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Jahrgang 1936 523

Erwin Piscator und Maria Osten an Margarete Steffin


[Moskau, Anfang 1936]

Liebe Steffin, lies den Herren Genossen das mal vor. Brecht soll nicht schimpfen – die Sache
wird richtig gestellt. Aber er kann trotzdem schon anfangen, das Lied für die Rote Armee1
zu schreiben u. Eisler darf ruhig auf gute alte Weise komponieren. Mit komm.
Gruß an alle.

x Wieso Becher?
Solidaritäts u. Einheitsfrontlied sind doch von Brecht.2
Was ist mit dem „Linken Marsch“ von Majakowsky3?
Eisler soll mir die Partitur schicken – vom S.A. Mann4 u.s.w.

Liebe Grete,
war drei Tage an der Wolga mit Flugzeug – überall wird Einheitsfrontlied gesungen.
Herzlichst Maria

Überlieferung: Ms, geschrieben auf einem Ausschnitt aus der Zeitung Krasnoarmeec (Der Rotarmist)
ohne Datum, darin der Artikel „Ernst Busch – Sänger der Freiheit“ („Ėrnst Buš – Pevec svobody“) sowie
ein an Busch gerichteter „Offener Brief an die Redaktionen der Zeitungen ‚Der Rotarmist‘ und ‚DZZ‘“
(„Otkrytoe pis’mo v redakcii gazet ‚Krasnoarmeec‘ i ‚DCC‘“); BBA 474/16–19.

1 Eine Gruppe von Rotarmisten berichtet in dem nebenstehenden „Offenen Brief“ (siehe Überlie-
ferung) von der Popularität des Einheitsfrontlieds in ihrer Armee. Ein Lied eigens für die Rote Ar-
mee hat Brecht nicht gedichtet. Der bereits 1919 verfaßte, später in die Hauspostille aufgenommene
Gesang des Soldaten der roten Armee bezieht sich nach Brechts Auskunft nicht auf die sowjetische
Armee, sondern auf die „rote Armee“ der gescheiterten Münchner Räterepublik (vgl. Anm. in GBA
11, S. 314).
2 Bezieht sich auf eine Fehlinformation in dem „Offenen Brief“, in dem Erich Weinert und Johannes
R. Becher als Dichter des Einheitsfrontlieds und des Stempellieds (das Piscator mit dem Solidaritätslied
hier offenbar verwechselt) genannt werden. Dichter der Stempellieds („Lied der Arbeitslosen“) war
David Weber alias Robert Gilbert.
3 Wladimir Wladimirowitsch Majakowski (Vladimir Vladimirovič Majakovskij, 1893–1930), russi-
scher Dichter des Futurismus. 1930 nahm er sich das Leben. Den später von Hanns Eisler vertonten
und von Ernst Busch gesungenen Linken Marsch (Levy Marš) schrieb er 1918.
4 Das Lied vom SA-Mann aus der Sammlung Lieder Gedichte Chöre (GBA 11, S. 209f.).
524 Jahrgang 1936

Arnold Zweig an Margarete Steffin


Haifa, 6.1.1936

Arnold Zweig / Haifa - Mt. Carmel / House Dr. Moses 6. Januar 1936.

Liebe Grete Steffin,


dass Brechts Brief über meinen Roman5 verloren ist, tut mir richtig weh, denn öffent-
lich habe ich fast nur Dummheiten zu hören bekommen. Um so wohler tut mir aber, was
Sie schreiben.6 Mittelohrentzündung brauchen Sie zur Lektüre meiner Bücher aber nicht
mehr zu haben, liebe Grete, und wenn ich nach Dänemark komme oder in Europa bin,
lasse ich Ihnen für Ihre Freunde, die ja wohl auch die meinen sind, ein Verleihexemplar
schicken. Es ist nur immer mit den Adressen ungewiss, und wenn Brecht seinen Brief über
Deutschland hat gehen lassen, ist es kein Wunder, dass ich ihn nicht gekriegt habe. – Ich
bin schon tief in meinem neuen Roman „Einsetzung eines Königs“, der von Brest Litowsk
bis zum 11. November geht, samt einem Nachspiel im Kapp-Putsch.7 Es wird eine tolle Sa-
che werden, wenn ich den Riesenstoff kompositorisch bewältigen kann. Ich möchte gerne
einen Band haben, höchstens so stark wie „Erziehung“. Die Arbeit macht mir unendlichen
Spass, die Eindrücke von Ober Ost müssen genau so frisch werden wie die von Verdun.
– Nun zu Brechts Arbeiten. Auf die Horatier und die Kuriatier freue ich mich sehr, die
„Internationale Literatur“ habe ich noch nie gesehen.8 Aus der SU. habe ich übrigens noch
nie Antworten auf Briefe bekommen; ob sie verloren gehen oder nicht geschrieben werden,
weiss ich nicht. Von Brechts Arbeiten habe ich hier die „Versuche“ 1-3, 4-7, 11-12, 13, 14 und
15-16, also nicht Dreigroschenoper und „Spitzköpfe und Rundköpfe“. Von den letzteren und
von den Anmerkungen zu „Mann ist Mann“ würde ich gern Fahnen bekommen, auch von
der Dreigroschenoper; der Rest ist nicht nötig. Dass Brecht in New-York ist, freut mich
sehr; nachdem er Amerika doch schon vielfältig bedichtet hat, wird ihm die persönliche
Bekanntschaft doppelten Spass machen. Ich schreibe ihm vielleicht ein paar Zeilen, wenn
ich ohnehin nach Amerika Post wegschicke. Ueber den Erfolg der „Mutter“ möchte ich
gern Näheres hören. Vielleicht könnte man das Stück hier hebräisch herausbringen. Aber
da in diesem Lande die vereinigten Gewerkschaften genau dieselbe Haltung einnehmen
wie einst im deutschen Reich, nämlich voller Hass gegen alles was links ist, fürchte ich, dass
das Arbeitertheater das sonst wunderbar geeignete Stück nicht wird spielen können. In den
[sic] SU. könnte Brecht vielleicht etwas für mich erreichen. Aber ich fürchte, man kennt
dort nur den Schriftsteller Steffkusch Zweig.9 Jedenfalls hat weder Herzfelde noch sonst-

5 Erziehung vor Verdun, Amsterdam 1935. Vgl. Anm. zu Zweig, 18.8.1935.


6 Nicht überliefert.
7 Vgl. Zweig, 15.11.1935.
8 In Heft 1/1936 der Internationalen Literatur erschien das Lehrstück erstmals im Druck.
9 Der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig (1881–1942) emigrierte 1934 nach Großbritannien und
ging 1940 über die USA nach Brasilien.
Jahrgang 1936 525

wer erreicht, dass für „Erziehung“ eine Uebersetzung zustande kam. [Hs.] Und nun gute
Gesundheit im Neuen Jahr! Wir erinnern uns alle gern an Sanary, besonders Ihr Zweig.

Meine Augen werden etwas besser, sonst gehts uns gesund und munter.

Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U.; BBA 478/25–26. – E: helene weigel 100. The Brecht Yearbook 25, hrsg.
v. Judith Wilke, Waterloo/Kalifornien 2000, S. 366f.

Fritz Sternberg an Bertolt Brecht


Basel, 6.1.1936

6. I 6
Dr. F. Sternberg 30. Dez. 35
Basel
Gundeldingerstr. 463

Lieber Bert Brecht,


Ich fühle mich in Ihrer Schuld. Ein Brief von Ihnen10 über gewisse Fragen in mei-
nem letzten Buch11 ist noch unbeantwortet. Ich hatte die Absicht, Ihnen länger darüber
zu schreiben, weiss aber nicht, ob Sie zur Zeit in Dänemark sind oder wo sonst. Lassen Sie
doch einmal von sich hören, dann schreibe ich Ihnen sehr ausführlich.
Recht herzl. Grüsse von Haus zu Haus und alles Gute
Ihr
Fritz Sternberg

Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 479/87.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht


Prag, 4.2.1936

Prag, den 4.2.36

Bertolt Brecht, Thurø per Svendborg, Danmark

Lieber Brecht,

10 Vgl. B. an Sternberg, September/Oktober 1935, GBA 28, S. 526.


11 Der Faschismus an der Macht, Amsterdam 1935. Vgl. Anm. zu Brentano, 12.9.1934.
526 Jahrgang 1936

durch einige Zeilen von Grete St. erfahre ich, dasz Du aus New York abgefahren bist.12
Hoffentlich erreichen Dich diese Zeilen also.
Bitte, schreib mir, was mit Böffs Illustrationen13 ist. Er antwortet seit Sommer vergange-
nen Jahres nicht. Geld geschickt habe ich im voraus, es war recht bitter. Noch bitterer ist,
dass ich jetzt schon das Papier für die beiden Bände bezahlen muss, von den Bänden aber
noch nichts zu sehen ist. Die Manuskripte sind alle beisammen bis auf „Die Massnahme“.
Grete St. glaubte, sie geschickt zu haben, e s ist aber nicht so. Bitte, schick sie mir doch
gleich, damit wenigstens der Satz und Textdruck durchgeführt werden können. Die Illu-
stration will ich sowieso auf besonderem Papier hier drucken.
Ueber den Verlag und manches andere will ich Dir schreiben, sobald ich weiss, dass
Dich die Briefe wirklich erreichen.
Karola [sic] Neher ist hier, in etwa acht Tagen will sie zurückfahren.
Schreib mir bald.
Herzliche Grüsse, Dir,
Dein Wieland

Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: W. Herzfelde Praha I, Konviktská 5 ČSR. Telefon: Prag 368 96 Vertreter
der Malik-Verlag Publishing Company London, W.C. 1; BBA 477/19.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht


[Moskau] 7.2.1936

7./II.1936
l b, da Du aus NY anscheinend nur an Sonntagen schreibst, an denen Du Dich langweil-
test, scheinst Du Dich an Deinen beiden letzten Sonntagen nicht gelangweilt zu haben,
denn Post bekommen hab ich keine mehr.
Natürlich weiß ich ja wirklich, daß Du viel zu tun hast u. schreiben nicht magst, aber
ich hatte seit November alles sehr scheußlich u. da war es schlimm, daß Du so selten
schriebst.
Ich würde Dir jetzt nicht schon wieder nach Svendborg schreiben – erstens weil ich
nicht weiß, bist Du schon dort? Und zweitens weil Du wirklich sehr wenig geschrieben
hast. Aber heute ist eine geschäftliche Sache: Gestern abend kam zu mir ein Vertreter der
„Len-Film“14 Gesellschaft aus Leningrad u. fragte, ob Du einverstanden wärst, für sie einen

12 Brecht reiste am 5.2.1936 von New York zurück nach Dänemark, am 16.2. traf er in Svendborg ein.
13 Vgl. Grosz, 10.10.1934.
14 Aus einer Petersburger Filmfabrik hervorgegangenes sowjetisches Filmstudio, gegründet 1918 unter
dem Namen Sewsapkino. 1924 umbenannt in Leningradkino, ab 1934 Lenfilm.
Jahrgang 1936 527

Film zu schreiben „Schwejk“.15 Gedacht ist an eine russische Fassung. Ich sagte ihm, Du
seiest an einem deutschen Film wahrscheinlich mehr interessiert. Sie bieten Dir dasselbe,
was Dir Meshrabpom geboten hätte. Außerdem ist es jetzt leichter, Valuta ins Ausland zu
zahlen für Leute, die dort arbeiten – man wäre einverstanden, daß Du, soweit es die Arbeit
zuläßt, dort arbeitest, würde aber andernfalls hier in Leningrad für Wohnung sorgen, auch
für Deine Familie. Die Leute sind sehr interessiert, Dich zu kriegen. Es ist die Gesellschaft,
die u.a. „Tschapajew“16, „Maxims Jugend“17, „Bauern“18, „Gewitter“19 gemacht hat. (Sie habe
einen Lenin-Orden bekommen, soll ich Dir sagen.) Die Regisseure wären Lardy u. Hei-
fitz.20 Ich werde mich hier inzwischen nach ihnen erkundigen.
Falls Du mich für Verhandlungen ??
Ich denke mir, daß Du nicht gleich zusagen wirst, wie die Leute hoffen. Ich hörte, daß
Du an Piscator eine, wie alle sagen, merkwürdige u. unverständliche Absage geschickt hast.
Pisc. hat mit Hay zusammen sein Drehbuch in Bearbeitung. Er sagte mir, er habe Dir
den Wolga-Vorschlag gemacht (dort eine Siedlung aufbauen, Künstlerkolonie, Theater,
Kino usw.)21 Aber das ist, wie Reich richtig sagt, eine verrückte Idee. Denn alle Deutschen
zusammengeschlossen in so einer Kleinstadt? Lieber arbeite da [in] Moskau oder Lenin-
grad.
Ich habe u.a. auch die Leningrader gesagt erraten lassen, daß ein Film, in dem Deine
Frau mitspielen könne, interessanter für Dich sei, u. daß die Genossin Weigel eine der be-
sten Schauspielerinnen usw.
Besonders groß wäre in einem russischen Film die Chance für sie natürlich nicht, aber
säße sie erst in Leningrad, hätte sie soviel wie hier Busch zu tun: Radio, einige Schallplatten
u. danach bestimmt bald einen guten Filmvertrag. Pisc. macht ja seinen Film, wie ich höre,
mit Granach22, Neher, Busch.

15 Ein solches Angebot hatte zuvor bereits Piscator unterbreitet (vgl. seinen Brief vom 1.8.1933). Der Plan
wurde nicht realisiert.
16 Čapaev (UdSSR 1934, Regie: Georgi Wassiljew, Sergej Wassiljew). Dieser in der UdSSR sehr er-
folgreiche Film gilt als ein Gründungsdokument des „sozialistischen Realismus“ im sowjetischen
Kino. Mit dem im Bürgerkrieg gefallenen Kommandeur der Roten Armee Wassili Iwanowitsch
Tschapajew erschien ein positiver Held der neuen Zeit auf der Leinwand, dessen Willensstärke und
Opferbereitschaft wegweisend sein sollten für den in Angriff genommenen Aufbau des Sozialismus.
17 Junost’ Maksima (UdSSR 1935, Regie: Grigori Kosinzew, Leonid Trauberg).
18 Krest’ jane (UdSSR 1935, Regie: Friedrich Ermler).
19 Groza (UdSSR 1934, Regie: Wladimir Petrow).
20 Josef Heifitz, d.i. Jossif Jefimowitsch Cheifiz (Iosif Efimovič Chejfic, 1905–1995), russischer Dreh-
buchautor und Filmregisseur. – Der Name Lardy konnte nicht ermittelt werden. Gemeint ist mög-
licherweise Alexander Grigorjewitsch Sarchi (Aleksandr Grigor‘evič Zarchi, 1908–1997), der viele
Filme zusammen mit Cheifiz gemacht hat.
21 Piscator plante den Aufbau eines deutschsprachigen Exiltheaters in der Stadt Engels in der Wolga-
deutschen Republik. Der Plan wurde nicht realisiert.
22 Alexander Granach, d.i. Jessaja Szajko Gronach (1890–1945), österreichischer Schauspieler. Spielte
seit den 1920er Jahren in Brecht-Inszenierungen. Ging 1933 über die Schweiz ins Exil nach Polen
528 Jahrgang 1936

Die Leute bitten Dich, ihnen sobald wie möglich Bescheid zu geben. Sie wollen am 14.
von mir Antwort haben, hoffentlich ist sie bis dahin hier.
Ich hatte vor, Dir aufs Schiff zu telegrafieren, leider usw.
Hat sich Amerika ein bißchen gelohnt? Wie war die Aufführung? Die Presse? Hast Du
Dein Buch23 verkaufen können? Ich frage das alles immer wieder, Du kannst mir eine ge-
wisse Größe in meinem Glauben, Du würdest evtl. doch mal auf Fragen antworten, nicht
absprechen.
Ich möchte Dir einen kleinen Kuß auf den Hals geben. Aber ich trau mich nicht. Wie-
dersehen. Und hab einen guten Geburtstag.

Überlieferung: Ms, RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z 13/106–109. – E: Steffin, Briefe, S. 162ff.

George Grosz an Bertolt Brecht


[New York] 12.2.1936

12 Februar 36

Lieber Bertie,
heute bekam ich überraschenderweise einen Brief von unserem alten Ketzer Borch-
ardthans......und staune so wie ich staunte direkt aus Berlin. In seinem Brief teilte er ganz
kurz lakonisch mit, dasz er Knall auf Fall die Sowjetunion hat verlassen müssen......binnen
24 Stunden wie er schrieb, hat alles zurücklassen müssen. Richtig ausgemiesen [sic] ist er,
ohne Angabe von Gründen, ohne viel Federlesen (wie es im Volksmund heisst) Und so iro-
nisch wie das „Leben“ nun einmal ist, sitzt er jetzt tief deprimiert in Berlin....wo er vor zwei
Jahren wegging. Wie das alles zusammenhing oder hängt geht aus seinem Brief nicht her-
vor. Er gehört wahrscheinlich zu den dort im Lande des befreiten Proletariats zu den, wie es
hier im „unfreien“ Amerika heisst unerwünschten Fremdlingen. Nun weiss ich selbst, dasz
unser Hans zwar eine messerscharfe Zunge hat und einen ganz netten Verstand dazu, aber
ihn als gefährlichen Feind der heiligen Sowjetunion zu sehen, womöglich als Organisator
lebensgefährlicher Umtriebe......no Bertie, das kann ich nicht sehen. Hat vielleicht in Ver-
kennung der erreichten russischen „Freiheiten“ hier und da zu viel geredet, oder zu wenig
zum Munde geredet. Wie dem auch sei nun sitzt er ein wirklicher Hiob abermals gebrochen
vollkommen verloren in Berlin. Kein schöner Zustand das. Wir müssen ihm helfen! Wir
schickten ihm zuerst einmal Geld.....das ist das Notwendigste........denn man jagte ihn mit
echt proletarischer Gemütlichkeit ohne alles davon. Proletarisches Bewusstsein, weesste Je-

und dann in die UdSSR, wo er für Film und Theater arbeitete. Nach kurzzeitiger Verhaftung 1937
emigrierte er zunächst in die Schweiz, 1938 in die USA.
23 Dreigroschenroman. Eine amerikanische Ausgabe erschien 1938 in New York.
Jahrgang 1936 529

nosse, lässt eehm nicht nich mit sich spaas’n......de proletarsche Ehre hatta beleidicht, hatta
jawoll.......sone anachistisch’n Kleen-bürja kenn’ wa nich jebrauch’n,....na nun kann er mit
gutem Gewissen der herrlichen Einheizfront des Herrn Idealisten Mann24 beitreten, und
aus vollen Herzen für die grosse Freiheit im Vaterlande des Proletariats wirken. Aber Spass
beiseite Bertie, ich denke dasz in seinem Falle andere Drahtzieher dahinter stehen....näm-
lich kleine Köpfe voller Neid und Missgunst, eben Bürokratie. Denn politisch gesprochen
ist und war Hans absolut „harmlos“. In jenen Ländern, wo der Maulkorb eine staatlich un-
antastbare Institution geworden ist, hätte er natürlich wie alle Anderen sich „fügen“ sollen.
Parieren, ausrichten, stramm stehen......Augen geradeaus.......weder Rechts noch Links se-
hen. Hin und wieder eine tiefe Verbeugung vor den Päpsten. Nun das konnte er wohl nicht.
Doch ich will und darf hier nicht wieder einen meiner berüchtigten Ketzerbriefe loslassen,
obwohl ich gelinde gesagt empört bin! Also zur Sache Schorsch. Wir müssen sorgen, dasz
Hans so schnell wie möglich Deutschland verlässt. Könntest Du ihn vorderhand nach Dä-
nemark einladen? Du musst ihm natürlich unter einem falschen Namen schreiben (nicht
Brecht natürlich) er könnte dort in deiner Nähe wohnen und sich erstmal ein bisschen
erholen. Wir können ihm dorthin auch besser Geld schicken, weil man ja in Deutsch-
land nie genau weiss, woran man ist. Ob nicht gesandtes Geld beschlagnahmt wird undso.
Verstehst!....Wir werden dann versuchen hier etwas, eine Lehrerstellung zu finden. Aber
begreiflicherweise kostet das Zeit. Es wäre gut, wenn Du ihn wie gesagt unter Deckadresse
nach Dänemark einladen könntest. Man kann dann weiter sehen. Für Hans ist ja Deutsch-
land unerträglich, und die Behörden werden dem ehemaligen Flüchtling, wenn sie den Pass
sehen auch nicht gerade zart behandeln. Vor allem erstmal raus. Sein Brief war verzweifelt.
Und Thea seine Frau ebenso.......wollte sogar Selbstmord begehen. Es ist ja auch, ohne senti-
mental die Sache unzusehen [sic], ein verteufeltes Pech für Hans, der ja überhaupt in keiner
Weise für ein Emigrantenschicksal gemacht ist. Dieser Mann, der sein Deutschland liebte,
und im Grunde eine gänzlich unabenteuerliche seßhafte Natur ist. Nun Du kennst ihn ja,
was soll ich Dir da weiter erzählen. Berichte mir sofort was und ob Du etwas im obigen
Sinne für ihn tun willst und kannst? Oder ob Du von Dir aus noch jemanden weisst,...und
ob Du jemanden für Hans dort interessieren kannst? Karin25 z.B.???? Inzwischen versuche
ich hier mein Bestes. Werde zu old man Warburg26 gehen, persönlich; er ist hier einer der
jetzt viel für die Juden tut. Die gewöhnlichen Hilfskomitees sind viel zu bürokratisch, wir
müssen das selbst in die Hand nehmen. Wir schicken zuerst mal 50 dollar ab.
Hoffentlich war deine Überfahrt okay und Du ein guter Seemann, bitte grüsse Helli
den Stef und die nette kleine Barbara und schreibe mir umgehend
Deinem altenr SchorschG

24 Heinrich Mann.
25 Karin Michaelis.
26 Max Warburg (1867–1946), Hamburger Bankier, Vorsitzender des Hilfsvereins deutscher Juden. Em-
grierte 1933 nach Großbritannien, 1938 in die USA. Vgl. B. an Warburg, 3.3.1937, GBA 29, S. 16; dazu
Warburg, 27.2. u. 13.3.1937.
530 Jahrgang 1936

Wanderer kommst Du aber nach Russland, so gib ihnen Kunde von mir, und sage ihnen
dasz ich sie geziemend ehrerbietigst hochachte, ja auch wenn befohlen die Hände an die
rote Hosennaht lege.....doch möchten sie immerhin bedenken dasz wir hierzulande in ....
naja....(welch gehasstes Wort heute) naja in relativer „Freiheit“ leben.....und noch vorläufig
allerhand sagen dürfen. Dies möchten sie doch allerehrerbietigst untertänigst bringe ichs
vor....bei ihrer meistens saudummen Propaganda berücksichtigen. Sage doch den genialen
Vorkämpfern und glasklaren Denkern dort, sie möchten sich nicht immer gleich durch eine
scharfe Zunge unsicher fühlen. Es macht einen schlechten Eindruck.........besonders wo
sie alle Mann hoch so unbesiegbar gläubig, erhaben, genial, frei und beherrscht dastehen.
Wenn der kleine Zweifel eines ironischen skeptischen Schulmeisters sie schon so erhitzt? In
diesem Sinne beuge ich mein amerikanisches Haupt, und lausche auf der Stimme die über
mir aus dem Baume kommt und das „Gesetz“ aufsagt (auswendig)......
Heiliger Stalin, zu Dir flehe ich in meinem Zweifel
Gib mir armen Burrschuhass die reine Kraft des Glaubens
Und wenn der Teufel mich heimsucht......please.....
Please....sende mir den erwünschten Fußtritt...right away
Lass mich nicht links abweichen vom Pfade
Vom Pfade proletarscher Tugend.....please.....
Denn dein ist die Macht, die Kraft und die Weisheit
Amen!!!!

Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 482/66–67. – T: Grosz, Briefe, S. 232ff.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht


[Moskau] 13.2.1936

13./II.1936

lb
morgen sind es 3 Wochen, daß ich wieder keine Post von Dir habe. Es ist sehr schlimm
für mich, 20 Stunden vom Tage – 4 schlafe ich, nicht mehr – warte ich auf Post oder denke
nach, warum Du nicht schreibst u. ob all das stimmt, was „die Leute“ sagen.
In der Zeitung steht, daß in Amerika u. England des großen Frostes wegen SOS-Rufe
von Zügen kamen.
Bist Du in Dänemark?
Hier ist es kalt. Ich friere sehr.

Überlieferung: Ms, RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z13/110. – E: Steffin, Briefe, S. 164.
Jahrgang 1936 531

George Grosz an Bertolt Brecht


New York, 14.2.1936

Danemark
Mr. Bertold Brecht
Skovsbostrand
per Svendborg

14,2,36 Dear Bertie, mittlerweile musst Du meinen Brief haben über das seltsame
Schicksal unseres alten chinesischen Weisheitsuchers Borchardthans, den die Indianer „ra-
zortongue“ nannten. In meiner jüdischen Hast vergass ich seine berliner Adresse beizu-
fügen, hier ist sie: Hans Borchardt, Berlin W 30 Schöneberg, Freisingerstr. 18 Gths. bei
Bierbaum. 50 dollar sind gestern telegrafisch als erste Hilfe abgegangen.
Sprach gestern mit Schön. und von deiner verspäteten Liebe zu N.Y.
herzlichst dein alter Schorsch

Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 482/69–70.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht


[Moskau] 17.2.1936

17.2.1936
lieber bidi,
ich hatte fieber und die ganze nacht kam die Schwester zu mir und alle waren sehr
besorgt. aber dann habe ich heute mittag schlafen können, ich bekam ein wunderschönes
mittel, und da träumte ich, dass Du kommst und sagst: „Du bist ein komiker. Du weisst
doch, wenn was ist, schreibe ich Dir. ich habe einfach keine zeit gehabt zu schreiben und
2 briefe sind verloren gegangen.“ das war ein schöner träum, und ich habe schon so lange
solche sehnsucht nach Dir, aber ich konnte Dir doch nie schreiben, ich wusste nie, wo Du
bist, schon abgereist. bloss telegramme schickte ich jeden dritten tag. von meinem eigenen
geld!! denn ich habe an kolzows redaktion eine novelle verkauft und bekam dafür 250 rubel.
da habe ich Dir die telegramme und ein geburtstagsgeschenk gekauft. das kriegst Du, wenn
Du mich holen kommst. – geliebter bidi, schreibe mir doch. diesen brief schicke ich nach
svendborg und nach newyork, vielleicht bist Du noch dort? schicke mir ein telegramm.
für telegramme genügt, sagt der arzt, „Moskau, Sokolniki, Sanatorium Alekcina“. aber für
briefe muss noch hinzu: Moskau, 14; Sakolniki [sic], ug. Poper, und 1. Lutschewowo Pros.
3, Sanatorium Alekcina.
ich habe Dir nach svendborg viele kouverts mit adresse geschickt. bekommst Du sie?
532 Jahrgang 1936

[Hs.: Meine schönen Decken darf ich hier nicht nehmen. Nur die vom Haus. Natürlich hat
man immer so ein kleines schlechtes Gewissen. Aber meines besteht nur darin, daß ich so
krumm da sitze u. nicht gerade gehen (kann). Weil Du mich nicht nimmst.]
im innern habe ich angst, dass so ein missverständnis ist wie voriges jahr, wo mich wer
bei Dir zu unrecht verklatscht hat. aber das wirst Du, wenn Du liest, dass alles in ordnung
und unverändert ist, mir ja gleich schreiben. wie immer von den liebsten menschen kriege
ich keine post, auch meine Schwester27 schreibt mir nicht. und mutter28 auch nicht. kannst
Du an meine Schwester (die adresse ist in deinem schwarzen buch) diesen brief schicken,
den ich beilege? aber ich lege ihn nur an den dänischen brief bei.
ich rechne mir aus, diesen brief hast Du am 19. oder 20. (in nY nach 11 tagen) und aus
svendborg habe ich dann am 20. antwort, Du wirst mir ein telegramm schicken?
mit dem ohr29 ist es ein bisschen schlimmer geworden, durch die aufregung, und dicker
bin ich auch nicht geworden, schreibe mir, damit ich dann dick werde. aber nicht zu sehr.
ich schicke den brief rasch weg, solange meine zuversicht, dass alles postschlamperei war,
anhält.
[Hs.] Wann kommst Du zu mir? Ich brauche Dich sehr. Die Haut wird schlecht. bidi lieber
bidi

Überlieferung: Ts, hs. Erg.; RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z13/111–112. – E: Steffin, Briefe, S. 165f.

Lilian Broadwin30 an Bertolt Brecht


New York, 18.2.1936

February 18th, 1936


New Rochelle, N.Y.

Dear Brecht,
Having recently dispatched your belongings, all but the two tablecloths which turned
up in this week’s wash. I now feel free to write to you. I sent in all, four packages, three
bulky ones and one small flat one, which causes me concern, simply because you stressed its
importance. q1 – Did you get them? q2 – Is there anything else I can send you?

27 Herta Hanisch, geb. Steffin (1909–1989), Schwester Margarete Steffins, die sie des öfteren in Däne-
mark besuchte.
28 Johanna Steffin.
29 Steffin litt an einer Mittelohrentzündung.
30 Brecht hatte Lilian Broadwin offenbar während seines Aufenthalts in New York kennengelernt. John
Willett zufolge (The Theatre of Bertolt Brecht, London 1959) hat sie eine (unveröffentlichte) englische
Übersetzung der Maßnahme angefertigt.
Jahrgang 1936 533

In the stress and fever of leaving you forgot to leave behind you, in my care or Jerome’s31,
a list of your writings and the manner of their disposal. q3 – Jerome asks you to send such a
list. Jerome has received from Eva Goldbeck a letter in which she states that she understands
herself to be under consideration as the translator of the “Drei Groschen Oper”, but, she
writes that after reading it she doesn’t think she would care to translate it because of her
unfamiliarity with the translation of rhymed verse. She further asks, q4 – for a signed agree-
ment from you in reference to her translations. Also, she wants to know q5 – what she is to
do with the “Massnahme”. (Do I understand her correctly to mean the songs and choruses?)
I have been kept very busy helping Jerome. It has been interesting and instructive work
for me, and according to Jerome invaluable to him. He got up an article for the Daily
Worker, a severe attack on Norman Thomas, which ought soon to have reverberations. It
is strange to watch this mild-mannered man fight so nobly with the only weapon he can
handle, but so well. This week he is simply eaten up by work, getting out the ‘Communist’,
and I know that he goes about faint with hunger, and hungry because he couldn’t find time
to eat. Soon, I’ll start reading your novel to him, and soon I’ll get after him to write his play.
Am I not a little ray of sunshine???
q6 – What happened in London with the Massnahme?32 The Atlantic Ocean seems to
have swallowed you up. You have left behind you a host of friends who will long be inter-
ested in you and your welfare. You must soon let us know if the eagerness with which your
friends over there greeted you matched the sorrow with which we over here saw you go.
The coming production of “an entirely new” adaptation of Dreiser’s “American Trage-
dy”33 was recently announced, to be produced by Shubert and the Group. Does this mean
that Piscator will be coming over? If he does, perhaps he can further coach Jerome along
those lines to which you opened his eyes?
The Eislers leave Friday for London. The Good and the Great leave us to our weaknesses.
I suddenly remembered the poem you once asked me to get for you. I hope its not too
late. It goes for daughters too! With fond regards,
Lilian Broadwin

Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 341/76.

31 Victor Jerry Jerome (1896–1965), amerikanischer Schriftsteller und Politiker, Leiter der Agitpropab-
teilung der KP der USA. Brecht hatte ihn gelegentlich der Aufführung der Mutter im November 1935
in New York kennengerlernt.
32 Das Stück wurde in London damals nicht aufgeführt.
33 An American Tragedy (Eine amerikanische Tragödie, 1925), Roman des amerikanischen Schriftstellers
Theodore Dreiser (1871–1945). Piscator nahm in den 1920er Jahren zusammen mit Felix Gasbarra
eine Dramatisierung des Romans vor, die erstmals 1932 in Wien gespielt wurde. Er verhandelte in
dieser Angelegenheit unterdessen mit dem Theaterproduzenten Milton Shubert (1901–1967) wegen
eines Regiegastspiels in New York. Da man zu keiner Einigung kam, wurde schließlich Lee Strasberg
mit einer englischen Bühnenbearbeitung betraut, die das Group Theatre im Frühjahr 1936 unter dem
Titel The Case of Clyde Griffith aufführte. Piscator selbst war dabei nicht anwesend.
534 Jahrgang 1936

Margarete Steffin an Bertolt Brecht


[Moskau] 20.2.1936

20. febr. 1936


lieber bidi, gestern bekam ich endlich von Dir post: einen brief, den Du am 3. febr. in
NY abgeschickt hast,34 anscheinend vor Deiner reise, und ein telegramm aus esbjerg35 und
eines aus svendborg. ich war sehr unglücklich, es ging mir tatsächlich schlecht. die ärzte
bekamen richtig angst, ich wollte mich zusammen nehmen, aber dann kam noch eine böse
erkältung hinzu, bei dieser scheusslichen kälte kein wunder. – von meiner Schwester habe
ich auch noch immer nichts gehört. am 6. februar spätestens sollte sie das kind bekommen,
hoffentlich ist nichts passiert, meine mutter schreibt auch nicht. – bitte schicke doch beilie-
genden brief an die lütz.36, die adresse hast Du in Deinem schwarzen buch.
lieber bidi, schreib mir recht bald, wie es Dir geht und was Du für pläne hast und wann
wir uns sehen und wo. wenn Du nämlich nicht so bald herkommst, so möchte ich am
liebsten gleich in den kaukasus fahren, es gefällt mir hier nicht. warum ich hier bin? das
schrieb ich Dir doch von kopenhagen aus, hast Du die briefe nicht bekommen? ich hatte
doch diese idiotische ohrensache, jetzt habe ich tag und nacht ohrensausen, und ich höre
auch rechts schlechter, allerdings ist es nicht zu merken, weil ich ja an und für sich ein sehr
gutes gehör habe, aber mich stört es mächtig. ich war sehr unglücklich, und Du schwiegst
und schwiegst. – lund37 war gegen den kaukasus, weil da keine guten ohrspezialisten sind.
deswegen bin ich hier. wäre ich lieber gefahren.
ich werde jetzt jedes mal, wenn Du mir schreibst, zunehmen, denn so geht es ja nicht.
es wird schon alles gut werden.
schreibe mir bitte gleich. und oft. ja? bitte.
meine zärtlichkeit lasse ich an einer alten, grauen, hässlichen, hochschwangeren katze
aus, ich kraule ihr den kopf. sie knurrt dabei wohlgefällig. also gefällt kopfkraulen nicht
nur papageien.
immer noch sind hier über 20 grad kälte. ich friere sehr, aber nicht mehr so wie am
anfang.
alle unsere bekannten sind verreist, ausgenommen tretjakows, die ich nicht sprach und
von denen ich nichts weiss.
es wäre zu wunderbar, wenn wir nach london führen.38 aber mir ist es schon gleich, wo
wir sind, wenn Du nur bei mir bist. bloss nicht gern kopenhagen.

34 Nicht überliefert.
35 Stadt an der Nordseeküste im Südwesten Dänemarks.
36 Hilde Lützenhoff, eine Freundin Steffins aus der Berliner Wandersparte, die sie mehrmals in Däne-
mark besuchte.
37 Robert Lund (1886–?), dänischer Hals-Nasen-Ohren-Arzt, von 1928 bis 1936 mit Ruth Berlau verhei-
ratet.
38 Vgl. Anm. zu Steffin, 6.11.1935.
Jahrgang 1936 535

ich schicke Dir einen langweiligen gorki39 und ausserdem eine nummer der DZZ (die
lenin-nummer), in der an der besten stelle ein gedicht von Dir steht.40 ich habe es der zei-
tung gegeben.
schreib, wie Dir der platz gefällt.
hast Du keine neuen gedichte? wenn ja, schick mir doch bitte.
die „horatier“ sind gedruckt,41 Du kriegst bald ein exemplar. sie erscheinen ca. in 2
wochen,42 ebenfalls der roman. auf dem umschlag des romans ist ein fisch und 3 wellenli-
nien. ich wusste nicht gleich, was das heisst, aber .. „und der haifisch ...“
[Hs.: Das vorige Jahr habe ich so wenig gearbeitet, daß ich sehr betrübt bin, wenn es
dieses Jahr nicht eingeholt wird.
Übrigens gefallen hier – vor allem Reich – die „Horatier“ gar nicht. Was sagte Eisler?]
was gegen mein länger-dort-bleiben sprach, sage ich Dir, wenn Du bei mir bist. ich war
dort sehr verzweifelt. es hielt hier an und hörte erst auf, als ich die grippe bekam. übrigens
hatte ich auch schwierigkeiten mit der dortigen aufenthaltsverlängerung,43 denen konnte
ich bei sofortigem abreisen schluss machen, hatte die fahrkarte schon und wollte weihnach-
ten nicht dort sein. hier ists dann besser, da merkt man nichts, weil „drumrum“ nichts ist.
übrigens ist ja zum ersten male wieder der weihnachtsbaum für die kinder hier einge-
führt worden, allerdings zu neujahr.44
ich warte auf Deinen brief, nein, Deine briefe.
maschine schreiben darf ich nun doch ein bisschen. erst seit 3 tagen hat es der arzt er-
laubt, um mich zu „zerstreuen“.
wiedersehen, lieber bidi.

Überlieferung: Ts, hs. Erg.; RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z 13/113–116. – E: Steffin, Briefe, S. 170ff.

39 In Brechts Nachlaßbibliothek sind mehrere Titel Gorkis überliefert, darunter auch einige mit Besitz-
vermerk Steffins.
40 Auf Seite 1 der Deutschen Zentral-Zeitung vom 21.1.1936 findet sich unter der Überschrift „Das Werk
Lenins vollenden wir zum Triumph des Sozialismus unter der Führung Stalins“ auch Brechts Ge-
dicht Die unbesiegliche Inschrift (GBA 12, 39f.), dort unter dem Titel „Hoch Lenin!“ veröffentlicht.
41 Vgl. Anm. zu Benjamin an Steffin, Anfang Oktober 1935.
42 Vgl. Anm. zu Tretjakow, 7.6.1935.
43 Steffin war ihrer politischen Betätigung wegen im Dezember 1935 in Kopenhagen erneut von der
Staatspolizei verhört worden (vgl. BC, S. 466f. u. S. 396).
44 Aufgrund des vormals geltenden julianischen Kalenders wird Weihnachten in Rußland am Neu-
jahrstag gefeiert. Nachdem die Bolschewiki diesen Brauch zunächst als Ausdruck christlichen Aber-
glaubens und altrussischer Rückständigkeit verächtlich gemacht und den Verkauf von Weihnachts-
bäumen nach der Revolution verboten hatten, wurde er nun wieder zugelassen. Stalins Sekretär
Alexander Poskrjobyschew stellte im Dezember 1935 in einem Artikel in der Prawda die Frage, wa-
rum man den Arbeiterkindern die Freude des Tannenbaums geraubt habe.
536 Jahrgang 1936

Margarete Steffin an Bertolt Brecht


[Moskau] 22.2.1936

22.II.36
lieber bidi, ich war sehr froh, gestern Deine Stimme wieder zu hören. Es war ja schon spät,
wir müssen um 10 schlafen gehen und nach unserer Zeit kam das Gespräch um 11 Uhr, mit
3 Stunden Verspätung.
Ich war sehr krank. Es war sehr scheusslich. Am meisten, weil Du nicht schriebst. Ich
halte es nicht aus, wenn Du nicht bei mir bist, mir nicht schreibst, das ist sehr schlimm,
aber was soll ich da machen. es war schlimmer als nach der operation.45
warum kriegst Du keine post von mir?46 ich habe Dir nach svendborg ausser diesem 7
mal geschrieben, weil ich ja dachte, Du bist schon lange dort.
es gefällt mir überhaupt nicht sehr hier, ich möchte fort. nun ist die sache, wann Du
kommst? wenn Du in 4 wochen kommst, bleibe ich in moskau und warte auf Dich. wenn
sich’s aber verspätet, ist es ungünstig, weil März-April in moskau ein sauklima ist. dann
führe ich lieber in krim oder kaukasus.
london ist natürlich so herrlich, wie ich es lieber noch nicht ganz ausmalen will.47
was hier den film betrifft: die leute wollen ihn dann machen, wann es Dir passt.48 ich
sagte, evtl. würdest Du erst im herbst können (weil ich ja gar nicht wusste, wie lange Du
dort bleibst usw. usw.), sie waren einverstanden.
überhaupt lieben Dich ja die leningrader sehr. ich bin sehr dafür, dass Du mit ihnen
arbeitest, sie kommen Dir so weit es nur geht entgegen. was wohnung betrifft, was dort in
dänemark arbeiten betrifft, zeitpunkt usw. ich schreibe ihnen heute, dass Du näheres wis-
sen willst. wenn [es] also london wird, tust Du vielleicht besser, erst london und im herbst
sowjet-union?
[Hs.: Asja macht in Smolensk lettisches Kolchostheater. Borchardt lud mich ein zu sich, ich
wollte aber gern mit Dir zusammenfahren.49
Wann ist Ballett-Premiere in Kopenhagen?50

45 Steffin hatte sich 1935 einer Oberkieferoperation unterzogen.


46 „Und warum kriegst Du keine Briefe von mir? […] Und von Dir kommt auch nichts“ (B. an Steffin,
7.1.1936, GBA 28, S. 542).
47 Vgl. Anm. zu Steffin, 6.11.1935.
48 Hs. Erg.:: „am liebsten bald: im frühjahr“. Zu dem Filmprojekt vgl. Anm. zu Steffin, 7.2.1936.
49 Steffin wußte offenbar noch nicht, daß Borchardt, der seit 1934 in Minsk an der Universität gelehrt
hatte, von den sowjetischen Behörden inzwischen nach Deutschland abgeschoben worden war. Vgl.
Grosz, 12.2.1936.
50 Die Kopenhagener Premiere der Sieben Todsünden der Kleinbürger fand am 12.11.1936 statt. Harald
Landner inszenierte das Ballett unter dem Titel De syv Dødssynder am Königlichen Theater.
Jahrgang 1936 537

Schreibe bitte sofort, damit ich wegen März mich so bald, d.h. in diesem Falle so wenig
verspätet wie möglich verfrachten kann.
Laß uns bald zusammensein, bald ist es wieder Herbst.]
l b51

Was ist mit 7 Todsünden für Leningrad?52


Wenn Karin53 „Torelore“ vermietet, kann man dann meine Sachen aus Torelore wieder
ins Sommerhaus geben? Leiht sie mir’s noch mal?

Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg.; RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z13/117–118. – E: Steffin, Briefe, S.
172ff.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht


[Moskau] 24.2.1936

24.II.1936
lieber bidi, von dort geht luftpost kaum schneller als einfache post nach hier, heute bekam
ich deinen zweiten brief vom 20. bereits.54
zu schwejk:
aus irgendwelchen gründen, zusammenhängend mit der prager schriftstellerreise55,
habe ich von Pisc. gehört, soll ein „schwejk-film“56 unmöglich sein. über diese gründe ist
mir nichts bekannt, ich habe heute an tretjakow geschrieben, dass er Dir deswegen nach-
richt geben soll.
zu film an sich
mit piscator telefonierte ich heute. er lässt sagen, dass er nicht verschnupft sei, er habe
sich nur gewundert, dass Du vorschlägst, einen wolgafilm in dänemark zu machen.57 er rät
Dir sehr ab, mit „lenfilm“ zu arbeiten, da man dutzende male gehört habe, die leute lassen
sich manuskripte schreiben, zahlen sie auch, aber filmen dann nicht. ob diese auskunft ganz
objektiv ist, wage ich nicht zu beurteilen. ich schreibe Dir nur noch, dass er Dich herzlich

51 D.h.: „lieber bidi“.


52 In Leningrad wurde das Ballett damals nicht aufgeführt.
53 Karin Michaelis.
54 Nicht überliefert. Erhalten ist ein Brief vom 21.2.1936, den Steffin selbst datiert hat (GBA 28, S. 546).
55 Vgl. Steffin, 26.2.1936.
56 Vgl. Anm. zu Steffin, 7.2.1936; dazu Piscator, 1.8.1933.
57 Bezieht sich auf eine telegraphische Mitteilung Brechts. Der von Piscator geplante, jedoch nicht
realisierte Wolgafilm war konzipiert als ein Gegenentwurf zu dem NS-Film Friesennot. Ein deutsches
Schicksal auf russischer Erde (1935, Regie: Peter Hagen).
538 Jahrgang 1936

grüssen und Dir folgendes mitteilen lässt: von seinem filmaktiv ist hay ausgeschieden. da-
für ist Lania eingetreten, falls scharrer58 kommen kann, wird der auch mitmachen. auf je-
den fall aber, wenn Du gleich kommen könntest, würde er Dich noch, falls Du interessiert
bist, mit hineinnehmen können. ausserdem würde er, während an der Wolga an diesem
film gearbeitet wird, mit Dir ein weiteres filmbuch schreiben. da bin ich ja misstrauisch.
seinen wunsch die „künstlerkolonie“ betreffend, habe er Dir ausführlich geschildert, ant-
wort stehe aus.
tretjakow
habe ich nie gesehen.
der „dreigroschenroman“ kommt deutsch und russisch bald heraus.59
die dramenausgabe,
die wieland gleichzeitig mit der verlagsgen. Ausl. Arb. macht60, ist vorige woche in
druck gegangen. ein manuskript ist verloren gegangen, die „massnahme“, ich habe heute
das dritte mal an wieland geschrieben, ob er es noch dort hat und ihn gebeten, Dir oder
mir gleich zu antworten.
die „rundköpfe“ bei ochkloppkow.61
stenitsch hat vor 10 tagen die übersetzung abgeliefert62, aber noch keine antwort. vor ei-
niger zeit hat piscator von ochkloppkow eine andeutung gehört, ob er sie inszenieren wolle,
aber nie weiteres gehört. wera63 sagt, es hängt davon ab, wie „othello“64, den ochkloppkow
erst machen will, geht, wie die proben dazu fertig werden, ob das stück überhaupt geht usw.
ich schreibe an ochkloppkow auch, wenn ich nicht von tretjakow oder stenitsch, denen ich
geschrieben habe deswegen, antwort bekomme.
[Hs.: Wenn Du wegen Zeit- oder Porto-ersparnis immer mir schreiben willst, was zu erle-
digen ist, so ist das von hier aus einfach.]
pisc. wird diesen sommer an der wolga sitzen und drehen. sonst ist wohl nichts neues
hier.

58 Der Schriftsteller Adam Scharrer (1889–1948) ging 1933 ins Exil in die Tschechoslowakei, 1934 in die
UdSSR. Mitarbeiter der Internationalen Literatur und der Deutschen Zentral-Zeitung. Er übersiedelte
1945 nach Schwerin.
59 Eine deutsche Ausgabe erschien in der UdSSR im März 1936 bei der VEGAAR, eine russische Aus-
gabe in der Übersetzung von Stenitsch 1937 im Moskauer Staatsverlag.
60 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 6.6.1935.
61 Nikolaj Ochlopkow.
62 Vgl. Anm. zu Tretjakow, 7.6.1935; zu der geplanten Aufführung vgl. Steffin, 5.3.1936.
63 Möglicherweise die russische Schauspielerin Wera Janukowa, die damals an dem von Ochlopkow
geleiteten Realistischen Theater in Moskau arbeitete.
64 The Tragedy of Othello, the Moor of Venice (1603), Tragödie von William Shakespeare.
Jahrgang 1936 539

der schmückle65 lässt Dich grüssen. die „intern-literatur“ geht im april ein, mai schon
kommt dafür eine neue zeitung.66 schmückle wird nichts mehr damit zu tun haben, ich
möchte aber gern, dass von Dir schon etwas drinnen steht. hast Du irgendwelche neue
arbeiten?
hast Du die DZZ mit Deinem lenin-gedicht bekommen?67 es sieht schön aus, nicht?
sonst gibt es nichts neues. ich fühle mich wieder sehr wohl. „geredet“ wurde weiter
nichts, als dass Du eben mit der hauptmann in newyork zusammenlebtest.
warum hast Du nicht die briefe reklamiert? wenn sie eingeschrieben waren (ich schrieb
Dir, dass ich nur 2 bekommen habe) hättest Du vielleicht ein reicher mann werden können?
ach, bidi. [Hs.: Ist der eine aus Leningrad zurückgeschickt worden? Ich bekam ihn jeden-
falls trotz mehrfacher Nachfrage nicht ausgehändigt.]
dass von lou68 briefe verloren gingen, glaube ich nicht, ich glaube überhaupt nicht sehr
an briefe, die ihn nicht erreichten. einen habe ich bekommen und beantwortet.
ich kann das wort jetzt nicht schreiben, lieber bidi, ich muss erst mit Dir sprechen und
wieder bei Dir sein. ich muss soviel erst vorher sagen. aber ich habe immer sehr freundlich
an Dich gedacht, auch wenn ich geschimpft habe, weil – nochmals – Du nicht schriebst,
und ich brauche Dich sehr, mehr, als ich je dachte und als recht und billig ist.
[Hs.]
Nun geht es mir gut. Ich habe schon 2 Briefe von Dir aus Dänemark u. warte gierig auf
weitere. Und der chinesische Elefant fehlt direkt, weil es müssen 7 sein, wenn sie Glück
bringen sollen. Und das Weihnachtspaket hat sich auch gemeldet. Und meine Schwester69
auch. Und ich habe Dich sehr gern. Deine Grete lieber bidi
Ich bin freundlich

Schreibe, ob Du die 400 Goldrubel vom Staatsverlag bekommen hast, sonst muß ich sie
gleich reklamieren. Jouof versprach, sie am 15. Februar zu schicken.

65 Der vormals als Redakteur verschiedener KPD-Zeitungen tätige Karl Schmückle (1898–1938) lebte
bereits seit 1925 in Moskau und arbeitete dort am Marx-Engels-Institut bis zu dessen „Säuberung“
1931. Danach Redakteur der Deutschen Zentral-Zeitung, 1934 bis 1936 der Internationalen Literatur.
Im August 1936 wurde er in der Literaturnaja Gaseta als „Parteifeind“ denunziert und kurz darauf
aus der KPdSU ausgeschlossen, im Herbst 1937 verhaftet, im Januar 1938 wegen „Spionage“ zum Tod
verurteilt und hingerichtet. Vgl. Säuberung, S. 76ff.
66 Mit der neuen Zeitung ist offenbar Das Wort gemeint (vgl. Bredel, 9.5.1936). Die Internationale Lite-
ratur erschien, anders als Steffin vermutete, noch bis 1945. Seit 1936 wurde sie, unter der Redaktion
Johannes R. Bechers, von der deutschen Sektion des sowjetischen Schriftstellerverbands herausgege-
ben (Herausgeber der Jahrgänge 1931 bis 1935 war die MORP).
67 Vgl. Anm. zu Steffin, 20.2.1936.
68 Louise Jolesch.
69 Herta Hanisch.
540 Jahrgang 1936

Kannst Du nicht auf jeden Fall schon wegen Visum anfangen?70 D.h. am besten ginge
es vielleicht über Kolzow? Willst Du Dich einladen lassen? Du bist nicht so sehr reich hier.
Wiedersehen bidi lb lb lb lb lb lb lb lb lb lieber

Überlieferung: Ts, hs. Erg.; RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z13/119–122. – E: Steffin, Briefe, S. 174ff.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht


[Moskau] 26.2.1936

26./II.36
Lieber bidi, ich habe Dir einen ganzen Tag nicht geschrieben, darum muß ich wieder
schreiben.
Ich hörte ausführlich von Pisc.:
Die Sowjet-Schriftsteller waren in Prag. Ihnen zu Ehren wurde „Schwejk“ aufgeführt
u. wegen einer Verfilmung angefragt. Die Schriftsteller lehnten das ab, da „Schwejk“ jetzt
nicht tragbar sei. Pisc. glaubt aus diesem Grunde nicht, daß man ihn hier machen wird.71
Die Leute werden ja bald antworten. Ich hatte ihnen Bescheid bis zum 14. versprochen,
konnte aber erst am 23. nach Erhalt Deines Briefes antworten. Jedenfalls telegrafiere ich
Dir dann sofort.
Wieland schrieb jetzt, daß er die „Maßnahme“ auch nicht hat. Ich besinne mich, daß
wir sie damals nicht schickten, weil Wieland glaubte, die Veegar72 hat sie schon. Bitte
schicke so schnell wie möglich ein Exemplar. Hoffentlich sind Deine Änderungen damals
angekommen, danach habe ich mich noch einmal erkundigt. Man muß eilen, weil der
Verlag den Satz beginnen läßt.
Hast Du eigentlich mein Weihnachtsgeschenk (einige Fotos von Stühlen u. einer alten
Frau) bekommen? Sie sollten in Sk.73 sein, im großen Koffer, den ich von Kopenhagen aus
schickte.

70 Brecht schrieb: „Ich denke, daß es Mitte, bis Ende April wird, bis ich hinüberkommen kann“ (B.
an Steffin, 26.2.1936, GBA 28, S. 548). Diesen Plan ließ er jedoch bald fallen. Statt dessen fuhr er im
März 1936 auf Einladung Kortners zur Filmarbeit nach London, wo ihn Steffin im Mai besuchte (vgl.
Anm. zu Steffin, März 1936).
71 Vgl. Anm. zu Steffin, 7.2.1936; dazu Piscator, 1.8.1933.
72 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 6.6.1935.
73 Skovsbostrand.
Jahrgang 1936 541

Annenkova74 läßt Dich grüßen u. sehr bitten, den Wolgadeutschen Bauern ein Lied zu
schreiben.75 Sie würde es gern in der DZZ veröffentlichen. Busch hat Deine Lieder an der
Wolga gesungen u. sie sollen einen Riesenerfolg gehabt haben. Material über die Wolgare-
publik geht Dir zu.
In Moskau u. Leningrad ist eine böse Grippe-Epidemie. Auch hier steckt immer einer
den andern an. Hoffentlich macht mich die alte, die noch nicht ganz überwunden ist,
immun.
Sonst geht es mir gut. Ich habe etwas zugenommen. Maria76 ist zurück von der Wolga u.
brachte mir Obst, Butter, Käse u. andere gute Sachen. Sie ist besonders nett zu mir.
Tretjakow schreibt mir aber, daß ihm nicht klar sei (er war doch mit in Prag) warum
„Schwejk“ untragbar sei. Sendet Grüße u. bittet, ihm zu schreiben. Alte Adresse. Ich lege
Kouvert bei. Ich schrieb ihm, aus NY seien Deine Briefe verloren gegangen, sicher auch an
ihn. Schreib ihm, er ist sonst verstimmt.
Wann bist Du endlich da?
Es ist schon so sehr lange her, bidi
Hast Du kein Sonett mehr geschrieben?
Wiedersehen sehr lieber bidi

Überlieferung: Ms, RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z13/123–125. – E: Steffin, Briefe, S. 178f.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht


[Moskau] 4.3.1936

4.III.1936
lieber bidi, eben bekomme ich deinen brief mit bild.77 vielen dank dafür. das bild ist aber
nicht ganz richtig. oder bist Du das jetzt?
ich habe einen langen brief an Dich angefangen, über „schwejk“ nochmals usw. ich
schicke ihn aber erst morgen ab, da heute nachmittag zu mir stenitsch kommt, wie er sagt,
mit neuigkeiten, die auch alles in dem brief erwähnte betreffen.
von mir habe ich leider kein bild, nur ein ganz grosses, was ich meiner schwester schic-
ken wollte. aber vielleicht schicke ich es doch Dir. bloss es ist so gross und auch nicht gut.

74 Julia Iljinitschna Annenkowa (Julija Il’inična Annenkova) war von 1934 bis zu ihrer Verhaftung 1937
Chefredakteurin der Deutschen Zentral-Zeitung in Moskau. Sie erhängte sich in einem Straflager in
Magadan.
75 Ein solches Lied hat Brecht anscheinend nicht geschrieben.
76 Maria Osten.
77 Nicht genau zu ermitteln. Vgl. B. an Steffin, 26.2. und Anfang März 1936, GBA 28, S. 548f.
542 Jahrgang 1936

der „dreigroschenroman“ ist also fertig. in den nächsten tagen ist er im handel (die
deutsche ausgabe, auch die russische hat stenitsch abgeliefert)78 ein exemplar kostet 7,75
rubel, ziemlich teuer. der verlag gibt Dir 10 freiexemplare, aber ich werde noch zukaufen.
jetzt schreibe mir bitte: wieviel exemplare willst Du nach sv.79 haben, wem soll ich von hier
aus direkt als drucksache eines schicken? (von hier ist es ja billiger und für Dich bequemer?)
genaues über alles geschäftliche also morgen!!
wiedersehen.

[Hs. auf der Rückseite:]


l.b.
kannst Du nicht das Wort schreiben,
auch wenn es mir schwer
fällt? Es fehlt mir sonst
sehr. Schreib es immer, ja?
Deine Grete.
Ich schicke Dir das Bild.
Aber ich bin jetzt viel
dicker im Gesicht als
darauf. Es ist auch
verwackelt, die Augen
sind schlecht, b
Lieber
finde ein Wort für
ich habe Dich sehr lieb
das muß ich von der
Reise telegrafieren, da
gehen ja Briefe
wieder so
lange.

Überlieferung: Ts, hs. Erg.; RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z13/126–127. – E: Steffin, Briefe, S. 178f.

78 Vgl. Anm. zu Steffin, 24.2.1936.


79 Svendborg.
Jahrgang 1936 543

Walter Benjamin an Margarete Steffin


Paris, 4.3.1936

Dr. Walter Benjamin Paris, den 4. März 1936


23, Rue Bénard

Liebe Grete Steffin,


Ich habe mich wirklich sehr gefreut, dass diesmal eine ausführliche Nachricht von Ih-
nen gekommen ist,80 nach der ich mir über Vieles was mich interessiert ein besseres Bild
machen kann als bisher – oder richtiger gesagt: ein genaueres.
Denn ein b e s s e r e s erwarte ich, jedenfalls was Ihr Befinden angeht, von Ihrer näch-
sten Nachricht. Vor allem wünsche ich Ihnen, dass Sie recht bald in den Kaukasus kom-
men. Als ich damals in Moskau war stand das Thermometer auch immer um 30 Grad unter
Null; und ich weiss heute noch wie ich manchmal vor Schwäche auf den vereisten Strassen
nicht wusste wie ich den nächsten Torweg erreichen sollte, um mich da gegen die Wand
zu lehnen.
Etwas komfortabler werden die Strassen von Moskau inzwischen, denke ich, wohl ge-
worden sein. Also darf ich vielleicht ohne schlechtes Gewissen auf Ihre Bereitwilligkeit zu-
rückkommen, wenn Sie nach Moskau hereinkommen, sich meines bei Reich befindlichen
Manuskripts anzunehmen.
Der französische Text der Arbeit, deren deutscher bei Reich ist befindet sich augen-
blicklich im Druck und wird in der „Zeitschrift für Sozialforschung“ erscheinen.81 Stuart
Gilbert82, der Übersetzer von Joyce, bemüht sich zur Zeit in London um einen englischen
Übersetzer. Natürlich wäre mir ausserordentlich viel daran gelegen die Arbeit in Russland
erscheinen zu sehen. Und warum das natürlich ist werden Sie verstehen wenn Sie sie gelesen
haben. Ich bitte Sie sehr darum das zu tun.
Sie werden danach besser als ich sehen können ob die Arbeit in Russland Publikati-
onschancen hat. Ich denke mir darüber, unmassgeblich, das Folgende: Die Fragestellung
von der ich ausgehe müsste in Russland auf das grösste Interesse stossen. Gegen meine Me-
thode sehe ich vom Standpunkt der materialistischen Dialektik keine Einwände. Dagegen
lasse ich dahingestellt, wie weit man in den Schlussfolgerungen mit mir übereinstimmen
wird.

80 Vgl. Brief an Benjamin vom 18.2.1936 in: Steffin, Briefe, S. 167ff.


81 Eine gekürzte französische Fassung des Aufsatzes „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen
Reproduzierbarkeit“ erschien 1936 unter dem Titel „L’œuvre d’art à l’époque de sa reproduction
mécanisée“ in der Zeitschrift für Sozialforschung (deutsche Fassungen in BGS I, S. 431–508, und BGS
VII, S. 350–384).
82 Der englische Schriftsteller und Übersetzer Stuart Gilbert (1885–1978) hatte gemeinsam mit Auguste
Morel und Valery Larbaud das dritte Kapitel des Romans Ulysses (1921) von James Joyce ins Franzö-
sische übertragen. Der Text war im August 1928 in der Nouvelle Revue Française erschienen.
544 Jahrgang 1936

Einen Brief, den mir Reich am 19. Februar schrieb, möchte ich zur Beurteilung dieser
letzten Frage nur sehr bedingt heranziehen. Ich glaube ich tue gut, Sie zu bitten ihm ge-
genüber über diesen Brief garnicht oder nur ganz oberflächlich informiert zu sein. Er ist
ablehnend; und zwar auf unfruchtbare Art.
Methodische Einwände erhebt Reich nirgends. Und aus dem Brief geht nur hervor, dass
ihm die Sache ‚zu weit‘ geht; dass es sich wohl ‚nicht ganz so‘ verhalten dürfte, usw. Sein
Brief ist keine Grundlage für die Diskussion und ich weiss noch nicht recht was ich ihm
antworten werde. Aber die Antwort eilt wohl nicht.
Sie eilt umso weniger als Reich wahrscheinlich, selbst wenn er es wollte, nicht allzu-
viel für die Veröffentlichung der Arbeit würde tun können. Mir wäre daran gelegen, dass
Tretjakow die Arbeit zu lesen bekommt. Das war von vornherein Dudows Vorschlag der
von der Sache sehr viel hält und mir gleich voraus sagte, dass Reich nicht auf sie einge-
hen würde. Ich vermute, dass Sie Tretjakow gut kennen und ihm das Manuskript geben
könnten. Bei alledem wäre mir sehr daran gelegen, dass sich das Manuskript nicht verliert.
Vielleicht ist sein Erscheinen in Russland nur eine Zeitfrage.
Was den deutschen Text betrifft so würde ich ihn gern in der „Internationalen Litera-
tur“ gedruckt haben. Zu diesem Zweck werde ich ihn mehreren Genossen vorlesen, mit
denen ich darüber diskutieren werde. Auf der Grundlage dieser Diskussion wird dann eine
öffentliche Verhandlung im hiesigen Schriftstellerschutzverband anberaumt werden.
Ich freue mich sehr, dass der Dreigroschenroman in Russland Erfolg hat. Die französi-
sche Übersetzung ist leider noch nicht erschienen. Wenn Sie Brecht sprechen, so sagen Sie
ihm bitte, dass ich gern von ihm eine Vollmacht hätte wegen des Erscheinens einzelner klei-
ner Sachen – vor allem der Keuner-Stücke – in französischen Zeitschriften zu verhandeln.
Ich werde in der nächsten Zeit ohnehin mit mehreren Leuten zu tun haben, die bei hiesigen
Redaktionen massgebend sind und gewisse Sachen von Brecht vielleicht verhältnismässig
leicht unterbringen können.
Es wäre schön, wenn wir uns im Sommer zu Dritt sähen. Wenn ich dieses Jahr wohl
kaum so lang wie vor zwei Jahren von Paris werde fortbleiben können (schon weil ich meine
gegenwärtige Behausung nicht aufgeben möchte) so hoffe ich doch sehr auf mehrere Wo-
chen herüberzukönnen. Inzwischen steht es dann hoffentlich mit Ihrem Ohr so, dass man
gegebenenfalls auch etwas hineinflüstern könnte.
Schreiben Sie mir recht bald! Vergessen Sie nicht, wieder ein Kuvert beizulegen.
Grüssen Sie Asja83 und sagen Sie ihr, dass ich auf einen Brief von ihr ungeduldig bin.
Erzählen Sie ihr auch, dass ich ein grosses Paket Lebensmittel von Kirschon (im Rahmen
der Spende Sowjetrussischer Schriftsteller für deutsche Kollegen) bekommen habe, dass
ich Kirschon persönlich dafür danken will; und dass ich zu diesem von ihr ein oder zwei
Stücke von Kirschon oder – wenn nichts von ihm deutsch zu haben ist – wenigstens ein

83 Asja Lacis.
Jahrgang 1936 545

paar Informationen über ihn erbitte. Vielleicht kann sie ihm auch meinen Dank persönlich
sagen; das wäre das Beste.
Sehr herzliche Grüsse

Überlieferung: TsD, BBA 2169/3–4. – E: Benjamin, Briefe, Bd. V, S. 253ff.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht


[Moskau] 5.3.1936

5./III. 36
lieber bidi
gestern habe ich also sehr lange mit Stenitsch gesprochen. Die Lage der „Rundköpfe“
schildert er so:
In Leningrad wollte die „Musik-Hall“ u. in Moskau Ochkloppkow sie aufführen. Nach
dem Beginn der großen Diskussion über Formalismus84 hat Musik-Hall abgesagt. Och-
kloppkow hat zwar mal im Scherz gesagt: „Stellen Sie sich vor: Brecht – Ochkloppkow u.
dazu noch Eisler! Untragbar.“ Aber sich noch nicht fest geäußert. Überhaupt soll, wie Ste-
nitsch – auch andere – behaupten, zur Zeit die Erwähnung „Musik von Eisler“ Schrecken
hervorrufen. (In Moskau kommt die Geschichte mit der Filmmusik hinzu, die man ihm
mächtig übel nimmt. Hast Du gehört davon? Er hatte für den Wangenheim-Film Musik
versprochen, Kontrakt gemacht u. 3000 Vorschuß erhalten. Dann meldete er sich lange
nicht. Endlich schickte er eine Partitur. Auf dem Kopf der ersten Seite war etwas – wie es
schien, ein Titel – abgerissen. Später habe man es als die Abdull-Hamned Musik85 erkannt.
Ob es stimmt, weiß ich nicht, jedenfalls nehmen es alle hier an u. schimpfen sehr auf ihn. –
Übrigens ist auch das Musikbüro geschlossen.86 – Ich schrieb ihm, Lou87 antwortete etwas
verschnupft, er wisse, was er tue, u. das sei aus der neuen Symphonie usw.)

84 Die erste Kampagne gegen den in der UdSSR bereits seit den 1920er Jahren beanstandeten „For-
malismus“ begann im Januar 1936, als der Oper Lady Macbeth von Mzensk (Ledi Makbet Mcenskogo
uezda, 1934) von Dmitri Schostakowitsch in einem namentlich nicht gekennzeichnetenn Artikel in
der Pravda vom 30.1.1936 vorgeworfen wurde, sie sei „nur für Ästheten und Formalisten, die den
gesunden Geschmack verloren haben, genießbar“; dergleichen Vorwürfe wurden fortan gegen zahl-
reiche avantgardistische und im weitesten Sinn moderne Künstler und Schriftsteller erhoben.
85 Vgl. Anm. zu Eisler, 11.4.1934. Steffin verwechselte hier offenbar den Filmtitel Abdul the Damned mit
Abdul Hamid, dem Namen des Protagonisten.
86 Hs. Erg.: „wegen Liquidierung der Mort“. Im Zuge des Umbaus weiterer Komintern-Organisationen
sollte das Moskauer Büro der MORT nach Prag, später nach Paris verlegt werden. Steffin hatte da-
von vermutlich durch Piscator erfahren, offiziell wurde dieser Beschluß erst im Mai 1936 gefaßt.
87 Louise Jolesch.
546 Jahrgang 1936

Also weiter mit Stenitsch: Er erzählt, daß die Moskauer Musik-Hall in ein Volkstheater
umgewandelt wurde, u. Ochkloppkow ist zum künstl. Direktor ernannt. Natürlich würde
er dort (u. nirgends) die Rundköpfe nicht machen. Jetzt lässt er sich mal verleugnen, so
oft Stenitsch anruft. Also an eine Aufführung glaubt niemand. (Pisc. soll einen Auftrag
von Scharkow88, die Rundköpfe dort zu inszenieren, vor einiger Zeit abgelehnt haben. Ich
werde ihn fragen, wenn ich ihn spreche.)
Beim Verlag: Roman-Übersetzung ist abgeliefert. Er wird „bald“ kommen.89
„Rundköpfe“ bringen sie, aber die andern beiden Dramen nicht. Für die Übersetzung
der „R. u. Sp.“ hatte man mit Kirssanow90 Vertrag abgeschlossen u. ihm 5000 Vorschuß
gezahlt. Er lieferte keine Zeile u. man ist jetzt an Stenitsch herangetreten, der natürlich
heilfroh ist, wenigstens etwas zu verdienen mit der Arbeit. Um die 5000 mit Kirssanow
verrechnen zu können, wird Kirs die 12 Lieder aus den „R+Sp“ machen, die, wie er später
eingestand, Stenitsch sowieso nicht fertig hat.
Ich weiß nicht, wie Du dazu stehst, schreibe mir gleich an Asjas91 Adresse:
Stenitsch u. ich sind der Meinung, daß man von Ochkloppkow unbedingt das Honorar
fordern soll, er hat ja schließlich die Arbeit abgenommen.
Im übrigen sagte „mir privat“ Stenitsch, daß er meint, es habe nicht viel Zweck, wenn
Du jetzt kommst. An den „Schwejk“ glaubt er deshalb nicht, weil die Jungens angeblich
nur mit Deinem Namen renommieren wollen. – ? – Jedenfalls kommt der „Lenfilm“-Ver-
treter übermorgen nochmals her u. ich werde mit ihm sprechen.92
Pisc. möchte gern, daß Du bald kommst. Hättest Du Lust zu dem Wolgabauern Film?93
Allerdings soll er bis zum 7. Nov. 1936 fertig sein, was Pisc. ja nie schaffen wird.
Das 2. Künstlertheater ist aufgelöst u. das Gebäude dem Kindertheater übergeben wor-
den.94
Ich hoffe zwar, daß ich schon weg bin, bis Antwort von Dir hier sein kann, aber auf
alle Fälle schreibe doch gleich, vielleicht krieg ich sie noch u. sonst schickt sie ja Asja sofort
nach.

Überlieferung: Ms, RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z13/128–131. – E: Steffin, Briefe, S. 181ff.

88 Charkow. Stadt im Nordosten der Ukraine, seinerzeit mir einem großen deutschsprachigen Bevöl-
kerungsanteil.
89 Vgl. Anm. zu Steffin, 24.2.1936.
90 Semjon Isaakowitsch Kirsanow (Semën Isaakovič Kirsanov, 1906–1972), russischer Schriftsteller.
Vgl. Anm. zu Tretjakow, 7.6.1935.
91 Asja Lacis.
92 Vgl. Steffin 7.2.1936.
93 Vgl. Anm. zu Steffin 24.2.1936.
94 Das Zweite Moskauer Künstlertheater war 1913 von Konstantin Stanislawski unter dem Namen
Erstes Studio des Moskauer Künstlertheaters initiiert worden. Letzteres, auch Tschechow-Künstler-
theater genannt, hatte Stanislawski gemeinsam mit Wladimir Nemirowitsch-Dantschenko bereits
1897 gegründet. Das Gebäude befindet sich in der Nähe der Twerskaja-Straße im Zentrum Moskaus.
Jahrgang 1936 547

George Grosz an Elisabeth Hauptmann


New York, 6.3.1936

6 March 36 40 – 41 221 Street Bayside Lg. Island

Liebes Frl. Hauptmann,


Ich soll Ihnen im Auftrage von Bertie folgendes mitteilen: unser Freund Borchardthans
musste vor ungefähr anderthalb Monaten die Sowjetunion verlassen,95 wie er mir sofort aus
Berlin schrieb, schob man ihn innerhalb 24 Stunden ab......Geld für Billette undso musste
er sich beim polnischen Consulat besorgen.......alles ging überraschend und mit gelinder
Gewalt. Was er „verbrochen“ hat, weiss er selbst nicht, ein dortiger Commissar der die-
sen Fall behandelte verweigerte jede weitere Auskunft, nur meinte dieser, es müssen schon
„bestimmte“ Gründe vorliegen, weil man dem Ausgewiesenen nur 24 Stunden Zeit gab.....
nichts weiter wurde ihm gesagt...... (so schrieb er mir) Ich nehme an, dasz unser lieber Han-
semann seine scharfe Zunge nicht recht im Zaum gehalten hat.....und wahrscheinlich die
dort sonst hochgepriesene Freiheit der Rede gar arg überschätzt hat. Jedenfalls schob man
ihn ohne weiteres nach Deutschland zurück! Nun sitzt er in Berlin und ernährt sich durch
die Hilfe eines jüdischen Comitées......thats all.......vorläufig. Da er sehr in Not ist, sandte
ich zuerst einmal Geld telegrafisch an seine dortige Adresse, das hat er auch bekommen.
Versuche weiterhin ihm hier eine Lehrerstellung zu verschaffen. Als Lehrer ist er über den
Durchschnitt und tüchtig.
Ich nehme an, dasz somit auch ihre Verbindung nach Minsk und eine dortige Stellung
wohl kaum noch in Frage kommen wird....... denn da ja im Vaterlande des Proletariats
eine gewisse Beschränkung besteht, so dürfte es empfehlenswert sein für Sie liebes Frl. sich
überhaupt nicht mehr auf einen solchen „gefährlichen“ Sünder.....ja (um Himmelswillen
wohl gar) Conterrevolutionär zu berufen.96 Nehme selbstverständlich an, dasz derlei Dinge
niemals „aufgeklärt“ werden..... wer hätte auch, wo der Vordergrund so enorme gewaltige
Grösse hat, ja wer hätte da noch Interesse einen Fall eines jüdischen Schulmeisterleins „auf-
zuklären“..........
Ich gebe Ihnen jedenfalls den freundschaftlichen Rat, sollten Sie jemals nach Russland
kommen, ja recht aufzupassen, loben sie nur fleissig auch wenn sie hie und da erstaunt sein
werden.......... halten Sie ihre Zunge schön in Zaum, ansonsten trifft sie noch womöglich
dasselbe Schicksal.
Sie sehen das „Schicksal“ trifft nicht nur ganz Grosse es trifft auch gelegentlich den
ganz Kleinen. Womit ich schliesse, Ihnen fernerhin alles gute Gelingen wünschend, und
schreiben Sie einmal, kommen Sie hier durch, geben Sie bitte einen ring......
stets Ihr

95 Vgl. Grosz, 12.2.1936.


96 Vgl. Anm. zu Borchardt, 21.8.1935.
548 Jahrgang 1936

[Hs. Erg. von Brecht:]

in diesem fall wäre es nicht schlecht,


wenn du vielleicht katz anriefest, der
unter dem namen braun in NY
Susquehanna 7/7819 zu erreichen ist
(morgens und abends). teil ihm den
fall mit und sprich von der notwendig-
keit, daß er aufgeklärt wird.

Überlieferung: Ts, The Houghton Library of the Harvard College Library. – Dv: TsD (mit hs. Notiz
Brechts), BBA E17/3. – T: Grosz, Briefe, S. 238f.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht


[Moskau] 10.3.[1936]

10./III.
lb
jetzt bin ich wieder 6 Tage ohne Post. Das kommt mir schrecklich lange vor. Vielleicht
bist Du in Kopenhagen? Von da pflegst du mir ja nie zu schreiben. Warum nicht?
Die beigelegten Kuverts nach Abastuman97 gelten erst, wenn ich Dir die Abfahrt nach
dort telegrafiere. Es ist noch nicht fest.
Geht es Dir gut? Immer noch wünsche ich, daß es Dir sehr gut geht u. wünsche ich mir
eine gute Zeit mit Dir. Aber ich kann nicht noch einmal so lange warten.
Es ist neblig u. ich habe einen Schnupfen.
Sonst geht es wie immer.
Wiedersehen.
Der Kalender von Dir ist nicht eingetroffen.
Hat Dir die L.98 nicht geantwortet? Ich höre nichts von meiner Mutter u. meiner Schwe-
ster.
Maria fragt nochmals, ob Du in ihre Redaktion eintreten willst.99 Sie wird Dir heute
schreiben.

Überlieferung: Ms, RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z13/132–133. – E: Steffin, Briefe, S. 183f.

97 Abastumani. Kurort im Kleinen Kaukasus in Georgien, in dem sich Steffin bereits 1934 aufhielt.
98 Hilde Lützenhoff.
99 Maria Osten hatte sich nach Brechts Mitarbeit in der Redaktion der Zeitschrift Das Wort erkundigt.
Vgl. Anm. zu Bredel, 9.5.1936.
Jahrgang 1936 549

Margarete Steffin an Bertolt Brecht


[Moskau] 24.3.1936

24.III.1936
lieber bidi, am 21. märz hatte ich einen einsamen geburtstag. ich bin nun schon 28 jahre
alt, das ist ja furchtbar – piscator ist schwer beleidigt, dass er Dich gestern nicht sprechen
konnte. er will Dich unbedingt auch anrufen. wenn ich bloss wüsste, wie es so mit Dir ist?
lieber bidi, ein halbes jahr ist eine schrecklich lange zeit. und es ist sehr schön und sehr
schrecklich, wenn Deine stimme so nah ist und Du bist so weit.
jetzt will ich der reihe nach und doch wahrscheinlich durcheinander alles erzählen.
jetzt gestern wollten alle mit Dir sprechen, sie warteten am telefon und ich war nervös.
hoffentlich geht es heute besser.
lenfilm. die leute schätzen Dich sehr. Sie wollen mit Dir entweder den schwejk oder
einen horst-w. film100 machen. (von dem letzteren projekt weiss hier niemand.) überhaupt
kennen sie Deine arbeit sehr genau, haben vieles von Dir gelesen und wollen Dich nur
für filme mit ausserrussischen sujets. das wäre ja doch sehr schön? am liebsten wollen sie
eine reihe von filmen mit Dir machen. pisc. behauptet, dass von höchster stelle nur noch
meschrabpom101 erlaubt wird, ausserrussische sujets zu verfilmen, aber auch er sagt, dass
Du unbedingt annehmen sollst, wenn sich alles ver- und besprochene alles als wahr heraus-
stellt. – das honorar wird 25000 rubel sein, wie bei meschrabpom, eher höher, die zahlen
nicht mehr so viel. mir ist es bei den verhandlungen so gegangen: sie schickten erst reichlich
geld, telegrafierten, sandten maschine an den wagen usw. und dann aber hat irgendein
buchhalter (warum hängen buchhalter in aller herren länder so an dem geld, das nicht
ihnen gehört, und versuchen auch hier, lieber nach 2 wochen auszuzahlen, wenn sie doch
sowieso zahlen müssen?) mit mir blöd verrechnet. ich bekam zimmer und fahrkarte und 20
rubel spesen pro tag und das ist wieder sehr wenig, denn ein frühstück in dem hotel kostet
mindestens 8 rubel. das sah schäbig aus und war natürlich auch zu wenig, aber ich hatte
keine zeit mehr, krach zu machen, weil mein zug wieder ging, wenn ich zurückkomme, soll
ich dann (da ich die leute sowieso sehe) sagen, dass diese art der verrechnung die befürch-
tung nahelegt, dass auch später nicht alles „so“ wunderbar ist?
am liebsten wollen sie, dass Du bereits im mai herkommst und mit ihnen arbeitest, sie
warten aber auch, bis Du zeit hast. es würde mit Dir eine art studio gebildet werden. sie
sehen aus wie lernbegierige schüler, wenn sie von Dir sprechen, und betonten, dass ihnen
vor allem gefallen hat, dass Du so ganz kamerad seist nach allem, was man von Dir sieht
und wie Du Dich unter leuten gibst.

100 Vgl. Die Horst-Wessel-Legende (GBA 19, S. 381–389). Steffin hatte eine Abschrift der dritten Fassung
angefertigt. Verfilmt wurde der Stoff allerdings nicht. Zum Schwejk-Projekt vgl. Anm. zu Steffin,
7.2.1936; dazu Piscator, 1.8.1933.
101 Vgl. Anm. zu Piscator, 1.8.1933.
550 Jahrgang 1936

wolgafilm:102 pisc. hat pech gehabt: auch lania wird das drehbuch nicht schreiben, aus
gründen, die verschleiert sind. nun will man doch wieder den scharrer holen. ausserdem
möchte er gern Dich haben. er hatte sich fest verpflichtet, am 15. märz das fertige drehbuch
und am 9. nov. den fertigen film abzuliefern. es geht natürlich nicht. nach wie vor will er
ausserdem mit Dir an die wolga gehen, um dann die andern anzulocken. aber da sehen alle
noch schwarz. und nun wird er mal wieland103 auf 5 tage hinschicken (der ist grad hier),
dann will er Dich sollst Du von der wolga eingeladen auf dauernd lassen, das gebiet und
die arbeitsmöglichkeiten zu besichtigen. das wäre vielleicht interessant, aber bequemer und
unverbindlicher ist, annenkovas einladung anzunehmen: die schickt wieder im mai unge-
fähr eine DZZ-brigade an die wolga, da möchte sie Dich gern dabei haben. dann fährt man
nämlich im eigenen waggon, das ist angenehm.
schreibe ihm doch mal zu seinem grossen projekt.
maria104 nennt Dich also dann in der redaktion der neuen zeitschrift, die leider „das
wort“ heissen wird, („leider“ von mir)
tretjakow nimmt mir übel, dass Du ihm nicht schreibst. er hat sich in 3 wochen nicht
einmal am telefon sprechen lassen. dabei habe ich ihm sagen lassen, er möchte mir nur
mitteilen, ob er die leute kennt, die mit Dir arbeiten wollen.
wolga: die leute, die unten waren (heller, maria, busch105 usw.) erzählen folgendes: en-
gels, wo Ihr wohnen sollt, ist ein städtchen von 60000 einwohnern. mit langen, schmut-
zigen strassen ohne asphalt zum grössten teil. das theater alt und unheimlich primitiv. so
einstöckige häuser (weniger mehrstöckige) natürlich ohne wc. im sommer kollossal staubig.
für einige zeit wollen sich einige verpflichten, aber natürlich nicht für die dauer. – man
befürchtet natürlich, was reich schon sagte, bei so engem zusammensein kräche, riesen-
intriguen usw. aber pisc ist das eine herzensangelegenheit, man kann nicht geradeaus mit
ihm sprechen, schreibe auch Du „teilnahmsvoll“.
diese kurzen notizen diktiert eben pisc am telefon: lieber brecht, ich will das ganze
nur kurz rekonstruieren. damals telegrafierte ich um Deine mitarbeit, Du telegrafiertest
zurück, Du könntest erst ab 15. januar, und in dänemark. das ging nicht, Du musstest ja
natürlich für so einen film die verhältnisse an ort und stelle kennen lernen. ich habe also
leider auf Dich verzichten und hay heranziehen müssen. aber da hay ganz auf selbständige
arbeit bestand, ohne was davon zu verstehen, zankten wir uns. ich bekam den befehl, es
trotzdem weiter mit ihm zu versuchen, aber ich verlor dadurch nur weitere 3 4 wochen.
scharrer traf nicht ein, da er verlangte, dass wir ihm von moskau aus sein gepäck von wie-
senthal (irgendwo da unten) nach odessa schaffen sollten. scharrer ist prinzipiell vorgesehen

102 Vgl. Anm. zu Steffin 24.2.1936


103 Wieland Herzfelde.
104 Maria Osten. Vgl. Steffin, 10.3.1936, dazu Anm. zu Steffin, 24.2.1936
105 Otto Heller, Maria Osten, Ernst Busch. Die Rede ist von der deutschen Künstlerkolonie in der Stadt
Engels. Vgl. Anm. zu Steffin, 7.2.1936.
Jahrgang 1936 551

worden. dann kam lania. wir arbeiteten etwas zusammen, aber 1) muss er jetzt wegfahren
und 2) kann er äusserer umstände wegen nicht weiter mitarbeiten.
mein neuer vorschlag ist: unbedingt mit scharrer arbeiten. ich dachte, dass Du so mitte
april hier sein und mit mir runterfahren könntest. was wir uns damals alles träumten, ist bei
der meschrabpom nicht möglich, aber dort unten kann es vielleicht verwirklicht werden.
wir könnten dort das theater und eine filmproduktion aufbauen. hast Du meinen lan-
gen brief bekommen? antworte endlich mal. das kombinat, das mir vorschwebt, ist in die-
sem jahre natürlich nur z. t. erfüllbar. zugesagt haben granach, neher, busch (busch sagt, es
stimme nicht ganz, nur prinzipiell sei zugesagt, ausserdem seien sie alle hier fest engagiert,
wollen aber auf einige monate runter. in klammern füge ich alles zu) ich denke auch an
die leute von zürich. wie ist es mit weigel? aber von vornherein muss man sich klar sein: es
geht nur, wenn man den dauersitz in engels aufschlägt!! sonst mache ich nicht mit. man
muss ganz hinziehen und dort fest wohnen. (dann muss man evtl. nach 6 monaten die
russ. staatsbürgerschaft annehmen) die basis dort ist ganz gut. z.b. ist eine neue druckerei
da, die nur zu 50 prozent ausgenutzt wird, wir können da bücher und eine zeitschrift von
internationalem ruf herausgeben.
die wolgarepublik lädt Dich jedenfalls ein, Deinen dauersitz dort aufzuschlagen. man
wird evtl. später datschen bauen, jetzt würdest Du ein zimmer kriegen.
was leningrad betrifft: prinzipiell ist das natürlich sehr gut, aber ich würde bedauern,
wenn Deine arbeitskraft zersplittern würde und bin für engels.
zu meschrabpom sind eigenartige leute gekommen (z.b. goldberg106 usw.) aber sie ma-
chen eine sinnlose produktion.
jetzt 2 difficile fragen.
1) internationale produktion. wie wir damals besprochen haben, wäre es natürlich
wunderbar, wenn wir hier filme machen, deren engl. und franz. version von den dortigen
filmgesellschaft[en] finanziert würde. kannst Du nicht bei kortner vorfühlen, wie er dazu
steht? überhaupt sollen wir doch mehr miteinander als nebeneinander herarbeiten. was
machst Du denn dort eigentlich? und eisler? ich habe z.b. mit lania besprochen, dass man
sehr gut einen oelfilm107 machen könnte, aufnehmen an der wolga, die engl. oder franz.
firma zahlt die ausl. Schauspieler. das wäre doch eine ganz grosse möglichkeit.
2) natürlich wäre es sehr erfrischend, wenn ich mal eine zeit draussen arbeiten könnte.
ich höre, dass das groupe-theatre mit der regie straffbergs108 jetzt die amerikanische tragö-

106 Heinz Goldberg (1891–1969), Filmregisseur und Drehbuchautor. Ging 1933 ins Exil nach Wien, 1935
in die UdSSR, wo er ein Drehbuch zu einem Film über Heinrich Heine schrieb (das unverfilmt
blieb). Nach drohender Verhaftung emigrierte er 1937 über Österreich und Italien nach Großbritan-
nien. 1956 kehrte er zurück nach West-Berlin.
107 Bezieht sich vermutlich auf Lanias Stück Das Ölfeld. Vgl. Anm. zu Lania und Eisler, 21.9.1934.
108 Gemeint ist der in Österreich-Ungarn geborene und mit seiner Familie bereits 1909 in die USA emi-
grierte Schauspieler und Schauspiellehrer Lee Strasberg (1901–1982), der 1931 in New York das Group
Theatre gegründet hat.
552 Jahrgang 1936

die109 bringt. wenn das eine reise nach dort finanzierte, käme ich sehr gern. vielleicht ist
auch so da eine arbeitsmöglichkeit.
soweit der phantast und der träumer pisc. die andern sind nüchtern, sprechen von stau-
bigen strassen, jahrelangem um- und aufbau, fehlenden verweichlichenden errungenschaf-
ten der kultur usw. aber ansehen kostet wirklich nur wenig. schreibe doch einmal. – da in
dnjeprpetrowsk ist es nicht sonnig. ein anstrengendes arbeiten. viel auf schlechten lastwa-
gen und schlechten strassen unterwegs. alles primitiv usw. usw. umso wichtiger natürlich,
dort aufzubauen.
[Hs.] Das letztere teile ich wegen Weigel mit.
So, das ist ein langer Brief. Schreibe mir bald Antwort, schreibe auch an Pisc. u. Tret-
jakow.
Lou Eisler will von mir Pelzfutter für einen Mantel haben, das geht doch [zu] weit? Ich
hab ja nicht soviel Geld.

Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg.; RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z23/134–137. – E: Steffin, Briefe, S.
185ff.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht


[Moskau, März 1936]

geliebter bidi, es ist natürlich alles in ordnung und ich bin freundlich. aber es ist sehr
schlimm für mich, allein zu sein so furchtbar lange. und wenn ich denke, du bist nicht
allein, bin ich wütend und will nicht allein sein. ich schlafe auch schlecht. und meine haut
wird schlecht. und meine stimmung auch. Du sagst, ich kann jederzeit kommen. es war ja
wirklich so, wie ich schon aus kopenhagen und immer wieder schrieb, dass ich dieses jahr
was gesundheitsgründe sind, besser dort geblieben wäre. Du antwortetest nie darauf. und
wenn ich auch verstehe, dass Du „zu hause“ sein willst einige zeit, so stösst mir natürlich
mächtig auf, dass ich kein „zu hause“ habe. nirgends. ich muss immer für mich und meine
koffer um einen platz bitten. und kann mir nicht mal bücher kaufen, weil wo soll ich sie
hinstellen? dann natürlich sehe ich immer ganz klar, es geht doch nicht. wenn Du dann
auch so selten schreibst, was auch die gründe sind, so wird es in einem masse schlimm, wie
ich es nicht sagen kann.
ich kann ja im grunde doch nicht jederzeit kommen. damals wusstest Du nicht, ob Du
geld verdienst usw. usw. aber was ist das wiederum für eine mitarbeit, wenn ich die grösste
zeit weg bin? und dazu ist die zeit ohne Dich zu schlecht, als dass man von „aushalten“
sprechen kann. auch was wohnen usw. betrifft. aber was ist es denn?

109 Zur Aufführung der Amerikanischen Tragödie vgl. Anm. zu Broadwin, 18.2.1936.
Jahrgang 1936 553

vielleicht sollte ich, wenn Du den vertrag mit lenfilm110 machst und besser verdienst,
hier ein zimmer für mich mieten, das wäre ein kleines „zuhause“, und für Dich praktisch,
Du wüsstest, wo Du wohnst, wenn Du mal kommst. so nett maria111 und kolzow auch sind,
ich bin doch quasi nur – na, geduldet ist zuviel gesagt, aber such ein anderes wort.
mit einem male macht mir tanzen spass!! als ich mich dabei ertappte, war ich selbst ent-
setzt und hörte auf. das ist doch schlecht. und unnötig. und ungesund. und was weiss ich.
ich brauche wirklich dringend [hs.] Liebe. Deine Liebe. Es ist vielleicht doch so wie
es ist zu schwer für mich. Ich möchte Dich unbedingt in London sehen.112 Nicht wegen
London. Nur wo anders u. sehr viel u. endlich bei Dir sein. Eine Fahrkarte von hier nach
dort kostet 360 Papierrubel (erster Klasse!!) Und wenn Du den Vertrag mit Lenfilm unter-
schreibst, schicken sie Dir dann auch 2 Karten zurück nach hier!
(Nach Kopenhagen muß ich die Fahrt in Valuta zahlen, ab Grenze zumindest, das wäre
teurer als über London.) Ich habe gar keine Valuta, nur so 2 Rubel Kronen.

Lieber geliebter bidi


Du bist mir viel Zeit schuldig, ja? Ja! Bitte, hole mich zu Dir. Bleib wieder bei mir, dann
ist alles wieder gut. Ich bin ganz verrückt.

Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg.; RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z13/138–139. – E: Steffin, Briefe, S. 194f.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht


[Moskau, Ende März 1936]

lieber bidi,
ich bin schrecklich müde. Die ganze Nacht habe ich mit der Telefonzentrale gekämpft,
daß sie mir nochmals London gab. Es war sehr schwer: Linie besetzt, arbeitet nicht usw.
Ich selbst habe von der Keto gehört, daß sie eine Datscha (Landhaus) genommen hat,
daß dort 1 Zimmer für mich ist u. daß ihre Mutter für uns wäscht, kocht usw. u. das Sana-
torium untersucht u. behandelt, als ob wir dort wohnten. Gestern kommt zu meinem Er-
staunen ein Telegramm: „Abhole Dich Tiflis, wir nehmen andere Datscha.“ Wo diese liegt,

110 Vgl. Anm. zu Steffin, 7.2.1936.


111 Maria Osten.
112 Steffin fuhr im Mai nach London, wo Brecht auf Wunsch Kortners und Eislers das Drehbuch zu
dem Filmprojekt Der Bajazzo (nach Ruggiero Leoncavallos Oper Pagliacci) überarbeitete. Nach ei-
gener Auskunft stellte er dort, um etwas Geld zu verdienen, „einige Pfund Abendunterhaltung her“
(B. an Piscator, Mitte/Ende Juni 1936, GBA 28, S. 555; vgl. dazu Gersch, Film bei Brecht, S. 184–186,
sowie Eisler/Bunge, Brecht, S. 106ff.). Die von Brecht vorgenommenen Umarbeitungen des Szenari-
ums, die den Vorstellungen der Produzenten offenbar keineswegs entsprachen, sind nicht überliefert.
Gedreht wurde der Film schließlich unter der Regie von Karl Grune. Er erschien 1936 unter dem
Titel Pagliacci, als Autoren zeichneten Roger Burford und John Drinkwater.
554 Jahrgang 1936

habe ich keine Ahnung. Ich versuchte anzurufen, aber wir konnten nichts verstehen. Ich
versichere und verspreche Dir, daß ich nur dorthin fahre, weil es die beste Erholungsmög-
lichkeit ist. Du hast keine Vorstellung davon, wie schwer alles zu besorgen ist: Putjowka113,
Fahrkarte usw. Ich arbeite doch hier nicht. Mit allem Kolzow zu belästigen, ist unmöglich,
u. schon Pisc. könnte, wenn er wollte, nichts machen, daß es schneller geht, Reich schon
gar nicht u. damit sind doch meine Bekanntschaften hier erschöpft.
Ich bin glücklich, daß Keto das macht u. alle beneiden mich darum, selbst Annenkova.
Lieber bidi, Du darfst nicht so fremd sprechen, ich werde ganz verrückt davon. Ich kann
einfach nicht schlafen, wenn ich nicht weiß, Du bist mir gut.
Was den Wolgafilm betrifft:
Vertraulich warnt Maria114, die viel erfährt. Sie sagt, den Wolgaleuten gefalle Pisc. Idee
nicht, ob es klappt, sei fraglich, Du sollest mit der Zusage warten. Nun ist es ja leider so,
daß niemand was schreibt, wie sich’s entscheidet, wenn ich weg bin. Aber daß alles für den
Wolgafilm abzubrechen, lohnt nicht. Erinnere Dich, daß der 15. Januar zu spät war, dann
der 15. III., u. bis jetzt ist Pisc. nicht einen Schritt weiter.
Die Rod115 sagt außerdem, dort sei viel Malaria, auf die Dauer hinzuziehen, sei Wahn-
sinn. (Keine Konzentration, Trinkwasser von der Wolga. Große Überschwemmungen dau-
ernd usw.)
Natürlich wenn alle hingehen, solltest Du auch zur Arbeit hingehen. Aber doch nicht
als erster, als Pionier! Da kannst Du unter Umständen lange warten, bis mehr als 2, 3 kom-
men. Warte, Du hast doch Zeit.
Wieland fragt, was mit Grosz ist (die Zeichnungen), er soll endlich mal antworten.
Kolzow (der die Ausl. Einladg. macht) sagt: „naja, jetzt können wir Grosz irgendwann
einladen, es gibt schon Tomatensaft.“
Es läuft jedenfalls langsam an. Und ist nicht sicher.
Was Hauptmann betrifft, ist eine Einladung so gut wie ausgeschlossen.116 Jedenfalls soll
sie jetzt nichts machen, ich komme u. wir werden alles besprechen. Vorher geht es sowieso
nicht.
Hast Du das große Foto von mir bekommen? Gefällt es Dir? Schreibe.
Schreibe mir viel, bidi.
Mit den Honoraren bist Du hier reingelegt, finde ich, besonders was die gemeinsame
Ausgabe von Wieland und Vegaar117 angeht. Hast Du von Wieland Geld bekommen (Va-
luta)? Wie ist Euer Vertrag? Es ist schade, daß ich ihn nicht kenne, dadurch kann ich mit
der Vegaar nicht richtig verhandeln. Ich schreibe von unterwegs ausführlicher.

113 Russ. putëvka: Einweisungsschein, Bescheinigung über Reise und Einweisung.


114 Maria Osten. Zum Wolgafilmprojekt vgl. Anm. zu Steffin, 24.2.1936.
115 Vermutlich die Schauspielerin und Sängerin Hanni Rodenberg, geb. Schmitz (1910–1944). Sie war
zusammen mit ihrem Mann Hans Rodenberg 1932 in die UdSSR emigriert.
116 Vgl. Anm. zu Borchardt, 21.8.1935.
117 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 6.6.1935.
Jahrgang 1936 555

Ich habe ein Grauen vor der Reise, der Zug hält dauernd u. es ist so lang, so lang. Ich
wäre gern mit Stammreichs [?] runter gefahren, aber sie brauchen immer nochmals 3 Tage
u. so warte ich nicht, da ich endlich eine gute Fahrkarte habe.
Hier haben mich Maria118 u. Kolzow wirklich sehr nett aufgenommen. Ich war dauernd
nur mit Maria zusammen, habe sonst kaum Leute gesehen, auch Asja119 u. Reich wenig.
Los zur großen Reise!
Hoffentlich bald zu Dir, lieber bidi, jetzt bin ich schon zu lange allein gelassen.
Wiedersehen gg.120

Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter


in der SSSR 1 Maßnahme
Moscou Zentr Schlußchor
Nikolskaja 7 Ausnahme
Deutsche Sektion, Bork 121

Überlieferung: Ms, RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z23/160–163. – E: Steffin, Briefe, S. 191ff.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht


[Schwarzes Meer] 25.4.1936

25.4.36.

lieber bidi, ich sitze auf einem sowjet-schiff und fahre die krim-küste lang. aus vielen grün-
den: erstens muss ich in tiflis zu lange auf das billet warten und das wird teuer, da keto in
abastuman ist. – ausserdem hat tiflis jetzt ein schlechtes klima. ausserdem ist die reise so
sauberer, angenehmer. es geht mir gut, bloss das ohr tut sehr weh. ich werde in sewastopol,
von wo ich direkt mit dem zug fahre, gleich zum arzt gehen. – hier auf dem schiff lernte
ich eine amerikanerin kennen, die eine begeisterte anhängerin von brecht-eisler-songs ist.
das macht sie doch von vornherein sympathisch, nein? sie schreibt in hollywood filmmanu-
skripte (bei ihren freunden hat eisler gewohnt, als er unten war zu konzerten) und ist jetzt
bei ihrem mann, der hier arbeitet, zu besuch.

118 Maria Osten.


119 Asja Lacis.
120 Vgl. Anm. zu Steffin, Juli 1933.
121 Otto Bork.
556 Jahrgang 1936

wie geht es Dir? hoffentlich kriege ich in moskau endlich wieder post von Dir.
wiedersehen.
[Hs.] l b

Überlieferung: Ts, hs. Erg.; RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z13/140. – E: Steffin, Briefe, S. 195f.

W. Hartmann an Bertolt Brecht


New York, 27.4.1936

27. April 1936

Lieber B.B.
ich bin sehr froh, dass du doch geschrieben hast, denn du hast einen ganz furchtbaren
Ruf, nicht zu antworten. Nehme also meine[n] ganzen Dank entgegen und erinnere dich
daran, wie ich dir den Kragen richtig umgebunden habe you crazy fellow!
Ich bin garnicht undankbar, aber du hast schon ein bisschen wenig geschrieben: Mensch,
du musst dir doch vorgekommen sein, als wenn du fuenf Jahre unter der Brause gestanden
haettest. Du musst doch allerhoechstens mit dem Kapitaen der Berengaria gesprochen ha-
ben, Du musst ja den Leuten gezeigt haben, wie ein Gentlemen isst, wie er sich Zigarren
anzuendet, wie er laechelt, sich die Kravatten bindet und ins Bette steigt. Ich bin so selten
stolz, aber nun weiss ich, dass ich stolz bin, dass wir gerade dich so anstaendig hinrueckten.
Ich brauch W. II122 garnicht zu spielen. Denn es war nichts, es ist nichts, ich brauche
Backobst nicht, wenn es doch dauernd frisches Obst gibt. So was muedes schadet doch
nur. Aber haette ich doch bloß gewusst, wäre es mir doch bloss aufgefallen, ich Ochse!
Gegruesst habe ich trotzdem und hoerte ein sehr muedes Danke sehr. Du scheinst mich ja
fuer ziemlich gaengig zu halten...
Unser Bernhard v.B. hat eine Sache geschrieben, die mich ganz gross imponiert hat.123
Sie stellt etwas dar, sie ist so sauber und angelegt, so spannend und wichtig, dass man
doch jetzt wieder einmal versuchen sollte, den Herrn nicht unter sich mit seiner Familie
zu lassen. Es gibt soviel Sau in der Welt und so wenig Talente und so wenig Leute die
Stil haben, dass man nicht immer einfach die Achseln zucken muss bei einem, der ulkige
Hoerner zeigt, die man leicht abnehmen kann. Na, du weisst ja und warum sage ich dir das
ueberhaupt. Ich wollte dir eben nur mitteilen, dass mir die Sache gefaellt und dass du sie
unbedingt lesen musst.

122 Der ehemalige deutsche Kaiser Wilhelm II.


123 Vermutlich Bernard von Brentanos Theodor Chindler. Roman einer deutschen Familie, Zürich 1936.
Jahrgang 1936 557

Hier wird es Fruehling. Die Judenmaedchen schlagen aus, sie kriegen Pickel und be-
ginnen zu riechen. Der ganze Unionsquare124 ist voll und ich sehne mich nach dem deut-
schen Sporttyp, mit dem man schwimmen gehen und im harten Zelt liegen kann. Auch
im Theater ist Fruehling und der groesste Mist ist Kunst. Silones herrliches Buch125 haben
sie dabei aber fein versaut, dass man die Wut kriegen kann. Getohkt wird immer noch
und Partiehs finden auch noch statt, mit viel reden, schlechten Schnaps saufen und fei-
gen Schweinerein. Die Cafeterias machen immer noch Geschaefte, wobei sie fuer Klopse
dieselbe Sosse gebrauchen wie fuer Steak oder Hammelpfoten. Du siehst, dein Auftreten
hat nichts geaendert, aber wenn du wieder kommst, werden wir aufraeumen und mang-
schlahrn, det se lumpn kotzn. Wann kommst du? Trotz allemdem ist es doch ein grosses
Land, man findet Platz zum atmen und arbeiten.
Ich hoffe flehentlichst, von dir mal wieder zu hoeren. Besten Dank fuer die Buchtitel.
Benutze diese Adresse:
W. Hartmann, 3002-47 Street Sunnyside, N.Y.
Mit Handschlag dein
W.

Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 722/54.

Willi Bredel an Lion Feuchtwanger und Bertolt Brecht


[Moskau] 9.5.1936

9.5.1936

Lieber Feuchtwanger, lieber Brecht,


mit Lust und Eifer bin ich dabei, die ersten Hefte des „Worts“126 vorzubereiten. Bald
hoffe ich genauen Bericht über den Inhalt der ersten Hefte, wie ich sie auf Grund der einge-

124 Platz in Midtown Manhattan in New York.


125 Vermutlich der Roman Fontamara (vgl. Anm. zu Brentano, 3.1.1934). Die Theateraufführung konnte
nicht ermittelt werden.
126 Die auf Initiative Johannes R. Bechers gegründete Exilzeitschrift Das Wort erschien von Juli 1936 bis
März 1939 in Moskau, zunächst unter der Patenschaft von Michail Kolzow im Jourgaz-Verlag, ab Juli
1938 bei Meshdunarodnaja Kniga. Es werde, schrieb Maria Osten im April 1936 an Ernst Bloch, „eine
Zeitschrift auf breiter Basis sein, die möglichst die ganze antifaschistische Literatur vereinigen soll“
(zit. nach BC, S. 476). Im Unterschied zur Internationalen Literatur verstand sich Das Wort primär
als Organ deutschsprachiger Autoren. Brecht fungierte als Mitherausgeber neben Lion Feuchtwan-
ger und Willi Bredel, der die Redaktion vor Ort leitete, während Feuchtwanger und insbesondere
Brecht sich zunächst auf Anweisungen aus der Ferne beschränkten. Ab 1937, nachdem Bredel sich
den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg angeschlossen hatte, übernahm Fritz Er-
penbeck dessen Aufgabe in der Redaktion.
558 Jahrgang 1936

gangenen Beiträge vorstelle, machen zu können. Heute schon möchte ich mich mit Ihnen
verständigen über die Frage der Einleitung sowohl des ersten Heftes wie der weiteren. Ma-
ria hat Ihnen bereits einen Entwurf der Hefteinteilung geschickt, aus dem ersichtlich ist,
daß am Anfang jedes Heftes eine Rubrik – das Vorwort – stehen soll. Nun meine ich, man
sollte diesen Einleitungsartikel, auch den des ersten Heftes, nicht in der üblichen Form
eines würdigen literarischen Einleitungsartikels bringen. Vielmehr stelle ich mir vor, wir
sollten kurze, in drei bis maximal dreißig Zeilen gefaßte Gedanken und Anmerkungen zu
aktuellen Ereignissen auf dem deutschen Literatur- und Kulturgebiet, eventuell zu Beiträ-
gen in dem betreffenden Heft, aneinanderreihen; nur durch eine Zeile Abstand voneinan-
der getrennt und jeweils mit Versalien beginnend.
Diese Lösung ermöglicht eine kollektive Herstellung des Vorworts. Ich denke mir das
so, daß Sie, jedesmal wenn Sie zu bestimmten Vorkommnissen und Daten etwas sagen
wollen, dies konzentriert formulieren und herschicken. Ich werde selbstverständlich auch
in dieser Art am Vorwort mitarbeiten und dann, kurz vor Drucklegung jeder Nummer,
die vorliegenden Stücke möglichst passend aneinanderreihen. Das Ganze, denke ich, wird
dann gar nicht gezeichnet oder, wenigstens beim ersten Heft, mit: Die Redaktion.
Geben Sie, bitte, per Flugpost Bescheid, ob Sie einverstanden sind, und vor allem: schic-
ken Sie recht bald recht viel für Vorwort. In der ersten Nummer wird das Vorwort wohl
besonders generellen Charakter haben müssen, die zweite Nummer ist, weil sie auf den
August fällt, als Antikriegsheft gedacht.

Überlieferung: E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 365f.

James B. Pinker 127 an Bertolt Brecht


London, 11.5.1936

Encl.

May 11sh 1936,

Herrn Berthold Brecht,


148, Abbey Road,
N.W.

Dear Herr Brecht,

127 Londoner Literaturagent und Mitarbeiter des Verlags Hale & Co., wo im März 1937 eine englische
Ausgabe des Dreigroschenromans in der Übersetzung von Desmond I. Vesey und Christopher Isher-
wood unter dem Titel A Penny for the Poor erschien.
Jahrgang 1936 559

I am sending you, herewith, the agreement with Messrs Hale & Co, for Drei Groschen
Roman and if you find it in order I shall be glad if you will sign and return it to me at your
convenience. Will you, please, also initial each page as well as each alteration?
You will notice that there are several alterations in the contract as originally drafted by
me and these are the result or some argument. I think the compromises are fair and I hope
you will agree.
Sincerely yours,
JMPinker

Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.:James B. Pinker & Son J. Ralph Pinker Literary Dramatic & Film Agents
Talbot House Arundel Street Strand London W.C.2 Telegrams & Cables BOOKISHLY, London Tele-
phone: Temple Bar 7384; BBA 722/55.

Barthold Fles128 an Bertolt Brecht


[USA] 17.5.1936

May 17, 1936

Sehr geehrter Herr Brecht:


Herr Liepmann129 schrieb mir dass Sie eventuell einen Vertreter in Amerika brauchen
koennten; und wie er schrieb hat er mich empfohlen. Ich habe in letzter Zeit verschiedene
auslandsdeutsche Autoren zu placieren das Vergnuegen gehabt – – ausser Plivier und Ol-
den auch Marcuse, Speyer, weiter den Emigranten Silone, dessen FONTAMARA, REISE
NACH PARIS und jetzt auch BROT UND WEIN ich hier angebracht habe.
Ich kenne Ihre Dreigroschenoper, und interessiere mich sehr fuer Ihren DREIGRO-
SCHENROMAN; drahtete Liepmann mir ein Leseexemplar zu besorgen, weil ich hier
keins auftreiben konnte. Ich arbeite wie hier usus ist, berechne eine Provision von 15% auf
auslaendische Buecher, und habe vorzuegliche Beziehungen. Darf ich hoffen dass Sie mir
eine kurze Option auf Ihren Roman geben wollen?
In der Hoffnung recht bald von Ihnen zu hoeren,
Hochachtungsvoll

Überlieferung: Ts, Teilnachlaß Barthold Fles im Deutschen Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen
Bibliothek.

128 Barthold Fles (1902–1989), niederländischer Literaturagent und Übersetzer, lebte im Exil in den
USA. Brecht übertrug ihm das Recht, den Dreigroschenroman in der vorliegenden englischen Über-
setzung in den USA zu publizieren. Vgl. B. an Fles, 25.7.1936, GBA 28, S. 561f.
129 Heinz Liepmann, ab 1933: Liepman (1905–1966), Schriftsteller und Regisseur. Ab 1934 im Exil in den
Niederlanden, 1935 in Frankreich, 1936 in Großbritannien, 1937 bis 1947 in den USA.
560 Jahrgang 1936

Walter Benjamin an Margarete Steffin


Paris, 28.5.1936

Walter Benjamin Paris, 28. Mai 1936


23, Rue Bénard

Liebe Grete Steffin,


In grosser Eile will ich Sie nur eben zu Ihrer glücklichen Ankunft in London130 beglück-
wünschen und Ihnen den Empfang der Vollmacht bestätigen.
Es scheint, dass kaum eine einzige der zahlreichen Nachrichten, die ich Ihnen in die
Union geschickt habe, Sie erreicht hat. In meiner letzten, die Ihnen ebenfalls entgangen
sein wird, bat ich Sie schliesslich, das Manuskript meiner Arbeit131 statt es an Tretjakoff zu
leiten lieber Brecht mitzubringen.
Das Schlimme ist, dass ich im Augenblick kein Exemplar des deutschen Textes besitze;
mit dem französischen, der jetzt erschienen ist, kann Brecht nichts anfangen. Sowie ich ein
deutsches Exemplar habe, sende ich Ihnen eins.
Ich brauche nicht zu sagen wie viel mir daran läge, den deutschen Text im „Wort“ er-
scheinen zu sehen. Zunächst müsste man freilich feststellen, ob die Zeitschrift überhaupt
die räumliche Möglichkeit hat, einen 50-60 Schreibmaschinenseiten umfassenden Beitrag
zu veröffentlichen. Dies muss ja jetzt schon feststellbar sein. Bitte schreiben Sie mir eine
Zeile darüber.
Es ist gar nicht ausgeschlossen, dass diesen Sommer aus Dänemark etwas wird. Im
Augenblick kann ich noch nicht mit Bestimmtheit Daten ins Auge fassen. Aber gerade weil
meine Dispositionen nicht ganz übersichtlich sind, wäre mir doppelt daran gelegen, die von
Brecht möglichst umgehend nach ihrer Fixierung kennen zu lernen.
Grüssen Sie Brecht herzlichst von mir. Sagen Sie ihm, dass ich mich um den Band der
„Versuche“ bei Wolf[f] kümmern werde.132
Ihnen wie immer alles Herzliche

Überlieferung: TsD, BBA 2169/5+6. – E: Benjamin, Briefe, Bd. V, S. 293.

130 Steffin war soeben über Moskau und Leningrad zu Brecht nach London gereist. Vgl. Anm. zu Steffin,
März 1936.
131 Vgl. Anm. zu Benjamin an Steffin, 4.3.1936.
132 Vgl. B. an Charles Wolff, 26.5.1936, GBA 28, S. 553.
Jahrgang 1936 561

Marianne Zoff an Bertolt Brecht


Wien [Mai/Juni 1936]

Lieber Bert, Dein Brief 133 hat mich sehr gefreut – ich wusste schon, dass Du in London bist
und arbeitest. Aber wie soll ich mit Hanne zu Dir kommen, wenn ich Angst habe, man
nimmt mir Hanne weg, wenn ich wiederkomme. Es ist furchtbar – dabei wollen Hanne
und ich Dich sehen. Du glaubst nicht, wie sehr wir uns danach sehnen. Hanne ist ein
merkwürdiges Mädchen – sie hängt absolut an Dir – und ist so wunderbar gescheit – und
empfindet alles ganz von selbst richtig – man muss nicht viel reden. Oft sitzen wir zusam-
men und überlegen, wie wir es machen sollen, Dich zu sehn – Es gibt überhaupt nur eine
Rettung für uns alle – wenn Theo134 endlich in London einen Film machen könnte – er
spricht sehr schön englisch und hätte dort bestimmt Erfolg. Bange wäre mir nicht um ihn,
und man könnte endlich weg. Für die Kinder wäre es das Beste. Mit der Kleinen kann ich
nicht über alles reden – sie kann noch nicht schweigen und das ist ein Unglück. Hier in
Wien ist es immer sehr schön für mich – aber auch hier ist es traurig – aber es ist meine
Heimat und die Eltern sind da, sie lassen Dich sehr grüssen.
Man wird langsam alt und man kann Dich nie sehn. Und Hanne gleicht vollkommen
Dir und wie Otto135 sagt, besonders Deiner Mutter136 – Wir fahren heute wieder nach
Berlin –
Ich bin so froh, dass du weisst, wenn ich nicht mit Hanne komme – so kann ich wirk-
lich nicht – Auch mit Otto habe ich schon viel hin und her überlegt – Ob wir alle einfach
nach London übersiedeln sollen? Wenn ich bloß wüsste, was man tun soll –
Lieber Bert viele viele Grüsse und Küsse von mir und Hanne. Wir haben dich sehr lieb.
Deine Marianne

Überlieferung: Ms, Bv.: Graben Hotel Brüder Kremslehner Wien, I., Dorotheerg. 3/5 Telephon A
34–5–30; BBA E66/151–153. – E: Bertolt Brecht, Briefe an Marianne Zoff und Hanne Hiob, hrsg. v. Hanne
Hiob, Frankfurt/M. 1990, S. 163f.

133 Nicht überliefert.


134 Der Schauspieler Theo Lingen, d.i. Franz Theodor Schmitz (1903–1978), seit 1928 mit Marianne Zoff
verheiratet, war auch in Brecht-Inszenierungen aufgetreten (vgl. Anm. zu Wreede, 27.2.1933). Trotz
seiner jüdischen Frau durfte er als Filmschauspieler und -regisseur weiter in Deutschland arbeiten.
1944 übersiedelte er nach Wien. In bundesdeutschen und österreichischen Filmproduktionen trat er
später vor allem als Komiker auf.
135 Otto Friedländer-Zoff (1890–1963), österreichischer Publizist, Dramaturg, Regisseur. Bruder von
Marianne Zoff.
136 Sophie Wilhelmine Friederike Brecht, geb. Breizing (1871–1920).
562 Jahrgang 1936

Mordecai Gorelik 137 an Bertolt Brecht


Stockholm, 1.6.1936

Stockholm, June 1, 1936

Dear Bert,
We were very happy to get your letter. I sent your enclosed letter138 to Piscator. Follow-
ing your advice, I wrote him again, telling him who I am and so on. I wrote the letter in
German, in the hope that it might save some time.
We should both like very much to see you, but it doesn’t look as if that will be easy
to accomplish. The journey to Denmark would be expensive, and according to the travel
bureaus here, we would have to come back to Stockholm on the way to the Soviet Union.
However, our greatest difficulty is the baby. He has been moved around a great deal, and
it has kept him from gaining as much weight as he should; we are considerably afraid of
moving him again for some time.
We must admit that we have been feeling quite discouraged. Frances139 has been kept
tied down to the baby, and it has also taken a lot of my time. Except for one or two de-
signers, the Swedish theatre is very dull and life in the pensionats is worse. We don’t know
any of our own people, and the others we have met have not been particularly cordial: they
don’t mind being interviewed, but they show no interest in the stages of other countries,
and have no stage theories. Since we do not speak Swedish and have no Swedish friends, we
feel cut off from everything.
Some of the Swedish theatre people admit having been influenced by the work of Pis-
cator. We recently saw a musical comedy called “Melodien”, imported from Denmark.140 It
was the only thing we saw that had any social approach; it seems to be fairly successful. I felt
that it used a certain amount of the Brecht technique. The Swedish producer is a certain Dr.
Per Lindberg, who is pretty muddled in his ideas, but admires the Soviet theatre. The other

137 Mordecai (Max) Gorelik (1899–1990), amerikanischer Bühnenbildner, Schriftsteller, Übersetzer und
Theaterwissenschaftler, später Professor an der Southern Illinois University. Brecht hatte ihn bei der
Aufführung der Mutter im November 1935 in New York kennengelernt. Gorelik, urteilte er im Mai
1936 in einem Brief an Piscator, „ist sowohl der technisch am weitesten fortgeschrittene als auch der
politisch uns am nächsten stehende Bühnenmaler“ (GBA 28, S. 552). Von dessen Ideen profitierte
auch das Bühnenbild zur Inszenierung der Rundköpfe und Spitzköpfe in Kopenhagen. Zur gegebenen
Zeit wartete Gorelik in Stockholm auf ein Einreisevisum der UdSSR, das er dank Piscators Fürspra-
che im August 1936 bekam. Er hatte ein Guggenheim-Stipendium für einen Studienaufenthalt in
Leningrad und Moskau erhalten, um dort Material zu sammeln für sein Buch New Theatres for Old,
New York 1940; vgl. dazu Gorelik, 20.6.1944.
138 Vermutlich B. an Piscator, Mitte/Ende Mai 1936, GBA 28, S. 552. Ein entsprechender Brief an Gore-
lik ist nicht überliefert.
139 Frances Gorelik, Mordecai Goreliks Frau.
140 Vgl. Anm. zu Steffin, 12.11.1935.
Jahrgang 1936 563

day we saw an English movie, “I WAS A SPY”141, which we thought would interest you a
great deal because it had (I suppose unconsciously) something of a “lehrstück” technique:
the love-interest was actually definitely subordinated to the exposition of the war episodes.
I am getting a chance to catch up with my reading and to write some articles. I wrote
an article on the Soviet Theatres before I left New York, for the New Masses.142 They were
to print it at once, but instead they send it on to me with a note saying that they admired it
very much and wished to print it, but that they are now informed that there have been new
developments in the last two months and that “certain people whose performances I praise
in the article, have now repudiated these same performances as being unworthy of a social-
ist society.” What this cryptic statement means, I don’t know. The New Masses asked me to
bring the article up to date. I sent a copy of the article at once to the International Theatre
Bureau143, asking for their comments, but I don’t suppose I will ever hear from them. What
on earth is it all about?
I also wrote an article on the Group Theatre before I left New York. This article, which
was distinctly controversial and pointed out some bad mistakes in the Group’s production
of the Piscator play144, was well received by the New Theatre League.145 I was asked to make
some further changes in it. I have now rewritten it and sent it to New York. If it is ever
used, it will cause a great stir, as it will inaugurate a new official attitude toward the Group
Theatre and Theatre Union. Strasberg told me that you were glad to have come to know the
Group Theatre after your experience with the Theatre Union. Maybe it’s a good thing you
didn’t stay to see their production.
The articles which you wrote I am now reading with very great interest. I hope very soon
to write an article about your work and your theories. It should be of special value for the
American theatre.
About Moscow – we are beginning to be quite desperate over the state of affairs. It is ob-
vious that we are only wasting time outside the Soviet Union, but it seems impossible for us
to go there. Frankly, we are at our wit’s end about what to do. If I sent Frances and the baby
home now, the journey would be very hard for them, and we would be separated for over
half a year. If I left them in Stockholm, she would probably go crazy with boredom. My
last hope is that when I go to the Soviet Union by myself for a month or so, I may be able
to make some kind of arrangement so I can go back to Stockholm in September and bring
Frances and the kid to Moscow. If that doesn’t work out, we will be just about finished.

141 I Was a Spy (GB 1933, Regie: Victor Saville). Der Film spielt im besetzten Belgien während des
Ersten Weltkriegs, der exilierte Conrad Veidt ist in der Rolle eines deutschen Offiziers zu sehen. In
Deutschland wurde der Film nicht gezeigt.
142 Vgl. Anm. zu Hauptmann, 14.5.1934.
143 Das Büro der MORT in Moskau.
144 Vgl. Anm. zu Broadwin, 18.2.1936.
145 New Theatre League, ursprünglich League of Workers’ Theatres: 1932 bis 1942 Dachverband der
amerikanischen Arbeitertheater mit Sitz in New York. 1936 bis 1938 gab die League die Zeitschrift
Theatre Workshop heraus, deren Redaktionsbeirat Gorelik angehörte.
564 Jahrgang 1936

Do you think it would work out better if we made our headquarters at Svendborg in case
we could not all go to the Soviet Union? Is it more expensive to live there than here? How
would it be for the baby? We are paying 350 kronen (about $96) per month for full pension
in Stockholm. Frances feels that in Svendborg she would at least be seeing you and some of
our people. And advice you can give us would be most welcome.
I did not accept the offer of the Group Theatre to design the Piscator version of the
“American Tragedy”, on official advice. It was felt that the Group Theatre must learn to put
a proper valuation on my services and must stop attacking the wage standards of theatre
workers.
Please give our kind regards to Hanns Eisler and Mrs. Eisler, if they are with you.
With our best greetings,
Max Gorelik.

c/o American Express Co.


Stockholm

Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 482/60–61.

Mordecai Gorelik an Helene Weigel


Stockholm, 25.6.1936

bei American Express Company


Stockholm, d. 25 juni, 1936.

Liebe Frau Brecht!


Wir telefonierten Ihre Freundin, Frau Korsch, und gingen nach Vigbyholm146, sie und
Herrn Korsch zu besuchen. Herr Korsch erzählte uns alles über Svendborg, da sind wir
desto mehr eifrig, einmal Svendborg anzusehen. Leider fürchten wir, es ist momentan nicht
praktisch. Das Kind ist unwohl, und Frances und ich sind beide erschöpft. Frances ist noch
Genesende, und kann nichts mehr als das Kind pflegen. Sie kann nicht kochen, und zwei-
mal im Tage draussen gehen für Mahlzeiten ist ihr noch zu schwer. Auch möchten wir für
wenigst kurze Zeit von Pensionen entrinnen.
Frau Korsch sagte uns, wir können beim Vigbyskolan eine Weile bleiben; das haben wir
entschlossen zu tun. Da Herr Korsch erwartet, bei Ihnen kürzlich zu besuchen, wird er Ih-
nen weiter erklären, was wir zur Not haben. Wir hoffen, es wird uns möglich werden, später
im Sommer nach Svendborg zu fahren; vielleicht wird dann auch möglich sein, jemand zu
finden, die mit der Haushaltung helfen kann. Das Baby wird die Reise besser aushalten

146 Viggbyholm ist ein Stadtteil von Täby, nördlich von Stockholm.
Jahrgang 1936 565

und wir werden auch hoffentlich frischer sein. Das Kind ist ein Knabe, fünf Monate alt, er
heisst Eugene.
Wir bleiben Ihnen höchst dankbar für die Einzelheiten, die Sie geschickt, und hoffen
ernst, wir werden Sie und Bert und Ihre Kinder diesen Sommer sehen können.
Mit freundlichen Grüssen, Ihr
Mordecai Gorelik

Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 482/58.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht


Prag, 25.6.1936

Prag, den 25.6.36

Bert Brecht, London West Hampstead, 148 Abbey Road

Lieber Brecht,
Grete Steffin schrieb mir am 6. ds. [Monats] Deine Adresse.
Dank für die Uebersetzung der beiden letzten Manuskriptstücke an die Vegaar. Ich
habe angefragt, ob sie richtig eingetroffen sind.
Was nun die Korrekturen anbetrifft, so habe ich keine.
Ich bekam ein einziges Expl. kurz vor meiner Abreise. Ich wollte es nicht in der Eisen-
bahn mitnehmen. Ich hinterliess es bei Bredel, dessen Frau147 die Fahnen auf Druckfehler
hin durchlesen wollte, und bat, sie dann gleich an Dich weiterzuschicken. Das scheint
nicht, oder jedenfalls nicht rechtzeitig geschehen zu sein. Inzwischen habe ich längst die
Vegaar gebeten, die Fahnen nochmals an Dich abzusenden. In grösster Verlegenheit bin
ich wegen Grosz, der einfach nichts von sich hören lässt. Ich schreibe ihm heute und gebe
als letzten Termin für den Eingang der Zeichnungen148 den 10. August an. Wenn sie bis
dahin nicht eintreffen, muss ich leider von der Illustration Abstand nehmen. Das wirst Du
einsehen. Vielleicht schreibst auch Du noch an ihn.

147 Lisa Bredel, geb. Elise Wilhelmine Calliees.


148 Vgl. Grosz, 10.10.1934.
566 Jahrgang 1936

Der Name Borchardt wird, wie Du schreibst, wegfallen.149 Streiche ihn am besten selbst
in den Korrekturfahnen. Ich habe übrigens die Vermutung, dass Borchardt es ist, welcher
Grosz in ein ausgesprochen antibolschewistisches Fahrwasser lenkt. Jedenfalls las ich einen
Brief von Grosz an Piscator, der wohl das Unsachlichste und Dümmste ist, was ich seit
langem gelesen habe.150
Bei der Korrespondenz der Vegaar scheint Dir ein Irrtum unterlaufen zu sein, weil Du
den Vertrag nicht zur Hand hattest. Der § 6 des Vertrages lautet:
„Der Verlag ist berechtigt, der Verlagsgenossenschaft Ausländischer Arbeiter in Moskau
das Recht einer deutschen Sonderausgabe zu geben, oder von Teilen daraus, und zwar nur
zur Verbreitung in der UdSSR. In diesem Fall beträgt das Mindesthonorar pro „Autoren-
bogen“ 200 Rubel, zahlbar in Moskau, davon stehen dem Verlag 25% als Vermittlungsanteil
zu“.
Uebrigens ersiehst Du daraus, dass dieser Paragraph keineswegs nachteilig für Dich ist,
denn die Vegaar hat doch wirklich versucht, ein viel niedrigeres Honorar, ich glaube 100
Rb. pro Bogen anzubieten.
Meine Arbeit hat sich lange Zeit nur wenig vom Fleck gerührt, jetzt aber sieht alles wie-
der optimistischer aus, in den nächsten Tagen kommen neue Bücher heraus und vielerlei ist
in Arbeit. Schreibe mir, ob Deine Adresse noch gültig ist oder an welche andere Adresse ich
Dir evtl. die Bücher schicken soll (Smedley151, Graf 152, Hinrichs153, Bredel154, etc.).
Ich freue mich, von Dir wieder zu hören.
Herzliche Grüsse Wieland
[Stempel:] MALIK-VERLAG

Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., Bv.: W. Herzfelde Praha I, Konviktská 5 ČSR. Telefon: Prag 368 96
Vertreter der Malik-Verlag Publishing Company London, W.C. 1; BBA 477/18.

149 Borchardt war Anfang des Jahres aus der UdSSR nach Deutschland ausgewiesen worden (vgl. Grosz,
12.2.1936). Offenbar wollte Brecht sich nun mit dessen Namen – Borchardt hatte an der Heiligen Jo-
hanna der Schlachthöfe mitgearbeitet – nicht seinerseits in Gefahr bringen. Das erwähnte Schreiben
ist nicht überliefert.
150 Vermutlich der Brief vom 13.4.1936. Vgl. Grosz, Briefe, S. 240f.
151 Agnes Smedley (1892–1950), amerikanische Schriftstellerin und Journalistin. Ihr Buch China kämpft.
Vom Werden des neuen China (deutsche Ausgabe von China’s Red Army Marches, New York 1934) er-
schien 1936 parallel im Malik-Verlag in London und bei der VEGAAR in Moskau.
152 Oskar Maria Graf, Der Abgrund, London 1936.
153 Klaus Hinrichs, Staatliches Konzentrationslager VII. Eine „Erziehungsanstalt“ im Dritten Reich, Lon-
don 1936. Hinter dem Pseudonym Hinrichs verbirgt sich Karl August Wittfogel (1896–1988), der
seit den 1920er Jahren als Soziologe und Sinologe für das Frankfurter Institut für Sozialforschung
arbeitete. 1933 wurde er verhaftet und in einem KZ im Emsland interniert. 1934 floh er über Groß-
britannien in die USA.
154 Willi Bredel, Die Prüfung, London 1935.
Jahrgang 1936 567

Erwin Piscator an Helene Weigel


Moskau, 3.7.1936

Erwin Piscator
Moskau,
Nowoslobodskaja
Dom 67, Quartier 150.

Moskau, den 3. Juli 1936.

Liebe Helly!
Die Sache mit Engels155 macht sich. Brecht schrieb damals, Du wolltest Dir die Wolga
ansehen, um Euren Daueraufenthalt dort nachzuprüfen. Es ist also Zeit, sich zur Reise
fertig zu machen. Du könntest ungefähr Anfang September eintreffen, um zunächst in ei-
nigen Stücken aufzutreten, die zwar von anderen Regisseuren inszeniert wurden, nun aber
doch von uns „werkgerecht“ gestaltet werden müssen. Damit verbringen wir die Vorsaison
bis Dezember etwa. Dann soll das neue Programm beginnen. Im Augenblick ist natürlich
alles noch etwas chaotisch, da wir, wie Du siehst, sehr spät, zur vorgerückten Jahreszeit,
mit der Organisation beginnen müssen. Granach, Busch etc. werden Anfang Januar begin-
nen.156 Andere sind noch im Rodenbergfilm157 festgehalten, andere in Dnjepropetrowsk 158.
Immerhin hoffen wir – wir, das sind Reich und ich – Reich sagt, das bin ich – (da ich auf
einige Monate zu ungelegener Zeit nach einer anderen Richtung fahren muss), das Kind
zu schaukeln. Was wir also von Dir wissen wollen: 1. kannst Du überhaupt? 2. Wann? 3.
Kommst Du allein oder mit der Familie? 4. Wer ist die Familie, Du und die Kinder? 5. - ?
– 6. Gehört Brecht auch dazu? 7. Kommt er also auch? 9.159 Kommt er allein? Vorher oder
nachher? 10. Hat er ein neues Stück?
Herzlichst
Erwin.

155 Vgl. Anm. zu Steffin, 7.2.1936.


156 Alexander Granach hatte bereits einen Vertrag mit dem Jüdischen Staatstheater Kiew abgeschlossen.
Auch Ernst Busch, der die deutsche Wolgarepublik bei einem Konzertgastspiel im Februar 1936 be-
reits kennengelernt hatte, sagte ab und ging bald darauf nach Spanien, um sich den Internationalen
Brigaden anzuschließen.
157 Der Schauspieler und Regisseur Hans Rodenberg, eigentl. Rosenberg (1895–1978), seit 1932 stell-
vertretender Direktor von Meshrabpomfilm in Moskau, bereitete dort einen Film mit dem Titel
Illegal vor (vgl. Anm. zu Steffin, Ende März 1936). Aufgrund der Auflösung des Studios im Juni
1936 mußten die Dreharbeiten nach nur wenigen Tagen abgebrochen werden. Die für die Besetzung
vorgesehenen Schauspieler Hanni Rodenberg, Josef Almas und Rolf Schreiber kamen nicht nach
Engels. Hans Rodenberg leitete später in der DDR die DEFA-Studios in Potsdam-Babelsberg.
158 Vom aufgelösten Deutschen Gebietstheater Dnjepropetrowsk gingen lediglich Friedrich Richter, sei-
ne Frau Emmy Frank sowie Curt Trepte nach Engels; Maxim Vallentin sagte zunächst ab.
159 „8.“ fehlt im Ts.
568 Jahrgang 1936

Briefadresse:
MORT,
Reich, Moskau 9,
Potschtowij Jaschtschik 1278.

Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 477/111. – E: Piscator, Briefe, Bd. 1, S. 432f.

Erwin Piscator an Bertolt Brecht


Moskau, 3.7.1936

Moskau, 3. Juli 1936.


Lieber Bert!
Aus Brief an Weigel siehst Du alles. Ich muss leider jetzt wegfahren. Bernhard Reich
vertritt mich aber, sodass Ihr alles mit ihm ausmachen könnt. Ich bin in P.160 Ich liess Dir
doch schon nach London sagen und fragen, ob Du nicht auch dort sein würdest. Heute
höre ich, dass Eisler Busch eingeladen habe zu einer Amerika-Tournee, das kommt uns sehr
in die Quere. Wir brauchen Busch ganz unbedingt. Eisler wird doch auf jeden Fall, so hoffe
ich, nach P. kommen. Ende August findet doch dort eine wichtige Beratung statt, an der er
teilnehmen soll. (Wenn Du könntest, Du natürlich auch).
Engels. Wir beginnen 1. Oktober. Der bisherige Ensemble-Stamm (Einheimische) hat
im Sommer hier in Moskau „Was Ihr wollt“161 und ein russisches Stück 162 einstudiert. Ist
Theaterschule. Um nun von vornherein einen anderen Wind ins Theater zu bekommen,
wollen wir zunächst einige Rollen umbesetzen. Malvolio, Almas163 z.B. usw. Ab Januar, wo
dem Theater neue Mittel zufliessen, sollen noch einige Schauspieler wie Granach, Busch
etc. hinzukommen. Wir denken an ein Programm etwa: „Nathan der Weise“164, „Dreigro-
schenoper“ (Hast Du schon an eine Umarbeitung im Sinne Deines Romans gedacht oder
irgend wie eine Veränderung), Wolf schreibt ein neues Stück: „Die Deutschen 1918 in der
Ukraine“165, „Das Leben ruft“ von Bill-Bjelozerkowskij166; auch denken wir an „Die Hose“

160 Paris.
161 Twelfth Night or What You Will (1601), Komödie von William Shakespeare.
162 Familie Wolkow von D.I. Dawurin.
163 Der Schauspieler Josef Almas (1883–1948) war für die Besetzung vorgesehen, kam aber nicht nach
Engels (vgl. Anm. zu Piscator an Weigel, 3.7.1936). Er ging nach Großbritannien, später in die USA,
kehrte nach Kriegsende nach Deutschland zurück. Die Rolle des Malvolio wurde von Friedrich
Richter übernommen.
164 Nathan der Weise (1779), Schauspiel von Gotthold Ephraim Lessing.
165 Das Stück von Friedrich Wolf wurde erst am 29.10.1937, nachdem auch die wenigen nach Engels ge-
kommenen deutschen Schauspieler als „bourgeoise Nationalisten“ verleumdet und entlassen worden
waren, unter dem Titel Peter kehrt heim uraufgeführt.
166 Žizn’ zovët (1934), Drama des ukrainischen Schriftstellers Wladimir Naumowitsch Bill-Bjelozerkow-
Jahrgang 1936 569

von Sternheim.167 Das Programm hat für sich, dass es kleine Besetzung hat, das Ensemble
untereinander verbindet. Ist natürlich nicht aufregend. An „Rundköpfe und Spitzköpfe“
möchten wir uns in dieser Saison noch nicht heranwagen. Nebenbei zu wenig Sowjet-
stücke. Vielleicht müsste man an Dramatisierungen denken von Scholochow „Neuland
unterm Pflug“168 (es gibt schon eine, aber die ist schlecht). Welche Vorschläge hast Du?
Du musst sofort schreiben, wann Du kommen willst, welche Arbeit Du Dir vorstellst usw.
Reich wird Dir ausführlich schreiben können, nachdem er dort gewesen ist, er fährt in den
nächsten Tagen. Ich werde Dir meine Adresse von P. aus mitteilen. Mache von dem Brief
an Reich gleich einen Durchschlag.
Für heute herzliche Grüsse.
[Hs.] Dein Erwin.

Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 477/112–113. – E: Piscator, Briefe, Bd. 1, S. 431f.

Babette Gross an Bertolt Brecht


Paris, 8.7.1936

Paris, den 8. Juli 1936

Herrn Bert BRECHT


Soovsbostrand [sic] per Svendborg

Lieber Genosse Brecht,


wir übersenden Ihnen mit gleicher Post das eben erschienene Buch „DAS DEUTSCHE
VOLK KLAGT AN“169 und bitten Sie, es recht bald durchzulesen. Er wird hier zum ersten
Mal der Versuch gemacht, zusammenfassend die Geschichte des Dritten Reiches zu geben,
und wir glauben, dass dieses Buch besondere Beachtung verdient.

ski (Vladimir Naumovič Bill’-Belocerkovskij, 1885–1970).


167 Die Hose. Ein bürgerliches Lustspiel von Carl Sternheim (1878–1942) aus dem Jahr 1911. Sternheim
lebte seit 1912 in Belgien und der Schweiz.
168 Der erste Teil des Romans Podnjataja celina von Michail Scholochow erschien 1932 in Moskau (deut-
sche Ausgabe: Neuland unterm Pflug, Zürich 1934). Eine Dramatisierung des Romans von W.M.
Zurkin erschien 1933 in Moskau.
169 Vollständiger Titel: Das deutsche Volk klagt an. Hitlers Krieg gegen die Friedenskämpfer in Deutsch-
land: ein Tatsachenbuch, Paris 1936. Die Autoren dieses Gemeinschaftswerks blieben anonym, das
Vorwort verfaßte Romain Rolland.
570 Jahrgang 1936

Wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie uns helfen könnten, diesem Buch eine starke
Resonanz zu verschaffen. Vielleicht ist es Ihnen möglich, an irgend einer geeigneten Stelle
darauf hinzuweisen.
Vor allem würden wir uns aber freuen, wenn Sie uns in ein paar Zeilen Ihren Eindruck
und Ihre Meinung mitteilen würden.
Mit den besten Grüssen
ÉDITIONS DU CARREFOUR
Babettefrou

Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: ÉDITIONS DU CARREFOUR Société à responsabilité limitée au
capital de 500.000 frs. R.C. Seine 260.816 B. Chèque Postal: Paris 875-92 83, Boulevard du Montparnasse
PARIS VIe ; BBA 477/63.

Mordecai Gorelik an Bertolt Brecht


Viggbyholm, 18.7.1936
Viggbyholmskolan
Viggbyholm, Sweden
July 18, 1936.

Dear Bert,
We have been at the Viggbyholm School ever since July 1st. Before leaving Stockholm
we wrote to Mrs. Brecht for information on Svendborg, and she had the kindness to write
us in detail. She also suggested that we talk with Mrs. Korsch, who was then teaching
at Viggbyholm. We decided not to go to Svendborg for the time being, as the child was
not well and we were both exhausted.I am leaving for the Soviet Union on August 17, by
steamer from Stockholm to Leningrad. I have a month’s Intourist service. The New York
Intourist has arranged for a reduced rate for the family ($50 per week), which is still very
bad; it means that we will be spending about $600 or more of our own money (not Mr.
Guggenheim’s170), and will be broke when we return to New York. However, there seems to
be no choice about the matter: we have received no news to speak of from the Soviet Union.
Piscator sent a note to us saying that the circumstances at present were unfavorable, but that
something might possibly be arranged if I were in Moscow personally. I must confess that I
feel bitter over the state of affairs. All kinds of doubtful people and even enemies are admit-
ted and given an opportunity to work; whereas after years of self-sacrificing and useful work
in the American theatre, I am given no opportunity to make some very necessary studies. I
am fairly certain that even the $50 per week proposition will not do, as it would mean living

170 Gorelik hatte von der Guggenheim Memorial Foundation ein Stipendium erhalten (vgl. Anm. zu
Gorelik, 1.6.1936).
Jahrgang 1936 571

in a crowded Moscow hotel with the baby, with no way to do laundering or to prepare food
for the infant. We have already been told that we will not be able to put the child in a nurs-
ery. While I am in Moscow I will look over the possibilities, and if it seems at all workable
to bring the family there, I will do so. Otherwise we will forget all about our Soviet trip.
Half of the time which I badly needed for my studies has gone into the struggle to get into
the Soviet Union; if we finally give up the struggle, at least it will be off our minds.
The article which I wrote on the Group Theatre171 was, in the end, completely rewritten
by the New Theatre MAGAZINE, practically nothing but the title remains the same. At
least I woke the New Theatre to the necessity for doing something about the matter. I think
the version of the article is quite bad, and the secretary of the New Theatre League writes
me that he thinks so too. My article on the Soviet Theatre is finally being printed by the
New Masses; they sent me a letter saying they were sorry they had not printed it before. We
certainly have a lot of blundering people, and not only in the Soviet Union!
I wish to say that as regards you personally, your reception in America and the way the
Theatre Union treated you and your play172 was an outrage. During our stay here I have had
the opportunity to study, in addition to your articles, also your plays and essays (“Versuch-
ungen”173, of which Mrs. Korsch had a copy). I have also done some reading on the subject
of the Piscator-Brecht theatre, at the Stadsbiblioteket, in Stockholm. I am convinced now
of the tremendous value of your work and essays. We in America know practically nothing
about it; we still have a pig-stay of a theatre. These new theatrical conceptions will have to
be fought for in America (and in the Soviet Union, too, I imagine).
In case we do not manage to get to the Soviet Union at this time, I am very anxious to
know if you will be at Svendborg after September, as I wish to talk over a number of matters
with you. The article which I wish to write on your work and theories should be as solid
as possible, as I intend it to be the opening wedge in the task of cleaning up the American
theatre. I promise you that after I get through, you will have a different standing in America
from the one that the Theatre Union gave you. We must have some more talks, in any case.
By September, if I cannot take my family to Moscow, I want to take them to Svendborg;
we are feeling better and will be able to do our own cooking and so on, and the baby will
be able to stand the trip now.
I have the idea of starting a school in New York, possibly in connection with a new
producing company (in a small experimental way); this is one of the things I should like to
discuss with you. I shall apply to the Guggenheims for a renewal of my fellowship. There
may be a possibility of this, in which case we would not have to return to America until
next spring.
Please be kind enough to let me know what your plans are this fall. If I do not remain
in the Soviet Union, and do not see you either, I will feel that most of my trip to Europe

171 Vgl. Gorelik, 1.6.1936.


172 Die Mutter. Vgl. Theatre Union, 29.8.1935 (und folgende).
173 Gemeint sind offenbar die Versuche.
572 Jahrgang 1936

has been wasted. Our plans now depend on whether we can stay in Moscow or, failing that,
whether I can spend some time with you. If neither should be possible, I will come back
to Stockholm from Leningrad and we will then probably go to Vienna, Paris, and home. I
hope things will not be as bad as that, but we have to be prepared in advance; with an infant
every move is difficult.
We are happy to say that the baby is well and strong.
The New Theatre League is preparing to issue a quarterly magazine “of the theory, his-
tory and practice of the theatre arts.” They write me that it is to have the highest possible
standard, and have empowered me to ask for articles. I therefore ask if I may have your
permission to translate some of your essays, or to have them translated for this purpose. If
there as anything special you should care to write. I will look after the matter for you.
Frances and Eugene174 send you their kind regards and hope to hear from you as soon
as you can write us.
Please excuse the length of this letter.
With all best wishes
Max Gorelik.
Could you please let us know where we can buy a set of your plays and essays, and about
how much it would cost?

Bert Brecht
148 Abbey Road
Westhampstead,
London.

Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 482/62–63.

Lola Sernau175 an Bertolt Brecht


Sanary (Var), 24.7.1936

Dr. Lion Feuchtwanger Sanary/Var, 24. Juli 1936


Villa Valmer

174 Sohn von Frances und Mordecai Gorelik.


175 Lola Humm-Sernau (1895–1990), Sekretärin Feuchtwangers.
Jahrgang 1936 573

Lieber Herr Brecht,


wir haben nur zwei Exemplare vom „Leben Eduard“176, die wir nicht gern ins Unsichere
schicken wollen. Ich sende Ihnen daher das Schreiben des Herrn Kürti in der Annahme,
dass Sie vielleicht mehr Exemplare besitzen.
Mit besten Grüssen
Lola Sernau
[Anlage:]

den 16. Juli 1936.

Herrn
Dr. Lion Feuchtwanger
Sanary

Sehr geehrter Herr Doktor,


mein Freund Otto Zarek177 sagt mir, dass Sie uns sicher ein Buch von „LEBEN ED-
WARD II.“ abgeben können. Aus Deutschland erhalten wir nämlich den Bescheid, dass
das Werk „vergriffen“ und „verboten“ sei.
Da wir die Absicht haben dieses Stück im Laufe der nächsten Spielzeit vielleicht her-
auszubringen178, würden Sie uns einen grossen Gefallen tun, wenn Sie uns ein Exemplar
schickten.
Indem ich noch einen schönen Gruss von Herrn Zarek vermittle, zeichne ich mit Dank
und
vorzüglicher Hochachtung
Paul Kürti
Dramaturg des Innerstädter Theaters

Überlieferung: Ts, m. hs. U.; BBA 478/78. Anlage: Ts, hs. Korr., hs. U., , Bv.: Belvárosi Szinház Igaz-
gatóság – Budapest, Telefon: 1–880–24; BBA 478/79.

Grete Weiskopf179 an Bertolt Brecht


Prag, 25.7.1936

Prag, den 25.7.36

176 Vgl. Anm. zu Steffin, 1.11.1935.


177 Otto Zarek (1898–1958), Schriftsteller, Literaturkritiker, Dramaturg und Regisseur. Floh 1933 nach
Budapest, 1938 nach London. 1954 kehrte er zurück nach Berlin.
178 Eine Aufführung des Stücks am Innerstädter Theater in Budapest kam nicht zustande.
179 Grete Weiskopf, d.i. Margarete Bernheim (1905–1966), Pseudonym: Alex Wedding, österreichische
574 Jahrgang 1936

Bert Brecht, Thurø per Svendborg, Danmark

Lieber Herr Brecht,


Herzfelde erhielt aus London einen Brief von G. Steffin. Er lässt darauf folgendes ant-
worten:
1) Selbstverständlich müssen Sie Korrekturfahnen erhalten. Es wird von hier aus so-
fort in diesem Sinne an die Vegaar geschrieben. Herzfelde hat im Mai den fertigen
Satz des ersten Bandes bereits in Händen gehabt. Wenn keine Korrekturen gesandt
wurden, so ist das unverständlich und unbegründet. Selbstverständlich ist rasche
Herstellung besonders erwünscht, daher lässt H. Sie bitten, die Korrekturen recht
schnell auszuführen und zurückzusenden.
2) In bezug auf das Honorar der Vegaar-Ausgabe könne es Differenzen nicht geben,
denn der § 10 des Vertrages zwischen Herzfelde und Ihnen sei ja vollkommen klar.
Der Vertrag sieht übrigens ausdrücklich vor, dass Rbl. 200.-- à Bogen das Min-
desthonorar sind. Tatsächlich pflegt die Vegaar vielfach schlechtere Honorare zu
zahlen mit dem Hinweis darauf, dass sie ja nur kleine Auflagen drucke. In bezug
auf Ihre Bände hat sie sogar eine Ermässigung des Honorars zu erreichen versucht,
was Herzfelde selbstverständlich abgelehnt hat. Wenn Sie eine Erhöhung erreichen
können, so wäre das nur erfreulich.
3) Grosz hat am 14. Juli geschrieben, er „klemme sich jetzt energisch hinter die Illu-
strationen“.
4) Eine Kopie dieses Briefes geht nach London an G. Steffin.
Mit den besten Grüssen
Ihre
Grete Weiskopf

Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., Bv.: W. Herzfelde Praha I, Konviktská 5 ČSR. Telefon: Prag 368 96
Vertreter der Malik-Verlag Publishing Company London, W.C. 1; BBA 477/11.

Erwin Piscator an Bertolt Brecht


Prag, 28.7.1936

Prag, 28.VII.36.

Schriftstellerin. Arbeitete in den 1920er Jahren in Berlin. Seit 1928 verheiratet mit dem Schriftsteller
Franz Carl Weiskopf, mit dem sie 1933 nach Prag flüchtete. Dort arbeitete sie für den Malik-Verlag.
Ging später über Paris nach New York. Nach Aufenthalten in Schweden und China übersiedelte sie
1953 in die DDR.
Jahrgang 1936 575

Lieber Bert,
heute fahre nach Paris. Nehme – wenns geht – in Lania’s Hotel – Royal-Madeleine, 26.
rue Pasquier Wohnung. Bleibe dort bis zum 20.VIII. etwa. Komme dann zurück nach hier
– bleibe bis zum 1. Sept. und fahre dann über Brüssel (3.-6.) nach Dänemark zu BB (Auf
Deine Einladung hin – )
1. Frage. Hatte hier wieder Angina. Ein Arzt will mir nun die Mandeln herausnehmen.
Wahrsch. kostenlos. Das sollte ca. am 8.VIII. geschehen – damit ich bis zu der hier stattfin-
denden Besprechung (am 25.VIII.) wieder auf dem Damm sei.
Nun erinnere ich mich, dass entweder Du oder Ottwalt mir von einem Euch bekannten
Spezialisten180 in Kopenhagen (?) sprachen, bei dem man sehr gut aufgehoben wäre – der
die Operation machen könnte. (Kostenlos?) In diesem Fall könnte ich das dann bei Euch
machen lassen und nicht hier. (??) Gut – mir nach Paris mitzuteilen!!
Dann: hast Du meinen Brief über Engels nicht bekommen? Ich sandte ihn nach Dä-
nem., weil man mir sagte, Du seist schon dort?? Hier erzählte Anton Kuh181, Eure Pläne in
L.182 seien wegen Geldmangel unterbrochen??
Du musst mir unbedingt auf diese Briefe umgehend antworten. Dein Brief war sehr
nett: Du hast in Allem recht: tatsächlich kann Engels für uns ausschlaggebend wichtig wer-
den.183 Wenn wir nicht eine Produktionsbasis erhalten, können sich auch unsere Theorien
nicht entwickeln. Ich meinerseits habe keine mehr –
Dein Träumer184
Erwin P.

Überlieferung: Ms, BBA 477/107–110. – E: Piscator, Briefe, Bd. 1, S. 435f.

180 Vermutlich Robert Lund.


181 Anton Kuh (1890–1941), Pseudonym: Yorick, österreichischer Schriftsteller und Journalist. Seit 1928
in Berlin, ging 1933 zurück nach Österreich, 1938 in die USA.
182 London. Vgl. Anm. zu Steffin, März 1936.
183 „Den Gedanken, ein großes Experimentaltheater zu machen, in dem wir unsere theatralischen Un-
tersuchungen wieder aufnehmen und weiterführen können, finde ich großartig. Ich habe in New
York gesehen, mit welcher Gier eine ganze Menge Menschen alles über die neue Technik aufnehmen.
Diese Leute merken immer deutlicher, daß sie mit den alten Mitteln und dem kümmerlichen ideo-
logischen Rüstzeug, das sie haben, die neuen Aufgaben nicht mehr lösen können“ (B. an Piscator,
Anfang/Mitte Juli 1936, GBA 28, S. 557f.).
184 „Es ist ja grundfalsch“, schrieb Brecht in dem zitierten Brief, „daß wir für unsere Art, Theater und
Film aufzufassen, keine Propaganda machen. […] Ich habe Stanislawskis ‚My Life in Art‘ mit Neid
und Unruhe gelesen. Der Mann hat sein System in Ordnung gebracht und die Folge ist, daß sie
in Paris und New York Stanislawski-Schüler werden. Muß das sein? Wir sind wirklich weltfremde
Träumer“ (GBA 28, S. 558).
576 Jahrgang 1936

Margarete Steffin an Bertolt Brecht


[Kopenhagen, August 1936]

l.b., ich habe Dir von hier aus mindestens 5 oder 6 mal geschrieben, wieso findest Du dann,
dass ich Dir nicht schreibe? und dass Du ja schreibst, obwohl Du einen einzigen brief
schicktest?
ich bin immer ungern in kopenhagen. die ersten tage, wo ich relativ viel zu tun hatte
mit ärzten und der papiersache usw., ging es ja, aber jetzt fühle ich mich überflüssig und
verlassen wie nie. muss es auch regnen? – der permin185 hat mir nochmals günstigen be-
scheid gegeben: blutsenkung, die damals, als ich in die SU ging, 38 war, ist auf 25 zurück-
gegangen.186 ich freue mich wirklich darüber.

meine mutter187 über ihre ehe:


warst Du eigentlich glücklich in Deiner ehe?
ach gott, kind, ich habe doch regelmässig mein geld bekommen, wenn er verdient.
wieviel verdient vater188 dann?
das sagt er doch nicht. er gibt mir immer 25 mark, wenn er voll verdient. aber er muß
ja auch richtig dafür was zu essen haben, er arbeitet doch so schwer. ohne fleisch kann er ja
nicht auskommen. .....
ich meine, ist er denn nett zu Dir?
ach, Du weisst doch, er kann ja nicht so richtig lachen. wie ich weggefahren bin, hat er
mir nicht mal die hand gegeben, das ist bürgerlich sagt er. früher, ja, da hat er mich mit ins
kino genommen.
warst Du zuviel allein?
wie mans nimmt. siehst Du, uns hat ja wirklich die partei auseinandergebracht. wir
waren immer beide dabei, und abend für abend und sonntag für sonntag musste jeder sei-
nen weg gehen. er sieht nicht gern, wenn ich lustig bin. mit den genossen wars aber lustig.
dann sollte ich ja auch immer das abendbrot zur richtigen zeit fertighaben, wo doch die
versammlungen manchmal so lange dauern.

von deutschland erzählt sie mir nur, dass der ganze osten durch die olympiade schwer
enttäuscht wurde.189 jeder der konnte (sie nicht, sie hat ja den schwamm), meldete platz

185 Behandelnder Arzt in Kopenhagen.


186 Die Gradangaben beziehen sich auf die Bestimmung der Blutsenkungsreaktion nach der Wester-
gren-Methode.
187 Johanna Steffin.
188 August Steffin (1882–?).
189 Mit dem Osten sind vermutlich die östlichen Arbeiterbezirke Berlins gemeint. Die Olympischen
Sommerspiele fanden vom 1. bis 16.8.1936 in Berlin statt. Boykottaufrufe etwa aus den USA und
Frankreich blieben ohne Erfolg. Mit 49 teilnehmenden Nationen, darunter auch sämtliche westli-
chen Demokratien mit Ausnahme des republikanischen Spanien, markierten die Spiele einen neuen
Jahrgang 1936 577

für einen oder 2 gäste an, das kostete 25 pfennig. und niemand hat einen gast bekommen,
obwohl man sich auf die versprochenen verdienste hin ausgaben gemacht hatte. bloss die
feinen gegenden und die bonzen haben leute bekommen. schön verdient hätte man ja,
war[en] alles anständige preise.
wenige unserer freunde melden sich noch. das letzte mal bekam sie eine unserer zeitun-
gen zu weihnachten! niemand will den andern kennen und grüssen.
es ist grau.

[Hs.] Wirst Du mir schreiben. Denkst Du manchmal an mich?


Deine Grete

Überlieferung: Ts, hs. U., auf der Rückseite hs. Notizen; BBA 911/127–129. – E: Steffin, Briefe, S. 204f.

Erwin Piscator an Bertolt Brecht


Paris, 9.8.1936

Paris, 9.8.36.

Lieber Bert,
heute fahre ich zunächst nach Prag zurück – Denke Anfang September wieder hier zu
sein – dann einen Kongress in Brüssel190 mitzumachen und Mitte September etwa bei Euch
einzutreffen. Prag, Hotel Axa.
Hier ist eine phant. pol. Hochspannung und eine ungeheure Stimmung – Aber –
Von Helli ist sehr nett, dass sie mir meine Leibspeisen kochen will191 – Hoffentlich
komme ich dazu sie zu essen – mit Euch gemeinsam – eh der Weltkrieg ausbricht192 –
Herzlich Erwin.

Überlieferung: Ms, BBA 477/106. – E: Piscator, Briefe, Bd. 1, S. 437.

Rekord. Die Sowjetunion nahm nicht teil. Sozialistische und kommunistische Sportler aus 22 Län-
dern fuhren unterdessen zur „Volksolympiade“, die aus Protest gegen die Spiele in Berlin im Juli 1936
in Barcelona stattfand, aufgrund des beginnenden Bürgerkriegs jedoch nach wenigen Tagen bereits
abgebrochen werden mußte.
190 Brüsseler Weltfriedenskongreß vom 3. bis 6.9.1936.
191 In einem undatierten Brief an Piscator hatte Weigel geschrieben: „B. freut sich sehr, dass Du kom-
men wirst, ich auch. […] Ich koch Dir dann Deine Lieblingsessen“ (ML/SIU, zit. nach Piscator,
Briefe, Bd. 1, S. 437). Piscator kam jedoch nicht nach Svendborg.
192 Anspielung auf den Schwejk (vgl. Anm. zu Piscator, 1.8.1933), den er in Paris verfilmen wollte.
578 Jahrgang 1936

Mordecai Gorelik an Bertolt Brecht


Stockholm, 18.8.1936

c/o American Express Co.


Stockholm
August 18, 1936.

Dear Bert,
Your reply193 to my letter of July 18th arrived a few days ago, along with a valuable letter
from Fräulein Steffin. I should have answered her directly except that we have been very
occupied with finding a place in Stockholm and moving in from the country. I understand
that she is at Svendborg by this time; will you therefore give her our thanks for the infor-
mation she sent?
Frances and I were both very sorry to hear your illness, which sounds like a most trou-
blesome one. We hope, now that you are at home, you will be feeling very much better.
Eugene is feeling fine, and Frances is better, but I have been sick the past few weeks. I
intended originally to leave for the Soviet Union on August 17th, but received a letter from
Ben Blake, the American representative of the IURT194, who wrote that there would be no
theatre people in Moscow until September. This gave me a chance to get a much-needed
rest. I am leaving now on the 25th. Blake writes that the IURT no longer exists officially
and that I cannot even get paid for an article I wrote for International Theatre.
I originally bought a month’s Intourist service in New York. However, if things con-
tinue to look bad, I may not even stay beyond the period of the Theatre Festival. Frances
and I both feel that the idea of staying in the Soviet Union on an Intourist basis is very
unsatisfactory from every point of view, particularly in view of what Fräulein Steffin has
written us. We are exhausted by the struggle to make arrangements to stay in the Soviet
Union; unless I can make such arrangement while I am in Moscow (which seems quite
improbable), we will give up this attempt. The chances are therefore that I will return to
Stockholm before October 1st, and will then wish to take the family to visit you at Svend-
borg. In the meantime I have applied for an extension of the Guggenheim fellowship. If
the extension is granted, we will stay on in Europe until the spring: if not, we will start for
home about November 1st.
The New Masses, after keeping my article on the Soviet Theatre195 from April until Au-
gust, and notifying me twice that it would be printed, has not printed it after all. Just why,
I have no idea. It seems to me unscrupulous, and I must admit I am not a politician and do
not know how to deal with these matters.

193 Nicht überliefert.


194 International Union of Revolutionary Theatre: engl. Bezeichnung der MORT.
195 Vgl. Gorelik, 1.6.1936.
Jahrgang 1936 579

The New Theatre League, somewhat to my surprise, notified me that I have been elected
editor of the scenic department of its new magazine, Theatre Workshop, about which I
wrote you last time.196 In replying to the NTL, I mentioned the fact that you were not
properly received in New York. Theatre Arts Monthly is printing my review of the Danish
play Melodien197, in which I point out that the play uses elements of the Brecht-Piscator
technique, and that this technique is demonstrably a practical stage form, and not a the-
ory. (You will perhaps remember that the technique of Mother was ridiculed in this same
magazine).
Kindly give our regards to Mrs. Brecht. By this time she knows just what kind of ac-
commodations we need; it will help us very much indeed if within the next few weeks she
can learn of a good place for us to stay.
With best wishes,
Max Gorelik

Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 482/59.

Grete Weiskopf an Margarete Steffin


Prag, 21.8.1936

Prag, den 21.8.36

Grete Steffin, c/o Per Knutzon, Kopenhagen, Nyelandsvej 82

Liebe Grete Steffin,


Herzfelde hat auf Grund Ihres Briefes vom 18.8. sogleich an drei verschiedene Stellen in
M.198 geschrieben, damit die Korrekturen endlich geschickt werden.199 Dass es nicht längst
geschehen ist, begreift er nicht, denn er hatte sie schon im April in Händen, als er noch
drüben war. Hoffentlich sind sie nicht infolge des mehrfachen Adressenwechsels von Brecht
verloren gegangen.
Sobald eine Antwort auf die Briefe nach M. eintrifft, erhalten Sie Nachricht.
Zur Honorarfrage für die Vegaar-Ausgabe: es ist ein Irrtum, wenn Sie annehmen, Herz-
felde wünsche, dass Brecht mit der Vegaar nicht direkt abschliesse. Im Gegenteil. Seine
Vereinbarungen mit der Vegaar stellen lediglich einen Schutz der Autoren dar, die szt. von
der Vegaar sehr oft nachgedruckt wurden, ohne dass überhaupt ein Vertrag abgeschlossen
wurde, oder Honorar bezahlt wurde. Auf Grund dessen sieht der Vertrag zwischen Herz-

196 Vgl. Anm. zu Gorelik, 1.6.1936.


197 Vgl. Anm. zu Steffin, 12.11.1935.
198 Moskau.
199 Vgl. B. an Bork, 20.7.1936, GBA 28, S. 559f.
580 Jahrgang 1936

felde und Vegaar ein Mindesthonorar vor, das den Autoren zusteht; wenn es den Autoren
gelingt, die Vegaar zur Zahlung eines höheren Honorars zu bewegen, umso besser.
Nicht unerwähnt darf aber bleiben, dass die Vegaar gerade in Fragen des vorliegenden
Buches an Herzfelde sich gewandt hat, um hier ein niedrigeres Honorar als generell festge-
setzt, zu erreichen mit Hinweis darauf, dass die Auflage der Theaterstücke sehe niedrig sei.
Das hat Herzfelde selbstverständlich abgelehnt.
Mit bestem Gruss
Grete Weiskopf

PS: Eine Kopie des Briefes sende ich gleichzeitig an Bert Brecht.

Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: W. Herzfelde Praha I, Konviktská 5 ČSR. Telefon: Prag 368 96 Vertreter
der Malik-Verlag Publishing Company London, W.C. 1; BBA 477/16.

Hanns Eisler an Bertolt Brecht


24.8.[1936]

24.VIII.

lieber brecht,
leider hast du mir auf meinen letzten brief nicht geantwortet und auch nichts geschickt.
vergiss nicht an die sachen für edwards. ich lege dir einen Brief bei, den ich heute von
knutzon bekam.
was die musik anbelangt200 steht die sache sehr schlecht. ein arrangement für 4 instru-
mente ist unmöglich, hingegen ist eines für 2 klaviere eher möglich. ich selbst bin nur so be-
schäftigt, dass ich es unmöglich machen kann. ich schlage einen kompromiss vor, ich bitte
dich ihn zu unterstützen. man soll wenigstens 8 tage die musik in der originalbesetzung
spielen. das ist für eine uraufführung wohl unerlässlich. ich muss die möglichkeit haben die
musik für kurze zeit im original vorführen zu können. inzwischen kann mortensen201 eine
bearbeitung für 2 klaviere machen, die ich kontrollieren und verbessern werde, eine andere
möglichkeit sehe ich nicht. mit 4 instrumenten kann ich nicht einmal meine overtüre auf-
führen, geschweige denn lieder wie „lob des geldes“ oder „tünchnerchor“.202
wie du aus dem brief siehst, habe ich noch keinen vertrag bekommen, vielleicht kannst
du mir die bedingungen mitteilen.

200 Die Musik zur Uraufführung der Rundköpfe und Spitzköpfe im Teatret Riddersalen in Kopenhagen.
201 Otto Mortensen (1907–1986), dänischer Komponist. Die angesprochene Klavierfassung wurde
schließlich von Borge Roger-Henrichsen angefertigt.
202 Gemeint sind das Lied von der belebenden Wirkung des Geldes und Das Lied von der Tünche aus den
Rundköpfen und Spitzköpfen (GBA 4, S. 211–213 u. 172f.).
Jahrgang 1936 581

ich hoffe du fühlst dich wohl, nach dieser scheusslichen londoner zeit203 und bist schon
fest bei der arbeit.
ich habe im atelier sehr viel zu tun, trotzdem bin ich schon tief im dritten satz meiner
symphonie204, mit der ich sehr zufrieden bin.
bitte lasse doch bald von dir hören.
mit den herzlichsten grüssen dein alter

[Hs.] Schreib mir bitte Adresse von Herzfelde, wegen Noten zu „Rundköpfen“ ist es wich-
tig.

Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg.; BBA 479/9. – E: Eisler, Briefe, S. 119.

Hanns Eisler an Bertolt Brecht


[24.8.1936]

lieber Brecht,
das ist der zweite brief den ich heute schreibe und das zweite lied 205 das ich heute weg-
schicke. ich glaube dass es gelungen ist. die wirkung daran liegt, dass die musik furchtbar
gemein und ordinär ist. das muss eine dicke versoffene vettel singen mit resten von tizian206
schönheit. musikalisch leicht zu singen aber schwer vorzutragen. sehr frei im tempo. diese
beiden lieder habe ich jetzt nur für ein klavier gemacht. der bearbeiter soll das für 2 kla-
viere ganz kabarettmässig aussetzen. wobei beim ersten lied der blues charakter und beim
zweiten lied der bänkel charakter herauskommen soll. diese beiden stücke die sich sehr von
der anderen musik unterscheiden, bringen sicher etwas spass in diese düstere angelegenheit.
hoffentlich werden die texte so übersetzt dass ein gewisser spass auch in den worten heraus
kommt.
zu erwähnen bleibt noch, dass in diesem lied, das ich beilege, das hauptmotiv von „Tri-
stan und Isolde“ von richard wagner als begleitung verwendet wurde, denn man soll die
meister immer dort ehren wo es notwendig ist.
herzliche grüsse
Eisler

Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 479/1. – E: Eisler, Briefe, S. 119f.

203 Vgl. Anm. zu Steffin, März 1936.


204 Seit 1935 arbeitete Eisler an seiner Deutschen Symphonie.
205 Für die Kopenhagener Aufführung hatte Eisler seine Bühnenmusik um zwei Stücke erweitert: Nan-
nas Lied und das Kuppellied (GBA 4, S. 168f. u. S. 239f.).
206 Tizian (ca. 1490–1576), Maler der venezianischen Renaissance.
582 Jahrgang 1936

Per Knutzon an Bertolt Brecht


Kopenhagen, 26.8.1936

København F., d. 26.8.1936

Lieber Brecht,
warum hast Du nicht an Eisler geschrieben?
Alle Raeder stehen still. Wir koennen nicht mit Probe anfangen, weil wir keinen Kla-
vierauszug haben, wir wissen nicht, ob er einverstanden mit Kontrakt ist usw. usw. (bitte
sieh Dir die Einlagen an – schicke sie uns zurueck.)
Ausserdem hat der Otto Gelsted lange gewartet, um die 2 Szenen (die beiden Advo-
katen und das Lied der Judith207) gleich einzusetzen. Wir sind in Verbindung mit einem
Mann, der faehig ist, Koepfe in einem dazu geeigneten Material zu bauen. Ich habe schon
eine Probe, und ich kann sagen, das gefaellt mir. – Der Svend Johannsen208 hat schon ein
paar Dekorationen gemacht und es sieht sehr gut aus. Ich glaube, dass die Aufgabe geloest
werden kann, dekorationsmaessig, nur ist es schwer, die Strasse auf so einer kleinen Buehne
aufzubauen. Aber das geht.
Ich fange am dienstag. 1. Sept. mit Leseprobe an, und dann die ersten 3, 4 Tage Ge-
sangsproben, weil ich leider zu gleicher Zeit Doublierunsproben fuer Melodien habe.209
Wann kommst Du?
Die Grete wohnt bei Lulu 210 draussen auf dem Lande. Sie ist dicker und braun gewor-
den.
Du musst mir versprechen, sofort an Eisler zu schreiben, mir gleich zu schreiben, wegen
Lied, Szene und wie die Verstaendigung zwischen Dir und Eisler gedeiht. (Vertrag, 4 Mu-
siker, Klavierauszug.)
Herzliche Gruesse
auch an Helli,
Dein Per.

Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Teatret Riddersalen; BBA 476/18.

207 Gemeint ist Nannas Lied (GBA 4, S. 168f.). Die Figur der Nanna hieß in früheren Fassungen Judith.
208 Der dänische Maler und Bühnenbildner Svend Johansen (1890–1970) entwarf, unterstützt durch
Ideen von Mordecai Gorelik, der einigen Proben beiwohnte, das Bühnenbild zur Kopenhagener
Aufführung der Rundköpfe und Spitzköpfe.
209 Vgl. Steffin, 12.11.1935.
210 Lulu Ziegler.
Jahrgang 1936 583

Slatan Dudow an Bertolt Brecht


Paris, 26.8.1936

Paris den 26 Aug. 36.

Lieber Brecht,
Ich danke Ihnen für den Brief.211
Das Expose „Die Denkaufgabe“212 finde ich ausgezeichnet. Filmisch ist es sicher nicht
so leicht darzustellen, vor allem wird es schwierig sein, die Zuschauer in den Denkprozess
zu verwickeln. Das finde ich an der Geschichte das Wichtige und das Interessante, daß der
Zuschauer zum Denken gezwungen wird. Man kann es auch einfach spannend machen,
nur fürchte ich, daß es dann langweilig wird. Das Manuskript müsste man mit Ihnen ge-
nau ausarbeiten, denn man muß manches noch überlegen.
Es wäre sicher sehr interessant einen solchen Film zu machen, deswegen werde ich mich
bei Richter, der diese Kurzfilm Produktion finanzieren will, sehr stark dafür einsetzen.
Sicher wird es Ihnen mit der Denkaufgabe so ergehen, wie mir mit den „Seifenblasen“.213
Ich habe den Film überall als einen lustigen Film angeboten, so wie ihn gedacht habe. Alle
fanden aber meine Ansicht über den Film lustig und nicht den Film selbst. Nur der fran-
zösische Verleiher, ein Prolet, sagte mir neulich, er werde einen grossen ernsten Film mit
meinen lustigen Film koppeln, um das Program für ein Kino komplet zu bekommen. Es
ist bis jetzt der erste und der einzige Mensch, der meiner Meinung ist und meinen Film
wirklich lustig findet.
Richter sehe ich später als beabsichtigt war, weil ich mich vorbereite nach Spanien zu
fahren.214 Ich hoffe sogar schon nächste Woche zu fahren, wenn nur bis dahin die Geld und
Passangelegenheit geregelt sind. Ich melde mich bei Ihnen noch, wenn ich abfahre. Wegen
den „Feigling“215 und den anderen Plänen schreibe ich Ihnen nach der Rückreise. Schade
daß Sie so weit wohnen und ausserdem ist die Fahrt ziemlich teuer. Ich würde gern zu Ih-

211 Nicht überliefert.


212 Dieser vermutlich 1933/34 entstandene Entwurf (GBA 19, S. 361f.), der sich thematisch deckt mit der
Geschichte Freundschaftsdienste aus den Geschichten vom Herrn Keuner (GBA 18, S. 437), war offen-
bar für ein gemeinsames Filmprojekt mit Hans Richter gedacht. Vgl. Richter, 18.9.1934.
213 Vgl. Dudow, 29.9.1934.
214 Mit der Militärrevolte in Marokko am 17.7.1936 begann der Bürgerkrieg in Spanien, in dem die
klerikalfaschistische Falange unter der Führung des Generals Francisco Franco gemeinsam mit Ver-
bündeten aus Deutschland und Italien die republikanische Regierung zu stürzen versuchte, die ih-
rerseits von Sozialisten, Kommunisten und Anarchisten, zudem von den Internationalen Brigaden,
einer von der Komintern zusammengestellten Freiwilligenarmee, unterstützt wurde. Wie Dudow
fuhren damals zahlreiche Exilanten nach Spanien, um sich den republikanischen Kampfverbänden
anzuschließen.
215 Vgl. Anm. zu Lania, 5.1.1935.
584 Jahrgang 1936

nen kommen auf einigen Wochen, um all die Sachen persönlich zu besprechen. Hoffentlich
liesse sich nach meiner Reise aus Spanien realisieren.
Bitte schicken Sie mir 2 Exemplare von „5 Schwierigkeiten die Wahrheit zu schreiben“,
weil ich sie für eine Zeitschrift brauche, wo sie ev. abgedruckt werden.216
Sollten Sie jemand in Barcelona und Madrid kennen, der mir behilflich sein kann,
schreiben Sie mir bitte deren Adressen und ev. paar Zeilen dazu.
Grüssen Sie bitte Benjamin.
Herzlichst
Ihr Dudow

Überlieferung: Ms, BBA 478/45–46.

Slatan Dudow an Bertolt Brecht


Paris, 4.9.1936

Paris den 4 Sept. 36.

Lieber Brecht,
ich bin mit meine Sache mit Richter noch nicht mal soweit gekommen, wie Sie mit
Kortner.217 Leider. Er ist zu Zt. in der Schweiz und bereitet verschiedene Manuskripte für
seine Produktion vor. Gelegentlich hatte ich ihm einen Stoff von mir erzählt. Jetzt be-
komme ich einen Brief von ihm, ich soll ein Manuskript von diesen Stoff an Hans Richter
Film Zurich ... schicken, jedoch liege die Entscheidung bei anderen Leuten, die ich nicht
kenne, irgend welche Geschäftsleute. Meiner Meinung nach sind diese Geschäftsleute, die
angeblich die Entscheidung treffen nur der vorgeschobene Riegel, hinter dem sich Richter
versteckt. Da ich mir von so einem Spiel nicht viel verspreche, habe ich Richter beim Wort
genommen und mich an den Plan desintere desinteressiert, weil ich nicht bereit bin unter
dieser Bedinung mitzumachen.
Dazu kommt, daß Richter auch zu den Freunden gehört, mit dem man nur mit zu-
geknöpften Hosentaschen verkehren kann. Unvorsichtiger weise habe ich ihm etwas von
meinen Plänen erzählt. Inzwischen versucht er in veränderter Form davon Gebrauch zu
machen.
Was soll ich mit Ihrer „Denkaufgabe“218 machen? Soll ich sie an Richter schicken oder
nicht? Ich habe ihm bis jetzt noch nicht geschrieben, weil er ev. nach Paris kommen wollte,

216 Die Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit waren, nach der Publikation in Unsere Zeit im
August 1935, auch als Sonderdruck des SDS erschienen.
217 Anspielung auf Brechts Filmarbeiten in London. Vgl. Anm. zu Steffin, März 1936.
218 Vgl. Anm. zu Dudow, 26.8.1936.
Jahrgang 1936 585

so daß ich persönlich mit ihm die Produktions Pläne besprechen wollte, darunter auch über
Ihre „Denkaufgabe“.
Vor kurzer Zeit ist „Kuhle Wampe“ in Zurich, wie man mir geschrieben hat, mit gros-
sem Erfolg gelaufen. In Paris läuft er ab und zu in kleinen Kinos, sehr oft in die arbeiter
Veranstaltungen. Eine private Geselschaft wertet den Film ohne die genügende Rechte zu
haben, aus. Haben Sie die Verträge mit Prometheus219 wo wir uns noch verschiedene Rechte
vorbehalten haben? Auch andere Abmachungen, die Casper220 später mit Höllering221 ge-
macht hatte? Meine sind alle z.Zt. in Berlin von der Gestapo mit beschlagnahmt. Schicken
Sie mir bitte p. Eingeschriebenen Brief, alle diese Verträge, weil ich etwas unternehmen will
um uns an der weiteren Auswertung des Films zu beteiligen.
Neulich sah ich ein Reportagefilm über den 1 Mai in New York. Neben die Internatio-
nale dominierte das Solidaritätslied.
Mit meiner Reise nach Spanien ist es nicht sehr leicht. Es ist mir noch nicht gelungen
die finanzielle Seite zu sichern. Vorläufig mache ich in dieser Hinsicht die letzten Versuche,
damit ich möglichst bald abfahren kann.
Die spanischen Ereignisse haben ganz Frankreich aufgewühlt. Ungeheuer wichtig
ist dabei die Feststellung, daß die Arbeiter wenigstens in Frankreich, die Bedeutung der
Waffen verstanden haben. Die Verzweiflungskämpfe der fast waffenlosen Bergarbeiter in
Badajoz war das Warnungsbeispiel.222 Sie können schon jetzt auf den Strassen von Paris
beobachten, welche gierige Blicke die Arbeiter auf die Waffen der vorbeimarschierenden
Soldaten werfen. Dieser Blick ist der wichtigste und der wird nicht ohne Folgen bleiben.
Schade, daß Sie so weit sind, sonst hätte ich vorgeschlagen, wenn Sie Zeit haben, eine Sache
über dieses Thema zu machen.223 Es ist ungeheuer wichtig und sehr lehrreich.
Ich hoffe bald von Ihnen zu hören
herzlichst
Ihr Dudow

Überlieferung: Ms, von fremder Hand: „geantwortet“; BBA 478/43–44.

219 Die von Münzenberg im Namen der IAH 1926 in Berlin gegründete Prometheus Film-Verleih und
Vertriebs-GmbH hatte u.a. den Film Kuhle Wampe produziert.
220 Der Rechtsanwalt Paul Casper hatte Brecht im Prozeß gegen die Nero-Film AG verteidigt (vgl.
Anm. zu Steffin, Anfang Juli 1933).
221 Der Jurist Georg Höllering (1896–1968) war Produktionsleiter der „kleine[n] Gesellschaft“ (GBA 21,
S. 545), die den Film Kuhle Wampe produzieren sollte. 1937 ging er ins Exil nach Großbritannien.
222 In Bardajoz in der südwestspanischen Provinz Extremadura hatten die Franco-Truppen am 14.8.1936
nach ihrem Sieg in der Schlacht ein Massaker an republikanischen Kämpfern und Zivilisten verübt.
223 Brecht griff diesen Vorschlag später auf: Im Frühjahr 1937 entwarf er, ausgehend von einer nicht
realisierten Filmidee (vgl. Anm. zu Oliver-Brachfeld, 8.5.1937), zusammen mit Steffin ein Stück über
den Spanischen Bürgerkrieg; ein erster Entwurf unter dem Titel Gewehre über Bilbao lag Anfang
Juni vor. Nach weiteren Umarbeitungen im August wurde das Stück umbenannt in Die Gewehre der
Frau Carrar. Unter Dudows Regie wurde es im Oktober 1937 in Paris uraufgeführt.
586 Jahrgang 1936

Frances Gorelik an Bertolt Brecht


Stockholm, 10.9.1936

Rödmansgatan 9
Pensionat Unman
Stockholm, Sweden
Sept. 10, 1936.

Lieber Brecht:
I hoffe dass sie sind sehr gesund jetzt. Haben sie erholten die briefe von Max letzte mo-
nat? Entschuldig mir weil ich schreibe slecht deutsch.
Max is jetzt in Moscau. Er schreibt das die leute sind sehr freundlich zu ihm. Friedrich
Wolf ist sehr interessant zu helfen Max arbeit zu bekommen und ein arbeit-visa damit. Er
geht mit Max zu organizationen und leute, man soll es tun.
Bis heute abend spielt die theatre festival.224 Als das ist geendet, hat Max mehr zeit zu
besuchen organizationen. Er hat gar nicht zu mir geschrieben von Piscator und ich weiss
nicht ob Piscator is dort. Ich hoffe sehr viel dass es ist möglich für uns nach Moscau zu
gehen bald. Es ist schwer in ein fremdes land, wenn man nicht hat freundin. Ich Moscau
haben wir vielen freund von America und ich wird es mehr interessant finden als hier.
Max fragte mich in seinem briefen ob sie haben noch geantwortet. Bitte schrieben sie
uns wie schnell sie können. Weil wann es ist nicht möglich nach Moscau zu gehen, dann
wollen wir nach Denmark kommen, mit ihen zu begegnen, bevor wir fahren züruck nach
America. Max hatte dass zu ihnen geschrieben in seinem brief.
Eugene ist ein sehr süsses kind. Es wird mich freuen wann sie ihm können sehen.
Mit grüssen to ihr frau, Fraulein Steffin, und auch Herr Korsch, wenn er ist noch dort,
Frances Gorelik

Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 482/56.

Walter Benjamin an Bertolt Brecht


[San Remo, ca. 27.9.1936]

Lieber Brecht,
unverzüglich, wenn auch in Kürze, sollen Sie erfahren, daß der Stand der Übersetzung-
sangelegenheit unverändert ist. Charles Wolf hat auch in den Sommermonaten nichts von
sich hören lassen.225

224 Das IV. Moskauer Theaterfestival (1. bis 10.9.1936).


225 Betrifft die geplante französische Ausgabe des Dreigroschenromans. Als Übersetzer war ursprünglich
Jahrgang 1936 587

Soviel habe ich bei meinem pariser Aufenthalt, der nur ein paar Stunden dauerte, auf
den ESI feststellen können. Gleichzeitig habe ich mir dort einige Bücher mitgeben lassen,
um hier den zweiten pariser Brief zu beginnen.226
Im Mittelpunkt wird der Sammelband A la lumière du marxisme227 stehen, der, wie Sie
mit Recht vermuteten, einiges Interessante enthält. Vielleicht werde ich noch einen zweiten
Sammelband, der kürzlich in demselben Verlag unter dem Titel La querelle du réalisme228
herauskam, dazu nehmen. Ich habe Bredel davon verständigt.
Wenn ich anfang Oktober nach Paris zurückkomme, werde ich mit meinem Übersetzer,
Klossowski229, über den Dreigroschenroman sprechen.
Wie steht es mit den Spitzköpfen? Es muß nun bald die Premiere sein.230 Hoffentlich
sind Sie mit der Aufführung zufrieden. Es wäre ausgezeichnet, wenn Sie das Stück in Ko-
penhagen durchsetzen, dann ist ihm der weitere Weg und allem andern sein Platz in Ko-
penhagen sicher. Berichten Sie mir doch bitte mit einem Wort, wenn es soweit ist.
Hier war es in der ersten Woche so heiß, daß man nur bei geschlossenen Fensterläden
sich in den Zimmern aufhalten konnte. Seit es erträglicher ist, hat nichts mich abhal-
ten können, einige „Aussichtspunkte“ zu erklimmen. Freilich würde diese Manifestation
in meinen Augen ihr volles Pathos erst dann haben, wenn ich bis Skovsbostrand gucken
könnte.
Dorthin eine Korsch angehende Bitte: er möchte mir das Manuscript von Sohn-
Rethel231, das ich ihm zum Geburtstag „geschenkt“ habe und mitzunehmen vergaß, nach

Charles Wolff vorgesehen (vgl. dessen Brief vom 30.11.1934). Brecht hatte nun der Éditions Sociali-
stes Internationales in einem Brief vom 20.7.1936 vorgeschlagen, die Angelegenheit mit Benjamin zu
besprechen (GBA 28, S. 561).
226 Mit seinen Richtlinien für die Literaturbriefe der Zeitschrift „Das Wort“ (GBA 22, S. 188) hatte Brecht
eine Diskussion über die Literatur verschiedener Länder anzuregen versucht. Benjamin sollte über
Literatur und Kunst in Frankreich berichten. Der erste Pariser Brief, „André Gide und sein neuer
Gegner“, erschien in Das Wort, Heft 5/1936. Der zweite, „Malerei und Photographie“, blieb unver-
öffentlicht (beide jetzt in BGS III, S. 482–507). Außer Benjamins erstem Pariser Brief wurden keine
weiteren Literaturbriefe in der Zeitschrift publiziert.
227 Der von einem Autorenkollektiv herausgegebene Sammelband (mit einem Vorwort von Henri Wal-
lon) erschien 1935 bei Éditions Socialistes Internationales in Paris.
228 Der 1936 erschienene Sammelband dokumentiert die französische Auseinandersetzung um den
Realismus in Literatur und Kunst; daran beteiligt waren u.a. Louis Aragon, André Malraux und
Fernand Léger.
229 Pierre Klossowski (1905–2001), französischer Schriftsteller, Maler und Übersetzer. Den Dreigro-
schenroman übersetzte er nicht.
230 Vgl. Benjamin, 4.11.1936.
231 Der Nationalökonom und Philosoph Alfred Sohn-Rethel (1899–1990), den Benjamin bereits seit den
1920er Jahren kannte, war damals um eine Stellung am exilierten Frankfurter Institut für Sozial-
forschung bemüht. Der zu diesem Zweck vorgelegte Entwurf zu der später ausgearbeiteten Theorie
über den Zusammenhang von Warenform und Denkform, das sogenannte Luzerner Exposé (jetzt
in: A.S.R., Soziologische Theorie der Erkenntnis, Frankfurt/M. 1985), wurde von Horkheimer, Adorno
und Benjamin kontrovers diskutiert – jedoch ohne Erfolg für Sohn-Rethel. Von der Schweiz, wohin
588 Jahrgang 1936

Paris XIV 23 rue Bénard zurückschicken. Sehr dankbar wäre ich ihm, wenn er ein kurzes
begutachtendes Wort damit verbinden würde. Das Manuscript liegt augenblicklich dem
Institut für Sozialforschung vor. (Ich bitte um die Absendung nicht vor dem 7ten Oktober.)
Ich sende Ihnen und Heli herzliche Grüße
Ihr
Benjamin

Überlieferung: Ms, BBA 478/1–2. – E: Zur Aktualität Walter Benjamins, hrsg. v. S. Unseld, Frankfurt/M.
1972, S. 39f. (jetzt in: Benjamin, Briefe, Bd. V, S. 387f.).

Erwin Piscator an Bertolt Brecht


Paris, 29.9.1936
Paris 29. Sept. 1936.
rue Pasquier 20.
Hotel Royal Madeleine.

Lieber Bert,
noch immer ist meine Abreise ungewiss, sodass ich nichts von mir hören lassen konnte.
Ich habe aber die feste Absicht Euch zu besuchen. Es kann aber spät, vielleicht sogar No-
vember werden. Leider steht die Sache in E.232 nicht gut. Einen Teil der Schuld scheint
dabei auch Reich zu haben. Er wurde zwar krank – das ist entschuldbar – aber er spielte
selbst mit dem Gedanken wegzugehen, wenn ich zurückkäme – und das aus sehr neben-
sächlichen Gründen (drüben sehr nebens. Gr. – ) Es wäre gut, wenn Du ihm einige auf-
munternde Zeilen über die Wichtigkeit dieser Arbeit zugehen lassen würdest – Du hättest
gehört, er wolle weg ... etc. ...
Hier gibt es natürlich eine Menge Dinge – die auch für Dich hoffentlich interessant zu
werden versprechen – Aber Du weisst ja – die Leute brauchen Zeit. – Und die Zeit selbst
und noch weniger die Ereignisse bleiben keine Minute stehen ... Und Viele sagen, ich soll
auf jeden Fall hier und in Amerika arbeiten. Natürlich, wenns geht – nicht nur „nicht
schlecht“ – sondern notwendig – Aber sehr ungern würde ich auf Engels verzichten. Stec-

er im Februar 1936 geflüchtet war, nachdem er noch bis 1936 für den Mitteleuropäischen Wirt-
schaftstag in Deutschland gearbeitet hatte, ging er über Frankreich nach Großbritannien. Durch
Vermittlung Oskar Negts erhielt er 1972 eine Gastprofessur in Bremen.
232 Engels. Vgl. Piscator an Weigel, 3.7.1936.
Jahrgang 1936 589

kel, Kalser233, Otto234, der Bühnenbildner – alle wollen kommen. Sogar Wallburg235 – was
hältst Du davon?236
Dudoff 237 traf ich. Schreib mir doch, old fellow-Freunde gibt’s nicht viel – was Du
meinst?
Erwin.

Überlieferung: Ms, von fremder Hand: „geschr. 7/8.“; BBA 477/104–105. – E: Piscator, Briefe, Bd. 1, S.
458.

Hanns Eisler an Bertolt Brecht


London, 14.10.1936

14. Ok. 36

Lieber Brecht entschuldige, wenn ich erst jetzt antworte, aber Piscator war hier u. viel im
Film zu tun etz.
Vor allem: Es freut mich sehr, daß Euch das eine Lied gefällt. Das andere, das sehr
komisch u. grotesk gemeint war, scheint mir nicht schlecht.238 Selbstverständlich bin ich
bereit es noch einmal zu machen, aber ich glaube daß Dir auf den Proben der Spaß viel-
leicht verständlicher sein wird, als beim ersten mal. (Vielleicht schreibst Du noch ein paar
Zeilen darüber.)
Wie geht es sonst mit dem Stück? Und mit der Musik? Ich bin etwas nervös ob es
klappen wird. Auch da würden mich einige Zeilen sehr beruhigen. (Wie singen denn die
Männer? Hoffentlich laßt Ihr die „Missetat“ u. „Was man hat, hat man“ nicht aus.239)

233 Der Schauspieler und Regisseur Erwin Kalser (1883–1958) hatte mit Piscator schon am Theater am
Nollendorfplatz in Berlin zusammengearbeitet. Seit 1933 im Exil in der Schweiz, ab 1939 als Film-
schauspieler in Hollywood. 1946 wieder in Schweiz, ab 1952 in Westberlin.
234 Teo Otto (1904–1968), Maler und Bühnenbildner, vormals an der Berliner Kroll-Oper tätig, seit 1933
im Exil in der Schweiz. Entwarf auch das Bühnenbild zur Mutter Courage 1941 in Zürich. Nach dem
Zweiten Weltkrieg arbeitete er für zahlreiche Theater weltweit, u.a. für das Berliner Ensemble.
235 Der Schauspieler Otto Wallburg (1889–1944) arbeitete in den 1920er Jahren u.a. für Max Reinhardt
am Deutschen Theater Berlin, seit 1926 auch als Filmschauspieler für die Ufa. 1934 floh er nach
Österreich, 1938 über Frankreich in die Niederlande. Nach dem Einmarsch der Deutschen wurde er
verhaftet und nach Theresienstadt, von dort weiter nach Auschwitz deportiert, wo er 1944 ermordet
wurde.
236 Vgl. B. an Piscator, 12.10.1936: „Ich denke, Du weißt, daß Du auf mich rechnen kannst, und ich
rechne mit Dir“ (GBA 28, S. S. 562).
237 Slatan Dudow.
238 Gemeint sind Nannas Lied und das Kuppellied (vgl. Anm. zu Eisler, 24.8.1936).
239 Das Chorlied von der nützlichen Missetat und Das Was-man-hat-hat-man-Lied (GBA 4, S. 201f.) aus
den Rundköpfen und Spitzköpfen. Das Chorlied (GBA 14, S. 204f.) wurde im Stück später ersetzt
590 Jahrgang 1936

Ich muß noch bis Mitte November hier bleiben. Das ist scheußlich, da der Film 240 mir
sehr auf die Nerven geht u. ich wegen der „Spitzköpfe“ sehr nervös bin.
Nach London habe ich folgendes: Vortrag in Paris; 3 Vorträge in Belgien. Auch dirigiere
ich ein Konzert im Brüsseler Rundfunk u. zwei Konzerte am Hölländischen Sender.
Könntest Du mir ein oder zwei Konzerte am Kopenhagener Rundfunk verschaffen?
(Ende Dezember) Ich könnte dort die „Spitzköpfe“ mit Orchester machen u. eine meiner
Orchester Suiten. Das wäre mir sehr wichtig.
Ich weiß sonst noch nicht wie lange ich mich in Belgien, Holland u. Paris, (schließlich
auch Zürich, von dort habe ich auch ein Angebot) mich herum treiben werde.
Schreibe, wenn es Dir nicht zu schwer fällt!
Sehr herzliche Grüße an Grete, Lulu, Per241
Dein
Eisler

N.B.
Laß die Schauspieler nicht zu viel sprechen bei den Liedern. Das Singen bringt die Ge-
sten mit sich u. erleichtert sie.

Überlieferung: Ms, BBA 479/2–5, 8. – E: Eisler, Briefe, S. 121f.

Hanns Eisler an Bertolt Brecht


London, 15.10.1936

london, den 15. oktober

lieber brecht,
heute ein sogenannter geschäftsbrief. Es rief mich in london ein kopenhagner verleger
an. er bietet mir 20 % vom ladenpreis. in diese summe muss ich aber auch dich einbeziehen,
während er den dänischen übersetzer übernimmt.242 ich schlage dir vor, von meinen tantie-
men das übliche bei musikausgabe abzugeben, das ist ein drittel also 6 1/2 prozent cirka. (so
haben wir es auch bei der universaledition gemacht.)
bitte schreibe mir s o f o r t ob du einverstanden bist, denn ich möchte mit dem verleger
nicht abschliessen, bevor ich mich mit dir geeinigt habe.

durch Das neue Iberinlied (GBA 4, S. 202f.).


240 Pagliacci. Vgl. Anm. zu Steffin, März 1936.
241 Margarete Steffin, Lulu Ziegler und Per Knutzon.
242 Der Kopenhagener Verleger wurde nicht ermittelt. Eine dänische Ausgabe der Rundköpfe und Spitz-
köpfe ist damals nicht erschienen.
Jahrgang 1936 591

schliesslich müssen wir uns auch jetzt über die theatertantiemenfrage auseinanderset-
zen. ich kann dir keinen vorschlag machen, weil ich nicht weiss was der übersetzer be-
kommt. kannst du es nicht so staffeln, dass du am meisten, ich aber mehr als der übersetzer
bekomme. ich wäre dir dankbar, für einen konkreten vorschlag. ich hoffe sehr rasch von
dir darauf jetzt antwort zu bekommen, besonders da die sache mit dem musikverlag sehr
eilig ist.
inzwischen sehr herzlich dein Eisler

[Hs.] Ich habe eben den dritten Satz der Symphonie243 in Partitur fertig. Es werden jetzt 5
Sätze. Der eben fertig gewordene ist „Sonnenburg“ (nach Deinem Gedicht, an dem nichts
geändert wurde).244

Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg., hs. U.; BBA 479/10. – E: Eisler, Briefe, S. 122.

Mordecai Gorelik an Margarete Steffin


Stockholm, 17.10.1936

Stockholm
Pensionat Unman
Radmansgatan 9
October 17, 1936.

Dear Comrade Stefin,


Happy to get your letter of Oct. 16th and to learn that Bert’s play245 is going well.
We246 are going to arrange today to take the Stockholm-Copenhagan [sic] train Tuesday
night, which I believe arrives in Copenhagan Wednesday October 21, at 9:56 A.M. Could
you find time to meet us at the train?
If in the meantime you can find a place for us to stay, it will help a great deal; we should
like to go straight there from the train. As you can imagine, it is quite difficult to move
around much with the baby.247
With kind regards to Brecht and yourself,
Mordecai Gorelik.

Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 482/57.

243 Die Deutsche Symphonie.


244 Das Gedicht Sonnenburg aus der Sammlung Lieder Gedichte Chöre (GBA 11, S. 225f.).
245 Die Rundköpfe und die Spitzköpfe, die gerade in Kopenhagen geprobt wurden.
246 Mordecai und Frances Gorelik.
247 Eugene Gorelik.
592 Jahrgang 1936

Slatan Dudow an Bertolt Brecht


Paris, 19.10.1936

Paris den 19 Okt. 36.

Lieber Brecht,
Über die bevorstehende Aufführung von „Spitz und Rundk.“ habe ich schon verschie-
dentlich gehört. Ich wäre sehr gern auf kurze Zeit nach Kopenhagen gekommen um den
Proben beizuwohnen, da mich diese sehr interessieren. Leider ist Kopenhagen sehr weit und
was weit ist kostet Geld, und das habe ich leider nicht.
Hoffentlich gelingt es Ihnen das Stuck so herauszubringen, um endlich den Anstoss für
die weiteren Aufführungen im Ausland zu ermöglichen. Wenn man kein Dialektiker wäre,
hätte man kaum begreifen können, warum gerade dieses Stuck, das ausserdem sehr aktuell
ist, bis jetzt nicht aufgeführt wurde. Meiner Meinung nach wäre dieses Stück für Amerika
besser gewesen als die Mutter.248
Haben Sie schon daran gedacht, sei es über Kopenhagen oder sonstwie einige Bespre-
chungen in den Auslandszeitungen zu ermöglichen? Das wäre sehr wichtig.
Ich bin dabei meinen Plänen eine microskopische Grösse zu geben um sie so zu realisie-
ren zu können. Je kleiner der Plan – desto grösser die Chance.
Ich wollte Sie bitten, für den ersten, den ich hochstwahrscheinlich realisieren werde, den
Dialog zu schreiben. Doch darüber nach der Premiere, wozu ich Ihnen in alter Weise Hals
und Beinbruch wünsche
herzlichst
Ihr Dudow

Überlieferung: Ms, BBA 478/42.

Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht


Sanary (Var), 24.10.1936

Sanary/Var, 24. Oktober 1936


Villa Valmer

248 Vgl. Theatre Union, 29.8.1935 (und folgende).


Jahrgang 1936 593

Lieber Brecht,
ich habe Ihre und des Theaters Ankündigung249 von Anfang Oktober deshalb nicht
gleich beantwortet, weil ich Ihnen etwas Endgültiges sagen wollte. Ich hoffte sehr, ich
würde meine geplante Reise nach Russland250 mit einem Besuch bei Ihnen verbinden kön-
nen. Ich war fest entschlossen, das zu tun, wenn es irgend möglich sein sollte. Leider stellt
sich jetzt heraus, dass zuviel Dringliches dagegen spricht.
Das dümmste und ärgerlichste ist die Passache. Ich muss, um reisen zu können, mir
einen titre d’identité verschaffen, den ich auch sicher kriege, aber die Behörden sind um-
ständlich, und ich kriege ihn nicht so rechtzeitig, dass ich noch nach Kopenhagen könnte.
Mit dem „Falschen Nero“251 bin ich fertig, und ich könnte also an sich nach Kopenha-
gen und nach Russland kommen. Jetzt hängt alles davon ab, wann diese alberne Geschichte
mit dem Identitätspapier fertig ist. Ich werde dann, falls Ihre Premiere nicht bis Ende No-
vember verschoben werden sollte, direkt nach Russland fahren. Mit aller Bestimmtheit
rechne ich damit, vom 20./25. November an in Moskau zu sein. Wenn die Geschichte mit
dem Legitimationspapier glatt läuft und wenn Ihre Premiere nicht verschoben wird, dann
gehe ich wohl vorher noch auf einige Tage nach Wien und Prag. In Moskau und Leningrad
will ich bis Mitte Januar bleiben, und ich rechne mit Sicherheit darauf, Sie dort zu sehen.
Wenn ich „Die Rundköpfe“ nicht also doch in Kopenhagen zu sehen bekomme, dann
rechne ich damit, dass ich sie in Moskau sehen werde.
Ich nehme an, dass Sie mir Einiges zu erzählen haben werden, und ich habe in der Zwi-
schenzeit auch Einiges erlebt.
Ihnen und Hely sehr viele Herzliches und viele Grüsse, auch von Marta,
immer
Ihr alter
Lion feuchtwanger

P.S. Als Herausgeber sind wir beide wirklich weniger bedeutend.

Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 478/80. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 33f.

249 Eine Mitteilung Brechts über die bevorstehende Premiere der Rundköpfe und Spitzköpfe ist nicht
überliefert.
250 Vgl. Feuchtwanger. 27.3.1937.
251 Feuchtwangers Roman Der falsche Nero erschien 1936 bei Querido in Amsterdam.
594 Jahrgang 1936

Erwin Piscator an Bertolt Brecht


Paris, 26.10.1936

Erwin PISCATOR
Hotel Royal-Madeleine
26, Rue Pasquier
P A R I S . 8° PARIS, den 26. Oktober 1936

Lieber Bert,
Danke für Euren Brief vom 12. ds. [Monats.] Bedaure sehr, dass ich bei Eurer Pre-
mière252 nicht dabei sein kann. Ich war inzwischen in London bei EISLER. Wir haben na-
türlich viel von Dir gesprochen. Ich bin sehr neugierig auf die Wirkung der „Rundköpfe“.
Du musst mir ausführlich darüber schreiben (Grete!!). Vielleicht aber kann ich im Novem-
ber kommen. Meine Absichten sind, mich doch etwas länger im Westen aufzuhalten und
– wenn möglich auch etwas zu arbeiten. Hier sind zum Beispiel Leute am Werk, die ein jü-
disches Theater machen wollen, an dem ich Direktor werden soll. Auch gehen verschiedene
Filmprojekte – in den letzten Tagen hat man mir den Vorschlag gemacht nach Barcelona
zu kommen. Dort stehen zwei grosse Theater leer. Ich habe gesagt, dass ich Dich und Eisler
und eventuell auch Lania mitbrächte, denn man müsste doch schnell ein Repertoire aus
dem Boden stampfen.
Wenn Du nach dem 30. einen freien Kopf hast, werde ich Dir noch genauer über die
verschiedenen Pläne berichten. Du spielst bei allen eine Rolle und keine schlechte oder
geringe. Kann ich nicht zu Dir kommen, musst Du hierher kommen, damit wir alles be-
sprechen können. „Das Wort“ ist allerdings schlecht,253 ein bisschen schimmelig mit Patina
bevor es noch das Jünglingsalter erreicht hat. Aber Du weisst, zum Schreiben gehört nicht
nur Zeit, sondern auch Abstand von den Dingen, über die man schreiben muss, und den
habe ich nicht, oder richtiger, zuviel, denn ich muss endlich wieder praktisch arbeiten usw.
Ich habe keine Einladung bekommen, ich danke Euch aber für den guten Willen. Das
Stück „Die sieben Todsünden der Kleinbürger“ kenne ich gar nicht. Den Artikel, den Dir
Harms254 geschickt hat, sende doch bitte zurück, denn ich habe kein Exemplar mehr hier.
Auch Knutzon danke ich für die Einladung sehr, wenn ich hätte kommen können, wäre
ich gerne am 29. dagewesen, um das Stück „Eine Melodie die verloren ging“255 von dem
ich soviel gutes gehört und das ich auch neulich gelesen habe, noch zu sehen. Ich wünsche
Euch für die „Rundköpfe“ denselben Publikumserfolg.

252 Premiere der Rundköpfe und Spitzköpfe am 4.11.1936 in Kopenhagen.


253 Brecht erkundigte sich am 12.10.1936 bei Piscator, ob er „nicht für das ‚Wort‘ etwas schreiben [kön-
ne], daß es ein wenig besser wird? Es ist zum Kotzen“ (GBA 28, S. 562). Vgl. auch Brechts Selbstkritik,
GBA 22, S. 224f.
254 Gertrud Harms, Piscators Sekretärin.
255 Vgl. Anm. zu Steffin, 12.11.1935.
Jahrgang 1936 595

Meine Mandeln sind noch immer nicht herausgeschnitten. Ich heb sie für Dänemark
auf!
Ich danke und grüsse Euch recht, recht herzlich
Euer
Erwin.

[Hs.] Toi, Toi, Toi –


Gib Knutzon den Brief – er soll mir auch schreiben was unsere Theatersektion macht.
Hat er meine übrige Korrespondenz nicht bekommen?
Trete ihn ein wenig.
„Erfolge steigen leicht zu Kopf!!!“

Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg., hs. U.; BBA 477/102–103. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.1, S. 9ff.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht


[Kopenhagen] 2.11.1936

2.XI.36

lieber bidi,
ich bin so glücklich heute. erstens, weil gestern so ein schöner tag war. er wird immer
schöner in gedanken. u. zweitens sind die füsse wunderbar warm in Deinen socken. wie
ich heute wieder 7 ¼ in der dunkelheit raus musste zur halsklinik, war es zum ersten male
weniger schlimm. immer wenn Du kommst, ist alles da. lieber bidi, ich war sehr froh über
Deinen brief. ich habe, weil alle gedanken aus dem kopf rausgingen, gleich den aufsatz
mitgeschickt, habe ihn doch erst lesen wollen.
danke für gestern u. für den brief.
der oberarzt fragt eben, ob es eine schöne tour war, u. blegvard256 fragt, warum ich so
strahle?
lieber bidi, frage noch otto257, was er über diese quarzbehandlung denkt (für lunge + all-
gemeinbefinden, für ohr kann ers wohl nicht wissen) u. ob ich auf der rechten seite schlafen
soll. (auf dem rücken schlafe ich nicht ein) wenn ich auf d. linken s. liege, höre ich weniger
– meeresrauschen, nebelhörner, zuggeratter oder grammophon.
kannst Du meine schrift schlecht lesen? soll ich lieber auf der maschine schreiben?

256 Steffins Arzt im Øresundhospital, wo sie seit dem 10.10.1936 zur Behandlung war.
257 Vermutlich Otto Müllereisert (1900–1967), ein Jugendfreund Brechts, Trauzeuge bei der Heirat mit
Marianne Zoff 1922 und Pate von Frank Banholzer. Er arbeitete als Arzt in Berlin und war 1932 für
Steffins Lungenoperation in der Charité mitverantwortlich. Auch Brecht selbst behandelte er später
in dessen letzten Lebensjahren als Arzt in Berlin.
596 Jahrgang 1936

wiedersehen gg.
kannst Du mir nicht ein paar worte schreiben, die ich immer erinnere, dass ich mich
grade halten soll? es sagt mir niemand so etwas.
der brief an bork ging noch gestern abend weg, um ½ 8, auch einer an otto.258
soll ich an „das wort“ schreiben, oder machst Du es?
lieber bidi
ich habe gestern in der
freizeit doch vergessen,
briefmarken zu kaufen.
bitte kannst Du noch schicken? (à 15)

Überlieferung: Ms, RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z13/141–144. – E: Steffin, Briefe, S. 211f.

Walter Benjamin an Margarete Steffin


Paris, 4.11.1936

Paris, den 4. November 1936

Liebe Grete,
Heute ist also Première259 (wenn sie nicht nochmal verschoben ist!) und da will ich
rechtzeitig Brecht und Ihnen die herzlichsten Glückwünsche sagen. Ihnen noch ganz be-
sonders zu der „Première“ des Aufstehens.260
Dass es mit dem Ohr so viel besser geht, hat mich ausserordentlich gefreut. Im übrigen
ist es vielleicht ein guter Gedanke, ein dänisches Sanatorium aufzusuchen. Die ärztlichen
Einrichtungen sind dort vielleicht doch besser als man sie im Durchschnitt in Russland
antrifft.
Ich freue mich, dass ich gerade eben als Autor zur Vermehrung Ihrer kleinen Bücherei
beitragen kann. Mit gleicher Post sende ich Ihnen mein Briefbuch, das nun endlich ge-
druckt ist.261

258 Vermutlich Otto Katz.


259 Premiere der Rundköpfe und Spitzköpfe (Rundhoder og Spidshoder) im Teatret Riddersalen in Ko-
penhagen. Regie führte Per Knutzon, die Übersetzung hatten Otto Gelsted und Børge Houmann
besorgt.
260 Steffin hatte zur Premiere Krankenhausurlaub bekommen.
261 Die Briefsammlung Deutsche Menschen, die Benjamin unter dem Pseudonym Detlef Holz publizier-
te, war soeben in Luzern erschienen.
Jahrgang 1936 597

Sie erinnern sich gewiss noch, wie sie vor zwei Jahren im Palace Hotel an dem Manu-
skript gearbeitet haben. Wenn Sie darum auch vielleicht wenig Neues in seinen Blättern
finden, so soll es doch gut bei Ihnen aufgehoben sein.
Ich bereite meinen zweiten „Pariser Brief“262 für Bredel vor, der sich auf zwei Sammel-
werke stützt, deren eines bei den ESI, deren anderes beim Völkerbundsinstitut für Inter-
nationale intellektuelle Zusammenarbeit erschienen ist; beide haben es mit der derzeitigen
Situation der Malerei in der Ge­sellschaft zu tun. Ich berücksichtige in diesem zweiten Brief
ferner das Sammelwerk „A la lumière du marxisme“.
Was die Übersetzung des „Dreigroschenromans“ betrifft, so habe ich nun sowohl mit
Klossowski wie mit dem Direktor Moussignac263 von den ESI gesprochen. Wenn es eine
Schwierigkeit gibt, so liegt sie darin, dass Klossowski bis Anfang Februar mit laufenden
Arbeiten beschäftigt ist. Ich glaube aber, dass der Verlag, um an einen zuverlässigen Über-
setzer zu kommen, das in Kauf nehmen wird.
Ich würde die Verhandlungen selbst weiter durchführen, wenn ich Paris nicht für eine
Weile verlassen müsste. Klossowski wird aber in Kürze selbst mit Moussignac sprechen und
Brecht durch mich auf dem Laufenden halten.
Was mich betrifft, so muss ich mich augenblicklich vor allem um meinen Sohn264 küm-
mern. Es sind in seinem Entwicklungsgang Komplikationen aufgetreten, von denen ich
mir aus der Entfernung kein deutliches Bild machen kann. Es ist die Möglichkeit nicht
ganz auszuschliessen, dass sie ernsterer Natur sind. Meine Frau 265 ist durch gewisse Um-
stände verhindert, meinen Sohn in Wien aufzusuchen. Ich fahre morgen dorthin. Meine
dortige Adresse ist: c/o Dr. Franz Glück 266, Wien III, Landstrasser Hauptstrasse 140.
Schreiben Sie mir doch bitte dorthin. Geben Sie mir bitte, wenn irgend möglich auch
Nachricht wie es denn um „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzier-
barkeit“ beim „Wort“ bestellt ist.267 Mittlerweile sollte man Bredel wohl zu einer Stellung-
nahme bewegen können. Sprechen Sie doch noch einmal mit Brecht darüber.
Recht herzliche Wünsche für den Abschluss Ihres Theaterstücks und vor allem Ihrer
Zimmerhaft.
Wie immer

Überlieferung: TsD, BBA 2169/7–8. – E: Benjamin, Briefe, Bd. V, S. 413f.

262 Vgl. Anm. zu Benjamin, ca. 27.9.1936.


263 Léon Moussinac (1890–1964), französischer Schriftsteller und Filmkritiker.
264 Stefan Benjamin.
265 Die Schriftstellerin und Übersetzerin Dora Sophie Kellner (1890–1964), mit der Benjamin von 1917
bis 1930 verheiratet war. Ab 1934 lebte sie im Exil in San Remo, ab 1939 in London.
266 Der Literatur- und Kunstwissenschaftler Franz Glück (1899–1981), der später Direktor der Histori-
schen Museen der Stadt Wien wurde, war der Bruder des mit Benjamin befreundeten Gustav Glück.
267 Vgl. Anm. zu Benjamin an Steffin, 4.3.1936.
598 Jahrgang 1936

Erwin Piscator an Bertolt Brecht


Paris, 13.11.1936

Erwin PISCATOR Paris, den 13. November 1936


Hotel Royal-Madeleine
26, Rue Pasquier
Pa ris. 8°

Lieber Bert,
Leider habe ich keine Nachricht von Dir bekommen auf meinen letzten Brief. Ich las in
der Pariser Tageszeitung folgende Notiz:
„Eine Brecht-Premiere in Kopenhagen: Kopenhagen 10.XI. In Kopenhagen fand im
Theater Ridersalen die Welt-Auffuehrung des neuen Dramas von Bertold Brecht: „Rund-
koepfe und Spitzkoepfe“ statt. Die Auffuehrung des Stueckes, das in seiner epischen Form,
von Songs und Musik belebt, ein erbittertes Lehrstueck gegen den Rassenschwindel dar-
stellt, fand einen ausgesprochenen Theater-Erfolg. Schon am Tag der Première waren die
ersten zehn Vorstellungen ausverkauft.“
Ich gratuliere Dir recht herzlich zu Deinem Erfolg.268
Jetzt habe ich Folgendes Dir mitzuteilen: Ich habe hier mit einer Dame269 gesprochen,
die eine Taenzerin ist. Wir haben einen Plan, eine neue Form dramatischen Tanzes zu
finden, um kurz zu skizzieren: ich dachte mir aus wie bei Micky-Maus Filmen den taenze-
rischen Vorgang von einem Chor zu begleiten – wie Ernst Busch etwa – und Taenzer nach
der Art der Lotte GOSLAR 270 etwa aber scharf satyrisch, dramatisch etc.
Ich schrieb Dir schon, dass ich gerne moechte dass Du hierher kommst. Du kannst im
Hause von Frau Deutsch271 wohnen, das ist draussen im Bois de Boulogne, still und ruhig,
wo wir an vielen anderen Plaenen auch arbeiten koennen.
Ausserdem habe ich eine Einladung nach Barcelona bekommen. Ich hatte aber schon
vorher mit einem Vertreter gesprochen, wobei ich den Wunsch ausdrueckte, dass Du,
Eisler, eventuell Lania mitfahren sollten, um praktisch zu arbeiten. Man baut (ein wenig
laecherlich und heroisch zugleich) mitten in den schwersten Tagen dort die Theater auf.
Diese sind sozialisiert worden und man will nun einen neuen Geist einfuehren. Ich fahre

268 Finanziell war die Aufführung allerdings ein Mißerfolg (vgl. Knutzon, 21.11.1936). Auch die Kritiker
vor Ort äußerten sich sehr reserviert (vgl. BC, S. 492).
269 Die Tänzerin und spätere Tanzlehrerin Maria Ley, d.i. Friedrike von Czada (1898–1999), vormals mit
Gerhart Deutsch verheiratet, der 1936 verstarb. 1937 in Paris heiratete sie Erwin Piscator. Gemeinsam
gründeten sie 1940 den Dramatic Workshop in New York.
270 Lotte Goslar (1907–1997), Tänzerin und Choreographin, trat in Erika Manns Kabarett Die Pfeffer-
mühle auf. Nach verschiedenen Exilstationen in Europa ging sie 1936 in die USA.
271 Möglicherweise Maria Deutsch, geb. Herzmansky (1884–1973), die mit einem Funktionär der Aus-
landskommission des sowjetischen Schriftstellerverbands verheiratet war.
Jahrgang 1936 599

wahrscheinlich schon in 1-2 Tagen, um mich zu informieren und zu sehen was man machen
kann. Sei so gut und antworte mir gleich, auch auf meinen frueheren Brief. Hat Knutzon
meinen Brief nicht rechtzeitig zu seiner Premiere bekommen?
Inzwischen gruesst Dich herzlichst
Dein

N.B. Ausserdem moechte ich eine Dramatiker-Konferenz272 der besten Leute auf Weih-
nachten einberufen, ungefaehr 10-12 Persoenlichkeiten (B. Shaw273, R. Rolland etc.) als
Gegenkonferenz der Nazi-Kriegsdichterkonferenz274 der letzten Wochen. Darueber werde
ich Dir noch ausfuehrlicher schreiben. Vielleicht hast Du aber gute Vorschlaege die ich
Dich bitte mir ebenfalls mitzuteilen.
D.O.

Überlieferung: TsD, ML/SIU. – Dv: Kopie, BBA Z2/83–84. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.1, S. 17ff.

Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht


Paris, 13.11.1936

z. Zt. Paris, den 13. November 1936


Hotel le Bristol
rue Faubourg St. Honoré

Lieber Brecht,
es hat mir schrecklich leid getan, dass ich nichts von Ihrer Premiere hörte. Schreiben Sie
mir doch ein Wort, wie es war.
Es steht jetzt endgültig fest, dass ich auf etwa zwei Monate nach Russland fahre.275 Und
zwar bin ich bis Freitag, den 20. hier in Paris im Hotel Bristol, dann fahre ich zusammen
mit Maria Osten, einem ein einhalbjährigen spanischen Kind, das sie adoptiert hat, Eva
Herrmann276 und Marcuses277 über Wien nach Moskau. Meine Adresse in Wien ist vom 20.

272 Belegt ist, daß Piscator zur gleichen Zeit die Gründung eines jüdischen Theaters in Paris plante. Auf
die hier angekündigte Konferenz konnte kein Hinweis gefunden werden.
273 George Bernard Shaw (1856–1950), irischer Schriftsteller. Zu dessen 70. Geburtstag verfaßte Brecht
1926 eine Ovation für Shaw (GBA 21, S. 149–153). Ein Jahr darauf mußte er lachen, „als ich hörte, daß
Shaw ein Sozialist sei“ (ebd., S. 207).
274 Vermutlich der am 27.9.1936 in Berlin eröffnete XI. Internationale Autorenkongreß.
275 Vgl. Feuchtwanger. 27.3.1937.
276 Eva Herrmann (1901–1978), Malerin und Karikaturistin, fertigte Portätkarikaturen u.a. von Brecht,
Feuchtwanger und Albert Einstein an.
277 Erna und Ludwig Marcuse.
600 Jahrgang 1936

bis 24. November: c/o van Hoboken, Schreiberweg 47, Wien 29. Ab 26. November bin ich
in Moskau, Hotel Metropol.278 Ich hoffe mit Sicherheit, dass Sie es möglich machen werden
in der Zeit, in der ich in Moskau bin, hinzukommen.
Sehr herzlich
Ihr
Lion feuchtwanger

Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 478/77. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 34f.

Nena Asbjörn Andersen279 an Bertolt Brecht


Kopenhagen, 19.11.1936

Nena Asbjörn Andersen Prins Constantinsvej 7


Kopenhagen F.
19.11.36.
Meine lieben Svendborger!
Am Dienstag rief ich in Pension Thune an, um den „Klassiker“ zum Abend zum Enten-
braten einzuladen, da war er aber schon von hinnen – schade. Ich hatte eigentlich mich so
richtig darauf gefreut, ihm etwas Schönes servieren zu können. Ich hoffe aber, es ein ander
Mal nachzuholen – und dann gleich für Beide.
Was hier so vorgeht – werdet Ihr ja wohl wissen, und ich will Euch nicht damit belästi-
gen – in der Anlage sende ich nur einige Aussprüche von Publikümern sowie den Zeitungs-
ausschnitt aus dem 12 Uhr Blatt – mit gleichzeitiger Abschrift desselben, sodass ich bitten
darf, mir den Ausschnitt selbst bald wieder zurückzusenden.
Vorigen Sonnabend hatten wir Per, Lulu, Langbergs und Bing-Bang280 bei uns – es
wurde aber nur unwesentlich über das Stück diskutiert – man darf vielleicht die Unter-
haltung überhaupt keine Diskussion nennen – dagegen war vor ca. acht Tagen Brandts
(Mogens) und Davidsens (Mogens)281 bei uns – und es entspann sich eine wilde Diskussion
über die Spitz- und Rundköpfe. Davidsen war ganz gegen das Stück und begründete sei-
nen Widerstand damit, dass er viel vom „epischen Theater“ und dessen Unnotwendigkeit
sagte. Ich hatte den Eindruck, dass ihn der Begriff „Epik“ sehr verwirrte – denn sobald
ich ihn bat, doch einmal von der „Epik“ oder dem Begriff abzusehen, ging es nicht recht

278 Im Ts: „Metropole“.


279 Frau des Schauspielers Hans Asbjørn Andersen (1903–1978), der in Knutzons Inszenierung der Rund-
köpfe und Spitzköpfe den Angelo Iberin gespielt hat.
280 Per Knutzon (führte Regie und spielte den Vizekönig) und Lulu Ziegler (spielte die Nanna) sowie die
Schauspieler Sigurd Langberg (1897–1954; Callas), Niels Bing (1907–1985; Emmanuele de Guzman)
und Tove Bang (1904–1977; Frau Cornamontis).
281 Mogens Brandt (1909–1970) und Mogens Davidsen (1915–1956), dänische Schauspieler.
Jahrgang 1936 601

weiter. Er ist dagegen, für das Publikum zu spielen, man spielte nur für sich selbst – und
er könnte nie überzeugend wirken, wenn er zwei so lächerliche Masken vor sich hätte wie
die beiden Grossen in der Bordellscene – in der er kommt und um Geld bittet. Mit zwei
solchen Masken könnte man nicht ernst reden – drum könnte er auch das Publikum nicht
überzeugen – ergo ist das Stück kein Stück – denn Publikum darf man nicht überzeugen,
indem man für sie spielt – sondern in dem man so echt ist und selbst daran glaubt was man
sagt – sodass die Echtheit das Publikum mit – und hinreisst. Mogens Brandt war dagegen –
fand das Stück großartig – und hatte es vollauf verstanden – ist für das epische Theater und
sprach im übrigen auch davon, dass man sich neben sich stellen müsste, wenn man spielt.
Gestern waren einige Schauspieler vom Betty Nansentheater282 bei uns, die das Stück
nicht gesehen haben, sondern nur darüber in der Zeitung gelesen haben – nachdem zu
urteilen meinen sie, dass das Stück keine Berechtigung in Dänemark hätte, selbst wenn es
vielleicht ausgezeichnet sei (über die Güte des Stückes war ja nicht zu diskutieren, da keiner
es kannte – ausser dem Inhalt) da das Problem „Rasse“ in Dänemark beim allgemeinen
Publikum gar keine Interesse hätte – da das Problem Rasse nicht existierte. Dass dieser
Konflikt „Rasse“ vielleicht einmal kommen könnte, sei ja nicht ausgeschlossen – aber mit
Zukunftsproblemen hat sich ja das Volk bekanntlich noch nie abgegeben – und auch wa-
rum?!
Geklatscht wird viel – gelacht wird wenig – alle spielen jetzt ausgezeichnet.
Ganz privat ist dann heute nur noch zu erzählen, dass es plötzlich schrecklich kalt ge-
worden ist – dass Asbjörn und ich uns am Dienstag ein Jahr kannten – und wir diesen Tag
damit feierten, dass wir in der Nacht ein Smörbröd essen gingen – und dann in dem kleinen
Absteigehotel in der Nacht wohnten, in dem wir uns unverheiratet immer trafen. Als wir
um zwei Uhr nachts dort hinkamen – und klingelten – mit etwas Bauchschmerzen – wie
stets – wir hatten uns wieder so ganz in die Situation hineingelebt – begrüsste uns der Wirt
mit freudigem „Welcome – nä, hvad det gläder mig at se Dem igen“283 oh was sind die Dä-
nen liebenswürdig und reizende Menschen – und er wusste noch, dass wir Henry und Poul
Andersen hiessen, aber dann fanden wir es doch hübsch, ihm jetzt die richtigen Namen zu
geben – und ihm zwei Karten zu Rund- und Spitzköpfen anzubieten. Und dann war alles
sehr romantisch – so eine richtige herrliche Romantik, wie es nur solch Absteigenhotel an
sich haben, die alle gleich aussehen – und die Betten knarren mächtig und die Bettdecken
sind geblümt und viel Spiegel blinken rund herum; und man hat keine Nachthemden –
und kommt sich am Morgen so wunderbar unmoralisch vor – so angenehm unmoralisch,
weil man so ungewaschen und unausgeschlafen ist. – Wir fanden es wunderbar und suchen
eine Gelegenheit – dies Fest zu wiederholen – vielleicht den einjährigen Hochzeitstag.

282 Betty Nansen Teatret. 1869 gegründetes Kopenhagener Theater, später nach der Schauspielerin Betty
Nansen benannt.
283 Dänisch: „Wie es mich freut, Sie wiederzusehen.“
602 Jahrgang 1936

Für heute Schluß – wenn’s geht, schreibt


Eurer Euch sehr innig grüssenden
Nena A.

Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 265/32.

Per Knutzon an Bertolt Brecht


Kopenhagen, 21.11.1936

København F., d. 21/11 36

Kære Brecht!
Trods Uddeling af 3ooo Brochurer og Anstrengelser i alle Retninger bliver Kasserne
mere og mere katastrofale, saaledes har vi i Aften – Lørdag – kun 221 Kr. i Kassen, og deraf
skyldes langt den største Del – Fribilletterne. Jeg ser derfor ingen anden Udvej end at tage
”Rundho[ve]der og Spidsho[ve]der”, af Plakaten. Det gaar sidste Gang Tirsdag – og paa
Onsdag tager vi ”Melodien” op igen.
Jeg gaar ud fra, at du ved hvordan Tingene ligger rent praktisk, og jeg maa bøje mig
for Kendsgerningerne, dersom jeg overhovedet skal gøre mig Haab om at leve Resten af
Sæsonen.
Som du ved har vi Diskussion Mandag Aften. Vi vilde gerne have haft dig herover, men
om du vil komme nu – under disse Omstændigheder – maa du selvfølgelig selv afgøre.
Det er selvfølgelig forfærdelig trist og kedeligt – og Personalet er mere end ked af det,
men som Forholdene ligger kan jeg ikke forsvare at gøre andet.
Jeg haaber du kommer ud og ser til os, naar du kommer til København, saa kan vi jo
græde sammen – evt. med Resterne af Personalet.
Med kammeratlig Hilsen,
Dein Per

Kopenhagen F.284, d. 21/11 36


Lieber Brecht!
Trotz der Verteilung von 3000 Broschüren und Bemühungen in jeder Hinsicht werden
die Kassen immer katastrophaler, so haben wir z.B. heute abend – Samstag – nur 221 Kro-
nen in der Kasse, und davon ist der bei weitem größte Teil – den Freikarten geschuldet. Ich

284 Frederiksberg, eine Stadt im Großraum Kopenhagen.


Jahrgang 1936 603

sehe daher keinen anderen Ausweg, als „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe“ abzusetzen.285
Es läuft Dienstag zum letzten Mal – und Mittwoch nehmen wir „Die Melodie“ wieder
auf.286
Ich gehe davon aus, daß Du weißt, wie die Dinge ganz praktisch stehen, und ich muß
mich den Tatsachen beugen, falls ich mir überhaupt Hoffnung machen soll, den Rest der
Saison zu leben.
Wie Du weißt, haben wir Montag abend Diskussion. Wir hätten dich gerne hier gehabt,
aber ob du jetzt kommen willst – unter diesen Umständen – mußt du natürlich selbst ent-
scheiden.
Es ist natürlich schrecklich traurig und bedauerlich – und das Personal ist mehr als
traurig darüber, aber wie die Dinge stehen, kann ich nicht verantworten, etwas anderes zu
tun.
Ich hoffe, Du kommst her und besuchst uns, wenn du nach Kopenhagen kommst, dann
können wir ja zusammen weinen – evtl. mit den Überresten des Personals.
Mit kameradschaftlichem Gruß,
Dein Per

Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Teatret Riddersalen; BBA 476/4.

Per Knutzon an Bertolt Brecht


Kopenhagen, 24.11.1936
København F., d. 24/11 36

Kære Brecht – Grethe har skrevet og bedt os oplyse dig om Udgifterne til Hoveder og
Dekorationer. De er: Hoveder 249,00 Kr. Dekorationer (excl. Honorar til Svend Johan-
sen) 1328,27. (Heri er ikke medregnet Udgift til Maskinpersonale, Lysbilleder og elektriske
Installationer, som er foretaget i Fordbindelse med Opsætningen af R og S). Et Tal, som
muligt vil interessere dig: Gennemsnitsindtægten pr. Aften har været (beregnet for samtlige
21 Spilleaftner) 243,84. De samlede Udgifter har været 23 334,35 Kr. – saa kan du selv regne
Underskudet ud! Nok om det – i Aftes havde vi altsaa Studenterne herude og se Forestillin-
gen, og bagefter var der arrangeret en ”Diskussion” – dermed vil jeg antyde, at der blev ikke
meget ud af Diskussionen – det var ikke fordi de genereda sig for at tale, men fordi de ri-
meligvis ikke kunde udtrykke sig om et for dem fremmed Emne, som Teatret jo er. Skulda
jeg sige noget om mine Erfaringer, bygget dels paa denne Diskussionsaften, dels paa de 20
Aftner, der er gaaet, da bliver det dette: Vi har haft tre Kategorier af Mennesker herude a)

285 Das Stück lief seit dem 4.11.1936 unter der Regie Per Knutzons am Kopenhagener Teatret Ridder-
salen.
286 Vgl. Steffin, 12.11.1935.
604 Jahrgang 1936

politisk orienterede Arbejdere. De forstod Stykkets dybere Hensigt, men blev distrahorede
og aldeles ikke fangede af den for dem nye Form de Teaterforestilling. b) intellektuelle
(ikke politisk set) Her interesserede Formen, men Stykkets Inhold var dem fuldkommen
fremmed (som Professor Jørgensen meget rigtigt sagde i Aftes under Diskussionen: ”Takket
være en ualminde lig slet informerende Presse, tror et dansk Publikum ikke at Forholdene
er saadan, som i Stykket fremstillet, trods det at jeg kan forsikre [...] for, at de er i nøjeste
Overensstemmelse med Virkeligheden”) c) almindeligt borgerligt Publikum: Af samme
Grund, som Professor Jørgensen nævnede, og af Skræk overfor Stykkets Form forstod de
tilsyneladende ikke en Døjt af det hele.
Er, Ting, der maaske vil more dig at høre, er, at Kunstmalere over hele Linjen var vildt
hegejstrede over Formen.
Dette er bare ment som en rent foreløbig Opgørelse af de Erfaringer, som jeg mener at
have indvundet. Naar du engang faar overstaaet din Forkølelse og kommer til København,
bliver derfforhaabentlig Anleding til yderligere at diskutere Stykkets Skæbne.
Desværre ser det jo ud, som om Reaktionen – om ikke paa G und af saa dog samtidig
– har faaet lovlig meget Vind i Sejlene, og den Smule Pust, der har været i de mere bor-
gerlig-frisindede Aviser, er vist desværre løjet af – naa, i Aften gaar hele Personalet ud og
drikker Gravøl, jeg hilser den fra dig og jeg vad, jeg kan sige paa alles Vegne, at vi har været
vældig glade ved at have faaet Anledning til at spille dit Stykke.

Daa Gensyn og Hilsen fra os alle, og til Alle.

Lieber Brecht – Grethe287 hat geschrieben und uns gebeten, Dich über die Ausgaben für
Köpfe und Dekorationen zu informieren. Es sind: Köpfe 149,00 Kronen. Dekorationen
(exkl. Honorar für Svend Johansen) 1328,27. (Hier sind Ausgaben für Maschinenperso-
nal, Lichtbilder und elektrische Installationen, die in Verbindung mit der Inszenierung
von R und S288 vorgenommen worden sind, nicht mit eingerechnet). Eine Zahl, die Dich
möglicherweise interessieren wird: die durchschnittlichen Einnahmen pro Abend waren
(berechnet für sämtliche 21 Spielabende) 243,84. Die gesamten Ausgaben waren 23 334,35
Kronen – da kannst Du selbst das Defizit ausrechnen! Genug davon – gestern abend hat-
ten wir also die Studenten hier, um die Vorstellung anzusehen, und anschließend war eine
„Diskussion“ arrangiert – damit will ich andeuten, daß nicht viel aus der Diskussion wurde
– nicht weil sie sich zu sprechen scheuten, sondern weil sie sich vermutlich nicht über ein
für sie fremdes Thema, wie es das Theater ja ist, ausdrücken konnten. Sollte ich etwas über
meine Erfahrungen sagen, teils basierend auf diesem Diskussionsabend, teils auf den 20
Abenden, die vergangen sind, dann ist es dies: Wir haben drei Kategorien von Menschen
hier gehabt a) politisch orientierte Arbeiter. Sie verstanden die tiefere Absicht des Stücks,

287 Margarete Steffin.


288 Die Rundköpfe und die Spitzköpfe.
Jahrgang 1936 605

aber wurden von der für sie neuen Form [von] Theatervorstellung abgelenkt und ganz und
gar nicht ergriffen. b) intellektuelle (nicht politisch gesehen) Hier interessierte die Form,
aber der Inhalt des Stücks war ihnen vollkommen fremd (wie Professor Jørgensen289 gestern
Abend während der Diskussion sehr richtig sagte: „Dank einer ungewöhnlich schlecht in-
formierenden Presse glaubt ein dänisches Publikum nicht, daß die Verhältnisse so sind, wie
im Stück dargestellt, obwohl ich [...] versichern kann, daß sie in genauester Übereinstim-
mung mit der Wirklichkeit sind.“) c) gewöhnliches bürgerliches Publikum: Aus demselben
Grund, den Professor Jørgensen nannte, und vor lauter Schreck über die Form des Stücks
verstanden sie anscheinend keinen Deut von allem.
Eine Sache, die zu hören Dich vielleicht amüsieren wird, ist, daß die Kunstmaler durch-
weg ganz begeistert von der Form waren.
Dies soll nur eine rein vorläufige Feststellung der Erfahrungen sein, die ich gewonnen zu
haben meine. Wenn Du denn Deine Erkältung überstanden haben wirst und nach Kopen-
hagen kommst, gibt es hoffentlich Anlaß, das Schicksal des Stücks weiter zu diskutieren.
Leider sieht es ja so aus, als ob die Reaktion – wenn auch nicht deswegen, so doch zur
gleichen Zeit – ziemlich viel Wind in die Segel bekommen hat, und das bißchen Lüftchen,
das in den eher bürgerlich-liberalen Zeitungen gewesen ist, ist wohl leider abgeflaut – nun
ja, heute abend geht das ganze Personal aus und nimmt den Leichenschmaus ein,290 ich
grüße sie von Dir, und ich weiß, ich kann im Namen aller sagen, daß wir mächtig froh
gewesen sind, Gelegenheit gehabt zu haben, Dein Stück zu spielen.
Auf Wiedersehen und Gruß von uns allen, und an alle.

Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Teatret Riddersalen; BBA 476/5.

Per Knutzon an Bertolt Brecht und Helene Weigel


[November 1936]

København F., d.

kære helli og Brecht.


først tak for de dejlige arbejdsdage!! desværre gaar det ikke godt eller rettere sagt der gaar
ad helvede til. de to foreningsforestillinger var sørgelige, medlemmerne vilde ikke en gang
købe billetter til de nedsatte priser – saaledes fremkom der et smukt underskud paa 150 kr,
kassen idag gir 200 kr i under skud (saa regner jeg altsaa stadig ikke med at de 6000 kr jo
er tabt) vi har nu sendt 4000 broschure ud (vedlagt et expl) og har sadt kuponner paa – de

289 Jørgen Jørgensen (1894–1969), dänischer Professor für Philosoophie, Vorsitzender der antifaschisti-
schen Vereinigung Frisindet kulturkamp.
290 Im Dänischen wörtlich: „trinkt das Grabbier“ (anläßlich der Absetzung des Stücks).
606 Jahrgang 1936

saakaldte rundskuekuponner, om det hjœlper maa herren vide, hvis det ikke gar det saa
forsvinder det kœre stykke af plakaten den sidste i denne maanad.
det er sørgeligt at københavn ikke vil se forestillingen, men det ser unnœtelig ud til at
vœre en kendsgerning.
paa mandag har forskellige socialistike faggrupper købt forestillingen, men det er des-
vœrre – foreløbig – osse den eneste forestillig vi har solgt. Efter Forestillingen har forenin-
gen planlagt en diskussion, hvortil er inbudt en Rœkke Teatermedararbejdere ved Bladene,
samt nogle Politikere. Man venter at Brecht kommer tilstede. Dersom det iøvrigt passer
med Brechts Dispositioner, vil gerne vide Besked for at kunne sige det videre til de unge
Menne sker.
Mange Hilsner fra Lulu og
Per

Kopenhagen F., d.

liebe Helli und Brecht.


zunächst danke für die schönen Arbeitstage!! Leider geht es nicht gut, oder besser ge-
sagt, es geht beschissen. Die zwei Vereinsvorstellungen waren kläglich, die Mitglieder woll-
ten nicht mal Karten zu den ermäßigten Preisen kaufen – auf diese Weise ergab sich ein
schönes Defizit von 150 Kronen, die Kasse heute ergibt 200 Kronen minus (dann rechne
ich also noch nicht mit ein, daß die 6000 Kronen ja verloren sind) Wir haben nun 4000
Broschüren versendet (beiliegend ein Expl.) und Coupons darauf abgedruckt – die soge-
nannten Besichtigungscoupons, ob es hilft, weiß Gott, falls es das nicht tut, verschwindet
das liebe Stück am Letzten dieses Monats vom Spielplan.
Es ist kümmerlich, daß Kopenhagen die Vorstellung nicht sehen will, aber es sieht un-
weigerlich nach einer Tatsache aus.
Für Montag haben sozialistische Gruppen aus verschiedenen Fachbereichen die Vor-
stellung gekauft, aber das ist leider – vorläufig – auch die einzige Vorstellung, die wir ver-
kauft haben. Nach der Vorstellung hat der Verein eine Diskussion geplant, wozu eine Reihe
Theatermitarbeiter der Zeitungen eingeladen sind, nebst einigen Politikern. Man rechnet
damit, daß Brecht herkommt. Sollte es mit Brechts Plänen übereinstimmen, wüßte ich
gerne Bescheid, um es den jungen Menschen weitersagen zu können.
Viele Grüße von Lulu und
Per

Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Teatret Riddersalen; BBA 476/9.


Jahrgang 1936 607

Ebbe Neergaard an Bertolt Brecht


Jystrup, 24.11.1936

Ebbe Neergaard Jystrup Midtsjælland, den 24. Novbr 1936.


DEN GL. SKOLE
J YS T RU P

Lieber Bert Brecht,


es war für mich eine grosse enttäuschung, dass Sie nicht gestern bei der diskussion der
sozialistischen studenten über „rundköpfe und spitzköpfe“ anwesend waren – ich hatte nur
die einladung angenommen, weil man mir gesagt hatte, dass Sie kommen würden. Jetzt
verlief die diskussion etwas träge und war recht unwesentlich.291
Es war eigentlich meine absicht, verschiedene fragen an Sie zu richten, aber das hatte
ja keinen sinn, wenn Sie auf Fünen sassen. So habe ich mich darauf beschränken müssen,
die diskussion damit einzuleiten, dass ich für wage und gemischte gefühle ausdruck gab,
die in mir während der vorstellung aufgetaucht waren. Ich möchte jetzt Ihnen gegenüber
jetzt eine art referat davon geben, und nachher möchte ich versuchen, noch etwas mehr
über meine gedanken betreffs Ihre teorien und praxis zu sagen – etwas, welches für mich
schwierig war, vor einer versammlung zu sagen, die kaum genug von ihrer arbeit wusste,
um voraussetzungen für eine stellungnahme zu haben. Ich möchte es Ihnen lieber alles
selbst schreiben als dass Sie meine gedanken durch irgend ein unvollständiges referat ken-
nenlernen sollten.
Ich habe zuerst ganz kurz anerkannt, dass in der vorstellung sehr viel wertvolles war,
habe dann aber gesagt, dass ich doch während der aufführung mit sehr gemischten gefüh-
len da sass, und nun werde ich versuchen, das zu beschreiben – vielleicht würde dann die
weitere debatte die sache etwas klarer machen für mich.
Die erste einwendung war, dass man ja eigentlich da sass und meinte, dass die zentral-
figur des stücks, rein handlungsmässig, der pächter Callas, ja eigentlich recht hat, wenn
er pferde verlangt und keine abgaben zahlen will – dass aber diese Figur gleichzeitig als
lächerlich geschildert wird, und das nicht durch misverständnis von seiten des darstellers
Langberg, der sehr gut war, sondern weil das von Ihrer hand in der rolle liegt; aber dass
Sie es nicht durch das stück wirklich klar gemacht haben, warum er lächerlich ist, dass
er nämlich ein kleinbürgerlicher typ ist usw. Damit hängt es zusammen, dass der einzige
positive typus, der pächter Peres, nur in zwei oder drei ganz kurze szenen auftritt und nur
wenig zur klärung beiträgt.
Überhaupt – so lautete der zweite einwand – gibt es ja in diesem stück alles andere als
„hero-worship“. Dagegen könnte man sehr gut von „huren-worship“ darin sprechen. Da
hat Brecht es wie gewisse unsrer dramatiker hier in Dänemark, besonders die priester unter

291 Vgl. B. an Neergaard, Ende November 1936, GBA 28, S. 564f.; dazu auch die Bemerkungen zur Ko-
penhagener Aufführung, GBA 24, S. 204f.
608 Jahrgang 1936

ihnen, dass er kaum ein stück schreiben kann, wo es nicht mit huren wimmelt, die sehr
stark in den vordergrund treten und dazu verwendet werden, die zynische „wahrheit“ zu sa-
gen – dann und wann eine proletarische wahrheit (wie im lied vom wasserrad292), dann und
wann aber auch ausdruck geben für die zynische kapitalistische lebenseinstellung, also vor
allem erst und letzt zynisch sind. Eine figur wie die von Lulu gespielte die pächtertochter-
hure, ist nicht klar, weil von seiten des verfassers kein deutliches kommentar gegeben wird.
Wo bleibt denn das belehrende, wo bleibt die demonstration der wahrheit, die das ziel des
brechtschen „epischen dramas“ ist? Werden die zuschauer da aktivisiert, so wie Brecht es
meint, im gegensatz zur gefühlsmässigen hingabe und mitgerissen-werden beim aristoteli-
schen drama? Man hat viel eher das gefühl, dass eben dies zynische an sich Brecht beson-
ders anzieht, dass er sich ganz besonders wohl fühlt, wenn er sich über den kapitalistischen
zynismen breiten kann. Nun, auch er ist, wie wir alle, von der gesellschaft beeinflusst, in
der er lebt – dagegen ist nicht[s] zu sagen. Es fehlt aber einem in hohem grade, dass er klar,
belehrend zu dieser zynischen lebenshaltung stellung nimmt und klar dazu beiträgt, dass
der zuschauer dazu stellung nimmt (dazu und dagegen), so wie es das ziel sein sollte, wenn
man seine teorien über das epische drama recht verstanden hat.
Das ist so ungefähr was ich gestern abend gesagt habe. Ich bin selbst nicht sehr zufrie-
den damit – ich meine natürlich, was ich sagte, aber ich finde nicht, dass meine einwände
sehr wesentlich formuliert sind. Es fällt mir sehr schwer zu sagen, genau was bei Ihrem
stück unbefriedigend wirkt.
Einerseits scheinen mir, wie aus dem obigen referat hervorgeht, die figuren unklar in
ihrer wirkung – andererseits habe ich auch das gefühl, dass sie allzu einseitig und trocken
sind. Das klingt ganz unsinnig und selbstwidersprechend, aber mein eindruck ist tatsäch-
lich so. Figuren wie Callas und Nana enthalten ja an sich so viele dialektische widersprüche,
dass sie lebendig sein sollten – und sie sind es doch nicht. Sie sind so dialektisch aufgefasst,
dass man glauben sollte, sie würden nicht einseitig und trocken wirken – und sie wirken
doch trocken und einseitig. Wie ist dieser knoten zu lösen?
ich glaube, man muss da die ganze art Ihrer teaterauffassung ein wenig untersuchen. Sie
sagen: die schriftsteller und schauspieler des aristotelischen dramas glauben, dass wenn das
publikum erst im teater sitzt, ist es nicht mehr eine anzahl einzelpersonen, sondern muss als
masse betrachtet werden, an die man durch ihre gefühle sprechen kann und muss. Dagegen
behauptet „das epische teater“, das das publikum eine sammlung von einzelpersonen ist,
von denen jeder die fähigkeit bewahrt hat, zu denken, resonnieren und urteilen, auch im
teater...Daher wird das epische teater pädagogisch.
Ihre charakteristik des altmodischen gefühlsteaters ist vollständig korrekt – Ihre
schlussfolgerung auf das publikum und damit das ziel des neuen teaters ist es aber mei-
nes erachtens nicht. Das aristotelische teater will nur auf die gefühle einwirken, und das
publikum dieses teaters ist zum grossen teil darauf eingegangen. Aber das publikum an

292 Die Ballade vom Wasserrad, GBA 4, S. 234f.


Jahrgang 1936 609

sich – wenn man so sagen darf – ist eigentlich nicht so. Ein gewisser, gewiss grosser, teil des
publikum ist auf dieser bestimmten art und weise verdorben, so das es nur als gefühlsmasse
auffassen will. Aber hinter diesem willen liegt die natur des publikums als publikum, und
diese natur ist bei grossen teilen unverdorben oder sie kommt unter günstigen umständen
wieder zu tage. Aber diese natur ist nicht so, wie Sie sie schildern – Sie sind ebenso einsei-
tig wie die aristoteliker: Die natur des publikums ist ein dialektisches spiel zwischen dem
massengefühl und dem kritisch resonnierenden sinn, genau wie der einzelne mensch unter
den zuschauern eine zusammensetzung von gefühlsmässigen und kritisch rationalem. Das
beisammensein als publikum, masse, wirkt in der regel verstärkend auf die überbetonung
der gefühle, aber diese wirkung kann auch überschlagen, so dass die masse des publikum
plötzlich unison als kritisches wesen auftritt, wobei der so zu sagen kritisch rationale kern
des einzelnen zuschauers vom massenwesen (das an sich293 gefühlsmässigen charakter hat)
umgeben oder umnebelt wird und durch diesen prozess seinen an sich vielleicht überwie-
gend passiven charakter verändern kann und in aktion umgesetzt wird. Im aristotelischen
teater wird diese kritisch-gefühlsmässige massenaktivität sich wohl in der regel gegen „das
kunstwerk“, gegen die schauspieler als handelnde personen, richten, weil die sozial-ideolo-
gische grundlage selten klar ist. Aber notwendig ist das gar nicht. Ibsen294 hat ohne zweifel
mit seinen dramen, die gewöhnlich als technisch gesehen „aristotelische“ werke aufgefasst
werden, auch eine soziale aktivität ausgelöst.
Nun aber zum „epischen drama“, oder eher dem konkreten beispiel „rundköpfe und
spitzköpfe“. Ich glaube, dass die versagende wirkung des stücks davon kommt, dass Sie
wegen Ihrer einseitigen auffassung von der natur des publikums – vielleicht darf man sa-
gen: Ihres publikums – die figuren und den ganzen ton des spiels einseitig betont haben.
Und zwar einseitig nicht nur auf das intellektuel-kritische hin, sondern auch, teilweise aus
gründen, die nicht zentral mit Ihrer teorie des epischen, sondern mit Ihrer lebensauffassung
in ganzen zusammenhängen, ins zynisch-brutale hinaus. Vielleicht kommt es von Ihrer
angst vor das gefühlsbetonte im aristotelischen teater, dass Sie keinen helden haben im
stück, aber die gefühlsmässige seite der publikumsnatur verlangt, dass es auf der bühne eine
figur gibt, mit der sie sympathisieren kann. Die einzig sympathisch gezeichnete figur im
stück, Perez, lernt das publikum so wenig kennen, dass es, wenn er gehenkt wird, nicht vor
allem sagt: pfui, eine schande, muss gerecht werden oder ähnl., sondern spontan sagt: was
für einen sinn hatte das denn auch, da wird er also hingerichtet, natürlich ist’s ungerecht
gewissermassen, aber ich will mich nicht hinrichten lassen; besser sind die menschen nu
mal nicht, und nur pervertierte leute haben märtyrergelüste. Und man muss mit dem pu-
blikum wie es ist rechnen. Das heisst: auch durch eine noch so gründliche umformung der
gesellschaftlichen grundlage, auch durch noch so viele demonstrierende teatervorstellungen
wird sich niemals die zusammengesetzte natur der menschen und des publikums in ihrer
fundamentalen struktur ändern, wenn sich auch der geschmack, der formensinn und die

293 Im Ts: „die ansicht“.


294 Henrik Ibsen (1828–1906), norwegischer Schriftsteller.
610 Jahrgang 1936

aktualitätswerte ändern. Auch in der zeichnung von figuren wie Nana und Callas zeigt sich
Ihre einseitigkeit in der menschenauffassung und erklärt das rätselhaft unbefriedigende bei
ihnen. Sie verstehen das widerspruchsvolle im aufbau dieser charaktere, Sie wissen vom
kleinbürgerlichen menschen, und Sie demonstrieren diese widersprüche witzig und eigen-
tümlich, so wie man puppen auseinander nimmt und vorzeigt. Es sind keine menschen,
sondern wissen von menschen, sie sind abstrakt. Ihre handlungen sind – trotz der wider-
sprüche – nie rätselhaft, nie überraschend, man merkt nie, dass nun geschieht oder wird
gesagt etwas, welches aus spontanen gefühlen hervorgerufen wird und uns zuschauern das
heimliche gefühl gibt: ja, das ist ein mensch, so verwirrt, so wenig maschine, so wenig – –
gedanke. Ich will nicht damit sagen, dass Sie romantischer mystiker oder psychoanalytiker
werden sollen, das wissen Sie wohl auch ganz genau. Aber ich möchte sagen, dass sie mehr
künstler und weniger teoretiker sein sollten,295 und weniger bewusst pädagoge. Denn ich
glaube, dass Sie dann nicht nur die gefühle, sondern auch die gedanken, die kritik, des pu-
blikums besser wecken würden, ich glaube, dass dann die trocknen marionetten lebendig
werden würden und daher auch klarer. Dreigroschenoper und Die heilige Johanna sind viel
weniger belehrend und demonstrativ, aber ich glaube, dass die beiden Stücke doch – oder
eher: deshalb – viel mehr fruchtbare gedanken wecken, weil sie auch gefühle wecken, weil
sie viel mehr künstlerisch sind – also so zu sagen: durch den „genuss“ zur kritik!
In ihrer teorie überschätzen Sie gewissermassen das publikum in so fern das Sie ihm ein
klares kritisches ratio zuschreiben (obwohl ich persönlich das keine überschätzung nennen
würde, weil ich gefühle nicht als charakterfehler betrachte). In Ihrer praktischen tätigkeit
aber haben sie doch tatsächlich eine neigung, das intellekt des publikums zu unterschätzen,
indem Sie oft allzu überdeutlich auf die „morale“ oder lehre des stücks oder einzelner sze-
nen deuten – das kann leicht etwas verstimmend wirken.
Und nun werden Sie vielleicht ärgerlich den brief wegschmeissen und sagen, das ist ja
alles blöder quatsch – am anfang des briefes sagt er, dass es ein fehler ist, dass die kom-
mentare, die demonstration, nicht deutlich genug ist, und nun sagt er am ende des briefes,
dass die demonstration zu überdeutlich ist. Ganz so unsinnig ists aber auch nicht. 1): vom
gesichtspunkt des demonstrierenden dramas ist Rundköpfe und spitzköpfe unbefriedigend,
erstens weil es an eine positive demonstration des morals, eine „anwendbare politische psy-
chologie“ wie z.b. in der Mutter, fehlt, zweitens weil es in vielen ideologischen einzelheiten,
besonders in der schilderung der einzelnen personen, unklarheiten und widersprüche gibt,
die nicht so zu sagen ausgelöst werden in klarer künstlerischer form (dieser einwand trifft
nicht die fabel, die ja so einfach und leichtverständlich ist, dass deren moral und bedeutung
schon in der allerersten szene völlig klar gemacht worden ist). 2): aber es ist überhaupt eine
frage, ob die teorie vom „demonstrierenden drama“ nicht mit grösster vorsicht in praxis
angewandt werden sollte. (Ich nenne lieber Ihre form „das demonstrierende drama“ als
„das epische drama“, weil es ja jedenfalls seit Strindberg296 oder den expressionismus sehr

295 Unterstreichung von Brecht.


296 August Strindberg (1849–1912), schwedischer Schriftsteller. Neben den hier angesprochenen expres-
Jahrgang 1936 611

viele andere beispiele eines epischen dramas gibt, während die eigenart Ihrer form, oder
eher: Ihrer teorie vom drama, klarer durch „demonstrierend“ ausgedrückt wird). Tendenz
im drama? selbstverständlich! Ein teater, dass dazu beitragen will, die welt umzuformen?
auch darüber sind wir durch und durch einig! Aber ein teater, das immer da mit dem
zeigefinger ist, das die menschen in formeln auflöst, das ist meines erachtens eine gefahr.
Pädagogisieren kann man und muss man, belehren und klarmachen. Aber im teater muss
das durch die künstlerischen mittel geschehen, das pädagogische muss in 100%iges teater,
volles szenisches leben umgeformt werden, oder es wird nicht auf das publikum voll wirken.
Ich habe mich gewissermassen allzu scharf ausgedrückt, es könnte aussehen, als ob ich
mit Ihnen durch und durch uneinig wäre. Aber Sie werden doch wissen, dass ich Ihre ar-
beiten sehr tief bewundere (was auch aus den artikeln, die ich über Dreigroschenoper und
Mahagonny geschrieben habe, hervorgeht). Wenn es hier alles so scharf geworden ist, so
kommt es ausschliesslich daher, dass ich kämpfe um meine wirre gedanken klarzumachen
und die meinungsdifferenzen möglichst klar auszudrücken.
Ihr immer ergebener Ebbe Neergaard

Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Ebbe Neergaard Den Gl Skole Jystrup; BBA 476/12–16.

Lulu Ziegler u.a. an Bertolt Brecht


Frederiksberg, 24.11.1936

Frederiksberg, 24/11 1936

Lieber Brecht!
Nach der letzten Aufführung von „Spitz- und Rundköpfe“ sitzen wir hier bei einem
Glase Bier und senden Ihnen und Ihrer Gattin unsere besten Grüsse und unseren Dank für
Ihr Stück, das wir spielen durften!
Lieber Brecht, das war ein schöner Kampf jeden Abend in einem Stück zu spielen.
Deine Nana-Lulu297

Die Kasse war er leider nicht so gut Auf wiedersehen

Überlieferung: Ms, Bv.: Allégado 10 Telefon Central 1492; BBA 476/2–3.

sionistischen hat er auch realistische und naturalistische Werke verfaßt.


297 Lulu Ziegler hat in der Kopenhagener Inszenierung der Rundköpfe und Spitzköpfe die Nanna gespielt.
612 Jahrgang 1936

Margarete Steffin an Bertolt Brecht


[Kopenhagen] 28.11.1936

28.11.1936

lieber bidi,
dies ist schon eine etwas unheimliche abteilung298, muss ich sagen. es kommt mir vor
wie ein todesbataillon. in der kurzen zeit (hast Du gelesen? k-u-r-z- schrieb ich) die ich hier
bin, sind schon 5 gestorben. das grosse zimmer nebenan ist zum sterbezimmer avanziert.
sonst liegen noch mit mir 8 leute hier, bestimmt werden von ihnen sterben eine alte frau,
ein junges mädchen und ein kleiner junge. bilde ich mir nicht ein. das sagt die schwester.
es ist so aufmunternd.
ich muss etwas gestehen, ich möchte es nur sehr ungern schreiben, aber es ist mir so
schwer, etwas, was mich wirklich beschäftigt hat, nicht Dir zu sagen. und wenn ich es nicht
sagen kann, muss ich es schreiben.
vorgestern nacht zu gestern früh hörte ich gerücke und geschiebe und dachte, aha, da
ists schlimm mit jemandem. aber ich war so spät eingeschlafen und zu müde, um zu „hor-
chen“. und eine stunde später wurde die tote frau abgeholt.
dann war das zimmer leer. dann nachdem es gescheuert war, schoben sie einen alten
mann hinein. die tür stand den ganzen tag offen.
gestern abend, wie ich mir die Hände waschen will, stehen auf dem flur 10, 12 leute,
manche in schwarz, manche in strassenkleidung. als sie mich sahen, machten sie rasch die
tür zu. aha, dachte ich, der alte soll sterben. ab und zu gingen die leute ins nebenzimmer.
licht wurde ausgemacht. ich konnte nicht schlafen. da machte ich von dem pappvorhang
einen reissnagel los und sah durch das kleine fenster ins nebenzimmer. und da lag der alte
im sterben und sie standen um ihn herum, schweigend. er kannte sie schon lange nicht
mehr, ich sah nichts mehr. ich sah nur noch einen jungen, vielleicht 15 jahre alt, der ernst
aber sonst teilnahmslos von einem auf den andern sah, mal auch prüfend auf den grossva-
ter, ob der noch nicht tot ist. vielleicht irre ich mich, aber eigentlich sah es aus, als ob der
junge fand, der alte brauche lange zum sterben. vielleicht wäre er gern ins kino gegangen?
ich hätte ihn gern gefragt, was er denkt. –
dann legte ich mich wieder hin. es dauerte so lange. aber eigentlich wollte ich nichts
versäumen. (lieber bidi, schmeiss den brief weg, ich schreibe alles ganz genau, darf ich. viel-
leicht kann ich es dann vergessen.) und endlich, es war schon nach 9 uhr oder ½ 10, fingen
die frauen, die drinnen standen und sassen, zu weinen an. ich dachte, jetzt ist er tot. ich
stand wieder auf, aber ich konnte nichts sehen, sie standen alle um das bett herum. und der
kleine drehte mir jetzt auch den rücken zu, lehnte aber noch immer an der zentralheizung,
es war auch reichlich ungemütlich draussen. dann gingen alle, auch die schwestern, die

298 Die Øresund-Klinik in Kopenhagen, wo Steffin sich zur Behandlung aufhielt.


Jahrgang 1936 613

feierlich und wütend (sonst essen sie 10 minuten nach 8 abendbrot, und nun war alles kalt
geworden) dabei gestanden hatten. sie knipsten das licht aus. sicher stürzten sie sich auf ihr
abendbrot. butter kriegen sie nicht, die will grade johanne christiansen für sie erkämpfen,
für uns hat sie sie schon erreicht. ich lag lange wach. plötzlich sah ich einen lichtstreif an
dem fensterchen. was, lebte er noch? ich sah wieder durch den spalt. nein, rechts und links
stand je eine schwester und wischte dem toten hastig die brust ab. warum? totenschweiss?
warum nur die brust? dann wurde es sofort wieder dunkel. und nun wollte ich schlafen.
aber ich konnte nicht. ich hörte geräusche, als ob einer stöhnt, natürlich das ist im hafen,
ein nebelhorn oder sowas. mein herz klopfte schrecklich. es war schon 11 uhr. jetzt lag der
tote schon 2 stunden nebenan. und plötzlich war wieder der lichtstreif da. ich stand rasch
auf und nahm meine brille, die hatte ich schon vorher aus der tasche genommen, und wie
ich hineinsah, standen die schwestern wieder rechts und links, diesmal in langen kitteln,
weissen, mit langen ärmeln. sie zogen den toten aus, wuschen ihn. warfen die kissen auf
den boden. schlossen geschickt die augen. pappten, ja sie pappten ihm feuchte wattestück-
chen auf die augen. legten ein sehr weisses tuch zusammen. banden ihm den kiefer hoch.
und einen kleinen beinahe freundlichen klaps gab die jüngere Schwester dem toten an das
bewickelte kinn, vielleicht weil der kiefer so hübsch fest sass? aber da rutschte der kopf zur
seite. er lag ganz nackt da, der arme alte mann, mit schiefem kopf, einen verband wie bei
zahnweh um. die arme legten sie ihm am körper lang, aber dann entschlossen sie sich, sie
auf der brust zu kreuzen. dann drehte ihn eine schwester um, indem sie fest seinen sicher
sehr kalten hintern (sagt man auch bei toten hintern? es sah aber aus wie hintern, nicht
anders) packte, sie tupfte irgendwie rum. und dann legten sie ihn wieder auf den rücken.
er sah erstaunt aus, der alte mann. nun legten sie ihm die arme wieder am körper lang, sie
schienen fest entschlossen, es dabei bleiben zu lassen. noch einmal rutschte der kopf auf die
seite und noch einmal stopften sie, und alles machten sie zu zweit, das kopfkissen so, dass
er hübsch ordentlich und simmetrisch [sic] da lag. dann schlugen sie ein laken um ihn. aus.
ich hatte furchtbares herzklopfen und sah lange aus dem fenster, auf das gaswerk hin.
dahinter ist die eisenbahnschiene. ein paar hundert meter weiter der hafen.
dann legte ich mich hin und zog die decke über den kopf, aber da bekam ich keine luft.
und wie ich die nase vorsteckte, roch ich totenluft. ich weiss, einbildung, mir fiel dann ein,
wie wir uns als kinder unsere arme immer so lange gerieben hatten, bis sie stanken, und sie
uns dann gegenseitig unter die nase hielten: „riech ma, totenjeruch, nich?“ das hatte er nun
nicht mehr nötig.
es war bald zwölf. eigentlich hätte ich gern ein schlafpulver gehabt, aber obwohl sie
sich sicher schon die hände desinfiziert hatten und die kittel weggeworfen, wollte ich keine
schwester bei mir haben.
und dann schlief ich doch ein. und hatte einen guten traum, kein bisschen unheimlich.
als ich sehr früh aufwachte, war er schon weg, sie mussten ihn grade geholt haben.
und nun kommt grossmutter ran, sagte eine nachtschwester.
614 Jahrgang 1936

findest Du es schlimm, lieber bidi? aber ich konnte so nicht liegen, wo es sowieso drin-
nen geschah. ich hätte es mir viel schlimmer eingebildet.
schreibe mir, ja?

Überlieferung: Ts, BBA 654/87–88. – E: Steffin, Briefe, S. 214ff.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht


[Kopenhagen, November/Dezember 1936]

lieber bidi,
auf solche distanz hin wage ich kaum, irgendeine kritik zu üben.299 das steht dann so
anmassend schwarz auf weiss da und kein rückzug ist bei einem falschen zungenschlag
möglich.
wenn ich dort wäre, wärs leichter. aber auf j e d e gefahr hin dies:
die parabelform.300 eben hat der leser etwas vom epischen theater gelesen (die anmerkun-
gen nach den ersten stücken des bandes) jetzt kommt die parabelform. ist dann der inhalt
diesem titel entsprechend?
zwei titel: aufbau der rollen (induktive methode)
und einflussnahme auf den zuschauer (bei induktivem rollenaufbau)
von dem zweiten hätte ich manches unter dem ersteren abschnitt zu finden erwartet.
der erste teil (des zweiteren) ist am einleuchtendsten von allem, was an theoretischen sachen
gesagt wird in dem band. soll er verlängert (erschwert?) werden?
da der verfremdungseffekt bis zu dieser seite nicht als solcher vorkam (?), ein neues wort
für den leser ist, genügt nicht, zu sagen, d a s s und w e l c h e stellen entfremdet wurden,
sondern der neugierige fragt w i e wurde entfremdet?
unter beispiele für entfremdung 301 scheint mir das erste nicht stark, beim dritten ist mir
der erste satz (zu den ausstellungen historischer szenenformen gehört auch) zu gewichtig
gegen den schlusssatz.
das letzte beispiel leuchtet auch einem einfachen krankenhäusler ein, am ehesten
von allen; aber da gehobene sprache und prosa in einem stück dem leser am wahrschein­-
li[ch]sten bekannt und nie als verfremdend vorgekommen sein dürfte usw. …
(NB: vergisst Du nicht, dass man die

299 Brecht hatte nach der Kopenhagener Aufführung eine Anmerkung zu „Die Rundköpfe und die Spitz-
köpfe“ (GBA 22, S. 207–219) geschrieben und sie Steffin zur Begutachtung vorgelegt. Der Text er-
schien 1938 zusammen mit dem Stück in Band 2 der Gesammelten Werke.
300 Kursiv gesetzte Wörter im Ts mit rotem Farbband hervorgehoben.
301 Hs. Erg. am Rand: „Steht auch nicht unter ‚verfremdet wurde‘“.
Jahrgang 1936 615

andern aufsätze im gleichen band hat?)


nein, ich trau mich nicht, noch was zu schreiben.
und wenn morgen wirklich dieser fragebogen zurückkommt von Dir, gehen also die
„rundköpfe“ ab. auf alle fälle:
adresse der vegaar (lateinische buchstaben genügen) ist:
verlagsgenossenschaft ausländischer arbeiter in der USSR
deutsche sektion, Bork, Moskau; B. Nikolskaja 7.

sehr von mir geehrter und geliebter herr, sooo unverständlich finde ich es nicht, dass
mariannes302 brief nicht ankommt. ich meine, da liegt noch manch anderer brief, den Du
vergisst mir zu schicken, sowas denk ich von Dir, aber den möchte ich gern haben.
warum dachtest Du, ich sei unfreundlich?
reich redest Du mit „Du“ an. bei manchen leuten vergisst Du das ja nicht. er würde,
glaube ich, gekränkt sein?
diese anfrage rechts oben303 meint, dass man also dem leser ruhig zumuten kann, auch
alles durchgelesen zu haben bisher und dass man ihn also nicht etwa zu zart behandeln
muss.

wiedersehen, g.g. schreib

[Hs. Rückseite:]

für dringend: telefon ist Central 9463 isolation fru juul


Hast Du den krim. roman bekommen?
304

wie bin ich?


lieber bidi, ich bin noch immer freundlich von letztem
Dienstag, aber jetzt ebbt es langsam ab. lulu305 fragt,
wann du kommst. ich sagte, Du hast heute angerufen,
weil Du eben besuch bekamst u. lulu nicht morgen kommen kann?

Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg.; RGALI. – Dv: Kopie BBA Z23/156–157. – E: Steffin, Briefe, S. 217ff.

302 Möglicherweise Marianne Zoff.


303 Hs. mit „x“ markiert. Bezieht sich auf die ebenso markierte Frage in Klammern oben („NB“).
304 Soll wohl heißen: Kriminalroman. Genaueres konnte nicht ermittelt werden.
305 Lulu Ziegler.
616 Jahrgang 1936

Johannes R. Becher 306 an Bertolt Brecht


Moskau, 5.12.1936

Moskau, den 5. Dezember 1936


Postfach 850

Lieber Brecht,
wir bestätigen Dir den Eingang Deines Beitrags, den wir in Nummer 2 der IL bringen
werden.307 Wir haben uns sehr gefreut, von Dir eine Arbeit zu erhalten, und wir bitten
Dich auch weiterhin regelmässig bei uns mitzuarbeiten. Mache uns auch Vorschläge und
schreibe uns, wenn es Dir nicht zuviel Zeit kostet, wie Dir jede Nummer gefällt. Sage bitte
auch St. dass wir ihre Sache bald bringen werden,308 sie liegt ja wirklich schon lange genug
bei uns, aber es war auf Grund des Redaktionswechsels eine Menge aufzuarbeiten.
Mit den besten Grüssen

Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/134.

Walter Benjamin an Margarete Steffin


Paris, 12.12.1936

Liebe Grete,
Sie hätten von mir schon vor einer Weile gehört – und meinen Dank für Ihren Novem-
berbrief309 erhalten – wenn die letzten Wochen mich nicht so sehr an das Unmittelbarste
fixiert hätten. Es erwarteten mich auf meiner Reise310 erhebliche Schwierigkeiten. Sie sind
noch durchaus nicht bereinigt; ich kann nur hoffen, in einiger Zeit klarer zu sehen. Inzwi­
schen mußte ich Arbeit und Mitteilung bis auf meine Rück­kehr verschieben.

306 Auf dem TsD fehlen Name und Unterschrift. Es kann jedoch kaum Zweifel bestehen, daß der Ver-
fasser dieses Briefs (sowie der folgenden Briefe der Redaktion der Internationalen Literatur) Johannes
R. Becher war, der soeben die redaktionelle Leitung der Zeitschrift übernommen hatte und der von
den verbliebenen Moskauer Exilanten wohl der einzige war, der Brecht duzte. Zur Internationalen
Literatur vgl. Anm. zu Tretjakow, 27.2.1933.
307 Das ist die Geschichte Der Soldat von La Ciotat (GBA 18, S. 407f.), erschienen unter dem Titel
L’ homme statue in Internationale Literatur, Heft 2/1937. Ein entsprechender Brief Brechts ist nicht
überliefert.
308 Von Steffin erschien in Heft 7/1937 „Herr Fischer, wie tief ist das Wasser?“, das zweite Bild aus ihrem
Stück Wenn er einen Engel hätte (jetzt in: Steffin, Konfutse, S. 235–242).
309 Vgl. Brief an Benjamin vom 7.11.1936 in: Steffin, Briefe, S. 212ff.
310 Benjamin war, nachdem er Brecht im August/September 1936 in Svendborg besucht hatte, nach San
Remo gereist und im Oktober nach Paris zurückgekehrt.
Jahrgang 1936 617

Mein Erstes ist, Sie um Nachricht über Ihre Gesundheit zu bitten. Hoffentlich haben
Sie ein paar freundliche Dänen in der Nähe, die sich mit Obst und Kuchen garniert bei
Ihnen einfinden. Dudow, den ich nur erst am Telefon sprach, erzählte mir von Ihrem Be-
richt und aus ihm entnehme ich, daß die Dänen eine Rehabilitierung bei Ihnen sehr nötig
haben. Womit können Banausen den Künstler kränken, wenn nicht mit Würsten?
Im übrigen ist das Verhalten der Leute ja wohl nur solange nachsichtig zu beurteilen,
als sie bei ihrem provinziellen Stil bleiben. Dudow sagte mir, daß sie dem Ballet gegenüber
Sabotage getrieben hätten.311 Das klingt sehr widerwärtig – zumal wenn ich mich erinnere,
wie sehr sie im Sommer dahinter her waren.
Ich habe mich in Paris noch kaum umsehen können. Soviel ist klar, daß es auch hier
besser bestellt sein könnte. Während meiner Abwesenheit ist das Buch von Gide „Re­tour
de Urss“312 erschienen. Erschienen nicht nur in Buchform, sondern in zahllosen Auszügen
in der Presse der Faschisten verbreitet. Gelesen habe ich es noch nicht. Sowie ich es mir
verschafft habe, sende ich es an Brecht, der mich in einem Brief313, der gestern kam, darum
gebeten hat. Die Empörung bei den Parteileuten kennt keine Grenzen. (Was mich be­trifft,
so mißbillige ich das Buch ohne es noch zu kennen. Ohne auch zu wissen, ob was darinnen
steht, zutrifft und ob es entscheidend ist. Indem ich das letztere unterstelle, kann ich doch
keineswegs davon absehen, daß die Haltung des Mannes, der sich, zu diesem Zeitpunkt,
auf den Weg macht, um nun mal nachzusehen, wie die Sache da eigentlich aus­sieht, eine
Düpierung darstellt. Eine politische Position kann nicht zu jedem beliebigen Zeitpunkt in
unbeschränkter Öffentlichkeit nachgeprüft werden. Der Anspruch darauf ist reiner Dilet-
tantismus; das Ergebnis ist grober Unfug.
Dies unter der Voraussetzung, daß von Gide kein exakter politischer Zweck sondern
eine „Besserung“ beabsichtigt ist. Im übrigen könnte der exakte politische Zweck ja nur
in der trotzkistischen Linie liegen. Das müßte einbekannt sein und es ist, soviel ich weiß,
keineswegs der Fall.)
Ich habe den zweiten pariser Brief314 geschrieben; er behan­delt einige Debatten, die in
der letzten Zeit über das Verhält­nis von Malerei und Photographie hier geführt wurden.
Im übrigen haben die Leute noch immer keinen Bescheid über meine Reproduktionsarbeit
kundgegeben.315 Nun muß das wohl ruhen, bis Brecht selbst hinkommt. Oder glauben Sie,
es sei zweckmäßig, Maria Osten, die wieder zurück ist, davon zu schreiben? Ich halte das
nicht für gewiß.

311 Bezieht sich auf die Kopenhagener Premiere der Sieben Todsünden der Kleinbürger am 12.11.1936 (vgl.
Anm. zu Steffin, 22.2.1936). Steffin hatte Benjamin am 7.11.1936 berichtet, daß „kritiker u. konsorten
[…] das Ballett […] im voraus durch gehässige anmerkungen kaputt machen“ (Steffin, Briefe, S. 213).
312 André Gide, Retour de l’U.R.S.S., Paris 1936 (Zurück aus Sowjet-Russland, Zürich 1937). Vgl. Brechts
Polemik gegen Gide in den damals unveröffentlichten Aufzeichnungen Kraft und Schwäche der Uto-
pie (GBA 22, S. 286–289) und Die ungleichen Einkommen (ebd., S. 290–294).
313 Vgl. B. an Benjamin, Anfang Dezember 1936, GBA 28, S. 568.
314 Vgl. Anm. zu Benjamin, ca. 27.9.1936.
315 Vgl. Anm. zu Benjamin an Steffin, 4.3.1936.
618 Jahrgang 1936

Ich habe die Notiz über Ihering in Heft V des „Wort“316 gelesen. Ist seitdem Neues über
ihn bekannt geworden?
Nun habe ich Ihnen so ungefähr erzählt, was ich zu be­richten habe. Wollte ich mehr
schreiben, müßte der Brief tagelang liegenbleiben und darum folgen für heute nur die be-
sten Wünsche für einen baldigen Wechsel Ihres Logis.
Schreiben Sie, bitte, sehr bald und Ausführliches.
Herzliche Grüße für Sie und Brecht.
12 Dezember 1936 Ihr
Paris XIV Walter Benjamin
23 rue Bénard

Überlieferung: Ms, BBA 2046/60–62. – E: Benjamin, Briefe, Bd. V, S. 438f.

Wieland Herzfelde an Margarete Steffin


Prag, 14.12.1936

Prag, den 14.12.36

Grete Steffin, Svendborg, Skovsbostrand, Danmark

Liebe Grete Steffin,


Dein Brief vom 10.12.317 setzt mich in Erstaunen. Ich habe von Brecht seit fast zwei Jah-
ren keinen Brief mehr bekommen.318 Und Dein letzter Brief ist vom 18.8. datiert, und wurde
sogleich nach Eingang beantwortet. Eine Kopie dieser Antwort ist an Brecht gegangen.
Eine Antwort auf dieses Schreiben kam weder von Dir noch von Brecht.
Am 23.9. habe ich Brecht die Bände Smedley „China kämpft“ und Hinrichs „Staatliches
Konzentrationslager“ geschickt, am 6.11. Graf „Der Abgrund“.319 Ausserdem unseren Pro-
spekt mit der Frage, ob ihn sonst noch was von meiner Neuproduktion interessiert.
Auch darauf bekam ich keinerlei Antwort.

316 Der mit „M.“ gezeichnete Beitrag „Iherings Berufstod“ schließt mit den Sätzen: „Nun kommt aus
Berlin die Nachricht, daß dieser Mann zum Berufstod verurteilt ist. Auf Grund der alten Sünden?
Auf Grund neuer Konflikte? Jedenfalls ist es vom nationalsozialistischen Staat nicht gescheit, auf
einen Mann zu verzichten, der soviel Hang zum Theater besitzt, soviel Theater-Erfahrung, soviel
Rebellentum und akrobatische Gelenkigkeit, noch das antiquierteste Zeug unter seine Bewegungs-
kategorien zu zwingen“ (Das Wort, Heft 5/1936, S. 107f.).
317 Nicht überliefert, ebenso wie der nachfolgend erwähnte Brief Steffins vom 18.8.1936.
318 Der bis dahin letzte überlieferte Brief Brechts an Herzfelde datiert von Juli/August 1935, GBA 28, S.
517f.
319 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 25.6.1936.
Jahrgang 1936 619

Alles war adressiert Bertold Brecht, Adresse wie oben.


Ich würde gerne wissen, ob die Sendungen angekommen sind. Sollte ein Brief an mich
verloren gegangen sein, so erbitte ich Kopie.
Was nun die Sonderabzüge „Rundköpfe“ angeht, so kann ich, da ich gar keinen Abzug
hier habe, nicht feststellen, ob solche Abzüge technisch möglich sind. Wenn ich aber nicht
sehr irre, wird die Vegaar ihre Ausgabe sowieso in einzelne Stücke aufteilen. Jedenfalls
werde ich Brechts Wunsch weiterleiten.
Ich möchte die Stücke nicht einzeln auf den Markt bringen, denn es ist sonnenklar, dass
dann die Sammelbände kaum abzusetzen sein werden. Wir hatten damals ja gerade das
besprochen. Auch sollte der Preis für den Gesamtband möglichst niedrig eingesetzt werden,
damit die Käufer sich an der Notwendigkeit, mehrere Stücke auf einmal zu kaufen, nicht
stossen.
Dank für die Bilder; von welcher Aufführung rühren sie her? Ich habe von keiner etwas
erfahren.
Die letzte Nachricht der Vegaar besagt, dass Revisionsabzüge an Brecht gegangen sind.
Hat er diese Abzüge imprimiert und zurückgeschickt? Ich hoffe zuversichtlich, dass die
Bände endlich im Frühjahr herauskommen. Dank für die nette Frankierung, natürlich
sammelt George320 Marken, falls der kleine Brecht es auch noch tut, schick ihm das Kuvert
dieses Briefes.
Herzlichen Gruss
Wieland

Überlieferung: Ts, hs. U., von fremder Hand: „geschr. ende januar“, Bv.: W. Herzfelde Praha I, Kon-
viktská 5 ČSR. Telefon: Prag 368 96 Vertreter der Malik-Verlag Publishing Company London, W.C. 1;
BBA 477/50.

Walter Benjamin an Bertolt Brecht


Paris, 20.12.1936

Paris (14e), den 20. Dez. 1936


23, Rue Bénard

Lieber Brecht,
Vielen Dank für Ihren letzten Brief.

320 George Wyland-Herzfelde (1925–2011), Sohn von Wieland Herzfelde. Blieb 1949 nach der Rückkehr
seiner Eltern in den USA, wo er eine Karriere als Eiskunstläufer begann und u.a. auch als Schauspie-
ler tätig war. Lebte ab 1968 in der Schweiz.
620 Jahrgang 1936

Ich würde Ihnen gern etwas Vernünftiges über den Stand der französischen Ausgabe
des „Dreigroschenromans“ berichten.321 Aber es sieht ziemlich betrüblich aus.
Klossowski hat mit Moussignac gesprochen; aber man ist zu keinem Ergebnis gekom-
men. Die ESI wollen für die Uebertragung Frs 2500,-- aussetzen. Klossowski seinerseits
glaubt, unter dreieinhalb Monaten die Arbeit nicht bewältigen zu können und, auf dieser
Grundlage errechnet, ist die Bezahlung dürftig.
Es gibt sicher in Frankreich nur ganz wenige Leute, die dieser Uebersetzung gewachsen
sind. (Ich selbst kenne persönlich außer K. niemanden.) Ob man von den wenigen in Be-
tracht kommenden zu diesen Bedingungen Jemanden wird haben können, ist leider ganz
zweifelhaft. Ehe ich bei Moussignac vorbeigehe, wüßte ich gern wie Sie über die Sache
denken. Ich meine, es wäre das chancenreichste, einen anderen Verlag zu suchen, der mit
etwas mehr Mitteln und vor allem mit mehr Initiative an die Sache heranginge.
Schreiben Sie mir bitte ein Wort darüber.
Mit der gleichen Post schicke ich Ihnen den zweiten „Pariser Brief“.322 Ich denke, es ste-
hen einige interessante Sachen darin, und sie kollidieren nirgends mit derzeitigen Parolen.
Hoffentlich kann der Brief recht bald erscheinen.
Dem Manuskript lege ich Ausschnitte aus der „Humanité“ bei, die einen Artikel re-
produzieren, der gegen Gide in der „Pravda“ erschienen ist.323 Gides Buch sende ich Ihnen,
sobald ich es selber habe.
Ich denke, wir sehen uns nächstes Jahr spätestens im Sommer. Wie wäre es, wenn Sie
vorher einmal hier vorbeikämen? man könnte dann die Uebersetzungsfrage ins richtige
Geleise bringen.
Sagen Sie bitte Heli und Steff schönen Dank für ihre Briefe und leben Sie herzlich wohl.

Überlieferung: TsD, BBA 2169/1–2. – E: Benjamin, Briefe, Bd. V, S. 444f.

Frank Banholzer an Bertolt Brecht


Friedberg, 28.12.1936

Friedberg, den 28.12.1936

321 Vgl. Benjamin, ca. 27.9.1936.


322 Vgl. Anm. ebd.
323 Eine am 3.12.1936 in der Prawda anonym publizierte Kritik des Buches von Gide (vgl. Anm. zu Ben-
jamin an Steffin, 12.12.1936) wurde unter dem Titel „Ris et larmes d’André Gide“ am 18./19.12. in der
französischen KP-Zeitung L’Humanité nachgedruckt. Brecht kannte bereits die deutsche Überset-
zung des Textes, die am 4.12. in der Deutschen Zentral-Zeitung erschienen war. André Gide reagierte
seinerseits darauf mit der Ergänzung Retouches à mon Retour de l’U.R.S.S., Paris 1937 (Retuschen zu
meinem Russlandbuch, Zürich 1937).
Jahrgang 1936 621

Lieber Papa!
Recht vielen Dank für Dein reizendes Weihnachtsgeschenk. Es hat mir sehr viel Freude
gemacht. Aber am meisten hat es mir Freude gemacht, daß ich von Dir einen Brief324 erhal-
ten habe. Zeigt es mir doch, daß Du auch zuweilen an mich denkst! Wie geht es eigentlich
Dir, Tante Helli, Steff und Barbara? Von Großpapa hörte ich, daß von Dir Theaterstücke in
aller Welt aufgeführt würden. Hoffentlich hast Du recht viel Erfolg!
Mir geht es z.Zt. sehr gut. Im Geschäft wie auch gesundheitlich. Ich bin jetzt gerade
in Behandlung bei Dr. L. Schmid aus Berlin. Großpapa sagt, dass Du ihn sehr gut kennst.
Er habe ja sogar als Du noch in Berlin warst bei Dir seine Sprechstunde abgehalten. Seine
Praxis übt Dr. Schmid ganz geheim aus. Eigentlich dürfte er gar nicht. Vor zwei Jahren
wurde er wegen Landesverrat verhaftet, mußte aber wieder freigelassen werden, da sich
seine Unschuld herausstellte. Aber seine Praxis wurde ihm genommen.
Mama hat voriges Jahr ein Kleines bekommen. Es war ein Mädchen! Leider ist es aber
sofort nach der Geburt gestorben und meine Mutter sehr schwer krank geworden. Wochen-
lang ist sie zwischen Leben und Tot [sic] geschwebt. Ihre zähe Natur hat aber schließlich
gesiegt. Jetzt ist sie wieder frisch und munter.
Und nun wünsche ich Dir noch ein recht frohes und erfolgreiches neues Jahr. Auch
Tante Helli Steff und Barbara wünsche ich recht viel Glück im kommenden Jahre!
Von Deinem
Frank

Meine Adresse:
F.B. Friedberg b/ Augsburg
Stadtgraben 10.

Überlieferung: Ms, BBA 654/141–142.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht


[Kopenhagen, Ende 1936] 325

die rundköpfe

lieber bidi, ich finde es ein wunderbares stück und sehr gut gestrichen und geändert. ich
habe es heute nochmals gelesen. – nicht etwa, weil mir Deine antwort so grossen spass ge-

324 Nicht überliefert.


325 Die undatierten Notizen zu Die Rundköpfe und die Spitzköpfe sind vermutlich nach der Kopenhage-
ner Aufführung entstanden. Hs. Erg. Brechts sind kursiv gesetzt.
622 Jahrgang 1936

macht hat, sondern weil ich noch einige fragen habe, bitte ich Dich, sie mir gleich wieder
(auf diesem zettel) zu beantworten:
es kam noch wenige male „iberinsoldat“ vor (bei X), das habe ich in hua geändert dann
sollte man (in II) den Iberinsoldaten wohl nur „Iberinanhänger“ nennen und mit einer Arm-
binde ausstaffieren (ohne Waffe)?

*
einen unheimlichen eindruck macht es im anfang (sehr gut) dass in I und II der krieg
die hauptrolle spielt. das geht dann weg – was auch richtig ist, glaube ich – aber in XI muss
man auf I mehr zurückkommen? (es ist schade um die kleine szene, wo missena den vize-
könig erwartet, im gegensatz zu I, wo Iberin so lange wartet) siehe anlage!

*
II nicht vom plakat „tschichisches geschäft« die rede gib es hinein!

*
miliz hast Du manchmal kampfstaffeln, manchmal legion stehen, ich denke, beides
kann bleiben und legion Miliz326 weg. ja.

*
frau cornamontiz nennt zum ersten mal das „holzschuhvolk“ (wenn sie die ausziehen-
den truppen ansehen will) das geht.

*
III schade, dass wegfällt, „3 tage, callas“ und seine antwort. es war sehr gut, wie er auf
sich eben entschloss, nachdem er bis zum äussersten auf die hilfe wartete. Wenn der 3. P.327
ab ist, kann Lopez sagen: Du wolltest noch warten, Callas, ob nicht eine günstige nachricht für
dich aus der stadt von deiner tochter eintreffen würde.
Callas: die hilfe ist nicht eingetroffen und ich bin einverstanden, mit euch zu kämpfen. /
Lopez: Gib mir die Hand, …

*
VI „ich trinke nicht auf die gesundheit eines pferdediebs“ sollte nicht der satz kommen,
dass es dann besser ist, sofort wegzugehen? ja. übrigens in VI Nana: ich habe keine bestellt.

326 Hs. Korr. von Steffin.


327 Pächter.
Jahrgang 1936 623

VI hier im druck heisst es: (wo du haben willst, „könnte man sofort über die gäule einig
werden“):
könnte man sofort über eine schenkung sprechen.328 ist wirklich besser!
das ist gut (so angenehm vorsichtig, weil man nicht weiss, ob der mann billig ist) kurz
darauf:
also klipp und klar: Sie können jetzt die 2 Gäule …,

*
was „gäule“ oder pferde angeht, habe ich bei den Pächtern immer Gäule geschrieben,
die feinen leute sagen meist pferde, manchmal gäule. (du bist aber schlau, alter muck!)

*
callamassi: in 2 und 8 „der hauswirt callamassi“, in VI und VII:
nur „callamassi“. sieht richtig aus. shure329

*
VII wenn sich iberin nach dem stand der schlacht erkundigt:
mirasonnore
wird wohl den ausschlag geben. um das kraftwerk tobt der entscheidungskampf. das
vor 3 Tagen an die Sichel fiel
(fehlt da nicht eine zeile? weil es gestern von der sichel eingenommen war?)

*
VIII gestern hätte isabella noch gehen müssen, heute ists nicht mehr nötig. soll es nicht
auch heissen:
ist er nicht spitz? seit heute nicht mehr spitz? nämlich: war er es gestern, wo ich hätte
gehen müssen und heut nicht mehr, wo der sieg da ist?

*
339/IX die kellnerin bringt die suppe (oder fr. corn. gibt sie?)

*
ich habe mir ein paar mal in XI
die freigabe die verse spricht nicht Nanna sondern die Spielerin
die einkleidung und der Nanna:

328 Streichung und Unterstreichung von Brecht.


329 Gemeint ist vermutlich das englische Wort sure.
624 Jahrgang 1936

missenanas friedensrede angesehen.


da finde ich es nicht so … jetzt finde ich kein wort dafür. kannst du es nochmal durch-
lesen? ja. gg 330
würdest Du die Einkleidung streichen?
soll Callas (nach „… ich schick dir von der suppe“) sagen (zu Nanna)
Hast Du gehört, sie wollen einen Krieg machen?
und soll der Vizekönig statt nur
„Erst kommt der Pächter, wie, Herr Iberin?“
noch sagen: Man muß ihn füttern nun: er ist Soldat.
Zwei teller her!

und dann fehlen:


eine liste über die jahreszahlen (wann die einzelnen
stücke des ersten bandes geschrieben wurden)
die mitarbeiterliste die angefügt werden soll.
that’s all.

lieber bidi, es ist ein sehr schönes stück. bloss lies nochmal die 3 sachen in XI durch?

Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. Erg. von Brecht, BBA 347/27–28. – E: Steffin, Briefe, S. 223ff.

330 Vgl. Anm. zu Steffin, Juli 1933.


Briefe an Bertolt Brecht, 1937

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