Entdecken Sie eBooks
Kategorien
Entdecken Sie Hörbücher
Kategorien
Entdecken Sie Zeitschriften
Kategorien
Entdecken Sie Dokumente
Kategorien
Diese Referat handelt von einem sehr bedeutenden Werk aus der Epoche des Sturm
und Drangs: „Die Leiden des jungen Werther“. Es wurde 1774 von Johann Wolfgang von
Goethe anlässlich der Leipziger Buchmesse veröffentlicht und machte ihn fast über Nacht
berühmt. Das Werk handelt von Werther, einem jungen Mann, der sich unsterblich in die
junge Charlotte S. verliebt, die aber bereits mit einem anderen Mann verlobt ist. Es entwickelt
sich eine unglückliche Liebesgeschichte, die nach circa anderthalb Jahren mit dem
Selbstmord der Hauptperson endet. Da das Buch als Briefroman konzipiert ist, besteht der
Text hauptsächlich aus Briefen Werthers, die er an seinen Freund Wilhelm richtet. Dadurch
werden die Empfindungen der Hauptperson sehr intensiv dargestellt, da man als Leser
praktisch die Position des Freundes einnimmt. Das Buch hatte einen derartigen Eindruck auf
die damalige Leserschaft, dass es zu mehreren Selbstmorden kam, die in direktem
Zusammenhang mit dem „Werther“ standen und den Begriff „Wertherfieber“ prägten.
Das Werk entstand in der Epoche des Sturms und Drangs. Die Epoche des Sturm und
Drangs war, im Gegensatz zu anderen literarischen Epochen, ausschließlich auf den Raum des
heutigen Deutschlands beschränkt und wurde hauptsächlich durch Werke junger Autoren
geprägt. Sie lag zudem innerhalb der Epoche der Aufklärung, die in Deutschland von 1720 bis
1800 dauerte. Die Epoche des Sturm und Drangs ist in gewisser Weise als Reaktion auf die
Epoche der Aufklärung zu verstehen, die ein durch Verstand und Vernunft bestimmtes Leben
vertrat. Die in der Aufklärung verfasste Literatur sollte dazu dienen, den Menschen moralisch
zu bilden und sein vernünftiges Handeln zu fördern. Grundsatz der Schriftsteller an ihre Kunst
war deshalb der lateinische Ausspruch: „Prodesse et delectare.“ – Literatur sollte „nützen und
erfreuen“. Die Epoche des Sturm und Drangs propagierte in besonderer Weise das Genie und
wird deshalb auch als „Geniezeit“ oder „Genieperiode“ bezeichnet. Das Genie zeichnet sich
in diesem Zusammenhang dadurch aus, dass es für die Kreation von Kunst keine Regeln
braucht. Es ist nicht nur empfindsamer als der „normale“ Mensch, sondern kann seine
Empfindungen auch aufgrund seiner unerschöpflichen Kreativität in Kunst umsetzen. Durch
die Idee des Genies und das Betonen der eigenen Empfindung veränderten sich auch die
literarischen Figuren. Es war nicht mehr Stereotypen, die in verschiedenen Ausprägungen
immer wieder in den Werken zu finden waren, sondern individuelle und sehr detailliert
gestaltete Charaktere. Gerade ihre Individualität stand in einem großen Kontrast zu den engen
gesellschaftlichen Konventionen der Zeit und ermöglichte es den Autoren, gesellschaftliche
Missstände ohne erhobenen Zeigefinger zu kritisieren. Diese Individualität spiegelt sich
beispielsweise in der Verwendung einer eigenen Sprache der Personen wider.
Umgangssprachliche Ausdrücke, Ausrufe und abgebrochene Sätze waren nicht mehr
verwerflich, sondern Teil der Personenkonstruktion.
Einer der wichtigsten Vertreter dieser Idee war der deutsche Schriftsteller Friedrich Gottlieb
Klopstock, der der Epoche der Empfindsamkeit zugeordnet wird und als einer der
Wegbereiter des Sturm und Drangs gilt. Er ist zudem einer der Begründer der
Erlebnisdichtung und vertrat die Meinung, dass der Dichter nicht nur der Vernunft, sondern
auch in ganz besonderer Weise der Empfindung verpflichtet sei. Nicht umsonst ähnelt die
Szene auf dem Ball nach dem Gewitter der Ode „Die Frühlingsfeier“ von Klopstock (S. 30).
Mehrere Elemente wurden an dieser Stelle von Goethe aufgegriffen und zitiert (Gewitter,
q
Donner, der starke Eindruck der Natur auf den Menschen). Dass Lotte Klopstock kennt,
begeistert Werther umso mehr, als er darin die Empfindsamkeit von ihr zu erkennen glaubt.
„Die Leiden des jungen Werther“ ist als Briefroman konzipiert und besteht daher zum
größten Teil aus Briefen, die Werther an seinen Freund Wilhelm, an Lotte und an Albert
schreibt. Der gesamte Text ist zudem in ein erstes (S. 5–71) und ein zweites Buch (S. 72–154)
unterteilt. Bevor diese Briefe dem Leser präsentiert werden, äußert sich der Erzähler in einem
kurzen Statement zu der vorliegenden Geschichte (S. 4). Dieser Erzähler schaltet sich gegen
Ende der Erzählung nochmals in Form eines Einschubs ein, den er als „Der Herausgeber an
den Leser“ tituliert (S. 114). Er begründet diesen Bruch mit der bisherigen Struktur dadurch,
dass er nicht genügend Briefe von Werther zur Verfügung hat, um die letzten Tage seines
Lebens umfassend darzustellen. Im weiteren Verlauf und besonders nach Werthers Tod
berichtet er dann als außenstehender Betrachter von den getroffenen Maßnahmen und dem
Begräbnis.
Die Erzählstruktur des Romans ist durch die einseitige Wiedergabe der Briefe Werthers sehr
einfach. Seine Erlebnisse werden in Form von Analepsen (Rückblenden) wiedergegeben,
seine Empfindungen werden meist durch eine direkte Aufzeichnung reflektiert. Nur selten
wird dieses Konzept durchbrochen, wie zum Beispiel im ersten Brief nach seiner
Bekanntschaft mit Lotte. Hier markieren drei Leerzeichen (S. 21), dass er den Schreibprozess
unterbricht, um nochmals zu ihr hinaus zu reiten.
Im ersten Monat seines Aufenthalts verfasst er sehr regelmäßig Briefe, die in einem Abstand
von einem bis sechs Tagen an seinen Freund gerichtet werden. Als er Anfang Juni 1771 dann
Lotte kennenlernt, erfolgt zuerst eine Pause von mehr als zwei Wochen und auch danach
verfasst er nur wenige Briefe in diesem Monat. Erst in den folgenden zwei Monaten werden
sie wieder regelmäßiger. Im September 1771 endet Werthers erster Aufenthalt in Wahlheim
und damit auch das erste Buch.
Werthers Aufenthalt in der Stadt D.. ist seinem neuen Arbeitsplatz geschuldet, den er bei
einem Gesandten antritt. Da er dort, anders als bei seinem Aufenthalt in Wahlheim, sehr viel
zu tun hat, schreibt er in den letzten Monaten des Jahres nun nur noch einen Brief pro Monat
an seinen Freund Wilhelm. Erst als die Situation immer unerträglich für ihn wird und er auch
einen Brief an Lotte geschickt hat, beginnt er ab Februar 1772 wieder regelmäßiger zu
schreiben. Im April kündigt er seinen Arbeitsplatz und geht wieder auf Wanderschaft. Er
besucht seinen Heimatort und lebt eine Zeit lang beim Fürsten. Erst ab Anfang Juni 1772
werden seine Berichte wieder regelmäßiger. Er will nicht mehr länger beim Fürsten bleiben
und kehrt nach Wahlheim zurück. Ab diesem Zeitpunkt und bis Ende Juni verstärkt er auch
wieder die Korrespondenz mit Wilhelm. Nachdem er im August 1772 nur zwei Briefe
schreibt, wobei der eine von dem Schicksal der Tochter des Schulmeisters und der andere von
Mordfantasien an Albert handelt, intensiviert sich sein Briefkontakt zu Wilhelm in den letzten
vier Monaten enorm. Dies hängt damit zusammen, dass er anscheinend kaum noch seine
Gedanken sammeln kann und beim Verfassen der Briefe zu keinem klaren Gedanken findet.
Insgesamt schreibt er sieben Briefe an Lotte, zwei Briefe an Albert und die restlichen 83
Briefe an Wilhelm. Auch wenn die Briefe teilweise wie im Affekt geschrieben und
aneinandergereiht scheinen, so zeichnen sie sich doch durch eine ganz gezielte Anordnung
aus. Sie geben durch die Wahl der Erzählperspektive einen sehr eindrucksvollen Ablauf des
geistigen Verfalls Werthers. Vergleicht man diese Briefe mit Briefen, die Goethe zur
q
damaligen Zeit selbst schrieb, so erkennt man deutlich die kunstvolle Konzeption, die hinter
der Anordnung, dem Aufbau und besonders der Sprache der Briefe steht.
Die Natur ist in „Die Leiden des jungen Werther“ in zweierlei Hinsicht ein strukturgebendes
Element. Zum einen gibt sie dem Erleben Werthers eine Rahmenhandlung, zum anderen sieht
Werther in ihr einen Spiegel seiner Seele. Davon nochmals abzugrenzen ist Werthers Idee der
menschlichen Natur. Werther kommt im Mai 1771 in Wahlheim an und freut sich über den
Frühling, der zu dieser Jahreszeit kurz vor seinem Ende steht. Die Natur blüht auf, ganz so
wie Werther, der darüber zum Maikäfer werden möchte (S. 6). Die „unaussprechliche
Schönheit der Natur“ (S. 6) und „diese Jahreszeit der Jugend“ (S. 6) lassen sich analog zu der
bevorstehenden Bekanntschaft mit Lotte deuten. Die beiden jungen Erwachsenen Lotte und
Werther stehen im Frühling ihres Lebens. Betrachtet man das Geschehen in der Natur als
Rahmenhandlung, so deutet sich der entstehende Konflikt bereits beim ersten Treffen
Werthers und Lottes an. Am Abend des Balls zieht ein Gewitter auf, das als Metapher für das
drohende Unheil gedeutet werden kann, welches den beiden bevorsteht. Das Gewitter zwingt
sie zudem, länger als geplant, nämlich die ganze Nacht, auf der Feier zu verweilen. In dieser
Nacht verfällt Werther Lotte voll und ganz. Mit Anbruch des Herbstes des Jahres 1771 bricht
Werther dann auch aus Wahlheim auf, um sich von Lotte zu entfernen und wieder zur Ruhe
zu kommen. Dort wird er auch bis zum Sommer des folgenden Jahres bleiben. Als er in der
Stadt D.. der unliebsamen Arbeit nachgehen muss, ist für ihn das „abscheulichste Wetter“ (S.
79) nicht unangenehm: „Denn so lang ich hier bin, ist mir noch kein schöner Tag am Himmel
erschienen, den mir nicht jemand verdorben oder verleidet hätte“ (S. 79).
Als er im Juni oder Juli 1772 nach Wahlheim zurückkehrt, beginnt der Höhepunkt der
Beziehung zu Lotte und auch der geistige Verfall, der ihn nun unaufhaltsam dem Winter
seines Lebens (= Ende des Lebenszyklus) entgegengehen lässt. So träumt er im August 1772
noch davon, wie es wäre, wenn Alfred sterben würde. Noch hat er seine Hoffnungen nicht
ganz aufgegeben. Mit Anbruch des Herbstes erkennt Werther, dass sich alles, was ihm lieb
und teuer in Wahlheim war, dem Ende zuneigt (S. 93 ff.): „Wie die Natur sich zum Herbste
neigt, wird es Herbst in mir und um mich her“ (S. 93). Im September lässt er sich den Frack
nochmals schneidern, in dem er das erste Mal mit Lotte tanzte und in dem er sich später
umbringen wird. Er erfährt, dass die Nussbäume, unter denen er noch vor einem Jahr mit
Lotte saß, gefällt wurden, dass sich die Hoffnungen der Tochter des Schulmeisters nicht
erfüllt haben und dass der Bauernbursche seinen Nebenbuhler ermordet hat.
Auch tauscht er die Odyssee gegen den Ossian ein, der nun besser zu seinem Gefühlsleben zu
passen scheint. Er beginnt zu viel zu trinken (Oktober, S. 104), lernt im November den über
die Liebe verrückt gewordenen Heinrich kennen und im Dezember scheint die ganze Welt um
ihn herum zusammenzubrechen. Er steht auf einem Felsen und sieht, wie Wahlheim
überschwemmt wurde. Die Plätze, auf denen er mit Lotte Zeit verbracht hat, sind
überschwemmt und zerstört: „Und wie ich wehmütig hinabsah auf ein Plätzchen, wo ich mit
Lotten unter einer Weide geruht, auf einem heißen Spaziergange, – das war auch
überschwemmt (…)“ (S. 122). Es ist für ihn nur noch ein „freudeloses Dasein“ (S. 123).
Jetzt, da es anscheinend nichts mehr gibt, was ihm auf dieser Welt geblieben ist, entscheidet
er sich bewusst für seinen Selbstmord und bereitet alles dafür vor. Auch regnet es in den
letzten Tagen seines Lebens sehr oft. Der Regen steht hierbei sinnbildlich für die Tränen, die
er weint (z. B. S. 150). Kurz nach der dunkelsten und längsten Nacht des Jahres, der
Sommersonnenwende am 21. Dezember, nimmt Werther sich zur Mitternacht des 23.
q
Dezembers das Leben und wird am Abend des 24. Dezembers begraben. Da ihn auch die
Familie nicht mehr im Leben hält, er keine wirklichen Freunde mehr zu haben scheint, ist
auch dieses Datum, an dem sonst sich alle Familienmitglieder treffen und zusammen feiern,
symbolisch. Er kehrt stattdessen an diesem Tag zu seinem verstorbenen Vater und den
verstorbenen Eltern Lottes „zurück“ (S. 145). Somit lässt sich die Darstellung der Natur
durchaus als Spiegel der Seele Werthers verstehen und die Natur wird von ihm auch so
wahrgenommen (z. B. S. 60 ff.). Sie wird auch zu einem Strukturelement der Erzählung, da
sie über die Jahreszeiten und Naturerlebnisse dem erzählten Zeitraum eine Ordnung gibt.
Werther ist ein Mensch, der die Freiheit liebt und der in einer Welt leben muss, die ihm an
keiner Stelle Freiheit gewährt. Selbst eines der stärksten Gefühle des Menschen, die Liebe,
wird in Konventionen gepresst und darf keine sozialen Unterschiede oder gesellschaftlichen
Umstände überwinden. Schon sein Umgang mit Frauen wird als eine Verletzung der
gesellschaftlichen Konventionen angesehen (S. 36). So empört er sich bei Wilhelm auch
darüber: „Nun verdrießt mich nichts mehr, als wenn die Menschen einander plagen, am
meisten, wenn junge Leute in der Blüte ihres Lebens, da sie am offensten für alle Freuden
sein könnten, einander die paar guten Tage mit Fratzen verderben, und nur erst zu spät das
Unersetzliche ihrer Verschwendung einsehen“ (S. 36). Werther kann es nicht akzeptieren,
dass anscheinend die gesamte Gesellschaft um ihn herum darauf hinaus will, sich gegenseitig
Schlechtes anzutun. Dies beschäftigt ihn nicht nur bei dem Spaziergang, sondern auch, als er
in der Stadt D. arbeitet und sieht, wie sehr sich die Menschen gegenseitig durch schlechte
Rede und Gehässigkeit das Leben schwer machen. Daher hegt er für die Stadt stets auch eine
große Abneigung, da sie für ihn das Schlechte repräsentiert: Unterdrückung, enge
gesellschaftliche Konventionen, völliges Aufgehen des Menschen in seinen beruflichen
Pflichten, Verlust der Menschlichkeit und des Mitgefühls. Die einfachen Menschen dagegen
schätzen seinen Großmut und seine freundliche Art, mit der er ihnen begegnet. Werther
dagegen schätzt an ihnen besonders die Ehrlichkeit, mit der sie ihm begegnen, wie auch eine
Reinheit der Gefühle, die er bei den Menschen der höheren Gesellschaftsschichten vermisst.
Der Selbstmord ist schlussendlich die einzige Freiheit, die Werther offensichtlich noch über
sein Leben geblieben ist. Er umfasst seine ganze Abneigung gegen die Gesellschaft und bringt
sein Unvermögen zum Ausdruck, sich in diese starren Konstrukte einzufügen. Diese
Umstände sind zudem auch Auslöser seiner „Krankheit“, wie er die unglückliche Liebe zu
Lotte oft bezeichnet, und die er als tödlich erachtet, da sie der menschlichen Natur so sehr
widerspricht: „Die Natur findet keinen Ausweg aus dem Labyrinthe der verworrenen und
widersprechenden Kräfte, und der Mensch muss sterben. (S.58)“
Wahnsinn. In seinem Brief vom 30. November 1772 berichtet Werther seinem Freund
Wilhelm von einer Begegnung mit einem jungen Mann, der im Winter zwischen den Steinen
nach Blumen für seine Geliebte sucht. Er beschreibt ihn als Menschen mit einer interessanten
Physiognomie, in der „stille Trauer den Hauptzug machte, die aber sonst nichts als einen
geraden guten Sinn ausdrückte“ (S. 108). Dennoch ist er Werther in seinem Verhalten
unheimlich. Heinrich, so der Name des Verrückten, erzählt, dass er früher glücklich war und
es nun nicht mehr ist. Die Mutter Heinrichs nähert sich und berichtet Werther, dass Heinrich
früher ein zuverlässiger junger Mann war, der für den Unterhalt der Familie aufkam. Eine
Raserei überkam ihn plötzlich und er musste ins Irrenhaus. Werther drückt der Mutter ein
Geldstück in die Hand und entfernt sich schnell: „Du fühlst nicht! du fühlst nicht, dass in
deinem zerstörten Herzen, in deinem zerrütteten Gehirne dein Elend liegt, wovon alle Könige
der Erde dir nicht helfen können.“ Erst später erfährt Werther, dass Heinrich Schreiber beim
q
Vater von Lotte war und eine heimliche Liebe zu ihr verbarg. Als diese entdeckt wurde,
wurde er aus dem Dienst entlassen und darüber verrückt. Dass Albert ihm dies völlig
unberührt erzählt, belastet Werther zusätzlich (S. 112).
Mord. Kurz nach seiner Begegnung mit dem Verrückten erfährt Werther, dass ein Knecht in
Wahlheim erschlagen worden ist. Aufgrund der Angaben erkennt er darin die Tat des
Bauernburschen, der ihm im Jahr zuvor die Liebe zu seiner Herrin gestanden hat und der
aufgrund der Eskalation seines Verlangens nach ihr aus dem Dienst gewiesen wurde. Als er
ihn zur Rede stellt, gibt dieser nur zur Antwort: „Keiner wird sie haben, sie wird keinen
haben“ (S. 118). Da Werther seine Beweggründe kennt, empfindet er ihn als schuldlos an
seiner Tat. Er begibt sich direkt zum Amtsmann und spricht ein Plädoyer für den
Angeklagten, das von allen Anwesenden abgelehnt wird. Wieder ist in dieser Situation Albert
anwesend, der sich auf die Seite des Amtsmannes stellt, der dafür plädiert, dass „alles in der
Ordnung, in dem vorgeschriebenen Gang gehen“ (S. 119) muss, und Werther verdeutlicht,
dass der Bauernbursche nicht zu retten ist. Auch glaubt Werther, dass er in den Worten
Alberts einen direkten Affront gegen seine eigene Person erkannt hat. Seine Vermutung
bestätigt sich, als Albert am selben Tag seine Frau bittet, Werthers Besuche zu reduzieren und
ihn aus seinem Haus zu entfernen. Werther fühlt bereits, dass damit sein Schicksal besiegelt
ist: „Du bist nicht zu retten, Unglücklicher! ich sehe wohl, dass wir nicht zu retten sind“ (S.
119). Seinen Selbstmord betrachtet Werther damit schlussendlich nicht nur als Erlösung von
seiner Krankheit, sondern auch als Vermeidung einer dieser beiden Möglichkeiten, die ihm
nach seiner Ansicht bleiben würden, wenn er sich nicht das Leben nähme. Daher bezeichnet
er seinen Freitod auch als Opfer, mit dem er die schützen will, die ihm noch am Herzen liegen
(S. 129). Denn sein Verhalten ist bereits sehr nahe am Wahn gewesen (S. 114–115) und wie
er in seinem Brief kurz vor seinem Tod ausdrückt, fehlte auch nicht mehr viel bis zum Mord
an Albert (S. 129).
Narzissten zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf den ersten Blick sehr faszinierend,
überzeugend und einnehmend sein können. Wenn sie in einer Gesellschaft auftreten, werden
sie oft als selbstbewusst und attraktiv wahrgenommen. So auch Werther, der zu Beginn der
Erzählung stets im Mittelpunkt der Gesellschaften steht und sich mit allen Menschen um sich
herum recht gut versteht. Wie ein klassischer Narzisst ist auch er sehr von sich selbst
überzeugt und genügt damit auch sich selbst: „Ich kehre in mich selbst zurück, und finde eine
Welt!“ (S. 12.) Schlussendlich führt Werthers übersteigerte Selbstliebe dazu, dass er sich
komplett von der Welt entfremdet, da er nur dann überlebensfähig scheint, wenn er immer
und umfassend so akzeptiert wird, wie er ist. Er erlaubt sich in diesem Punkt keinerlei
Einschränkung und geht schlussendlich daran zugrunde, dass sein überzogenes Selbstbild
nicht zur Realität passt. Bevor ihm dies schmerzhaft bewusst werden kann, wählt er lieber den
Tod.
Der Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“ erzählt die tragische Geschichte
eines jungen Mannes, der sich unglücklich in die junge Lotte verliebt, die aber bereits mit
einem anderen Mann verlobt ist. In insgesamt 92 Briefen, die zwischen dem 4. Mai 1771 und
dem 23. Dezember 1772 verfasst werden, schildert der junge Werther dem engen Freund
Wilhelm seine Seelenqualen und inneren Kämpfe. Auch wenn er die Problematik der
Situation erkennt, gelingt es ihm nicht, sich von seiner Geliebten über längere Zeit zu trennen.
Die Freundschaft, mit der ihm Lotte stets begegnet, bindet Werther zusätzlich an sie. Da
Werther es auch nicht schafft, sich in die strenge und in allen Bereichen geregelte
q
Gesellschaft zu integrieren, sieht er am Ende nur noch im Tod die Möglichkeit, sich von allen
Bürden zu befreien.