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kohäsive Sprachenpolitik?
Diskussionspapier der Alexander von Humboldt-Stiftung 11/2007
Jean-Paul-Straße 12 . D-53173 Bonn · Tel: +49(0) 228/833-0 . Fax: +49 (0) 228/833-199
E-Mail: info@avh.de . Internet: www.humboldt-foundation.de
Die Diskussionspapiere der Alexander von Humboldt-Stiftung erscheinen mehrmals im Jahr zu unterschied-
lichen Themen. Sie sollen die Ergebnisse der Arbeit der Stiftung und ihres weltweiten Humboldt-Netzwerks
transparent machen und Impulse geben für die außenkulturpolitische und forschungspolitische Diskussion. Die
Beiträge geben die Meinung der Autorinnen und Autoren wieder.
Inhalt
Vorwort
Eröffnungsvortrag
Podiumsdiskussion
Resümee
Die Alexander von Humboldt-Stiftung förderte 2006 Gegenwärtiger Stand der Diskussionen zur Mehr-
ausländische Spitzenwissenschaftlerinnen und Spit- sprachigkeit in Deutschland, Ansätze zu einer koordi-
zenwissenschaftler, die als Forschungsstipendiaten nierten Sprachenpolitik mit Bezug auf Fremd- und
(1531) oder als Forschungspreisträger (285) nach Einwanderungssprachen in Schulen und als Unter-
Deutschland kamen, um hier mit ihren Fachkollegen richtsmedium in Hochschulen, Mehrsprachigkeit als
über längere Zeit zusammen zu forschen. Individuelle soziale, kulturelle, kognitive und wirtschaftliche Res-
wissenschaftliche Exzellenz ist das wichtigste Aus- source sowie Maßnahmen zur Erweiterung der Mehr-
wahlkriterium. Es gibt keine Quoten, weder für einzel- sprachigkeit in Deutschland mit europäischem und
ne Ländern noch für einzelne akademische Diszipli- globalem Bezug standen im Mittelpunkt des Projekts,
nen. Dass 2006 22 % der Humboldtianer den Geis- das auf den reichen Erfahrungen Australiens aufbaut.
tes- und Sozialwissenschaften, 67 % den Natur- und
11 % den Ingenieurwissenschaften angehören, ist ein Dank der Initiative von Michael Clyne ist zum Ab-
Ergebnis des weltweiten Wettbewerbs. Sofern zum schluss seines Forschungsaufenthaltes vom 27.-
Gelingen des von den Humboldtianern selbst gewähl- 29.September 2006 ein Expertengespräch auf Einla-
ten Forschungsvorhabens nicht deutsche Sprach- dung der Alexander von Humboldt-Stiftung und der
kenntnisse unerlässlich sind, können sich die An- Deutschen Welle zu dem Thema „Braucht Deutsch-
tragsteller mit guten Englischkenntnissen bewerben. land eine bewusstere, kohäsive Sprachenpolitik?“ von
Auch wenn die Arbeitssprache der Mehrheit der Hum- Gerhard Leitner organisiert worden. Programm, Teil-
boldtianer Englisch ist und die Mehrzahl ihrer Publika- nehmerliste und Vortragsbeiträge sind unter
tionen in englischsprachigen Organen erscheint, ist http://www.avh.de/de/netzwerk/veranstalt/expert_2006
das Interesse der Humboldtianer an dem Angebot _index.htm zu finden.
von Intensivsprachkursen in Deutsch sehr groß. Ins-
gesamt förderte die Humboldt-Stiftung 2006 nicht nur In der Reihe der Diskussionspapiere der Alexander
292 Forschungsstipendiaten und 82 Ehepartner mit- von Humboldt-Stiftung wird hiermit die Dokumentation
mehrmonatigen Ganztagskursen, sondern finanzierte der Panel-Diskussion zu dem Themenbereich „Spra-
zusätzlich 156 Sprachkurse während des For- chen als Unterrichtsmedium in Hochschule und For-
schungsaufenthaltes. Berücksichtigt man die große schung“ schriftlich vorgelegt, die von Prof. Dr. Dr. h.c.
Zahl der Kinder der Humboldtianer, die während des Konrad Ehlich moderiert wurde. Vorangestellt ist der
Forschungsaufenthaltes ihrer Eltern in Deutschland Einführungsvortrag von Michael Clyne und ange-
„spielend“ Deutsch lernen im Kindergarten oder er- schlossen das Resümee von Gerhard Leitner mit den
folgreich deutsche Schulen besuchen, trägt die För- Schlussfolgerungen aus dem Expertengespräch.
derung der AvH langfristig aktiv zur Verbreitung der
deutschen Sprache bei. Die Humboldt-Stiftung dankt erneut allen engagierten
Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Tagung, den
Gleichzeitig fördert die Humboldt-Stiftung die Vorha- Organisatoren, Moderatoren und Rednern sowie der
ben von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Deutschen Welle für ihre Gastgeberrolle. Besonderer
deren Forschungsgegenstand die deutsche Sprache Dank gilt Konrad Ehlich sowie seinen Mitarbeitern für
und Literatur ist. Ein außergewöhnliches Forschungs- die Leitung, Verschriftlichung und redaktionelle Über-
projekt stand im Mittelpunkt des Deutschlandaufent- arbeitung der Panel-Diskussion.
haltes von Forschungspreisträger Prof. Dr. Dr. h.c.
Michael Clyne, Ph.D., University of Melbourne, der
auf Einladung der Professoren Gerhard Leitner, Freie Dr. Gisela Janetzke
Universität Berlin und Heinrich Kelz, Universität Bonn, Stellv. Generalsekretärin Mai 2007
1
Mein herzlicher Dank gilt der Alexander von Humboldt Stiftung (Generalsekretär, Dr. Georg Schütte), die mir durch die Verleihung
eines Forscherpreises dieses Projekt ermöglicht hat, und den beiden Gastgeberinstitutionen und Betreuern, der Freien Universität
Berlin – Prof. Dr. Gerhard Leitner – und der Universität Bonn – Prof. Dr Heinrich Kelz, die mich nominerten und mir mit vielen Anre-
gungen geholfen haben. Für unerlässliche Hilfe bei der Gewinnung und Analyse von Daten bin ich Doris Schüpbach zu Dank ver-
pflichtet. Ebenfalls danke ich Tenzile Maraslioglu für wertvolle Hilfe bei diesem Papier und Sue Fernandez für ihre Arbeit an der
Bibliographie. Ich danke den vielen Kolleginnen und Kollegen, Schulen, Universitäten, Behörden und Unternehmen, die mir auf ver-
schiedene Weise ermöglicht haben, in die hier besprochenen Themen Einsichten zu gewinnen, bzw. dieses Paper zu schreiben.
‚Fremdsprachen‘ sind heutzutage Teil des allgemei- Welche Sprachen als zweite oder dritte Fremdspra-
nen Grundschulcurriculums. Von den 16 Bundes- che eingeführt werden, ist je nach Bundesland und
ländern bieten in der 1. und 2. Klasse fünf flächen- Schule verschieden. Am populärsten sind Franzö-
deckend eine zweite Sprache an und in elf steht ein sisch, dann Spanisch und Italienisch und in viel
Teilangebot zur Verfügung. Allerdings ist in den geringerem Maße Russisch und Portugiesisch (s.
ersten zwei Grundschulklassen das Angebot am aber HH3), besonders in Städten. Das Angebot für
vielfältigsten, indem es internationale, Nachbar-, Türkisch als Zweitsprache ist ziemlich bescheiden
Minderheits- und Herkunftssprachen enthält. Von und für andere Nicht-EU-Sprachen wie Arabisch,
der 3. Klasse an ist der Fremdsprachunterricht Chinesisch (trotz steigender Nachfrage), Farsi und
generell verpflichtend und Englisch fast überall die Hindi sehr gering. Auf Grund von Erkundigungen in
einzige oder dominante FS. (Die Ausnahme ist das Berlin und Nordrhein-Westfalen, den Bundeslän-
Saarland mit seinen engen Beziehungen zum dern von deren Universitäten ich eingeladen
Französischen.) Es gibt aber keine Statistik, die wurde, und in Hamburg, wird nach Englisch und
darüber Auskunft gibt, ob eine in der 1. und 2. Französisch als 2. Fremdsprache in Berlin Rus-
Klasse gelernte Sprache von den gleichen Schüle- sisch und Spanisch, in NRW und Hamburg Türkisch
rInnen später wieder aufgenommen wird. Fremd- gelehrt. Auch in Hamburg steht Spanisch knapp an
2 Eine Firma soll mehr den Weg der Mehrsprachigkeit eingeschlagen haben; die andere sei eine intern deutsche Firma, die dennoch
viel Englisch als Konzernsprache verwende. Eine Reihe von Schwer- und Dienstleistungsindustrien sind vertreten.
Von Zeit zu Zeit wird die EU-Sprachenpolitik pro- Es ist in Deutschlands Interesse, eine bewusste
blematisiert, wie z. B. die Zahl der erforderlichen pluralistische Sprachenpolitik kohäsiv durchzufüh-
Dolmetscher nach dem Beitritt neuer Staaten 2005. ren, um die interne Mehrsprachigkeit (einschließlich
Trotz des EU-Prinzips der Amtssprachengleichheit Deutsch und Englisch) mehr zu würdigen, pflegen,
befindet sich Deutsch – die Sprache mit weitaus stärken und verbreiten, aber zugleich den Status
der größten Zahl von Muttersprachlern innerhalb des Deutschen international zu erhöhen. Um das zu
der EU – in einer untergeordneten Rolle gegenüber ermöglichen, müssen durch Information zwei vor-
Englisch und Französisch. Zwar ist Deutsch eine herrschende Trugschlüsse entmutigt werden:
Arbeitssprache, auch in einigen wichtigen EU-
Instutionen, ist aber selten Vorlagesprache von • Die Kenntnis einer Sprache schadet der anderen
Dokumenten (Nach Ammon werden nur 5 % der • Englisch genügt, um mit ‚Anderssprachigen‘
Dokumente auf Deutsch verfasst). umzugehen.
In zunehmendem Maße ist Englisch innerhalb der Verschiedene Institutionen der Gesellschaft kön-
EU zur lingua franca und zur vorherrschenden nen ihren Beitrag zu einem Gesamtprogramm lie-
Sprache geworden. Im März 2004 hat der Deut- fern, um das Sprachpotential zu verwirklichen, z. B.
sche Bundesrat einen Beschluss gegen die Diskri-
minierung der deutschen Sprache in der EU ver- Was Regierungen tun können, ...
abschiedet. Es wurde betont, dass ‚die Stärkung ... um die Entwicklung des Sprachpotentials in der
der deutschen Sprache in der EU...Hauptziel der Bevölkerung zu fördern:
deutschen Sprachenpolitik bleiben muss‘ (S. 1) 1. eine bewusste, koordinierte Sprachenpolitik for-
(unterstellt, dass es eine gibt – MC). Ziel muss es mulieren und umsetzen,
sein, die deutsche Sprache gegenüber anderen 2. das Sprachbewusstsein in der Bevölkerung för-
Sprachen, insbesondere Englisch und Franzö- dern,
sisch nicht zu benachteiligen‘. Aber am wichtigs- 3. interkulturelle Kommunikation und den Aus-
ten wäre es, der Praxis der Mehrsprachigkeit in tausch von Sprachen fördern,
der inter-kulturellen Kommunikation mehr zu fol- 4. Unternehmen und Institutionen (vielleicht durch
gen. Preise oder Bonusse) dazu anhalten, die
Quelle:
www.bildungsportal.nrw.de/BP/Schule/System/
SchuleSuchen/
(Anzahl Klassen und Anzahl Schüler sind aus
diesen Angaben nicht ersichtlich)
22
29 Schulen wurden angeschrieben, 13 Schulen (45 %) haben geantwortet (3 Schulen haben 2 Fokussprachen, die gesondert aufgeführt sind; deshalb
umfasst die Tabelle insgesamt 16 Items).
Abkürzungen: MS = Muttersprache bzw. Muttersprachler; FS = Fremdsprache bzw. Fremdsprachler; B = Berlin, HH = Hamburg, NRW = Nordrhein-Westfalen
(Raum Bonn/Köln).
Schule Schultyp unterrichtete Fokussprache als ... ab ... für wen? Anzahl Schüler Bemerkungen
Sprachen
insges. bilingual Fokus- MS
sprache
B1 Gymnasium E (auch bilingual), Polnisch 3. FS, Wahl- Kl.9 bis MS & FS 1026 (250) 75 40 Kurse nach Vorkenntnissen eingeteilt,
F, L, Polnisch pflichtfach Abitur „legen besonderen Wert darauf,
dass Schüler rein deutschen Hinter-
grundes Polnisch lernen“
B2 Gesamtschule E (auch bilingual), Türkisch 1. FS auf Kl.7-10 MS & FS 1250 93 156 220 Zusammenarbeit mit/aufbauend auf
mit Europa- F, L, Türkisch MS-Niveau, Aziz-Nesin-Grundschule
klassen bilingual
2. FS, Wahl- Kl.7 bis MS 163
pflichtfach Abitur
B3 Gesamtschule E, F, Türkisch Türkisch 2. FS, Wahl- Kl. 7 od. 9 MS 671 – 37 37 2005 erstmals Angebot für FS, aber
pflichtfach zu geringe Nachfrage, ebenso für
Wahlpflichtkurs 7.Kl.
Kein Angebot auf Oberstufe
B5 Grundschule/ E, Port Portugies. Bilingualer Kl. 1 MS & FS 356 248 248 104 auch portugiesische Nachmittags-
Europaschule Pflichtunterricht betreuung und AGs
B6 Gymnasium E, F, L, AltGr, Port Portugies. 1. FS, bilingua- Kl.7 MS & FS 592 45 (+77) 45 22 im Aufbau, erst Kl. 7 & 8, aufbauend
& NeuGr (bilingual) les Angebot auf bilingualen Unterricht seit Kl.1
HH 1 Gymnasium E, F, L. Sp, Port Arabisch 3. od. 4. FS Kl.11-13 (FS)* 750 – 81 6-8 * dte Schüler mit Interesse an
Arabisch (+ Türk., (ohne Vor- Sprache/Kulturraum, türkische,
Russ., Poln., Chin. kenntnisse) iranische u. afghanische Schüler mit
an Partnerschulen) Interesse an Sprache des Koran,
arabische Schüler MS als Schrift-
sprache
• Einkaufen 70 (84 %)
• nach dem Weg fragen 64 (77 %)
• Verkehrsmittel 65 (78 %)
• Behörden 38 (46 %)
• trifft nicht zu 10 (12 %)
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in Hochschule und Moderiert wurde das Gespräch von Prof. Dr. Dr.
h.c. Konrad Ehlich, der den Mitgliedern des Pa-
Forschung nels zuvor dreizehn „Thesen und Fragen zur
Wissenschaftssprache Deutsch“ vorgegeben
hatte. Diese stehen der Dokumentation voran;
von Konrad Ehlich ebenso kurze Abstracts, in denen die Mitglieder
des Panels ihre Grundposition knapp und präzi-
1. Einführung se zusammengefasst haben.
Vom 27. – 29. September 2006 wurde auf Ein-
ladung der Alexander von Humboldt-Stiftung Die Panel-Diskussion wurde von Diana Kühndel
und der Deutschen Welle ein Expertengespräch M.A. und Kristin Stezano Cotelo M.A. vom Insti-
zum Thema „Braucht Deutschland eine bewuss- tut für Deutsch als Fremdsprache / Transnatio-
tere, kohäsive Sprachenpolitik?“ veranstaltet. nale Germanistik der Ludwig-Maximilians-
Dieses Gespräch wurde zu Ehren von Prof. Dr. Universität München verschriftlicht und vom
h.c. Michael Clyne Ph.D., veranstaltet und durch Herausgeber redaktionell überarbeitet.
ein Basisreferat von ihm eingeleitet.
2. Die Thesen und Fragen
Einer der Themenbereiche befasste sich mit
„Sprachen als Unterrichtsmedium in Hochschule Wissenschaftssprache Deutsch
und Forschung“. Die folgenden Seiten dokumen-
tieren die Panel-Diskussion, die bei dieser Gele- Konrad Ehlich
genheit stattfand. Fünf Teilnehmer tauschten 1. Die neuzeitliche (west-)europäische Wis-
Erfahrungen, Auffassungen und pointierte senschaftsentwicklung beginnt mit der Ablö-
Standpunkte aus: sung von der Wissenschaftssprache Latein
− Frau Janine Nuyken als Vizepräsidentin der und geht mit der Ausbildung nationaler
Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an Sprachen zu eigenständigen Wissen-
der Oder schaftssprachen Hand in Hand.
− Prof. Dr. Dr.h.c. mult. Theodor Berchem ist
gegenwärtig der Präsident des Deutschen Ist dieser Weg der Wissensentwicklung
Akademischen Austauschdienstes und war - ein Irrweg?
zuvor schon in vielfältigen wissenschafts- - eine Zwischenetappe zu einer erneuten
administrativen Zusammenhängen aktiv, un- wissenschaftlichen Einsprachigkeit?
ter anderem als Präsident der Universität - ein Fortschritt für die Wissenschaftsent-
Würzburg wicklung?
− Prof. Dr. Eberhard Liebau von der Universi- - eine nützliche / eine notwendige Diffe-
tät Hamburg, der zuvor an einer kleinen, renzierung?
selbständigen Universität tätig war, die jetzt
sozusagen in die größere Universität Ham- 2. Wissenschaftssprachen entwickeln sich zu
burg „eingemeindet“ wurde, ist Betriebswirt- einem gewissen Teil naturwüchsig, zu ei-
schaftler nem anderen durch explizite und implizite
− der Mediziner Prof. Dr. med. Ralph Mocikat konstruktive Verfahren (z.B. Terminologie-
von der Ludwig-Maximilians-Universität planung) sowie die Sozialisation der wissen-
München brachte die Sprachensituation in schaftlichen NovizInnen in der jeweiligen
seinem Fach und damit einer Naturwissen- Wissenschaftssprache.
schaft ein
− Prof. Dr. Peter Strohschneider, ebenfalls Lohnen sich Aufwendungen für den Erhalt,
von der Ludwig-Maximilians-Universität, die Weiterentwicklung und die Verbreitung
germanistischer Mediävist, ist gegenwärtig mehrerer Wissenschaftssprachen?
4. Die Rolle der Sprache für die Wissensge- 8. Wissenschaftssprachen sind eine wichtige bil-
winnung und die Wissensweitergabe ist offen- dungsökonomische und ökonomische Res-
bar disziplinspezifisch bzw. gilt für ganze source. Die Anglisierung der Wissenschaft
Gruppen von Disziplinen in unterschiedlicher bedeutet die Aufgabe dieser Ressource für die
Weise. anderen nationalen Wissenschaftskulturen.
Nun zum Bereich Hochschule und Wissenschaft. Um das Deutsche als Wissenschaftssprache zu
stützen, wäre aus meiner Sicht eine Kombination
Herr Kollege Ehlich hat dazu zielführende Fragen verschiedener Ansätze erforderlich:
formuliert, die ich mit aufnehme: 1. Wichtig ist eine selbstbewusstere, angemes-
Die großen europäischen Nationalsprachen sene Verwendung des Deutschen für Publikatio-
haben sich zu leistungsfähigen Wissenschafts- nen und auf Kongressen.
sprachen entwickelt. Wir werden mit der Einsicht 2. Hinzu kommt die Notwendigkeit eines klaren
leben müssen, dass diese Situation nicht aufrecht politischen Willens der prominenten Institutio-
zu erhalten ist. Für die Naturwissenschaften sind nen, also der Akademien, der DFG, der HRK
die Entscheidungen längst getroffen: Ihre Sprache und anderer mehr.
ist weltweit wie gesagt das Englische. Andere 3. Ob man in unseren Partnerländern Deutsch
Sprachen entwickeln sich terminologisch nicht lernt, um in Deutschland zu studieren, hängt
mehr ausreichend rasch oder hinreichend diffe- entscheidend von der Qualität der Forschung
renziert. und vom Rang der Publikationen ab: Wissen-
schaftliche Spitzenleistungen sind insofern auch
Deutsch bleibt allerdings an den deutschen Hoch- die beste Deutschförderung.
schulen in der überwiegenden Zahl der Fälle Unter-
richtssprache. Ob es angesichts der Vielzahl von Trägern und
Institutionen wirklich einen Schritt voran bedeutet,
Die Lehrangebote in Englisch – die nur ca. drei Pro- eine zusätzliche Institution zu schaffen, etwa eine
zent der Lehrangebote ausmachen – ändern daran weitere Akademie, sollte sehr genau bedacht wer-
nichts. den.
Es gibt auch keine Argumente gegen gute Eng- Ich neige zur Zeit nicht dazu, dies zu befürworten.
lischkenntnisse bei deutschen Studierenden und Wir brauchen aber dringend einen Verhaltenskodex
Lehrenden – im Gegenteil: für den Umgang mit unserer Muttersprache im Wis-
Hier gibt es sogar bedauerliche Defizite! senschaftsbereich.
Eine verbesserte Ausbildung in modernen Fremd- Es wäre ein Schritt voran, wenn die vorhandenen
sprachen ist ein Desiderat, und, das sei hier aus- (und durchaus ja einflussreichen) Institutionen zu
drücklich erwähnt, eine verbesserte muttersprachli- mehr Gemeinsamkeit in sprachenpolitischen Fra-
che Ausbildung nicht minder. gen fänden – wir sollten dieses Colloquium als
Plattform nutzen, um über realistische und gang-
Bei unseren Studierenden ist die Beherrschung der bare Möglichkeiten nachzudenken, dieses wichtige
eigenen Muttersprache in Wort und Schrift oft Zwischenziel zu erreichen!
beklagenswert schlecht.
Nun, gleichwohl haben große Nationalsprachen Weiter zur Kooperation. Bei der Förderung und
allen Grund, in bestimmten Gebrauchsfeldern ihre Unterstützung der zahlreichen Germanistenver-
Stellung zu verteidigen. Wer diese Haltung vertritt, bände im Ausland wäre eine bessere Bündelung
muss freilich auch dazu stehen, dass etwa das der Aktivitäten und Informationen wünschenswert.
Deutsche und Französische in Europa als Fremd- Ich rede da auch mit Blick auf unseren Beirat Ger-
sprache als grenzüberschreitende Sprachen be- manistik, der könnte hier auch etwas stärker koor-
deutsamer sind als das Dänische oder das Finni- diniert werden.
sche. Immerhin haben wir hundert Millionen deut-
sche Muttersprachler und nur zwei oder drei Millio- Nun aber zum Bereich „Hochschule, Wissen-
nen Finnen, wenn es so viele sind ... schaft“. Dazu hat der Kollege Ehlich ja zielführende
Fragen gestellt. Die europäischen Sprachen haben
Ehlich sich im Laufe von Jahrhunderten zu leistungsfähi-
Es sind ca. fünf Millionen... gen Wissenschaftssprachen entwickelt, und wir
denken alle an die vielen, an die Tausende soge-
Berchem nannter Internationalismen – das sollte man nicht
In einigen Bereichen sind die Dinge noch im Fluss. vergessen –, die einem auch erleichtern, Englisch
Und gerade hier bietet sich die Möglichkeit, dezi- in der Wissenschaft zu sprechen, weil sie ohnehin
diert Einfluss zu nehmen, so etwa zum Stichwort die gleichen Wurzeln haben. Das ist also ein Vorteil.
„Arbeitssprachen in der EU“. Eine gleichberechtigte
Stellung des Deutschen neben dem Englischen Für die Naturwissenschaften sind die Entscheidun-
und dem Französischen steht immer noch aus. gen, meine ich, längst getroffen: Deren Sprache ist
Hegemonialität, so hören wir ja immer wieder, ist Für die Forschung selbst gilt, dass sie selbstver-
eigentlich wie eine Art Lawine, ist eine Naturgewalt, ständlich international ist, wie wir in unseren
die unbeeinflussbar ist. Ich bin mir nicht so sicher, Labors vor 20 Jahren auch schon international
ob diese Metapher nicht auch ein Stück weit eine waren, mit vielen Austauschwissenschaftlern aus
„self-fulfilling prophecy“ darstellt in Bezug auf die Amerika, aus China, aus Osteuropa. Mein Plädoyer
weitere Entwicklung des Wissenschaftsprozesses ist, dass jeder seine Muttersprache verwenden
und in Bezug auf die Möglichkeiten, die z. B. ein sollte, sofern sie verstanden wird. Es reicht auch
Wissenschaftsraum wie der europäische mit seiner nicht aus, wenn ein Wissenschaftler nur Englisch
Potenz, also von den Sprecher- und Sprecherin- beherrscht. Ein Wissenschaftler sollte neben Eng-
nenzahlen angefangen bis zur wirtschaftlichen und lisch und seiner Muttersprache auch noch eine wei-
zur wissenschaftlichen Potenz, hin hat. Haben wir tere Fremdsprache zumindest passiv beherrschen,
Möglichkeiten der Veränderungen, oder sind solche so dass er dem anderen zuhören kann, so dass
Möglichkeiten überhaupt nicht gegeben? Gibt es nicht die Situation eintritt, dass beide in einer Spra-
Chancen, eine Internationalisierung des Wissen- che radebrechen müssen, die beide Seiten nur
schaftsprozesses zu betreiben, in der nicht hege- sehr unvollständig beherrschen.
monial, genauer nicht national hegemonial gedacht
wird? Herr Liebau, Sie haben gesagt, es sei nur eine
Frage der wachsenden Englischkenntnisse, so
Mocikat: dass sich in fünf Jahren die Situation sehr verbes-
Eine Sprache, die die zukunftsweisenden Elemente sern werde, weil dann sowohl die Studenten als
nicht mehr wiedergeben kann, wird eine Sprache auch die Postdoktoranden als auch die Dozenten
der zweiten Klasse. Dies wirkt sich vielfältig aus. alle viel besser Englisch könnten. Das mag richtig
Ein Aspekt betrifft den Transfer von Wissen in die sein. Aber ich gebe zu bedenken: Das Englische ist
Öffentlichkeit, in die Laienöffentlichkeit und in die trotzdem niemals Muttersprache, und was das
Fachöffentlichkeit. Der Dialog zwischen der Öffent- heißt, stelle ich auch bei Leuten fest, die wirklich
lichkeit und der Wissenschaft wird natürlich immer exzellente Englischkenntnisse haben, die zehn,
schwerer, wenn die Wissenschaft schon von vorn- zwanzig Jahre in englischsprachigen Ländern
herein, schon bei der Erkenntnisfindung, nur noch zugebracht haben, von denen man also wirklich
die englische Sprache kennt, wenn keine Fachbe- erwarten kann, dass sie das Englische beherr-
griffe mehr entwickelt werden. Einerseits hat die schen. Wenn man sich deren Vorträge anhört, wird
Wissenschaft die Pflicht, die Öffentlichkeit über die zwar die Information vermittelt, aber das, was einen
Ergebnisse zu informieren, die sie mithilfe unserer Vortrag auch ausmacht, das kann in der Fremd-
Steuermittel erzielt hat. Andererseits muss die Wis- sprache nicht realisiert werden: Nuancen, die rhe-
senschaft auch am öffentlichen Diskurs teilneh- torischen Stilmittel, das Zwischen-den-Zeilen-
men, z. B. was die ethischen oder ökonomischen Gesagte, das Humoristische, alles das, was zu
Folgen des wissenschaftlichen Handelns anbe- einer guten Vorlesung auch dazu gehört.
langt. Da sehe ich eine zunehmende Dissoziation
zwischen der Wissenschaft und der Öffentlichkeit. Ehlich:
Aber auch das Verhältnis zur Fachöffentlichkeit ist Jetzt zunächst Herr Strohschneider.
betroffen. Das wird besonders offensichtlich in sol-
chen anwendungsbezogenen Naturwissenschaf- Strohschneider:
ten, wie ich sie vertrete, der biomedizinischen For- Ich habe viele kleine Bemerkungen, zum Teil han-
schung. Sie wird natürlich nicht um ihrer selbst delt es sich nur um Kommentare. Der erste Kom-
willen betrieben, sondern letztlich hoffe ich ja, dass mentar: Sie werden aus dem, was ich bis jetzt zu
das, was wir machen, irgendwann einmal einem dieser Frage gesagt habe, entnommen haben,
Patienten zugute kommen könnte. Der Anwender dass der Sachverhalt, die Exzellenzinitiative auf
dessen, was wir heute machen, wird die Ärzte- Englisch zu administrieren, nicht auf mich zurück-
schaft sein, die wiederum natürlich mit den Patien- geht. Ich selber kann so leidlich Englisch, aber über