wenn ein Unterhaltspflichtiger seiner Erwerbsobliegenheit nicht nachkommt und sich nach
dem Verlust seiner Arbeitsstelle nicht ausreichend um eine Erwerbstätigkeit bemüht. Dann
wird gestützt auf die allgemeinen Erfahrungswerte, dass bei ausreichend intensiven
Bemühungen die Wiedererlangung eines Arbeitsplatzes realistisch ist, ein fiktives
Einkommen angerechnet.
Ob man einen solchen Vorwurf ganz pauschal in der heutigen Situation erheben kann,
möchte ich stark bezweifeln; da muss man schon sehr genau die Umstände des Einzelfalls
ansehen.
Punkt 2:
Unterhalt ist immer von der aktuellen Leistungsfähigkeit des Pflichtigen abhängig.
Vereinfacht ausgedrückt: Wer in diesem Monat kein Geld hat, muss in diesem Monat
keinen Unterhalt zahlen.
Nun kann man in der familienrechtlichen Praxis nicht jeden Monat den geschuldeten
Unterhalt neu ausrechnen. Daher wird üblicherweise der Unterhalt gestützt auf
Durchschnittsberechnungen (i.d.R. der letzten 12 Monate) mit einem einheitlichen Betrag
festgesetzt. Dabei werden aus praktischen Gründen nicht nur monatliche
Einkommensschwankungen, sondern auch größere Sonderzahlungen wie Weihnachts-
und Urlaubsgeld sowie Steuerrückzahlungen nivelliert. Für den zukünftigen Unterhalt wird
darauf eine doppelte Prognose gestützt, nämlich einmal auf den Gedanken „es läuft in der
Einkommenshöhe so weiter wie bisher“, zum anderen auf die Überzeugung „da sind wir
uns sicher“. Beide Komponenten dieser Prognose sind in Corona-Zeiten aber jedenfalls
nicht mehr so pauschal haltbar. Denn es ist schon nicht zuverlässig vorhersehbar, wie
lange die Gesundheitskrise mit den damit verbundenen Einschränkungen des privaten und
wirtschaftlichen Lebens andauern wird. Und ist genauso wenig zuverlässig vorhersehbar,
ob und wann nach dem Ende der Gesundheitskrise die wirtschaftliche Lage wieder das
„Normalmaß“ angenommen haben wird, das wir bislang allen unterhaltsrechtlichen
Überlegungen zugrunde gelegt haben.
Daher muss in dieser außergewöhnlichen Situation bereits mit dem Eintreten der
finanziellen Verschlechterung ab diesem Zeitpunkt eine Neuberechnung des Unterhalts
vorgenommen werden.
https://www.juris.de/jportal/nav/juris_2015/aktuelles/magazin/corona-familienrecht.jsp 2/5
3/31/2021 Corona & Familienrecht: Unterhalt, Umgang & Co | juris Das Rechtsportal
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Viefhues: Leider gibt es Elternteile, denen der Umgang mit dem anderen Elternteil
ohnehin „ein Dorn im Auge“ ist und die jetzt die Corona-Krise als Joker ansehen, um ihrem
Ziel einer Umgangsverweigerung ein legitimes Mäntelchen umzuhängen und dabei auch
den aktuellen Notbetrieb bei Gerichten und Jugendämtern ausnutzen, um erst einmal
Fakten zu schaffen.
Auch in der Corona-Krise darf das Umgangsrecht aber nicht auf der Strecke bleiben. Die
Situation muss hier wesentlich differenzierter betrachtet werden; dabei sollten auch
durchaus mal kreative und flexible Lösungen angestrengt werden.
Die schlichte Sorge vor einer Ansteckung beim anderen Elternteil rechtfertigt auf jeden Fall
keine Umgangsverweigerung.
Ein behördliches Ausgangsverbot durch die Verordnungen und Allgemeinverfügungen der
Länder dürfte kein Recht zur Umgangsverweigerung geben. Dies ist allerdings umstritten.
Angesichts der Bedeutung von Umgangskontakten für die Eltern-Kind-Beziehung sind
diese grundsätzlich zum erlaubten „absolut nötigen Kontaktminimum“ zu zählen.
Klar ist die Situation, wenn das Kind unter häuslicher Quarantäne steht, die nach § 30 IfSG
angeordnet wurde; dann muss der persönliche Umgang ausfallen. Ist der Obhutselternteil
vorerkrankt oder pflegt seine alten Eltern im Haushalt und hat daher seinen Haushalt von
der Außenwelt isoliert – sich also in freiwillige und vorsorgliche häusliche Quarantäne
begeben, in die er auch das Kind einschließt, besteht die Befürchtung, dass das Kind
durch den Umgang die Viren „hereinschleppt“. Denkbar und kreativ wäre es hier, das Kind
vorübergehend in den Haushalt des anderen Elternteils wechseln zu lassen. Damit wäre
auch das Risiko ausgeschlossen, dass das Kind eine Ansteckung aus seiner Schule oder
seinem Kindergarten in den Haushalt seines Obhutselternteils einschleppt.
Verfahrensrechtlich ist zudem daran zu erinnern, dass sich der Obhutselternteil auch in
Corona-Zeiten nicht eigenmächtig über eine gerichtliche Umgangsregelung hinwegsetzen
kann, sondern ggf. eine Änderung dieser Regelung durch das Gericht erreichen muss.
Eine Verhandlung im Gerichtssaal mit Gesichtsmaske bietet dies sicherlich nicht und
schließt auch nicht alle gesundheitlichen Risiken aus. Denkbar ist auch, bestimmte
Anhörungen per Video durchzuführen, wie dies in § 128a ZPO bereits erlaubt ist.
Allerdings sind in den wenigsten Gerichten die technischen Voraussetzungen hierfür
gegeben.
Ob in bestimmten Fallgestaltungen – wie z.B. einer unstreitigen Scheidung – auf eine
mündliche Anhörung ganz verzichtet werden kann, wird derzeit intensiv diskutiert.
Mein Fazit ist hier:
Man sollte sehr schnell kreative Lösungen umsetzen, um die Gerichtsverfahren im
Interesse der Beteiligten zeitnah bearbeiten und erledigen zu können. Wenn man sich statt
dessen hier unnötig an verfahrensrechtlichen Restriktionen festbeißt, führt dies bei
gleichbleibenden Eingängen und reduzierten Erledigungen in den Gerichten zu einem
wenig bürgernahen Verfahrensstau, der die Justiz und natürlich auch die Anwaltschaft
noch lange nach dem Ende der Corona-Krise belasten wird.
Sehen Sie bezogen auf die Corona-Krise den Bedarf für weitere
Regelungen des Gesetzgebers – eventuell zum Schutz des
Kindeswohls, oder wegen häuslicher Gewalt?
Viefhues: Nein, das ist kein Problem fehlender gesetzlicher Regelungen, sondern die
Auswirkung beengter Wohnverhältnisse und fehlender sozialer Kontrolle.
Die Nerven der Familien, die auf der einen Seite Einkommensverluste zu verzeichnen
haben, auf der anderen Seite wochenlang ihre Kinder rund um die Uhr zuhause betreuen
müssen, sind nachvollziehbar schon stark angespannt. Und wenn dies in einer kleinen
Wohnung geschieht, in der man sich nicht mal „aus dem Wege gehen“ kann, sind
verstärkte Konflikte – gerade in schon vorher angespannten Verhältnissen -
vorprogrammiert. Und wenn dann kein Kindergarten und keine Schule stattfindet und auch
die Untersuchungen beim Kinderarzt ausfallen, fallen Spuren von Gewalttätigkeiten
gegenüber Kindern schlichtweg nicht auf.
juris: Sehr geehrter Herr Dr. Viefhues, vielen Dank für das Gespräch!
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