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5 Verständlichkeitsforschung

Die traditionelle Verständlichkeitsforschung ist eine Forschungsrichtung, die


sich an der Schnittstelle von Psychologie und Linguistik einordnen lässt. Dabei
werden Verständlichkeitsanalysen am häufigsten an Texten, aber auch an audio-
visuellem Material vorgenommen. Der Begriff „Verständlichkeit“ bezieht sich
auf den anwendungsbezogenen Aspekt des Verstehens und lässt sich als eine
kommunikatorzentrierte Sichtweise auf den Verstehensprozess charakterisieren,
der an der Medienbotschaft ansetzt (vgl. Biere 1995). Die Verständlichkeit einer
Medienbotschaft kennzeichnet sich dadurch, dass sie bestimmte Eigenschafts-
bündel enthält, die das Rezipientenverstehen unterstützen und verbessern kön-
nen. Es handelt sich demnach um Optimierungsstrategien, die instruktionalen
Charakter haben. Verständlichkeits- und Verstehensforschung stehen somit in
einem engen Verhältnis zueinander, wobei die Erkenntnisse der Verstehensfor-
schung oftmals vernachlässigt bzw. nur unzureichend berücksichtigt werden
(vgl. Deppert 2001).
Verständlichkeitsforschung wird vor allem in solchen Bereichen durchge-
führt, in denen der Anspruch besteht, dem Rezipienten bestimmte Informationen
verständlich und nachvollziehbar zu vermitteln. So untersucht die Textverständ-
lichkeitsforschung häufig
ƒ Verwaltungs- und Gesetzestexte (vgl. z.B. Langer et al. 1999),
ƒ Arzneimittelbeilagen, Gebrauchsanweisungen und technische Sachverhalte
(vgl. z.B. Gotzmann 1996; Christmann/ Groeben 1996; Berg-Schmitt 2003),
ƒ Schulbuch- und Lehrtexte (vgl. z.B. Langer 1993; Ballstaedt 1997; Langer et
al. 1999) oder
ƒ wissenschaftliche Fachtexte bzw. Wissenschaftstexte für den Laien (vgl. z.B.
Schulz von Thun et al. 1974; Schulz von Thun 1981; Springer 1996; Nieder-
hauser 1999; Ballod 2001; Deppert 2001).
Beim Fernsehen interessieren sich die Forscher vor allem für wissens- oder in-
formationsvermittelnde Formate wie
ƒ Nachrichten (vgl. z.B. Findahl 1981; Graber 1990; Goertz/ Schönbach 1998;
Grabe et al. 2000; Grabe et al. 2003; Machill et al. 2006) und
ƒ Wissenschaftssendungen (vgl. z.B. Augst et al. 1982; Meutsch/ Müller 1988;
Freund 1990a; Diedrichs 1994).
124 Verständlichkeitsforschung

In den folgenden Kapiteln werden ein Überblick über die beiden genannten For-
schungsbereiche gegeben und zentrale Befunde erläutert. Ziel der Darstellung ist
es, das „Verstehensmodell audio-visueller Wissenschaftsvermittlung“ um die
Einflüsse der Medienbotschaft zu vervollständigen. Zudem sollen auf der Grund-
lage der Befunde methodische Implikationen für die Verständlichkeitsanalyse
der TV-Wissenschaftsfilme abgeleitet werden, die im empirischen Teil dieser
Arbeit durchgeführt wird. Kapitel 5.1 befasst sich daher mit der Textverständ-
lichkeitsforschung. Im Kapitel 5.2 folgt dann die Darstellung der Verständlich-
keitsforschung von Wissenschafts- und Magazinsendungen, deren Befunde um
die der Nachrichtenforschung ergänzt werden. Abschließend lassen sich in Kapi-
tel 5.3 wiederum Schlussfolgerungen formulieren, die in das „Verstehensmodell
audio-visueller Wissenschaftsvermittlung“ integriert werden.

5.1 Textverständlichkeitsforschung

Die Textverständlichkeitsforschung entwickelte sich aus der Lesbarkeitsfor-


schung, deren Anfänge auf Thorndike (1921) zurückgehen.76 Der Lesbarkeitsfor-
schung liegt die Annahme zugrunde, dass die Verständlichkeit gesteigert werden
kann, indem Texte modifiziert und verbessert werden. Verständlichkeit wird also
als Charakteristikum des Textes selbst angesehen, ohne Bezug auf Verstehens-
prozesse des Rezipienten zu nehmen. Im Rahmen der Lesbarkeitsforschung wur-
den Lesbarkeitsformeln entwickelt, die Indizes liefern, mit denen der Grad der
Verständlichkeit eines Textes vorhersagt werden kann. Dabei wurde zunächst die
„Wortschwierigkeit“ (Wortlänge) und „Satzschwierigkeit“ (Satzlänge) in Bezie-
hung gesetzt. Weiter entwickelte Formeln arbeiten mit einer Type-Token-Ratio,
mit der unterschiedliche Wörter zur Gesamtwortzahl des Textes ins Verhältnis
gesetzt werden. Der bekannteste Index ist der „Reading-Ease-Score“ von Flesch
(1948) (vgl. Biere 1991; Rickheit 1995).
Die Lesbarkeitsforschung legt nahe, möglichst kurze Worte und keine
Fremdworte sowie kurze und grammatikalisch einfache Sätze zu verwenden (vgl.
Meutsch 1992). Der Vorteil der Lesbarkeitsformeln liegt darin, dass ihre An-
wendung einfach, objektiv und reliabel ist. Andererseits werden ausschließlich
sprachlich-stilistische Textmerkmale auf Satzebene beachtet. Inhaltliche und
strukturelle Aspekte der Texte bleiben ebenso unbeachtet wie Merkmale und
Verarbeitungsaktivitäten des Rezipienten (vgl. Biere 1991; Meutsch 1992; Rick-
heit/ Strohner 1993; Rickheit 1995). Daher erweisen sie sich im Rahmen dieser
Arbeit als theoretisch unzureichend.
76
Einen ausführlichen Überblick über die Entwicklung der Lesbarkeitsforschung gibt Klare (1963;
1984).
Textverständlichkeitsforschung 125

Aufschlussreicher sind dagegen Konzepte, die die inhaltlichen und strukturellen


Aspekte stärker berücksichtigen und zudem motivationale Elemente der Texte
beachten. Die zwei am meisten beachteten Ansätze werden im Folgenden vor-
gestellt. Dabei handelt es sich um das „Hamburger Verständlichkeitskonzept“
von Langer, Schulz von Thun und Tausch (1974) sowie um den „Heidelberger
Ansatz“ von Groeben (1978). Beide Verständlichkeitsansätze gehen aus einem in
den 1970er Jahren in Deutschland entstandenen Forschungsprogramm hervor,
deren Ziel darin bestand, „auf möglichst breiter Ebene verständlichkeitsfördern-
de Textmerkmale zu identifizieren und deren Effektivität empirisch zu überprü-
fen“ (Christmann/ Groeben 1999: 180). Während das von Langer, Schulz von
Thun und Tausch (1974) entwickelte „Hamburger Verständlichkeitskonzept“ auf
einer empirisch-induktiven Vorgehensweise basiert, wählte Groeben (1978) mit
seinem Heidelberger Ansatz eine theoretisch-deduktive Variante. Ebenso wie die
Lesbarkeitsforschung orientieren sich beide Konzepte stark an praktischen Fra-
gestellungen (vgl. Rickheit/ Strohner 1993).

(1) Das Hamburger Verständlichkeitskonzept von Langer, Schulz von Thun und
Tausch (1974)

Der Hamburger Verständlichkeitsansatz (vgl. Langer et al. 1974; Schulz von


Thun et al. 1974) erfasst die Verständlichkeit von Texten anhand von vier Text-
strukturmerkmalen. Um diese Textstrukturmerkmale zu identifizieren, gingen die
Autoren induktiv-empirisch mit einem Ratingverfahren vor. Entwickelt wurden
die Textstrukturmerkmale, indem Lehrer und Psychologen zunächst mehrere
unterschiedlich schwere Sachtexte zu gleichen Themen verfassten, die anschlie-
ßend von Experten anhand von achtzehn Eigenschaftspaaren beurteilt wurden.
Die Bewertungen wurden dann mittels Faktorenanalyse auf die folgenden vier
Dimensionen reduziert: „Einfachheit“, „Gliederung/ Ordnung“, „Kürze/ Präg-
nanz“ und „Anregende Zusätze“. Zur Validierung ihrer Textverständlichkeitsdi-
mensionen ließen Langer et al. Schüler und Schülerinnen die Texte lesen und
anschließend Behaltens- und Verstehensfragen beantworten. In Folgestudien
wurden die Verständlichkeitsdimensionen mit einer Vielzahl von Texten aus
unterschiedlichsten Bereichen auch mit Erwachsenen getestet (vgl. Schulz von
Thun 1981; Langer et al. 1999). Dabei wurde die Verständlichkeit von Texten
mittels einer fünfstufigen bipolaren Schätzskala auf jeder der vier Dimensionen
bestimmt, deren resultierende Kennwerte das quantitative Ausmaß der Textver-
ständlichkeit angeben (vgl. Christmann/ Groeben 1999).
126 Verständlichkeitsforschung

Die vier Verständlichkeitsdimensionen lassen sich wie folgt beschreiben:


4. Die Dimension „Einfachheit“ bezieht sich auf die sprachliche Formulie-
rung. Als einfach werden Texte bewertet, die kurze Sätze und geläufige, an-
schauliche Wörter enthalten. Fremdwörter und Fachausdrücke sollten er-
klärt werden. Den Gegenpol der „Einfachheit“ bildet die „Kompliziertheit“.
5. Die Dimension „Gliederung/ Ordnung“ bezieht sich auf die innere Ordnung
und äußere Gliederung eines Textes. So sollten Sätze folgerichtig aufeinan-
der bezogen und die Informationen in einer sinnvollen Reihenfolge präsen-
tiert werden. Absätze und Zwischenüberschriften helfen, den Text übersich-
tlich zu gestalten. Um auf wesentliche Inhalte aufmerksam machen zu kön-
nen, sollten wichtige Wörter durch Hervorhebungen gekennzeichnet wer-
den. Werden diese Eigenschaften nicht erfüllt, kommt es zur „Ungeglieder-
theit/ Zusammenhangslosigkeit“.
6. Bei der Dimension „Kürze/ Prägnanz“ vs. „Weitschweifigkeit“ eines Textes
sind zwei Extreme denkbar: einerseits kann der Text zu kurz und gedrängt
oder aber weitschweifig und umständlich formuliert werden. In beiden Fäl-
len sinkt die Verständlichkeit. Ziel sollte also sein, die Länge des Textes in
einem angemessenen Verhältnis zum Informationsziel zu halten.
7. Mit der vierten Dimension „Anregende Zusätze“ können beim Leser oder
Zuhörer Interesse und Anteilnahme hervorgerufen werden. Dazu eignen
sich wörtliche Rede, rhetorische Fragen, lebensnahe Beispiele, auftretende
Menschen, witzige Formulierungen oder aber die Einbettung der Informati-
on in eine Geschichte. Den Gegenpol bilden hier „Keine anregenden Zusät-
ze“ (vgl. Langer et al. 1999).
Die Untersuchungen zum Hamburger Verständlichkeitskonzept ergaben, dass
verständlichkeitsoptimierte Texte signifikant besser verstanden werden als die
entsprechenden Texte in der Originalversion (vgl. Schulz von Thun 1981; Lan-
ger et al. 1999). Die Autoren bewerten die „Einfachheit“ als die wichtigste Di-
mension, gefolgt von der Dimension „Gliederung/ Ordnung“, „Kürze/ Prägnanz“
und „Anregende Zusätze“. Eine optimale Textverständlichkeit wird erreicht,
wenn die Dimensionen „Einfachheit“ und „Gliederung/ Ordnung“ hohe und die
beiden Dimensionen „Kürze/ Prägnanz“ und „Anregende Zusätze“ mittlere Aus-
prägungen aufweisen (vgl. Schulz von Thun 1981; Langer et al. 1999). Ein Beur-
teilungsfenster optimal verständlicher Texte lässt sich demnach wie folgt darstel-
len (vgl. Abb. 11):
Textverständlichkeitsforschung 127

Einfachheit Gliederung/ Ordnung

++ ++
Kürze/ Prägnanz Anregende Zusätze

0 oder + 0 oder +
Abbildung 11: Beurteilungsfenster optimal verständlicher Texte (nach Langer et
al. 1999: 27)

Da die Verständlichkeitsdimensionen und deren Rangfolge empirisch-induktiv


ermittelt wurden, können Langer et al. ihre Ergebnisse nicht erklären. Und darin
liegt auch der Hauptvorwurf der Kritiker. So berücksichtigt das Konzept weder
die Befunde der Kognitionspsychologie noch die der Psycholinguistik. Groeben
bezweifelt (1982: 197) daher, dass die Einfachheit eines Textes den wichtigsten
Faktor darstellt, da dies den experimentellen Ergebnissen der Sprachpsychologie
widerspricht. Außerdem kritisiert er, dass die Bestimmung der Textmerkmale
durch intuitive Einschätzungen von Experten erfolgte. Im Zusammenhang mit
den motivationalen Variablen merkt er an, dass sie zu einfach erhoben wurden
und damit die Validität der Untersuchung erheblich eingeschränkt sei (vgl. dazu
auch Groeben/ Christmann 1989; Biere 1991; Christmann/ Groeben 1996; 1999).
Der Vorteil des Ansatzes ist allerdings, dass er eine ökonomische Erfassung der
Textverständlichkeit ermöglicht. Zudem scheinen die in dieser Form definierten
Verständlichkeitsfaktoren tatsächlich einen Einfluss auf die Behaltens- und Ver-
stehensleistung zu haben. Demnach weisen die vier Verständlichkeitsdimensio-
nen trotz aller Kritik einen praktischen Erklärungswert auf (vgl. Christmann/
Groeben 1996: 174). Etwa zur gleichen Zeit wie Langer et al. (1974) entwickelte
Groeben (1978; 1982) im Rahmen seiner „Leserpsychologie“ ein theoretisch-
deduktives Verständlichkeitskonzept, das große Ähnlichkeit mit dem „Hambur-
ger Verständlichkeitskonzept“ aufweist.

(2) Der Heidelberger Verständlichkeitsansatz von Groeben (1978; 1982)

Groeben geht von einem Verstehensbegriff aus, der eine Prozess- und eine Pro-
duktdimension enthält. Verstehen kann demnach sowohl Vorgang als auch End-
produkt beim Rezipienten sein. Er definiert Textverständnis bzw. Textverständ-
lichkeit als einen zweistelligen Relationsbegriff, bei dem ein Zusammenhang
128 Verständlichkeitsforschung

zwischen der Text- und Leser-Instanz besteht. Dabei geht es ihm nicht um das
Sinnverstehen von sprachlichem Material, sondern um die Sinnkonstruktion des
Rezipienten. Groebens Theorierahmen setzt demnach an einer kognitiv-
konstruktivistischen Erklärungsperspektive des Textverständnisses an, das aus
einer Wechselwirkung zwischen Textinformation und Rezipientenwissen ent-
steht. Diese Text-Leser-Interaktion besteht demnach darin, sprachlich vermittelte
Informationen und Informationen des Kontextes zu verknüpfen und diese mit
dem Vorwissen des Rezipienten in Verbindung zu bringen und zu integrieren.
Während unter dem Konzept „Textverständnis“ die Anpassung des Lesers an
den Text verstanden wird, geht er beim Konzept der „Textverständlichkeit“ von
der Anpassung des Textes an den Leser aus. Beide Konzepte verhalten sich also
komplementär zueinander und bilden je nach Fragestellung die jeweils veränder-
liche Größe (vgl. Groeben 1978; 1982).
Groebens Textverständlichkeitskonzept basiert wie das Hamburger Ver-
ständlichkeitskonzept auf vier Dimensionen. Im Gegensatz zu den Hamburgern
erklärt Groeben die Dimensionen jedoch anhand sprachpsychologischer, lern-
theoretischer und motivationspsychologischer Modelle zur Textrezeption und
leitet daraus Merkmale verständlicher Texte ab. Seine Dimensionen der Textver-
ständlichkeit sind (1) Stilistische Einfachheit, (2) Semantische Redundanz, (3)
Kognitive Strukturierung und (4) Konzeptueller Konflikt (vgl. Groeben 1978;
1982; Groeben/ Christmann1989):
1. Die Dimension „Stilistische Einfachheit“ wurde aus den Ergebnissen der
Lesbarkeitsforschung, der hermeneutischen Stilforschung sowie den psycho-
linguistischen Befunden zur Satzverarbeitung abgeleitet. Demnach sind ver-
ständlichkeitsfördernde Textmerkmale „kurze Satzteile“, „aktive Verben“,
„aktiv-positive Formulierungen“, „keine Nominalisierungen“, „persönliche
Wortformulierungen“ sowie „keine Satzverschachtelungen“.
2. Mit Bezug auf die Informationstheorie leitet Groeben für die Dimension
„Semantische Redundanz“ die Merkmale „keine wörtliche Wiederholung
wichtiger Inhaltselemente“ sowie „keine Weitschweifigkeit“ ab.
3. Ausgehend von der Theorie des bedeutungsvollen Lernens von Ausubel
(1963; 1968) hält Groeben die „kognitive Strukturierung“ eines Textes und
damit dessen inhaltliche Struktur für den wichtigsten Verständlichkeitsfaktor.
Ausubels kognitive Lerntheorie unterliegt der Annahme, dass der Rezepti-
onsprozess ein Subsumtionsprozess sei, bei dem die Informationsaufnahme
gleichsam von der kognitiven Struktur des Rezipienten und den Merkmalen
des Lernmaterials abhängt. Dabei wird der Rezeptionsprozess als Eingliede-
rungsprozess von Informationen in die kognitive Struktur des Rezipienten
begriffen. Der Subsumtionsprozess lässt sich demnach durch eine adäquate
inhaltliche und organisatorische Textgestaltung erleichtern. Im Sinne der
Textverständlichkeitsforschung 129

postulierten Text-Leser-Interaktion bezieht Groeben die kognitive Strukturie-


rung des Textes also auf die kognitiven Voraussetzungen des Lesers (vgl.
Groeben 1978; 1982; Biere 1991; Rickheit 1995). Besonders verständnisför-
dernd sind dabei das sequenzielle Arrangieren sowie die inhaltliche Struktu-
rierung mittels „advance organizer“, „concurrent organisation“ und „post or-
ganisation“. Die Sequenzierung eines Textes erfolgt, indem einzelne Aspekte
des Textes in eine zeitliche Abfolge gebracht werden. „Advance organizer“,
„concurrent organisation“ und „post organisation“ dienen als Strukturie-
rungshilfen, die folgende Funktionen erfüllen:
ƒ „Advance organizer“ ist eine vorangestellte Strukturierungshilfe, die
die übergeordneten Konzepte des Textes kurz erläutert. Sie dienen der
Hinführung zum Thema und geben einen ersten Überblick über das
Darauffolgende. Damit sollen beim Lernenden bereits vorhandene und
verankerte Ideen im Vorwissen aktiviert werden (vgl. auch Schnotz
2006).
ƒ „Concurrent organisation“ bezeichnet die Hervorhebung der wichtigs-
ten Begriffe oder Aussagen eines Textes, die das übergeordnete kogniti-
ve Konzept betreffen.
ƒ Als „Post organisation“ wird die Zusammenfassung der wichtigsten
Punkte am Ende eines Textes charakterisiert (vgl. Groeben/ Christmann
1989).
4. Die vierte Verständlichkeitsdimension „Konzeptueller Konflikt“ geht auf die
Neugiermotivationstheorie von Berlyne (1960) zurück. Kognitive Konflikte
können beim Leser durch Textmerkmale wie „Neuheit und Überraschung
von Konzepteigenschaften“, „Einfügen von inkongruenten Konzepten“ oder
„alternativen Problemlösungen und Fragen“ ausgelöst werden.
Für die empirische Überprüfung fasste Groeben (1982) die Dimensionen „Kog-
nitive Strukturierung“ und „Konzeptueller Konflikt“ zu einem Faktor „Inhaltli-
che Strukturierung“ zusammen und entwickelte einen varianzanalytischen Ver-
suchsplan von 18 inhaltlich identischen Texten, der die drei Verständlichkeits-
dimensionen miteinander kombinierte. Als abhängige Variablen erhob Groeben
Verstehen, Behalten und Interesse. Mit einer Varianzaufklärung von 86% belegt
Groeben (1982), dass die Dimension „Inhaltliche Strukturierung“ als die wich-
tigste Verständlichkeitsdimensionen anzusehen ist. Zwar zeigte die „Sprachliche
Einfachheit“ mit 3,5% Varianzaufklärung einen signifikanten Einfluss, jedoch
auf wesentlich geringerem Niveau. Die Dimension „Semantische Redundanz“
beeinflusst die Verständlichkeit nur in Verbindung mit einer sprachlich einfa-
chen Textgestaltung. In Bezug auf die Behaltensleistungen zeigt sich nur die
„Inhaltliche Strukturierung“ als relevanter Faktor, wobei Texte mit einer Kombi-
130 Verständlichkeitsforschung

nation der Dimensionen „Kognitive Strukturierung“ und „Konzeptueller Konf-


likt“ am besten behalten wurden.
Groeben kommt zu dem Schluss, dass die Textverständlichkeit einerseits
und Behalten bzw. Interesse andererseits in einer kurvilinearen Beziehung zu-
sammenhängen. Nicht eine maximale, sondern eine mittlere Verständlichkeit ist
optimal für das Lernen mit Texten. Ein solches Ergebnis zeigt sich auch in der
Studie von Früh (1980). Ein Text sollte also nicht vollends optimal strukturiert
werden, da er dadurch keine kognitiven Anforderungen mehr an den Rezipienten
stellt. Wichtiger sind motivationale Anreize, die gleichzeitig eine kognitive
Strukturierung ermöglichen (vgl. Groeben 1982; Groeben/ Christmann 1989;
Christmann/ Groeben 1999).
Trotz unterschiedlicher Herangehensweisen stimmen die Verständlichkeits-
dimensionen der beiden vorgestellten Verständlichkeitskonzepte weitestgehend
überein. Die Verständlichkeitsdimensionen Groebens lassen sich dabei den ent-
sprechenden Dimensionen des „Hamburger Verständlichkeitskonzeptes“ zuord-
nen (vgl. Tab. 4). Groeben schlussfolgert daraus, dass die Dimensionen „Sprach-
liche Einfachheit“, „Kognitive Gliederung/ Ordnung“, „Kürze/ Prägnanz“ sowie
„Motivationale Stimulanz“ zu den bedeutendsten Merkmalsdimensionen ver-
ständlicher Texte zählen (vgl. Groeben 1982).

Hamburger Heidelberger
Verständlichkeitskonzept Verständlichkeitskonzept
(Langer et al. 1974) (Groeben 1978; 1982)
Verständlichkeits-

Einfachheit Stilistische Einfachheit


dimensionen

Gliederung/ Ordnung Kognitive Strukturierung

Kürze/ Prägnanz Semantische Redundanz

Anregende Zusätze Konzeptueller Konflikt


Tabelle 4: Vergleich der Verständlichkeitsdimensionen

Beide Konzepte verweisen darauf, dass die Gliederung eines Textes von großer
Bedeutung ist. Allerdings unterscheiden sie sich hinsichtlich der Merkmalsdi-
mension „Einfachheit“. Während die „Einfachheit“ im induktiven Konzept als
die wichtigste angesehen wird, stellt sie in Groebens Konzept die am wenigsten
bedeutsamste dar. Groeben schlussfolgert nach einer Re-Analyse der jeweiligen
methodischen Vorgehensweisen, dass das Hamburger Verständlichkeitskonzept
Die Verständlichkeit von Fernsehsendungen 131

die Relevanz dieser Dimension vermutlich überschätzt, während Groebens Ver-


ständlichkeitskonzept diese unterschätzt. Die unterschiedliche Gewichtung der
Dimensionen ist seiner Ansicht nach auf die Versuchstexte zurückzuführen (vgl.
Groeben 1981; Ballstaedt 1999).
Während das „Hamburger Verständlichkeitskonzept“ zwar häufig ange-
wendet, nicht jedoch weiterentwickelt wurde, erweiterten Christmann und Groe-
ben (1996; 1999) das Heidelberger Konzept auf Basis neuerer kognitionspsycho-
logischer Befunde. So erhielten motivationale Faktoren mehr Gewicht, wobei die
ursprüngliche Dimension „Kognitiver Konflikt“ nun anhand der Dimension
„Interessantheit“ abgebildet wird (vgl. Christmann/ Groeben 1996: 159-165;
Ballstaedt 1999: 104). So zeigt sich, dass interessant gestaltete, aber unwichtige
Informationen die Lernzeit erhöhen und das Verstehen somit erschwert wird.
Daher sollten wichtige Textinformationen möglichst interessant gestaltet werden
(vgl. Christmann/ Groeben 1996).
Insgesamt stellen beide Verständlichkeitskonzepte ökonomisch und prag-
matisch handhabbare Indikatoren zur Messung der Verständlichkeit bereit, die
auch für die Verständlichkeitsanalyse der TV-Wissenschaftsfilme bedeutsam
sein können. Allerdings handelt es sich um rein textbezogene Verständlichkeits-
messungen, so dass ihre Übertragbarkeit auf Fernsehsendungen überprüft werden
muss. Daher befasst sich das folgende Kapitel mit Studien zur Verständlichkeits-
forschung von Wissenschaftssendungen, die an die Text-Verständlichkeits-
konzepte anknüpfen.

5.2 Die Verständlichkeit von Fernsehsendungen

Die Verständlichkeitsforschung von Fernsehformaten befasst sich vor allem mit


beratenden und wissensvermittelnden Formaten und legt ihren Fokus am häu-
figsten auf Wissenschaftssendungen. Ein weiterer zentraler Forschungsbereich
ist die Nachrichtenforschung. Dabei geht es allgemein um die Frage, welche
Gestaltungsmerkmale die Erinnerungs- und Verstehensleistung der Rezipienten
fördern oder aber behindern. Das Ziel dieser Untersuchungen ist, Sendungen
oder Fernsehbeiträge so zu verbessern, dass deren Vermittlungsleistungen opti-
miert werden können. Allerdings besteht zwischen der Verständlichkeitsfor-
schung von Wissenschaftssendungen und Nachrichtenformaten ein wesentlicher
Unterschied. Während sich die Nachrichtenforschung oftmals auf die Untersu-
chung einzelner, isolierter Merkmale wie z.B. das Text-Bild-Verhältnis konzent-
riert,77 wird bei Wissenschaftssendungen ein ganzheitliches Konzept verfolgt. So
77
Einen kurzen Überblick über die Verständlichkeitsforschung von Nachrichten geben Unz/ Schwab
(2004: 507-509) sowie Machill et al. (2006).
132 Verständlichkeitsforschung

versuchen die Forscher ähnlich der Textverständlichkeitsforschung, die Wirkun-


gen verschiedener Merkmale herauszuarbeiten und deren Relevanz im Zusam-
menwirken mit anderen Merkmalen zu beurteilen. Zudem liegt der Fokus der
Nachrichtenforschung häufig auf denjenigen Merkmalen, die die Aufmerksam-
keit der Rezipienten besonders auf sich ziehen. Die Verständlichkeitsforschung
von Wissenschaftssendungen interessiert sich hingegen für Merkmale, die die
Verstehens- und Lernleistung unterstützen. Diese müssen jedoch nicht zwingend
die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf sich lenken. Aus diesen Gründen liegt
im Folgenden der Schwerpunkt der Betrachtungen auf den Erkenntnissen der
Verständlichkeitsforschung von Wissenschafts- und Magazinsendungen. Diese
werden jedoch um die Befunde der Nachrichtenforschung ergänzt.
Die Verständlichkeitsforschung von TV-Wissenschaftssendungen stellt sich
als ein relativ unüberschaubares Forschungsfeld dar. Auffallend ist, dass sich
verschiedene Wissenschaftsdisziplinen mit dieser Thematik befassen. Diese
lassen sich in psycholinguistische und lernpsychologische sowie kognitionspsy-
chologisch und kommunikationswissenschaftlich orientierte Studien klassifizie-
ren. Die Verständlichkeitsforschung von Wissenschaftssendungen scheint vor
allem in Deutschland auf größeres Forschungsinteresse gestoßen zu sein. So
ließen sich keine internationalen Studien finden, die sich dem Thema in dieser
Form widmen. Die Mehrzahl der deutschen Studien entstand im Zeitraum von
Anfang der 1980er bis Mitte der 1990er Jahre. Zwei der umfangreichsten For-
schungsprojekte stammen von Augst et al. (1982; 1985) und Köck (1990). Wäh-
rend sich Augst et al. mit der Verständlichkeit von Wissenschaftssendungen auf
Basis psycholinguistischer bzw. lernpsychologischer Modelle befassten, basieren
die Arbeiten von Köck auf kognitionspsychologischen Annahmen.78

5.2.1 Psycholinguistische und lernpsychologische Befunde

Die psycholinguistischen und lernpsychologischen Verständlichkeitsstudien


basieren häufig auf den in Kapitel 5.1 erläuterten Konzepten der Textverständ-
lichkeit und leiten aus den dort entwickelten Verständlichkeitsfaktoren Annah-
men zur empirischen Überprüfung von Wissenschaftssendungen ab. Die umfang-
reichsten Verständlichkeitsstudien dazu legten Augst et al. (1982; 1985) vor.

78
Beide Projekte wurden an der Universität Siegen durchgeführt.
Die Verständlichkeit von Fernsehsendungen 133

(1) Die Verständlichkeitsstudien von Augst, Simon und Wegner (1982; 1985)

Augst et al. (1982, 1985) führten zwei aufeinander aufbauende Studien durch,
mit denen sie die Anwendbarkeit des bereits in Kapitel 4.4.1 erläuterten
„Dreiecksmodells des Verstehen“ sowie des Heidelberger Textverständlichkeits-
konzepts von Groeben (vgl. Kap. 5.1) auf das Fernsehen überprüfen wollten.
Die erste Studie aus dem Jahr 1982 verbindet eine Strukturanalyse mit einer
experimentellen Befragung. Ziel der Strukturanalyse war, eine reale, im Fernse-
hen ausgestrahlte Wissenschaftssendung mit dem Titel „Der Jupiter-Effekt“ auf
ihre kognitive Struktur und Text-Bild-Beziehungen zu analysieren. So wurde
angenommen, dass die Verständlichkeit der Filmbeiträge unter anderem von
deren makrostruktureller Organisation, den emotionalen bzw. motivationalen
Elementen und der komplementären visuellen Darbietung abhängt. Die Befunde
der Strukturanalyse zeigen, dass die Sendung weder optimal strukturiert war
noch das übergreifende Konzept deutlich wurde. Die Text-Bild-Beziehungen
sind bis auf wenige Ausnahmen gelungen, jedoch enthält die Sendung einige
überflüssige Bildstrecken. Dies führte zu den folgenden forschungsleitenden
Annahmen: (1) Rezipienten behalten und verstehen eher die Einzelinformationen
der Sendung, nicht aber die Beweisführung; (2) Personen mit höherem Bildungs-
abschluss werden eher von der Sendung angesprochen als Personen mit niedri-
gem Bildungsabschluss, da viele Fachbegriffe und Fremdwörter verwendet wer-
den (vgl. Augst et al. 1982). An der anschließenden experimentellen Befragung
nahmen 93 Probanden teil, die auf drei Gruppen verteilt wurden. Eine Gruppe
wurde am Vortag instruiert, die Sendung im laufenden, realen Fernsehprogramm
anzuschauen. Die zweite Gruppe bildeten „natürliche“ Zuschauer, die die Sen-
dung ohne Aufforderung sahen. Die Kontrollgruppe setzte sich aus Studenten der
Universität Siegen zusammen. Für die Befragung wurde ein standardisierter
Fragebogen entwickelt, mit dem das Verstehen der Inhalte anhand einer dreistu-
figen Verstehenshierarchie erhoben wurde. Die unterste Ebene erfasst die Erin-
nerung von allgemeinen Fakten und Informationen. Die zweite, nächst höhere
Ebene beinhaltet das Erkennen und Verstehen von Zusammenhängen und Rela-
tionen. Die dritte Ebene bezieht sich auf das Nachvollziehen der Argumentati-
onskette (vgl. Augst et al. 1982: 40).
Augst et al. (1982) sehen ihre Annahmen durch die Datenlage bestätigt, da
die Beispielsendung von der Mehrheit der Probanden als wenig verständlich
empfunden wurde. Zudem konnte ein bildungsbedingter Einfluss auf das Verste-
hen belegt werden. Auch die Verwendung der vielen Fachbegriffe und die feh-
lende Sendungsstruktur waren für die Verstehensschwierigkeiten verantwortlich.
Bezüglich der motivationalen Faktoren resümieren die Forscher, dass das Ver-
134 Verständlichkeitsforschung

stehen der Sendung eher von der formal-verständlichen Darstellung abhängig


war und unterhaltende Elemente eher im Hintergrund standen.
Für die Folgestudie produzierten Augst et al. (1985) eigens eine Magazin-
sendung mit dem Titel „Fortschritt der Technik – Rückschritt der Menschen?“.
Zielsetzung war, eine Sendung zu entwickeln, mit der die Behaltens- und Ver-
stehensleistungen im Vergleich zur Vorstudie optimiert werden konnten. Dazu
wurden drei Sendungsvarianten A, B, und C entwickelt, die jeweils drei Beiträge
enthalten. Einzig die verbindenden Moderationen wurden experimentell variiert.
Die Beiträge unterscheiden sich thematisch und gestalterisch und berücksichti-
gen jeweils unterschiedliche Theorieelemente der Verständlichkeitsforschung:
ƒ Beitrag 1 „Waldsterben“ wurde mittels „advance organizers“, Zwischentiteln
und Zusammenfassungen stark strukturiert. Akteure treten in dem Beitrag
nicht auf. Es wurde darauf geachtet, Erklärungen, Begründungen und die
Darstellung von Zusammenhängen mit Bildern entsprechend zu visualisieren.
Als Lernhilfen wurden Trickdarstellungen eingesetzt, die komplexe Sachver-
halte visualisieren sollten. Fremdwörter und Fachausdrücke wurden weitest-
gehend weggelassen.
ƒ Beitrag 2 erläutert sein Thema „Humanisierung von Arbeitsplätzen“ anhand
eines konkreten Fallbeispiels. Die Form des Beitrags entspricht der einer Re-
portage. Durch den Reportagestil erhält der Beitrag ein sequenzielles Anord-
nungsschema, dass sich in Form des Ordnungsmusters 1) Darstellung der
Symptome, 2) Diagnose, 3) Beratung und 4) Lösung untergliedert.
ƒ In Beitrag 3 wird das Thema „neuropsychologische Diagnose von Gehirnver-
letzungen“ anhand einer Spielhandlung umgesetzt. Der Beitrag stellt die Neu-
ropsychologie damit nicht als abstrakte Wissenschaft dar, sondern bezieht sie
auf alltagsrelevante Situationen. Ziel dieser Spielhandlung war, ein relativ
„trockenes“ wissenschaftliches Thema durch motivationale Elemente anzu-
reichern.
Die Verständlichkeitsanalyse der Sendungsvarianten erfolgte mit einem aufwen-
digen Methodendesign, das sich aus der Auswertung von Teleskopie-Daten79,
der eingegangenen Zuschauerpost, einer schriftlichen Befragung, qualitativen
Interviews und einer Videotext-Dokumentation zusammensetzt. Nach Auswer-
tung der Daten kommen die Forscher zu dem Ergebnis, dass die drei Sendungs-
varianten von den Zuschauern insgesamt verständlicher eingeschätzt wurden als
die Sendung „Der Jupiter-Effekt“. Während jedoch bei den Abiturienten und
Realschülern kaum eine Verstehenssteigerung erreicht werden konnte, kommen
die Sendungen den Verstehensmodalitäten der Hauptschüler mehr entgegen.

79
Teleskopie führte von 1975 bis 1984 im Auftrag von ARD und ZDF die kontinuierliche Fernseh-
zuschauerforschung in Deutschland durch. Mit dem Messgerät Telemetron konnten sie als erstes
Institut die personenbezogene Fernsehnutzung abbilden (vgl. AGF 2008).
Die Verständlichkeit von Fernsehsendungen 135

Die Verständlichkeitsauswertungen der Einzelbeiträge zeigen, dass der erste


Beitrag „Waldsterben“ im Vergleich zu den beiden anderen Beitragsvarianten
am besten abschnitt. Augst et al. nehmen daher an, dass eine dem Inhalt ange-
passte Bildgestaltung und der Einsatz filmischer Lernhilfen den Verstehenspro-
zess am ehesten fördern. Allerdings zeigen beispielsweise Goertz und Schönbach
(1998), dass ein unangemessener Einsatz von unterstützenden Lernhilfen die
Erinnerungs- und Verstehensleistung auch mindern kann. Der Einsatz von mög-
lichst vielen Lernhilfen führt demnach nicht automatisch zu einer Verbesserung
der Verstehensleistung, vielmehr müssen sie überlegt eingesetzt werden. Aller-
dings fehlen bislang konkrete Hinweise darauf, was als angemessen anzunehmen
ist. Die Darstellung des Fallbeispiels im zweiten Beitrag stand dem Verstehens-
prozess der Zuschauer indes entgegen. Es zeigte sich, dass der Transfer vom
Einzelbeispiel auf die Arbeitswissenschaft als Ganzes nicht gelang. Am schlech-
testen schnitt die Spielfilmvariante des dritten Beitrags ab. Hier konzentrierten
sich die Zuschauer offenbar ausschließlich auf die Spielhandlungen.
Insgesamt sehen es Augst et al. als bestätigt an, dass sich sowohl ihr
Dreiecksmodell des Verstehens als auch das Textverständlichkeitskonzept von
Groeben (1982) auf das Fernsehen übertragen lässt. So resümieren sie, „daß es
möglich ist, die Erkenntnisse und Verfahren auf Fernsehsendungen als Fernseh-
texte zu übertragen aber auch, daß diese Theorien noch sehr weit und grobma-
schig sind, wenn es um die konkrete Gestaltung einer Sendung geht.“ (Augst et
al. 1985).
Obwohl die Studien demnach aufschlussreiche Implikationen für die Unter-
suchung von Verständlichkeitsaspekten von Wissenschaftssendungen enthalten,
weisen sie einige methodische Mängel auf, die die Gültigkeit und Interpretation
der Ergebnisse einschränken. So erfolgte die Stichprobenziehung in der ersten
Untersuchung „Der Jupiter-Effekt“ willkürlich, so dass keine Vergleichbarkeit
der Gruppen gewährleistet und die Probanden mit überdurchschnittlich hoher
formaler Bildung überrepräsentiert waren. Zudem wird weder theoretisch noch
methodisch begründet, warum die Stichprobe aus instruierten und „natürlichen“
Zuschauern gebildet wurden, zumal der Einfluss der Instruktionen auf das Re-
zeptionsverhalten nicht kontrolliert wird. So zeigen bereits die Studien von
Strittmatter et al. (1988), dass vorab formulierte Instruktionen zu besseren Erin-
nerungswerten bei Rezipienten führen können. Problematisch ist auch, dass in
beiden Studien weder statistische Kennwerte zur Beurteilung der unterschiedli-
chen Verstehensleistungen ausgewiesen, noch Kontrollvariablen wie z.B. Vor-
wissen oder Themeninteressen berücksichtigt werden. Darüber hinaus unter-
scheidet sich die Testsendung der zweiten Studie durch unterschiedliche The-
menbeiträge, was zu Konfundierungen geführt haben dürfte.
136 Verständlichkeitsforschung

Trotz dieser Mängel wurde die Verständlichkeitsforschung von Wissenschafts-


sendungen auf psycholinguistischer Grundlage vereinzelt weiter fortgeführt, wie
im folgenden Abschnitt gezeigt werden kann.

(2) Folgestudien zur Verständlichkeit von Wissenschaftssendungen

Eine der Folgestudien zur Verständlichkeit von Wissenschaftssendungen wurde


von Türer (1989) durchgeführt. Seine Verständlichkeitsanalyse unterliegt der
These, dass Verständlichkeitsunterschiede bei Wissenschaftsformaten zwischen
Sendeteilen und Sendungen auf Basis von Inhaltsanalysen vorhersagbar sind. So
sieht er die Bedingungen des Verständlichmachens wissenschaftlicher TV-
Inhalte durch die Faktoren „Gliederung“, „Vereinfachung“ und „Veranschauli-
chung“ weitestgehend erfüllt.
Die Gliederung eines Fernsehtextes operationalisiert Türer anhand des Ver-
ständlichkeitskonzeptes von Langer et al. (1974). Als zentrale Merkmale defi-
niert er dabei die „Folgerichtigkeit“ und „Übersichtlichkeit“, die Unterscheidung
von „Wesentlichem“ und „Unwesentlichem“ sowie das „Sichtbarbleiben des
roten Fadens“. Die Faktoren „Vereinfachung“ und „Veranschaulichung“ leitet er
aus der allgemeinen Didaktik zum Schulunterricht ab. Mit der Vereinfachung
sollen dem Lernenden grundlegende Prinzipien eines Sachverhaltes sichtbar
gemacht werden, was in einem Wissenschaftsmagazin anhand von Modellen,
Schemata oder Demonstrationsexperimenten eingelöst werden kann. Ausdrucks-
starke und bedeutungsvolle Aufnahmen dienen der Veranschaulichung wissen-
schaftlicher Themen. Türer erachtet es als wichtig, dass die Veranschaulichung
in längeren Zeitintervallen aufeinander folgen, damit der Zuschauer Zeit zum
Anschauen und Verstehen hat. Dabei sollen Wort und Bild sinnvoll aufeinander
bezogen werden. Die Annahme ist, dass eine größtmögliche Verständlichkeit
erreicht wird, wenn die Bedingungen erfüllt werden. Verstehensunterschiede
führt Türer demzufolge auf die unterschiedliche Gestaltung von Sendungen zu-
rück.
Für die Überprüfung der Hypothese wählte Türer die Sendung „Alternative
Energiequellen“ der Sendereihe „Bilder der Wissenschaft“ aus dem Jahr 1982
aus. Die Einzelbeiträge der Sendung wurden anhand der drei Verständlichkeits-
faktoren inhaltsanalytisch ausgewertet und in eine Verständlichkeitsrangfolge
gebracht. Die Beiträge wurden dann an 92 männlichen Berufsschülern im Alter
von 15 bis 20 Jahren getestet. Aufgrund der Untersuchungsergebnisse sieht Türer
seine These bestätigt: es scheint generell möglich zu sein, anhand inhaltsanalyti-
scher Befunde Prognosen über Verständlichkeitsunterschiede zu formulieren.
Die Verständlichkeit von Fernsehsendungen 137

In einer Studie von Diedrichs (1994) wurden fünf Wissenschaftssendungen nach


formalsprachlichen, paraverbalen und argumentativen Strukturen sowie nach
audiovisuellen Merkmalen analysiert. Mittels eines Lautes-Denken-Experiments
erfasst sie anschließend von 73 Versuchspersonen subjektive Einschätzungs- und
Beurteilungsdaten zur Verständlichkeit der Sendungen. Aus den Ergebnissen der
Studie leitet sie Vorschläge ab, die bei der rezipientengerechten Gestaltung von
Wissenschaftssendungen berücksichtigt werden sollten. Sie verweist im Rahmen
dieser Vorschläge darauf, dass ein erfolgreicher Wissenschaftstransfer nur im
Zusammenhang mit den individuellen Bedürfnissen der Zuschauer gesehen wer-
den sollte. Folgende Instruktionen werden formuliert:
ƒ Satzbau und die Satzlänge sollten relativ einfach bzw. kurz gehalten werden;
ƒ besonders wichtig ist der „Advance Organizer“ zu Beginn der Sendung, da er
integrative Funktion hat und zu einer transparenten Argumentationsstruktur
verhilft;
ƒ eine Text-Bild-Inferenz sollte vermieden werden;
ƒ Trickfilme oder Graphiken sollten gezielt zur Veranschaulichung komplizier-
ter Sachverhalte eingesetzt werden;
ƒ konkrete Beispiele sind hilfreich, wenn abstrakte Inhalte verdeutlichet wer-
den sollen.
Zusammenfassend lässt sich aufgrund der dargestellten Befunde folgendes fes-
thalten: Die Verständlichkeitsfaktoren der Textverständlichkeitsforschung schei-
nen auf das Fernsehen übertragbar zu sein, da eine entsprechende Gestaltung die
Verstehensleistung der Rezipienten durchaus positiv beeinflussen kann. Die
Verständlichkeit von Wissenschaftssendungen wird demnach von einer Reihe
von Gestaltungsmerkmalen determiniert, die in einer bestimmten Kombination
zu einer höheren Verständlichkeit führen können. Diese Gestaltungsmerkmale
sind:
ƒ eine nachvollziehbare Strukturierung und Sequenzierung,
ƒ eine kohärente Darstellung der Inhalte,
ƒ übergeordnete Konzepte müssen deutlich gemacht werden,
ƒ komplexe Sachverhalte sollten mit entsprechenden Visualisierungen unters-
tützt werden (z.B. durch Trickfilme, Grafiken, Animationen),
ƒ Bild und Text sollten sich aufeinander beziehen,
ƒ Einfache Sprache (möglichst kurze Sätze, keine Verwendung von Fachaus-
drücken oder Fremdwörtern),
ƒ konkrete Beispiele, mitunter auch personalisiert.
Hinderlich scheinen dagegen Gestaltungsmerkmale zu sein, die Anleihen aus
anderen TV-Genres vornehmen. So zeigte sich in der Studie von Augst et al.
(1985), dass reelle Spielhandlungen die Verstehensleistung der Rezipienten be-
einträchtigten.
138 Verständlichkeitsforschung

Während die dargestellten Studien auf der Textverständlichkeitsforschung basie-


ren, berücksichtigen kognitionspsychologische und kommunikationswissen-
schaftliche Arbeiten mehrheitlich den Einfluss von Wahrnehmungs- und Bewer-
tungsdimensionen der Rezipienten. Diese werden mit deren Verstehensleistun-
gen in Beziehung gesetzt, wobei geprüft wird, inwieweit das Verstehen von
Fernsehsendungen von den Bewertungen abhängig ist.

5.2.2 Kognitionspsychologische und kommunikationswissenschaftliche Befunde

Wie einleitend bereits erwähnt wurde, stellt das Forschungsprojekt zum „Wis-
senschaftstransfer durch Fernsehen“ von Köck (1990) neben den Arbeiten von
Augst et al. (1982; 1985) eine weitere umfangreiche Verständlichkeitsstudie dar.
Im Rahmen dieses Projektes entstand eine Reihe von Publikationen. Zum einen
wurde der (damalige) Forschungsstand zur Wissenschaftsvermittlung durch
Fernsehen aufgearbeitet (vgl. Meutsch et al. 1990; Meutsch/ Freund 1990;
Meutsch 1992; Freund/ Köck 1994), zum anderen erschienen einige Arbeiten,
die sich mit den Vermittlungsintentionen der Wissenschaftsjournalisten (vgl.
Freund 1990a; 1990b) und der kognitiven Wirkung von Wissenschaftssendungen
beim Rezipienten befassen (vgl. Meutsch/ Müller 1988). So zielt die Untersu-
chung von Meutsch und Müller (1988) darauf ab, Faktoren zu ermitteln, die die
„Informativität“ und „Attraktivität“ von Wissenschaftssendungen verbessern
können. Dazu wurde untersucht, ob sich anhand der psychologischen Merkmale
kognitive Erregung (z.B. Überraschung, Neugier, Spannung, Interesse, Hand-
lungsrelevanz etc.), Unterhaltungswert und subjektive Bewertung der Machart
(z.B. Verständlichkeit, Informativität, Anschaulichkeit etc.) die Verständlichkeit
einer Wissenschaftssendung vorhersagen lässt. Zudem interessierten sich die For-
scher dafür, ob diese psychologischen Merkmale mit verschiedenen Ausprägungen
der Text-Bild-Beziehungen zusammenhängen (vgl. Meutsch/ Müller 1988).80 Als
Erhebungsmethode wählten die Autoren eine Quasi-Online-Befragung. Dabei
trugen die Rezipienten nach jeder Sendungssequenz ihre Erfahrungswerte mit
dem zuvor gesehenen Ausschnitt auf einer Bewertungsskala ein.
Die Ergebnisse belegen folgendes: (1) Es zeigt sich, dass sowohl die kogni-
tive Erregung als auch die subjektiv empfundene Machart einer Sendung verläss-
liche Prädiktoren für die Lernwirksamkeit von Wissenschaftssendungen sind, der
Unterhaltungswert hingegen nicht; (2) Je anschaulicher und verständlicher eine
Sendungssequenz bewertet wird, desto weniger störten abundante (nicht aufei-
nander bezogene) Text-Bild-Beziehungen. Abundante Text-Bild-Beziehungen
80
Die Autoren beziehen sich dabei auf die Klassifikation der Text-Bild-Beziehungen von Ballstaedt
et al. (1989) und Ballstaedt (1990).
Die Verständlichkeit von Fernsehsendungen 139

führen demnach nicht in jedem Fall zu einem negativen Lerneffekt. Dieses Er-
gebnis erklären die Forscher mit der Wemberschen Text-Bild-Schere und dem
Vorwissensstand der Probanden, der dazu führt, dass der mentale Aufwand im
Sinne Salomons (1983; 1984; vgl. auch Kap. 4.4.1) und somit auch die Erinne-
rung an Text-Bild-Scheren gering gehalten werden. Die von Wember (1983)
formulierte Text-Bild-Schere beschreibt die Unvereinbarkeit von Text und Bild
in Fernsehnachrichten und deren negativen Einfluss auf die Erinnerungsleistung.
Der Einfluss der Text-Bild-Schere konnte auch in anderen Studien nicht immer
repliziert werden. So zeigten sich insbesondere bei der Rezeption von Fernseh-
nachrichten häufig keine signifikanten Verschlechterungen bei der Behaltensleis-
tung (vgl. Winterhoff-Spurk 1983; 1990; Boemak/ Ohler 1986, Drescher 1997;
Fox 2004). Basil (1994a) führt dies darauf zurück, dass Fernsehformate, die ihre
Informationen vor allem über den Text vermitteln, dazu führen, dass Zuschauer
die Informationen bevorzugt aus dem Text entnehmen und Bilder (ob komple-
mentär oder Text-Bild-Schere) weitestgehend ignorieren (vgl. Drescher 1997).
Ähnliche Ergebnisse zeigen sich auch für andere Genres wie Dokumentationen
oder Talkshows. Krimis transportieren hingegen ihre Informationen hauptsäch-
lich über den visuellen Kanal (vgl. Woodall et al. 1983), so dass davon auszuge-
hen ist, dass unterschiedliche Fernsehgenres modalitätsspezifisch wahrgenom-
men werden (vgl. Basil 1994a). Für TV-Wissenschaftsfilme kann daher ange-
nommen werden, dass sie vor allem über den Text aufgenommen werden, da sie
ihre Informationen bevorzugt über den verbalen Kanal vermitteln.
In einer Verständlichkeitsstudie von Hamm (1990, vgl. auch Hamm/ Koller
1989) befasst sich die Autorin mit dem dramaturgischen Aufbau von Filmberich-
ten in Verbraucher- und Wirtschaftssendungen. Es wird danach gefragt, welche
Strukturelemente den Rezipienten zur Informationsaufnahme motivieren und
diese erleichtern können. Die Grundannahme ist, dass die Informationen nicht
einfach übernommen werden, sondern auf Basis persönlicher Interessen, Vor-
kenntnisse und internalisierter Bezugssysteme zu subjektiven Informationen
organisiert werden. Dazu wurden vorab auf der Grundlage des Verständlich-
keitskonzeptes von Groeben (1982, vgl. auch Kap. 5.1) die entsprechenden
Strukturmerkmale „kognitive Struktur“, „äußerer Aufbau“ und „innere Ordnung“
des Filmbeitrags analysiert. Insbesondere von der „kognitiven“ Filmstruktur wird
angenommen, dass sie Anreize und Hilfestellungen bei der Informationsaufnah-
me bereit stellen kann. Die Analyse der Wechselwirkungen zwischen Filmstruk-
tur und Verstehen erfolgte anhand von Datenmaterial, das mit offenen Fragen
und freien Reproduktionen der Filminhalte erhoben wurde. Hamm kommt zu
folgenden Ergebnissen:
ƒ Mängel im Filmaufbau (z.B. aneinander gereihte Einzelbeispiele) führen zu
sehr schwachen Erinnerungsleistungen.
140 Verständlichkeitsforschung

ƒ Spontane Aufmerksamkeit wird überwiegend über das Bildmaterial generiert,


was dem von Nelson (1979) formulierten Bild-Überlegenheits-Effekt entge-
genkommt (vgl. auch Engelkamp 1998). Dies führt bei sich ergänzenden
Text-Bild-Beziehungen zu einer leichteren, fast automatischen Aufnahme der
Informationen. Fehlt allerdings die semantische Verknüpfung, sinken die
Erinnerungswerte.
ƒ Füllbilder haben keinen Einfluss auf das Verständnis – weder positiv noch
negativ.
ƒ Optische Strukturierungshilfen (z.B. Grafiken) unterstützen die Erinnerung.
Die Mehrzahl der Probanden erinnerte die dargestellten Sachverhalte aller-
dings als verbale Informationen, nicht als Bildinformationen.
ƒ Diagramme oder Piktogramme wirken auf die Zuschauer schnell „anstren-
gend“, „sachlich“, „statisch“ und „emotionslos“. Als anschaulich werden
Bild und Text vielfach nur dann angesehen, wenn es „etwas zu sehen gab“,
das sich bewegte.
ƒ Konkrete Beispiele führen häufig dazu, dass wichtige und allgemeine Sach-
verhalte nicht erinnert wurden.
ƒ Persönlich betroffene Personen ziehen häufig besondere Aufmerksamkeit auf
sich (noch vor Experten, Professoren etc.). Aussagen von Betroffenen bleiben
besonders gut in Erinnerung, werden als glaubwürdig wahrgenommen und
führen verstärkt zur „parasozialen“ Identifikation.
ƒ Filmbeiträge, die als Story umgesetzt wurden und Spielhandlungen enthiel-
ten, führten (ähnlich wie in der Studie von Augst et al. 1985) zu schlechteren
Erinnerungswerten (vgl. Hamm 1990: 215-220).
In einer weiteren Verständlichkeitsstudie von Ploch (2003) zeigt sich, dass ver-
schiedene Gestaltungsformen zu unterschiedlichen Zuschauerreaktionen führen.
Dazu untersuchte sie fünf Gestaltungselemente, die sie als konstituierende
Merkmale der Faktoren „Attraktivität“, „Glaubwürdigkeit“ und „Verständlich-
keit“ definiert. Allerdings fokussiert die Studie hauptsächlich auf die Dimension
„Attraktivität“. Eines der zentralen Ergebnisse ist, dass Zuschauer vor allem
solche Beiträge bevorzugen, die das Thema anhand eines Fallbeispiels erläutern.
Diese Beiträge werden im Vergleich zu „unpersönlichen“ Darstellungen als
unterhaltender und spannungsreicher wahrgenommen. Gleichwohl sind sie in der
Lage, die Zuschauer emotional zu berühren. Diese Art der Darstellung hat allem
Anschein nach eine höhere Zuschauerattraktivität als TV-Beiträge mit unpersön-
lichen Schilderungen, was sich positiv auf die Lernleistung auswirkt. Ähnliche
Befunde führt auch Graber (1990) an. Allerdings muss ein entsprechendes Maß
der Emotionalisierung gefunden werden. So konnten Schultheiss und Jenzowsky
(2000) zeigen, dass sich eine allzu emotionalisierende Darstellung negativ auf
die Glaubwürdigkeit und damit auch auf die Wissensvermittlung auswirken kann
Die Verständlichkeit von Fernsehsendungen 141

(vgl. auch Grabe et al. 2000; Grabe et al. 2003). Beiträge, die ein medizinisches
Thema positiv konnotieren, werden tendenziell als attraktiver wahrgenommen.
Unbehagen und Beunruhigung rufen hingegen solche Filme hervor, die reale und
detailgenaue Operationsbilder verwenden. Für den Faktor „Verständlichkeit“
zeigt sich, dass insbesondere eine hohe Informationsdichte zu Verständnis-
schwierigkeiten führen kann: Bei zu vielen aufeinander folgenden Informationen
konnten einige Probanden dem Fernsehbeitrag schon nach wenigen Sätzen nicht
mehr folgen (vgl. Ploch 2003). Ob nun ein Zusammenhang zwischen wahrge-
nommener Attraktivität und Verständlichkeit besteht, wurde nicht näher unter-
sucht.
Früh und Wirth (1997) interessieren sich im Rahmen ihrer Infotainment-
Studie dafür, welchen Einfluss die Dynamik einer Darstellung auf die Erinne-
rungs- und Verstehensleistung der Rezipienten hat. Unter Dynamik fassen die
Autoren die Merkmale „schnelle Schnitte“, „Kamerabewegung“, „viele bewegte
Objekte“, „Musikeinsatz“ und „Spezialeffekte“ zusammen (vgl. Früh/ Wirth
1997: 370-371). Dazu wurden dreizehn Fernsehbeiträge aus Politikmagazinen
inhaltsanalytisch untersucht und anschließend in vier Dynamikgruppen klassifi-
ziert. Darüber hinaus wurden Nachrichtenwert, Informationsgehalt, Informati-
onskomplexität und Text-Bild-Diskrepanz als zu kontrollierende Merkmale er-
fasst. Die Untersuchung führte zu folgenden Ergebnissen:
ƒ Mit ansteigender Dynamik steigt auch die wahrgenommene Informationsqua-
lität und Verständlichkeit der Magazinbeiträge. Erreicht allerdings die Dy-
namik ein bestimmtes (hohes) Niveau, kehrt sich die Wahrnehmung ins nega-
tive um. Somit liegt für die Wahrnehmung der Informationsqualität ein kurvi-
linearer Zusammenhang vor.
ƒ Ein ähnlicher Effekt wird auch beim Wissenserwerb beobachtet, wobei sich
der Wissenserwerb auf den ersten drei Dynamikstufen kaum veränderte. Die
höchste Dynamikstufe führt allerdings zu einem starken Abfall des Wissens-
erwerbs.
Insgesamt zeigt sich somit, dass die Dynamik von Magazinbeiträgen Einfluss auf
die Verstehensleistung haben kann. Dabei handelt es sich allerdings um einen
kurvilinearen Zusammenhang. Sowohl ein sehr ruhiger als auch ein sehr dynami-
scher Beitrag kann negative Effekte auf den Wissenserwerb hervorrufen. So
führen z.B. ein schneller Schnitt und häufige plötzliche visuelle Effekte zu einem
verminderten Wissenserwerb (vgl. Früh/ Wirth 1997: 379). Die Befunde belegen
insgesamt, dass die Verständlichkeitsforschung eine recht unüberschaubare An-
zahl von Gestaltungsmerkmalen identifiziert hat, die sich förderlich oder auch
mindernd auf die Verständlichkeit von TV-Beiträgen auswirken können. Sie
lassen sich jedoch in der folgenden Weise zusammenfassend darstellen:
142 Verständlichkeitsforschung

Die Verständlichkeit von Wissenschaftssendungen…


→ basiert auf den Textverständlichkeitsdimensionen Einfachheit, Gliede-
rung/ Ordnung, Kürze/ Prägnanz und Anregende Zusätze;
→ wird gefördert durch: eine nachvollziehbare, kohärente Struktur und
Sequenzierung, visuelle Lernhilfen, einfache Sprache, Text-Bild-
Redundanz bzw. Komplementarität, angemessene Emotionalisierung,
angemessene Dynamik sowie personalisierte und konkrete Beispiele,
sofern sie abstrakte Inhalte verdeutlichen;
→ wird gehemmt durch: Spielhandlungen, zu starke Emotionalisierung, zu
hohe Informationsdichte, zu hohe Dynamik und die Darstellung von
Einzelbeispielen, da sie häufig den Transfer auf allgemeine Sachverhalte
behindern;
→ wird beeinflusst durch die kognitive Erregung (z.B. Überraschung,
Neugier, Spannung, Interesse, Handlungsrelevanz) und subjektiven
Bewertungen (z.B. der Verständlichkeit, Informativität, Anschaulichkeit)
auf Seiten der Rezipienten.

Im folgenden Kapitel können nun die erläuterten Annahmen und Befunde der
Verständlichkeitsforschung vor dem Hintergrund des dynamisch-transaktionalen
Ansatzes auf ihre Relevanz für das „Verstehensmodell audio-visueller Wissen-
schaftsvermittlung“ geprüft werden.

5.3 Schlussfolgerung III: Verständlichkeit von Vermittlungskonzepten

In den vorangegangenen Kapiteln konnte gezeigt werden, dass die Verständlich-


keit von Wissenschaftssendungen durch eine Vielzahl von Merkmalen der Me-
dienbotschaft beeinflusst werden kann. Diese lassen sich auf die vier Dimensio-
nen zurückführen, die die Textverständlichkeitsforschung entwickelt hat. In einer
Reihe von Studien wurden die Verständlichkeitsdimensionen auf ihre Anwend-
barkeit für das Fernsehen getestet und um medienspezifische Merkmalskatego-
rien erweitert. Dabei zeigen die Befunde, dass (1) die Konzepte auf das Fernsehen
übertragbar zu sein scheinen und (2) entsprechend verständlich gestaltete Fernseh-
sendungen die Verstehensleistung der Rezipienten positiv beeinflussen können.
Kognitionspsychologische Verständlichkeitsstudien belegen, dass die vom Rezi-
pienten empfundene „kognitive Erregung“ z.B. in Form von Spannung, Interes-
se, Neugier, Handlungsrelevanz etc. und subjektiven Bewertungen über die „Ma-
Schlussfolgerung III: Verständlichkeit von Vermittlungskonzepten 143

chart einer Sendung“ verlässliche Prädiktoren für die Verstehensleistungen dar-


stellen. Sie lassen sich demnach als relevante Faktoren intra-transaktionaler Pro-
zesse zwischen Aktivation und Wissen auffassen, die sich während der Rezepti-
onsphase bilden und die Verstehensleistung beeinflussen (vgl. Früh 1991: 64-
65). Zudem zeigt sich, dass beide Merkmale mit den vier Dimensionen der Text-
verständlichkeitsforschung von Langer et al. (1974) und Groeben (1978; 1982)
korrespondieren. So lässt sich die „kognitive Erregung“ auf die Dimension „an-
regende Zusätze“ beziehen, da beide Kategorien mit den motivationalen Eigen-
schaften des Medienangebots zusammenhängen. Die Bewertungen zur „Machart
einer Sendung“ korrespondieren wiederum mit den Dimensionen „Einfachheit“,
„Gliederung/ Ordnung“ und „Kürze/ Prägnanz“, da es sich hier um die Beurtei-
lung formaler Verständlichkeitsmerkmale der Medienbotschaft handelt. Beide
Rezipientenmerkmale entsprechen demnach den relevanten Verständlichkeitsdi-
mensionen – sie können daher als subjektive Verständlichkeitsbewertungen auf-
gefasst werden. Demnach beschreibt die Verständlichkeitsforschung im Rahmen
des dynamisch-transaktionalen Ansatzes diejenigen Eigenschaften des Medien-
stimulus, die ursächlich für die kognitiv-affektiven Verstehensvorgänge des
Rezipienten zu sein scheinen. Zugleich weist die kognitionspsychologische Ver-
ständlichkeitsforschung auf die Wechselwirkung zwischen kognitiver Erregung,
subjektiven Bewertungen und Verstehensleistungen hin, die demzufolge als
Intra-Transaktionen des Rezipienten aufgefasst werden können. Somit lässt sich
die Verständlichkeitsforschung gut mit den multi-kausalen Wirkungsvorstellun-
gen des DTA vereinbaren.
Dies führt zu zwei zentralen Schlussfolgerungen, die in Form von Thesen
formuliert werden und die für die Entwicklung des „Verstehensmodells audio-
visueller Wissenschaftsvermittlung“ von Bedeutung sind:
1. Ein Vermittlungskonzept enthält bestimmte Konstellationen von formalen
und motivationalen Gestaltungselementen, die sich auf den Rezipienten ver-
ständlichkeitsfördernd oder aber verständlichkeitsmindernd auswirken kön-
nen, wobei diese Merkmalskonstellationen auf den vier Verständlichkeitsdi-
mensionen der Textverständlichkeitsforschung basieren.
2. Die subjektiven Verständlichkeitsbewertungen des Rezipienten intra-
transagieren mit seinem individuellen Wissenstand und beeinflussen seine
Verstehensleistungen. Daher ist auf Basis der subjektiven Verständlichkeits-
bewertungen eine Aussage über die Verstehensleistung möglich.
Auf der Grundlage dieser Schlussfolgerungen lässt sich das Verstehensmodell
audio-visueller Wissenschaftsvermittlung nun um die theoretischen Erkenntnisse
der Verständlichkeitsforschung vervollständigen. Da es sich hier um das letzte
Teilmodul des Modells handelt, wird im folgenden Kapitel 6 das Gesamtmodell
erläutert.

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