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Aneignung neuer
Kommunikations-
technologien in
sozialen Netzwerken
Am Beispiel des Mobiltelefons
unter Jugendlichen
VS RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich im
Frühjahrssemester 2008 auf Antrag von Prof. Dr. Werner Wirth und Prof. Dr. Vincent Meyer
als Dissertation angenommen.
1. Auflage 2008
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede
Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist
ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere
für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspei-
cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
ISBN 978-3-531-16133-4
Danksagung
Diese Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbei-
ter an der Ludwig-Maximilians-Universität München im Rahmen des For-
schungsprojekts „Diffusion und Aneignung mobiler und interaktiver Medienan-
gebote“. Mein erster Dank gilt Professor Dr. Werner Wirth als Initiator und Lei-
ter des Projekts, der mich über die vier Jahre mit der richtigen Mischung aus
Fürsorge und Autonomie an das selbständige wissenschaftliche Arbeiten heran-
geführt hat. Dass das Projekt ein Erfolg wurde – und damit auch die Dissertation
– habe ich außerdem der beherzten Mitarbeit von Veronika Karnowski zu ver-
danken.
Weiter bedanke ich mich bei meinen Ansprechpartnern an den beiden betei-
ligten Schulen Gymnasium Eversten und Helene-Lange Schule in Oldenburg:
Bei den Schulleitern Herrn Hoyndorff, Herrn Smidt und Herrn Steinbrink und
den Koordinatorinnen der Jahrgänge Frau Dörr und Frau Böckmann dafür, dass
sie mich zu dem Vorhaben ermutigt und mir bei seiner Durchführung beigestan-
den haben; bei den Lehrern dafür, dass sie mir Zeit in ihren Unterrichtsstunden
eingeräumt haben; bei den Eltern dafür, dass sie damit einverstanden waren, und
bei den Schülern selbst dafür, dass sie die langen Fragebögen geduldig und ge-
wissenhaft beantwortet haben.
Meinen Eltern möchte ich danken für ihre moralische Unterstützung, aber
auch für die ganz handwerkliche Hilfestellung bei der Vorbereitung der Feldar-
beit in Oldenburg, bei der Dateneingabe und den letzten Überarbeitungen.
Schließlich danke ich von ganzem Herzen meiner Frau Stéphanie. Sie hat
mir immer wieder das Leben jenseits der Dissertation ins Bewusstsein gerufen
und mir gleichzeitig den für die Arbeit nötigen Freiraum gewährt. Dabei hat sie
mich unermüdlich zur Arbeit angestiftet durch das Setzen unzähliger Deadlines
(von denen ich keine einzige eingehalten habe).
1 Einleitung .................................................................................................. 11
„If a man can write a better book, preach a better sermon or make a better mouse-
trap than his neighbor, though he builds his house in the woods, the world will make
a beaten path to his door.”
Ralph Waldo Emerson, 1803-1882 (nach Shapiro & Epstein, 2006)
Dieses viel zitierte Motto soll der vorliegenden Arbeit als Ausgangspunkt die-
nen, und zwar in dem eigentlichen Wortsinne, dass wir es mit fortschreitendem
Gedankengang immer weiter hinter uns lassen. Eine überlegene Idee, so prophe-
zeit Emerson, wird früher oder später ihre Anhänger finden und letztlich der
Gesellschaft ihre eigene Prägung geben. Die Beliebtheit des Spruchs unter politi-
schen Reformern wie auch unter Management-Gurus bis in die heutigen Tage
hinein zeigt, dass die hier zum Ausdruck gebrachte Ansicht unter Praktikern
noch immer Einfluss hat (M. L. King, 2000; Wellman, 1997; Reilly, 2003).
Bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts fasste aber – zunächst unter den
Pionieren der Sozialwissenschaft – die Feststellung Fuß, dass nicht jede überle-
gene Neuerung sich später auch tatsächlich durchsetzt: Manche vielversprechen-
de Idee schien schlicht zu versanden – etwa durch die Unkenntnis auf Seiten der
potentiellen Übernehmer oder durch innovationsfeindliche soziale Normen. Es
war der französische Soziologe Gabriel de Tarde, der dieses aus Reformersicht
lästige Phänomen zu einem eigenständigen Gegenstand der Forschung erklärte:
„Warum gibt es unter hundert gleichzeitig ausgedachten Innovationen – seien sie
Ausdrucksformen, mythologische Ideen, Industrieverfahren oder andere – nur
zehn, die sich in der Öffentlichkeit nach dem Vorbild ihrer Erzeuger verbreiten,
und neunzig, die in Vergessen verbleiben? Hier liegt das Problem“ (de Tarde,
2003 [1890], S. 123).
Mit dieser Frage stieß de Tarde ein Forschungsprojekt an, das nach mehr als
hundert Jahren heute noch aktuell ist und nicht aufhört, sich weiter zu entwi-
ckeln: Es geht darum, die Entwicklung neuer Ideen und Produkte jenseits der
Türschwelle des Erzeugers nachzuvollziehen.
Auf der Suche nach einer Antwort haben verschiedene Disziplinen sich da-
ran gemacht, die Verbreitung von Innovationen unter Menschen zu untersuchen.
Die unterschiedlichen Heuristiken und Methoden dieser Disziplinen vereinte
Everett Rogers zu einer Diffusionstheorie (1962; vgl. Rogers, 1983; Rogers,
2003, 1995; Rogers & Shoemaker, 1971). Als gemeinsamen theoretischen Rah-
12 1 Einleitung
men für diese Integration setzte er das Bild von Diffusion als einem linearen
Kommunikationsprozess im Sinne des Lasswell’schen Kommunikationsmodells
durch. So wurde die Diffusionstheorie zu einem wichtigen Bestandteil des kom-
munikationswissenschaftlichen Fachkanons.
Im Zuge dieser Forschung wurde bald eine zweite Entdeckung gemacht, die
de Tarde mit seiner Frage nicht in Betracht gezogen hatte: Neben den 90 erfolg-
losen Innovationen und jenen zehn, die sich nach dem Vorbild ihrer Erzeuger
verbreiten, gibt es eine große Anzahl an Innovationen, die zwar Erfolg haben,
aber keineswegs im ursprünglichen Sinne des Erfinders. Sie setzen sich durch in
einer unerwarteten Form, die sich erst außerhalb der Entwicklungslabors durch
die Nutzer entwickelt: Ein Klebeband, das als solches versagte, erlebte eine Re-
naissance als PostIt (T. J. Peters & Waterman, 1982), Anrufbeantworter fanden
Verwendung als Anruffilter (Frissen, 2000) und ein schlichtes System zur Ver-
mittlung von Textbotschaften auf Mobiltelefonen wurde zum zentralen Kommu-
nikationsmittel unter Jugendlichen (Wirth, von Pape, & Karnowski, 2007, S. 79).
Mit den Jahren wurden auch über die klassische Diffusionstheorie hinaus
Ansätze zur Erforschung der weiteren Entwicklung von Innovationen hervorge-
bracht, die immer besser elaboriert waren: Im unmittelbaren Anschluss an die
Diffusionstheorie brachte die Analyse sozialer Netzwerke1 weitere Einsichten in
die Verbreitung von Innovationen von Mensch zu Mensch. In freier Anlehnung
daran half die sozialpsychologische Handlungstheorie bei der Erklärung indivi-
dueller Adoptionsentscheidungen. Weitgehend losgelöst von der Diffusionstheo-
rie brachte der „Uses-and-Gratifications“-Ansatz Konzepte, auch unterschiedli-
che Nutzungen von Innovationen zu beschreiben.
Diese drei Ansätze stellen hoch entwickelte Forschungszweige einer stan-
dardisierten quantitativen Forschung dar, und sie haben dementsprechend extrem
valide und differenzierte Befunde vorgelegt. Die Ansätze selbst sind dabei ganz
unabhängig und gegeneinander isoliert. Das von ihnen zu erklärende Phänomen
dagegen ist ein Ganzes, in dem die von den verschiedenen Ansätzen beschriebe-
nen Aspekte zusammenhängen.
Dem gegenüber stehen Ansätze der qualitativen Forschung, die das empiri-
sche Phänomen der Verbreitung und Aneignung von Innovationen in seiner
Breite erforschten unter Konstellationen von Nutzern mit unterschiedlichen indi-
viduellen Merkmalen: Wie „domestizieren“ Übernehmer eine Innovation im
Rahmen ihrer Implementierung? Wie handeln Familien, Jugendcliquen, Arbeits-
1
Die geläufige Bezeichnung für den Ansatz ist „soziale Netzwerkanalyse“ als Übersetzung des
englischen Begriffs „social network analysis“. Diese Bezeichnung ist allerdings irreführend, da
das Adjektiv „sozial“ sich sinngemäß auf die Netzwerke bezieht und nicht auf die Analyse. Auf-
grund der weiten Verbreitung der Bezeichnung wird im Folgenden dennoch auch von „sozialer
Netzwerkanalyse“ gesprochen.
1 Einleitung 13
2
„intermedia“ war ein interdisziplinäres Forschungsprojekt an der LMU München unter Beteili-
gung von Wirtschaftsinformatik, Informatik und Kommunikationswissenschaft. Die vorliegende
Studie entstand im Rahmen des Teilprojekts „Diffusion und Aneignung mobiler und interaktiver
Medienangebote“ unter Leitung von Prof. Dr. Werner Wirth. Das Projekt wurde gefördert vom
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (für eine Übersicht der Ergebnisse des
gesamten Projekts`, vgl. Hess, 2007).
14 1 Einleitung
Die vorliegende Studie soll beitragen zu einem besseren Verständnis der Ent-
wicklung von Innovationen nach dem Verlassen des Entwicklungslabors. Es geht
um Innovationen im Allgemeinen und Medieninnovationen im Besonderen, ganz
speziell aber um das Mobiltelefon in seiner Aneignung durch Jugendliche.
Ein pauschales gesellschaftliches Interesse an der Entwicklung von Innova-
tionen kann vorausgesetzt werden. Was das Thema für die Kommunikationswis-
senschaft bedeutet und worin die Relevanz des spezifischen Forschungsobjekts
„Aneignung des Mobiltelefons durch Jugendliche“ liegt, das bedarf noch einer
näheren Erläuterung.
Zunächst soll erläutert werden, inwiefern die Frage der Diffusion und der weite-
ren Entwicklung von Innovationen allgemein für die Kommunikationswissen-
schaft relevant ist. Vom Allgemeinen zum Speziellen vordringend, schließt sich
die Frage an, warum sich die Kommunikationswissenschaft speziell mit der
Entwicklung von Medieninnovationen befassen sollte.
Eine sehr pragmatische Antwort auf die erste, allgemeinere Frage liefert
Elihu Katz (1999, S. 145). In einem theoretischen Grundsatzartikel konstatiert er
schlicht, die Kommunikationswissenschaft habe nun einmal heute die Rolle des
„custodian of diffusion theory and research“ übernommen, quasi die Vormund-
schaft für dieses verwaiste interdisziplinäre Forschungsprojekt, das von anderen
bereits lange aufgegeben ist: „Anthropology, archeology, and geography made
their bids rather long ago but withdrew“ (E. Katz, 1999, S. 145).
Will man sich mit dieser mehr moralischen Argumentation nicht zufrieden
geben, so findet man aber auch inhaltliche Gründe dafür, dass die Kommunika-
tionswissenschaft sich für Diffusionstheorie zuständig fühlen sollte: Als Everett
Rogers nämlich den Ansatz vereinte und ihn dem Fach zuordnete, geschah dies
aus der Erwägung heraus, dass Kommunikationswissenschaft die besten Konzep-
te und Methoden zur Untersuchung dieses Phänomen bereitstellt (Rogers, 1962;
vgl. Dearing & Singhal, 2006). So richtete er seine neue Theorie auch an Kon-
16 2 Relevanz des Themas
„‘Diese Kunst, o König, wird die Ägypter weiser machen und gedächtnisreicher,
denn als ein Mittel für den Verstand und das Gedächtnis ist sie erfunden.‘ Jener aber
habe erwidert: ‚O kunstreichster Theuth, einer weiß, was zu den Künsten gehört, ans
Licht zu gebären; ein anderer zu beurteilen, wieviel Schaden und Vorteil sie denen
bringen, die sie gebrauchen werden. So hast auch du jetzt als Vater der Buchstaben
aus Liebe das Gegenteil dessen gesagt, was sie bewirken. Denn diese Erfindung
wird der Lernenden Seelen vielmehr Vergessenheit einflößen aus Vernachlässigung
des Gedächtnisses, weil sie im Vertrauen auf die Schrift sich nur von außen vermit-
tels fremder Zeichen, nicht aber innerlich sich selbst und unmittelbar erinnern wer-
den.‘“
Platons Text umfasst zwei Zeitebenen, die jeweils für bestimmte kommunikati-
onswissenschaftliche Sichtweisen auf Medien stehen:
2.1 Kommunikationswissenschaftliche Bedeutung 17
Die Sichtweise von Sokrates und Phaidros stammt aus einer Zeit, da das
Medium (Schrift) gut etabliert ist. Die meisten Ansätze der empirischen
Nutzungs- und Wirkungsforschung befassen sich mit etablierten Medien,
etwa den klassischen Massenmedien. Typische Fragen zielen hier auf den
Einfluss von Fernsehen und Printmedien auf den einzelnen Nutzer (z.B.
Gewaltforschung) oder auf die Gesellschaft (z.B. Agenda-Setting) (Bonfa-
delli, 2004).
Die Sichtweise von Theut und Thamos stammt aus einer Zeit, als die Schrift
noch keine Verbreitung gefunden hatte. Ihre Prognosen über die Nutzungs-
weisen und Wirkungen der Schrift extrapolieren sie von den Eigenschaften,
die sie dem Medium zuschreiben in Verbindung mit ihrem eigenen Men-
schenbild und vor dem Hintergrund ihrer Erfahrung mit anderen Medien.
Diesem Vorgehen entsprechen historische Medientheorien, die – wie zum
Beispiel Harold Innis – den Medien eine ganz eigene, wesenhafte „Ten-
denz“ („Bias“) zuschreiben (Innis, 1991 [1951]). Einmal etabliert, würden
die Medien dann unweigerlich der Gesellschaft ihren Stempel aufdrücken.
In der Kommunikationswissenschaft hat sich aber noch eine dritte Perspektive
herausgebildet, die bei Platon nicht angesprochen wird: Es ist zu fragen, nach
welchen Regeln sich die Innovation vom Moment ihrer ersten Nutzung bis hin
zu ihrer Verbreitung und Institutionalisierung entwickelt (Rogers, 2003; Silver-
stone, 2006; O. Peters & Ben Allouch, 2005; Höflich, 1998; V. Venkatesh, Mor-
ris, Davis, & Davis, 2003; Valente, 2006; vgl. für eine Übersicht Karnowski, von
Pape, & Wirth, 2006). Für Platon, der sich für das Wesen der Dinge interessierte
– ihre ουσια ҟ – erschien eine solche Frage des Werdens wohl unbedeutend, denn
sie richtet sich auf eine bloße Übergangsphase, an deren Ende sich alles im
prognostizierten Sinne einpendelt. Gerade diesem Werden, diesem Übergang gilt
in der heutigen Kommunikationswissenschaft aber eine wachsende Aufmerk-
samkeit, und zwar aus zwei Gründen:
Der Übergang ist ein permanentes Grundphänomen: Seit dem 19. Jahrhun-
dert haben mediale Innovationen einander in immer schnelleren Zyklen ab-
gelöst – von der Fotografie über das Radio bis zum mobilen Internet.
Der Anschein, dass sich am Ende einer Übergangsphase die Dinge in einem
irgendwie vorgezeichneten Sinne „einpendeln“, dürfte trügen: Die Dynamik
des Wandels hat vielmehr ihre eigenen Gesetze: Im Zuge ihrer Verbreitung
kann eine Innovation ihren Charakter radikal ändern. Diesen Wandel selbst
zu verstehen, darum geht es.
Die Nachfolger des Pharaos Thamon in der heutigen demokratischen sozialen
Marktwirtschaft sind politische und ökonomische Akteure, aber auch Individuen,
die über ihre eigene Mediennutzung reflektieren. Als Grundvoraussetzung für die
Einschätzung möglicher Konsequenzen neuer Medien werden diese Nachfolger
18 2 Relevanz des Themas
Betrachtet man das ganz konkrete Phänomen der Ausbreitung des Mobilfunks
unter Jugendlichen, so konkretisieren sich die im Vorkapitel erwähnten Frage-
2.2 Gesellschaftliche Bedeutung 19
Die Wichtigkeit des Mobiltelefons für Jugendliche lässt sich festmachen schon
an rein deskriptiven Daten zum Besitz und zur Nutzung. Laut der repräsentativen
Studie Jugend, Information, (Multi-)Media (JIM) 2007 (Feierabend & Rathgeb,
2007) war das Mobiltelefon im Sommer 2007 das unter den 12- bis 19jährigen in
Deutschland am weitesten verbreitete elektronische Medium. Mit einer Quote
von 94 Prozent Handybesitzern liegt es weit vor klassischen Unterhaltungsme-
dien wie dem Radio (78%) oder dem Fernseher (67%). Selbst in der jüngsten
Gruppe der 12- bis 13jährigen verfügen 85 Prozent über ein eigenes Gerät. Mit
ca. 20 Euro im Durchschnitt für Handydienste geben sie mehr als ein Fünftel
ihres Taschengelds aus (107 Euro bei Jungen, 86 Euro bei Mädchen; Feierabend
& Rathgeb, 2007, S. 68). Zwei Drittel der Jugendlichen nutzen ihr Handy täglich
und über 80 Prozent mehr als einmal pro Woche (Feierabend & Rathgeb, 2007).
Die Verwendung des Mobiltelefons beschränkt sich dabei schon lange nicht
mehr auf das Telefonieren und das Versenden von SMS-Kurzmittteilungen.
Beinahe die Hälfte der Jugendlichen nimmt auch mehrmals pro Woche Fotos
oder Filme auf, 30 Prozent verschicken von ihrem Handy aus Musik in Form von
MP3-Dateien (meist über die kostenfreie Bluetooth-Technologie, teilweise auch
per MMS). Ein Viertel verschickt auf diesem Weg Fotos oder Videos. Handy-
spiele sind für jeden siebten Jugendlichen regelmäßiger Bestandteil des Alltags,
das Radiohören für jeden zehnten. Nur das Surfen im Internet und das Fernsehen
können noch als marginal angesehen werden (Feierabend & Rathgeb, 2007) (vgl.
Abbildung 1).
20 2 Relevanz des Themas
100%
Anteil der 12- bis 19jährigen
90%
80%
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%
3
Vergleichsdaten aus den späteren Jahren liegen leider nicht vor.
2.2 Gesellschaftliche Bedeutung 21
gende Funktionen des Mobiltelefons für die Koordination des Alltags von Ju-
gendlichen:
„Micro-coordination“ ist die ganz pragmatische Organisation des Alltags-
lebens: Man fühlt per SMS bei den Freunden vor, ob sie Zeit und Lust haben,
etwas zu unternehmen, man verabredet sich spontan im Laufe eines Abends, man
nutzt das Mobiltelefon, um bei Verabredungen vor Ort zusammenzufinden, oder
man ruft die Eltern an, wenn man mit dem Auto irgendwo abgeholt werden
möchte. Häufig handelt es sich dabei um eine ganz konkrete geographische und
zeitliche Positionierung und Abstimmung mit den Freunden oder auch mit den
Eltern (Ling & Yttri, 2002).
Gleichzeitig betreiben die Jugendlichen aber auch eine symbolische, soziale
Positionierung, die sogenannte „hyper-coordination“. „That is, in addition to the
simple coordination of where and when, the device is employed for emotional
and social communication”(Ling & Yttri, 2002, S. 140). Die Art, in der das Mo-
biltelefon dabei zum Einsatz kommt, ist ganz unterschiedlich. Etliche qualitative
Studien belegen dies. Taylor und Harper etwa berichten von Jugendlichen, die
ihren besten Freunden oder Partnern regelmäßig ritualisierte SMS-
Kurzmitteilungen schicken, um ihnen ihre Wertschätzung zu bekunden (Taylor
& Harper, 2003). Das gezielte Ignorieren von Kurzmitteilungen einer Schulka-
meradin dagegen ist ein Zeichen der Abgrenzung (von Pape, Karnowski, &
Wirth, 2006a), genau wie das Nichtherausrücken der eigenen Telefonnummer
(Licoppe & Heurtin, 2001). Auch für die „hyper-coordination“ sind neben den
Freunden die Eltern wichtige Partner. Hier ist die symbolische Bedeutung aller-
dings ambivalent: Einerseits bedeutet das Mobiltelefon Unabhängigkeit von den
Eltern, andererseits stellt es eine verlängerte Nabelschnur zu ihnen dar (O. Mar-
tin & de Singly, 2000; C. Martin, 2003). Auch die Herausbildung eines gemein-
samen Kommunikationscodes in Form einer stilisierten gemeinsamen SMS-
Sprache oder eines Systems von Anklopf-Signalen, das Verbindungskosten um-
geht, bedeuten gleichzeitig eine Affirmation sozialer Beziehungen und eine Ab-
grenzung gegenüber anderen (Androutsopoulos & Schmidt, 2002; Ling & Yttri,
2002; Weilenmann, 2001; Oksman & Rautiainen, 2003; Höflich & Gebhardt,
2003). Neue multimediale Funktionalitäten von Klingeltönen und Logos über
Fotos, Videos, Spiele und die aus dem Internet bekannten „Messenger“ fürs
Handy stellen weitere Ressourcen für die „hyper-coordination“ bereit (von Pape
et al., 2006a; vgl. Koskinen, 2007). So beschreibt Rivière (2005), wie die „Ka-
mera“-Funktion des Mobiltelefons durch die Erzeugung und Konservierung
geteilter Momente neue Möglichkeiten zur Artikulation und Festigung von
Freundschaft bietet, und Döring (Döring, 2002) führt aus, wie Logos und Klin-
geltöne genutzt werden zur Darstellung sozialer Zugehörigkeit und zur sozialen
Abgrenzung.
22 2 Relevanz des Themas
Diese Befunde mögen erklären, warum das Mobiltelefon mit seinen ver-
schiedenen Funktionen gerade unter Jugendlichen so beliebt ist.
Will man die Technologie nicht einfach als „Modeerscheinung“ abtun – für
die Jugendliche nun einmal besonders anfällig seien –, so muss man nach einer
Erklärung suchen, die zurückgreift auf die speziellen Rahmenbedingungen der
Sozialisation der heutigen Jugendlichen.
„Sozialisation bezeichnet [...] den Prozess, in dessen Verlauf sich der mit einer bio-
logischen Ausstattung versehene menschliche Organismus zu einer sozial hand-
lungsfähigen Persönlichkeit bildet, die sich über den Lebenslauf hinweg in Ausein-
andersetzung mit den Lebensbedingungen weiterentwickelt. Sozialisation ist die le-
benslange Aneignung von und Auseinandersetzung mit den natürlichen Anlagen, in-
sbesondere den körperlichen und psychischen Grundmerkmalen, die für den Men-
schen die ‚innere Realität‘ bilden, und der sozialen und physikalischen Umwelt, die
für den Menschen die ‚äußere Realität‘ bilden“.
2.2 Gesellschaftliche Bedeutung 23
Mit dem Hinweis auf die „innere Realität“ und die „äußere Realität“ verweist
diese Definition auf psychologische und gesamtgesellschaftliche Herausforde-
rungen an den Sozialisationsprozess. Auf diese wird hier noch flankierend ein-
gegangen.
Die Herausforderung in diesem Prozess liegt darin, dass die Identität bei dieser
Vielfalt sozialer Rollen nicht in die Beliebigkeit einer „Identitätsdiffusion“ zer-
fällt, aber auch nicht – wie Krappmann (1969) in Fortführung Eriksons darlegt –
in einer „Identitäts-Starrheit“ verharrt. Damit diese Herausforderung bewältig
werden kann, wird mit dem Jugendalter laut Erikson (2003; vgl. Lange &
Schorb, 2006; Zinnecker, 2000; Baake, 2003) ein „Moratorium“ eingeräumt, also
eine soziale „Auszeit“ zwischen Kindheit und Erwachsenenalter. Diese Zeit
bietet den Jugendlichen einen Freiraum zur Entwicklung, der von den Ansprü-
chen der Erwachsenenwelt abgeschirmt ist.
Bei welchen der Herausforderungen, denen sich Jugendliche im Rahmen ih-
rer Sozialisation aus einer psychologischen Perspektive heraus konfrontiert se-
hen, könnte ihnen nun das Mobiltelefon als Werkzeug nützlich erscheinen?
Zunächst ermöglicht es durch seine Optionen zur „micro-coordination“ die
ganz pragmatische Loslösung von den Eltern und eine stärkere Orientierung am
sozialen Umfeld der Gleichaltrigen: Die Freunde müssen nicht mehr bei den
Eltern anrufen, um sich zu verabreden. Zum anderen lassen Eltern ihre Kinder
vielleicht eher allein losziehen, wenn sie als Absicherung wissen, dass sie diese
im Notfall über das Mobiltelefon erreichen können. Darüber hinaus kommt das
Mobiltelefon mit seinen vielen Möglichkeiten zur „hyper-coordination“ dem
Bedürfnis entgegen, sich auch symbolisch unter den Gleichaltrigen zuzuordnen
bzw. abzugrenzen und Beziehungen aufzubauen und zu pflegen – nicht umsonst
ist das Flirten eine der beliebteren Nutzungsweisen der SMS unter Jugendlichen
(Höflich, 2001).
2.2 Gesellschaftliche Bedeutung 25
Dies lässt sich teilweise auch empirisch belegen. Dass die Familie die pri-
märe Sozialisationsinstanz ist, das ist – besonders in der klassischen Form (El-
tern mit mehreren Kindern) – heute weitaus seltener als noch vor 30 Jahren.
Dafür sind alleinerziehende Väter und Mütter weit häufiger vertreten. In den
Haushalten, in denen Kinder unter 18 leben, hat das Modell „Ehepaar mit Kin-
dern“ deutlich abgenommen, in den alten Bundesländern von 93,4 Prozent im
Jahre 1974 auf 83,9 Prozent im Jahr 2000. Gleichzeitig hat hier der Anteil von
ledigen und getrennt lebenden Vätern und Müttern zugenommen von 4,1 auf
14,8 Prozent. Die Tendenz hat sich in den letzten Jahren weiter fortgesetzt, so
dass nach den Daten des Mikrozensus 2006 in Deutschland insgesamt ein Viertel
der Haushalte mit Kindern alternative Familienformen darstellten, in den neuen
Ländern sogar 42 Prozent (Radermacher, 2007).
Bei den übrigen klassischen Sozialisationsinstanzen sieht das Bild gemischt
aus: Kirchen, Parteien und Gewerkschaften melden weiterhin einen Mitglieder-
schwund. Neue Organisationsformen etwa im Bereich neuer Sportarten erfreuen
sich dagegen großer Beliebtheit. Die Gesamttendenz geht dahin, dass die tiefe,
wert- und milieugebundene Integration in Vereinen nachgelassen hat zugunsten
von eher spontanen, situationsabhängigen aber darum nicht weniger aktiven
Teilnahmen und Engagements (Keupp et al., 2003).
Mit den beschriebenen Auflösungserscheinungen einher geht die Individua-
lisierung:
„Individualisierung bedeutet in diesem Sinne, daß die Biographie der Menschen aus
vorgegebenen Fixierungen herausgelöst, offen, entscheidungsabhängig und als Auf-
gabe in das individuelle Handeln jedes einzelnen gelegt wird. Die Anteile der prin-
zipiell entscheidungsverschlossenen Lebensmöglichkeiten nehmen ab und die Antei-
le der entscheidungsoffenen, selbst herzustellenden Biographie nehmen zu. Indivi-
dualisierung von Lebensläufen heißt also hier [...]: sozial vorgegebene Biographie
wird in selbst hergestellte und herzustellende transformiert, und zwar so, daß der
einzelne selbst zum ‚Gestalter seines eigenen Lebens‘ wird und damit auch zum
‚Auslöffler der Suppe, die er sich selbst eingebrockt hat‘“ (Beck, 1983, S. 58-59).
Aus diesen Deutungen ergibt sich auch eine Erklärung für den Erfolg neuer,
digitaler Medien wie Internet und Mobiltelefon: Sie bieten ungeahnte Möglich-
keiten, als „Gestalter seines eigenen Lebens“ aktiv zu werden – etwa in Form
von Blogs und sozialen Netzwerkangeboten im Internet, aber auch in Form mo-
biler Kommunikation. Die wachsende Bedeutung dieser Möglichkeiten betonen
van Dijk (2005), Castells (2000) und Campbell (Campbell & Park, 2008), indem
sie das Aufkommen einer „Network Society“ bzw. einer „personal communica-
tion society“ voraussagen.
Wellman (1997; vgl. Wellman et al., 2005) und Diewald (1991) beschreiben
die beiden Seiten der Medaille als eine Gleichzeitigkeit eines „Verlusts von Ge-
meinschaft“ und einer „befreiten Gemeinschaft“: Automatisch Mitglied ist man
in keiner Gemeinschaft, von allein gehört man nirgends dazu. Durch eigene
Initiative aber kann man fast überall Anschluss finden.
Sollten diese Zeitdiagnosen und Prognosen auch nur teilweise richtig liegen,
so wird im Zuge des gesellschaftlichen Wandels die Fähigkeit immer wichtiger,
neue Medien als Ressource der eigenen Sozialisation einzusetzen.
Das spielerische „Beziehungsmanagement“ Jugendlicher per Handy wäre –
im Zuge des „Moratoriums Jugend“ – eine wichtige Vorbereitung auf kommende
Herausforderungen der Sozialisation im Erwachsenenalter.
2.3 Resümee
Das Anliegen der vorliegenden Arbeit wurde bereits in der Einleitung umrissen:
Ganz allgemein geht es um die Dynamik der weiteren Entwicklung von Innova-
tionen in der Zeit, nachdem sie die Entwicklungslabors verlassen haben. Im
Besonderen geht es um die Entwicklung der Mobilkommunikation im Zuge der
Diffusion und der Aneignung durch Jugendliche.
In diesem zweiten Kapitel wurde die Bedeutung dieser Frage in ihrer allge-
meinen wie in ihrer speziellen Fassung auf zwei Ebenen erörtert:
Zum einen wurde die Zuständigkeit des Faches „Kommunikationswissen-
schaft“ für diesen Problemkreis aufgezeigt. Sie ergibt sich zunächst aus der
Tatsache, dass die Entwicklung neuer Kommunikationsdienste im Rahmen
der Diffusionstheorie als Kommunikationsprozess betrachtet wird. Die Zu-
ständigkeit ist noch erhöht dadurch, dass hier Medieninnovationen das Ob-
jekt der Diffusion oder Aneignung abgeben. Aus Sicht des Faches liegt ein
besonderes Interesse bei der Frage nach der Entwicklung von Medieninno-
vationen: Bloße Analogieschlüsse, die aus allgemeinen Eigenschaften der
Medien auf deren zukünftige Entwicklung und Ausbreitung schließen, rei-
chen – auch wenn sie sich auf Erfahrungen aus der Vergangenheit stützen –
allein nicht aus. Sie werden der Dynamik von Diffusions- und Aneignungs-
28 2 Relevanz des Themas
prozessen nicht gerecht, denn diese verlaufen keineswegs linear, sie folgen
vielmehr eigenen Gesetzen.
Zum anderen wurde die gesellschaftliche Relevanz der Frage nach der Ent-
wicklung von Medieninnovationen diskutiert anhand des Forschungsobjekts
„Mobilkommunikation unter Jugendlichen“. Quantitative und qualitative
Befunde zur Nutzung der Technologie durch Jugendliche dienten als Indi-
kator für die Relevanz aus der Perspektive der Jugendlichen selbst. Diese
Befunde könnte man noch damit abtun, dass es sich schlicht um ein Mode-
phänomen handelt, dem die Jugendlichen nun einmal erlegen sind, dem aber
keine tiefere Bedeutung zukommt. Um diesem Bedenken zu begegnen wur-
den soziologische und psychologische Theorien der Sozialisation herange-
zogen. Hier wird die besondere Nutzung des Mobiltelefons durch Jugendli-
che aus den spezifischen Herausforderungen des Heranwachsenden erklärt.
Ferner beschreiben makrogesellschaftliche Ansätze die spezifischen Vor-
aussetzungen für das Heranwachsen in einer individualisierten, technolo-
gisch vernetzten Gesellschaft. Deren Anforderungen zur ständigen An-
schlussfähigkeit und Selbstpositionierung kommt das Mobiltelefon entge-
gen.
Die Ausführungen zur Bedeutung des Themas dienen nicht allein einer Rechtfer-
tigung der Themenwahl durch Aufzeigen seiner Relevanz. Sie sollen vielmehr
auch Bedeutung vermitteln in dem Sinne, dass sie zeigen, welche Rolle das Mo-
biltelefon beim Heranwachsen heutiger Jugendlicher spielt. Die folgenden Kapi-
tel bewegen sich auf der abstrakteren Ebene von Diffusions- und Aneignungs-
prozessen von Medieninnovationen insgesamt oder Innovationen ganz allge-
mein. Der Hintergrund zur Rolle von Jugendlichen wird bei den Forschungsfra-
gen, Methoden und Ergebnissen aber immer wieder als zusätzliche Verständnis-
ebene herangezogen.
3 Stand der Forschung
Die vorliegende Studie gilt einem besseren Verständnis der Entwicklung von
Innovationen ab dem Zeitpunkt, zu dem sie in Nutzerhand übergehen. Auf dieses
Ziel hin ist auch der folgende Überblick über den Forschungsstand ausgerichtet.
Vier Phasen lassen sich in der bisherigen Forschung ausmachen:
Zu Beginn untersuchten verschiedene Disziplinen – von der Anthropologie
bis hin zur Landwirtschaftssoziologie – getrennt von einander die Verbreitung
von Innovationen im Rahmen ihres jeweiligen Forschungsfelds (vgl. für eine
Übersicht Rogers, 2003, S. 39-101; E. Katz, Levin, & Hamilton, 1963).
Dann gründete Everett Rogers die „Diffusionstheorie“ als einheitliches For-
schungsprogramm im Rahmen der Kommunikationswissenschaft (Rogers, 1962,
1983, 2003, 1995; Rogers & Shoemaker, 1971). Sein Ansatz ist bis heute der
Referenzpunkt für jede sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem
Thema. Die besondere Herausforderung lag für Rogers zunächst in der Hetero-
genität der bestehenden Befunde. Er bemühte sich, diese zu allgemeinen Aussa-
gen zu generalisieren. Dabei zeigte sich aber, dass die Diffusionstheorie auf
theoretische und methodische Erweiterungen von außen angewiesen war.
In einem dritten Stadium haben diese Erweiterungen die bestehenden Kon-
zepte, Methoden und Befunde der Diffusionstheorie weiter vorangetrieben auf
der Basis quantitativer wie qualitativer Methodologie. Der Rückgriff auf den
Ansatz selbst war dabei keineswegs immer sehr direkt. Als quantitative Ansätze
mit standardisierten Methoden taten sich besonders hervor die sozialpsychologi-
schen Handlungstheorien im Anschluss an die „Theory of Reasoned Action“ (V.
Venkatesh et al., 2003; vgl. Fishbein, 1980), die Analyse sozialer Netzwerke
(Rogers & Kincaid, 1981; Valente, 2006; vgl. Wassermann & Faust, 1994) und
der „Uses-and-Gratifications“-Ansatz (O. Peters & Ben Allouch, 2005; vgl. E.
Katz, Blumler, & Gurevitch, 1974). Als qualitative Ansätze waren es insbeson-
dere die „Cultural Studies“ (Silverstone & Haddon, 1996; vgl. Hall, 1980; de
Certeau, 1988), die „Rahmenanalyse“ (Höflich, 2003; vgl. Goffman, 1974) so-
wie die sozialkonstruktivistische Techniksoziologie (Bijker, Hughes, & Pinch,
1987; Williams & Edge, 1996; Latour, 2005; DeSanctis & Poole, 1994).
Diese Initiativen bleiben aber – ähnlich den frühesten Theorien der Diffusi-
onsforschung – weitgehend isoliert. Deshalb wurde in den letzten Jahren ein
Ansatz zu ihrer Integration entwickelt. Hierin kann man die vierte Entwick-
lungsphase sehen. Eine erste Verbindung der Diffusionstheorie und ihrer Erwei-
30 3 Stand der Forschung
Erfolg in Rogers‘ Konsolidierung liegt. Damit liegt auch der Schlüssel zum Ver-
ständnis dieses Ansatzes und seiner Fortführungen in der Arbeit von Rogers.
Im ersten Abschnitt werden zunächst die theoretischen Leitlinien vorge-
stellt, an denen sich Rogers bei der Integration des heterogenen Wissenstands zur
Diffusion von Innovationen orientierte. Eine Darstellung des metatheoretischen
Dachkonzepts, aus dem er den Geltungsanspruch und das methodologische Vor-
gehen ableitete, schließt sich an. Im zweiten Abschnitt wird dann eine Übersicht
gegeben über die Methoden, die im Rahmen der Diffusionstheorie zum Einsatz
kommen. Eine Zusammenstellung der empirischen Befunde und eine kritische
Bewertung des Ansatzes runden diesen Teil ab.
3.1.1 Theorie
Schon Rogers‘ Dissertation – über die Diffusion eines neuen Sprühmittels und
einiger anderer landwirtschaftlicher Innovationen – umfasst vielerlei Hinweise
auf Innovationen aus anderen Disziplinen wie Erziehungswissenschaft, Medizin-
Soziologie und Marketing. Bei der Verteidigung seiner Schrift brachte das dem
damaligen Studenten den Vorwurf ein, er habe sich zu weit von seinem eigentli-
chen Thema entfernt und sich verstiegen in die Höhen einer allgemeinen Theorie
(vgl. Dearing & Singhal, 2006, S. 19). Später gab ihm der Erfolg gerade dieses
Kapitels Recht: Als eigenständige Publikation avancierte es zur ersten Ausgabe
von Rogers‘ späterem Standardwerk.
Nicht nur dem Vorwurf einer theoretischen Abgehobenheit sah sich Rogers
ausgesetzt. Gleichzeitig wollte er sich schützen vor dem Verdacht, sein Ansatz
sei zu wenig theoretisch und zu sehr „variablenfixiert“ (2006, S. 19). Entspre-
chende Vorhaltungen wurden in den 1960er Jahren im Anschluss an den Sozio-
logen Herbert Blumer (1956) gegenüber weiten Teilen der Sozialwissenschaft
erhoben. So wählte Rogers einen Platz in der Mitte zwischen beiden Polen: Er
bekannte sich zu dem Konzept Robert K. Mertons einer „Theorie mittlerer
32 3 Stand der Forschung
„[O]ur theoretical basis must be specific enough to be empirically testable, and our
data must test theoretical hypotheses. Theory that cannot be tested is useless, and da-
ta not related to theoretic hypotheses become irrelevant”.
Soweit liegen Rogers und mit ihm die Diffusionstheorie ganz auf der Linie des
kritischen Rationalismus. Dieser war gerade erst im Begriff, das Selbstverständ-
nis der Sozialwissenschaft zu durchdringen. Die englische Fassung von Poppers
„Logik der Forschung“ war 1959 erschienen (Popper, 1959). In seiner Umset-
zung von Mertons Konzept verließ Rogers aber – so wird sich im Folgenden
zeigen – den Boden einer kritisch-rationalistischen Theorie wieder.
Eine ständig wachsende Zahl empirischer Studien drohte seinerzeit die Dif-
fusionsforschung zu überfordern. So erschien die Entwicklung eines theoreti-
schen Dachkonzepts zur Integration der bestehenden empirischen Forschung für
Rogers die dringlichste Aufgabe. Als Motto in der zweiten Auflage von “Diffu-
sion of Innovations” wählt er deshalb ein Dictum von McGrath und Altman, das
diese Notwendigkeit alarmierend verdeutlicht4: “The rate at which empirical
results have been adequately digested and integrated into theoretical formulati-
ons has not kept pace. If we continue to generate studies at even the present rate,
without a major ‘leap forward’ in terms of integrative theory, we shall drown in
our data” (vgl. McGrath & Altman, 1966, S. 9; Rogers & Shoemaker, 1971, S.
346). Rogers‘ Antwort auf diesen Missstand ist sein Integrationskonzept der
“Meta-Forschung” (Rogers & Shoemaker, 1971), hergeleitet aus Mertons Leitli-
nie einer “Theorie Mittlerer Reichweite”. Sein Vorgehen beschreibt Rogers all-
gemein als “the synthesis of empirical research results into more general conclu-
sions at a theoretical level” (Rogers, 1983, S. 130; vgl. Rogers, 1985). Ziel dabei
ist, ein Maximum an Befunden zur Verbreitung spezifischer Innovationen in-
haltsanalytisch auszuwerten und daraus Aussagen zu gewinnen, die für Innova-
tionen im Allgemeinen Gültigkeit besitzen. Um das umfangreiche Angebot und
die breite Vielfalt der zu integrierenden Studien bewältigen zu können, macht
Rogers zwei Zugeständnisse.
Erstens verzichtet er auf das Aufstellen komplexer Modelle. Stattdessen
fasst er seine Theorie in ein Bündel bivariater Aussagen. Zur Rechtfertigung
schreibt er:
4
Allerdings beziehen sich McGrath und Altman nicht auf Diffusionstheorie, sondern auf Klein-
gruppenforschung.
3.1 Klassische Diffusionstheorie 33
„We know, for example, that more innovative individuals are often of relatively
higher socioeconomic status, as are cosmopolites (...). Then should not social status
also be included in the innovativeness-cosmopoliteness generalization? Unfortunate-
ly, it cannot be. Most of the empirical diffusion studies reviewed in this book focus
upon only two-variable hypotheses, and we cannot summarize findings that do not
exist” (Rogers, 1983, S. 131).
In ihrer derzeitigen Gestalt beruht die Diffusionstheorie zu einem großen Teil auf
einem rein induktiven Vorgehen: Aus der bereitstehenden Literatur werden Ge-
neralsierungen abgeleitet, diese werden dann auf der Basis weiterer Publikatio-
nen bewertet5. So hat sich mit der Zeit ein Kanon an diffusionstheoretischen
Forschungsfragen und zugehörigen Befunden herausgebildet. Dabei geht es etwa
um die Merkmale früher Übernehmer und die Merkmale erfolgreicher Innova-
tionen.
Daneben aber hat Rogers der Diffusionstheorie durchaus eine theoretische
Heimat gegeben: Er ordnete sie dem jungen Fach der Kommunikationswissen-
schaft („mass communication research“) zu. Er definierte Diffusion als den Pro-
zess, in dem eine Innovation kommuniziert wird (Rogers, 2003, S. 5), eben als
einen Kommunikationsprozess. Zwar konnten große Teile der bestehenden Ge-
neralisierungen nicht systematisch einem theoretischen Konzept zugeführt wer-
den (E. Katz, 1999; Schenk, 2002). Theoretische Anknüpfungs- und Entwick-
lungsmöglichkeiten waren aber dennoch damit geschaffen.
Seinen Diffusionsbegriff lehnte Rogers an das „S-M-C-R-E“-Modell von
Lasswell („Source“ [Quelle] =>“Message“ [Botschaft] =>“Channel“ [Kanal]
=>“Receiver“ [Empfänger] =>“Effects“ [Wirkungen]) (Lasswell, 1948; Rogers
& Shoemaker, 1971, S. 20; vgl. Schenk, 2002, S. 373-374).
Dabei entspricht
der Quelle der Erfinder oder Wissenschaftler (oder als Grenzfall ein erster
Nutzer),
der Botschaft die Innovation,
dem Kommunikationskanal die massenmediale und interpersonale Kommu-
nikation über die Innovation,
5
Rogers war selbst auch als empirischer Forscher in hohem Umfang aktiv (vgl. Rogers, 1958a,
1993; Rogers, Dearing, Meyer, Betts, & Casey, 1995). Im Vergleich zu den Tausenden an Publi-
kationen zum Thema aus der Literatur, denen im Sinne der Meta-Forschung der gleiche Wert
zukam, fällt diese Feldarbeit allerdings kaum ins Gewicht.
3.1 Klassische Diffusionstheorie 35
In späteren Auflagen distanziert Rogers sich wieder von dem linearen Denken
dieses Modells, und er betont, dass Kommunikation als wechselseitiger Prozess
zu verstehen ist (Rogers, 2003, S. 6). In der Entwicklung der Diffusionsfor-
schung spiegelt sich dieses Umdenken aber nur marginal wider: Als Zugeständ-
nis an ein gewandeltes, wechselseitiges Konzept von Kommunikation wird das
Konzept der Reinvention eingeführt (Rogers, 1993; Rogers & Kincaid, 1981;
vgl. Schenk, Dahm, & Sonje, 1996).
Als zweites theoretisches Konzept aus der Kommunikationswissenschaft
übernahm Rogers von Beginn an das Modell eines „Two Step Flow“ der Kom-
munikation. In den 1950er Jahren stellte es den theoretischen „State of the Art“
dar (Lazarsfeld, Berelson, & Gaudet, 1944). Dieses Modell ermöglichte es, die
Befunde aus der Landwirtschaftssoziologie zum Einfluss von massenmedialer
und interpersonaler Kommunikation bei der Übernahme von Innovationen auf-
zugreifen. Schon Ryan und Gross, die diese Daten zusammengetragen hatten
(Ryan & Gross, 1943), hatten festgestellt, dass manche Farmer sich damit her-
vortaten, dass sie besonders früh den neuen Hybridmais übernahmen. Das waren
Farmer mit vornehmlich kosmopolitischer Lebensführung sowie solche, die auch
landwirtschaftliche Fachzeitschriften lasen. Farmer aus ihrer Umgebung orien-
tierten sich dann an diesen Leitfiguren.
36 3 Stand der Forschung
Die Agrarsoziologen selbst waren – wie Katz anmerkt – nie auf die Idee ge-
kommen, dass Farmer eventuell nicht mit anderen Farmern sprechen könnten (E.
Katz, 1999, S. 147), und sie hatten diesem Befund so kaum Bedeutung zugemes-
sen. Rogers konnte ihn dagegen einordnen in die fachliche Entwicklungslinie des
„mass communication research“. Ausgehend von einem Paradigma der Rezipien-
ten als atomisierter Masse, war diese gerade bei der Feststellung eines zweistufi-
gen Kommunikationsprozesses angekommen, und von dort wies sie weiter in
Richtung einer systematischen Untersuchung von interpersonalem Einfluss im
sozialen Netzwerk. So setzte Rogers im Rahmen der Diffusionstheorie neue
Schwerpunkte: Die Identifikation von Meinungsführern (Rogers & Cartano,
1962), die Evaluation massenmedialer und interpersonaler Einflüsse auf die
Adoptionsentscheidung (Rogers, 1958b) und – wenigstens ansatzweise – die
Erforschung von Diffusion im Rahmen sozialer Netzwerke (Rogers & Kincaid,
1981).
Dieser Rahmen erlaubte es letztlich auch, manche seit Gabriel de Tarde
(2003 [1890]) notorischen Befunde der empirischen Diffusionstheorie theore-
tisch einzuordnen. Dazu zählt insbesondere der s-förmige Verlauf der Diffu-
sionskurve, der sich in der Ausbreitung von Epidemien ergibt. Ein großer Teil
der Diffusionstheorie – so, wie sie sich in Rogers‘ Generalisierungen darstellt
und wie sie in Lehrbüchern wiedergegeben wird – läuft dennoch hinaus auf blo-
ße Auflistungen von Faktoren oder auch Heuristiken, die weitgehend losgelöst
von theoretischen Modellen schlicht empirische Befunde induktiv (und intuitiv,
vgl. Rogers, 1983, S. 132) zusammenfassen (Rogers, 1985, 1983; vgl. E. Katz,
1999).
Dazu gehört die Übersicht über diejenigen Faktoren, die eine Übernahme-
entscheidung beschleunigen. Derartige Faktoren finden sich auf Seiten von In-
novationen (Generalisierungen 6.1-6.5 [Rogers, 2003, S. 265-266]), bei Über-
nehmern (Generalisierungen 7.2-7.26 [Rogers, 2003, S. 297-299]) und bei sozia-
len Systemen (Generalisierungen 8.1-8.13 [Rogers, 2003, S. 362-364]). Auch die
Unterscheidung von Übernehmertypen nach Zeitpunkt der Adoption (Rogers,
2003, S. 282-284) ist so zu sehen als eher bloßes Aufzählen. Hinzu kommen
schließlich Angaben, wie Innovationen sich in Organisationen verbreiten (Gene-
ralisierungen 10.1-10.5 [Rogers, 2003, S. 433-435]) und wie gezielte Interven-
tionen von „change agents“ (Vertretern oder Verkäufern) die Übernahme be-
schleunigen können (Generalisierungen 9.1-9.12 [Rogers, 2003, S. 400-401]).
All diese Betrachtungen beschränken sich jeweils auf bivariate Zusammenhänge
bzw. Auflistungen dieser Zusammenhänge, ganz so wie das Konzept der Meta-
Forschung es verlangt (Rogers, 1983, S. 131).
Ansätze zu komplexeren Modellierungen, deren Anspruch über diese biva-
riaten Modelle hinausgeht, lassen sich im Umfeld der Diffusionstheorie aller-
3.1 Klassische Diffusionstheorie 37
dings durchaus finden. Das reicht von einer simplen Verknüpfung dreier Kon-
strukte bis zur Integration des gesamten Ansatzes in ein neues Theoriegerüst. So
hat Venkatraman im Kleinen Zusammenhänge zwischen Übernehmermerkmalen
und Innovationsmerkmalen im Hinblick auf die Übernahmewahrscheinlichkeit
identifiziert (Venkatraman, 1991). Damit konnte er zeigen, dass frühe Überneh-
mer ihre Prioritäten bei Attributen der Innovationen ganz anders setzen als späte
Übernehmer. Ferner haben Lin und Zaltman (1973) ein theoretisches Modell
entwickelt, um die von Rogers schlicht aufgelisteten adoptionsrelevanten Attri-
bute von Innovationen den drei theoretisch begründeten Dimensionen „Aktivi-
tät“, „Bewegung“ und „Stärke“ zuzuordnen.
Im Großen hat Schmidt (1976) eine soziologische „Alternative zum Integra-
tionsversuch von Rogers“ entwickelt mit der Strategie, „allgemeinere Theorien
zu suchen und mit diesen die heterogenen Hypothesen weniger allgemeiner Art
zu erklären“. Dieser Versuch einer Integration der „bei Rogers unzusammenhän-
genden Hypothesen“ verweist auf frühere Ansätze etwa von Hummel und Opp
(1973).
Die angeführten Ansätze einer punktuellen oder übergreifenden Differen-
zierung der Konzepte der Diffusionstheorie haben sich jedoch keineswegs
durchgesetzt, sie fanden in der Diffusionsforschung weder eine theoretische
Integration noch auch nur Nachhall. So fällt auch die Bilanz von Katz (1999, S.
146-147) aus: „I may be wrong, but I think the best we can say about diffusion
theory is that there is a more or less agreed paradigm – better, an accounting
scheme – that allows for the classification of the wide variety of available case
studies [...] what we have is a set of tools for making generalizations possible,
providing that somebody is willing to do the work.”
Folgt man Dearing und Singhal (2006, S. 20), so hat Rogers eine Beschrän-
kung in der theoretischen Unterfütterung selbst angestrebt in Sorge um genügend
Freiraum zur induktiven Integration der vielfältigen Befunde zur Diffusion. Ge-
rade dieses Anliegen sprach auch dafür, als Heimstatt der Diffusionsforschung
die noch wenig entwickelte Disziplin der Kommunikationswissenschaft zu wäh-
len:
was sufficiently new and undetermined so as to suit the proclivities of such a pur-
suit.”
3.1.2 Methoden
Zweifellos tauchen auch andere Methoden auf: Zusätzlich zum Sammeln quanti-
tativer Daten wurden im Rahmen von Diffusionsstudien auch Leitfadeninter-
views mit potentiellen Übernehmern durchgeführt (Anderson & Kanuka, 1997).
Anstelle einer Beschränkung auf einzelne Innovationen wurden auch Technolo-
giecluster untersucht (Silverman & Bailey, 1961). Es wurden Daten auch über
Verhaltensspuren erhoben, und zwar an Hand von „Logfiles“ zur Adoption von
Online-Foren (Anderson & Kanuka, 1997). In einer Langzeitanalyse wurde die
Einstellung von Übernehmern zu technologischen Innovationen vor und nach der
Übernahme gemessen (Karahanna, Straub, & Chervany, 1999).
3.1 Klassische Diffusionstheorie 39
Diese Studien stellen aber handverlesene Ausnahmen dar, die im Rahmen der
Diffusionstheorie kaum rezipiert und noch weniger nachgeahmt wurden. Einen
Grund für dies Geringachtung sieht Meyer in der theoretischen Begrenztheit der
Diffusionstheorie: „When considering the methods that have become institutio-
nalized in diffusion research, one cannot help but wonder whether the research
questions asked over time have limited the methods selected, or rather if the
methods established early on have restricted the research questions asked”. Wo
auch immer der Ursprung liegt, Meyers Beschreibung lässt sich als ein Teufels-
kreis lesen zwischen theoretischer und methodischer Stagnation.
Selbst wenn man die Methoden betrachtet, die in der Untersuchung der be-
stehenden Forschungsfragen zum Einsatz kommen, so zeigt sich ein Stillstand
auf der Ebene der Operationalisierung und der empirischen Maße.
Moore und Benbasat (1991) haben eine Skala zu den fünf Attributen von
Innovationen für den Bereich von PCs systematisch entwickelt, und diese wurde
auch auf andere Innovationen angewendet (so im Hinblick auf „e-learning“-
Websites, wo „relative advantage“ und „compatibility“ die entscheidenden Attri-
bute waren [H.-P. Lu, Liu, Yuan, & Liao, 2005]). Auf Seiten der klassischen
Diffusionstheorie fanden derartige Entwicklungen jedoch kaum Beachtung.
Die stärksten systematischen Bemühungen zur Standardisierung innerhalb
der Diffusionsforschung lassen sich noch bei der Identifizierung von Meinungs-
führern feststellen (für eine Übersicht, vgl. Rogers, 2003, S. 308-325). Rogers
(2003, S. 308-312) unterscheidet hierzu vier Vorgehensweisen: Soziometrische
Verfahren (Valente & Davis, 1999; vgl. Schenk, 1983), Einschätzung durch
„Experten“, die das Netzwerk kennen (Buller et al., 2001), Selbsteinschätzung
(Nisbet, 2006; Noelle-Neumann, 1985; Noelle-Neumann, Haumann, & Petersen,
1999) und schließlich Beobachtung (Kelly et al., 1997). Eine maßgebliche Skala
als gemeinsame Referenz der Diffusionsforschung hat sich allerdings auch hier
nicht etabliert (vgl. Abschnitt 3.1.3.3, S. 42 und Abschnitt 5.3.2.2, S. 160).
3.1.3 Befunde
Das Grundprinzip der „Meta-Forschung“ läuft hinaus auf das Katalogisieren von
Generalisierungen. So lassen sich die Befunde dieses Ansatzes zum heutigen
Zeitpunkt genau bilanzieren. Die aktuelle Ausgabe von „Diffusion of Innova-
tions“ listet sie auf in Form von 86 Generalisierungen (Rogers, 2003).
In der folgenden Übersicht wird der Schwerpunkt auf diejenigen Generali-
sierungen gelegt, die für die vorliegende Arbeit zentral erscheinen, bei denen
also ein Bezug besteht zu der Frage, in welcher Weise Innovationen sich inner-
halb sozialer Netzwerke ausbreiten. Innerhalb dieses Rahmens werden Aussagen
gemacht im Hinblick auf (a) die Eigenschaften von Innovationen und (b) die
40 3 Stand der Forschung
Der „observability“ kommt insgesamt die geringste Bedeutung zu, dem „relative
advantage“ und der „compatibility“ die höchste.
Der Wert einer solchen Generalisierung steht unter dem Vorbehalt der Ver-
gleichbarkeit der mit unterschiedlichen Maßen erhobenen Befunde. Für eine
differenziertere Betrachtung – etwa im Hinblick auf unterschiedliche Medienty-
pen – reicht der Bestand an vergleichenden Studien nicht aus.
3.1.3.3 Kommunikationskanäle
3.1.3.4 Zeit
Die zeitliche Abfolge nimmt die klassische Diffusionstheorie sowohl auf der
Ebene individueller Adoption als auch auf der Ebene sozialer Diffusion ins
Blickfeld
3.1 Klassische Diffusionstheorie 43
In der Phase der Implementierung kann es zur „Reinvention“ kommen, das ist
eine konstruktive Abwandlung der Innovation durch den Übernehmer. Dieser
Prozess kommt der Diffusion einer Innovation allgemein entgegen. Er ermög-
licht eine flexible Anpassung an die spezifischen Bedürfnisse der Übernehmer
und damit eine schnelle Verbreitung. Zum anderen kommt der Integration im
jeweiligen Kontext der Übernahme eine stärkere Nachhaltigkeit zu (Rogers,
2003, S. 179-188, 1993; vgl. Glick & Hays, 1991; Hays, 1996a, 1996b; Rice &
Rogers, 1980).
Als Anhaltspunkt zur Differenzierung der Übernehmertypen orientiert Ro-
gers sich an der Normalverteilungskurve. Sie gibt die zeitliche Zuwachsrate der
Anzahl der Übernehmer näherungsweise wieder. Auf der Grundlage des Mittel-
werts – als dem Zeitpunkt, zu dem die Übernahme gerade „boomt“ – und der
Standardabweichung unterscheidet Rogers fünf Gruppen: Diejenigen, für die der
Zeitpunkt der Übernahme der Innovation mehr als zwei Standardabweichungen
vor dem Mittelwert liegt, gelten als Innovatoren. Diejenigen, die mit ihrer Über-
44 3 Stand der Forschung
Zeit
Die quantitative Verbreitung einer Innovation lässt sich durch die logistische
Funktion beschreiben. Der Verlauf ihres Graphen ist s-förmig (Rogers, 2003, S.
272-274).
Zahl/Anteil der Übernehmer (kumuliert)
Zeit
Abbildung 5: Diffusionskurve
sich über direkte und indirekte Netzwerkeffekte erfassen (M. L. Katz & Shapiro,
1985, 1994):
Direkte Netzwerkeffekte stellen sich ein, wenn der Wert einer Innovation
mit der Anzahl der Nutzer unmittelbar zunimmt. Dies ist etwa bei vernetz-
ten Kommunikationstechnologien der Fall: Je mehr Menschen aus dem ei-
genen Umfeld ein Telefon, ein Faxgerät oder ein Konto auf einer spezifi-
schen „Social Networking“-Plattform haben, desto größer wird der Nutzen,
den man hat, wenn man diese Innovation auch übernimmt.
Indirekte Netzwerkeffekte ergeben sich aus Vorteilen, die über den Markt
vermittelt werden. So kann etwa eine höhere Nutzerzahl einer Innovation in
der Produktion Einsparungen durch Skaleneffekte ermöglichen. Diese er-
lauben dann ein günstigeres Angebot.
Beides erhöht jeweils den relativen Vorteil der Innovation (Rogers, 2003, S. 343-
362). Eine Zunahme der Nutzerzahlen kann sich aber auch förderlich auf die
„compatibility“ einer Innovation auswirken – da sich auch die Normen und die
Infrastruktur eines sozialen Systems mit zunehmender Nutzerzahl adoptionsför-
dernd verändern, sowie auf die „observability“ – da die meisten Innovationen
mit zunehmender Verbreitung schlicht häufiger gesichtet werden.
Diese Einflüsse heben die Symmetrie im Verlauf der Diffusionskurve auf:
Die Kurve ist im hinteren Bereich in t-Richtung gestaut, der Anstieg ist erhöht –
entsprechend einer Beschleunigung der Zunahme. Bei der Glockenkurve der
Normalverteilung fällt der Bereich der „Late Majority“ und der „Laggards“
schmaler und höher aus: Das Erreichen des Endbestands wird zeitlich vorgezo-
gen.
Belege für den Einfluss von Netzwerkeffekten auf die Diffusion neuer
Kommunikationstechnologien liegen vor insbesondere zum Telefon (Markus,
1987) zu Modems und Faxgeräten (Antonelli, 1990; Markus, 1987), zu Video-
formaten (R. Beck, 2006; Liebowitz & Margolis, 2001) und zu dem frühen fran-
zösischen Kommunikationsnetzwerk Minitel, aber auch zu den Angeboten
„ISDN“ und „Teletext“ in Deutschland (Schoder, 2000).
In Sonderfällen lässt sich ein Schwellenwert ausmachen, ab dem die Netz-
werkeffekte die Verbreitung einer Innovation sprunghaft antreiben. Dann spricht
man von einer „kritischen Masse“ (Allen, 1988; Markus, 1987). Erst der Spiel-
theoretiker Schelling erklärte das Phänomen in seinem Werk „Micromotives and
Macrobehavior“ (Schelling, 1978), und zwar als eine sprunghafte Wirkung der
Interdependenz menschlichen Handelns. Der Terminus ist der Atomphysik ent-
lehnt. Dort kann das Zusammenkommen einer kritischen Masse im Zuge einer
Kettenreaktion eine selbsttragende Dynamik auslösen (Schelling, 1978).
Im Hinblick auf Innovationen bedeutet es, dass im Zuge des Diffusionspro-
zesses ein Grenzwert von Übernehmern erreicht werden kann, der für andere
46 3 Stand der Forschung
3.1.4 Kritik
Die Kritik, die im Laufe der letzten 40 Jahre zur Diffusionstheorie vorgetragen
wurde, konzentrierte sich auf zwei Punkte: Zum einen wurde ganz allgemein
eine theoretische und methodologische Stagnation beklagt. Zum anderen wurde
konkret Rogers methodologisches Verfahren der „Meta-Forschung“ – mit dem er
die Diffusionstheorie überhaupt erst konsolidierte – generell in Frage gestellt.
Die epistemologische Kritik am Grundansatz wurde schon von Beginn an
von außen gegen die Meta-Forschung vorgebracht. In den letzten Jahren hat sich
eine Unzufriedenheit über die theoretische und methodische Entwicklung des
Ansatzes nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der Diffusionstheorie
breitgemacht. Rogers schrieb selbst im Vorwort der dritten Ausgabe: “We do not
need ‘more-of-the-same’ diffusion research” (Rogers, 1995, S. xvii). Katz (1999,
S. 145) schreibt dies einem mangelnden theoretischen Fortschritt zu. Er beklagt:
“the number of diffusion studies continues at a high rate while the growth of
appropriate theory is at an apparent standstill”. Meyer (G. Meyer, 2004) schließt
auch die Methodologie in seine Kritik ein, wenn er – wie bereits zitiert – einen
Teufelskreis skizziert zwischen immer gleich bleibenden Forschungsfragen und
gleichbleibender Methode.
Im Folgenden werden zunächst die Hauptpunkte der theoretischen und der
methodischen Kritik referiert. Dann wird noch einmal auf die epistemologische
Kritik eingegangen: Sie hält eine tiefer gehende Erklärung für die Kritik bereit.
Die theoretische Stagnation wird festgemacht zum einen daran, dass das Niveau
der theoretischen Elaboration der einzelnen Generalisierungen durchgehend nie-
drig geblieben ist. Zum anderen wird konstatiert, dass eine Aktualisierung der
zugrunde gelegten kommunikationswissenschaftlichen Theoriemodelle nicht
zustande gekommen ist.
3.1 Klassische Diffusionstheorie 47
„It may indeed be that for some classes of diffusion the normal frequency or logistic
may be found to be more than interesting analogies, but at best this could be true on-
ly of limited types of diffusion, i.e. where the methodological assumptions underly-
ing those curves are identical with conditions of social interaction basic to the trait’s
spread”.
Goldsmith und Hofacker (1991) bemängeln das Fehlen eines inhaltlichen Zu-
sammenhangs mit dem latenten Konstrukt der „Innovativeness“. Bowden und
Corkindale (2005) merken an, eine Charakterisierung der Innovatoren als frühes-
te Übernehmer sei schlicht tautologisch.
Schließlich müssen auch die Aussagen zur Bedeutung der sozialen Stellung
von Übernehmern als wenig systematisch angesehen werden. So finden sich
schwer abgrenzbare Generalisierungen dazu an ganz verschiedenen Stellen:
In der Auflistung von Attributen der Übernehmer von Innovationen nennt
Rogers den sozialen Status (Generalisierung 7-5) sowie soziale Partizipation
(Generalisierung 7-18) als Kriterien.
„Sozialer Status“ und „soziale Partizipation“ sind ebenfalls Merkmale von
Meinungsführern (Generalisierungen 8-6 und 8-7), die sich ihrerseits durch frühe
Übernahme auszeichnen.
48 3 Stand der Forschung
Ein Grund für die Zurückhaltung der Diffusionsforschung mag hier in Fol-
gendem liegen: Ein konsequentes Eingeständnis dessen, dass die Nutzer selbst
aktiv sind, hätte den Kanon der Methoden und der theoretischen Konzepte
gründlich in Frage gestellt, insbesondere den Begriff der Innovation in seiner
statischen Verankerung und den der Adoption in seiner dichotomen Interpretati-
on. Gerade diese beiden Begriffe sind aber für die – in der Diffusionstheorie
wesentliche – Betrachtung von Diffusionsverläufen auf aggregierter Ebene zen-
tral. Rammert (1993, S. 245) kritisiert das statische Denken der Diffusionsfor-
schung schon am Beispiel des klassischen Telefons:
„Kann man zum Beispiel realistisch voraussetzen, daß es bei [der] Diffusion immer
um die gleiche Technik geht? Die einzelnen Geräte, wie im ersten Patent von Bell
beschrieben, der erste funktionierende Bellsche Apparat, der spätere Wechselspre-
cher, der Apparat mit Netzanschluss und das moderne Telefon mit automatischem
Selbstwähldienst unterscheiden sich erheblich voneinander. In den Diffusionstheo-
rien werden sie einfach identisch gesetzt.“
Was Rammert bereits in Bezug auf die von Angebotsseite wandelnde Technolo-
gie des Telefons betonte, das gilt noch viel mehr für Innovationen, die von ihren
Nutzern weiterentwickelt werden. Genau das ist aber etwa beim Mobiltelefon der
Fall.
Es bleibt festzuhalten: Die Diffusionstheorie ist zunehmend dem Vorwurf
ausgesetzt, dass sie festgelegt ist auf ein lineares Konzept der Diffusion und ein
statisches Konzept der Innovation (Rammert, 1993; Flichy, 1995; Karnowski et
al., 2006).
Vertreter der Diffusionsforschung erkennen diese Kritik heute durchaus an.
So gestehen Dearing und Meyer (Dearing & Meyer, 2006, S. 30) in Bezug auf
das heutige Verständnis von Diffusion zu: „[It] positions adopters in a reactive
role as socially-connected receivers and evaluators of new ideas and objects“.
wie sie schon in der frühesten Diffusionsforschung von Tarde (2003 [1890])
kam, d) quasi-experimentelle Designs (etwa in Form von Feldstudien anhand
von Innovationen, die sich noch in der Frühphase ihrer Diffusion befinden), und
e) die Integration qualitativer Methoden.
Die Tatsache, dass derartige Methoden nicht zum Einsatz kommen, erklärt
Meyer aus einem mangelnden Bedarf an methodologischen Innovationen. Dieser
wiederum resultiere daraus, dass der Kanon der Forschungsfragen nicht ausge-
weitet wird.
Diese Vermutung lässt sich auch anhand seiner Vorschläge erhärten: Es gibt
Anlass zu erwarten, dass ihre Umsetzung wenig Resonanz in der Diffusionsfor-
schung finden würde. Für einen seiner Vorschläge regt Meyer an:
Ähnliches wurde schon von einer Vielzahl an Forschern mit weniger aufwendi-
gen Methoden unternommen (vgl. Moore & Benbasat, 1996; Leung & Wei,
1999; Cestre & Darmon, 1998; H.-P. Lu et al., 2005; Holak, 1988; Holak &
Lehmann, 1990; Tornatzky & Klein, 1982; V. Venkatesh et al., 2003) (vgl. Kapi-
tel 3.1.3). Die Ergebnisse fanden jedoch kaum Nachhall, und zwar vermutlich
aus dem einfachen Grund, dass sie nicht auf die heutigen bivariaten Generalisie-
rungen der Diffusionstheorie anzuwenden waren.
Bessere empirische Instrumente werden aber auch innerhalb der bestehenden
Forschungsfragen und Generalsierungen der Diffusionstheorie benötigt. Ins-
besondere standardisierte Skalen, die für die grundlegenden Konstrukte wie
Attribute von Innovationen oder Nutzern anzuwenden wären, fehlen noch im-
mer. Gerade für einen Ansatz, der sich auf den Vergleich tausender Studien
stützt, wären solche Standards notwendig. Die Versuche, etwas derartiges durch-
zusetzen, fanden allenfalls am Rande statt (Moore & Benbasat, 1991). So kann
der heutige Diffusionsforscher nicht auf ein Instrumentarium zurückgreifen, das
eine Überprüfung und den Nachvollzug anderer Studien ermöglicht. Liegen
keine Skalen vor, so ist auch eine Akkumulation von Befunden fragwürdig.
Schmidt (1976, S. 14) verweist auf die wissenschaftstheoretische Dimension
dieser Problematik:
gleichbar sind, scheint oft mehr als fraglich. Wenn aber die Messungen verschieden
sind, kann man nicht mehr vom Test der gleichen Hypothese in verschiedenen Ge-
sellschaften reden. In Wirklichkeit sind dann unterschiedliche Hypothesen getestet
worden“.
Will man nicht jede der beiden Stagnationen – die theoretische und die methodo-
logische – jeweils auf die andere zurückführen, so muss man eine Ebene tiefer
gehen und dort Ursachen für beide Probleme aufspüren. Bereits mit den letzten
Überlegungen des Vorkapitels drängte sich der Verdacht auf, dass diese Ursa-
chen in der metatheoretischen Ausrichtung von Rogers liegen, in seinem Ansatz
der Forschung als „Meta-Research“.
Rogers‘ Form der Metaanalyse als „Meta-Research“ war in den 1960er Jah-
ren weit verbreitet. Die Vertreter des kritischen Rationalismus – der sich in die-
ser Zeit gerade Bahn brach – betrachteten dieses Vorgehen als Unsitte. So kriti-
siert Glass in einer allgemeinen Stellungnahme (1976, S. 4):
„These are praiseworthy attempts to cope with large and perplexing bodies of litera-
ture. But the methodologies we have applied have been too weak for the complexity
of the problem. Measurement of the outcomes of the studies have typically been di-
chotomous: statistically significant vs. non-significant. Few properties of the studies
have been related to outcomes, and examination of relationships has made use of
simple two-factor crosstabulations instead of more versatile multivariate techniques.
The methodology in widest use is the voting method of tabulating study results. Sta-
tistically significant vs. non-significant findings are classified by one, or perhaps
two, attributes of the studies”.
Der Vorwurf einer oberflächlichen „voting method“ zielt insbesondere auf eine
Vernachlässigung der methodologischen Rahmenbedingungen, unter denen die
zusammengefassten Ergebnisse zustande gekommen waren (Unterschiede insbe-
sondere in den Fassungen der Indikatoren wie auch in den Stichprobengrößen).
Gegen ein solches Verfahren spricht nicht nur das Argument von Schmidt (1976,
S. 14), Hypothesen, die nicht garantiert gleich operationalisiert wurden, seien
potentiell unterschiedliche Hypothesen. Dagegen sprechen auch die Gefahren
einer Verzerrung, die Studien mit größeren Stichproben begünstigt, da diese eher
52 3 Stand der Forschung
3.1.5 Resümee
Mit dieser Diagnose ist auch ein Ansatz für eine Therapie leicht gefunden: Man
muss in die Tiefe gehen. Dafür bieten sich zwei Herangehensweisen an, die
jeweils mit eigenen Forschungsfragen und Methoden verbunden sind. In Gegen-
überstellung werden sie gemeinhin charakterisiert als „qualitative“ versus „quan-
titative“ Methoden (Punch, 1998; Kelle, 2007; Lamneck, 2005). Im Folgenden
wird einführend dieses Gegensatzpaar erläutert. Vorgestellt werden dann zu-
nächst als quantitative Ansätze Sozialpsychologische Handlungstheorien, die
54 3 Stand der Forschung
„Der Ethnograph [...] wird […] zweckmäßigerweise mit dem quantitativen Verfah-
ren erst dann zu arbeiten beginnen, wenn er bereits einen guten Überblick über die
Kulturwandelsituation in dem von ihm zu erforschenden Gebiet gewonnen hat.“
Verlässt man sich aber bei der Betrachtung neuer, fremder Phänomene von Be-
ginn an allein auf quantitative Forschung, so droht man abzugleiten in ein „Nar-
56 3 Stand der Forschung
Quantitative Ansätze, die sich zur Überwindung der theoretischen und der me-
thodischen Stagnation der Diffusionsforschung anbieten, sind
die sozialpsychologische Handlungstheorie (Ajzen, 1985; Fishbein, 1980,
1967; Ajzen, 2005; Ajzen & Fishbein, 1975) zur Analyse individueller
Adoptionsentscheidungen auf der Mikroebene,
die Analyse sozialer Netzwerke zur Erforschung der Verbreitung von Adop-
tionsentscheidungen innerhalb sozialer Netzwerke (Wassermann & Faust,
1994), und
der „Uses-and-Gratifications“-Ansatz (Dimmick, Sikand, & Patterson,
1994; E. Katz et al., 1974; Palmgreen & Rayburn, 1985; Ruggiero, 2000)
zur Untersuchung des breiten Spektrums an Funktionen, die Nutzer Innova-
tionen im Zuge von deren Implementierung zuweisen können.
Die Darstellung dieser Ansätze geht auf den jeweiligen theoretischen Hinter-
grund ein sowie auf die wichtigsten Konzepte und Methoden im Hinblick auf die
weitere Entwicklung von Innovationen in Nutzerhand.
Budd, North, & Spencer, 1984) oder des Verhaltens in Gesundheitsfragen (Art
der Ernährung von Säuglingen; Manstead, Proffitt, & Smart, 1983).
Im Folgenden werden zunächst die sozialpsychologischen Handlungsmo-
delle vorgestellt mit ihren jeweiligen Anwendungen zur Erklärung von Adopti-
onsverhalten. Eine kritische Würdigung ihres Beitrags zur Diffusionstheorie
schließt sich an.
Der innerste theoretische Kern, aus dem alle im Folgenden vorgestellten so-
zialpsychologischen Handlungsmodelle abgeleitet sind, ist ein gemeinsames
Grundmodell zur Erklärung von Einstellungen gegenüber Objekten oder Hand-
lungen. Dieses Modell sieht die Einstellung eines Menschen determiniert durch
zwei Komplexe: Zum einen sind es die Erwartungen bezüglich der Eigenschaften
des fraglichen Objekts bzw. der Konsequenzen der Handlung, zum anderen sind
es die zugehörigen Bewertungen: Einstellungen resultieren – im Sinne eines
Menschenbilds des homo oeconomicus – aus einem rationalen Abwägen (Persky,
1995).
tor auf das Verhalten selbst. In seiner Urform erschien dies Modell als „Theory
of Reasoned Action“ (TRA) (Ajzen & Fishbein, 1975) (Abbildung 6).
Relative
importance Intention Behaviour
of attitudinal
and normative
The person’s beliefs
that specific individuals
or groups think he/she
should or should not
perform the behaviour Subjective norm
and his/her motivation
to comply with
the specific referents
Nimmt man nun als zu erklärendes Verhalten die Adoption einer Innovation, so
lässt sich dieses Modell auch im Rahmen der Diffusionstheorie verwenden.
Während in den meisten Diffusionsstudien Nutzer um die Bewertung einer
Innovation gebeten werden, geht es hier um die Bewertung einer möglichen
Handlung. Diese Sichtweise rückt die Adoptionsentscheidung noch näher an das
Denken des Nutzers heran und verhindert Rationalisierungen über den Wert
einer Innovation „im Allgemeinen“.
Die beiden meistzitierten Anwendungen dieses Modells auf Adoptionsent-
scheidungen (Moore & Benbasat, 1996; Karahanna et al., 1999) verbinden die
Theorien, indem sie Rogers‘ fünf Attribute als Erwartungen gegenüber dem
Adoptionsverhalten ansehen. Einzelne Faktoren werden angepasst, gegebenen-
falls werden andere Faktoren hinzugenommen. Bewertungen der Erwartungen
werden nicht berücksichtigt. So bleibt als substanzielle Erweiterung gegenüber
Rogers‘ Attributen nur die subjektive Norm als zweite Ebene des TRA-Modells.
Als exemplarisch gelten kann die Studie von Karahanna et al. (1999). Hier
geht es um die Adoption des Betriebssystems Windows 3.1 bei den Angestellten
eines US-amerikanischen Finanzunternehmens.
3.2 Vertiefende Ansätze 59
Image
Perceived
Voluntariness
Visibility
Result de-
Attitude toward
monstrability
Adopting Behavioral
Intention to
adopt
Top Subjective Norm
management toward Adopting
Supervisor
Peers
Abbildung 7: Integration von TRA und “Innovation Attributes” (Karahanna et al., 1999, S. 197-198)
60 3 Stand der Forschung
Die genannte Studie veranschaulicht auch noch einmal den Mehrwert eines
TRA-basierten Ansatzes gegenüber der klassischen Diffusionstheorie. Anhand
der dargestellten Konstrukte wurden die Einstellungen der Befragten vor und
nach der Übernahme der Innovation erhoben und miteinander verglichen. Auf
der Basis von klassischer Diffusionstheorie hätte ein solches Vorgehen höchstens
unterschiedliche Bewertungen im Hinblick auf die Innovation festmachen kön-
nen sowie eine gestiegene Adoptionsrate. Das TRA-Modell dagegen ermöglicht
es, den Einfluss von Erwartungen bezüglich der Übernahmeentscheidung zu
vergleichen mit dem Einfluss von Normen. Die Studie von Karahanna et al.
(1999) zeigt, dass vor der Übernahme die Normen als Einflussfaktor dominieren,
während für die Bestätigung der Übernahmeentscheidung die Einstellung auf
Basis eigener Erfahrungen zum wichtigsten Faktor wird.
Die Integration von Rogers‘ Innovationsattributen in die „Theory of Reaso-
ned Action“ stellt zweifellos einen Gewinn an Elaboration dar. Dennoch hat sich
dieser Ansatz nicht zur Erklärung von Adoptionsverhalten durchgesetzt. Dies
mag teilweise darauf zurückgeführt werden, dass der Erwartungs-Bewertungs-
Ansatz nicht konsequent umgesetzt wurde insofern, als Einstellung und subjekti-
ve Norm allein auf Erwartungen zurückgeführt wurden.
Ein anderer wichtiger Grund für den Mangel an Erfolg liegt in einer Be-
schränkung der „Theory of Reasoned Action“ selbst: Verhalten wird erklärt
allein auf Basis von Einstellungen und Normen. Damit vernachlässigt der Ansatz
all die Einflüsse, die jenseits von individuellen Einstellungen und sozialen Nor-
men liegen. Die Problematik dieser Einschränkung ergibt sich schon aus der
Betrachtung der zugrunde liegenden Menschenbilder: Die „Theory of Reasoned
Action“ fußt insgesamt auf dem Bild eines Menschen, der sein Verhalten einer-
seits – im Sinne des Erwartungs-Bewertungsansatzes – auf der Basis eigener
Bewertungen optimiert, sich andererseits aber auch an sozialen Normen orien-
tiert. In der Sozialwissenschaft hat sich dagegen heute ein Menschenbild durch-
gesetzt, das zusätzlich die Einschränkungen berücksichtigt, denen das Indivi-
duum in seinem Handeln unterworfen ist. Dieses Menschenbild des „homo so-
cio-oeconomicus“ nach S. Lindenberg (Lindenberg, 1990) geht davon aus, dass
das Individuum seine Verhaltensoptionen nicht nur von handlungs- und normen-
bezogenen Erwartungen und Bewertungen abhängig macht – deren Produkt er zu
maximieren sucht –, sondern auch von Ressourcen und Restriktionen. Zusam-
men genommen ergibt sich so das RREEMM-Modell des Menschen (resource-
ful, restricted, expecting, evaluating, maximizing man) (Lindenberg, 2001a,
1990, 2001b).
In den von Rogers berücksichtigten Attributen von Innovationen sind die
Ressourcen und die Restriktionen der potentiellen Übernehmer – implizit –
durchaus berücksichtigt, etwa in Form der Komplexität von Innovationen oder
3.2 Vertiefende Ansätze 61
ihrer Kompatibilität. Die empfundene Komplexität ist höher, je stärker die kog-
nitiven Restriktionen des Übernehmers ausgeprägt sind, und die Kompatibilität
kann etwa von einer bestehenden technischen Infrastruktur abhängen, also Re-
striktionen technischer Art unterworfen sein. Rogers betrachtet aber Attribute
von Innovationen und Eigenschaften von Übernehmern getrennt. Deshalb blei-
ben diese Zusammenhänge verdeckt.
Die Adoption von Innovationen unterliegt solchen Kontrollfaktoren in un-
terschiedlichem Maße. So ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Innovation aus
finanziellen oder kognitiven Restriktionen heraus nicht genutzt wird, desto ge-
ringer, je billiger bzw. einfacher die jeweilige Innovation ist. In diesem Fall sind
die Kontrollfaktoren nicht salient, und auch das Ignorieren dieser Kontrollfakto-
ren durch die TRA fällt weniger ins Gewicht als bei einer teuren und komplexen
Innovation. In einer Metaanalyse von TRA-basierten Studien stellten Sheppard
et al. (1988) fest, dass es bei mehr als der Hälfte der untersuchten Studien um
Verhalten ging, das derartigen Kontrollfaktoren in hohem Maße unterworfen ist.
Damit war die TRA nach Sheppard et al. in diesen Fällen prinzipiell gar nicht
geeignet, um die Adoptionsentscheidung vorauszusagen.
Zur Überwindung dieser Einschränkungen hat Ajzen (1985; 2005) das Modell
um eine Faktorendimension erweitert, die den Ressourcen und Restriktionen zur
persönlichen Kontrolle über eigene Handlungen Rechnung trägt. Wie die verhal-
tensbezogenen Einstellungen und Normen, so geht auch die wahrgenommene
Verhaltenskontrolle („perceived behavioral control“) zurück auf Erwartungen
und Bewertungen dieser Erwartungen.
So leitet seine „Theory of Planned Behavior“ (TPB) das Verhalten her aus
Einstellungen, subjektiver Norm und wahrgenommenen Verhaltenskontrollen
(Abbildung 8).
62 3 Stand der Forschung
Behavioral beliefs
Attitudes
Outcome evaluations
Normative beliefs
Subjective Behavioral Behavior
Norms Intentions
Motivation to comply
Control beliefs
Perceived
Behavioral
Control
Influence of contr. beliefs
An dieser Stelle soll noch festgehalten werden, dass einige Darstellungen des
TPB-Modells auch einen Zusammenhang zwischen den drei Einstellungsebenen
postulieren in Form zusätzlicher Pfeile zwischen den verhaltensbezogenen, den
normativen und den kontrollbezogenen „beliefs“ (Ajzen, 2005, S. 126). Diese
Pfeile werden theoretisch nicht explizit erläutert und sie werden stillschweigend
aus der Darstellung entfernt, sobald Hintergrundfaktoren wie Persönlichkeit,
Soziodemographie und Mediennutzung mit berücksichtigt werden (Ajzen, 2005,
S. 135). Dazu ist festzuhalten: Zusammenhänge zwischen den verhaltensbezoge-
nen, den normativen und den kontrollbezogenen „beliefs“ werden durchaus er-
wartet. Theoretisch werden sie aber auf die gemeinsame Abhängigkeit von Hin-
tergrundfaktoren zurückgeführt. Das ist der Grund dafür, dass diese Zusammen-
hänge nicht weiter berücksichtigt werden, sobald diese Hintergrundfaktoren in
die Betrachtung einbezogen werden.
Diese Theorie wurde im Rahmen von Adoptionsstudien vielfach angewen-
det, etwa auf die Adoption von Mobilfunk und Online-Kommunikation (Schenk
et al., 1996), WAP (Hung, Ku & Chan 2003) sowie weiteren mobilen Diensten
(Pedersen, Nysveen, & Thorbjornsen, 2002). Dabei wurden weiterhin zumeist
die Attribute von Innovationen nach Rogers als „Behavioral Beliefs“ gesetzt. Die
Faktoren der Kompatibilität und der Komplexität kamen aber implizit in die
3.2 Vertiefende Ansätze 63
Zwei weitere Ansätze, die wesentlich auf TRA gründen, sind gerade im Hinblick
auf neue Kommunikationstechnologie weit verbreitet: Das „Technology Accep-
tance Model“ (TAM) (Davis, 1989, 1986; Davis, Bagozzi, & Warshaw, 1989)
und die „Unified Theory of Acceptance and Use of Technology“ (UTAUT) (V.
Venkatesh et al., 2003).
Das „Technology Acceptance Model“ leitet aus theoretischen Analysen
(Auseinandersetzung u.a. mit der Adoptionstheorie von Rogers, Sozialer Lern-
theorie [Bandura, 1977] und TRA) zusammen mit empirischen Befunden ab, was
es ist, das den Ausschlag gibt für die Übernahme von Innovationen: Der wahrge-
nommene Nutzen („Perceived Usefulness“) und die Schwierigkeit der Nutzung
(„Perceived Ease of Use“) (vgl. Abbildung 9, Davis et al., 1989).
Perceived
usefulness
Attitude Behavioral Actual
External toward intention system
variables using to use use
Perceived
ease of use
Die Befunde wurden seither in einer Vielzahl von Studien überprüft (Hubona &
Burton-Jones, 2003; Pedersen & Nysveen, 2003). Dabei ergab sich, dass der
Ansatz gerade der Übernahme von Innovationen im beruflichen Rahmen sehr
gerecht wird (vgl. Reviews von Legris, Ingham, & Collerette, 2003; Schepers &
Wetzels, 2007; W. R. King & He, 2006).
64 3 Stand der Forschung
Effort expectancy
Behavioral Use
Social influence intention behavior
Facilitating
conditions
Abbildung 10: Unified Theory of Acceptance and Use of Technology (UTAUT) (V. Venkatesh et al.,
2003)
Unter den Modellen zur Adoption von Innovationen sind TPB – als allgemeines
Modell – und UTAUT – im Hinblick auf Adoption in Organisationen – diejeni-
gen, die derzeit als die fortschrittlichsten gelten. Dies Urteil reklamiert auch
Venkatesh für seinen Ansatz, indem er die Erklärungsmacht herausstreicht, wie
3.2 Vertiefende Ansätze 65
sie sich in empirischen Tests erweist: “Given that UTAUT explains as much as
70 percent of the variance in intention, it is possible that we may be approaching
the practical limits of our ability to explain individual acceptance and usage
decisions in organizations” (V. Venkatesh et al., 2003, S. 471).
Das Bild, das die Diffusionstheorie seit den 1970er Jahren abgab, war geprägt
von einer Stagnation sowohl im Theoretischen wie auch im Empirischen. Ganz
anders bei den sozialpsychologischen Modellen: Hier kam es zu einer rasanten
Entwicklung. Teilweise lösten die Modelle einander ab, so im Falle der TPB, die
die TRA weitgehend verdrängt hat. Teilweise wurden sie aber auch optimiert für
die Anwendung auf spezifische Rahmenbedingungen hin – etwa Organisationen
als Übernahmekontext. Insgesamt ergibt sich das Bild eines evolutionären Wett-
kampfs der Modelle, ganz im Sinne von Poppers (1972) Verständnis des Fort-
schreitens einer Wissenschaft.
Dieser Fortschritt war nur möglich dadurch, dass in diesem Rahmen auch
methodologische Standards im Hinblick auf die Messung von adoptionsrelevan-
ten Einflussfaktoren eingeführt und respektiert wurden.
Der Zugewinn ist wie folgt zu sehen:
Die Aufschlüsselung der Einflussfaktoren für die Übernahmeentscheidung
auf drei Ebenen – verhaltensbezogene Einstellungen, Normen und Ressour-
cen bzw. Restriktionen – stellt im Vergleich zu den fünf innovationsbezo-
genen Attributen eine Betrachtung dar, die theoretisch wesentlich tiefer
fundiert ist. Diese Faktoren lassen sich letztlich auf verschiedene Aspekte
eines soziologischen Menschenbilds zurückführen. Manche Konstrukte aus
Rogers‘ Modellen lassen sich – je nach Lesart – gleich mehreren Ebenen
zuordnen. So kann etwa das Konstrukt der Kompatibilität die Frage nach
technischer Anschlussfähigkeit aufwerfen – damit auch nach technischen
Restriktionen –, ebenso aber auch die Frage nach sozialen Normen. Die er-
wähnten Studien zur Adoption neuer Medien zeigen, dass die Berücksichti-
gung von Normen als Einflussfaktor einen Erkenntnisgewinn bringt: Nor-
men sind also im Hinblick auf die Adoption von Medieninnovationen als
Faktor relevant.
Der handlungstheoretische Ansatz bringt mit sich, dass nicht Objekte be-
wertet werden, sondern Handlungen. Bei der Betrachtung neuer Kommuni-
kationstechnologien ist dies von Vorteil, sofern diese nicht an technische
Artefakte gebunden sind, sondern eher Dienste und schlicht Handlungswei-
sen beinhalten. So ist etwa die Nutzung des Internet über ein Mobiltelefon
66 3 Stand der Forschung
als Handlung klar definiert, während es wesentlich schwieriger ist, diese In-
novation als eine Art Objekt anzusehen.
Das Erheben von individuellen Erwartungen und Bewertungen bezüglich
eines Verhaltens erlaubt es, das Zusammenwirken von nutzer- und von in-
novationsseitigen Faktoren unmittelbar zu erheben, also ohne dass man nut-
zerseitige und innovationsseitige Merkmale separat misst. Gibt ein poten-
tieller Übernehmer einer Innovation die erwarteten kognitiven Restriktionen
zur Übernahme an – zusammen mit der Bewertung dieser Restriktionen – so
ergibt sich damit ein genaues Bild davon, wie dieser Faktor die Adoptions-
entscheidung beeinflusst: Es werden nicht die technische Komplexität der
Innovation auf der einen Seite und die technischen Fähigkeiten des Nutzers
auf der anderen erhoben: Hier geht es direkt um die subjektiv empfundene
Schwierigkeit, die Innovation technisch zu meistern.
Die höhere Komplexität der Modelle erlaubt es schließlich, Einflussfaktoren
für die Adoption zu identifizieren, die mit den bivariaten Generalisierungen
der klassischen Diffusionstheorie nicht zu erkennen gewesen wären. Ein
Beispiel dafür ist die Studie von Karahanna et al. (1999), in der die relative
Bedeutung der Faktorengruppen „verhaltensbezogene Einstellungen“ und
„Normen“ verglichen wurden.
Diesem Zugewinn durch die Anwendung sozialpsychologischer Ansätze auf die
Adoptionsentscheidung stehen Abstriche gegenüber:
Dass man Innovationen nicht als Objekte ansieht, sondern als Handlungs-
weisen, bringt nicht nur die oben erwähnten Vorteile. In Abhängigkeit von
der fraglichen Innovation kann es auch Nachteile haben. Bei Innovationen,
die stark von einem technischen Gerät mit seinen technischen oder auch
ästhetischen Eigenschaften abhängt, kommt so ein wichtiger Faktor zu kurz.
Orlikowski und Iacono mahnen: „The IT artifact itself tends to disappear
from view” (Orlikowski & Iacono, 2001, S. 121).
Die Handlungssicht ist dynamischer als eine objektorientierte Perspektive.
Die relevanten Faktoren – wie Normen – dagegen werden weiterhin als sta-
tisch vorgegeben. Dieser Sichtweise widerspricht alle sozialwissenschaftli-
chen und psychologischen Evidenz. In Psychologie und Sozialwissenschaft
geht man nämlich im Gegenteil aus von einem ständigen „Aushandeln“ von
Normen bzw. einer ständigen Aktualisierung von Einstellungen (Jonas &
Doll, 1996; Kendzierski, 1990).
Zwar hat die sozialpsychologische Handlungstheorie der Diffusionstheorie – mit
den genannten Vorbehalten – einen deutlichen theoretischen und methodologi-
schen Gewinn gebracht. Dieser Gewinn beschränkt sich aber ganz auf die Mi-
kroebene persönlicher Übernahmeentscheidungen. Nur mit dem Konstrukt der
Normen sind die Meso- und die Makroebene sozialen Einflusses mit einbezogen.
3.2 Vertiefende Ansätze 67
Auf die Mesoebene wird im folgenden Abschnitt eingegangen. Hier hat die Ana-
lyse sozialer Netzwerke die Diffusionstheorie wesentlich vorangebracht.
Die wissenschaftliche Einordnung der Analyse sozialer Netzwerke ist seit lan-
gem umstritten. Für die einen stellt sie ein neues Forschungsparadigma dar (Ro-
gers & Kincaid, 1981), andere gehen davon aus, dass der Ansatz mit seiner „be-
merkenswerten Schlichtheit“ weniger eine Theorie darstelle als nur eine Metho-
de (Keupp 1987). Wieder andere Forscher verwenden die Netzwerkmetapher vor
allem als Zeitdiagnose einer „Network Society“. Sie ist dadurch gekennzeichnet,
dass relevante soziale Prozesse sich hier mehr und mehr in digital vermittelten
interpersonalen Netzwerken abspielen (van Dijk, 2005; Castells, 2000).
Den kleinsten gemeinsamen Nenner dieser Konzeptionen von Netzwerken
treffen Wassermann und Faust (1994, S. 3), wenn sie von der Analyse sozialer
Netzwerke als einer Perspektive in der Betrachtung unterschiedlicher humanwis-
senschaftlicher Forschungsfragen sprechen. Diese Perspektive zeichnet sich
dadurch aus, dass sie den Fokus auf die Betrachtung von Beziehungen unter
Akteuren legt einschließlich der Muster und der Bedeutungen dieser Beziehun-
gen.
Im Rahmen dieser Analyse werden sozialwissenschaftliche Fragestellungen
verbunden mit mathematischen Modellen. Ursprünge lassen sich finden einer-
seits in der Mathematik (insbesondere Graphentheorie, vgl. Erdös & Renyi,
1960) und andererseits in der Gruppenpsychologie (insbesondere Soziometrie,
vgl. Moreno, 1934).
Wassermann und Faust (1994, S. 4) nennen vier Prämissen sozialer Netz-
werkanalyse:
Akteure und ihre Handlungen sind nicht voneinander unabhängig, sie be-
einflussen sich gegenseitig.
Beziehungen („Links“) zwischen Akteuren sind Kanäle für die Vermittlung
von Ressourcen.
Die strukturelle Netzwerkumgebung schafft Gelegenheiten oder Einschrän-
kungen für individuelles Handeln.
Struktur ist ein längerfristiges Muster sozialer Beziehungen unter Akteuren
betrachtet.
Diese Grundannahmen stellen notwendige Voraussetzungen dafür dar, dass die
Anwendung der Analyse sozialer Netzwerke überhaupt sinnvoll erscheinen kann.
Je weniger man im Rahmen einer spezifischen Forschungsfrage davon ausgehen
kann, dass Akteure einander gegenseitig beeinflussen, desto weniger Erkenntnis-
68 3 Stand der Forschung
gewinn wird die Beantwortung dieser Frage aus der Perspektive der Analyse
sozialer Netzwerke bringen.
Sowohl die Diffusionstheorie als auch die angeführten sozialpsychologi-
schen Handlungstheorien ergeben deutliche Hinweise darauf, dass die Überneh-
mer von Innovationen im Allgemeinen – und insbesondere im Falle interaktiver
Technologien – einander stark persönlich beeinflussen (Stern, Craig, La Greca,
& Salem, 1976; Sarker & Wells, 2003; Rogers, 2003; Vishwanath & Goldhaber,
2003). So überrascht nicht, dass Diffusionsforscher immer wieder Konzepte und
Methoden der Analyse sozialer Netzwerke zur Erklärung von Diffusionsprozes-
sen herangezogen haben (Rogers, 1979; Rogers & Kincaid, 1981; Valente,
2006).
Die folgende Darstellung grundlegender Konzepte der Analyse sozialer
Netzwerke und ihrer Bedeutung im Hinblick auf die Diffusion von Innovationen
soll vor allem der Identifikation relevanter Konzepte dienen. Dafür werden un-
terschiedliche Typen netzwerkanalytischer Modelle vorgestellt, wie sie im Zuge
der Entwicklung des Ansatzes herausgearbeitet wurden. Abschließend folgt eine
kritische Würdigung der sozialen Netzwerkanalyse als Erweiterung zur Diffusi-
onstheorie. Im Rahmen der Darstellung werden die Aspekte gesammelt, die in
die Fragestellung, Theorie und Methode der vorliegenden Arbeit hineinspielen.
Valente (2006) unterscheidet fünf Typen von Analysemodellen der Netz-
werkanalyse. Mit wachsender Komplexität nehmen sie jeweils andere Aspekte
von Netzwerken und ihren Akteuren in den Blick: a) Integrations-, b) Struktur-,
c) Kritischer Punkt-, d) Interventionsorientierte und e) dynamische Modelle.
Dem letztgenannten Typ kommt im Rahmen der vorliegenden Arbeit keine Be-
deutung zu, da er eine ganz pragmatische Ausrichtung zur Herbeiführung von
Verhaltensänderungen hat (Valente, 2006, S. 77-79). Hier liegt das Erkenntnis-
interesse jedoch zunächst auf der Beschreibung von (Diffusions-)Prozessen in-
nerhalb von Netzwerken. Die vier erstgenannten Ansätze werden dagegen im
Folgenden erläutert. Dabei werden zunehmend elaborierte Modelle zur Betrach-
tung von Diffusionsprozessen und individuellen Adoptionsentscheidungen vor-
gestellt.
Integrationsorientierte Netzwerkmodelle
Netzwerk – Gespräche mit Nachbarn über die Innovation –, sondern auch die
Kontakte über den lokalen Kontext hinaus. Ryan und Gross fragen aber nur all-
gemein ab, ob man überhaupt mit Nachbarn über die Innovation kommuniziert
hat, sie wollen nicht im Detail wissen, mit welchem Nachbarn. Deshalb eignen
sich ihre Daten nicht als Grundlage für netzwerkanalytische Modelle.
Die früheste einflussreiche Diffusionsstudie, die die Kommunikation zwi-
schen den potentiellen Übernehmern einer Innovation tatsächlich personenbezo-
gen erhebt, ist die Studie von Coleman, Katz und Menzel (1960) zur Diffusion
eines neuen Medikaments innerhalb von Netzwerken von Ärzten in vier Klein-
städten in Illinois. Diese Studie beschreibt nicht nur den Prototyp integrations-
orientierter Netzwerkmodelle, gleichzeitig bildet sie auch den Ausgangspunkt für
differenziertere und komplexere Sichtweisen (R. S. Burt, 1987; Marsden & Po-
dolny, 1990). Deshalb wird sie hier kurz beschrieben.
Um den Grad an sozialer Integration der befragten Ärzte zu bestimmen,
stellen Coleman et al. sämtlichen Ärzten, die an der Befragung teilnehmen, drei
soziometrische Fragen: An wen wenden sie sich am häufigsten, um Rat und
Informationen zu bekommen? Mit wem sprechen sie im Laufe einer Woche am
häufigsten über ihre Patienten? Welche Kollegen sehen sie auch als Freunde
privat am häufigsten (Coleman et al., 1960)? Parallel dazu erheben sie durch
einen Katalog von vier Fragen die berufliche Einstellung der Ärzte zwischen den
beiden Polen „patientenorientiert“ und „professionell orientiert“.
Betrachtet man nun die Diffusionskurve der neuen Medikamente in Abhän-
gigkeit von der beruflichen Orientierung der Ärzte, so zeigt sich wie erwartet
eine höhere Diffusionsrate bei den professionell orientierten Ärzten. Deutlich
stärker als die berufliche Orientierung wirkt sich aber die soziale Integration auf
die Übernahme der neuen Medikamente aus: Ärzte, die von vielen Kollegen im
Rahmen einer der drei soziometrischen Fragen genannt werden (hoher „Inde-
gree“), erweisen sich als deutlich innovativer als die weniger häufig genannten
Ärzte. Diese wiederum sind innovativer als diejenigen, die gar nicht genannt
werden. Die weitere Differenzierung nach Art der jeweiligen soziometrischen
Verbindungen zeigt, dass fachbezogene und freundschaftliche Beziehungen zu
unterschiedlichen Zeitpunkten die Übernahme beeinflussen: Fachliche Netzwer-
ke zeigen zu Beginn der Diffusion ihre Wirkung, Netzwerke der Freundschaft
dagegen erst in einer späteren Phase.
Eine Differenzierung dieser Befunde ergibt sich aus einer Replikation dieser
Studie mit zwei anderen neuen Medikamenten. Eines davon gilt als unproblema-
tisch, das andere dagegen als risikobeladen, weil es zunächst in seiner Wirkung
nicht eindeutig einschätzbar ist. Becker (1970) entdeckt, dass die gut integrierten
Ärzte bei dem als riskant geltenden Medikament nicht die frühesten Übernehmer
sind. Sie folgen erst an zweiter Stelle hinter der Gruppe der Ärzte, die die ge-
70 3 Stand der Forschung
Strukturorientierte Netzwerkmodelle
teure sich nicht allein auf der quantitativen Basis des „Indegree“ beurteilen, hier
spielt auch die Qualität ihrer Position und ihrer Verbindungen hinein.
Derartige Information hat in der Diffusionsforschung vor allem im Rahmen
zweier Konzepte Bedeutung erlangt, und zwar einmal im Hinblick auf Akteure,
die als „weak ties“ Netzwerkcluster miteinander verbinden, und zum anderen im
Hinblick auf das Phänomen der Diffusion durch Kohäsion und strukturelle
Äquivalenz.
Die Hypothese der „strength of weak ties“ (Granovetter, 1973) geht davon
aus, dass gerade den Verbindungen mit den Personen eine besondere Bedeutung
zukommt, mit denen man nicht sehr intensiv und nicht alltäglich verbunden ist.
Gerade diese „schwachen Verbindungen“ führen nämlich aus dem unmittelbaren
eigenen Kontext heraus und stellen damit den Kontakt zu anderen Umgebungen
dar. Gerade von diesen aber sind am ehesten Informationen zu erwarten, die auch
tatsächlich neu sind. Ihren Ursprung hat diese Hypothese in einer Studie zur
Suche nach neuer Arbeit (Granovetter, 1973). Sie hat sich aber auch im Hinblick
auf Innovationen bewährt, etwa bei einer Untersuchung zur Verbreitung von
Maßnahmen der Empfängnisverhütung in einem koreanischen Dorf (Rogers &
Kincaid, 1981; Rogers, 1979).
Die Konzepte der Kohäsion („Cohesion“) und der strukturellen Äquivalenz
(„Structural Equivalence“) beschreiben zwei Formen, in denen Innovationen sich
über die Struktur eines Netzwerks verbreiten können. Bis in die 1970er Jahre
ging man davon aus, dass persönlicher Einfluss eine Funktion von sozialer Nähe
ist (Mizruchi, 1993). Im Rahmen sozialer Netzwerke erschien folglich „Kohäsi-
on“ (lat. cohaerere: "zusammenhängen") als der entscheidende Faktor, der eine
Vermittlung von Einfluss durch „face-to-face“-Kommunikation oder über kurze
Kommunikationswege durch Vermittler ermöglicht (Friedkin, 1984). Später
zeichnete sich aber ein zweiter Weg ab: „Influence does not require face-to-face
interaction; indeed, the only precondition for social influence is information
(which allows social comparison) about the attitudes or behaviors of [...] a refer-
ence group of similar others” (Marsden & Friedkin, 1993). Auf diese Feststel-
lung gründet sich das Konzept der strukturellen Äquivalenz: „an actor will quick-
ly adopt an innovation after actors he perceives to be structurally equivalent to
him have adopted it” (R. Burt, 1982, S. 209). Eine solche Äquivalenz kann etwa
bestehen zwischen zwei Akteuren, die sich innerhalb einer Organisation auf der
gleichen Hierarchieebene befinden, sich als potentielle Konkurrenten sehen und
jeweils das Verhalten des anderen sich selbst gegenüber sehr aufmerksam regist-
rieren. Burt (1987) testete seine Hypothese anhand der Daten aus der bereits
erwähnten Studie von Coleman Katz und Menzel (1960). Dabei kam er zu dem
Schluss, dass strukturelle Äquivalenz die individuellen Adoptionsentscheidungen
besser erklärt als Kohäsion.
72 3 Stand der Forschung
Ein aktuelles Beispiel für eine Medieninnovation, die sich in höchstem Gra-
de über Kohäsion ausbreitet, sind „social networking“-Plattformen wie „Face-
book“ oder „StudiVZ“ (Boyd & Ellison, 2008). Sie verbreiten sich erst durch
interpersonale Kontakte im Sinne der Kohäsion, dann bilden sie selbst die Platt-
form für die interpersonale Verbreitung eingebetteter Dienste (Sun, Youn, Wu,
& Kuntaraporn, 2006). Ein weiterer Hinweis auf die Bedeutung sozialer Kohäsi-
on bei der Adoption neuer Kommunikationstechnologien stammt aus der Studie
von Schenk et al. (1996) zur Diffusion von Online-Diensten und Mobilkommu-
nikation innerhalb egozentrischer Netzwerke. Danach orientieren sich potentielle
Übernehmer dieser Innovationen besonders stark an ihrem beruflichen Netzwerk.
Campbell und Russo (2003) weisen schließlich nach, dass die Wahrnehmung des
Mobiltelefons innerhalb sozialer Netzwerke deutlich homogener ausfällt also
zwischen Personen, die nicht durch persönliche Kontakte mit einander verbun-
den sind.
Will man über die bloße Betrachtung des Integrationsgrads von Akteuren hinaus
über Diffusionsprozesse Aufklärung erhalten, so kann ein zweiter Schritt darin
bestehen, dass man die dynamische Entwicklung von Diffusion in der Zeit ver-
folgt. Dies ist die Perspektive von sogenannten „Kritischer Punkt-orientierten
Modellen“.
Hier spielen zwei Phänomene eine Rolle: Der Effekt der „Kritischen Mas-
se“ und die Schwellenwerte der Adoption („adoption thresholds“).
Wie der persönliche Einfluss von Meinungsführern so hat auch der Effekt
der Kritischen Masse schon seit den Tagen Gabriel de Tardes (2003 [1890]) die
Aufmerksamkeit von Diffusionstheoretikern auf sich gezogen. Der Effekt der
Kritischen Masse wird zwar in „Diffusion of Innovations“ angesprochen (vgl.
Abschnitt 3.1.3.4, S. 42). Hinreichend erfasst und gewürdigt werden kann dieses
Phänomen aufgrund der Komplexität des Zusammenhangs jedoch erst außerhalb
der bivariaten Generalisierungen der Diffusionstheorie. Immerhin macht er die
Bewertung von Adoptionsattributen abhängig von der Perspektive des Überneh-
mers und vom Bewertungszeitpunkt.
Will man vor diesem Hintergrund Adoptionsentscheidungen im Rahmen
sozialer Netzwerke beschreiben, so liefert die Netzwerkanalyse mit dem Begriff
der „Adoptions-Thresholds“ den passenden Rahmen.
Eingeführt wird das Konzept des „Threshold“ von Granovetter (1978). Er
definiert es im Hinblick auf die individuelle Schwelle, sich einem sozialen Ver-
halten anzuschließen, als „the proportion of the group he would have to see join
before he would do so“ (Granovetter, 1978, S. 1422).
3.2 Vertiefende Ansätze 73
Valente (1996) differenziert das Konzept in einem Punkt, der für Netzwerk-
analyse entscheidend ist: Die Annahme, ein Individuum habe Einsicht in die
Diffusionsrate innerhalb seines sozialen Systems, ist – so betont Valente – nicht
realistisch. Der einzelne wird sich an seiner unmittelbaren Umgebung orientie-
ren. So führte Valente den Begriff des netzwerkbezogenen Adoptionsthresholds
ein, der sich vom systembezogenen „Threshold“ klar unterscheidet:
Dies gilt nicht allein für Innovationen, die schwer zu beobachten sind, es gilt ins-
besondere auch für solche, die stark von Normen abhängen. Diese Feststellung
trafen bereits Rogers und Kincaid in Hinblick auf die – stark normenabhängige –
Übernahme von Methoden der Geburtenkontrolle (Rogers & Kincaid, 1981). Der
Befund wurde jüngst durch Kincaids (2004, S. 38) Prinzip des „bounded norma-
tive influence“ erweitert: “Bounded normative influence is the tendency of social
norms to influence behavior within relatively bounded, local subgroups of a
social system rather than the system as a whole.”
Zur Überprüfung dieser Hypothese liegen noch keine Befunde im Kontext
von Medieninnovationen vor. Medien sind aber keineswegs normativ neutral,
immerhin ist ihre Nutzung Normen unterworfen (Kraut et al., 1998). Diese be-
reits im Vorkapitel angeführte Tatsache legt die Annahme nahe, dass Kincaids
Befunde auch im Bereich der Medien zutreffen.
Dynamische Modelle
Die neuesten und wohl auch derzeit komplexesten Ansätze zur Analyse sozialer
Netzwerke sind dynamische Netzwerkmodelle (Marsden & Podolny, 1990; Va-
lente, 2006, S. 76-77). Sie stellen einen Versuch dar, die Interdependenzen im
Adoptionsverhalten innerhalb eines Netzwerks in der Zeit zu betrachten und zu
Voraussagen zu kommen. Strang und Tuma (1993) weisen empirisch nach, dass
nicht nur die Netzwerkstruktur die Adoption von Innovationen beeinflusst, son-
dern dass umgekehrt auch das Adoptionsverhalten Einfluss nimmt auf die Netz-
werkstruktur. Dies ist ein zusätzlicher Unsicherheitsfaktor in der dynamischen
Modellierung von Diffusionsprozessen im Netzwerk.
74 3 Stand der Forschung
Resümee
3.2.2.3 „Uses-and-Gratifications“
Die beiden in den Vorkapiteln dargestellten Ansätze gehen aus von der schlich-
ten dichotomen Entscheidung „Adoption vs. Ablehnung“, und sie vertiefen dann
die Betrachtung der Einflussfaktoren auf individueller Ebene (Handlungstheo-
rien) und im Netzwerk (Analyse sozialer Netzwerke). Der Punkt, an dem der
„Uses-and-Gratifications“-Ansatz in die Tiefe geht und differenziert, ist dagegen
die Art und Weise der Übernahme selbst.
Theoretischer Anschlusspunkt ist das ursprüngliche lineare Kommunikati-
onsmodell der Diffusionstheorie (vgl. Abschnitt 3.1.1.2, S. 34). Uses-and-
Gratifications setzt dem das Bild eines aktiven Mediennutzers entgegen. Der
Satz, mit dem die Vertreter des Ansatzes zuerst ihre Sichtweise zum Ausdruck
brachten, gehört bereits zur Folklore der kommunikationswissenschaftlichen
Paradigmengeschichte: „This is the approach that asks the question, not ‘What
do the media do to people?’ but, rather, ‘What do people do with the media?’“
(E. Katz & Foulkes, 1962, S. 378). Es geht hier also nicht darum, den Erfolg
einer Medienbotschaft aus den Interessen des Kommunikators heraus zu bewer-
ten im Sinne der Frage, ob seine Botschaft „angekommen sei“. Stattdessen fragt
man nach den Gratifikationen, die die Menschen in der Nutzung von Medien
suchen (E. Katz et al., 1974).
Der Geltungsanspruch von „Uses-and-Gratifications“ beschränkt sich aber
nicht auf die Rezeption von Massenmedien. In den letzten Jahren wurde der
Ansatz verstärkt auch zur Erforschung der Nutzung neuer Kommunikationstech-
nologien eingesetzt. Die frühesten Studien befassten sich mit Unterhaltungssen-
dungen im Radio (Lazarsfeld & Stanton, 1942), danach war man zunächst auf
das Medium „Fernsehen“ ausgerichtet (Rosengren & Windahl, 1989; Kubey,
1986). In der weiteren Folge rückten verstärkt neue Kommunikationstechnolo-
gien in den Vordergrund des Interesses (vgl. Schenk, 2002; Wimmer & Domi-
nick, 1994; Ruggiero, 2000). So erlebten die „Uses-and-Gratifications“ ein regel-
rechtes „Revival“ in der Erforschung neuer Medientechnologien (Ruggiero,
2000, S. 20). Zunächst wurden Innovationen beim Fernsehen in den Blick ge-
nommen: Die Fernbedienung (Walker & Bellamy, 1991), das Kabelfernsehen
(D. Atkin, 1993; Heeter & Greenberg, 1985; Jacobs, 1995), der Videorekorder
(C. A. Lin, 1993) und der Videotext (Cowles, 1989). Dann wurde der Ansatz
ausgeweitet und kam zum Einsatz in der Untersuchung der Nutzung von Perso-
nalcomputern (Perse & Dunn, 1998), Computerspielen (Sherry, Lucas, Green-
berg, & Lachlan, 2006), elektronischen Foren (James, Wotring, & Forrest, 1995),
Websites (Eighmey & McCord, 1998), E-Mails (Dimmick, Kline, & Stafford,
2000) und Chat (Leung, 2001).
76 3 Stand der Forschung
6
Die Ergebnisse von Wei, 2008, lagen zum Zeitpunkt der Redaktion noch nicht im Detail vor.
3.2 Vertiefende Ansätze 77
“Over time, important initial gratifications, like permanent access and social interac-
tion, appeared to be less dominant for using the new mobile communication tech-
nology and became more latent, while gratifications like fashion/status and enter-
78 3 Stand der Forschung
tainment appeared to become more manifest” (O. Peters & Ben Allouch, 2005, S.
252).
3.2.2.4 Resümee
Ausgehend von der Feststellung, dass die klassische Diffusionstheorie mit ihrem
Grundkonzept der Meta-Forschung theoretisch und methodisch auf der Stelle
trat, wurden in diesem Kapitel drei quantitative Ansätze zur Vertiefung vorges-
tellt. Sowohl die sozialpsychologischen Ansätze zur Erklärung von individuel-
lem Adoptionsverhalten als auch die netzwerkanalytische Sicht auf Diffusion
und der „Uses-and-Gratifications“-Ansatz zeichnen sich aus durch eine extrem
hohe Dynamik in der Fortentwicklung von Methoden und theoretischen Konzep-
ten. Davon konnte und kann auch die Diffusionstheorie profitieren.
Die Erklärung der individuellen Adoptionsentscheidung kann wesentlich
differenzierter erfolgen, wenn man zurückgeht auf Einflüsse, die aus der
Erwartung und der Bewertung von Konsequenzen der Adoption resultieren,
sowie auf normative Einstellungen und Kontrollbedingungen.
Die Netzwerkperspektive erlaubt ergänzend eine differenzierte Betrachtung
von Diffusion innerhalb sozialer Systeme auf der Ebene von Netzwerken.
Die Diffusionstheorie betrachtet auf Netzwerkebene in erster Linie aggre-
3.2 Vertiefende Ansätze 79
ren Stelle an als der Implementierung von Innovationen. Von Seiten der Uses-
and-Gratifications dagegen wurden erste Brücken herüber zur Diffusionstheorie
gebaut, zum Beispiel durch Verweise in der Studie von Trepte et al (2003).
Auch die sozialpsychologischen Handlungstheorien erwähnt Rogers in kei-
ner der Auflagen von „Diffusion of Innovations“ (Rogers, 1983, 2003, 1995;
Rogers & Kincaid, 1981; Rogers & Shoemaker, 1971) und auch nicht in seiner
letzten zusammenfassenden und ausblickenden Publikation zum Ansatz (Rogers,
2004). Dabei verweisen die Studien im Anschluss an TRA ihrerseits immer wie-
der explizit auf die Diffusionstheorie (V. Venkatesh et al., 2003; Karahanna et
al., 1999; Moore & Benbasat, 1996).
Abschließend soll noch hingewiesen werden auf Berührungspunkte zwi-
schen den drei vorgestellten Ansätzen. Diese wurden bisher nicht berücksichtigt,
vermutlich da jeder Ansatz seine eigene Entwicklung verfolgte.
Zwischen Sozialer Netzwerkanalyse und Handlungstheorie bestehen Berüh-
rungspunkte insbesondere im Konzept der Normen, das auf beiden Ebenen
zentral ist (Kincaid, 2004; Karahanna et al., 1999; Kraut et al., 1998; Sche-
pers & Wetzels, 2007). Eine Verbindung zwischen den Ansätzen wurde
aber bisher noch nicht unternommen.
„Uses-and-Gratifications“ und „Theory of Planned Behavior“ sind verbun-
den durch die gemeinsamen Ursprünge in einem Erwartungs-
Bewertungsmodell (Palmgreen & Rayburn, 1985; Fishbein, 1980). Die ver-
haltensbezogenen Einstellungen der „Theory of Planned Behavior“ stehen
dabei den von den „Uses-and-Gratifications“ untersuchten „Gesuchten Gra-
tifikationen“ sehr nahe.
Zwischen „Uses-and-Gratifications“ und Netzwerkanalyse sind Anknüp-
fungspunkte dagegen schwer zu finden. Sattdessen ist aber die Komplemen-
tarität augenscheinlich: Der „Uses-and-Gratifications“-Ansatz ist viel kriti-
siert worden für seine individualistische Perspektive, weil diese nicht den
Einfluss der sozialen Einbettung von Akteuren berücksichtigt (Elliott, 1974;
Ruggiero, 2000). Die Analyse sozialer Netzwerke dagegen berücksichtigt
nur diese Einbettung.
Das Fehlen an Zusammenhang zwischen den drei dargestellten quantitativen
Vertiefungen entspricht ganz der Kritik, die häufig an quantitativen „reduktivis-
tischen“ (Verschuren, 2001) Ansätzen laut wird. Eine Abhilfe müsste demnach
darin liegen, beim „Vertiefen“ von Diffusionstheorie qualitativ vorzugehen. Die
damit verbundene „holistische“ Perspektive müsste am konkreten Einzelfall
Zusammenhänge deutlich machen (Verschuren, 2001).
3.2 Vertiefende Ansätze 81
Auch die „Cultural Studies“ bieten einen Gegenentwurf an zum linearen Persua-
sionsmodell, das zunächst als Grundlage der Diffusionstheorie gedient hatte,
nämlich das „Encoding/Decoding“-Modell von Stuart Hall (1980). Es betont
auch die aktive Rolle des Rezipienten, setzt sich aber gleichzeitig ab vom „Uses-
and-Gratifications“-Ansatz. Nach Hepp (1999, S. 110) ist das „Enco-
ding/Decoding“-Modell von Hall der „zentrale Ausgangspunkt der Medienstu-
dien der Cultural Studies“ insgesamt.
Hall setzt seinen Ansatz bewusst ab von der Medienwirkungsforschung wie
auch von der Mediennutzungsforschung im Sinne der „Uses-and-Gratifications“.
Er unterstreicht, dass sowohl die Wirkung als auch die Nutzung irgendeiner
Medienbotschaft nur sekundäre Prozesse sind:
“Before this message can have an ‘effect’ (however defined), satisfy a ‘need’ or be
put to a ‘use’, it must first be appropriated as a meaningful discourse and be mea-
ningfully decoded. It is this set of decoded meanings which ‘have an effect,’ influ-
ence, entertain, instruct or persuade, with very complex perceptual cognitive emo-
tional, ideological or behavioural consequences” (Hall, 1980, S. 130).
Der Prozess, der die Rezeption von Medienbotschaften primär ausmacht, ist
demnach die Aneignung der Medienbotschaft („appropriation“), also die Deko-
dierung des Inhalts durch den Rezipienten. Diese Decodierung erfolgt auf Basis
der Bedeutungsstrukturen („meaning structures“) (Hall, 1980; Hepp, 1999, S.
110-118), die dem Rezipienten zur Verfügung stehen. Die Dekodierung ist kein
individueller Prozess im Sinne der von den „Uses-and-Gratifications“ betrachte-
ten Nutzung, er ist vielmehr geprägt durch das soziale Umfeld des Rezipienten
und auch ganz konkret durch Gespräche, die im Prozess der Aneignung stattfin-
den (Hall, 1980; vgl. Brown, 1994; Hepp, 1998).
Der Dekodierung voraus geht eine Enkodierung auf Seiten des Kommuni-
kators. Sie erfolgt gleichfalls auf der Basis gewisser nachfrageseitiger Bedeu-
tungsstrukturen („meaning structures“). Diese Bedeutungsstrukturen wiederum
sind auf Produktions- wie auf Rezeptionsseite abhängig von Rahmenbedingun-
gen kognitiver, sozialer und technischer Art („frameworks of knowledge“, „rela-
tions of production“, „technical infrastructure“) (vgl. Abbildung 11).
3.2 Vertiefende Ansätze 83
programme as a
‚meaningful discourse‘
encoding decoding
meaning meaning
structures 1 structures 2
Halls Interesse bleibt stark orientiert an der Rezeption von Text als Medien-
botschaft. Ein anderer Forscher dagegen bezieht wesentlich stärker andere Er-
scheinungen der Alltagskultur in seine Betrachtung ein: Michel de Certeau
(1988, S. 297) ersetzt den Gegensatz „Text schreiben“ / „Text lesen“ durch den
Gegensatz zwischen Produktion und Konsum in der kapitalistischen Gesell-
schaft. Wie der Rezipient bei Hall – also der Leser von Text im weitesten Sinne
–, so macht sich auch der Konsument ein Produkt im Zuge seiner Nutzung zuei-
gen. De Certeau kritisiert die „Ideologie“ eines „buchstäblichen Sinns“ (de Cer-
teau, 1988). Ihr entgegen setzt er das Ideal eines autonomen Konsumenten. Das
ist einer, der den Produkten der Industriegesellschaft ihre Bedeutung erst durch
seine Aneignung zuweist. Dabei unterliegt er allerdings – wie der Rezipient bei
Hall – dem Einfluss durch seine eigene soziale Einbettung.
Soweit ist in den Konzepten von Hall (1980) und de Certeau (1988) eine ak-
tive Aneignung von „Text“ beschrieben. Sie vollzieht sich nicht individuell,
sondern als sozialer Prozess und vor dem Hintergrund sozialer Ressourcen bzw.
Einschränkungen.
Ein dritter Vertreter der „Cultural Studies“ hat nun diese Konzepte übertra-
gen auf den Umgang mit Innovationen: Silverstone (mit Hirsch und Morley,
1992, mit Haddon, 1996) greift den Dualismus zwischen Produktion und Kon-
sum auf und bezieht ihn auf die Übernahme neuer Informations- und Kommuni-
kationstechnologien in den Alltag (vgl. u.a. Habib & Cornford 2002, Lehtonen
2003, Oksman & Turtiainen 2004). Silverstone und Haddon (1996) bezeichnen
diese Herangehensweise als „Domestication-Ansatz“. In diesem Fall bringt die
Metapher der Domestication („Domestizierung“, „Zähmung“) die relative Auto-
nomie des Nutzers von Technologie gegenüber der Technologie selbst zum Aus-
druck: Die „wilde“ Kommunikationstechnologie wird gezähmt und gebändigt.
Dabei kann auch der etymologische Bezug zum „Haus“ im Begriff der „Domes-
tication“ als programmatisch gelten, denn die meisten „Domestication“-Studien
interessieren sich für den häuslichen Alltag als Rahmen der Medienaneignung
(vgl. aber aktuelle Studien zur Domestizierung des Mobiltelefons [Haddon,
2003]).
Silverstone und Haddon belassen es aber nicht bei einer Metapher, sie er-
weitern den Aneignungsbegriff der „Cultural Studies“ in drei Punkten:
Erstens dehnen sie ihn von der Rezeptionsforschung aus auf die Frage nach
der Implementierung und der Gestaltung von Innovationen.
Zweitens entwickeln sie – ohne Verweis auf Rogers’ Innovation-Decision-
Prozess – einen prozessualen Aneignungsbegriff. Danach erstreckt sich die-
ser Prozess über drei Dimensionen. In der ersten Dimension, der „Commo-
dification“, macht sich der potentielle Nutzer ein Bild von der Innovation,
und zwar unter dem Einfluss von anderen Nutzern, Werbung und Massen-
3.2 Vertiefende Ansätze 85
„[I]t is through conversion that the spiral of consumption continues to turn, for in
our converting activities (and not just through initial rejection) those involved in
commodification (producers, regulators, advertisers, and the rest) learn about con-
sumption and may or may not alter their products and services to fit what they think
they have learned”.
“Thus, instead of technology determining the forms of use or rational atomistic indi-
viduals simply deciding what is useful to them, there is a middle ground of com-
promises, of negotiations between different types of influences – negotiations that
result in more or less stable attachments between new technology and its users“
(Lehtonen, 2003, S. 282-283).
In die Nutzung sind in der Regel – direkt oder indirekt – mehrere Personen in-
volviert. Der Prozess der Domestizierung ist deshalb ein sozialer Prozess des
Aushandelns (vgl. für einen aktuellen Überblick des Forschungsstands Berker,
Hartmann, Punie, & Ward, 2006).
Den sozialen Rahmen dieses Aushandelns bezeichnen die „Cultural Stu-
dies“ als die „alltägliche Lebenswelt“ („everyday life“, vgl. Bakardjeva & Smith,
2001; Hepp, 1998; Silverstone, 1995; Silverstone & Haddon, 1996). Jenseits der
vorgestellten Heuristik von Silverstone ist dieses Konzept allerdings im Rahmen
der „Cultural Studies“ wenig greifbar. Dies zeigt sich etwa in der theoretischen
Einführung von Highmoore (2002, S. 1). Er macht den Alltagsbegriff der „Cultu-
ral Studies“ am einem Diktum des französischen Literaturkritikers Maurice
Blanchot fest: „Whatever its other aspects, the everyday has this essential trait: it
allows no hold. It escapes” (Blanchot, 1987, S. 14).
Ein Versuch, den Alltag und seinen Einfluss auf die Ausgestaltung von In-
novationen jenseits der „Cultural Studies“ fassbar zu machen, ist die soziologi-
sche Rahmenanalyse. Diese wird im folgenden Kapitel vorgestellt.
3.2.3.2 Rahmenanalyse
7
Weitere vereinzelte soziologisch orientierte Ansätze, die nicht einer der genannten Strömungen
zuzuorden sind, sind das Konzept zur Vergesellschaftung und Kultivierung neuer Medien von
Rammert (1990, 1993), das „Medien-Entwicklungs-Modell“ von Kubicek, Schmidt und Wagner
(1997)und der Ansatz des „cadre sociotechnique“ von Flichy (1995).
3.2 Vertiefende Ansätze 87
“The sideplay presents something of symbolic meaning to both the girls and to the
others present. It creates a bond between them through breaking the bond with the
others achieved by dint of co-presence. Thus, it ties the two girls together, establish-
ing a temporally bounded sense of intimacy and necessarily excluding those around
them” (Taylor & Harper, 2003, S. 281).
8
So bezeichnen die Vertreter des „Social Shaping of Technology“ (SST)-Ansatzes ihr Konzept als
„a broad church“, welche den meisten anderen techniksoziologischen Ansätze ein Dach biete,
90 3 Stand der Forschung
Makroebene
werden aber etwa im Rahmen des „Social Construction of Technology“ (SCOT)-Ansatzes kaum
zitiert, da dessen Vertreter sich mehrheitlich den „Science and Technology Studies“ (STS) zu-
rechnen. Gleichzeitig sind allein die Labels dieser drei Ansätze so generisch, dass auch andere
techniksoziologische Konzepte sie verwenden, ohne sich dabei einer speziellen Schule zuzuord-
nen. So ist auch im Rahmen der „Cultural Studies“ vom „Social Shaping of Technology“ die
Rede, und mit der Bezeichnung „Social Construction of Technology“ identifizieren sich viele
Forscher allein darum, weil sie einen Gegenentwurf zum Technikdeterminismus darstellt.
3.2 Vertiefende Ansätze 91
Mesoebene
3.2.3.4 Resümee
Welcher Ansatz am besten geeignet ist, hängt sehr stark vom Materialobjekt
der Forschung ab. Da die Peer-Gruppe von Jugendlichen weniger komplex struk-
turiert sein dürfte als etwa ein Unternehmen, welches eine neue Software ein-
führt, scheinen Domestication und Rahmenanalyse hier durchaus geeignete An-
sätze zu sein. Dennoch sollten die sozialkonstruktivistischen Ansätze der Tech-
niksoziologie nicht vorschnell verworfen werden, denn sie können auf jene Fak-
toren hinweisen, die das basisdemokratische Aushandeln beeinflussen: Massen-
medien, aber auch etwa Hierarchien innerhalb von Peer-Gruppen.
Insgesamt erwarten wir von diesen meist qualitativ ausgerichteten Ansätzen
weniger einen Fortschritt im Sinne der Annäherung theoretischer Modelle an die
Befunde empirischer Messungen. Es geht vielmehr um einen Einblick in das
große Ganze, von dem die quantitativen Ansätze nur einzelne Aspekte sehr diffe-
renziert betrachten – also im übertragenen Sinne um den Wald, den man vor
lauter Bäumen nicht aus dem Blick verlieren sollte (Kleining, 2007).
Operationalisierbare Hypothesen finden sich kaum. So hält die Rahmenana-
lyse mehr ein Vokabular zur Beschreibung von Aushandlungsprozessen vor als
belastbare Konstrukte. Beim Angebot der Cultural Studies muss man unterschei-
den: De Certeaus Anliegen ist eher programmatisch zu sehen, als dass man ein
Abzielen auf reine Deskription und Prognose unterstellen könnte. Ihm geht es
um die Betonung der aktiven, taktischen und emanzipierten Rolle des Konsu-
menten. Hall und Silverstone bieten zwar komplexere Heuristiken an in Form
eines Kommunikationsmodells und eines Phasenmodells der Aneignung. Auch
hier lässt sich aber kaum von Operationalisierung und Prüfbarkeit sprechen.
So gesehen hat die frühe Kritik von Wren-Lewis (Wren-Lewis, 1983) am
„Encoding/Decoding“-Modell auch heute im Hinblick auf die Untersuchung von
Aneignung neuer Kommunikationstechnologien ihre Berechtigung:
“Given the wealth of material using semiological tools for the analysis of film and
television, it is remarkable that so little work has been done on the practice of decod-
ing. Obviously, empirical work on audiences is difficult to organise, but this is no
excuse for failing even to consider how such a project should be approached“.
3.2.4 Resümee
TPB Adoption Mikro quantitativ (Schenk et al., 1996; Hung, Ku, &
Kommunikationsdienste
Chan, 2003)
SNA Diffusion Mikro, Meso, quantitativ (Schenk et al., 1996; Schnorf, 2008;
Makro Campbell & Russo, 2003)
Rahmenanalyse Implementierung Meso qualitativ (Taylor & Harper, 2003; Oksman &
Turtiainen, 2004)
Tabelle 1: Übersicht vertiefender Ansätze zur Adoption, Diffusion und Implementierung neuer
Makrosoz. Sozial- Implementierung Makro historische/ (Rammert, 1990; Flichy, 2001; Ku-
konstruktivismus qualitative bicek et al., 1997; Faraj et al., 2004)
Fallstudien
3 Stand der Forschung
3.3 Integrative Ansätze 97
Während die Ansätze jeweils für sich genommen sehr weit entwickelt sind,
liegt noch ein großes Potential in ihrer Verbindung und im Aufbrechen der tradi-
tionellen Muster, wie sie anhand der Tabelle anschaulich werden. Warum sind
fast alle Ansätze zur Implementierung qualitativ ausgerichtet? Warum gibt es zur
Implementierung keinen Ansatz, der – wie bei der Adoption und Diffusion die
Netzwerkanalyse – gleichzeitig auf Mikro- Meso- und Makroebene greift? Gera-
de jene Studien, die nicht in das Raster der Tabelle passen, können hier den Weg
weisen: Katz, Aakhus et al. (J. E. Katz, Aakhus, Kim, & Turner, 2003) sowie
Campbell (Campbell & Park, 2008) zeigen, dass Unterschiede in der Implemen-
tierung auch quantitativ nachgewiesen werden können, etwa durch einen Ver-
gleich zwischen Kulturen.
Schenk et al. (Schenk et al., 1996) zeigen, dass Netzwerkanalyse mit TPB
verbunden und dabei sogar einzelne Aspekte der Implementierung berück-
sichtigt werden können.
Campbell und Russo (Campbell & Russo, 2003) zeigen, dass die Implemen-
tierung von Innovationen auch durch Netzwerkanalyse untersucht werden
kann.
Zu Beginn der letzten theoretischen Etappe dieser Arbeit soll noch einmal der
bisherige Fortschritt vor Augen geführt werden: Gedanklicher Ausgangspunkt
war die Maxime, die dem amerikanischen Philosophen Ralph Waldo Emerson
zugeschrieben wird: Eine überlegene Innovation setzt sich früher oder später
zwangsweise auch durch.
Erste Hinweise darauf, dass der Erfolg einer überlegenen Innovation durch-
aus noch abhängt von Größen, die auf den Prozess der Diffusion selbst Einfluss
nehmen, ergeben sich im Rahmen der klassischen Diffusionstheorie. Anhand
einer Vielzahl quantitativer empirischer Studien hat dieser Ansatz Befunde dazu
gesammelt, welche Faktoren auf Seiten der Innovation und der Übernehmer es
sind, die diesen Prozess prägen. Gleichzeitig wurden Mängel der klassischen
Diffusionstheorie identifiziert, die sich im Vorwurf der geringen „Tiefe“ zusam-
menfassen lassen: Es mangelt an Differenzierung sowohl in der Betrachtung von
individuellen Adoptionsentscheidungen als auch in der Modellierung von Pro-
zessen der sozialen Diffusion und der Implementierung von Innovationen.
Eine Analyse des Forschungsstands in benachbarten Ansätzen hat gezeigt,
dass alle bestehenden Einschränkungen für sich durch spezifische, aber isolierte
Ansätze überwunden sind.
98 3 Stand der Forschung
Es liegen also alle Mittel bereit, um die Ausgangsfrage nach der weiteren
Entwicklung von Innovationen nach Verlassen der Entwicklerlabors zu beant-
worten.
Dafür müssen nur die drei Erweiterungen der quantitativen Forschung zu-
sammengeführt werden. Die Erkenntnisse der qualitativen Forschung können
dabei leiten.
Dies soll in zwei Schritten geschehen.
In einem ersten Schritt wird die individuelle Aneignung untersucht. Dabei
stehen zusätzlich zur Diffusionstheorie die meisten oben erwähnten qualita-
tiven und quantitativen Ansätze zur Vertiefung Pate:
o Als quantitative Ansätze stehen bereit jene zur Vertiefung des
Adoptionskonzepts (insbesondere „Theory of Planned Beha-
vior“ [TPB] sowie „Uses-and-Gratifications“ [UGA] als An-
satz zur Vertiefung der Implementierung).
o Zusätzlich werden sämtliche qualitativen Ansätze herangezo-
gen, um die individuelle Aneignung zu erklären.
Im zweiten Schritt wird vom MPA-Modell ausgegangen, und es wird der
verbleibende quantitative Ansatz der Analyse sozialer Netzwerke herange-
zogen sowie jene Aspekte der qualitativen Ansätze, die zuvor nicht berück-
sichtigt wurden, weil sie über die individuelle Ebene hinaus gehen.
In zwei Schritten ergibt sich so – auf der Basis der im Forschungsstand vorge-
stellten Ansätze – ein umfassendes integratives Konzept zur Beschreibung und
Erforschung der weiteren Entwicklung von Innovationen (vgl. Abbildung 12).
3.3 Integrative Ansätze 99
soziale Faktoren:
- Analyse soziale
Netzwerke
Integrationsschritt 2:
MPA-Modell im Netzwerk
Aneignungsforschung:
- Cultural Studies,
individuelle Einstellungen
- Rahmenanalyse
TRA, TPB, TAM, UTAUT
Der erste Schritt führt auf ein integratives Modell auf der Mikroebene indi-
vidueller Aneignung. In seinem Kern ruht es auf einer Verbindung von so-
zialpsychologischer Handlungstheorie und „Uses-and-Gratifications“. Die
Befunde qualitativer Aneignungsforschung fließen aber auch ein. Dieses
Modell existiert in Form des MPA-Modells und wird im folgenden Kapitel
erläutert.
Im zweiten Schritt kommt es zu einer darüber hinaus gehenden Integration
auf der Ebene sozialer Netzwerke. Sie verbindet das MPA-Modell weiter
mit der Analyse sozialer Netzwerke. Diese Integration ist Ziel der vorlie-
genden Arbeit. Die Grundlagen dafür werden im zweiten anschließenden
Kapitel zusammengefasst.
3.3.1 Integration auf der Mikroebene durch das „Mobile Phone Appropriati-
on“-Modell
Die Darstellung zum ersten Integrationsschritt auf dem Wege zum Mobile Phone
Appropriation-Modell erfolgt in drei Schritten: Als Ausgangspunkt dient die
„Theory of Planned Behavior“ (Ajzen, 1985, 2005) als ein etablierter Ansatz zur
Erklärung individuellen Verhaltens (vgl. Abbildung 8, S. 62). Das zu erklärende
Verhalten wird im zweiten Schritt ausdifferenziert im Sinne der funktionalen
Unterscheidungen durch den „Uses-and-Gratifications“-Ansatz. In einem dritten
Schritt werden auf der Basis der Befunde qualitativer Ansätze zwei weitere Ele-
mente dem Modell hinzugefügt. Dabei handelt es sich um die Unterscheidung
nach verschiedenen Objektebenen von Technologie sowie um den Aspekt der
102 3 Stand der Forschung
Wirth et al. (2007) verwenden den Ansatz der „Theory of Planned Behavior“
wegen seiner vielfältigen empirischen Bewährung einmal zur Erklärung mensch-
lichen Verhaltens ganz allgemein, dann aber insbesondere auch zur Erklärung
der Adoption neuer Kommunikationstechnologien im besonderen. Diese Bewäh-
rung stellt eine solide Grundlage dar auf dem Weg dahin, das integrativen Mo-
dell empirisch überprüfbar zu machen.
Die Probleme des TPB-Modells liegen zum einen darin, dass es allein auf
der Individualebene angelegt ist, und zum anderen darin, dass es das zu erklären-
de Verhalten nur binär versteht, nämlich als Übernahme oder als Ablehnung.
Qualitative Aneignungsforschung und die netzwerkanalytische Diffusionstheorie
zeigen jedoch, dass dieser Prozess einer sozialen Prägung unterliegt. Weiter
zeigen die qualitativen Ansätze wie „Uses-and-Gratifications“, dass die Nutzung
von Innovationen ein multidimensionaler Prozess ist, der zwischen Nutzern und
über die Zeit hinweg variieren kann.
Im Rahmen des MPA-Modells wurde die Frage nach dem sozialen Prozess
– jenseits der ohnehin von der TPB vorgenommenen Berücksichtigung von
Normen – zunächst zurückgestellt. Stattdessen bemühte man sich, Aneignung als
individuellen Prozess in seiner ganzen Komplexität zu erfassen und den Ansatz
weiter auszudifferenzieren im Hinblick auf seine abhängige Variable des „Ver-
haltens“.
Im Zuge seiner Adaptation auf den Prozess der Aneignung wird das TPB-
Modell stark erweitert und ausdifferenziert. In dieser ganzen Komplexität eignet
es sich nicht mehr als Ausgangsbasis: Das erweiterte Modell würde überkomplex
und praktisch nicht mehr sinnvoll operationalisierbar. Aus diesem Grund muss
zunächst mit einer Vereinfachung des Grundmodells erst noch die Vorausset-
zung für eine Erweiterung geschaffen werden.
Eine erste Vereinfachung ist im Modell selbst angelegt: „attitude“, „subjec-
tive norm“ und „perceived behavioral control“ stellen rein theoretisch nichts
anderes dar als die Produkte der ihnen jeweils vorangestellten beiden Konstrukte,
die sich jeweils aus Erwartungen („beliefs“) und deren Bewertungen („evalua-
tions“) zusammensetzen: „Attitude“ ist das Produkt von „behavioral beliefs“ und
„outcome evaluations“, „subjective norm“ ist das Produkt von „normative be-
liefs“ und „motivations to comply“ und „perceived behavioral control“ ist das
Produkt von „control beliefs“ und dem „influence of control beliefs“ (Ajzen,
1985, 2005).
3.3 Integrative Ansätze 103
So lässt sich theoretisch rechtfertigen, dass man direkt die „attitude“ auf den
einzelnen Ebenen erfragt, ohne zusätzlich die jeweiligen verhaltensbezogenen
normativen und kontrollbezogenen Erwartungen und Bewertungen zu erheben.
Die „Intention“ wiederum stellt eine vermittelnde Variable dar (Thomson et al.
2006). Somit kann auch sie als Faktor in der Betrachtung vernachlässigt werden,
ohne dass die grundlegende theoretische Struktur des Modells Schaden nimmt.
Das daraus resultierende vereinfachte TPB-Modell (Abbildung 13) dient als
Grundlage des integrativen Modells von Wirth et al.
Behavioral Attitudes
(Behavioral beliefs x
outcome evaluations)
Subjective Norms
(Behavioral beliefs x Behavior
outcome evaluations)
Auf dieser Basis kann nunmehr die Ausdifferenzierung des Verhaltens angegan-
gen werden. Hier wird auf den „Uses-and-Gratifications“-Ansatz zurückgegrif-
fen.
sche Nutzung aus und erst mittelbar auch auf die funktionale Nutzung: Wenn
Mobile-TV, mobiles Internet, Handyspiele und lange Telefongespräche zu teuer
sind, dann werden wahrscheinlich auch die funktionalen Nutzungssituationen
seltener vorkommen, in denen das Handy zur reinen Unterhaltung und zum Zeit-
vertreib genutzt wird.
Als Zwischenstufe in der Entwicklung des MPA-Modells ergibt sich so ein
Modell, das „Theory of Planned Behavior“ und „Uses-and-Gratifications“ be-
rücksichtigt (vgl. Abbildung 14).
Kontaktpflege, Kontrolle
Relevanzbewertungen
Ablenkung/Zeitvertreib,
Alltagsmanagment,
Pragmatisch
Ablenkung/Zeitvertreib Alltagsmanagement Kontaktpflege Kontrolle
Symbolische Bewertungen
Nutzung
Soziale Dimension Psychologische Dimension
Psychologische Dimension
Normative Bewertungen
Soziale Dimension
Objektbezogene Aspekte Funktionale symb. Aspekte Funktionale pragm. Aspekte
Symbolisch
Restriktionsbewertungen
Finanziell Technisch Zeitlich Kognitiv
Abbildung 14: Verbindung von „Theory of Planned Behavior“ und „Uses-and-Gratifications“ (Zwi-
schenstufe der Entwicklung des MPA-Modells)
Zwei Kritikpunkte stehen allerdings noch aus, die sich aus den jeweiligen Ein-
schränkungen von TPB und Uses-and-Gratifications ergeben:
Die Innovationen selbst – als (technologische) Objekte – kommen in der
Betrachtung zu kurz. Gerade bei Medientechnologien reicht es nicht, das
Blickfeld auf ihre Funktionen einzuschränken. Das legt Silverstone (Silver-
stone & Haddon, 1996) im Rahmen des Domestication-Ansatzes dar mit
dem Begriff der „doppelten Artikulation“ von Kommunikationstechnolo-
gien einmal als Medien und zum anderen als (ästhetische und technische)
Objekte. Die Tatsache, dass dieser Aspekt vernachlässigt wird, kritisiert
auch Orlikowski (Orlikowski & Iacono, 2001) an den von der „Theory of
Planned Behavior“ abgeleiteten Handlungsmodellen der information sys-
tems.
Die Einstellungen zu funktionalen Relevanzen, zu Normen und zu Restrik-
tionen werden als feststehend betrachtet. Tatsächlich aber unterliegen sie
einem ständigen Wandel. Das zeigen Rahmenanalyse und Cultural Studies
gleichermaßen. Die Statik leitet sich hier auch aus der TPB her. und wurde
bereits bei der TPB moniert (Jonas & Doll, 1996).
Diese beiden Punkte werden im MPA-Modell im Rückgriff auf qualitative An-
sätze zusätzlich berücksichtigt.
Eine Kritik an der TPB bezieht sich auf den Umstand, dass sie ihre unabhängi-
gen Variablen (Erwartungen und Bewertungen in Hinblick auf Verhalten, Nor-
men und Restriktionen) als statisch ansieht (Jonas & Doll 1996). Eigentlich soll-
te man erwarten, dass diese Variablen sich durchaus über die Zeit hinweg än-
dern. Gerade im Hinblick auf Mobilkommunikation zeigt eine Vielzahl an Stu-
dien, dass sich im Laufe der Diffusion und der Aneignung einer Innovation die
Erwartungen und Bewertungen ihr gegenüber dynamisch entwickeln. Für eben
diesen Prozess gibt es in qualitativen Ansätzen mannigfache Bezeichnungen:
Man spricht von „Rahmenverhandlungen“ (Höflich, 1998; Höflich, 2000, 2003)
oder „domestication“ (bzw. genauer „conversion“ [Silverstone & Haddon,
1996]), aber auch – in der Techniksoziologie – von „Social Shaping“ (Bijker et
al., 1987) und von einem „Aushandeln von sozio-technischen Rahmen“ (Flichy,
1995). Diesen Ansätzen und Metaphern ist gemein, dass sie einen Prozess der
Kommunikation über die Nutzung einer Innovation umschreiben. Eben diesen
Prozess bezeichnen Wirth et al. (2007) als „Metakommunikation“: Es handelt
sich um eine Kommunikation über Kommunikationsmittel.
Metakommunikation treibt den Aneignungsprozess voran wie ein chemi-
scher Katalysator. Sie vermittelt den Austausch an Informationen über Nut-
zungsmöglichkeiten, Normen und Restriktionen, der die Aneignung vorantreibt.
Ist eine Innovation im persönlichen und sozialen Umgang einmal habitualisiert,
dann geht der Einfluss der Metakommunikation zurück. Wie ein chemischer
Katalysator verbraucht sie sich aber nicht, sie steht weiterhin bereit, falls durch
neue Anstöße (etwa durch neue eingebettete Innovationen) neuer Bedarf am
Aushandeln aufkommt (Hepp, 1998, S. 97).
Metakommunikation tritt auf sowohl auf in interpersonaler Form als auch in
Form einer massenmedial vermittelten Kommunikation. Ein Gespräch zweier
Schüler über die Nutzungsmöglichkeiten einer Handy-Kamera stellt genauso
Metakommunikation dar wie eine Werbung am Bahnhof, die mobiles Internet
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