Jungen als bei Mäd-
telgabe einen schmalen kontrastverstärkten Saum, der wahr- chen vor, v. a. die Teratome der Pinealisregion. Die klinischen
scheinlich einer entzündlichen Reaktion an der Peripherie des Symptome hängen von der Lokalisation des Tumors ab. Ein Hy-
Tumors entspricht. drozephalus ist häufig vorzufinden, ähnlich wie bei anderen Tu-
moren im Bereich der Mittellinie. Teratome werden am häufigs-
Dermoide ten in der Pinealis- und parapinealen Region gefunden, gefolgt
Definition, Lokalisation von Teratomen im Bereich des 3. Ventrikels und der hinteren
Bei Dermoiden finden sich in der Zyste neben dem Epidermis- Schädelgrube. Spinal sind sie seltener als intrakraniell anzutref-
anteil noch Fett, Kalk und Schweißdrüsen sowie Haare. Bei Te- fen. Sie können jedoch spinal auf jeder Höhe vorkommen und
ratomen können sich zusätzlich knorpelige, knöcherne und en- sind häufig mit einer Spina bifida occulta assoziiert.
dodermale Anteile finden. Dermoide sind intrakraniell seltener
als Epidermoide, jedoch häufiger im Spinalkanal anzutreffen. Pathologie
Intrakraniell sind sie meist in der hinteren Schädelgrube zu fin- Die meisten Teratome sind gut umschrieben und benigne,
den, entweder innerhalb des Vermis oder im Bereich des 4. Vent- manchmal enthalten sie jedoch primitive Zellen und sind hoch
rikels. Im Spinalkanal kommen sie meist in der lumbosakralen maligne mit einer schlechten Prognose. Einige setzen ihren bio-
Übergangsregion, entweder extramedullär oder intramedullär, chemischen Marker frei, z. B. α-Fetoprotein, Choriongonadotro-
vor. Etwa 20% der Dermoide sind mit einem Dermalsinus asso- pin oder β-HCG, welche im Liquor und im Serum nachgewiesen
ziiert. werden können. Die Tumoren haben sowohl solide als auch zys-
tische Anteile und weisen häufig Verkalkungen auf.
Klinik
Symptome von intraspinalen Dermoiden treten vorwiegend in Bildgebung
den ersten 2 Lebensjahrzehnten auf. Intrakranielle Dermoide In der CT und MRT stellen sich die Teratome als gut umschrie-
erreichen ihren Altersgipfel im 3. Lebensjahrzehnt. Symptome bene, heterogene Läsionen dar, die häufig in der Mittellinie loka-
resultieren aus einer Verlegung der Liquorzirkulation, einer che- lisiert sind. Mit der CT können sie relativ zuverlässig diagnosti-
mischen Meningitis, einer Ausbreitung des Zysteninhalts in den ziert werden, wenn sowohl Fett als auch Verkalkungen innerhalb
Liquorraum oder, wenn ein Dermalsinus vorhanden ist, durch der Raumforderung vorkommen. Teratome mit einem homo-
eine Infektion oder einen Abszess innerhalb des Sinus oder des genen Erscheinungsbild sind häufiger maligne und von anderen
Dermoids. intrinsischen Hirntumoren oft nicht zu unterscheiden. Maligne
Teratome haben oft ein deutliches vasogenes Ödem und eher
Bildgebung eine irreguläre Erscheinungsform und sind weniger scharf vom
In der CT erscheinen Dermoide mit negativen Hounsfield-Ein- umliegenden Parenchym abgegrenzt. Häufiger bestehen die ma-
heiten (. Abb. 9.105). Sie sind extra-axiale Raumforderungen, lignen Teratome auch aus weniger Zysten und weniger Verkal-
die normalerweise in der Mittellinie lokalisiert sind. Ein Enhan- kungen als die benignen Teratome. Eine fehlende Kontrastmittel-
cement nach Kontrastmittelgabe wird normalerweise nicht gese- Aufnahme spricht eher für einen niedrigmalignen Tumor, das
hen, Ausnahmen gibt es bei einer Infektion. Wenn ein Dermoid Vorliegen einer Kontrastmittel-Aufnahme spricht jedoch nicht
oder Epidermoid in der Mittellinie nachgewiesen wird, sollte die immer für einen malignen Tumor.
okzipitale und nasofrontale Region der Schädelbasis untersucht
werden, um einen Dermalsinus auszuschließen. Bei intraspinaler
Lokalisation sollten die hinteren Elemente der Wirbelbögen 9.4.6 Andere seltene Tumoren der hinteren
exakt untersucht werden, um auch hier einen Dermalsinus auszu- Schädelgrube und der Schädelbasis
schließen. Bei einer Infektion zeigen die Dermoidzysten das ty-
pische Erscheinungsbild eines Abszesses mit einer ringförmigen Langerhans-Zellhistiozytose
Kontrastmittel-Aufnahme. Definition
In der MRT stellen sich die Dermoide mit hyperintensem in Bei der Langerhans-Zellhistiozytose, früher als Histiozytosis X
T1- und mit mäßig hyperintensem Signalverhalten in T2-ge- bezeichnet, handelt es sich um einen Tumor des endothelialen
wichteten Sequenzen dar. Zur Differenzierung, z. B. einer Blu- Systems, der selten im Zentralnervensystem vorkommt. Wenn
tung, können fettunterdrückte Sequenzen durchgeführt werden eine osteolytische Raumforderung die Schädelbasis, Orbita oder
(. Abb. 9.105). Dermoide sind typischerweise weniger lobuliert den Gesichtsschädel infiltriert, sollte als Ursache eine Langer-
als Lipome und verlagern Gefäße und Nerven, während bei Li- hans-Zellhistiozytose in Betracht gezogen werden (7 Kap. 38).
178 Kapitel 9 · Gehirn

a b

c d

. Abb. 9.105a–d. Dermoidzyste. a Im CT links frontobasal hypodense rung inhomogen hyperintens. d Nach Fettsuppression stellt sich die Raum-
Formation, deren Dichtewerte Fett entsprechen. b In den T2w-Sequenzen forderung in der T1-Wichtung signalgemindert dar, vereinbar mit einer Der-
hyperintenses Signal. c In den T1w-Sequenzen imponiert die Raumforde- moidzyste

Klinik ben dar, meist temporal gelegen. Nach Kontrastmittel-Applikati-


Bei einer Langerhans-Zellhistiozytose ist das führende klinische on zeigt sich häufig ein homogenes Kontrastmittel-Enhance-
Symptom oft ein Diabetes insipidus durch eine Beteiligung des ment. In der MRT stellt sich die Läsion als eine scharf abgrenzbare
Hypophysenstiels. Andere Patienten wiederum können eine tast- Weichteilraumforderung dar mit einem Signalverhalten ähnlich
bare Raumforderung an der Schädelbasis mit Exophthalmus dem von Muskelgewebe. Sie zeigt ein kräftiges Enhancement
oder zerebraler oder zerebellärer Symptomatik zeigen. In diesem nach Kontrastmittelgabe. In solchen Fällen kann eine Langer-
Fall wächst die Raumforderung nach intrakraniell vor. hans-Zellhistiozytose intraparenchymal im Cerebellum oder in
den Großhirnhemisphären vorkommen. Die neurologischen
Bildgebung Symptome sind dann abhängig von der entsprechenden Lokali-
In der Bildgebung findet sich oft eine gut umschriebene Raum- sation der Raumforderung. In der Bildgebung sind diese Tumo-
forderung innerhalb des Schädels, der Orbita oder der Schädel- ren sehr variabel, es zeigt sich eine verlängerte T1- und T2-Zeit,
basis. In der CT stellt sich die Raumforderung scharf umschrie- v. a. im Hirnstamm und im Corpus medullare des Cerebellum.
9.4 · Intrakranielle Tumoren
179 9

a b

. Abb. 9.106a–c. Chordom. a In den T1w-Aufnahmen vor KM-Gabe er-


scheint der Clivus hypointens und aufgetrieben. Das übliche hyperintense
Signal, hervorgerufen durch die Fettanteile des Clivus, ist z. T. durch den Tu-
mor aufgehoben. b Nach KM-Gabe zeigt sich der Clivus deutlich hyperin-
tens KM-aufnehmend, z. T. mit nekrotischen Abschnitten, die sich hypoin-
tens darstellen. c In den axialen T2w-Aufnahmen stellt sich der Clivus aufge-
trieben und inhomogen leicht hyperintens dar

Klinik, Bildgebung
Patienten mit Chordomen zeigen klinisch häufig Hirnnerven-
ausfälle mit Diplopie und Zungenschwäche als Ausdruck einer
Ausbreitung des Tumors in die Neuroforamina der Schädelbasis.
Kopfschmerzen, Pyramidenbahnzeichen und ein erhöhter intra-
kranieller Druck können ebenfalls vorkommen. Wenn sich der
Tumor in den Nasopharynx ausbreitet, ist eine Differenzierung
von primär nasopharyngealen Tumoren, die sich sekundär in
den Klivus ausbreiten, oft nicht möglich. Das Vorhandensein von
Spiculae sowie ein Tumor mit nur geringem Enhancement in der
CT weisen jedoch eher auf die Diagnose eines Chordoms hin. In
der MRT erscheint das Chordom als große, intraossär gelegene
Raumforderung, die häufig in die präpontine Zisterne, den Sinus
c sphenoidalis, die mittlere Schädelgrube und den Nasopharynx
vorwächst. Eine Abdrängung des Hirnstamms kann ebenfalls
vorkommen. Typischerweise haben Chordome eine verlängerte
Verkalkungen können ebenfalls, v. a. bei Kleinhirnlokalisation, T1- und T2-Relaxationszeit.
in der CT nachgewiesen werden. Chondroide Chordome, eine histologische Variante mit ei-
ner deutlich besseren Prognose, weisen dagegen eine geringere
Chordome T2-Zeitverkürzung auf.
Definition, Epidemiologie, Lokalisation Nach Kontrastmittelgabe zeigen Chordome ein variables En-
Chordome sind benigne, langsam wachsende, lokal infiltrieren- hancement, die meisten Chordome nehmen jedoch kein oder
de Tumoren. Sie treten im Kindesalter sehr selten auf, nur weni- nur sehr wenig Kontrastmittel auf.
ge Dutzend Fälle wurden bisher in der Literatur beschrieben. Im
Gegensatz zu Erwachsenen, bei denen die Chordome meist sa- Chondrosarkome
kral vorkommen, manifestieren sich die Chordome im Kindes- Definition, Lokalisation, Epidemiologie
und Jugendalter meist an der Schädelbasis. Sehr selten können Chondrosarkome der Schädelbasis vorkom-
Die häufigste Lokalisation ist die sphenookzipitale Synchon- men. Chondrosarkome sind maligne Knorpeltumoren, die in
drose. Klivuschordome zeigen in der Regel eine ausgedehnte den Synchondrosen entstehen oder von benignen knorpeligen
Destruktion des Os sphenoidale (. Abb. 9.106). Sie wachsen häu- Tumoren sekundär malignisiert wurden. Nur knapp 10% der
fig in den Sinus sphenoidalis, in den Nasopharynx und seltener Chondrosarkome zeigen sich im pädiatrischen Patientengut.
auch in die Ethmoidalregion vor. Meist treten diese Tumoren erst in der mittleren Lebensdekade
180 Kapitel 9 · Gehirn

9
a b

. Abb. 9.107a–c. Neuroblastom. a, b In den axialen T1w-Aufnahmen


vor KM-Gabe ist der Tumor leicht hypointens, nach KM-Gabe stellt sich der
Tumor inhomogen KM-aufnehmend dar. c In den axialen T2w-Aufnahmen
stellt sich im Kleinhirnbrückenwinkel links der Tumor leicht hypointens zum
Hirnparenchym dar. Histologisch gesichertes Neuroblastom

Neuroblastom
Definition, Lokalisation
Eine Beteiligung des Hirnparenchyms bei Neuroblastomen ist
sehr selten und kommt nur in etwa 1% der Fälle vor. Manchmal
können Neuroblastome im oberen Zervikalbereich oder an der
Schädelbasis aus sympathischen Fasern entstehen (. Abb. 9.107).

Bildgebung
Diese primären Neuroblastome stellen sich als homogene, Kon-
trastmittel aufnehmende, extraparenchymale Raumforderungen
dar, die meist im Kleinhirnbrückenwinkel lokalisiert sind. Hat
der Tumor die Schädelkalotte infiltriert, erscheint er als eine
Kontrastmittel aufnehmende, infiltrierende Raumforderung, die
c
das Periost vom Knochen abhebt. Die Identifikation einer Raum-
forderung mit Periostabhebung ist wichtig für die Diagnosestel-
lung eines metastatischen Tumors der Schädelbasis, da der nor-
symptomatisch auf. Die häufigste Lokalisation ist die petrookzi- male Knochen bei Kindern blutbildendes Knochenmark enthält,
pitale, sphenookzipitale und sphenoethmoidale Synchondrose. das ebenfalls noch Kontrastmittel anreichert.

Bildgebung ! Das Ewing-Sarkom, leukämische Infiltrate und das


Neuroblastom haben, wenn sie den Schädel infiltrie-
In der MRT und CT stellen sich Chondrosarkome sehr heterogen
ren, ein ähnliches Erscheinungsbild in der CT und MRT.
dar. Die nichtossären Anteile haben eine lange T1- und T2-Rela-
xationszeit und ein heterogenes Enhancement nach Kontrastmit-
tel-Applikation. Da diese Tumoren oft neben fetthaltigem Kno- Aneurysmatische Knochenzysten
chenmark in der Fossa infratemporalis liegen, sollten fettunter- Definition, Lokalisation
drückte Sequenzen nach Kontrastmittelgabe durchgeführt wer- Nur 2–6% der aneurysmatischen Knochenzysten kommen im
den. Chondrosarkome sind v. a. von Chordomen bildgebend Schädelbereich vor. Meist sind sie orbital und okzipital gelegen.
nicht zu unterscheiden. Es ist wichtig, diese Läsionen präoperativ zu diagnostizieren,
9.4 · Intrakranielle Tumoren
181 9
da eine Embolisation den intraoperativen Blutverlust minimie- besondere in Bezug zum Tentorium, ab. Der infratentorielle Zu-
ren kann. gang wird meist bevorzugt, außer es ist ein größerer supratento-
rieller Anteil vorhanden. Für den Radiologen bedeutet dies, die
Bildgebung genaue Größe und Lokalisation des Tumors zu beschreiben und
Röntgenübersichtsaufnahmen zeigen eine expansive Läsion evtl. abzugrenzen, ob der Tumor vom Parenchym der Pinealis
des Schädelknochens mit dem typischen Erscheinungsbild. abstammt oder von außen in die Pinealisloge vorwächst. Die
In der CT stellen sich die aneurysmatischen Knochenzysten Anamnese der Patienten ist ebenfalls sehr hilfreich bei differen-
als multilobuläre Masse mit einem dünnen peripheren Knochen- zialdiagnostischen Überlegungen.
anteil dar. Die aneurysmatische Knochenzyste ist eine osteoly-
tische Läsion des Knochens, die aus blutgefüllten Hohlräumen Keimzelltumoren
unterschiedlicher Größe besteht. Diese werden durch Bindege- Definition, Klassifikation, Lokalisation
webe unterteilt und enthalten Trabekel aus Knochen oder Oste- Die häufigsten Pinealistumoren stammen von Keimzellen ab.
oid und osteoklastischen Riesenzellen. Differenzialdiagnostisch Zur Familie der Keimzelltumoren gehören das Germinom, der
muss die aneurysmatische Knochenzyste von einer juvenilen nichtmaligne, nichtgerminöse Keimzelltumor einschließlich des
Knochenzyste und einem Riesenzelltumor (teleangiektatisches embryonalen Karzinoms, Kolloidkarzinoms, Dottersackkarzi-
Osteosarkom) abgegrenzt werden. Meist zeigen sich keine Be- noms und gemischte Typen, weiterhin noch das Teratom. Keim-
schwerden; sie werden zufällig entdeckt oder z. B. durch das Auf- zelltumoren des Zentralnervensystems entstehen in der Regel in
treten einer pathologischen Fraktur. In den T2-gewichteten MR- der Mittellinie, am häufigsten in der Pinealisregion, gefolgt von
Sequenzen zeigt die aneurysmatische Knochenzyste oft einen der suprasellären Region und im 4. Ventrikel. Lateral gelegene,
Flüssigkeitsspiegel mit hyperintensen Anteilen. basale Keimzelltumoren sind etwas häufiger und meist bei asia-
tischen Patienten beschrieben worden.
Tumoren der Pinealisregion
Definition, Klassifikation Klinik
Tumoren der Pinealisregion sind insgesamt sehr selten mit einer Germinome sind die häufigsten Keimzelltumoren und zugleich
Inzidenz von <1% aller intrakraniellen Tumoren. Die klinische die häufigsten Raumforderungen der Pinealisregion (. Abb. 9.108).
Symptomatik dieser Tumoren ist gekennzeichnet durch 3 Haupt- Diese Tumoren haben eine lange Krankengeschichte mit endokri-
symptome: nen Störungen, hauptsächlich Wachstumsstörungen und Diabetes
4 Hydrozephalus, hervorgerufen durch eine Aquäduktstenose insipidus, weniger häufig kommt es zu einem Hydrozephalus oder
4 ein Parinaud-Syndrom, hervorgerufen durch eine Kompres- dem Parinaud-Syndrom. Sie können sich ebenso in einer Pubertas
sion im Tektum (Augenmuskelbewegungsstörungen nach praecox bei Jungen äußern. Die Germinome der Pinealisregion
oben, Pupillenreflexstörungen auf Licht bei erhaltener Ak- haben ihre Inzidenz und ihren Häufigkeitsgipfel in der Pubertät,
kommodation, fehlende Konvergenzreaktion) die meisten Patienten werden klinisch symptomatisch innerhalb
4 endokrinologische Veränderungen, hervorgerufen durch su- der ersten 3 Lebensjahrzehnte. Über 90% der Patienten sind
praselläres Tumorwachstum (allgemein Pubertas praecox bei männlich. Studien haben auch eine erhöhte Inzidenz in Japan
Jungen mit Kernzelltumoren) nachgewiesen. Die Tumoren zeigen eine häufige Aussaat in den
Subarachnoidalraum und eine Infiltration des umliegenden Hirn-
Pinealistumoren können in 2 große Gruppen eingeteilt werden: parenchyms. Sie sind in der Regel sehr radiosensitiv und haben
Keimzelltumoren und Tumoren des Pinealisparenchyms. insgesamt eine hohe Überlebensrate noch bei weit fortgeschritte-
Eine ganze Reihe von Tumoren der Pinealisregion, z. B. As- nen, disseminierten Metastasen. Intratumorale Blutungen sind
trozytome oder Glioblastome, breiten sich mit entsprechender häufig anzutreffen.
klinischer Symptomatik in die Pinealisloge aus. Der zweithäufigste Keimzelltumor der Pinealis ist das Tera-
tom. Diese Tumoren weisen eine große Variabilität in ihrem his-
Bildgebung tologischen Grading auf und zeigen dementsprechend ein vari-
Pinealiszysten sind häufig zufällige Befunde. Durch die MRT ables Wachstum und unterschiedliche klinische Verläufe. Das
konnte die Diagnostik von Tumoren in der Pinealisregion erheb- Teratom tritt früher auf als das Germinom und ist am häufigsten
lich verbessert werden. Teilweise ist es möglich, benigne und in den ersten 10 Lebensjahren anzutreffen. Da diese Läsionen
maligne Pinealistumoren zu unterscheiden sowie abzuklären, ob von allen 3 germinalen Zonen abstammen können, beinhalten
die Tumoren in die Pinealisloge vorwachsen. Tumoren der Pine- sie Haare, Zähne, Knochen und Fett. Fast immer sind zystische
alisregion zeigen z. T. charakteristische Befunde in der Bildge- Veränderungen und Einblutungen nachweisbar.
bung und lassen sich deshalb oft spezifizieren. Früher wurde die Embryonale Karzinome, Dottersacktumoren, Chorionkarzi-
Ansprechbarkeit einiger Pinealistumoren auf eine Radiatio als nome und gemischte Keimzelltumoren sind seltener und haben
Bestätigung der Diagnostik herangezogen. Heute ist die MRT eine schlechte Prognose aufgrund ihrer hohen Malignität. Diese
mit i. v.-Kontrastmittelgabe die Methode der Wahl zur Diagnos- Raumforderungen zeigen häufig Einblutungen. Die Diagnose kann
tik von Tumoren der Pinealisregion und wird häufig auch zur manchmal ohne Biopsie gestellt werden, wenn erhöhtes humanes
Therapieplanung herangezogen. Choriongonadotropin oder α-Fetoprotein im Serum oder Liquor
Der chirurgische Zugang hängt von der Größe der Raumfor- nachgewiesen werden kann. Die Überlebensrate kann verbessert
derungen der Pinealisloge und ihrer genauen Lokalisation, ins- werden durch eine kombinierte Radio- und Chemotherapie.
182 Kapitel 9 · Gehirn

a b
9

c d

. Abb. 9.108a–d. Germinom. Supraselläre Raumforderung im Bereich des tiver T1-Wichtung ein isointenses Signalverhalten im Vergleich zur weißen
Recessus infundibularis des 3. Ventrikels. a Das histologisch gesicherte Ger- Substanz. c, d Nach KM-Gabe weitgehend homogenes KM-Enhancement
minom zeigt in T2-Wichtung ein inhomogenes intermediäres und b in na-

Bildgebung und keine zystischen Veränderungen. Dies gilt allerdings nicht


Germinome der Pinealis sind gut umschriebene, relativ homo- für Germinome im Bereich der Basalganglien.
gene Läsionen, die nicht von der Pinealis abzugrenzen sind. Sie Teratome der Pinealisregion erscheinen in der MRT sehr
zeigen häufig eine Isointensität zur grauen Hirnsubstanz auf T2- heterogen aufgrund ihrer verschiedenen Gewebearten, z. B. in-
gewichteten Sequenzen. Intratumorale Einblutungen sind häu- tratumorale Blutungen, Fett und zystische Anteilen. Teratome
figer bei Pinealistumoren anzutreffen, oft zeigt sich dann zu- zeigen häufig ausgedehnte Verkalkungen oder knöcherne Ver-
gleich ein Ödem im angrenzenden Hirnparenchym. Eine Aus- änderungen. Das Enhancement nach Kontrastmittelgabe ist bei
breitung im Subarachnoidalraum ist ebenfalls häufig anzutreffen. Teratomen sehr variabel. Differenzialdiagnostisch muss auch an
Germinome und ihre Metastasen weisen ein deutliches, homo- rhabdoide Tumoren gedacht werden oder auch an höhergradige
genes Enhancement nach Kontrastmittelgabe auf. Germinome Astrozytome.
der Pinealisregion enthalten normalerweise keine Verkalkungen
9.4 · Intrakranielle Tumoren
183 9

a b

. Abb. 9.109a–c. Pinealoblastom. a Der hochmaligne primitive embryo-


nale Tumor im Bereich der Pinealisloge zeigt in FLAIR-Technik (a) ein weit-
gehend homogenes, intermediäres Signalverhalten. b, c Nach KM-Gabe ist
hier ein homogenes Enhancement festzustellen, allerdings kann bei diesen
Tumoren auch ein heterogenes Enhancement nachgewiesen werden

Variante des Pineoblastoms ist das »bilaterale Retinoblastom«.


Dieser Terminus wird bei Patienten mit bilateralen Retinoblasto-
men und einem Pineoblastom verwendet. Es handelt sich dabei
um ein vererbbares Syndrom. Bei Patienten mit bilateralen Reti-
noblastomen muss die Pinealisloge unbedingt mit untersucht
werden.
Pineozytome sind häufig im mittleren Alter und bei älteren
Erwachsenen anzutreffen. Diese Tumoren sind gut umschrie-
c bene Läsionen, die normalerweise das umliegende Hirnparen-
chym nicht infiltrieren. Pineozytome sind weniger zellreich als
Pineoblastome. Diese Tumoren stellen solide Raumforderungen
Pinealiszelltumoren dar, weniger zystische Läsionen. Daher sollte der Nachweis einer
Pinealiszelltumoren, Pineoblastome (WHO Grad IV) und Pine- zystischen Pinealisraumforderung eher an eine einfache Pinea-
ozytome (WHO Grad II) sind seltener als Germinome oder Te- liszyste als an diese Tumorform denken lassen Pineozytome zei-
ratome anzutreffen. Diese Läsionen zeigen keine Geschlechts- gen einen gutartigeren Verlauf. Es treten aber auch aggressivere
prädilektion. Die Tumoren stammen von neuroepithelialen Zel- Varianten mit kürzeren Überlebensraten bei weniger differen-
len der Pinealis ab. Dabei können verschiedene Tumorgraduie- zierten Tumorformen auf.
rungen innerhalb eines Pinealiszelltumors angetroffen werden
(WHO Grad II und III). Die Pineoblastome und Pineozytome Differenzialdiagnose. Die spezifische Diagnostik und histopa-
können Melanin enthalten. thologische Typisierung der Pinealiszelltumoren ist mit der Bild-
Pineoblastome treten normalerweise im Kindesalter auf, gebung allein oft nicht möglich. Vor allem ist es wichtig, eine
sind zellreich und infiltrieren das umliegende Hirnparenchym Pinealisneoplasie und eine Pinealiszyste zu unterscheiden (s. un-
(. Abb. 9.109). Sie zeigen häufig fokale Einblutungen und regres- ten). In der MRT stellen sich Pinealisneoplasien als lobulierte
sive Veränderungen. Histologisch ähneln die Tumoren Medul- solide Tumoren dar, die kräftig Kontrastmittel aufnehmen. Zys-
loblastomen und anderen primitiven, nichtdifferenzierten Neo- tische Läsionen sollten in den meisten Fällen als Pinealiszysten
plasien. Pineoblastome breiten sich bereits früh in den Subarach- beschrieben werden. Die Signalintensität variiert. In der Regel
noidalraum aus. Die Prognose bei Kindern mit Pineoblastomen zeigen Pineoblastome ein isointenses Verhalten gegenüber der
ist schlechter als bei Kindern mit Medulloblastomen. Eine seltene grauen Hirnsubstanz auf T2-gewichteten Spinecho-Sequenzen.
184 Kapitel 9 · Gehirn

9 a b

. Abb. 9.110a, b. Pinealiszyste. a In den axialen T1w-Sequenzen nach nealisloge, die KM-gefüllten Venen führen um diese Läsion. b In den koro-
KM-Gabe zeigt sich eine kleine liquorisointense zystische Struktur in der Pi- naren T2w-Sequenzen zeigt sich die zystische Formation in der Pinealisloge

Ein atypisches Signalverhalten tritt bei primitiveren Tumoren nealisgewebe kann jedoch ein deutliches Enhancement zeigen,
auf. Germinome der Pinealisregion sind häufig von Pineoblasto- da die Pinealis keine Blut-Hirn-Schranke in ihren Kapillaren auf-
men in der MR-Bildgebung nicht zu differenzieren. Pineozytome weist.
haben ein höheres Signal in den T2-gewichteten Sequenzen. So-
wohl Pineoblastome als auch Pineozytome können kalzifizieren; Kolloidzysten
intratumorale Kalzifikationen treten dabei äufiger bei Pineozy- Definition, Epidemiologie, Pathologie
tomen auf. Kolloidzysten sind seltene, benigne und mit Epithel ausgekleide-
te Zysten im anterioren Abschnitt des 3. Ventrikels. Zunächst
Pinealiszysten wurde angenommen, dass diese Läsionen vom primitiven Neu-
Definition, Epidemiologie, Klinik roepithelium abstammen. Neuere Untersuchungen zeigen je-
Pinealiszysten sind häufige Befunde und werden in bis zu 40% doch, dass sie vom Endoderm entspringen.
bei Routineautopsien nachgewiesen. Diese zufällige, nichtneo- Kolloidzysten sind die häufigsten neuroepithelialen Zysten.
plastische gliale Läsion wird seit der Einführung der MRT häu- Sie können ebenso im Bereich des Plexus choroideus, in den Sei-
figer diagnostiziert. Auch große Pinealiszysten mit Kompression tenventrikeln oder im Subarachnoidalraum vorkommen, selten
des dorsalen Mittelhirns bleiben in der Regel asymptomatisch, sogar im Hirnparenchym.
manchmal kann es auch zu Einblutungen in die Zyste kommen. Es wird geschätzt, dass Kolloidzysten etwa 2% aller glialen
Seltener kann die Raumforderung der Pinealiszyste zu einer Neoplasien ausmachen. Ein Unterscheidungskriterium der Kol-
Aquäduktstenose mit sekundärem Hydrozephalus führen. loidzysten von anderen neuroepithelialen Zysten ist außer ihrer
Lokalisation die Zusammensetzung des Zysteninhalts. Kolloid-
Bildgebung zysten enthalten denses mukoides Material einschließlich älteren
Die Diagnose einer Pinealiszyste in der MRT basiert v. a. auf dem Blutbestandteilen, wie Hämosiderin, Makrophagen und Choles-
morpholgischen Bild und weniger auf der Signalintensität. Pine- terinkristallen. Daneben können sie aber auch verschiedene Io-
aliszysten sind rund und gut abgegrenzt. Sie können relativ klein nen – Natrium, Magnesium, Kalzium, Kupfer, Aluminium, Eisen
und innerhalb des Parenchyms der Pinealis gelegen sein, aber und Phosphor – enthalten. Einige dieser Ionen zeigen in der
auch die gesamte Pinealisloge ausfüllen. Die meisten Pinealiszys- MRT ein paramagnetisches Verhalten. Andere Zysten enthalten
ten zeigen ein isointenses Signalverhalten zu Liquor in den T1- klare seröse Flüssigkeit, ähnlich wie Liquor, und zeigen dement-
und T2-gewichteten Sequenzen (. Abb. 9.110), sie können aber sprechend nur eine geringe Abweichung zu Liquor in den ver-
auch eine Hypointensität aufweisen. Diese relative Hypointensi- schiedenen MR-Sequenzen.
tät der Zystenflüssigkeit kann verschiedene Ursachen haben:
zum einen ein höherer Proteingehalt, zum anderen ältere Einblu- Klinik
tungen. Pinealiszysten zeigen normalerweise kein Enhancement Kolloidzysten werden dann symptomatisch, wenn sie die Fora-
nach Kontrastmittelgabe. Das umliegende, noch vorhandene Pi- mina Monroi okkludieren und einen Hydrozephalus hervorru-
9.4 · Intrakranielle Tumoren
185 9

a b

. Abb. 9.111a–c. Kolloidzyste. a In den nativen CT-Aufnahmen stellt sich


eine relativ glatt begrenzte, ca. 1,5 cm große Struktur im vorderen Abschnitt
des 3. Ventrikels dar, die zu einer Verlegung der Foramina Monroi mit ent-
sprechendem konsekutivem Liquoraufstau geführt hat. b In den axialen
T2w-Sequenzen stellt sich die Zyste hypointens dar, dies spricht für eine
Kolloidzyste im vorderen Abschnitt des 3. Ventrikels. c In den axialen T1w-
Sequenzen nach KM-Gabe stellt sich die Zyste leicht hyperintens dar. Keine
wesentliche KM-Aufnahme der Zystenwand

Bildgebung
Die Diagnose einer Kolloidzyste basiert im Wesentlichen auf der
Lokalisation und Morphologie (. Abb. 9.111). Mehrere andere
pathologische Prozesse können in derselben Region vorkom-
men, einschließlich Neoplasien des Plexus choroideus, Menin-
geomen, Gliomen und Granulomen. Kolloidzysten zeigen in der
Regel ein sehr variables Signalverhalten in der MRT. In den T2-
gewichteten Sequenzen zeigen sie meist eine deutliche Hyperin-
tensität, obwohl auch hypointense und zum Liquor isointense
Kolloidzysten beschrieben worden sind. Auf T1-gewichteten Se-
quenzen zeigen sie meist ebenfalls eine Hyperintensität. Aber
auch hier wurden hypointense Kolloidzysten beschrieben. Dieses
c
Spektrum der Signalgebung beruht v. a. auf der Konzentration
von paramagnetischen Substanzen, freiem Wasser und muko-
idem Material in den Zysten. Eine dünne Wand ist nahezu immer
abgrenzbar. Die Wand der Kolloidzysten kann nach i.v.-Kon-
fen. Dies kann nur intermittierend, z. T. aber auch dauerhaft trastmittelgabe eine Anreicherung zeigen, obwohl ein solides
geschehen Die klinischen Symptome der meist jungen bis mit- Enhancement auf eine andere Diagnose hinweist.
telalten Patienten sind Kopfschmerzen, plötzliche Paresen der
unteren Extremitäten, Inkontinenz und Persönlichkeitsstörun- Primäre Lymphome
gen oder Demenz. Das klinische Erscheinungsbild wird zum ei- Definition, Epidemiologie, Lokalisation
nen auf die Lokalisation der Kolloidzysten zurückgeführt, zum Der Begriff malignes Lymphom umfasst Tumoren des lympho-
anderen auch auf die Lage im vorderen oberen Abschnitt des retikulären Systems und schließt folgende Entitäten ein:
3. Ventrikels zwischen den Fornices. 4 das Retikulozellsarkom
4 das adventitielle Sarkom
186 Kapitel 9 · Gehirn

9 a b

c d

. Abb. 9.112. Lymphom. 50-jähriger Patient mit zerebralem Lymphom. frontalen Läsion zu vermeiden. d Trotz kleiner Läsion und Einbeziehung
a T2-Sequenz, rechts frontale Läsion mit großem perifokalem Ödem, einge- von normalem Hirngewebe in die Messung signifikante Erhöhung von Cho
bluteter Anteil des Tumors hypointens. b T1-Sequenz nach KM-Gabe, para- und Erniedrigung von NAA im Tumorspektrum (TE = 135 ms), Laktatpeak
sagittaler KM-aufnehmender Herd. c Lokalisation der spektroskopischen nachweisbar. (Aus: Radiologe 2007;47:525, Abb. 7a-d)
Messung im parasagittalen Herd, um Artefakte durch Blut an der großen

4 das Plasmozytom Primäre Lymphome des Zentralnervensystems sind mit un-


4 das hypothalamische Granulom (Histiozytose) gefähr 1% aller primären Hirntumoren selten, sie zeigen aber ei-
4 den Morbus Hodgkin nen 10-fachen Anstieg in den letzten beiden Jahrzehnten. Dieser
Anstieg wird nicht nur durch Patienten mit HIV-Infektion her-
Von den primären malignen Lymphomen sind die sekundären vorgerufen, sondern auch durch die steigende Zahl immunsup-
Tumoren abzugrenzen, wobei auch leukämische Infiltrate des primierter Patienten. Die Ursache des primären ZNS-Lymphoms
Gehirns vorkommen können. Die Tumoren werden in den Gra- bleibt unklar, da das Zentralnervensystem nicht über ein endokri-
den 3–4 gefunden. nes lymphatisches Gewebe oder eine Lymphdrainage verfügt. Es
9.4 · Intrakranielle Tumoren
187 9
gibt im Wesentlichen 3 Gruppen von Patienten mit einem erhöh- Bei HIV-Patienten fällt häufig ein ringförmiges Enhancement nach
ten Risiko, ein primäres ZNS-Lymphom zu entwickeln: Kontrastmittelgabe auf. Diese Patienten haben in der Regel auch
4 organtransplantierte Patienten ein ausgedehntes perifokales Ödem. Eine leptomeningeale Absied-
4 Patienten mit kongenitalem Immundefekt lung kann der CT-Diagnostik entgehen. Sie kann aber in der MRT
4 Patienten mit HIV-Infektion und anderen systemischen Er- nach i. v.-Kontrastmittel-Applikation nachgewiesen werden.
krankungen, die mit einem Immundefizit einhergehen
Arachnoidalzysten
Der Altersgipfel bei Patienten ohne HIV-Infektion ist das 6. Le- Definition, Epidemiologie, Lokalisation
bensjahrzehnt. Über 90% der primären ZNS-Lymphome sind Arachnoidalzysten werden oft erst im Erwachsenenalter diag-
vom Non-Hodgkin-Typ. Wenn ein Non-Hodgkin-Lymphom das nostiziert. Es handelt sich um abgeschlossene Hohlräume zwi-
Gehirnparenchym infiltriert, ist dies meist die Folge einer syste- schen Arachnoidea und Pia mater, die als kongenitale Fehlbil-
mischen Erkrankung oder einer duralen Proliferation. Fokale dung erscheinen. Bevorzugter Sitz sind die basalen und die In-
intrazerebrale Raumforderungen sind meist die ersten Erschei- terhemisphärenzisternen. Häufig finden sie sich jedoch auch in
nungsbilder eines primären ZNS-Lymphoms. der Fissura Sylvii und in der Fossa temporalis (. Abb. 9.38). Auch
Eine Ausbreitung in den Subarachnoidalraum ist extrem sel- Kombinationen mit einer Temporallappenpolagenesie sind mög-
ten. Der Tumor kommt in 75–85% der Fälle supratentoriell vor. lich. Die Zysten sind flüssigkeitsgefüllt und wachsen langsam.
Eine Multifokalität ist häufig und wird in knapp der Hälfte aller Arachnoidalzysten machen etwa 1% aller nichttraumatischen,
Fälle nachgewiesen. Intrakranielle Metastasen von systemischen intrakraniellen Raumforderungen aus. Sie kommen in allen Al-
Lymphomen sind entweder leptomeningealen Ursprungs oder tersgruppen vor, jedoch in 75% bei Kindern. Bei Männern sind
innerhalb der Dura lokalisiert. sie häufiger nachweisbar (3:1).

Prognose Bildgebung
Nach Radiatio zeigen 60% der primären ZNS-Lymphome eine 7 Kap. 9.2.10.
komplette Remission mit einer mittleren Überlebenszeit von
>12 Monaten. Dabei weisen Patienten mit einer solitären Läsion Hamartome
längere Überlebensraten auf als Patienten mit multiplen Läsi- Definition, Lokalisation
onen. Diese Missbildungstumoren bestehen histologisch aus gliose-
ähnlichem Gewebe. Typische Lokalisation ist der Temporallap-
Bildgebung pen. Folgen sind bereits im Kindesalter psychomotorische Anfäl-
In der CT erscheinen Lymphome nativ meist als homogene iso- le. Meistens zeigen sich keine Raumforderungszeichen. Eine
dense bis leicht hypodense Raumforderung mit perifokalem weitere typische Lokalisation ist vor dem Hypophysenstiel und
Ödem. Auch hier kommt es nach Kontrastmittelgabe zu einem hinter den Corpora mamillaria. Hamartome in dieser Region
deutlichen Enhancement, was zu einer guten Abgrenzbarkeit des sind kongenitale, nichtneoplastische Heterotopien; sie setzen
Tumors führt. Das klinische und computertomographische Bild sich aus neuronalem Gewebe zusammen. Diese seltenen Läsi-
ähnelt dem der rasch wachsenden Gliome und Metastasen, gele- onen finden sich hauptsächlich bei Männern.
gentlich, wenn die Tumoren cortexnah gelegen sind, auch Me-
ningeomen. Klinik
In der MRT erscheinen die Tumoren in den meisten Fällen Das Hamartom ist typischerweise pedunkuliert und im Bereich
signalintensiv auf T2-gewichteten Sequenzen, z. T. finden sich der Höhle zwischen Hypophysenstiel und Corpora mamillaria
aber auch Signalabschwächungen als Ausdruck eines paramag- (Tuber cinereum) angeheftet. Größere Läsionen können mit den
netischen Effekts der Tumorzellen. Die Tumoren sind auf den Pallister-Hall-Syndrom assoziiert sein. Hier kommen Gewichts-
Aufnahmen relativ scharf begrenzt. Nach Kontrastmittelgabe anomalien, Polydaktylie, ein nicht perforierter Anus und hypo-
kommt es zu einem typischen homogenen Enhancement thalamische Hamartome vor. Bei den 2 klinischen Hauptsym-
(. Abb. 9.112). Die fokalen Tumoren sind häufig von einem aus- ptomen, Pubertas praecox und Krampfanfällen, oft der charak-
gedehnten Perifokalödem umgeben, welches durch Kontrastmit- teristische gelastische Typ (Lachkrampf), sollte an ein Hamartom
telgabe besser abgrenzbar ist. Diffus wachsende Lymphome zei- gedacht werden. Neuronale Entwicklungsverzögerung und Hy-
gen häufig weder ein Perifokalödem noch eine Kontrastmittel- peraktivität gehen mit Läsionen >1 cm einher.
Anreicherung. Iso- bis Hypointensität gegenüber der grauen
Substanz auf T2-gewichteten Sequenzen ist v. a. auf die hohe Bildgebung
Zelldichte im Tumor zurückzuführen. Die Läsionen haben eine Größe von wenigen Millimetern bis
4 cm und zeigen weder in der CT noch in der MRT ein eindeu-
> Charakteristisch sind die hohe Strahlensensitivität und tiges Enhancement (. Abb. 9.88). In der CT erscheinen sie als
die Wirkung der Kortisongabe, welche früher auch zur rundliche, zum übrigen Hirngewebe isodense Raumforderungen.
diagnostischen Differenzierung herangezogen worden Selten mit zystischen Komponenten in den axialen Schichten
ist. Ein Steroid kann einen dramatischen Effekt zeigen, scheinen diese in den suprasellären/intrapedunkulären Zister-
sodass vor einer diagnostischen Biopsie Kortison gege- nen zu liegen. Blutungen finden sich nicht, äußerst selten Kalzi-
ben werden sollte. fikationen.
188 Kapitel 9 · Gehirn

9
a b

. Abb. 9.113a–c. Extraaxiales Lipom. a In den T2w-Sequenzen stellt sich


das Lipom links temporal hyperintens dar, ist theoretisch von einer Zyste
nicht richtig abgrenzbar. b In den T1w-Sequenzen vor KM-Gabe zeigt diese
Struktur eine deutliche Hyperintensität, vom Signal vergleichbar mit dem
subkutanen Fettgewebe. c In den fettunterdrückten T1w-Sequenzen lässt
sich das hyperintense Signal vollständig supprimieren, dies spricht eindeu-
tig für ein Lipom

Kleine Läsionen werden leicht übersehen, daher ist eine dün-


ne Schichtführung ausschlaggebend (T1- und T2-gewichtete
volumetrische Sequenzen, z. B. MPRage, TRUFISP, und eine ko-
ronare, hochauflösende Phasen-SE-T2-gewichtete Sequenz mit
2–3 mm Schichtdicke). Diese sollte bei jedem Kind mit Pubertas
praecox oder gelastischen Krampfanfällen durchgeführt werden,
da diese Läsionen in der Bildgebung sonst kaum nachgewiesen
werden können.

Lipom
Ätiologie
ZNS-Lipome sind Malformationen, keine Neoplasien. Subarach-
c noidale Lipome entstehen durch kongenitale Fehlbildungen der
Leptomeningen. Bei unvollständiger Absorption der Meninx
primitiva in der embryonalen Phase können sich diese Zellen zu
In der MRT erscheinen die Hamartome auf T1-gewichteten Fettgewebe differenzieren.
Sequenzen isointens zur grauen Hirnsubstanz, in T2-gewichte-
ten Sequenzen iso- oder hyperintens. Die MRT ist für die Dia- Bildgebung
gnose deutlich sensitiver und spezifischer als die CT. Sagittale Computertomographisch sind die Lipome als scharf konturier-
Sequenzen sollten sowohl in T1- als auch in T2-gewichteten Bil- te homogene, hypodense Herde (weniger als –100 HE) zu erken-
dern akquiriert werden. Der Boden des 3. Ventrikels sollte vom nen. Gelegentlich besitzen sie einen kalzifizierten, hyperdensen
Infundibulum bis zu den Corpora mamillaria glatt abgegrenzt Saum.
sein. Bei jeder knotigen Unregelmäßigkeit muss bei entspre- In der MRT zeigt sich das typische Signalverhalten mit deut-
chender Klinik der Verdacht auf ein Hamartom geäußert wer- licher Signalanhebung auf den T1- und geringer Signalintensität
den. auf den T2-betonten Sequenzen. Abgesehen von Verkalkungs-
9.4 · Intrakranielle Tumoren
189 9

a b

c d

. Abb. 9.114a–d. Plexuspapillom. a Bei diesem 7-jährigen Jungen zeigt ment am medialen Rand des Hinterhorns, das insgesamt deutlich aufgewei-
sich in den T2-gewichteten Sequenzen eine Aufweitung und Signalsteige- tet erscheint, und die deutliche und homogene KM-Aufnahme des Plexus-
rung am Hinterhorn links. b T1-gewichtete Sequenz vor KM-Gabe. c, d Nach papilloms
KM-Gabe axial und koronar zeigen sich ein kräftiges homogenes Enhance-

arealen gleicht das Signalverhalten dem subkutanen Fett. Ent- Wenn eine T1-gewichtete Sequenz nur nach Kontrastmittelgabe
scheidend ist ein Signalverlust auf fettsupprimierten Bildern gefahren wird, kann ein Lipom mit einer enhancenden Läsion,
(. Abb. 9.113). Auch neurovaskuläre Strukturen, welche über die wie einem Akustikusneurinom (. Abb. 9.85), verwechselt wer-
Raumforderung ziehen, sind häufig zu erkennen. Die Diagnose den. Das Chemical Shift ist weniger deutlich bei einer Erhöhung
kann durch Fettsättigung oder durch Chemical-Shift-Artefakte, der Bandweite.
die am besten auf protonendichtegewichteten Sequenzen zu se- Nerven, z. B. der 8. Hirnnerv, und Blutgefäße ziehen über
hen sind, bestätigt werden. und durch die Läsion und können beim Versuch der Resektion
Fett innerhalb der Höhle des petrösen Knochens kann mit verletzt werden.
einem Lipom des inneren Gehörgangs verwechselt werden.
190 Kapitel 9 · Gehirn

Plexustumoren vorne und teilweise unten an die Keilbeinhöhle (Sinus sphenoi-


Epidemiologie, Klassifikation dalis). Zu beiden Seiten grenzt die Struktur des Sinus cavernosus
Plexustumoren sind seltene Tumoren und machen nur etwa 0,5% an, in dem sich die A. carotis interna befindet und durch den
aller Hirntumoren aus. Bei Kindern und Jugendlichen treten sie einige Hirnnerven laufen, nämlich die Nn. oculomotorius, ab-
v. a. im Seitenventrikel auf, bei Erwachsenen v. a. im 3. und ducens und trochlearis. Anteile des Trigeminusnervs (1. und 2.
4. Ventrikel. Plexustumoren gehen vom Plexus choroideus aus, Ast) befinden sich ebenfalls im Sinus cavernosus. Nach hinten
man unterscheidet die Plexuspapillome (. Abb. 9.114), gutar- grenzt die Hypophyse an die präpontine Zisterne. Oberhalb der
tige WHO Grad I-Tumoren, die v. a. bei Kindern auftreten, von Hypophyse befindet sich die supraselläre Zisterne, in der sich
den Plexuskarzinomen (Grad III und IV). Das anaplastische der Hypophysenstiel und die Sehnervenkreuzung befinden,
Plexuskarzinom kann von der gutartigen Variante, dem Plexus- noch weiter rostral befindet sich dann der Hypothalamus als
papillom, oft nicht differenziert werden. ein Teil des Zwischenhirns. Die Hypophyse selbst ist in einen
Hypophysenvorderlappen und einen -hinterlappen unterteilt
Bildgebung (s. oben).
In der CT sind die Tumoren meist iso- bis leicht hypodens mit
starkem Kontrastmittel-Enhancement. Im MRT sind sie in der Epidemiologie
T1-Wichtung oft isointens zur grauen Substanz, in der T2-Wich- Etwa 10–15% der im Schädel nachgewiesenen Tumoren sind Hy-
tung mäßig hyperintens. Der Tumor ist meist relativ gut begrenzt, pophysentumoren. Die Tumoren der Hypophysenregion sind
hat ein mäßiges Ödem und weist ein starkes Kontrastmittel-En- überwiegend gutartig. Die meisten entstehen aus Zellen des Hy-
hancement auf. Klinisch zeigen sich oft Zeichen eines erhöhten pophysenvorderlappens und werden Hypophysenadenome ge-
intrakraniellen Drucks, der meist durch eine Passagebehinde- nannt.
9 rung der Liquorzirkulation hervorgerufen wird, selten durch
eine Hypersekretion, die durch den Tumor bedingt ist. Klassifikation, Klinik
Man unterscheidet hormonaktive und hormoninaktive Tumo-
ren. Es werden Mikroadenome mit einem Durchmesser bis
9.4.7 Tumoren der Sellaregion 10 mm und Makroadenome >10 mm unterschieden (. Abb. 9.115,
9.116). Eine seltenere Gruppe von Tumoren der Hypophysenre-
Anatomie gion sind die Kraniopharyngeome, die aus Zellnestern der so
Die etwa kirschkerngroße Hypophyse liegt eingebettet in einer genannten Rathke-Tasche entstehen. Sie produzieren selbst keine
kleinen Knochengruppe der vorderen Schädelbasis, der Sella tur- Hormone und fallen durch Sehstörungen und eine Minderfunk-
cica, unter dem Zwischenhirn. Sie sezerniert verschiedene Hor- tion der Hypophyse auf.
mone in das Blut. Ein Teil des Zwischenhirns, der Hypothalamus, Bei den anderen Tumoren der Hypophysenregion kann es
beeinflusst wiederum die Aktion der Hypophyse durch die Aus- zur Einschränkung der Hypophysenfunktion (Hypophysenin-
schüttung von Transmitterhormonen und ist mit ihr durch den suffizienz) kommen, aber auch zu einem Hypersekretions-
Hypophysenstiel verbunden. Somit kommt diesem System eine syndrom (Akromegalie, Cushing-Syndrom), u. a. durch ein Pro-
zentrale Rolle bei der Verknüpfung des Nervensystems mit dem laktinom oder TSH-sezernierendes Adenom. Unmittelbar über
Hormonhaushalt zu. der Hypophysenregion liegt das Chiasma opticum, wodurch es
Die Hypophyse setzt sich aus 2 Teilen zusammen: bei Tumoren der Hypophysenregion zur Beeinträchtigung des
4 der Hypophysenvorderlappen (HVL, Adenohypophyse) Sehens kommen kann, meist als Verschlechterung des lateralen
produziert die Hormone: Sehfeldes beider Augen (bitemporale Hemianopsie).
5 Wachstumshormon (Somatotropin – STH), Prolaktin,
5 Sexualhormone (Gonadotropine – LH/FSH), Diagnose
5 nebennierenrindenstimulierendes Hormon (adrenokorti- Die Diagnostik der Hormonstörung erfolgt in der Regel durch
kotropes Hormon – ACTH), endokrinologische Untersuchungen im Blut. Die bildgebende
5 schilddrüsenstimulierendes Hormon (thyreoideastimu- Untersuchung der Wahl ist die Kernspintomographie der Hypo-
lierendes Hormon – TSH); physenregion in dünnschichtiger koronarer und sagittaler
4 der Hypophysenhinterlappen (HHL, Neurohypophyse) se- Schichtführung in T1-gewichteter Technik vor und nach Kon-
zerniert die Hormone: trastmittel-Applikation.
5 antidiuretisches Hormon (Adiuretin/Vasopressin –
ADH),
5 Oxytocin. Raumfordernde Prozesse im Bereich von Hypophyse
und Hypothalamus
Die endokrine Drüse steht über den Hypophysenstiel (Infundi- 4 Hypophysenadenom
bulum) mit dem Hypothalamus in Verbindung. 4 Kraniopharyngeom
4 Meningeom
Anatomie der Sellaregion. Die Hypophyse liegt anatomisch ge- 4 Germinom
sehen in einer knöchernen Vertiefung des Keilbeins, dem so 6
genannten Türkensattel (Sella turcica). Die Sella grenzt nach
9.4 · Intrakranielle Tumoren
191 9

a b

. Abb. 9.115a, b. Mikroadenom. a In den koronaren T1w-Sequenzen vor pophysengewebes links, während eine Hypointensität in der rechten Hälfte
KM-Gabe Darstellung der Hypophyse und des Hypophysenstiels, der leicht der Hypophyse nachweisbar ist, dem Mikroadenom entsprechend (Aus: Ra-
nach links verlagert. Die Hypophyse stellt sich mit nahezu hirninsointensem diologe 2009, Tumoren der Sellaregion)
Signal dar. b Nach KM-Gabe zeigt sich ein normales Enhancement des Hy-

nannte Empty-Sella-Syndrom, Zustand nach Schädelbestrahlung,


4 Gliom traumatisch bedingte Hypophyseninsuffizienz, verschiedene For-
4 Metastasen, besonders bei Mamma-, Bronchial-, Nieren- men der Hypophysitis, Morbus Sheehan, angeborene hypothala-
zell- und Prostatakarzinom misch oder hypophysär bedingte Störungen der Hormonbildung.
4 Lymphome
> Die niedrige Inzidenz und Prävalenz der Hypophysen-
4 Granulomatöse Erkrankungen (Sarkoidose, Tuberkulose
krankheiten führen dazu, dass die Diagnose häufig erst
(7 Kap. 9.6), Histiozytose)
Jahre nach dem Auftreten erster klinischer Symptome
4 Chordome
gestellt wird.
4 Rathke-Taschen-Zyste
4 Epidermoidzyste
4 Aneurysmen Krankheitsverlauf
Unbehandelte oder nicht adäquat behandelte Hypophysenade-
nome verursachen eine erhöhte Morbidität und Mortalität. Bei
Hypophysenadenome der Akromegalie liegen u. a. auch ein erhöhtes kardiovaskuläres
Definition, Epidemiologie, Klassifikation Risiko und ein erhöhtes Malignomrisiko vor, Prolaktinome be-
Hypophysenadenome sind seltene, gutartige Tumoren, die von günstigen bei inadäquater Therapie neben einer Infertilität eine
den Zellen des Hypophysenvorderlappens ausgehen. Die jähr- Osteoporose. Eine Hypophyseninsuffizienz ist langfristig eben-
liche Inzidenz klinischer, sich manifestierender Adenome be- falls mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität assoziiert so-
trägt etwa 30–40/1 000 000 Einwohner. wie mit einer Einschränkung von Leistungsfähigkeit, Wohlbefin-
Man unterscheidet endokrin inaktive Adenome (etwa 40% den und Lebensqualität.
aller Hypophysenadenome) und hormonsezernierende Ade-
nome, zu dem das Prolaktinom (etwa 30%), das Wachstumshor- Klinik
mon (GH) sezernierende Adenom (etwa 20%) und das ACTH- Die Leitsymptome von Patienten mit Hypophysenadenomen las-
produzierende Adenom (etwa 5%) zählen. sen sich auf folgende Faktoren zurückführen:
Selten werden TSH (Thyreoidea-stimulierendes Hormon) 4 die Überproduktion der Hormone bei sezernierenden Ade-
oder LH/FSH (luteinisierendes Hormon/follikelstimulierendes nomen
Hormon) sezerniert. Hypophysenkarzinome sind eine Rarität, 4 den Ausfall hypophysärer Funktionen
sie können ebenfalls eine Hormonproduktion aufweisen (Pro- 4 und/oder die Raumforderung des Adenoms
laktin, GH, ACTH).
Von den Hypophysenadenomen sind andere Erkrankungen Patienten mit Hypophysenadenomen haben oft unspezifische
abzugrenzen, z. B. Störung der Hypophysenfunktion, das so ge- Symptome. Bei der Akromegalie können Beschwerden im Be-
192 Kapitel 9 · Gehirn

9 a b

c d

. Abb. 9.116a–d. Makroadenom. a In der koronaren T1w-Aufnahme ist Sequenzen vor (c) und nach KM-Gabe (d) zeigt sich eine Zyste im Makro-
das Makroadenom mit Ausdehnung bis zum Chiasma zu erkennen. b Nach adenom als Ausdruck regressiver Veränderungen (Aus: Radiologe 2009,
KM-Gabe zeigt sich ein homogenes Enhancement. Das Makroadenom Tumoren der Sellaregion)
dehnt sich bis in den Sinus cavernosus links aus. c, d In den sagittalen T1w-

reich des Kiefers, ein Karpaltunnelsyndrom oder ein Schlafap- dergrund. Leitsymptom bei Frauen mit einem Makroadenom ist
noe-Syndrom die wegweisenden Leitsymptome sein. Bei Pati- eine Amenorrhoe.
enten mit Prolaktinom oder mit einer Hypophyseninsuffizienz
bestimmen Zyklusstörungen, Amenorrhoe, Libido- und Potenz- Diagnose
störungen oder eine Infertilität das Beschwerdebild. Patienten Endokrinologische Basisdiagnostik. Zum laborchemischen Ba-
mit einem Morbus Cushing können durch psychiatrische Symp- sisprogramm bei Verdacht auf Hypophysenerkrankung mit einer
tome, wie Depression, Angst oder auch Euphorie auffallen. Hormonüber- oder -unterproduktion gehört die differenzierte
Bei allen großen Adenomen mit Chiasma-Syndrom stehen Bestimmung von Cortisol, TSH, fT4, GH, EGF-1, LH, FSH, Tes-
Einschränkungen des Gesichtsfeldes und Sehstörungen im Vor- tosteron-/Östradiol bzw. Prolaktin. Die Beurteilung der Hor-
9.4 · Intrakranielle Tumoren
193 9
monwerte und der Testergebnisse muss in Kenntnis der kli- Die Untersuchung sollte eine Differenzierung von Adenohy-
nischen Fragestellung durch einen endokrinologisch erfahrenen pophyse und Neurohypophyse ermöglichen. Der Hypophysen-
Arzt erfolgen: stiel, das Infundibulum, das Chiasma und der Sinus cavernosus
4 Prolaktinom: Bei klinischem Verdacht auf ein Prolaktinom mit seinen Binnenstrukturen müssen eindeutig voneinander ab-
muss das Prolaktin bestimmt werden. Der Referenzbereich zugrenzen sein. Eine CT ist nur dann sinnvoll, wenn Knochene-
liegt bei Frauen bei <25 ng/ml, für Männer bei <15 ng/ml. rosionen oder Verkalkungen nachgewiesen werden sollen bzw.
Eine Konzentration von >200 ng/ml ist für ein Prolaktinom eine MRT-Untersuchung nicht durchgeführt werden kann.
nahezu beweisend. In diesen Fällen muss immer eine bildge-
> Die Bildgebung sollte nur dann durchgeführt werden,
bende Diagnostik mit MRT erfolgen.
wenn:
4 Akromegalie: Bei klinischem Verdacht auf eine Akromegalie
5 die endokrinologische Diagnostik eine Funktions-
sollte ein oraler Glukosebelastungstest (oGTT/GH-Suppres-
störung der Hypophyse nachgewiesen hat und/
sionstest) bei nüchternem Patienten mit 75 g Glukose mit
oder
einer handelsüblichen Trinklösung durchgeführt werden.
5 Symptome vorliegen, die auf einen raumfor-
4 Morbus Cushing: Bei klinischem Verdacht auf ein Cushing-
dernden Prozess in der Sellaregion hinweisen.
Syndrom sollte ein ACTH-Kurztest durchgeführt werden.
Ein Wert von <200 ng/ml Cortisol im Serum schließt ein Da Hypophysenadenome durch Kompression des Chiasma opti-
Cushing-Syndrom nahezu sicher aus. Bei kleinen ACTH- cum bzw. des Tractus opticus zu typischen Gesichtsfeldausfällen
produzierenden Hypophysenadenomen kann selten eine führen können, sollte immer eine augenärztliche Untersuchung
Suppression von <80 ng/ml vorkommen. In Zweifelsfällen vorgenommen werden.
kann eine Bestimmung des freien Cortisols und 24 h-Sam-
melurin angeschlossen werden. Therapie
Die Entscheidung über das therapeutische Vorgehen sollte inter-
Insuffizienz des Hypophysenvorderlappens. Weisen klinische disziplinär zwischen Endokrinologen und Neurochirurgen ge-
Symptome auf den Ausfall einer oder mehrerer hypophysärer troffen werden. Stehen Symptome der raumfordernden Wirkung
Funktionen hin, sollten endokrinologische Funktionstests durch- des Adenoms im Vordergrund (Gesichtsfeldausfälle, Kopf-
geführt werden. Die Entscheidung über eine weiterführende Di- schmerzen) sollte umgehend eine Zuweisung in ein spezialisier-
agnostik einer Hypophyseninsuffizienz sollte im Einzelfall durch tes Zentrum erfolgen.
einen Spezialisten getroffen werden. Zusätzlich sollte eine MRT-
! Bei akut einsetzenden starken Kopfschmerzen muss an
Untersuchung der Hypophysenregion erfolgen.
die Möglichkeit einer Tumorapoplexie gedacht werden.
In diesem Fall ist wegen des Risikos einer Erblindung
Zufällig entdecktes Hypophysenadenom (Inzidentalom). In
eine sofortige Einweisung erforderlich.
Autopsiestudien wurden in bis zu 27% der untersuchten Hyo-
physen Mikroadenome gefunden, die sich zu Lebenszeiten kli- Bei der Hypophysenerkrankung empfiehlt sich immer die früh-
nisch nicht manifestiert haben. In der MRT-Untersuchung des zeitige Zusammenarbeit mit Endokrinologie, Neurochirurgie
Schädels aus nicht endokrinologischen Indikationen werden und Strahlentherapie, um eine adäquate Therapie anzustreben.
ebenfalls in ca. 10–20% Hypophysenadenome nachgewiesen. Bei
Makroadenomen sollte eine Hormonaktivität abgeklärt und die Kraniopharyngeom
Hypophysenfunktion durch entsprechende endokrinologische Definition, Epidemiologie
Stimulationstests überprüft werden. Da sich zudem die Frage Kraniopharyngeome sind gutartige, langsam wachsende Tumore,
nach einer OP-Indikation stellt, sollten diese Patienten immer die in der Region der Sella turcica entstehen, wenn sich Zellreste
frühzeitig einem spezialisierten Zentrum vorgestellt werden. Bei des während der embryonalen Entwicklung angelegten Ductus
Mikroadenomen steht der Ausschluss einer Hormonaktivität im craniopharyngeus plötzlich vermehren. Kraniopharyngeome tre-
Vordergrund. Ergeben sich klinisch dafür keine Hinweise, ist ten bei Kindern und Erwachsenen auf und umfassen ungefähr
eine weiterführende Diagnostik nicht erforderlich. Eine Hypo- 3–5%, bei Kindern 5–10% der intrakraniellen Tumore. Bei Kin-
physeninsuffizienz liegt bei den Mikroadenomen in der Regel dern machen Kraniopharyngeome ca. 50% aller Tumore der Hy-
nicht vor. Zum Ausschluss einer Größenzunahme sollten regel- pophysenregion aus. Frauen und Männer sind gleich häufig be-
mäßige MRT-Kontrolluntersuchungen erfolgen. troffen. Die Altersverteilung liegt bei 5–10 und 40–60 Jahren.
Während es im Kinder- und Jugendalter meist einen ada-
Bildgebung. Das wichtigste bildgebende Verfahren zur Untersu- mantinösen histologischen Typ mit Zysten ausbildet, wird der
chung der Hypophysenregion ist die MRT. Indikationsstellung, Tumor im Erwachsenenalter mit einem Häufigkeitsgipfel im Al-
Durchführung, Auswertung und Beurteilung sollten nach den ter von 50–75 Jahren und vornehmlich vom papillären histolo-
gültigen Richtlinien zur Qualitätssicherung der Bundesärzte- gischen Typ diagnostiziert.
kammer durchgeführt werden. Dementsprechend soll ein MRT
der Sellaregion die Sella und die supraselläre Zisterne vollstän- Klinik
dig, symmetrisch und artefaktfrei mit zumindest koronaren Das klinische Bild bei Erstdiagnose umfasst häufig unspezifische
und sagittalen – falls erforderlich – auch axialen Schichten dar- Symptome eines gesteigerten intrakraniellen Drucks, wie Kopf-
stellen. schmerzen und morgendliches Nüchtern-Erbrechen. Weitere
194 Kapitel 9 · Gehirn

9
c

. Abb. 9.117a–d. Kraniopharyngeom. 25-jähriger Patient, bei dem als


Zufallsbefund diese supraselläre Raumforderung auffiel. In den a axialen
und b sagittalen CT-Aufnahmen zeigt sich eine teilverkalkte Raumforde-
rung mit zystischen Anteilen. c Bereits in den nativen T1w-Sequenzen stel-
len sich die zystischen Tumoranteile hyperintens dar. d Nach KM-Gabe zei-
gen sie ein randständiges Enhancement

klinische Leitsymptome sind Sehstörungen und endokrine


Ausfälle. Endokrine Ausfälle betreffen die hypothalamisch/
hypophysären Achsen für Wachstumshormon sowie für das
adrenokortikotrope Hormon (ACTH) und das Thyreoidea-
stimulierende Hormon (TSH). Ein Diabetes insipidus neurohor- d
monalis besteht präoperativ bei 17% der betroffenen Patienten.
> Die Kombination der Leitsymptome Kopfschmerzen,
Sehstörung, Wachstumsstörung und Polydipsie/-urie
In der MRT haben Kraniopharyngeome abhängig vom Ei-
sollte differenzialdiagnostisch den Verdacht auf ein
weißgehalt der Zysten eine höchst variable Signalintensität. Soli-
Kraniopharyngeom nahelegen.
de Tumoranteile und Zystenmembranen sind im T1-Bild isoin-
tens und häufig leicht heterogener Struktur. Die häufigste Loka-
Bildgebung lisation ist suprasellär mit intrasellärem Anteil. In ca. 20% der
Sowohl in der CT als auch der MRT sind Kraniopharyngeome als Fälle lokalisiert sich das Kraniopharyngeom ausschließlich su-
meist zystische Tumoren der intra- und/oder perisellären Region prasellär, in ca. 5% der Fälle ausschließlich intrasellär. Die Kom-
dargestellt (. Abb. 9.117). Die CT kann Verkalkungen, die in binationen von soliden, zystischen und verkalkten Tumorantei-
etwa 90% der Tumoren vorliegen, besser detektieren. len weist dabei auf die Artdiagnose des Tumors hin.
9.4 · Intrakranielle Tumoren
195 9
Therapie 4 Metastasen von anderen Stellen des Körpers,
Der Versuch einer Operation, einer mikroskopischen kompletten 4 entzündliche Veränderungen (Hypophysitiden),
Resektion unter Wahrung der optischen und hypothalamischen/ 4 Sarkoidose (. Abb. 9.148),
hypophysären Funktion stellt die Therapie der ersten Wahl bei 4 Keimzelltumoren,
günstiger Lokalisation dar. Bei ungünstiger Lokalisation wird 4 Germinome (. Abb. 9.108).
diese Therapieoption kontrovers diskutiert und ist gegen eine
geplante begrenzte Resektion mit anschließender Strahlenthera-
pie abzuwägen. Die Progressionsrate nach subtotaler Resektion 9.4.8 Metastasen
und nachfolgender Bestrahlung liegt bei 21%.
Extraaxiale intrakranielle Metastasen
Seltenere Tumoren Extraaxiale intrakranielle Metastasen finden sich häufig in der
Meningeom. Obwohl sie 15% aller intrakraniellen Tumoren aus- klinischen Routine. In einer Autopsiestudie bei Patienten mit
machen, kommen nur etwa 10% der Meningeome in der Sellare- extrakraniellen Tumoren und intrakraniellen Metastasen fanden
gion vor. Die supra- und parasellären Meningeome stellen damit sich in 18% einzig durale Metastasen. Am häufigsten metasta-
den dritthäufigsten Tumor dieser Region dar. Das vom Tubercu- siert das Mammakarzinom nach dural, gefolgt vom Lymphom,
lum sellae ausgehende Meningeom ist ein klassischer suprasel- dem Prostatakarzinom und dem Neuroblastom.
lärer Tumor. Es führt häufig zu Sehstörungen. Eine Kompression Metastasen können im histologischen Aufbau dem Primär-
des Hypophysenstiels mit Hyperprolaktinämie ist oft als einzige tumor gleichen oder stärker anaplasiert sein. Je nach Tumorart
Hormonstörung zu finden. Sinus cavernosus-Meningeome kön- treten nekrotische Einschmelzungen und Einblutungen auf.
nen eine Diplopie, Protrusio bulbi, Störungen der Okulomotorik Meist besteht ein ausgedehntes Perifokalödem, welches die Grö-
und Hypästhesien im Versorgungsgebiet des N. trigeminus ver- ße und den raumfordernden Effekt des Tumors weit übertrifft.
ursachen. Optikusscheidenmeningeome führen häufig zu einer Die Häufigkeit der Hirnmetastasen, bezogen auf die Zahl der
progredienten Visusminderung. Gesamthirntumoren, variiert zwischen 5–40%, je nachdem, ob
Statistiken aus neurochirurgischen Kliniken oder pathologischen
Rathke-Taschenzysten. Zysten der Rathke-Tasche ähneln in ih- Instituten herangezogen werden.
rer klinischen und radiologischen Erscheinung dem Kraniopha- In der CT erscheinen die Metastasen als kleine, rundliche
ryngeom. Auch histologisch sind sie schwer vom Kraniopha- Zonen mit unterschiedlichem Signalverhalten. Es besteht ein
ryngeom und der Kolloidzyste zu unterscheiden. Sie bestehen ausgedehntes Perifokalödem. Nach Kontrastmittelgabe kommt
aus epithelialen Zellen mit einer einschichtigen kubischen Zys- es zu einem kräftigen Enhancement. Seltener sind die Metastasen
tenwand, die einer Basalmembran aufsitzt. groß, dann mit zentralen Nekrosen, welche eine Unterscheidung
zum Glioblastom erschweren. Einige Metastasen, besonders
Kolloidzysten. Kolloidzysten enthalten kolloidartiges Material beim Melanom, neigen zu Tumorblutungen, sodass sie auch als
und besitzen keine Zystenwand. Sie verursachen häufig endokri- Hirnblutung verkannt werden können. Für eine Hirnmetastase
nologische Ausfallserscheinungen. spricht, wenn innerhalb einer ausgedehnten Ödemzone ein klei-
ner Bezirk Kontrastmittel anreichert. Gerade meningeale Metas-
Arachnoidalzysten. Arachnoidalzysten führen klinisch häufig tasen bleiben nach Kontrastmittelgabe in der Regel oft uner-
zu Kopfschmerzen, Sehstörungen und Hypopituitarismus kannt, zeigen sich manchmal nur durch den konsekutiven Hy-
(. Abb. 9.38). Im MRT kommt lediglich Liquor zur Darstellung, drozephalus. Die Signalintensität in der MRT ist meist nicht
man kann sie leicht mit einer »empty sella« verwechseln. Die spezifisch, die meisten Metastasen sind auf T1-gewichteten Bil-
Arachnoidalzyste ist eine Zyste mit einer verdickten Membran, die dern leicht hypointens zum Cortex und auf T2-gewichteten Bil-
zu einer Kompression des Chiasma opticums und der Sella führen dern leicht hyperintens.
kann, bei der »empty sella« ist lediglich der subarachnoidale Raum Leptomeningeale Metastasen werden in der kontrastver-
erweitert und wölbt sich ohne erhöhten Druck in die Sella vor. stärkten CT oft nicht gesehen, v. a. Metastasen bei Leukämie oder
Man unterscheidet ein primäres von einem sekundären »empty Lymphom. Auch eine MR-Untersuchung ohne Kontrastmittel ist
sella«-Syndrom. Beim primären »empty sella«-Syndrom ist ein für diese Tumorentität nicht geeignet. Die Gabe von Kontrast-
nicht vollständig ausgebildetes Diaphragma sellae typisch. mittel erhöht die Sensitivität bei der Entdeckung leptomeninge-
aler Metastasen. Eine leptomeningeale Tumorinfiltration kann
Weitere Tumoren dieser Region. Um die Region der Hypophy- gewöhnlich nicht von anderen diffusen, meningealen Erkran-
se/Sella können noch andere tumoröse Veränderungen entste- kungen wie der infektiösen Meningitis unterschieden werden.
hen, die ebenfalls durch Hormonstörungen, Seh- oder Augen- Auch wenn die MRT heutzutage die sensitivste Methode ist,
muskelstörungen auffallen. Hierunter fallen neben den Menin- können subependymale/ependymale Tumoraussiedlungen sich
geomen: ohne Kontrast-Enhancement zeigen und somit übersehen wer-
4 Knochentumoren, z. B. Chordome, den. Die Diagnose einer leptomeningealen Aussaat muss sich oft
4 zystische Tumoren/Fehlbildungstumoren wie Kraniopha- zusätzlich auf andere Befunde wie Liquor oder Klinik stützen. In
ryngeome, der CT und selbst in der MRT weist häufig nur ein Hydrozepha-
4 Rathke-Zysten, lus bei einem Patienten mit bekanntem extrakraniellem Malig-
4 Epidermoide, nom auf die Diagnose einer leptomeningealen Karzinomatose
196 Kapitel 9 · Gehirn

a
9
b

c d

. Abb. 9.118a–d. Parenchymale Metastase. Histologisch gesicherte Me- zentral hypointensem Anteil, passend zu einer zentralen Nekrose. c Ringför-
tastase eines Adenokarzinoms. a In den axialen CT-Aufnahmen nach KM- miges Enhancement nach KM-Gabe. d Spätarterielle Phase bei selektiver
Gabe zeigt sich eine kräftige randständige Aufnahme der links frontal und Darstellung der linken ACI mit Nachweis einer starken Vaskularisation der
zentral gelegenen Raumforderung. b In den nativen T1w-Sequenzen er- Raumforderung
scheint die Raumforderung weitestgehend hirnparenchym-isointens mit

hin. Daher sollte hier eine weitere Diagnostik mit Liquorunter- 4 Nierenzellkarzinome
suchung durchgeführt werden. 4 Karzinome des Gastrointestinaltrakts
4 Melanome
Intraparenchymale Metastasen
25% aller Raumforderungen im ZNS sind Metastasen. Die häu- Metastasen können überall im Gehirn vorkommen, sind aber
figsten sind: meist an der Mark-Rinden-Grenze lokalisiert. 80% aller Hirnme-
4 Bronchialkarzinome tastasen sind supratentoriell, 20% infratentoriell. In ca. 70% der
4 Mammakarzinome Fälle sind multiple Metastasen nachweisbar. Metastasen können
9.5 · Schädelhirntrauma
197 9

a b

. Abb. 9.119a, b. Leptomeningeale Metastasierung. In den axialen (a) leptomeningeales Enhancement infratentoriell, einer zuckergussartigen
und koronaren (b) T1w-Sequenzen zeigt sich nach KM-Gabe ein kräftiges Auskleidung der Sulci entsprechend

auch extraaxial vorkommen und die Meningen und den Kno- 9.5 Schädelhirntrauma
chen befallen. Charakteristisch sind das Vorhandensein von
mehreren Raumforderungen sowie eine subkortikale Lage. Die 9.5.1 Grundlagen
Metastasen können je nach ihrem Primärtumor zelldicht oder
zellarm sein und auch Verkalkungen und Einblutungen aufwei- Schädelhirntraumen treten mit einer Häufigkeit von etwa 200–
sen. Auch ihre Größe kann sehr variabel sein. Nach Kontrastmit- 300 pro 100 000 Einwohner auf. Kinder <15 Jahren haben daran
telgabe zeigen die meisten Metastasen ein ringförmiges oder einen Anteil von etwa 25%. Unfallbedingte Verletzungen gehö-
homogenes Enhancement. ren zu den häufigsten Todesursachen bei Kindern und jungen
Die MRT ist sensitiver im Nachweis von Metastasen als die Erwachsenen; bei etwa der Hälfte aller tödlichen Unfallverlet-
CT. Sie gilt als Methode der Wahl zum Nachweis kleinster Metas- zungen spielt das Schädelhirntrauma (SHT) die führende Rolle.
tasen sowie zum Nachweis einer Meningeosis carcinomatosa.
Eine doppelte Kontrastmitteldosis, sofern dies vertretbar ist, Einteilung des Schädelhirntraumas
führt zu einer besseren Sichtbarkeit der Metastasen; alternativ Im angelsächsischen Sprachraum erfolgt die Einteilung des
kann auch ca. 20–30 min gewartet werden. Schweregrades eines Schädelhirntraumas nach der Glasgow
Auch sehr kleine Metastasen weisen oft ein deutliches Ödem Coma Scale. Dabei werden die klinischen Kriterien beurteilt. Für
auf, Cortex und Balken werden dabei meist ausgespart. Einblu- die Fähigkeit des Patienten, seine Augen zu öffnen sowie die
tungen in die Metastasen kommen v. a. bei Nierenzellkarzino- sprachliche und motorische Reaktion werden Punkte vergeben.
men und bei Melanomen vor. Melanome sind oft wegen ihres Das Gesamtergebnis reicht von 3 (reaktionsloser Patient) bis 15
Melaningehalts schon in der nativen T1-Wichtung der MRT hy- Punkte (unauffällig). Ein Ergebnis von 3–8 wird als schweres
perintens. Auch hier gilt, dass zuerst native Untersuchungen Schädelhirntrauma bezeichnet, 9–12 Punkte als mittelschweres
durchgeführt werden sollten. und 13–15 Punkte als leichtes Schädelhirntrauma. Bei initial
Als Beispiele sind zu nennen: parenchymale Metastasen nicht bewusstlosem Patienten spricht man auch von einer Com-
(. Abb. 9.118) und leptomeningeale und durale Metastasen motio. Je nachdem, ob die Dura mater verletzt ist, unterscheidet
(. Abb. 9.119) – letztere sind im eigentlichen Sinne extraaxial man zwischem geschlossenem und offenem SHT.
gelegene Tumoren. Traumafolgen können in primäre und sekundäre Läsionen
unterteilt werden. Primäre Läsionen entstehen bereits im Mo-
ment des Traumas, entweder durch direkte Einwirkung oder in-
direkt durch Scherkräfte. Sekundäre Läsionen entstehen als
Komplikation aus dem weiteren Verlauf.
198 Kapitel 9 · Gehirn

Besonderheiten bei Kindern


Schädel- und Hirnverletzungen (Schädelhirntrauma/SHT) im
Kindesalter zeigen im Vergleich zu denen erwachsener Patienten
deutliche Unterschiede bezüglich des Unfallmechanismus, der
intrakraniellen Auswirkungen, der Gewalteinwirkung und des
Verlaufs. Als Gewalteinwirkungen sind nicht nur Unfälle, son-
dern das Geburtstrauma und insbesondere die Kindesmisshand-
lung als nichtakzidentelles Trauma zu beachten (s. unten).
Bei Kindern bestehen einige anatomische Besonderheiten,
v. a. in den ersten Wochen und Jahren. So besitzen sie einen wei-
chen elastischen Schädel und offene Fontanellen, sodass auch
starke Gewalteinwirkungen lediglich zu kurzzeitigen Deformie-
rungen, jedoch nicht immer zu Frakturen führen. Im Vergleich
zu Erwachsenen haben Kinder einen höheren Wassergehalt des
a
Gehirns und eine noch nicht abgeschlossene Myelinisierung, die
eine größere Plastizität des kindlichen Gehirns bewirken. Die
stark bewegliche Wirbelsäule mit einem schlaffen Bandapparat
und die schwach tonisierte, zervikale Muskulatur in Kombinati-
on mit einem zum übrigen Körper überproportional großen
Kopf ermöglichen erhebliche Bewegungen desselben mit Zer-
9 rung der Kalotte, der meningealen Strukturen, der Gefäße und
des Gehirns, sodass Akzelerations-/Dezelerationstraumen
(Scherverletzungen und Hirnschwellungen) auch bei relativ ge-
ringer Traumaeinwirkung auftreten können.
Die v. a. in den ersten 2 Lebensjahren, also im Kleinkindes-
alter, im Vergleich zu älteren Kindern noch deutlich größeren
äußeren Liquorräume lassen ausgedehntere Bewegungen des
Gehirns zu. Bei noch geöffneten Fontanellen können intrakra-
nielle Raumforderungen trotz erheblicher Größe erst spät
klinisch manifest werden. Da sich das kindliche Hirn noch in
Entwicklung befindet und die Gefäße beim Kind sensibler rea- b
gieren, neigen Kinder verstärkt zu allgemeiner Hirnschwellung.
. Abb. 9.120a, b. Ultraschall, Schädelhirntrauma. a Sonographie eines
Diese Faktoren haben in den ersten 2 Lebensjahren ihre größte 14 Tage alten Säuglings mit einer intraparenchymalen Blutung mit Ventrikel-
Bedeutung. einbruch. b Der rechte Seitenventrikel ist mit Blut gefüllt
Zwischen dem 2. und etwa 8. Lebensjahr kommt es dann zu
einer Ausreifung des Gehirns, die Fontanellen und Suturen be-
ginnen sich zu schließen und die Körperproportionen ändern Ultraschall. Der Ultraschall stellt die Methode der Wahl zur Di-
sich zugunsten des Körperstamms. Etwa ab 10.–12. Lebensjahr agnostik bei Neugeborenen dar (. Abb. 9.120). Epidurale und
reagieren die Kalotte und das Gehirn auf die Gewalteinwirkung subdurale Hämatome können gut erfasst werden. Die Beurtei-
wie beim Erwachsenen. lung der hinteren Schädelgrube ist jedoch oft schwierig. Auch
schmale subdurale Hämatome im Bereich der Konvexität kön-
Bildgebende Verfahren nen Schwierigkeiten bereiten. Bei entsprechender Klinik oder
Zunächst soll ein kurzer Überblick über die bildgebenden Ver- Befundverschlechterung und einem unauffälligen Ultraschallbe-
fahren bei typischen Verletzungen beim kindlichen Schädel- fund muss trotzdem eine CT- oder MRT-Untersuchung durch-
hirntrauma gegeben werden. Das kindliche Schädelhirntrauma geführt werden. Die Sonographie eignet sich hervorragend zur
kann eingeteilt werden in: Verlaufskontrolle kleiner, konservativ behandelter, epi- oder sub-
4 das Geburtstrauma duraler Blutungen. Auch Kalottenfrakturen und Impressions-
4 das akzidentelle Trauma frakturen sind mit Ultraschall gut darstellbar.
4 das nichtakzidentelle Trauma (7 Kap. 9.5.5)
Computertomographie. Wenn die Fontanellen verschlossen
Das Geburtstrauma beschreibt traumatisch-mechanische Schä- sind, ist die CT die Methode der ersten Wahl zur Abklärung eines
digungen, die während der Geburt auftreten können. Die Asphy- akuten Schädelhirntraumas (. Abb. 9.121). Es sollten die Schich-
xie wird gelegentlich ebenfalls als Geburtstrauma angesehen, ten parallel zur Orbitomeatallinie mit einer Schichtdicke von 4–
wird in diesem Kapitel aber nicht detailliert dargestellt. Das ak- 5 mm beginnend am Foramen magnum bis zur Schädelkalotte
zidentelle Trauma beschreibt Gewalteinwirkungen durch Unfäl- durchgeführt werden. Die Dokumentation muss im Weichteil-
le, während das nichtakzidentelle Trauma die Kindesmisshand- fenster und nach Rekonstruktion in einem hochauflösenden
lung meint (s. unten, . Abb. 9.141). Kernel im Knochenfenster erfolgen. Das Topogramm sollte
9.5 · Schädelhirntrauma
199 9

a b

c d

. Abb. 9.121a–d. CT, MRT, Schädelhirntrauma. 10 Monate alter Säug- in den T2-gewichteten Sequenzen einen hyperintensen Parenchymdefekt
ling, bei dem eine leichte Minderbewegung der rechten Körperseite auffiel. links parietal mit einem hypointensen Randsaum. d In den T2*-gewichteten
a, b In der CT waren eine intraparenchymale Blutung links parietal und eine Sequenzen stellt sich die Blutung v. a. im Randbereich hypointens dar mit
Kalottenfraktur zu erkennen. c Eine 2 Tage später durchgeführte MRT zeigt zentralem hyperintensem Anteil

ebenfalls dokumentiert werden, da bereits Frakturen parallel zur Zudem sind Aufnahmen des kindlichen Schädels oft überexpo-
Schichtung dem Nachweis entgehen können und möglicherwei- niert. Die nichtdislozierte Fraktur hat keine therapeutische Kon-
se auf dem Topogramm erkennbar sind. sequenz (. Abb. 9.122). Es kann jedoch eine behandlungsbedürf-
tige, intrakranielle Blutung vorliegen. Ein Röntgennormalbefund
Röntgen. Die Röntgenuntersuchung des Schädels in 2 Ebenen ist schließt eine intrakranielle Verletzung nicht aus.
für ein Kind eine unnötige und für das weitere Vorgehen über- Eine Studie an 9269 Kindern mit nur geringem Trauma
flüssige Untersuchung. Gerade bei Kleinkindern ist es oftmals zeigte, dass eine auf der Nativaufnahme nachweisbare Fraktur
nicht möglich, eine gute Projektion anzufertigen, da die kleinen einen geringen prädiktiven Wert für intrakranielle Verletzungen
Patienten unruhig und wenig gewillt sind, sich röntgen zu lassen. hat. In den letzten 30 Jahren sind zahlreiche Publikationen er-
200 Kapitel 9 · Gehirn

vergesellschaftet. Die klinische Symptomatik gibt den Ausschlag,


eine CT-Untersuchung anzuordnen und nicht der Verdacht auf
eine einfache Kalottenfraktur.
Bei Verdacht auf Kindesmisshandlung ist eine Übersichtsauf-
nahme indiziert, da Frakturen noch lange erkennbar sind und mög-
licherweise die mehrzeitige Gewalteinwirkung nachweisbar wird.
! Die Indikation zu einer Röntgenuntersuchung sollte
streng gestellt werden, beim Säugling befinden sich
35%, beim 5-jährigen Kind 16% des roten Knochen-
marks im Gesichts- und Hirnschädel. Zudem kommt es
auch zu einer Belastung der Linse des Auges.

Magnetresonanztomographie. Die MRT hat aktuell in der Akut-


phase der Versorgung von SHT-Patienten keinen Stellenwert.
Dies ist zum einen in der im Vergleich zur CT längeren Untersu-
chungszeit begründet, zum anderen in der schlechteren Über-
wachbarkeit der Patienten während einer MRT. Gerade die län-
geren Untersuchungszeiten sind häufig bei kreislaufinstabilen
Polytraumapatienten zurzeit nicht akzeptabel. Zudem ist die
Verfügbarkeit gerade unter Notfallbedingungen nicht immer ge-
9 geben. Die CT bietet zudem den Vorteil, dass sofort auch der
Thorax, das Abdomen und die Wirbelsäule ohne Umlagerung
des Patienten innerhalb kurzer Zeit auf Verletzungen untersucht
werden können.
In der subakuten Phase von SHT-Patienten gewinnt die MRT
jedoch zunehmend an Stellenwert, da durch die MRT Verlet-