Jens Litmathe
Hrsg.
Neurologische
Notfälle
Präklinische und innerklinische Akutversorgung
Vorwort
Je nach Versorgungsauftrag und geographischer Region macht der Anteil neurologischer Pa-
tienten in zentralen Notaufnahmen über 20% aus. Ähnlich oft werden Notärzte und Rettungs-
dienstpersonal mit neurologischen Krankheitsbildern konfrontiert.
Notaufnahmen werden heute vermehrt als zentrale, interdisziplinäre Einheiten geführt, jedoch
ist der Anteil an speziell neurologisch weitergebildetem Personal in diesen Einrichtungen ver-
gleichsweise gering.
Das vorliegende Buch richtet sich daher vornehmlich an junge Kollegen aus nicht neurologi-
schen Bereichen, die im notfallmedizinischen Kontext, sei es innerklinisch wie auch im Ret-
tungsdienst tätig sind und sich den alltäglichen Herausforderungen häufiger neurologischer
Krankheitsbilder stellen müssen.
Es gibt einen breiten Überblick über die die wichtigsten akutmedizinischen Krankheitsbilder mit
neurologischem Bezug und enthält wertvolle Tipps für die tägliche Arbeit. Ein breite Autoren-
schaft vornehmlich aus der Neurologie, aber auch aus den angrenzenden Gebieten (Anästhesie,
Rettungsdienst, Neuroradiologie, Herz-Kreislauf, Intensivmedizin und Psychiatrie) schildert
zu relevanten Fragen ihre Expertise aus der täglichen Praxis zur Verwendung in der täglichen
Praxis für unsere jüngeren Kollegen in Weiterbildung. Ökonomische und organisatorische As-
pekte rund um ZNA und Rettungsdienst, eine Synopsis der wichtigsten Differenzialdiagnosen
und Leitsymptome sowie ein freiwilliges Quiz zur Lernerfolgskontrolle runden das Bild ab.
So kann das vorliegende Werk ein praxisnaher Begleiter für alle Lagen in der prä- und inner-
klinischen Akutversorgung neurologischer Patienten sein.
Prof. Dr. med. Jens Litmathe, EDIC, ist Facharzt für Herzchirurgie mit den
Zusatzbezeichnungen Intensivmedizin und Notfallmedizin. Seit 2012 ist er Oberarzt
an der Neurologischen Klinik der RWTH Aachen und für die Bereiche kardiovaskuläre
Funktionsdiagnostik und Intensivmedizin sowie die innerklinische Notfallmedizin
zuständig. Zuvor war er als ärztlicher Leiter der operativen Intensivstation am
Herzzentrum Oldenburg, heute Campus der European Medical School Oldenburg,
tätig. Seine intensiv- und notfallmedizinische sowie kardiovaskuläre Weiterbildung
absolvierte er am Herzzentrum Duisburg und am Klinikum der Heinrich-Heine-
Universität Düsseldorf. Im Jahre 2006 wurde er an der dortigen medizinischen
Fakultät habilitiert. Seit 2008 ist er im Besitz des „European Diploma of Intensive Care
Medicine“ (EDIC) der „European Society of Intensive Care Medicine“ (ESICM). Er ist
Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen in Büchern und Zeitschriften mit
hoher intensiv- und notfallmedizinischer Relevanz. Ferner ist er seit vielen Jahren
an der Fachweiterbildung der jüngeren ärztlichen Kollegen sowie der curriculären
studentischen Lehre beteiligt.
Inhaltsverzeichnis
2 Intrakranielle Blutungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
Th. Kretschmer, Th. Schmidt
2.1 Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
2.2 Intrazerebrale Massenblutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
2.3 Traumatisch bedingte Blutungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
2.4 Subarachnoidalblutung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
2.5 Appendix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
3 Krampfanfälle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
O. Matz, M. Dafotakis
3.1 Klinische Erscheinungsformen von epileptischen Anfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
3.2 Akuttherapeutisches Vorgehen (prä- und innerklinisch). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
3.3 Kleine EEG-Lehre für Notärzte und ZNA-Assistenten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
3.4 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
3.5 Rezidivprophylaxe, Grundzüge der Epilepsiebehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
6 Schwindel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
C. Helmchen
6.1 Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
6.2 Erstmaliger heftiger Drehschwindel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
6.3 Wiederkehrende Schwindelattacken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
6.4 Lagerungsabhängiger Schwindel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
6.5 Schwindel beim Aufstehen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
6.6 Schwindel als Nebenwirkung von Medikamenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
6.7 Therapie von akuten Schwindelsyndromen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
Serviceteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286
Autorenverzeichnis
Ischämischer Schlaganfall
(zerebrale Ischämie)
A. Reich, O. Nikoubashman
1.1 Einführung 2
1.2 Grundlagen 2
1.2.1 Epidemiologie 2
1.2.2 Definitionen – 2
1.2.3 Pathophysiologie – 3
1.2.4 Ätiologie – 3
1.2.5 Klinik – 5
1.2.6 Differenzialdiagnosen – 7
1.3 Praxis – 7
1.3.1 Schlaganfallrettungskette – 7
1.3.2 Notfalldiagnostik – 8
1.3.3 Akuttherapie – 9
1.3.4 Prognose – 18
1.4 Bewertungstabellen – 19
Literatur – 21
1.1 Einführung
In Deutschland wurde die Zahl der jährlichen
1 Schlaganfallereignisse im Jahr 2008 auf 262.000
Im Folgenden werden praxisrelevante Inhalte als (Erstereignisse 196.000, Rezidive 66.000) geschätzt
Grundlagen für eine erfolgreiche prä- und intrahos- mit alters- und geschlechtsabhängigen Inzidenzra-
pitale Schlaganfallrettungskette dargestellt. Ziel einer ten zwischen <180.000 (Männer, ≥85 Lebensjahre)
zeitoptimierten Patientenversorgung beim ischämi- und >500.000 (Frauen, 75–84 Lebensjahre) (Heusch-
schen Schlaganfall ist die Beantwortung der Frage, ob mann et al. 2010). Mit 8% (n=63.000) aller Todesfälle
für den individuellen Fall die Anwendung von zere- ist der Schlaganfall nach Herz- und Krebserkrankun-
bralen Reperfusionsmaßnahmen möglich ist. Die gen in Deutschland die dritthäufigste Todesursache.
Indikationsstellung und Durchführung dieser Maß- Vergleichbar mit dem Rückgang der Mortalität an
nahmen obliegt vaskulären Neurologen und inter- koronarer Herzerkrankung in den meisten westli-
ventionellen Neuroradiologen und sollte in Kliniken chen Industrienationen (Unal et al. 2004) sinken in
mit zertifizierten Schlaganfalleinheiten durchgeführt den letzten Jahren die schlaganfallbedingten Morta-
werden. Für die fachspezifischen Inhalte wird auf die litätsraten in Deutschland. 25% der Schlaganfallpa-
Leitlinien der jeweiligen deutschen Fachgesellschaf- tienten verbleiben 3 Monate nach dem Erstereignis
ten und der deutschen Schlaganfall-Gesellschaft ver- mit einer schweren Aktivitätseinschränkung (Bart
wiesen (www.dgn.org, www.dgnr.org, www.dsg-info. hel-Index <60, 7 Kap. 4) (Ward et al. 2005) und 17%
de). Auf die Sonderform der spinalen Ischämie wird mit einer mittelschweren bis schweren Funktionsstö-
im Folgenden nicht eingegangen. rung (modifizierte Rankin-Skala 4 und 5, 7 Kap. 4)
(Schneider et al. 2009).
55 Makroangiopathie (ca. 20%) basilaris sowie die Abgänge der Aa. vertebrales (V0).
1 55 Mikroangiopathie (ca. 20%) Als Emboliequelle vernachlässigt, da diagnostisch z. B.
55 Andere identifizierbare Ursachen (ca. 10%) mittels Ultraschall schwer zugänglich, werden häufig
55 Kryptogene Ätiologie (ca. 25%) die atherosklerotischen Veränderungen (Plaque-
größe >4 mm) im Bereich der Aorta ascendens und
Bis auf wenige Ausnahmen (z. B. Dissektion oder sep- des Aortenbogens mit seinen proximalen Gefäßab-
tisch-embolischer Gefäßverschluss bei Endokarditis) gängen. In Zeiten moderner CT-Angiographie (s. u.)
ist die Genese des Schlaganfalls für die prä- und intra- werden Pathologien in diesen Bereichen im Rahmen
hospitale Akutversorgung sowie für die prinzipielle der Akutdiagnostik zuverlässig erfasst.
Frage nach Reperfusionsmaßnahmen nicht wesent-
lich. Gleichwohl kann die Identifikation und das z Mikroangiopathie
Wissen um die Schlaganfallätiologie die Akutbehand- Häufigster Verschlussmechanismus ist die lokale
lung relevant beeinflussen (Ableitung von Komorbi- Lipohyalinose der tiefen, das Marklager penetrie-
ditäten und Einschränkungen vor dem Akutereignis, renden Arterien. Sie verursachen lakunäre Infarkte
von medikamentösen und nicht-medikamentösen (Größe ≤1×1 cm), die in ihrer Summe zu einer sub-
Vorbehandlungen, der technischen Umsetzbarkeit kortikalen arteriosklerotischen Enzephalopathie
und von möglichen Komplikationen und Risiken). (SAE, Synonyme: Morbus Binswanger, vaskuläre
Die richtige ätiologische Einordnung ist eine Domäne Enzephalopathie) führen können. Die klassischen
der Neurologie und Schlaganfallstationen mit dem vaskulären Risikofaktoren (arterielle Hypertonie,
Ziel der frühzeitigen Einleitung einer adäquaten Diabetes mellitus, Nikotinabusus) sind die wichtigs-
Sekundärprophylaxe (z. B. orale Antikogulation bei ten modifizierbaren Faktoren.
Vorhofflimmern, Steroide/Cyclophosphamid bei Vas-
kulitiden, mehr unter http://www.dgn.org). > Die Ätiologie ischämischer Schlaganfälle
(kardial-embolisch, makro- oder mikroangio-
z Kardiale Embolie pathisch) kann aus dem bildmorphologischen
Häufigste Quelle sind links atriale Thromben, die Infarktmuster (territorial vs. lakunär, uni- vs.
sich aufgrund von Rhythmusstörungen (Vorhoff- multilokulär, kortikal vs. tiefes Marklager und
limmern, Vorhofflattern) bilden. Links ventrikuläre Stammganglien) abgeleitet werden.
Thromben können im Rahmen einer dilatativen
Kardiomyopathie, bei reduzierten Ejektionsfrak- z Andere Ursachen
tion oder einer regionalen Wandbewegungsstörung Hierzu zählen z. B. nicht-atherosklerotische Gefäß-
bzw. ventrikulärer Aneurysmata nach Myokardin- veränderungen (z. B. Vaskulitiden und Dissektio-
farkten entstehen. Emboligene Vitienveränderungen nen) und nicht-vaskulär bedingte Thrombosen (z.
können degenerativer (Kalzifizierungen), entzünd- B. Hyperkoagulabilität bei Gerinnungsstörungen,
licher (Endokarditis), tumoröser (Myxom) oder iat- postoperativ, Sepsis, Tumoren etc.) oder Embolien (z.
rogener (künstlicher Herzklappen) Natur sein. Bei B. Luftembolien nach endoskopischen Eingriffen).
strukturellen Rechts-Links-Shunt-Möglichkeiten (z.
B. bei Vorliegen eines patenten Foramen ovale) kann z Kryptogene Schlaganfälle
es zur paradoxen Embolien kommen. Diese große Gruppe stellt in Bezug auf Diagnostik
und Sekundärprophylaxe (z. B. Thrombozytenag-
z Makroangiopathie gregationshemmer vs. orale Antikoagulation) eine
Dies bedeutet zumeist ein lokale artherosklerotische Herausforderung dar. Trotz nicht identifizierbarer
Thrombusbildung, die Verschlüsse am Ort seiner klassischer Risikofaktoren sind Prognose und Rezi-
Entstehung oder distal durch eine arterio-arterielle divgefahr dieses Kollektivs vergleichbar mit jenem
Embolie auslösen können. Prädilektionsstellen sind von Schlaganfallpatienten bei Makro- und Mikro-
der Bereich der Karotis-Bifurkation (inkl. des Abgan- angiopathie (Li et al. 2015). Innerhalb dieser Gruppe
ges der A. carotis interna), der Karotis-Siphon, die wird bei embolischem Infarktmuster von ESUS
proximale A. cerebri media (M1), die intrakraniellen („embolic stroke of unkown origin“) gesprochen. Vor
Abschnitte der Aa. vertebrales (V4) und proximalen A. allem bei älteren Patientin liegt ätiologisch häufig ein
1.2 · Grundlagen
5 1
intermittierendes Vorhofflimmern zugrunde, nach mono- oder oligosymptomatisch präsentieren. Feh-
dem intensiv mit erweitertem Rhythmusmonitoring leinschätzungen führen dabei nicht nur zum Verpassen
(ggf. auch implantierbaren Devices) gesucht werden von Reperfusionsmöglichkeiten in der Akutphase (i.v.
muss. Der pragmatische Ansatz, ohne erweiterte Dia- rtPA, 7 Kap. 3), sondern auch zu fehlender Antizipation
gnostik eine Antikoagulation zu beginnen, ist aktuell potenziell lebensbedrohlicher, behandelbarer Kompli-
off-label und nicht durch Studien belegt. kationen (Entwicklung eines raumfordernden infra-
tentoriellen Hirnödems mit Hirnstammkompression
und Liquorzirkulationsstörung) in der Postakutphase.
1.2.5 Klinik
Infratentoriell Supratentoriell
Notfall Vor oder bei Kleines Blutbild (inkl. Thrombozyten), INR, PTT, Elektrolyte, BZ,
Klinikaufnahme* Nierenwerte, CRP
Point-of-Care-Test (POCT) INR (CoaguCheck)
Notaufnahme in hs-Troponin, aPTT, Thrombinzeit, Ecarinzeit, Leberwerte, Toxikologie
ausgewählten Fällen* (Urin), Blutalkohol, Schwangerschaftstest, Blutgasanalyse, TSH
Routine (Stroke Unit) Großes Blutbild, INR, PTT, D-Dimere, Elektrolyte, BZ, HBA1c,
Leber- und Nierenwerte, CRP, Lipide, TSH
Speziell (Stroke N/DOAC Anamnese Faktor-Xa-Aktivität, aPTT, Thrombinzeit, Ecarinzeit
Unit)
Kryptogene Ischämie Homocystein
Sinus-/Venenthrombose D-Dimere, Thrombophilie-Screening (Antithrombin-III-Mangel,
Prothrombin (Faktor-II)-Mutation, APC-Resistenz (Faktor V
(Leiden)-Mutation), Protein-C-, oder -S-Defekte), Antiphospholipid-
Antikörper-Syndrom (Lupus-Antikoagulans-Antikardiolipin-, Anti-
β2-Glykoprotein-Antikörper)
(Systemische) Vaskulitis BSG, Liquoranalyse, Autoantikörper-Screening (z. B. ANA, ENA,
ANCA), Erreger-Screening (HIV, Lues, Borreliose, Tbc, Pilzantigene,
Blutkulturen), Rheumafaktoren, Komplementfaktoren
Syndromverdacht Genetik/Biomarker, z. B. M. Fabry, CADASIL/CARASIL, MELAS,
(Einzelfälle) HANAC-Syndrom, RVCL
*Die i.v. rtPA-Gabe sollte nur bei begründetem Verdacht, z. B. auf eine Koagulopathie, durch das Warten auf
Laborergebnisse verzögert werden. Ggf. muss eine laufende Therapie beendet werden. Bei zugrundeliegender LVO
frühzeitig an eine isolierte mechanische Thrombektomie denken.
CADASIL/CARASIL = zerebrale autosomal dominante/rezessive Arteriopathie mit subkortikalen Infarkten und
Leukoenzephalopathie; MELAS = mitochondriale Enzephalopathie mit Laktatazidose und schlaganfallähnlichen
Episoden; HANAC = hereditäre Angiopathie mit Nephropathie, Aneurysmata und Muskelkrämpfen; RVCL = retinale
Vaskulopathie mit zerebraler Leukenzephalopathie
. Tab. 1.3 Bildgebung bei der akuten zerebralen Ischämie (. Abb. 1.1, . Abb. 1.2, . Abb. 1.3, . Abb. 1.4,
. Abb. 1.5, . Abb. 1.6, . Abb. 1.7, . Abb. 1.8, . Abb. 1.9, . Abb. 1.10, . Abb. 1.11, . Abb. 1.12, . Abb. 1.13,
. Abb. 1.14 und . Abb. 1.15)
. Tab. 1.4 Behandlung mit intravenösem rtPA (Alteplase) (i.v. rtpA) bei der zerebralen Ischämie
Kommentare:
Viele Ausschlusskriterien basieren auf der NINDS-Zulassungsstudie oder auf (unzulässigen) Extrapolationen
anderer Studienergebnisse. In klinischen Studien sind strikte Ausschlusskriterien zum Erhalt einer homogenen
Behandlungspopulation notwendig. Der Umkehrschluss – keine Behandlung von Patienten mit Ausschlusskriterien –
muss für den klinischen Alltag nicht richtig sein.
Nach Literaturangaben (Hacke et al. 2008; Rha u. Saver 2007; Lees et al. 2010) sind ca. 50% aller ischämischen Schlaganfall
klinische i.v. rtPA-Non-Responder, u. a. in Abhängigkeit von der Verschlusslokalisation, der Verschlusskompensation, der
Thrombuslänge, der Thrombusgesamtlast und der Thrombuskomposition bzw. des Thrombusalters.
Patientenpopulationen mit weiterhin absoluter Kontraindikation für i.v. rtPA-Gaben sind: suffiziente Antikoagulation
(VKA oder D/NOAC), (Klein-)Kinder, zeitnah nach großen operativen Eingriffen, aktive Tumorerkrankungen, zeitnahe
Reinfarkte, zeitnah nach ICB, unklare Zeitfenster.
1Tong 2012
2NINDS: The National Institute of Neurological Disorders and Stroke. rt-PA Sttoke Study Group 1995
2ECASSIII: Hacke et al. 2008
a b c
. Abb. 1.2 a–c Computertomographischer Verlauf eines ischämischen Schlaganfalls. 44-jähriger Patient mit einer Dissektion
der linken Arteria carotis interna. a In der nativen Computertomographie, die 100 min nach Symptombeginn (akute Hemiparese
und Aphasie) angefertigt wurde, ist als frühes Zeichen eines ischämischen Schlaganfalls eine aufgehobene Grau/Weiß-
Differenzierung der linken Inselrinde zu erkennen (Pfeil). b In einer Kontrolluntersuchung 16 h nach dem Ereignis demarkiert sich
ein Territorialinfarkt, der sich mit einer leichtgradigen raumfordernden Wirkung (Aufbrauch der Reserveräume) über nahezu das
gesamte Stromgebiet der Arteria cerebri media erstreckt. Zur Verhinderung einer malignen, raumfordernden Wirkung des Infarkts
wurde eine Hemikraniektomie innerhalb von 24–48 h nach Symptombeginn durchgeführt. c In einer Folgeuntersuchung, etwa
fünf Monate nach dem Ereignis, ist das infarzierte Hirnparenchym nekrotisch abgebaut und weist eine raumgebende Wirkung auf
a b c
. Abb. 1.3 a–c MRT-Nachweis eines ischämischen Schlaganfalls. 64-jähriger Patient mit einer Dysarthrie, einer rechtsseitigen
Hemihypästhesie, einem Up-beat-Nystagmus, einer internukleären Ophthalmoplegie und einem zentralen Schwindel. Als Ausdruck
einer akuten mikroangiopathischen Ischämie findet sich in der axialen diffusionsgewichteten MRT-Untersuchung
(a) und der korrelierenden „apparent diffusion coefficient“ (ADC)-Karte (b) am pontomesenzephalen Übergang linksparamedian ein
keilförmiges diffusionsgestörtes Areal (Pfeil) ohne korrelierende Signalveränderungen in der T2-FLAIR-gewichteten Sequenz (c; Pfeil)
1 20.0
10.0
a b a b
c d c d
. Abb. 1.4 a–d CT-Perfusionsuntersuchung mit so . Abb. 1.5 a–d CT-Perfusionsuntersuchung mit so
genanntem „Mismatch“-Befund. 92-jährige Patientin mit genanntem „Match“-Befund. 79-jähriger Patient mit einer seit
einer linksseitigen Hemiparese unklaren Zeitfensters. a In 75 min bestehenden Plegie des linken Beines. a In der nativen
der nativen Computertomographie stellt sich die rechte Computertomographie ist als frühes Zeichen eines Infarktes
Zentralregion unauffällig dar. b Passend zum Befund eine aufgehobene Grau/Weiß-Differenzierung im Stromgebiet
eines Verschlusses des Hauptstamms der rechten Arteria der rechten Arteria cerebri anterior zu erkennen (Pfeil).
cerebri media besteht jedoch eine Perfusionsverzögerung b Korrelierend hierzu findet sich eine Perfusionsverzögerung
in nahezu dem gesamten Stromgebiet der Arteria cerebri im entsprechenden Stromgebiet (Zeitparameter: „mean
media (Zeitparameter: „time to peak“). In dem betroffenen transit time“). Passend zum bereits demarkierten Infarkt
Areal besteht als Hinweis auf ein infarktbedrohtes, jedoch sind sowohl der zerebrale Blutfluss (c) als auch das zerebrale
mutmaßlich nicht infarziertes Areal ein Mismatch zwischen Blutvolumen kongruent vermindert (d)
einem erniedrigten zerebralen Blutfluss (c) und einem
normalen zerebralen Blutvolumen (d)
a b c
. Abb. 1.7 a–c MRT – FLAIR-DWI-Mismatch. 48-jährige Patientin mit einer linksseitigen brachiofazialen Hemiparese unklaren
Zeitfensters. In der diffusionsgewichteten MRT-Untersuchung findet sich als Ausdruck einer Ischämie im rechten Gyrus
praecentralis eine Diffusionsstörung (A; Pfeil) mit korrelierender Signalabsenkung in der „apparent diffusion coefficient“
(ADC)-Karte (B; Pfeil). Ein normales Signal in der T2-FLAIR-gewichteten Sequenz (C; Pfeil) gilt als Hinweis für eine innerhalb eines
8- bis 12-stündigen Zeitfensters aufgetretene Ischämie
16 Kapitel 1 · Ischämischer Schlaganfall (zerebrale Ischämie)
a b
A
M1 M4
C
l
L M2
IC M5
M3
M6
P
a b
1 . Tab. 1.5 Übersicht der neuen bzw. direkten oralen Antikoagulanzien (N/DOAC)
. Tab. 1.6 NIHSS (National Index of Health Stroke Scale; Kasner 2006)
1 . Tab. 1.7 ASPECTS (Alberta Stroke Programme Early CT Score; Barber et al. 2000)
. Tab. 1.8 mTICI (modified Treatment in Cerebral Ischemia)-Graduierung (Zaidat et al. 2013)
Grad Definition
0 Keine Reperfusion
1 Anterograde Reperfusion, aber limitierte Füllung der distalen Äste mit wenig oder langsamer distaler Reperfusion
2a Anterograde Reperfusion von ≤50% des ursprünglich verschlossenen Gefäßversorgungsgebietes, i. d. R. eines
Hauptastes des A.-cerebri-media-Versorgungsgebietes
2b Anterograde Reperfusion von >50% des ursprünglich verschlossenen Gefäßversorgungsgebietes, i. d. R.
zweier Hauptäste des A.-cerebri-media-Versorgungsgebietes
3 Vollständige anterograde Reperfusion des ursprünglich verschlossenen Gefäßversorgungsgebietes ohne
sichtbare peripher Astverschlüsse
Als technisch erfolgreiche Reperfusionen gelten die abschließenden mTICI Grade 2b und 3.
0 Keine Symptome
1 Symptome ohne relevante Behinderung Keine Einschränkungen der gewöhnlichen Aktivitäten und Pflichten
2 Geringe Behinderung Geringen Einschränkungen; nicht auf Hilfe angewiesen
3 Moderate Behinderung Benötigt Hilfe; kann selbstständig gehen
4 Moderat schwere Behinderung Unfähig, ohne Hilfe zu gehen; benötigt Hilfe bei der Versorgung der
körperlichen Bedürfnisse (Körperpflege, Nahrungsaufnahme etc.)
5 Schwere Behinderung Bettlägerig, inkontinent, dauerhafte und konstante Pflegebedürftigkeit
6 Tod
Moderne Schlaganfalltherapie strebt ein gutes klinisches Ergebnis 3 Monate nach Ereignis an, definiert als mRS D90 ≤ 2.
Literatur
21 1
TIA = transitorisch ischämische Attacke; KHK = koronare Herzerkrankung; pAVK = periphere arterielle
Verschlusserkrankung
Literatur
Albers, G. W. et al. Transient ischemic attack––proposal
for a new definition. N. Engl. J. Med. 347, 1713–1716
Publikationen (2002)
Adams, H. P. et al. Classification of subtype of acute ischemic Aries, M. J. H., Elting, J. W., De Keyser, J., Kremer, B. P. H. &
stroke. Definitions for use in a multicenter clinical trial. Vroomen, P. C. A. J. Cerebral Autoregulation in Stroke
TOAST. Trial of Org 10172 in Acute Stroke Treatment. A Review of Transcranial Doppler Studies. Stroke 41,
Stroke 24, 35–41 (1993) 2697–2704 (2010)
22 Kapitel 1 · Ischämischer Schlaganfall (zerebrale Ischämie)
Atkins, E. R., Brodie, F. G., Rafelt, S. E., Panerai, R. B. & Robinson, Hurford, R. et al. Incidence, predictors and clinical characte-
1 T. G. Dynamic Cerebral Autoregulation Is Compromised
Acutely following Mild Ischaemic Stroke but Not Transient
ristics of orolingual angio-oedema complicating throm-
bolysis with tissue plasminogen activator for ischaemic
Ischaemic Attack. Cerebrovasc Dis 29, 228–235 (2010) stroke. Journal of Neurology, Neurosurgery & Psychiatry
Barber, P. A., Demchuk, A. M., Zhang, J. & Buchan, A. M. Validity 86, 520–523 (2015)
and reliability of a quantitative computed tomography Johnston, S. C. et al. Validation and refinement of scores to
score in predicting outcome of hyperacute stroke before predict very early stroke risk after transient ischaemic
thrombolytic therapy. The Lancet 355, 1670–1674 (2000) attack. The Lancet 369, 283–292 (2007)
Baron, J. C. Mapping the ischaemic penumbra with PET: impli- Jovin, T. G. et al. Thrombectomy within 8 Hours after
cations for acute stroke treatment. Cerebrovasc Dis 9, Symptom Onset in Ischemic Stroke. N. Engl. J. Med.
193–201 (1999) 150417035025009 (2015). doi:10.1056/NEJMoa1503780
Berkhemer, O. A. et al. A Randomized Trial of Intraarterial Kasner, S. E. Clinical interpretation and use of stroke scales.
Treatment for Acute Ischemic Stroke. N. Engl. J. Med. The Lancet Neurology 5, 603–612 (2006)
141217070022009 (2014). doi:10.1056/NEJMoa1411587 Lees, K. R. et al. Time to treatment with intravenous alteplase
Bouvin, V. Consensus statementon mechanical thrombectomy and outcome in stroke: an updated pooled analysis of
in acute ischemic stroke. 1–14 (2015) ECASS, ATLANTIS, NINDS, and EPITHET trials. The Lancet
Broderick, J. et al. Guidelines for the management of sponta- 375, 1695–1703 (2010)
neous intracerebral hemorrhage in adults: 2007 update: Li, L. et al. Incidence, outcome, risk factors, and long-term
a guideline from the American Heart Association/ prognosis of cryptogenic transient ischaemic attack and
American Stroke Association Stroke Council, High Blood ischaemic stroke: a population-based study. The Lancet
Pressure Research Council, and the Quality of Care and Neurology 14, 903–913 (2015)
Outcomes in Research Interdisciplinary Working Group. Lip, G. Y. H., Frison, L., Halperin, J. L. & Lane, D. A. Identifying
Stroke 38, 2001–2023 (2007) Patients at High Risk for Stroke Despite Anticoagulation
Busse, O. et al. Interdisciplinary neurovascular network. Ner- A Comparison of Contemporary Stroke Risk Stratification
venarzt 84, 1228–1232 (2013) Schemes in an Anticoagulated Atrial Fibrillation Cohort.
Campbell, B. C. V. et al. Endovascular Therapy for Ischemic Stroke 41, 2731–2738 (2010b)
Stroke with Perfusion-Imaging Selection. N. Engl. J. Lip, G. Y. H., Nieuwlaat, R., Pisters, R., Lane, D. A. & Crijns,
Med. 150211090353006 (2015). doi:10.1056/ H. J. G. M. Refining Clinical Risk Stratification for Predic-
NEJMoa1414792 ting Stroke and Thromboembolism in Atrial Fibrillation
Easton, J. D. et al. Definition and evaluation of transient ische- Using a Novel Risk Factor-Based Approach The Euro
mic attack: a scientific statement for healthcare profes- Heart Survey on Atrial Fibrillation. Chest 137, 263–272
sionals from the American Heart Association/American (2010a)
Stroke Association Stroke Council; Council on Cardiova- Lozano, R., Naghavi, M., Foreman, K., Lim, S. & Shibuya,
scular Surgery and Anesthesia; Council on Cardiovascular K. Global and regional mortality from 235 causes of death
Radiology and Intervention; Council on Cardiovascular for 20 age groups in 1990 and 2010: a systematic analysis
Nursing; and the Interdisciplinary Council on Peripheral for the Global Burden of Disease Study 2010. The Lancet
Vascular Disease. The American Academy of Neurology (2013)
affirms the value of this statement as an educational tool Meretoja, A. et al. Helsinki model cut stroke thrombolysis
for neurologists. Stroke 40, 2276–2293 (2009) delays to 25 minutes in Melbourne in only 4 months.
Edlow JA, Selim MH. Atypical presentations of acute cerebro- Neurology 81, 1071–1076 (2013)
vascular syndromes. The Lancet Neurology 10, 550–560 Meretoja, A. et al. Reducing in-hospital delay to 20 minutes in
(2011) stroke thrombolysis. Neurology 79, 306–313 (2012)
Feigin VL et al. Global and regional burden of stroke during Murray, C., Vos, T., Lozano, R., Naghavi, M. & Flaxman, A. D.
1990–2010: findings from the Global Burden of Disease Disability-adjusted life years (DALYs) for 291 diseases and
Study 2010. The Lancet 383, 245–255 (2014) injuries in 21 regions, 1990–2010: a systematic analysis
Goyal, M. et al. Randomized Assessment of Rapid Endova- for the Global Burden of Disease Study 2010. The Lancet
scular Treatment of Ischemic Stroke. N. Engl. J. Med. (2013)
150211090353006 (2015). doi:10.1056/NEJMoa1414905 Nabavi, D. G. et al. [Revised certification criteria for regional
Hacke, W. et al. Thrombolysis with alteplase 3 to 4.5 hours after and national stroke units in Germany]. Nervenarzt 86,
acute ischemic stroke. N. Engl. J. Med. 359, 1317–1329 978–988 (2015)
(2008) Nadarajan, V., Perry, R. J., Johnson, J. & Werring, D. J. Transient
Heldner, M. R. et al. National Institutes of Health Stroke Scale ischaemic attacks: mimics and chameleons. Pract Neurol
Score and Vessel Occlusion in 2152 Patients With Acute 14, 23–31 (2014)
Ischemic Stroke. Stroke 44, 1153–1157 (2013) Nguyen, P. L. & Chang, J. J. Stroke Mimics and Acute Stroke
Heuschmann, P. et al. Schlaganfallhäufigkeit und Versorgung Evaluation: Clinical Differentiation and Complications
von Schlaganfallpatienten in Deutschland. Akt Neurol 37, after Intravenous Tissue Plasminogen Activator. J Emerg
333–340 (2010) Med 49, 244–252 (2015)
Literatur
23 1
Rha, J. H. & Saver, J. L. The Impact of Recanalization on Links
Ischemic Stroke Outcome: A Meta-Analysis. Stroke 38, Arbeitstagung NeuroIntensivMedizin: http://www.anim.de
967–973 (2007) Deutsche Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin:
Saver, J. L. & Levine, S. R. Alteplase for ischaemic stroke— http://www.dgni.de
much sooner is much better. The Lancet 375, 1667–1668 Deutsche Gesellschaft für Neurologie: http://www.dgn.org
(2010) Deutsche Gesellschaft für Neuroradiologie: http://www.dgnr.
Saver, J. L. et al. Stent-Retriever Thrombectomy after Intra- org
venous t-PA vs. t-PA Alone in Stroke. N. Engl. J. Med. Deutsche Gesellschaft für Neurorehabilitation e.V.: http://
150417023017004 (2015). doi:10.1056/NEJMoa1415061 www.dgnr.de
Saver, J. L. et al. Time to treatment with intravenous tissue Deutsche Schlaganfallgesellschaft: http://www.dsg-info.de
plasminogen activator and outcome from acute ischemic Kompetenznetz Schlaganfall: http://www.schlaganfallnetz.de
stroke. JAMA 309, 2480–2488 (2013) NIHSS Training und Zertifizierung: https://secure.
Saver, J. L. Time is brain––quantified. Stroke 37, 263–266 trainingcampus.net/uas/modules/trees/windex.
(2006) aspx?rx=nihss-english.trainingcampus.net
Schneider, K., Heise, M., Heuschmann, P. & Berger, K. Situation Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe: http://www.schlaganfall-
of life and care in patients with a stroke. Nervenheilkunde hilfe.de
28, 114–+ (2009)
Schwamm, L. H. Acute Stroke: Shifting From Informed Consent
to Informed Refusal of Intravenous Tissue-Type Plasmino-
gen Activator. Circ Cardiovasc Qual Outcomes 8, S69–72
(2015)
Sheth, S. A. et al. Time to endovascular reperfusion and degree
of disability in acute stroke. Ann Neurol. 78, 584–593
(2015)
Spiotta, A. M. et al. Evolution of thrombectomy approaches
and devices for acute stroke: a technical review. Journal of
NeuroInterventional Surgery (2014). doi:10.1136/neurint-
surg-2013-011022
The National Institute of Neurological Disorders and Stroke
rt-PA Stroke Study Group. Tissue plasminogen activator
for acute ischemic stroke. N. Engl. J. Med. 333, 1581–1587
(1995)
Tong, D. Are all IV thrombolysis exclusion criteria necessary?:
Being SMART about evidence-based medicine. Neurolo-
gy 76, 1780–1781 (2011)
Tong, D. C. Avoiding Thrombolysis In Patients With Mild Stroke:
Is It SMART? Stroke 43, 625–626 (2012)
Tsivgoulis, G. et al. Safety of Intravenous Thrombolysis in Stro-
ke Mimics. (2015)
Unal, B., Critchley, J. A. & Capewell, S. Explaining the Decline in
Coronary Heart Disease Mortality in England and Wales
Between 1981 and 2000. Circulation (2004)
Walter, S. et al. Diagnosis and treatment of patients with
stroke in a mobile stroke unit versus in hospital:
a randomised controlled trial. The Lancet Neurology 11,
397–404 (2012)
Ward, A., Payne, K. A., Caro, J. J., Heuschmann, P. U. & Kolomins-
ky-Rabas, P. L. Care needs and economic consequences
after acute ischemic stroke: the Erlangen Stroke Project.
Eur J Neurol 12, 264–267 (2005)
Wardlaw, J. M., Murray, V., Berge, E. & del Zoppo, G. J. Thrombo-
lysis for acute ischaemic stroke. Cochrane Database Syst
Rev 7, CD000213 (2014)
Zaidat, O. O. et al. Recommendations on Angiographic
Revascularization Grading Standards for Acute Ischemic
Stroke: A Consensus Statement. Stroke 44, 2650–2663
(2013)
25 2
Intrakranielle Blutungen
Th. Kretschmer, Th. Schmidt
2.1 Einführung – 26
2.4 Subarachnoidalblutung – 49
2.4.1 Epidemiologie und Outcome – 51
2.4.2 Klinische Präsentation – 51
2.4.3 Klinische Klassifikation – 52
2.4.4 Medizinisches Management (Akutphase) – 53
2.4.5 Übersicht Aneurysmaausschaltung – 57
2.5 Appendix – 58
Literatur – 59
die akute Einklemmung oder eine lang anhaltende, ebenso entscheidenden Einfluss haben vorhandene
schädigende Wirkung des gesteigerten Hirndruckes Patientenverfügungen.
verhindern kann. Die Entscheidung hierüber setzt Für die Akutbehandlung steht jedoch nicht nur
2 eine individuelle Abwägung des jeweiligen Nutzen- diese Abwägung, sondern auch die Normalisie-
Risiko-Profils bei den häufig multipel vorerkrankten rung der Gerinnung und die Kontrolle des Blutdru-
Patienten höheren Lebensalters voraus. Mehrere ran- ckes im Vordergrund, um das sehr hohe Risiko für
domisiert-kontrollierte Multicenterstudien haben eine weitere substanzielle Verschlechterung durch
nur in ausgewählten Fällen einen Vorteil der opera- eine Hämatomexpansion oder Nachblutung zu
tiven Blutungsausräumung gezeigt. reduzieren.
Bei keiner anderen Blutungsform wurde und Im Hinblick auf die geeigneten Notfallmaß-
wird so kontrovers darüber diskutiert, ob ein kon- nahmen sind neben der Oberkörperhochlagerung,
servatives oder operatives Vorgehen die adäquate Sauerstoffgabe, Gerinnungsstabilisierung vor allem
Behandlungsform darstellt. Auch bei der Form der auch der in sehr engen Grenzen eingestellte systoli-
am besten geeigneten Massenreduktion der Blutung sche Blutdruck als wichtigste Akutmaßnahmen zu
gibt es mannigfaltige Varianten, die von einer Bohr- nennen. Dies setzt ein engmaschiges Blutdruckmo-
lochtrepanation, über eine Minikraniotomie zur nitoring voraus. Das Nachblutungsrisiko steigt auch
sparsamen Reduktion des „ Blutungskerns“ bis zur bei nur kurzfristig vernachlässigter Blutdruckeinstel-
Ultraschallauflösung, Hämatomlyse über einen lung und hypertensiver Entgleisung immens.
in der Blutung platzierten Katheter bis zur Kom-
plettausräumung reichen. Die relevanten Studien
der letzten Zeit zeigten zusammengefasst nur 2.2.2 Ursachen und häufige
dann einen Vorteil einer operativen Hämatomeva- Lokalisationen
kuation, wenn es sich um gut erreichbare lobäre
Massenblutungen ohne Einbruch in das Ventri- Die häufigste Ursache einer nicht traumatischen,
kelsystem handelte (STICH) (Gregson et al. 2012; spontanen nicht läsionalen ICB ist der arterielle
Mendelow et al. 2005). Dies liegt unter anderem Bluthochdruck. Der chronische Hypertonus stellt
darin begründet, dass nur eine absolut gewebescho- die wesentliche Ursache in 50% der Fälle dar (Fahrat
nende A usräumung ohne zusätzliche Läsionierung et al. 2011; Kumral et al. 1998).
des „Penumbra“areals tatsächlich vorteilig für den Weitere Ursachen sind:
Patienten sein kann. 55 Zerebrale Amyloidangiopathie: CAA, ihre
Unabhängig von der Blutung selbst gilt es auch, Inzidenz nimmt ab dem 70. Lebensjahr steil
die Notwendigkeit der Platzierung einer Ventrikel- zu, Ablagerungen von Beta-Amyloid in den
drainage zur Liquorableitung in Fällen mit Vent- Gefäßwänden induzieren die Ausbildung
rikeleinbruch und hydrozephalem Aufstau zu dis- von Mikroaneurysmen, Hauptmerkmal sind
kutieren. Nach aktuellem Literaturstand stellen der multilokale Blutungen unterschiedlichen Alters
Ventrikeleinbruch und ein hohes Patientenalter in ungewöhnlicher Lokalisation ohne beglei-
eindeutig negative Prognostikatoren dar. Bei 45% tenden Hypertonus.
aller ICB-Patienten kann einen Ventrikeleinbruch 55 Antikoagulanzientherapie: 61% der Antikoa-
der Blutung (IVB) nachgewiesen werden. Die intra- gulanzien assoziierten ICBs treten innerhalb
ventrikuläre Blutung bei ICB ist ein unabhängiger der ersten 6 Monate nach Behandlungsbeginn
Prädiktor für ein schlechtes Outcome. Das Risiko, auf; eine längerfristige Antikoagulanzient-
den weiteren Erkrankungsverlauf nicht zu überleben, herapie erhöht das Risiko einer ICB um den
liegt mit IVB bei 51% gegenüber 20% ohne IVB. Da Faktor 8–11, die Mortalität von ICBs unter
jeder Patient mannigfaltige prognostische Einfluss- Antikoagulanzientherapie ist deutlich höher
faktoren aufweist, erfordert jeder Fall eine sehr indi- und liegt bei 67%.
viduelle Abwägung von Nutzen und Risiko einzelner 55 Sympathomimetisch wirkende Drogen:
Maßnahmen in Bezug zur Prognose der erreichba- Amphetamine, Kokain, „Crack“-Varianten
ren Funktionalität im Falle des Überlebens. Einen des Kokain, Phencyclidin, Pseudoephedrine,
2.2 · Intrazerebrale Massenblutung
29 2
a b c
. Abb. 2.1 a–c Unterschiedliche Lokalisation von spontanen intrazerebralen Blutungen (*) mit typischer hyperdenser
Demarkierung im CCT. a Ausgedehnte laterale Stammganglienblutung rechts mit Kompression des Vorderhorns des rechten
Seitenventrikels. b Dorsale Stammganglienblutung rechts mit Einbruch in den 3. Ventrikel. c Großes temporo-okzipitales
intrazerebrales Hämatom links mit beginnender unkaler Herniation der mesialen Anteile des Temporallappens (↑)
Phenylpropanolamin, aber auch Heroin; die (Kase et al. 1999). Eine aktuellere große Erhebung
Blutungen sind typischerweise lobär oder in anhand eines Stroke-Registers von 2000 Patienten
den Stammganglien und entstehen auf der fand unter 380 primären ICBs folgende Verteilung:
Basis einer Blutdruckkrise oder Arteriitis- Thalamus 38%, Putamen 28%, lobär 16%, Pons 6%,
ähnlichem Gefäßumbau der Perforatorgefäße zerebellär 4%, primär intraventrikulär 4%, multipel
oder beidem; die Patienten sind im Schnitt 2% (Kumral et al. 1998).
deutlich jünger. In dieser Gruppe der Substanz-
missbraucher sind jedoch auch Gefäßmalfor-
mationen deutlich häufiger. 2.2.3 Symptome der ICB
55 Alkohol: Chronisch ausgeprägte Alkoholsucht
als auch moderater Alkoholkonsum innerhalb Bei unvermitteltem Auftreten fokal neurologi-
der letzten 24 h stellen unabhängige Risiko- scher Defizite ist so lange von einer zerebrovaskulä-
faktoren dar. ren Genese auszugehen bis das Gegenteil bewiesen
55 Rauchen: Je nach ethnischer Gruppe unter- ist. Allein auf der Basis klinischer Symptome ist es
schiedliche Studienergebnisse; in der Zusam- jedoch nicht möglich zwischen einer Ischämie und
menschau scheint Rauchen ein ähnliches einer Blutung zu unterscheiden.
Gewicht als Risikofaktor für die ICB zu besitzen Dennoch deuten zunehmend drückende Kopf-
wie für die Ischämie. schmerzen mit im Verlauf auftretenden neurologi-
schen Defiziten und unter Umständen Krampfäquiva-
Spontane intrazerebrale Blutungen treten eher in lenten bis zur anhaltenden B ewusstseinseintrübung
tiefen Hirnarealen auf und werden durch Ruptu- auf intrazerebrale B lutungen hin. Umso mehr, wenn
ren von Perforatorgefäßen, wie z. B. den lentiku- diese von Erbrechen und hohen Blutdruckwerten
lostriatalen Arterien erzeugt. Am häufigsten sind (>220 mmHg) begleitet sind. In Abgrenzung zu einer
das Putamen und der Thalamus, die subkortikale Subarachnoidalblutung zeigt die klinische Symto-
weiße Substanz (lobär), das Kleinhirn und der Pons matik regelhaft eine progrediente Entwicklung über
betroffen (Kumral et al. 1998) (. Abb. 2.1). Kase et al. Minuten und Stunden. Es wird kein akutes Ereignis
fanden unter 100 ICBs, 34 putaminale, 24 lobäre, mit Vernichtungskopfschmerz und eventuell sofor-
20 thalamische, 7 zerebelläre- und 6 Pons-Blutungen tiger Eintrübung geschildert.
30 Kapitel 2 · Intrakranielle Blutungen
. Tab. 2.3 Übersicht des ICB-Management in der Notfallaufnahme (modifiziert nach AHA-ICH-Leitlinien 2015;
Hemphill et al. 2015)
2 Maßnahmen Erläuterungen
Anamnese Zeitverlauf
Initialer Zustand und Symptomprogress
Vaskuläre Risikofaktoren Rauchen, Bluthochdruck, Diabetes, Apoplex,
Herzerkrankung
Medikamente Gerinnungshemmer, Plättchenaggregations-
hemmer, Stimulanzien (inkl. Appetitzügler),
Sympathomimetika
Vorausgegangenes Trauma oder Ausschluss CEA/Stenting-Hyperperfusionsyndrom
Operation
Demenz Assoziiert mit zerebraler Amyloidangiopathie (CAA)
Alkohol oder Drogenabusus Kokain, sympathomimetische Drogen, Stimulanzien
Anfälle
Lebererkrankung Gegebenenfalls assoziiert mit einer Koagulopathie
Tumor oder hämatologische Erkrankung Gegebenenfalls assoziiert mit einer Koagulopathie
Körperliche Vitalzeichen
Untersuchung
Allgemeine körperliche Untersuchung
fokussiert auf Kopf, Herz, Lunge,
Abdomen, Extremitäten
Fokussierte neurologische Untersuchung Strukturierte Untersuchung dauert wenige
Minuten, GCS-Score
Serum und Blutbild, Elektrolyte, Serum Harnstoff, Erhöhte Glukosewerte mit schlechterem Outcome
Urintests Kreatinin, Glukose assoziiert
Prothrombinzeit (PTT) und INR, aktivierte Marcumarblutungen (INR Erhöhung) sind mit
partiellle Thromboplastinzeit (aPTT) größeren Blutvolumina, höherem Expansions-/
Nachblutungsrisiko und höherer Morbidität/
Mortalität assoziiert
Herzspezifisches Troponin Erhöhtes Troponin mit schlechterem Outcome
assoziiert
Toxikologie-Screening (Kokain und Kokain, sympathomimetische Drogen, Stimulanzien
andere Sympathomimetika)
Urinuntersuchung und Uricult, Schwan-
gerschaftstest im gebärfähigen Alter
Andere Neuroradiologie CCT primäre Bildgebung der Wahl
Routinetests
EKG Aktive oder vorausgegangene kardiale Ischämie
z Operative Maßnahmen
Hydrozephalus: Bei erweitertem Ventrikelsystem und
entsprechender Klinik wird ein spezieller Ventrikel-
2 katheter über eine Bohrlochtrepanation oder einen
Drillbohrloch in das Vorderhorn des Seitenventri-
kels platziert. Sind die Seitenventrikel durch Blutkoa-
gel-Tamponade der Foramina Monroi nicht mehr in
Verbindung („nicht kommunizierende = getrappte
Ventrikel“), sind beidseits Katheter notwendig. Hier- a b
durch wird ein starker Druckunterschied zwischen
beiden Hemisphären vermieden, der zu einer Mittel-
linienverlagerung führen kann. Über einen l iegenden
Ventrikelkatheter ist eine sehr genaue Hirndruck-
messung möglich, solange dieser liquorgefüllt bleibt
und nicht durch Blutgerinnsel verstopft.
z Supratentorielle Blutungsausräumung
Die operative Blutungsausräumung beabsichtigt in c d
erster Linie, eine Hernierung zu verhindern, den
Hirndruck zu senken und die sekundären Wirkun- . Abb. 2.2 a–d Kleinhirnblutung. a,c Ausgedehnte
gen auf das umgebende Gewebe zu vermindern, hypertensiv bedingte linksseitige Kleinhirnblutung (*)
mit Ventrikeleinbruch und beginnender hydrozephaler
indem der Raumforderungseffekt und eine dis-
Erweiterung der supratentorielle Liquorräume.
kutierte zelluläre Toxizität der Blutabbauprodukte b Nach operativer Hämatomausräumung über einen
reduziert werden. Die wesentlichen Studien sind paramedianen subozipitalen Zugang deutliche Entlastung
STICH und STICH II (für lobäre ICBs). Allgemein der Raumforderungszeichen der hinteren Schädelgrube.
konnte kein klarer Vorteil durch eine Operation d durch passagere Anlage einer externen Ventrikeldrainage
in das Vorderhorn des rechten Seitenventrikel suffiziente
belegt werden. Die Aussagekraft der Studienergeb-
Entlastung des Hydrocephalus occlusus
nisse ist jedoch eingeschränkt, weil viele Patienten
mit Einklemmungsgefahr ausgeschlossen wurden
und ein häufiger Patientenwechsel von einer in die 55 Eine dekompressive Kraniektomie mit
andere Behandlungsgruppe stattfand („cross-over“). oder ohne Hämatomausräumung kann die
Mortalität bei Patienten mit supratentoriellen
> Als belegt gilt, dass Patienten mit ICBs reduzieren, wenn sie komatös sind,
massenwirksamen lobären ICBs ohne große Hämatome besitzen, eine deutliche
Ventrikeleinbruch von einer operativen Mittellinienverlagerung aufweisen, oder einen
Entlastung profitieren (Gregson et al. therapierefraktären erhöhten ICP aufweisen
2012; Mendelow et al. 2005). Tief in den (neue Empfehlung, Klasse IIb, Evidenzlevel C).
Stammganglien liegende Blutungen 55 Die frühe Hämatomausräumung ist gegenüber
hingegen werden nicht operativ ausgeräumt. der Hämatomausräumung in Abhängigkeit von
der klinischen Verschlechterung des Patienten
Für die meisten Patienten mit einer supratentoriel- nicht eindeutig von Vorteil (neue Empfehlung,
len ICB ist die Nützlichkeit einer operativen Ausräu- Klasse IIb, Evidenzlevel A).
mung bisher nicht gut belegt (verändert; Klasse IIb,
Evidenzlevel A). Es bestehen jedoch Ausnahmen und z Infratentorielle Blutungsausräumung
potenzielle Subgruppenerwägungen. Patienten mit einer Blutung in der hinteren Schä-
55 Die supratentorielle Ausräumung einer Blutung delgrube verschlechtern sich sehr schnell von
bei sich verschlechternden Patienten kann als einer adäquaten Bewusstseinslage hin zum Koma
lebensrettende Maßnahme betrachtet werden (. Abb. 2.2). Erste Hinweise auf eine beginnende
(neue Empfehlung, Klasse IIb, Evidenzlevel C). Hirnstammsymptomatik sind Hirnnervenausfälle,
2.2 · Intrazerebrale Massenblutung
35 2
. Tab. 2.4 Zusammenfassung der Klasse-I-Empfehlungen zur Behandlung der spontanen nicht läsionalen ICB
zum Beispiel in Form einer Abduzensparese. Eine sollten so schnell wie möglich eine Hämatomaus-
Blutung >3 cm gilt auch bei noch blander Klinik räumung bekommen (Klasse I, Evidenzlevel B). Die
und sonst fehlenden Kontraindikationen als Ope- Anlage einer intraventrikulären Drainage anstatt der
rationsindikation. Aufgrund des insgesamt kleine- Blutungsausräumung wird nicht empfohlen (Klasse
ren Raumes in der hinteren Schädelgrube kommt III, Evidienzlevel C).
es bei Kleinhirnblutungen schneller zu einem nicht
mit dem Leben vereinbaren Druckanstieg und einer z Intraparenchymale Hämatomlyse/minimal-
Kompression des Hirnstamms sowie einem sekun- invasive Hämatomaspiration
dären Verschluss des Aquädukts und vierten Ventri- (Relevante Studie MISTIE II abgeschlossen, MISTIE
kels mit Entwicklung eines Verschlusshydrozephalus. III laufend (minimal-invasives Verfahren und rTPA)
Über die Druckentlastung kann das perifokale
> Bei Blutungen in der hinteren Schädelgrube Ödem reduziert werden. Im Prinzip wird nur das
gelten andere Behandlungsempfehlungen. Hämatominnere minimal-invasiv entlastet. Dies
Hier ist der Nutzen der operativen kann endoskopisch oder über eine navigations-
Ausräumung unumstritten. geführte Minikraniotomie durchgeführt werden.
Weiterhin ist es möglich einen Katheter navigati-
Wird hier rechtzeitig, das heißt vor dem Eintreten onsgeführt in das Hämatomzentrum einzubringen,
von Hirnstammläsionen, operativ entlastet, besitzen um dann über den Katheter rtPA in das Hämatom zu
diese Patienten durchaus auch in höherem Alter noch instillieren. Hierdurch wird über eine Clotverflüssi-
eine gute Prognose. gung ein Teil des Hämatoms aspirierbar.
AHA-Empfehlung 2015: Patienten mit einer Die Wirksamkeit der minimal-invasiven Clo-
Kleinhirnblutung, die sich neurologisch verschlech- taspiration (endoskopisch oder stereotaktisch) mit
tern, oder eine Hirnstammkompression aufweisen, oder ohne lokale Thrombolyse ist unklar (Klasse IIb,
oder einen Verschlusshydrozephalus entwickeln, Evidenzlevel B; geänderte Empfehlung).
36 Kapitel 2 · Intrakranielle Blutungen
a b a b
c d
c d
ICP
a b c
. Abb. 2.5 SHT der hinteren Schädelgrube nach rückwärtigem Sturz von einer Leiter auf den Hinterkopf. a Im initialen
CCT Nachweis eines ca. 2 cm großen intrazerebellären Hämatoms links (*), sowie eines schmalen Subduralhämatoms rechts
cerebellär (dicker Pfeil) und Contré-coup-Kontusionen rechts temporal und frontobasal (dünner Pfeil). b Im Knochenfenster
findet sich eine mediane nicht-dislozierte Frakturlinie des Os okzipitale. c In der koronaren Rekonstruktion lässt sich zusätzlich
eine schmales Subduralhämatom (dünner Pfeil) des Tentorium und des Interhemisphärenspalt nachweisen
a b c
. Abb. 2.6 a–c Isoliertes letales Schädel-Hirn-Trauma nach Verkehrsunfall mit einem PKW. a Multiple Bläschen
intrakranieller Luft bei ausgedehnter Frontobasisverletzung (Pfeil). b Ausgedehnte traumatische SAB der basalen Zisternen.
c Kräftiges subgaleales Hämatom rechts frontal mit einem kleinen intra-kutanen Glasfragment (*) sowie schmales akutes
Subduralhämatom links frontotemporal
können einen zusätzlichen Hinweis auf den Schwe- 2.3.1 Epidurale Blutung
regrad geben: Monokel-/Brillenhämatome und
Liquorrhö/Otorrhö als Hinweis auf Schädelba- Die epidurale Blutung (epidurales Hämatom,
sisverletzungen; offene Schädelverletzungen mit EDH) entsteht durch die Lazeration eines epidura-
Hirnaustritt; beginnende Einklemmungszeichen len Gefäßes im Rahmen einer Schädelfraktur oder
mit einseitiger Pupillenerweiterung und Cushing- eines Schädel-Hirn-Traumas. Weitere Blutungsquel-
Reflex (Blutdrucksteigerung mit Herzfrequenzab- len sind venöse oder arterielle Blutungen aus dem
fall aufgrund einer massiven Hirndrucksteigerung), frakturierten Knochen. Einer der häufigsten Mecha-
beidseits weite starren und entrundete Pupillen als nismen ist die Verletzung der A. meningea media im
Hinweis auf massive Einklemmung mit Hirninfark- Bereich der Temporalschuppe und der Schädelba-
ten (. Tab. 2.5). sis. Die zunehmende Raumforderung kann zu einer
38 Kapitel 2 · Intrakranielle Blutungen
a b c
Pca
. Abb. 2.7 a–c Koronare Rekonstruktion des Knochenfensters des Patienten von . Abb. 2.6. a Es findet sich eine komplexe
Schädelbasisfraktur (dünner Pfeil), die das Os frontale und die Frontobasis umfasst und bis in die mittlere Schädelbasis einstrahlt.
b Die Rhinobasis rechts ist imprimiert mit Ausbildung von Hämatosinus (*). c Medial des linken Processus clinoideus anterius
(Pca) führte die Basisfraktur zu einer traumatischen, transmuralen Dissektion der Arteria carotis interna
vital bedrohlichen Hirnkompression führen (Com- Die Blutung schafft sich zunehmend einen Raum
pressio cerebri). Ein EDH kann auch iatrogen infolge zwischen Dura und Knochen und bleibt aufgrund
einer Nachblutung bei durchgeführter K raniotomie der duralen Begrenzung im CT glatt abgegrenzt.
entstehen. Um hiervor zu schützen wird die zur Kra- Der Bildbefund ist meist eindeutig sofern keine
niotomie mobilisierte Dura wieder mit Haltefäden zusätzliche Subduralblutung oder Kontusion vor-
am Kraniotomierand und am Kraniotomiedeckel liegt, welche die Abgrenzung gegenüber der Dura
befestigt. Dies ist eine Maßnahme, die auch durch- erschwert. Die diagnostische Maßnahme der Wahl
geführt wird, wenn im Rahmen eines traumatischen ist das Notfall-CCT.
EDH eine Kraniotomie primär notwendig wurde Die Größe des Epiduralhämatoms nimmt beson-
und nach der Blutungsausräumung der Knochen- ders innerhalb der ersten 4–6 h zu (. Abb. 2.11).
deckel wieder eigesetzt wird. Patienten können trotz deutlichem Epiduralhä-
Epidurale Hämatome sind seltener als SDH und matom noch ohne neurologische Defizite sein.
treten bei etwa 1% der SHT auf. Männer sind viermal Dies kann jedoch innerhalb weniger Minuten in
häufiger betroffen als Frauen. Junge Erwachsene über eine Eintrübung mit komplettem Bewusstseinsver-
20 Jahre sind häufiger betroffen. lust umschlagen. Bei einer derartigen Eintrübung,
die auch mit epileptischen Krämpfen einher gehen
kann, liegt ein absolut vital gefährdender Notfall
Symptome und Diagnose vor. Um den Hirndruck zu senken, muss so schnell
Je nach Ausmaß des initialen Traumas kann es wie möglich eine operative Entlastung vorgenom-
infolge des verursachenden Anpralls zunächst zu men werden. Die Zeit bis zur Operation wird mit
einer kurzen Benommenheit oder Bewusstlosig- Osmotherapie zur Hirndrucksenkung überbrückt
keit kommen. Der Patient ist dann wieder klar (Mannitol). Nicht selten sind jüngere Patienten von
und ansprechbar, trübt dann aber bei Zunahme einem EDH betroffen. Aufgrund der möglichen neu-
der Raumforderung wieder ein. Man spricht vom rologischen Verschlechterung müssen diese Patien-
„luziden Intervall“ (James Hill 1751 im Zusammen- ten in einer neurochirurgischen Einheit überwacht
hang mit SHT beschrieben, 1810 Erstbeschreibung und versorgt werden, falls nicht schon primär eine
im Zusammenhang mit EDH John Abernethy). Operationsindikation besteht. Patienten, die auf-
Das bildmorphologisches Kennzeichen des EDH grund geringer EDH-Größe und gutem klinischen
ist die linsenförmige Konfiguration durch langsa- Zustand zunächst konservativ versorgt werden, sind
mes Abheben der Dura vom Knochen (. Abb. 2.10). im Intervall von 4–6 h erneut einer Bildgebung zu
2.3 · Traumatisch bedingte Blutungen
39 2
Maßnahme
wenn ICP weiter > 20 mmHg, CPP überprüfen, Soll ≥60 mmHg sein
ZVD-Ziel 812, Herzleistung überprüfen (Echo), wenn adäquat Vasopressortherapie bis Ziel CPP≥ 60 mmHg
des Patienten 30°-Oberkörperhochlagerung mit wird die Intaktheit der Dura kontrolliert. In Abhän-
Kopf in Mittelstellung im Bett/auf der Bahre (nicht gigkeit vom Ausmaß des verursachenden Traumas
zur Seite gedreht, um den venösen Abfluss über die ist teilweise auch noch eine Kontrolle des Subdural-
Halsgefäße nicht zu beeinträchtigen), um den int- raums notwendig, um eine subdurale Blutansamm-
rakraniellen Druck zu senken, Sauerstoffmaske, um lung zu entfernen. Anschließend wird die Dura am
das O2-Angebot zu optimieren, Nahrungskarenz, Knochenrand mit Durahaltenähten fixiert, um ein
Schmerzmedikation falls notwendig, jedoch nicht erneutes Nachlaufen von Blut aus den Knochen-
bis zum Sedierungseffekt. Bei einem primär bewusst- rändern und anderen epiduralen Gefäßen zu ver-
losen Patienten erfolgen die Intubation und eine kon- meiden. Der Knochendeckel wird am Ende der
trollierte Beatmung. Da im Rahmen eines SHT auch Operation wieder eingesetzt. Ausgenommen hiervon
oft Verletzungen der Wirbelsäule und spinalen Achse ist ein generalisiertes traumabedingtes Hirnödem
vorliegen, sind entsprechende Hyperreklinationen (z. B. große Hirnkontusionen). Diese macht unter
der Halswirbelsäule bei der Intubation zu vermei- Umständen eine dekompressive Kraniektomie und
den. Der Transport erfolgt achsengerecht, bis eine Dura-Erweiterungsplastik erforderlich, um dem
assoziierte Wirbelsäulenverletzung ausgeschlossen Hirn zusätzlichen Schwellungsraum zu ermögli-
werden konnte. chen. Bei Polytraumatisierten ist es möglich paral-
lel durch unterschiedliche Teams zu operieren. Wird
z Innerklinische Maßnahmen die Entscheidung getroffen zunächst konservativ zu
In Abhängigkeit von Trauma und Bewusstseinszu- behandeln, weil kaum eine Raumforderung vorliegt
stand des Patienten ist nach Sicherung der Vitalpa- und keine neurologischen A usfallsymptome beste-
rameter und erneuten orientierenden Evaluation hen, ist in jedem Fall ein Kontroll-CCT nach 4–6 h
des Neurostatus (Verschlechterung seit Eintreffen notwendig, auch wenn keine klinische Verschlech-
des Notarztes am Unfallort? Wesentlich GCS und terung auftritt.
Ausschluss fokaler Ausfälle) die rasche Bilddiag-
nostik per CCT vordringlich (z. B. Spiral-CT, sog.
Traumaspirale). Wurden ein isoliertes EDH gesichert Prognose
und ein spinales Trauma ausgeschlossen, erfolgt die Wird ein stark raumforderndes, aber isoliertes EDH
weitergehende Behandlung durch die Neurochir- ohne Hirnkontusionen und subdurale Komponente
urgie. Ist das EDH symptomatisch oder hat einen frühzeitig entlastet, ist die Prognose gut und eine Wie-
zu großen raumfordernden Effekt, wird umgehend derherstellung ohne funktionelle Defizite kann erwar-
über der Stelle der Blutung kraniotomiert, die Blu- tet werden. Wie bei den anderen SHT-Formen ist eine
tungsquelle identifiziert und ausgeschaltet, sowie das neuropsychologische Evaluation während der Akut-
regelhaft koagulierte Hämatom entfernt. Zusätzlich phase und in Abhängigkeit vom Befund im Verlauf zu
42 Kapitel 2 · Intrakranielle Blutungen
a b
44 Klinische Untersuchung:
VD
–– Abhängig von der Bewusstseinslage;
2 VD
T T
bei nicht beatmeten Patienten
zunächst umgehende Inspektion
und ggf. sofortige Sicherung der
Vitalfunktionen unter Einbeziehung
der Anästhesie
. Abb. 2.9 a,b Aufwärtsherniation. a Nach über mehreren –– Bewusstseinsstatus, initialer GCS
Tagen zunächst erfolgreicher konservativer Hirndrucktherapie
–– Inspektion: äußere Verletzungszeichen,
und sehr vorsichtiger Liquorentlastung über eine externe
Ventrikeldrainage (VD), klinischen Dekompensation des Patienten. Prellmarke, Kopfplatzwunde, Liquorrhö,
In der sagittalen Rekonstruktion ist die hintere Schädelgrube Austritt intrakranieller Gewebeanteile,
massiv zugeschwollen mit fortschreitender transtentorieller Thorax, Abdomen, Extremitäten
Aufwärtsherniation des Mittelhirns und Verlegung des Foramen –– Hirnnerven: insbesondere
magnum (gestrichelte Pfeile). Dort ist auch ein subdurales Hämatom
Pupillenweite, Lichtreaktion
lokalisiert (*), bekanntes intrazerebelläres Hämatom (**). b Nach
subokzipitale Dekompression (Pfeile) und Hämatomausräumung –– Sensibilität: groborientierend in der
deutlicher Entlastungseffekt. Der vierte Ventrikel (*) und die Akutsituation
präpontinen Subarachnoidalräume sind wieder entfaltet –– Motorik: zentrale Parese, Beuge- oder
Strecksynergismen
empfehlen. Um eine entstandene epileptogene Prädis- –– Reflexe: Reflexsteigerung, -ausfall,
position auszuschließen, wird eine EEG-Untersuchung Pyramidenbahnzeichen
empfohlen. Patienten, die vor dem Eingriff komatös 44 Präoperative Diagnostik
waren, haben eine schlechtere Prognose. Cohen et al. –– CCT: Basisdiagnostik, immer mit
haben 21 aEDH-Patienten mit einem GCS <8 unter- Knochenfenster zur Frakturdarstellung
sucht. Zwei Drittel hatten (67%) hatten bereits eine –– CTA: bei Verdacht auf Gefäßläsion
Anisokorie. Keiner der Patienten mit einer Ansikorie oder traumatische
≤70 min bis zur Operation verstarb und alle hatten ein Sinusvenenthrombose
mindestens zufriedenstellendes funktionelles Ergeb- –– CT-HWS: immer, zum Ausschluss einer
nis. Betrug die Zeit >90 min, war die Mortalitätsrate Begleitverletzung der HWS
signifikant höher (Cohen et al. 1996). –– MRT: ggf. im weiteren Verlauf zur
Dennoch gibt es auch Hinweise darauf, dass Prognoseabschätzung
selbst Patienten mit beidseits lichtstarren und –– Routinelabor, Blutgruppe immer
weiten Pupillen noch von einer Operation profitie- 44 Tetanusprophylaxe bei unklaren
ren können (Scotter et al. 2015). Impfstatus
44 Konservatives Vorgehen
–– Überwachung auf der Intensivstation,
Übersicht akutes Epiduralhämatom (EDH) wenn initial keine operative Indikation
44 Anamnese besteht.
–– Trauma (Unfallhergang? spontanes –– Ggf. Anlage einer Hirndrucksonde,
Ereignis? Zeitpunkt? Intensität? wenn zusätzliche intrakranielle
Kopfschutz vorhanden? Ggf. Verletzungen vorliegen
forensischer Hintergrund? Begleitver- –– Angepasstes Hirndruckmanagement,
letzungen?), Hirndrucksymptomatik, ggf. Osmotherapie
epileptischer Anfall, Bewusstlosigkeit –– Frühes Kontroll-CCT 6 h nach
(Dauer, neurologische Defizite, GCS) der primären Diagnostik, später
–– Vorerkrankungen, Kontrollen nach individuellem
Medikamentenanamnese klinischen Verlauf
2.3 · Traumatisch bedingte Blutungen
43 2
a b c
. Abb. 2.10 a–c Epiduralhämatom. a,c CCT eines akuten hyperdensen, epiduralen Hämatoms links parietal infolge
eines Sturzes. Das Hämatom ist bikonvex konfiguriert und gegenüber dem Kortex scharf abgegrenzt (dicker Pfeil).
Entlang der Hämatomgrenze wird der Kortex komprimiert und verlagert. Das Hinterhorn des Seitenventrikels wird leicht
zusammengedrückt. b Assoziierte, nicht-dislozierte Kalottenfraktur (dünner Pfeil)
a b c
. Abb. 2.11 a–c Epiduralhämatom a CCT eines akuten leicht hyperdensen, epiduralen Hämatom (*) rechts parietal infolge
eines Sturzes. b 3 h später signifikanter Progress des nun deutlich hyperdensen Hämatoms. Typische bikonvexe Konfiguration
und scharfe Abgrenzung gegenüber dem Kortex (dicker Pfeil). c Assoziierte, nicht-dislozierte Kalottenfraktur (dünner Pfeil)
z Auswirkungen der Notfallversorgung auf die kurzen Bewusstlosigkeit als Impactzeichen verlassen.
Prognose Aufgrund des „luziden“ Intervalls ist es bei einem
Es ist wesentlich, die Möglichkeit eines substantiellen EDH und nicht bewusstlosem Patienten nicht immer
SHT am Unfallort, oder bei spontaner Vorstellung äußerlich erkennbar, dass eine schwerwiegende Ver-
eines Patienten in der Notfallaufnahme zu erkennen. letzung vorliegt. Die angemessene und effiziente Not-
Wegweisend ist hierbei die Schilderung des Unfall- fallversorgung entscheidet somit ganz wesentlich
hergangs, und das Erkennen eventuell vorhande- darüber, ob der Patient eine Zukunft ohne Folgen
ner neurologischer Defizite falls nicht schon die die vor sich hat oder nicht.
äußeren Verletzungszeichen klar anzeigen, dass eine
weitergehende bildmorphologische Abklärung not- > Ein Patient mit EDH, der sich neurologisch
wendig ist. Man kann sich insbesondere beim EDH verschlechtert, ist ein absoluter Notfall und
nicht auf das vorausgehende Vorhandensein einer muss umgehend operativ entlastet werden.
44 Kapitel 2 · Intrakranielle Blutungen
a b c
. Abb. 2.13 a–c Akutes Subduralhämatom. Gleiche Patientin wie in . Abb. 2.12 vor (a), nach Entlastungskraniektomie
links frontotemporal (b) und nach Reimplantation des autologen Knochendeckels (c). Aufgrund der schnellen und suffizienten
operativen Versorgung konnten weitere sekundäre Hirnschäden vermieden werden
Im Wesentlichen zielt diese darauf ab, eine rasch der Blutungsausräumung und akuten Druckentlas-
progrediente Hirndrucksteigerung abzufangen und tung gilt es Sekundärschäden durch die Hirnschwel-
eine „Einklemmung“ zu vermeiden (. Abb. 2.12b). lung zu vermeiden.
Im Hinblick auf den Hirndruck gelten diesel-
z Präklinische Maßnahmen ben Maßgaben wie allgemein für das SHT (ICP
Aufgrund der raschen Progredienz der Hirn- <20 mmHg, CPP 50–70 mmHg).
drucksymptomatik ist es vordringlich, bei diesen
Patienten die Vitalfunktionen zu sichern, sie zu intu- Prognose
bieren und kontrolliert zu beatmen und ohne Verzö- Trotz schnellstmöglicher operativer Blutungs-
gerung Maßnahmen zur Hirndrucksenkung (Osmo- ausräumung und Druckkentlastung ist es häufig
diurese mit Mannitol) einzuleiten, um die Zeit bis zur nicht möglich das Überleben zu sichern (Rahul Raj
operativen Entlastung zu überbrücken und eine Ein- et al. 2015). Die Mortalitätsrate traumatischer aSDH
klemmung zu vermeiden. Die Hauptziele bestehen hängt stark vom Lebensalter ab und wird zwischen
darin, die Oxygenierung und die zerebrale Perfusion 35–88% angegeben. Bei Patienten <65 Jahre liegt die
zu optimieren. Häufig muss einer Hypotension einer Mortalitätsrate trotz Hämatomevakuation zwischen
Hyper- oder Hypokapnie entgegengewirkt werden. 35–55% und entsprechend höher für ältere Patien-
Als Zeichen einer ablaufenden Einklemmung wird ten. Bei initialen GCS-Scores ≤8 steigt die Mortali-
die einseitige (lichtstarre) Weitung der Pupille gewer- tät dramatisch.
tet (Druck auf den N. oculomotorius). Eine weite
lichtstarre Pupille gilt als negativer Prognostikator. z Positive prognostische Faktoren
Einen positiven prognostischen Einfluss haben
z Innerklinische Maßnahmen folgende Faktoren:
Die Maßnahmen in der Notfallaufnahme unterschei- 55 Initialer GCS >6
den sich nicht von denen des EDH und der Kontu- 55 Junges Patientenalter
sionsblutung. Patienten mit ausgeprägten aSDH 55 Schnellstmögliche Diagnostik und operative
werden zum Großteil bereits intubiert und kontrol- Entlastung
liert beatmet eingeliefert. Nach der CCT-Bildgebung 55 Freies Intervall bis zum Auftreten neurologi-
muss der Patient umgehend in den Operationssaal scher Ausfälle
verbracht werden, um eine großflächige Kraniotomie
zur raschen Druckentlastung und Identifikation von Merzo et al. haben den positiven Einfluss einer kon-
Blutungsquellen zu ermöglichen (. Abb. 2.13). Nach sequenten neurointensivmedizinen Behandlung auf
46 Kapitel 2 · Intrakranielle Blutungen
55 Parese (latent oder manifest)/Plegie in der Kalotte mit Durainzision. Nach der Duraer-
55 Psychosyndrom (kognitiver Abbau) öffnung tritt typischerweise das maschinenölfarbige
55 Hirnnervendefizit subdurale Hämatom aus. Es wird dann großzügig
2 55 Aphasie subdural mit Ringer-Lösung gespült, bis der Flüssig-
55 Anfälle keitsrückstrom klar ist. Hierauf erfolgt die Einlage
einer subdural zu liegenden Drainage, die mit einem
Diagnostik Auffangbeutel verbunden wird. Nur wenn sich das
Bei klinischem Verdacht ist das native kraniale CT Gehirn während des Eingriffs bis zur Dura ausdehnt,
die Methode der Wahl. Bei einem bereits isoden- kann darauf verzichtet werden. Dies ist jedoch nur
sem Hämatom kann dieses mitunter schwieriger zu sehr selten der Fall. Anschließend muss die Höhe des
erkennen sein. Bei nicht eindeutigem Befund kann Beutels sichergestellt werden, damit keine zu große
die MRT eine zu Grunde liegende nicht traumatische Sogwirkung entsteht (auf oder kurz unterhalb Kopf-
Läsion, wie eine Gefäßmalformation, ausschließen. höhe, abgeklemmt beim Mobilisieren).
Zu beachten ist, das rupturierte durale arteriovenöse Die erste CCT-Kontrolle erfolgt in Abhängig-
Fisteln (DAVF) häufig mit einer Kombination aus keit vom Rückfluss nach 2–3 Tagen, vor dem Drai-
subduralem Hämatom und intraparenchymatösem nagezug. Regelmäßig bessert sich die vorbestehende
Blutanteil imponieren und manchmal als Subdural- Symptomatik bereits zum Zeitpunkt der Entlastung.
hämatom verkannt werden. Die klinische Sympto- Entscheidend ist die Druckentlastung; eine vollstän-
matik entsteht in solchen Fällen jedoch akut und ist dige Entfernung des Hämatomsaums wird direkt
meist gravierender. nach dem Eingriff noch nicht erreicht, stellt sich aber
im Verlauf ein. Die Notwendigkeit und Frequenz der
Therapie weiteren bildgebenden Verlaufskontrolle wird vom
Prä- und innerklinisch gibt es im Gegensatz zu klinischen Zustand und verbleibenden Resthäma-
den anderen kranialen Blutungsformen keine spe- tom abhängig gemacht. Sie erfolgt bereits ambulant.
zifischen Notfallmaßnahmen zu beachten, da die Blutungsrezidive können vorkommen. Sie treten bei
Patienten selten vital gefährdet sind. Im Vordergrund Patienten, die unter Gerinnunghemmung standen
stehen die Bilddiagnostik, die Abklärung des Gerin- gehäuft auf. Vitamin-K-Antagonisten und ähnli-
nungsstatus und in Abhängigkeit vom klinischen che orale Antikoagulanzien/Aggregationshemmer
Zustand des Patienten und Liquidität der Blutung die sollten ca. 4 Wochen pausiert werden. Diese Zeit
Planung des operativen Eingriffs (stark hyperden- kann mit niedermolekularem Heparin überbrückt
ser/weißer Blutsaum im CCT Hinweis auf frischere werden.
Blutung mit noch koagulierten Blutanteilen, iso- bis Asymptomatische schmale chronische Sub-
leicht hyperdenser Saum als Hinweis auf bereits ver- duralhämatome ohne wesentliche raumfordernde
flüssigtes Hämatom). Wirkung (Hirnatrophie) können zunächst beobach-
Ist die Blutung bereits verflüssigt, lässt sie sich tet werden, da eine realistische Chance besteht, dass
besonders schonend über einen minimal-invasiven diese im Verlauf vollständig resorbiert werden.
Eingriff ausspülen, ohne die Kortexoberfläche direkt
manipulieren zu müssen. Dieser kann problemlos Prognose
mittels Lokalanästhesie bei ansprechbarem Patienten Das cSDH hat die beste Prognose unter den intra-
und ohne Intubationsnarkose durchgeführt werden, kraniellen Blutungsformen. Die Rezidivrate liegt bei
was besonders bei betagten Patienten von Vorteil ist. 2–30% (Ohba et al. 2013). Die Einlage einer subdu-
Zudem erlaubt die Evakuierung unter Lokalanästhesie ral zu liegenden Drainage führt zu einer vollständi-
und leichter Sedierung die aktive Mitarbeit des Pati- geren Entlastung und senkt die Rezidivrate (Carlsen
enten, indem dieser die Expulsation des Hämatoms et al. 2011). Vorbestehende Gerinnungsstörungen
durch mehrfaches Husten und die damit v erbundene (Leroy et al. 2015), ein zu dickes Resthämatom und
Drucksteigerung unterstützt. Die Evakuation erfolgt epileptische Anfälle sind ein wesentlicher Faktor
meist über ein, manchmal auch über zwei Bohrlöcher für Rezidive. Gleiches gilt für einen sehr großen
2.4 · Subarachnoidalblutung
49 2
postoperativen subduralen Luftsaum und das Aus-
bleiben einer Ausdehnung des Hirns nach Entlas- 44 Präoperative Diagnostik:
tung. Werden trotz erfolgreicher initialer Entlastung –– CCT: in der Regel ausreichend
die Risikofaktoren und evtl. negative Begleitum- –– Sono-Abdomen: bei bisher nicht
stände nicht entsprechend erkannt und behan- bekannter Leberfunktionsstörung
delt, kann die Einjahresprognose durchaus nicht so –– Röntgen: nur der betroffenen
günstig sein wie erwartet (Miranda et al. 2011). Extremität bei Verdacht auf
Begleitverletzung
–– Routinelabor, Blutgruppe immer
Übersicht chronisches Subduralhämatom –– Ggf. Korrektur der Gerinnungsstörung
(cSDH) (Vitamin-K-Antagonisten, PPSB)
44 Anamnese
–– Vorausgehendes Trauma bekannt
(Unfallhergang? spontanes Ereignis? z Auswirkungen der Notfallversorgung auf die
Zeitpunkt? Intensität?), Hirndruck- Prognose
symptomatik, epileptischer Anfall, Das rechtzeitige Erkennen der typisch progredienten
Bewusstseinsstörung, neurologische Symptomatik in der prädestinierten Altersgruppe und
Defizite. Vorerkrankungen, Medikamen- die sofortige Veranlassung einer CCT-Untersuchung
tenanamnese, Gerinnungsstörungen, erspart dem Patienten eine oft Wochen- bis monate-
Alkoholabusus lange Leidensphase mit Kopfschmerzen, reduzierter
–– Kopfschmerz über längeren Zeitraum, Leistungsfähigkeit und einer progredienten „demen-
progrediente neurologische Defizite tiellen“ Entwicklung ( Schebesch et al. 2008). Ein chro-
und kognitive Verschlechterung, nisch bestehende Hemisphärenkompression mit
Aphasie gesteigertem Hirndruck hat Einfluss auf die mögliche
44 Klinische Untersuchung Regenerationsfähigkeit nach Entlastung. Ein kürzerer
–– Abhängig von der Bewusstseinslage Zeitraum in Tagen/Wochen z wischen raumfordern-
kompletter Neurostatus, initialer GCS, der Hämatombildung und operativer Ausräumung
Inspektion: äußere Verletzungszeichen, hat einen positiven Einfluss auf die Reexpansion der
Prellmarke, Kopfplatzwunde, Hemisphäre und damit auch auf die Rezidivhäufig-
Hämatomen an den Extremitäten keit (Ro et al. 2015).
–– Hirnnerven: insbesondere
Pupillenweite, Lichtreaktion > Das cSDH ist die häufigste intrakranielle
–– Sensibilität: Oberflächensensibilität Blutungsform. Es hat bei operativer
–– Motorik: zentrale Parese, Behandlung eine gute Prognose. Die
Tonuserhöhung, Spastik länger bestehende Kopfschmerzsym-
–– Reflexe: Reflexsteigerung, -ausfall, ptomatik ist meist vergesellschaftet mit
Pyramidenbahnzeichen progredienten neurologischen Defiziten.
–– Wortfindungsstörung, Sprechstörung, Das CCT ist beweisend, die Therapie der
mnestische Defizite, Verlangsamung Wahl ist die planbare Entlastung über eine
44 Behandlung Bohrlochtrapanation.
–– Bei Raumforderung und/oder
Symptomatik
–– Minimal-invasive Evakuation über 2.4 Subarachnoidalblutung
Bohrlochtrepanation und Spülung,
selten Minikraniotomie erforderlich Die Subarachnoidalblutung (SAB) (. Abb. 2.15) ist
(z. B. mehrfache Kammerung) eine arterielle, teilweise auch venöse Blutung in den
Subarachnoidalraum (Cavum subarachnoidale).
50 Kapitel 2 · Intrakranielle Blutungen
2
MCA
MCA
A
a b c
Ac
A
BC
A
IC
d e f
. Abb. 2.15 a–f Subarachnoidalblutung. a Ausgeprägte hyperdense subarachnoidale Blutung (Pfeil) der basalen
Zisternen im CT mit Hämatom (*) der Sylvischen Fissur links. d,e In den axialen und koronaren MIP-Rekonstruktionen der CT-
Angiographie lässt sich bereits das Aneurysma (A) der A. cerebri media (MCA) als Blutungsquelle nachweisen. b Die lobulierte
Aneurysmakonfiguration wird in der 3D-Darstellung bereits gut erkennbar. c Die konventionelle DSA bestätig den Befund in der
basalen Projektion der A. carotis interna links. f Nach endovaskulären Coiling vollständiger Verschluss des Aneurysmas (Ac). Der
Ballonkatheter (BC) und Mikrokatheter (IC) zur Coilapplikation liegen noch in der A. cerebri media
Dies ist der Raum zwischen der Arachnoidea und Aneurysmas der Hirnbasisarterien verursacht
der Pia mater, die der Hirnoberfläche direkt aufliegt. (. Abb. 2.15b) und wird dann als aneurysmatische
In ihm als äußerem Liquorraum zirkuliert der Liquor Subarachnoidalblutung bezeichnet. Ein A neurysma
cerebrospinalis. Insbesondere an der Schädelbasis ist eine erworbene pathologische Erweiterung der
finden sich größere Erweiterungen des Subarach- Arterienwand, die mit einer strukturellen Schwä-
noidalraums, die als Zisternen bezeichnet werden. chung dieser Gefäßwand einhergeht. Kann die
In einem Teil dieser Zisternen verlaufen auch die Aneurysmawand den mechanischen und hydrody-
großen Hirnbasisarterien. Seltener ist die SAB auch namischen Belastungen innerhalb der Arterie nicht
mit einer intraparenchymatösen Blutung vergesell- mehr standhalten, kommt es zu Aneurysmarup-
schaftet (. Abb. 2.15a). tur, das Aneurysma platzt und arterielles Blut wird
Unterschieden werden die traumatische von der mit hohem Druck innerhalb kürzester Zeit solange
spontanen, nicht-traumatischen Subarachnoidal- in den Subarachnoidalraum gepumpt, bis sich ein
blutung. Ein Schädel-Hirn-Trauma ist die häufigste kurzfristiger Verschluss der Rupturstelle durch einen
Ursache einer Subarachnoidalblutung und tritt bei Blutclot einstellt.
33–60% der betroffenen Patienten auf. Eine Subarachnoidalblutung ist akut lebens-
Die spontane Subarachnoidalblutung wird bedrohlich. Durch die Blutung wird auch bei aus-
in 80% der Fälle durch die Ruptur eines zerebralen geschalteter Blutungsquelle eine Systemreaktion
2.4 · Subarachnoidalblutung
51 2
ausgelöst, die innerhalb der ersten 14 Tage eine hohe
Mortalität bedingt. Perimesenzephale nicht-aneurysmatische
Bei 15–20% der Patienten mit einer spontanen Subarachnoidalblutung
Die perimesenzephale Subarachnoidalblutung ist
SAB findet man kein verursachendes Hirnarterie-
ein eigener, nicht akut vital bedrohlicher Subtyp
naneurysma und dementsprechend keine eindeutige
der Subarachnoidalblutung, welcher eine sehr
Blutungsquelle oder sehr seltene Auslöser.
günstige klinischen Prognose hat (. Abb. 2.16).
Hierunter fällt auch die perimesenzephale
Die Patienten zeigen einen klinischen Grad
nicht-aneurysmatische Subarachnoidalblutung
I–II nach Hunt und Hess. Im CT findet sich nur
(7 Box). Nachfolgend wird das stets akut lebensbe-
wenig Blut, begrenzt auf die Zisternen um
drohliche Erkrankungsbild der aneurysmatischen
Mittelhirn und Pons. Ein Aneurysma lässt sich
Subarachnoidalblutung beschrieben.
nicht nachweisen. Die Ursache ist vermutlich
eine venöse Blutungsquelle. Verzögerte
neurologische Defizite sind eine Rarität. Es
kommt nicht zu Rezidivblutungen.
Andere Ursachen einer nicht-aneurysma-
tischen Subarachnoidalblutung
44 Zerebrovaskuläre Läsionen
–– Intrakranielle arterielle Dissektion 2.4.1 Epidemiologie und Outcome
–– Arteriovenöse Malformation (BAVM)
–– Durale arteriovenöse Fistel Etwa 3,2% der erwachsenen Normalbevölkerung
–– Intrazerebrales Kavernom tragen ein nicht-rupturiertes Aneruysma der Hirn-
–– Sinusvenenthrombose basisarterien in sich (Vlak et al. 2011). Die Ratio
–– Zerebrale Amyloid-Angiopathie männlich : weiblich liegt bei 1:1,3. Etwa 5% aller
–– Moyamoya-Erkrankung „Schlaganfälle“ beruhen auf einer spontanen nicht-
44 Entzündliche vaskuläre Läsionen traumatischen Subarachnoidalblutung. Eine aneu-
–– Wegenersche Ganulomatose rysmatische Subarachnoidalblutung tritt mit einer
–– Polyarteritis nodosa jährlichen Inzidenz von 10/100.000 auf.
–– Churg-Strauss-Syndrom Im Gegensatz zur früher zitierten Erkankungs-
–– Morbus Behçet mortalität von 50% ist die Mortalität auf ca. 33%
44 Andere Vaskulitiden gesunken, ist damit aber immer noch beachtlich hoch.
–– Mykotische Aneursmen
–– Spinale vaskuläre Läsionen
–– Sakkuläres Aneurysma der Arteria 2.4.2 Klinische Präsentation
spinalis anterior
–– Spinale arteriovenöse Malformation Der Patient mit einer Subarachnoidalblutung präsen-
(SAVM) tiert sich klinisch mit einem Spektrum von hochgra-
–– Spinale dural-arteriovenöse Fistula dig bedroht bis fast asymptomatisch. Er wird dement-
–– Spinalkavernom sprechend durch den Rettungsdienst aufgefunden oder
44 Medikamente erscheint selbstständig in der Notaufnahme. Von den
–– Kokainkonsum noch wachen Patienten werden die Kopfschmerzen
–– Überdosierung von Antikoagulanzien meist als die schlimmsten in ihrem Leben beschrieben.
44 Andere Ursachen Spezifisch ist dabei besonders der urplötzliche Beginn
–– Sickle-cell-Erkrankung der Kopfschmerzen, die in ihrer Ausprägung als „ver-
–– Koagulopathien nichtend“ und „so noch nie dagewesen“ beschrieben
–– Hypophysenapoplex werden. Ein vorausgehender „Sentinel“-Kopfschmerz
–– Meningeosis carcinomatosa „als erstes Warnzeichen“ wird von 10–43% der Patien-
–– Intrakranielle Tumoren ten berichtet (Polmear 2003). Die Kopfschmerzen sind
meistens mit einem oder mehreren Begleitsymptomen
52 Kapitel 2 · Intrakranielle Blutungen
P
P
a b
PCA
PCA
ASCA
BA
ASCA
AICA
PICA
PICA
VA
c d
. Abb. 2.16 a–f Perimesenzephalen Subarachnoidalblutung. a Typische präpontine Blutverteilung einer perimesenzephalen
Subarachnoidalblutung mit einer kleinen Blutansammlung in der Fossa interpeduncularis (Pfeil). b,c In der sagittalen
Rekonstruktion kann gut die Lokalisation des Hämatoms vor der Pons (P) veranschaulicht werden. Unauffälliges Angiogramm
der rechten A. vertebralis (VA) in der anterior-posterioren (b) und seitlichen Projektion (c). d Regelrechte Gefäßarchitektur der A.
basilaris (BA), A. cerebelli inferior posterior (PICA), A. cerebelli inferior anterior (AICA), A. cerebelli superior anterior (ACSA) und der
A. cerebri posterior (PCA) ohne Aneurysmanachweis
. Tab. 2.6 Skalen zur Beurteilung der klinischen Schwere einer Subarachnoidalblutung. Gegenübergestellt sind der
Hunt-und-Hess-Schwergrad (Hunt u. Hess 1968) sowie der WFNS-Schwergrad (Hijdra et al. 1988), der den GCS-Score
mit dem Vorhandensein einer Hemiparese korreliert
World Federation of Neurological Surgeons Com- > Bei klinischem Verdacht auf eine nicht
mittee on a Universal Subarachnoid Hemorrhage traumatisch bedingte Subarachnoi-
Grading Scale” 1988) erfolgen. Während die GCS dalblutung muss der Patient bis zum Beweis
unabhängig von der zugrundliegenden Ursache des Gegenteils behandelt werden, als ob
zur Einschätzung der klinischen Bewusstseinslage er ein rupturiertes Hirnarterenaneurysma
angewendet wird, wurden die HH- und WFNS- besitzt, welches jederzeit mit dann letaler
Skala speziell zur klinischen Einteilung der SAB Folge erneut bluten kann.
entwickelt (. Tab. 2.6).
Die Anwendung dieser Skalen ermöglicht einen Die wesentlichen Behandlungsaspekte der Akut-
eindeutigen klinischen Austausch über den Zustand phase fasst . Tab. 2.7 zusammen.
eines Patienten, wobei die Parameter der HH-Skala
einem stärken subjektiven Einfluss des Untersuchers
unterliegen. Prävention einer Reblutung –
Haben Patienten die ersten Stunden einer Suba- Blutdruckmanagement
rachnoidalblutung überlebt, werden sie nachfolgend Die Reblutung aus einem rupturierten Aneurysma
von drei wesentlichen neurologischen Komplikatio- nach Subarachnoidalblutung ist mit einer Mortali-
nen bedroht: tät bis 74% behaftet (Hijdra et al. 1987; Juvela 1989)
55 Reblutung des rupturierten Aneurysmas und mit einem deutlich schlechteren funktionellen
55 Akuter Hydrozephalus und die Ergebnis der überlebenden Patienten verbunden.
55 verzögert auftretende zerebrale Ischämie In der akuten Erkrankungsphase ist es von Bedeu-
tung, dass das Reblutungsrisiko in den ersten 12 h
am höchsten ist und innerhalb der ersten 24 h in
2.4.4 Medizinisches Management 13,6–48,6% der Fälle eine erneute Blutung auftritt
(Akutphase) (Brilstra et al.2000; Fujii et al. 1996; Inagawa et al.
1987; Ohkuma et al. 2001; Tanno et al. 2007). Ein
Nachfolgend wird auf die wesentlichen Aspekte der Drittel der Reblutungen tritt bereits innerhalb der
Akuttherapie der Subarachnoidalblutung bis zur ersten 3 h und etwa die Hälfte innerhalb der ersten
definitiven Aneurysmaversorgung eingegangen. 6 h auf. Eine Nachblutung innerhalb dieses frühen
54 Kapitel 2 · Intrakranielle Blutungen
Neben der Pneumonie im späteren Erkran- oder unklarer Beurteilbarkeit von Astabgängen
kungsverlauf ist im initialen Verlauf das neurogen am Aneurysma wird deswegen noch eine zusätz-
bedingte Lungenödem, welches bei bis zu 25% der liche K
atheterangiographie notwendig, wenn der
2 Patienten auftritt, von besonderer Bedeutung (Obata Zustand des Patienten dies erlaubt.
et al. 2015). Es ist mit einer ungünstigeren Prognose Die MRT spielt in der Akutphase der Erkrankung
verbunden und durch eine Zunahme an interstitiel- wegen des komplexeren Workflows und der länge-
ler und alveolärer Flüssigkeit charakterisiert. Diese ren Untersuchungszeiten nur eine untergeordnete
Reaktion wird ebenso durch eine Zunahme der Rolle. In den nachfolgenden Tagen, wenn im CT die
Serumspiegel von endogenen Katecholaminen ver- Hyperdensität des Blutes geringer wird, ist die diag-
mittelt. Ein Teil der im Zusammenhang mit einer nostische Wertigkeit der MRT in der Detektion von
schweren SAB auftrenden akuten Lungenödeme ist subarachnoidalem Blut mit FLAIR- und T2*-Se-
aber auch kardiogen bedingt und wird durch eine quenzen Blut hingegen besser als die der CT (Mit-
verminderte Kontraktilität mit reduziertem Herz- chell et al. 2001).
index erzeugt.
Vasospasmus
Bildgebende Diagnostik Als Vasopasmus bezeichnet man eine reaktive Ver-
Nachdem die primäre klinische Versorgung eines engung der großen und kleinen Hirnarterien infolge
Patienten mit Verdacht auf eine Subarachnoidal- einer Subarachnoidalblutung. Ein solcher ist bei etwa
blutung erfolgt ist und er zu einem Krankenhaus 70% der Patienten 72 h nach Blutungsereignis und bis
mit Neuroeinheit transportiert wurde, sollte ohne zu zwei Wochen danach angiographisch nachweisbar
weitere Verzögerung eine adäquate bildgebende (Kassell et al. 1985). Er kann aber auch bereits früher
Diagnostik veranlasst werden, um die Verdachts- auftreten. Nur bei 20–25% der Patienten wird er auch
diagnose zu bestätigen und die spezifische Ursache symptomatisch (Charpentier et al. 1999) und tritt mit
für den vorliegenden Symptomenkomplex nach- neuen fokalen neurologischen Defiziten oder durch
zuweisen. Hierbei ist nicht nur der Diagnosenach- eine Verschlechterung des Bewusstseinszustandes
weis oder Ausschluss „subarachnoidales Blut“ und in Erscheinung.
„Hirnarterienaneurysma“ von Bedeutung. Es muss
gleichzeitig auch eine akut lebensbedrohliche Situ- > Nachdem der Patient initial durch die
ation durch ein raumforderndes subdurales oder Blutung gefährdet ist, schließt sich somit
intrazerebrales Hämatom, einen dekompensieren- unmittelbar eine Phase an, in welcher der
den Hydrozephalus oder eine massive Hirnschwel- Patient von einer zerebralen Ischämie
lung erkannt werden. bedroht wird.
Die native Computertomographie in Kombi-
nation mit der CT-Angiographie hat mittlerweile Dennoch ist der symptomatische Vasospasmus
einen höheren Stellenwert im First-line-Work-up die Hauptursache für das Versterben der Patien-
einer spontanen SAB als die Katheterangiographie. ten oder für das Auftreten sekundärer dauerhafter
Die Sensitivität zum Nachweis eines intrakraniellen neurologischer Defizite im weiteren Erkrankungs-
Aneurysmas ist der Katheterangiographie gleich- verlauf. Der Vasospasmus beginnt selten vor dem
wertig (Jayaraman et al. 2004; Villablanca et al. dritten Tag nach dem initialen Blutungsereignis.
2002). Hinzu kommt der klare Zeitvorteil durch die Er erreicht sein Maximum zwischen dem 7. und
bedeutend schneller durchführbare Untersuchung. 9. Tag (Inagawa 2015), daher steht diese prognos-
A llerdings nimmt die diagnostische Sicherheit tisch schwerwiegende Komplikation einer Subarch-
gerade bei Aneurysmen unter 3 mm Größe ab noidalblutung in der Akutversorgung zunächst im
(Bechan et al. 2015; Donmez et al. 2011; McKin- Vordergrund. Auch die in dieser Hinsicht mit pri-
ney et al. 2008), so dass die CTA die DSA auch heut- märprophylaktischer Intention induzierte Hypervo-
zutage nicht vollständig ersetzen kann. In Fällen lämie und/oder arterielle Hypertension sollte nicht
von nicht eindeutig darstellbaren Aneurysmen durchgeführt werden.
2.4 · Subarachnoidalblutung
57 2
2.4.5 Übersicht Nachbargefäßen sehr unterschiedlich sein kann, gibt
Aneurysmaausschaltung es Clips in zahlreichen Größen und Formen. Unter
Umständen müssen auch mehrere Clips gesetzt
Wurde ein Aneurysma als Blutungsquelle einer Sub- werden, um ein Aneurysma zu verschließen. In einer
arachnoidalblutung nachgewiesen, ist aufgrund der Operation können auch mehrere Aneurymen gleich-
bereits erwähnten hohen Reblutungsrisikos eine zeitig verschlossen werden.
zeitnahe Ausschaltung des rupturierten Aneurys- Große und komplexe Aneurysmen erfordern oft
mas indiziert. Als etablierte Verfahren stehen das weitere Techniken wie einen Bypass (Blutumleitung)
endovaskuläre Coiling und das mikrochirurgische oder ein Trapping (Ausschluss). In jedem Fall muss
Clipping zur Verfügung. Die Wahl des Therapiever- darauf geachtet werden, dass nicht die benachbarten
fahrens wird durch zahlreiche Faktoren beeinflusst, Arterien mit verschlossen werden, da sonst eine zere-
unter anderem durch die Patientencharakteristika brale Ischämie droht. Neben der direkten Betrach-
und der Aneurysmakonfiguration. Letztendlich tung der Gefäße kann dies durch einen intraope-
hängt diese Entscheidung auch von den technischen rativen Mikrodoppler oder eine intraoperative
Möglichkeiten der versorgenden Klinik und der Floureszenzangiographie beurteilt werden. Die Vor-
Erfahrung der behandelnden Neurochirurgen bzw. teile dieser Operation sind eine höhere Verschluss-
interventionellen Neuroradiologen ab. Idealerweise rate und der dauerhaftere Aneurysmaverschluss. Bis
sollte die Therapieentscheidung durch ein interdiszi- 1991 war das operative Clipping die einzige etablierte
plinäres neurovaskuläres Team getroffen werden. In Methode zur Ausschaltung eines Aneurysmas der
der geltenden Leitlinie der DGN sollte die Aneurys- Hirnbasisarterien.
maausschaltung innerhalb der ersten 72 h nach der
Subarchnoidalblutung erfolgen. Viele neurovasku-
läre Zentren streben jedoch aufgrund des bestehen- Endovaskuläres Coiling
den Reblutungsrisikos eine Versorgung innerhalb Anfang der 1990er Jahre wurden mit dem Coiling
der ersten 24 h an. die erste endovaskuläre Technik entwickelt, mit der
heutzutage die Ausschaltung eines Aneurysmas
in den meisten Fällen ebenfalls sicher möglich ist.
Operatives Clipping Hierzu wird ein Mikrokatheter über das Gefäßsys-
Um ein Aneurysma der Hirnbasisarterien chirur- tem unter Röntgendurchleuchtung vorsichtig in das
gisch zu verschließen, ist eine Kraniotomie (Schä- Aneurysma eingebracht und dieses mittels Platinspi-
deleröffnung) erforderlich. Diese neurochirurgische ralen von innen her aufgefüllt, so dass der Blutfluss
Operation erfolgt heutzutage mikrochirurgisch unter im Aneurysma sistiert. Als Zugang zum arteriellen
Verwendung eines Operationsmikroskops. Dieses Gefäßsystem wird unter Vollnarkose die Femoral-
ermöglicht eine Kraniotomie entsprechend der indi- arterie in der Leiste punktiert. Um den unterschied-
viduellen Situation so klein wie möglich zu halten. lichen Größen der Aneurysmen gerecht zu werden,
Um die Operation möglichst schonend für das Hirn- gibt es auch die Coils in zahlreichen Längen und
gewebe auch in der Notfallversorgung durchzufüh- verschiedenen Windungsdurchmessern. Je nach
ren, wird intraoperativ auf eine konsequente Kon- Schwierigkeit und Form des Aneurysmas kann
trolle des Hirndruckes geachtet. So gelingt auch auch ein zusätzlicher Ballon oder eine Gefäßschiene
die tiefliegenden Hirnbasisarterien schonend zu (Stent, Flow-Diverter) verwendet werden, um die
erreichen. Platzierung der Coils im Aneurysma zu verbessern.
Wenn das zu versorgenden Aneurysma und die Vorteile des endovaskulären Coilings sind einer-
umgehende Gefäßarchitektur dargestellt und analy- seits der schonendere Zugang zum Aneurysma, da
siert ist, wird ein Titanclip von außen auf den Aneu- eine chirurgische Eröffnung des Kopfes entfällt.
rysmahals appliziert. Dieser klemmt den Hals des Andererseits sind die Komplikationsraten des endo-
Aneurysmas am Trägergefäß ab und schließt es vaskulären Coilings bei rupturierten Aneurysmen
somit aus der Zirkulation aus. Da die Konfiguration, und Aneurysmen des hinteren Kreislaufes (verte-
Größe und Lagebeziehung eines Aneurysmas zu den brobasiläres Stromgebiet) niedriger im Vergleich
58 Kapitel 2 · Intrakranielle Blutungen
11:483]. Lancet Neurol 11:307– 314. doi: 10.1016/S1474- Neurology and Neurosurgery, 107(3), 223–229. http://doi.
4422(12)70038–8 org/10.1016/j.clineuro.2004.09.015
Diringer, M. N., Bleck, T. P., Claude Hemphill, J., Menon, D., Shut- Goldstein JN, Fazen LE, Snider R, Schwab K, Greenberg SM,
ter, L., Vespa, P., et al. (2011). Critical Care Management of Smith EE, Lev MH, Rosand J (2007) Contrast extravasation
2 Patients Following Aneurysmal Subarachnoid Hemorr- on CT angiography predicts hematoma expansion in
hage: Recommendations from the Neurocritical Care intracerebral hemorrhage. Neurology 68:889–894. doi:
Society’s Multidisciplinary Consensus Conference. Neu- 10.1212/01.wnl.0000257087.22852.21
rocritical Care, 15(2), 211–240. http://doi.org/10.1007/ Gregson, B. A., Murray, G. D., Mitchell, P. M., Rowan, E. N.,
s12028-011-9605-9 Gholkar, A. R., & Mendelow, A. D. (2012). Update on the
Donmez, H., Serifov, E., Kahriman, G., Mavili, E., Durak, A. C., Surgical Trial in Lobar Intracerebral Haemorrhage (STICH
& Menkü, A. (2011). Comparison of 16-row multislice II): statistical analysis plan. Trials, 13, 222. http://doi.
CT angiography with conventional angiography for org/10.1186/1745-6215-13-222
detection and evaluation of intracranial aneurysms. Guo, L.-M., Zhou, H.-Y., Xu, J.-W., Wang, Y., Qiu, Y.-M., & Jiang,
European Journal of Radiology, 80(2), 455–461. http://doi. J.-Y. (2011). Risk Factors Related to Aneurysmal Reblee-
org/10.1016/j.ejrad.2010.07.012 ding. World Neurosurgery, 76(3-4), 292–298. http://doi.
Dupont, S. A., Lanzino, G., Wijdicks, E. F. M., & Rabinstein, A. A. org/10.1016/j.wneu.2011.03.025
(2010). The use of clinical and routine imaging data to Hanggi, D., & Steiger, H.-J. (2008). Spontaneous intracerebral
differentiate between aneurysmal and nonaneurysmal haemorrhage in adults: a literature overview. Acta Neu-
subarachnoid hemorrhage prior to angiography. Clinical rochirurgica, 150(4),371–9; discussion 379. http://doi.
article. Journal of Neurosurgery, 113(4), 790–794. http:// org/10.1007/s00701-007-1484-7
doi.org/10.3171/2010.4.JNS091932 Hasan, D., Schonck, R. S., Avezaat, C. J., Tanghe, H. L., van Gijn,
Elmer, J., Pallin, D. J., Liu, S., Pearson, C., Chang, Y., Camargo, C. J., & van der Lugt, P. J. (1993). Epileptic seizures after
A., et al. (2012). Prolonged emergency department length subarachnoid hemorrhage. Annals of Neurology, 33(3),
of stay is not associated with worse outcomes in patients 286–291. http://doi.org/10.1002/ana.410330310
with intracerebral hemorrhage. Neurocritical Care, 17(3), Hemphill, J. C., Bonovich, D. C., Besmertis, L., Manley, G. T., &
334–342. http://doi.org/10.1007/s12028-011-9629-1 Johnston, S. C. (2001). The ICH score: a simple, reliable
Fahrat, H., Kretschmer, T., & Morcos, J. (2011). Nonlesional grading scale for intracerebral hemorrhage. Stroke; a
spontaneous intracerebral Hemorrhage, 1–29. Retrieved Journal of Cerebral Circulation, 32(4), 891–897. Retrie-
from message:%3CE0A10572ED011141AF1CB0A84582E3 ved from http://eutils.ncbi.nlm.nih.gov/entrez/eutils/
AA1A349ED7@RETDAYMBXP005.legal.regn.net%3E elink.fcgi?dbfrom=pubmed&id=11283388&retmo-
Fan JS, Huang HH, Chen YC, Yen DH, Kao WF, Huang MS, Huang de=ref&cmd=prlinks
CI, Lee CH (2012) Emergency department neurologic Hemphill, J. C., Greenberg, S. M., Anderson, C. S., Becker, K.,
deterioration in patients with spontaneous intracerebral Bendok, B. R., Cushman, M., et al. (2015, July). Guideli-
hemorrhage: incidence, predictors, and prognostic signi- nes for the Management of Spontaneous Intracerebral
cance. Acad Emerg Med 19:133–138. doi: 10.1111/j.1553- Hemorrhage: A Guideline for Healthcare Professionals
2712.2011.01285.x From the American Heart Association/American Stroke
Fan, J.-S., Huang, H.-H., Chen, Y.-C., Yen, D. H.-T., Kao, W.-F., Association. Stroke; a Journal of Cerebral Circulation.
Huang, M.-S., et al. (2012). Emergency department http://doi.org/10.1161/STR.0000000000000069
neurologic deterioration in patients with spontaneous Hijdra, A., van Gijn, J., Nagelkerke, N. J., Vermeulen, M., & van
intracerebral hemorrhage: incidence, predictors, and Crevel, H. (1988). Prediction of delayed cerebral ischemia,
prognostic significance. Academic Emergency Medicine: rebleeding, and outcome after aneurysmal subarachnoid
Official Journal of the Society for Academic Emergency hemorrhage. Stroke 19(10), 1250–1256
Medicine, 19(2), 133–138. http://doi.org/10.1111/j.1553- Hijdra, A., Vermeulen, M., van Gijn, J., & van Crevel, H. (1987).
2712.2011.01285.x Rerupture of intracranial aneurysms: a clinicoanatomic
Feigin, V., Lawes, C., Bennett, D., & Anderson, C. (2003). Stroke study. Journal of Neurosurgery, 67(1), 29–33. http://doi.
epidemiology: a review of population-based studies of org/10.3171/jns.1987.67.1.0029
incidence, prevalence, and case-fatality in the late 20th Hravnak, M., Frangiskakis, J. M., Crago, E. A., Chang, Y., Tanabe,
century. The Lancet Neurology, 2(1), 43–53. http://doi. M., Gorcsan, J., & Horowitz, M. B. (2009). Elevated cardiac
org/10.1016/S1474-4422(03)00266-7 troponin I and relationship to persistence of electrocar-
Fujii, Y., Takeuchi, S., Sasaki, O., Minakawa, T., Koike, T., & diographic and echocardiographic abnormalities after
Tanaka, R. (1996). Ultra-early rebleeding in spon- aneurysmal subarachnoid hemorrhage. Stroke; a Journal
taneous subarachnoid hemorrhage. Journal of of Cerebral Circulation, 40(11), 3478–3484. http://doi.
Neurosurgery, 84(1), 35–42. http://doi.org/10.3171/ org/10.1161/STROKEAHA.109.556753
jns.1996.84.1.0035 Huang, K. T., Bi, W. L., Abd-El-Barr, M., Yan, S. C., Tafel, I. J., Dunn,
Gelabert-Gonzalez, M., Iglesias-Pais, M., García-Allut, A., & Mar- I. F., & Gormley, W. B. (2015). The Neurocritical and Neuro-
tínez-Rumbo, R. (2005). Chronic subdural haematoma: surgical Care of Subdural Hematomas. Neurocritical Care,
surgical treatment and outcome in 1000 cases. Clinical 1–14. http://doi.org/10.1007/s12028-015-0194-x
Literatur
61 2
Hunt, W. E., & Hess, R. M. (1968). Surgical risk as related to modifiable risk factor for poor outcome. Journal of Cere-
time of intervention in the repair of intracranial aneu- bral Blood Flow & Metabolism, 30(9), 1577–1587. http://
rysms. Journal of Neurosurgery, 28(1), 14–20. http://doi. doi.org/10.1038/jcbfm.2010.102
org/10.3171/jns.1968.28.1.0014 Kumral, E., Ozkaya, B., Sagduyu, A., Sirin, H., Vardarli, E., &
Huttunen, J., Kurki, M. I., Und Zu Fraunberg, von, M., Koivisto, Pehlivan, M. (1998). The Ege Stroke Registry: a hospi-
T., Ronkainen, A., Rinne, J., et al. (2015). Epilepsy after tal-based study in the Aegean region, Izmir, Turkey.
aneurysmal subarachnoid hemorrhage: A population-ba- Analysis of 2,000 stroke patients. Cerebrovascular
sed, long-term follow-up study. Neurology, 84(22), 2229– Diseases, 8(5), 278–288. Retrieved from http://eutils.
2237. http://doi.org/10.1212/WNL.0000000000001643 ncbi.nlm.nih.gov/entrez/eutils/elink.fcgi?dbfrom=pub-
Huynh TJ, Demchuk AM, Dowlatshahi D, Gladstone DJ, Krischek med&id=9712926&retmode=ref&cmd=prlinks
O, Kiss A, Hill MD, Molina CA, Rodriguez-Luna D, Dzialow- Kvam, D. A., Loftus, C. M., Copeland, B., & Quest, D. O. (1983).
ski I, Silva Y, Czlonkowska A, Lum C, Boulanger JM, Gubitz Seizures during the immediate postoperative period.
G, Bhatia R, Padma V, Roy J, Kase CS, Aviv RI; PREDICT/Sun- Neurosurgery, 12(1), 14–17
nybrook ICH CTA Study Group (2013) Spot sign number Lanzino, G., D'Urso, P. I., Suarez, J., Participants in the Inter-
is the most important spot sign char- acteristic for predic- national Multi-Disciplinary Consensus Conference on the
ting hematoma expansion using rst-pass computed tomo- Critical Care Management of Subarachnoid Hemorrhage.
graphy angiography: analysis from the PREDICT study. (2011). Seizures and anticonvulsants after aneurysmal
Stroke 44:972–977. doi: 10.1161/STROKEAHA.111.000410 subarachnoid hemorrhage. Neurocritical Care, 15(2),
Inagawa, T. (2015). Risk factors for Cerebral Vasospasm Follo- 247–256. http://doi.org/10.1007/s12028-011-9584-x
wing Aneurysmal Subarachnoid Hemorrhage: A Review Leroy, H.-A., Aboukaïs, R., Reyns, N., Bourgeois, P., Labreuche, J.,
of the Literature. Wneu, 1–46. http://doi.org/10.1016/j. Duhamel, A., & Lejeune, J.-P. (2015). Predictors of functio-
wneu.2015.08.052 nal outcomes and recurrence of chronic subdural hema-
Inagawa, T., Kamiya, K., Ogasawara, H., & Yano, T. (1987). tomas. Journal of Clinical Neuroscience: Official Journal
Rebleeding of ruptured intracranial aneurysms in the of the Neurosurgical Society of Australasia, 22(12), 1895–
acute stage. Surgical Neurology, 28(2), 93–99 1900. http://doi.org/10.1016/j.jocn.2015.03.064
Jayaraman, M. V., Mayo-Smith, W. W., Tung, G. A., Haas, R. Lin, C.-L., Dumont, A. S., Lieu, A.-S., Yen, C.-P., Hwang, S.-L.,
A., Rogg, J. M., Mehta, N. R., & Doberstein, C. E. (2004). Kwan, A.-L., et al. (2003). Characterization of perioperative
Detection of intracranial aneurysms: multi-detector row seizures and epilepsy following aneurysmal subarachnoid
CT angiography compared with DSA. Radiology, 230(2), hemorrhage. Journal of Neurosurgery, 99(6), 978–985.
510–518. http://doi.org/10.1148/radiol.2302021465 http://doi.org/10.3171/jns.2003.99.6.0978
Juvela, S. (1989). Rebleeding from ruptured intracranial aneu- McKinney, A. M., Palmer, C. S., Truwit, C. L., Karagulle, A., &
rysms. Surgical Neurology, 32(5), 323–326 Teksam, M. (2008). Detection of aneurysms by 64-section
Juvela, S., Hillbom, M., & Palomäki, H. (1995). Risk factors for multidetector CT angiography in patients acutely suspec-
spontaneous intracerebral hemorrhage. Stroke; a Journal ted of having an intracranial aneurysm and comparison
of Cerebral Circulation, 26(9), 1558–1564 with digital subtraction and 3D rotational angiography.
Kase, CS, Mohr JP, Caplan LR, et al. Intracerebral hemorrha- American Journal of Neuroradiology, 29(3), 594–602.
ge. In: Barnett HH, Mohr JP, Steen BM, et al, eds. Stroke: http://doi.org/10.3174/ajnr.A0848
Pathophysiology, Diagnosis and Management. New York: Mendelow, A. D., Gregson, B. A., Fernandes, H. M., Murray, G. D.,
Churchill Livingstone; 1999 Teasdale, G. M., Hope, D. T., et al. (2005). Early surgery ver-
Kassell, N. F., Sasaki, T., Colohan, A. R., & Nazar, G. (1985). sus initial conservative treatment in patients with spon-
Cerebral vasospasm following aneurysmal subarachnoid taneous supratentorial intracerebral haematomas in the
hemorrhage. Stroke; a Journal of Cerebral Circulation, International Surgical Trial in Intracerebral Haemorrhage
16(4), 562–572 (STICH): a randomised trial. Lancet, 365(9457), 387–397.
Kassell, N. F., Torner, J. C., Haley, E. C., Jane, J. A., Adams, H. P., http://doi.org/10.1016/S0140-6736(05)17826-X
& Kongable, G. L. (1990). The International Cooperative Merzo, A., Lenell, S., Nyholm, L., Enblad, P., & Lewén, A. (2015).
Study on the Timing of Aneurysm Surgery. Part 1: Overall Promising clinical outcome of elderly with TBI after
management results. Journal of Neurosurgery, 73(1), modern neurointensive care. Acta Neurochirurgica, 1–9.
18–36. http://doi.org/10.3171/jns.1990.73.1.0018 http://doi.org/10.1007/s00701-015-2639-6
Kruyt, N. D., Biessels, G. J., de Haan, R. J., Vermeulen, M., Rinkel, Miranda, L. B., Braxton, E., Hobbs, J., & Quigley, M. R. (2011).
G. J. E., Coert, B., & Roos, Y. B. W. E. M. (2009). Hyperglyce- Chronic subdural hematoma in the elderly: not a benign
mia and clinical outcome in aneurysmal subarachnoid disease. Journal of Neurosurgery, 114(1), 72–76. http://
hemorrhage: a meta-analysis. Stroke; a Journal of Cere- doi.org/10.3171/2010.8.JNS10298
bral Circulation, 40(6), e424–30. http://doi.org/10.1161/ Mitchell, P., Wilkinson, I. D., Hoggard, N., Paley, M. N., Jellinek,
STROKEAHA.108.529974 D. A., Powell, T., et al. (2001). Detection of subarachnoid
Kruyt, N. D., Biessels, G. J., DeVries, J. H., Luitse, M. J. A., Ver- haemorrhage with magnetic resonance imaging. Jour-
meulen, M., Rinkel, G. J. E., et al. (2010). Hyperglycemia nal of Neurology, Neurosurgery, and Psychiatry, 70(2),
in aneurysmal subarachnoid hemorrhage: a potentially 205–211. http://doi.org/10.1136/jnnp.70.2.205
62 Kapitel 2 · Intrakranielle Blutungen
Moon, J.-S., Janjua, N., Ahmed, S., Kirmani, J. F., Harris-Lane, P., Rizos T, Dörner N, Jenetzky E, Sykora M, Mundiyanapurath S,
Jacob, M., et al. (2008). Prehospital neurologic deteriora- Horstmann S, Veltkamp R, Rohde S, Bendszus M, Steiner T
tion in patients with intracerebral hemorrhage. Critical (2013) Spot signs in intracerebral hemorrhage: useful for
Care Medicine, 36(1), 172–175) identifying patients at risk for hematoma enlargement?
2 Naidech, A. M., Janjua, N., Kreiter, K. T., Ostapkovich, N. D., Cerebrovasc Dis 35:582–589. doi: 10.1159/000348851
Fitzsimmons, B.-F., Parra, A., et al. (2005). Predictors and Ro, H. W., Park, S. K., Jang, D. K., Yoon, W. S., Jang, K. S., & Han, Y. M.
impact of aneurysm rebleeding after subarachnoid (2015). Preoperative predictive factors for surgical and func-
hemorrhage. Archives of Neurology, 62(3), 410–416. tional outcomes in chronic subdural hematoma. Acta Neu-
http://doi.org/10.1001/archneur.62.3.410 rochirurgica. http://doi.org/10.1007/s00701-015-2625-z
Obata, Y., Takeda, J., Sato, Y., Ishikura, H., Matsui, T., & Isotani, E. Rønning, P., Sorteberg, W., Nakstad, P., Russell, D., & Helseth, E.
(2015). A multicenter prospective cohort study of volume (2008). Aspects of intracerebral hematomas–an update.
management after subarachnoid hemorrhage: circula- Acta Neurologica Scandinavica, 118(6), 347–361. http://
tory characteristics of pulmonary edema after subarach- doi.org/10.1111/j.1600-0404.2008.01023.x
noid hemorrhage. Journal of Neurosurgery, 1–10. http:// Rosen, D. S., & Macdonald, R. L. (2005). Subarachnoid hemorr-
doi.org/10.3171/2015.6.JNS1519 hage grading scales: a systematic review. Neurocritical
Ohba, S., Kinoshita, Y., Nakagawa, T., & Murakami, H. (2013). Care, 2(2), 110–118. http://doi.org/10.1385/NCC:2:2:110
The risk factors for recurrence of chronic subdural hema- Salihu, A. T., Muthuraju, S., Idris, Z., Izaini Ghani, A. R., & Abdul-
toma. Neurosurgical Review, 36(1), 145–9– discussion lah, J. M. (2015). Functional outcome after intracerebral
149–50. http://doi.org/10.1007/s10143-012-0396-z haemorrhage – a review of the potential role of antiapop-
Ohkuma, H., Tsurutani, H., & Suzuki, S. (2001). Incidence and totic agents. Reviews in the Neurosciences, 0(0). http://
significance of early aneurysmal rebleeding before neuro- doi.org/10.1515/revneuro-2015-0046
surgical or neurological management. Stroke; a Journal of Schebesch, K.-M., Woertgen, C., Rothoerl, R.-D., Ullrich, O.-W., &
Cerebral Circulation, 32(5), 1176–1180 Brawanski, A. T. (2008). Cognitive decline as an important
Polmear, A. (2003). Sentinel headaches in aneurysmal sub- sign for an operable cause of dementia: chronic subdu-
arachnoid haemorrhage: what is the true incidence? A ral haematoma. Zentralblatt Für Neurochirurgie, 69(2),
systematic review. Cephalalgia: an International Journal 61–64. http://doi.org/10.1055/s-2007-1004582
of Headache, 23(10), 935–941 Scotter, J., Hendrickson, S., Marcus, H. J., & Wilson, M. H. (2015).
Qureshi, A. I., Giles, W. H., & Croft, J. B. (1999). Racial diffe- Prognosis of patients with bilateral fixed dilated pupils
rences in the incidence of intracerebral hemorrhage: secondary to traumatic extradural or subdural haema-
effects of blood pressure and education. Neurology, toma who undergo surgery: a systematic review and
52(8), 1617–1621. Retrieved from http://eutils.ncbi. meta-analysis. Emergency Medicine Journal: EMJ, 32(8),
nlm.nih.gov/entrez/eutils/elink.fcgi?dbfrom=pubmed 654–659. http://doi.org/10.1136/emermed-2014-204260
&id=10331687&retmode=ref&cmd=prlinks Stanisic, M., Lund-Johansen, M., & Mahesparan, R. (2005).
Qureshi, A. I., Tuhrim, S., Broderick, J. P., Batjer, H. H., Hondo, H., Treatment of chronic subdural hematoma by burr-hole
& Hanley, D. F. (2001). Spontaneous intracerebral hemorr- craniostomy in adults: influence of some factors on post-
hage. The New England Journal of Medicine, 344(19), operative recurrence. Acta Neurochirurgica, 147(12),
1450–1460 1249–56– discussion 1256–7. http://doi.org/10.1007/
Rahul Raj, M. P., Era D Mikkonen, M. D., Riku Kivisaari, M. P. A. s00701-005-0616-1
P., Markus B Skrifvars, M. P. A. P. E. F., Miikka Korja, M. P. A. Sturgeon, J. D., Folsom, A. R., Longstreth, W. T., Shahar, E., Rosa-
P., & Jari Siironen, M. P. A. P. (2015). Mortality in elderly mond, W. D., & Cushman, M. (2007). Risk factors for intra-
patients operated for an acute subdural hematoma: A cerebral hemorrhage in a pooled prospective study. Stro-
surgical case series. World Neurosurgery, 1–21. http://doi. ke; a Journal of Cerebral Circulation, 38(10), 2718–2725.
org/10.1016/j.wneu.2015.10.095 http://doi.org/10.1161/STROKEAHA.107.487090
Report of World Federation of Neurological Surgeons Com- Sudlow, C. L., & Warlow, C. P. (1997). Comparable studies of
mittee on a Universal Subarachnoid Hemorrhage Grading the incidence of stroke and its pathological types: results
Scale. (1988). Report of World Federation of Neurologi- from an international collaboration. International Stroke
cal Surgeons Committee on a Universal Subarachnoid Incidence Collaboration. Stroke; a Journal of Cerebral
Hemorrhage Grading Scale. Journal of Neurosurgery, Circulation, 28(3), 491–499. Retrieved from http://eutils.
68(6), 985–986 ncbi.nlm.nih.gov/entrez/eutils/elink.fcgi?dbfrom=pub-
Rhoney, D. H., Tipps, L. B., Murry, K. R., Basham, M. C., Michael, med&id=9056601&retmode=ref&cmd=prlinks
D. B., & Coplin, W. M. (2000). Anticonvulsant prophylaxis Tanno, Y., Homma, M., Oinuma, M., Kodama, N., & Ymamoto, T.
and timing of seizures after aneurysmal subarachnoid (2007). Rebleeding from ruptured intracranial aneurysms
hemorrhage. Neurology, 55(2), 258–265 in North Eastern Province of Japan. A cooperative study.
Rincon, F., Mayer, S. A., Rivolta, J., Stillman, J., Boden-Albala, B., Journal of the Neurological Sciences, 258(1-2), 11–16.
Elkind, M. S. V., et al. (2010). Impact of delayed transfer of http://doi.org/10.1016/j.jns.2007.01.074
critically ill stroke patients from the Emergency Depart- Teasdale, G., & Jennett, B. (1974). Assessment of coma and
ment to the Neuro-ICU. Neurocritical Care, 13(1), 75–81. impaired consciousness. A practical scale. Lancet,
http://doi.org/10.1007/s12028-010-9347-0 2(7872), 81–84
Literatur
63 2
Tierney, K. J., Nayak, N. V., Prestigiacomo, C. J., & Sifri, Z. C.
(2015). Neurosurgical intervention in patients with mild
traumatic brain injury and its effect on neurological
outcomes. Journal of Neurosurgery, 1–8. http://doi.
org/10.3171/2015.4.JNS142440
Ukkola, V., & Heikkinen, E. R. (1990). Epilepsy after operative
treatment of ruptured cerebral aneurysms. Acta Neuro-
chirurgica, 106(3-4), 115–118
van Asch, C. J., Luitse, M. J., Rinkel, G. J., van der Tweel, I., Algra,
A., & Klijn, C. J. (2010). Incidence, case fatality, and func-
tional outcome of intracerebral haemorrhage over time,
according to age, sex, and ethnic origin: a systematic
review and meta-analysis. The Lancet Neurology, 9(2),
167–176. http://doi.org/10.1016/S1474-4422(09)70340-0
Villablanca, J. P., Jahan, R., Hooshi, P., Lim, S., Duckwiler, G.,
Patel, A., et al. (2002). Detection and characterization of
very small cerebral aneurysms by using 2D and 3D helical
CT angiography. AJNR. American Journal of Neuroradio-
logy, 23(7), 1187–1198
Vlak, M. H., Algra, A., Brandenburg, R., & Rinkel, G. J. (2011).
Prevalence of unruptured intracranial aneurysms, with
emphasis on sex, age, comorbidity, country, and time
period: a systematic review and meta-analysis. The Lancet
Neurology, 10(7), 626–636. http://doi.org/10.1016/S1474-
4422(11)70109-0
Wada R, Aviv RI, Fox AJ, Sahlas DJ, Gladstone DJ, Tomlin-
son G, Symons SP (2007) CT angiography „spot sign“
predicts hematoma expansion in acute intracerebral
hemorrhage. Stroke 38: 1257–1262. doi: 10.1161/01.
STR.0000259633.59404.f3
Wartenberg, K. E., Schmidt, J. M., Claassen, J., Temes, R. E., Fron-
tera, J. A., Ostapkovich, N., et al. (2006). Impact of medical
complications on outcome after subarachnoid hemorrha-
ge. Critical Care Medicine, 34 (3), 617–23–quiz 624
Weimar, C., Weber, C., Wagner, M., Busse, O., Haberl, R. L.,
Lauterbach, K. W., et al. (2003). Management patterns
and health care use after intracerebral hemorrhage.
a cost-of-illness study from a societal perspective in
Germany. Cerebrovascular Diseases, 15(1-2), 29–36.
Retrieved from http://eutils.ncbi.nlm.nih.gov/entrez/
eutils/elink.fcgi?dbfrom=pubmed&id=12499708&retmo-
de=ref&cmd=prlinks
65 3
Krampfanfälle
O. Matz, M. Dafotakis
3.4 Diagnostik – 81
3.4.1 Computertomographie/Magnetresonanztomographie – 82
3.4.2 Elektroenzephalographie – 83
3.4.3 Labordiagnostik – 84
3.4.4 Liquordiagnostik – 84
Literatur – 87
Idiopathische Bekannter oder angenom- Eher seltene Formen, die zumindest Meist im Kindesalter: z. B.
Epilepsien mener genetischer Defekt, der Neurologe kennen sollte: z. B. Absence-Epilepsie, be-
epileptische Anfälle sind kli- Rolando-Epilepsie, bestimmte Tem- stimmte Fieber- und Neu-
nisches Symptom poral- und Frontallappenepilepsien geborenenkrämpfe
Symptoma- Strukturelle Veränderung Strukturelle Schäden durch z. B. Stoffwechselstörungen,
tische Epi- bzw. Grunderkrankung im Hirninfarkt, intrazerebrale Blutung, Hypoxie, Enzephalitis, Hirn-
lepsien zentralen Nervensystem Schädel-Hirn-Trauma, Enzephalitis, entwicklungsstörungen,
liegt vor Meningitis, Geburtstraumata haben je nach Anfallsart
Einzelnamen: z. B. Lennox-
Gastaut-Syndrom
Kryptogene Ursache unklar, wahrschein- Wahrscheinlich in den meisten
Epilepsien lich liegt eine symptomati- Fällen fokale Formen
sche Genese vor, noch nicht
nachgewiesen
Patienten werden außerdem häufig zyanotisch, Form von Myoklonien (vereinzelte eher unregel-
da die tonische Phase keine Atemexkursionen mäßige Muskelkontraktionen), klonischen Anfäl-
erlaubt. Im Anschluss setzt die klonische Phase len (regelmäßiges Auftreten von Myoklonien) und
ein. Diese ist durch ein Wechsel von Anspannung tonischen Anfällen (anhaltende Muskelkontrak-
und Erschlaffen der Muskulatur geprägt, was vom tion) auftreten (Gellner et al. 2013). Die Entäuße-
Beobachter häufig als „krampfen“ oder „zucken“ rungen beginnen zumeist in der Hand und breiten
beschrieben wird. Dabei kommt es durch den ver- sich dann auf weitere proximale Muskelgruppen
mehrten Speichelfluss zur Schaumbildung vor aus. Man nennt einen solchen Anfallsablauf einen
dem Mund. Die Augen sind in dieser Phase in der „Jackson-March“, benannt nach dem englischen
Regel geöffnet und eventuell verdreht. Die Pupillen Neurologen John Hughlings Jackson (1835–1911).
sind weit und zeigen nur eine schwache Lichtreak- Teilweise haben die Jackson-Anfälle die Tendenz
tion. Die Anfälle dauern zumeist nicht länger als zur Generalisierung im Sinne eines Grand Mal.
2 min. Die Zeit des Anfalls nennt man auch ikt(u) Die klinische Symptomatik eines Jackson-Anfall
ale Phase. kann auch aus sensiblen Symptomen wie Kribbeln-
Nach Sistieren des Anfalls besteht bei den Patien- und Taubheitsgefühlen bestehen. Einfach-fokale
ten in der postikt(u)alen Phase zunächst eine aus- Anfälle können außerdem sensorische, akustische,
geprägte Vigilanzstörung. Die Patienten können visuelle oder aphasische Symptome aufweisen. Es
anfangs kaum erweckbar sein. Im Verlauf besteht können teilweise auch lediglich Gesichtsfeldaus-
häufig zunächst eine Verwirrtheit und psychomo- fälle oder besondere Riech- und Hörwahrnehmun-
torische Verlangsamung. Teilweise sind die Patien- gen auftreten.
ten auch aggressiv. Bezüglich des Ereignisses besteht
eine Amnesie. Am Folgetag wird gehäuft über Mus-
kelkater berichtet. 3.1.3 Komplex-fokale Anfälle
Automatismen, die in Form von Schmatzen, Schlu- > Ein generalisierter tonisch-klonischer
cken, Lippenlecken oder Nesteln auftreten. Es Anfallsstatus ist immer ein absoluter Notfall
können jedoch auch komplexere motorische Abläufe und muss intensivmedizinisch behandelt
wie z. B. Gegenstände rücken auftreten. Die Abgren- werden!
zung zu psychiatrischen Verhaltensstörungen bzw.
dissoziativen Anfällen ist dabei teilweise sehr schwie- Bei allen anderen Statusformen spricht man dagegen
3 rig. Viele fokale Anfälle können sich im Verlauf zu erst nach 30 min von einem Status epilepticus. Kli-
einem sekundär generalisierten tonisch-klonischen nisch relevant ist dabei bei den generalisierten
Anfall entwickeln. Formen vor allem der Absence-Status und bei den
fokalen Formen der einfach- und komplex-fo-
kale Anfallsstatus. Bei den einfach-fokalen Anfäl-
3.1.4 Absencen len gibt es Statusformen, die therapierefraktär sind
und über Monate bis Jahre andauern (so genannte
Absencen sind mit klinischer Symptomatik kurz- Kojevnikoff-Anfälle).
zeitiger Bewusstseinsstörungen eventuell in Kom- Bei den fokalen Statusformen sowie auch den
bination mit dezenten motorischen Symptomen von nicht konvulsiven generalisierten Statusformen geht
komplex-fokalen Anfällen häufig nicht zu unter- man davon aus, dass es zu keiner neuronalen Schädi-
scheiden. In vielen Fällen treten mehrere Absencen gung kommt, weshalb eine Therapie möglichst kom-
kurz hintereinander auf. Ätiologisch liegt bei der plikationsarm gestaltet werden sollte (Rosenow et al.
dazugehörigen Absence-Epilepsie eine generalisierte 2012).
idiopathische Epilepsie vor.
3.1.6 Differenzialdiagnosen zu
3.1.5 Status epilepticus epileptischen Anfällen
In der Regel sistieren epileptische Anfälle spontan > Die wichtigsten Differenzialdiagnosen zu
und ohne therapeutische Intervention. Im Fall eines epileptischen Anfällen sind (konvulsive)
Persistierens des Anfalls spricht man von einem Synkopen und psychogene Anfälle. Eine
Status epilepticus. Unterscheidung der Anfallsformen ist häufig
sehr schwierig (. Tab. 3.2).
> Bei einem Grand Mal spricht ab einer
Dauer von 5 min von einem generalisierten Bei Synkopen berichten die Patienten häufig
tonisch-klonischen Status epilepticus. Dieser über Prodromi wie Schwindel, Schweißausbruch,
liegt ebenso vor, wenn mehrere Grand Schwarzwerden vor den Augen und Übelkeit vor
Maux innerhalb von 5 min hintereinander dem Ereignis. Ähnliche Beschwerden werden auch
auftreten, ohne dass das Bewusstsein von Epilepsiepatienten berichtet, bei synkopalen
wiedererlangt wird. Ereignissen treten diese jedoch typischerweise in
Kombination mit anamnestischen Angaben wie
Ab diesem Zeitpunkt sinkt erfahrungsgemäß deutlich vorheriges langes Stehen, Miktion oder Schmerz auf.
die Wahrscheinlichkeit eines spontanen Sistierens. Da Weiteres wichtiges Unterscheidungsmerkmal
es beim Grand-Mal-Status bereits nach ca. 30 min im zwischen eines generalisierten tonisch-klonischen
Rahmen eines Hirnödems zu irreversiblen neuronalen Anfalls und einer konvulsiven Synkope ist die nur
Schädigungen kommen kann (Meldrum et al. 1973) kurze Reorientierungs- bzw. Umdämmerungsphase
und häufig systemische Komplikationen wie Atemin- bei synkopalen Ereignissen (<1 min), während bei
suffizienz, metabolische Azidose, Nierenversagen und Patienten mit epileptischen Anfällen häufig eine
Rhabdomyolyse auftreten, ist ein aggressives thera- längere Phase nach dem Anfall mit Vigilanzstörung,
peutisches Handeln erforderlich (Walton et al. 1993). Verwirrtheit und Desorientierung besteht.
3.2 · Akuttherapeutisches Vorgehen (prä- und innerklinisch)
69 3
. Tab. 3.2 Klinische Unterscheidungsmerkmale zwischen epileptischen Anfällen, Synkopen und psychogenen
Anfällen (modifiziert nach Elger et al. 2012)
Augen Offen, starr, verdreht Geschlossen, häufig zusammen- Offen und nach
gekniffen oben gerichtet
Dauer Meist <2 min Meist >2 min Meist <1 min
Anfallsphänomene Variabel, bei einzelnen Patienten Irregulär und häufig undulie- Asynchrone Myoklo-
laufen Anfälle häufig identisch ab rende Bewegungen, areaktives nien, eher Gesichts-
Verhalten blässe statt Zyanose
Postiktaler Verlauf Schläfrig, verlangsamt, Reorien- Reorientierung häufig verzögert Rasche Reorientie-
tierung verzögert rung, rasche Wach-
Muskelkater (Folgetag) heit
Das zweite Krankheitsbild, das häufig von epi- 3.2 Akuttherapeutisches Vorgehen
leptischen Anfällen abgegrenzt werden muss, ist (prä- und innerklinisch)
der psychogene Anfall. Dieser ist nicht epilepti-
schen Ursprungs und es lässt sich keine organische Bei der notfallmäßigen Versorgung eines Patien-
Ursache finden. Die Abgrenzung zu „echten“ epi- ten mit einem generalisierten tonisch-klonischen
leptischen Anfällen ist häufig schwierig, da prinzi- Krampfanfall (Grand Mal) stehen zunächst immer
piell jede Anfallsform imitiert werden kann bzw. die allgemeine Therapiemaßnahmen im Vordergrund.
Muster psychogener Anfälle stark variieren können. Da in den meisten Fällen ein solcher Anfall spontan
Wichtiges Merkmal eines psychogenen Anfalls sind sistiert, ist in den meisten Fällen keine spezielle
die zumeist geschlossenen Augen, die bei passiver medikamentöse antikonvulsive Therapie notwendig.
Lidöffnung zusammengekniffen werden. Weitere
Hinweise für einen psychogenen Anfall sind eine > Sollte das Anfallsgeschehen jedoch über
Anfallsdauer >2 min, areaktives Verharren sowie eine Dauer von 5 min hinausgehen, handelt
irreguläre Extremitätenbewegungen (Reuber et al. es sich um einen Status epilepticus und
2003, . Tab. 3.2). eine Therapie mit einem Antikonvulsivum
Andere Anfallserkrankungen, die mit einem epi- muss erfolgen. Pragmatisch erfolgt zumeist
leptischen Anfall verwechselt werden können, sind schon früher (ca. 3 min) die Einleitung einer
so genannte Drop attacks und Tetanien. Bei „drop Therapie. Ein Status epilepticus ist immer ein
attacks“ kommt es ohne Vorliegen einer Bewusst- Notfall und muss intensivstationär behandelt
seinsstörung zu plötzlichen Sturzereignissen. Die werden (Knake et al. 2001).
Ursache ist am ehesten eine kurzzeitige Durchblu-
tungsstörung im vertebrobasilären Stromgebiet. Neben der Dauer (länger als 5 min) definieren auch
Tetanien werden meist durch eine Hyperventila- mehrfach hintereinander auftretende Grands maux,
tion ausgelöst und zeigen eine Störung des Kalzium- bei denen der Patient im Intervall nicht wieder aufklart,
haushalts an. Die Patienten berichten über „Kribbeln“ die Diagnose eines Status epilepticus. Darüber hinaus
perioral und an den Extremitäten. An motorischen existieren klinische Situationen, bei denen die Indika-
Symptomen kommt es zu so genannten Karpope- tionen zur raschen Therapie indiziert sind, auch wenn
dalspasmen bzw. einer Pfötchenstellung (tonische formal die Kriterien eines Status epilepticus noch nicht
Krämpfe im Bereich der Hände und Füße) und zur erfüllt sind. Hierunter fallen zum Beispiel Patienten,
Karpfenmaulstellung (Verkrampfung der Lippen). bei denen anamnestisch auf Grund einer zerebralen
70 Kapitel 3 · Krampfanfälle
Die folgenden Therapiemaßnahmen gelten vor allem Das Schema gilt nicht für den Rettungsdienst bzw.
für generalisierte tonisch-klonische Anfälle bzw. den präklinischen Bereich. Im Falle eines gene-
daraus resultierendem Status epilepticus, bei dem ralisierten tonisch-klonischen Anfallsstatus wird
auf Grund der Gefahr irreversibler Hirnschäden hier die zweite Stufe übersprungen und im Falle
ein rasches und aggressives Handeln erforderlich ist eines Versagens der Benzodiazepintherapie direkt
(. Abb. 3.1, . Tab. 3.3). Bei anderen Anfallsformen eine i.v. Anästhesie mit endotrachealer Intubation
wie zum Beispiel einem prolongierten einfach-foka- durchgeführt. Bei allen anderen Anfallsformen ist
len Anfall oder einem Absencestatus muss ebenfalls die Anwendung einer i.v. Anästhesie im Rettungs-
therapiert werden, jedoch sollte dies in Abwägung zu dienst in der Regel nicht notwendig.
den möglichen therapiebedingten Komplikationen Im Notaufnahmebereich wird dagegen häufig direkt
wie Aspirationsgefahr bei zu starker Sedierung sowie eine Kombinationstherapie aus Benzodiazepinen (erste
Atem- und Kreislaufdepression erfolgen (Shorvon Stufe) und konventionellen Antikonvulsiva (zweite
et al. 2005; . Tab. 3.4). Stufe) eingeleitet, insbesondere, wenn sicher ist, dass bei
Zur allgemeinen Therapie zählen folgende dem Patienten eine längerfristige antikonvulsive The-
Maßnahmen: rapie notwendig ist (Beispiel: erster symptomatischer
55 Legen eines sicheren i.v.-Zugangs, der auf Anfall bei Zustand nach SHT oder akuter Enzephalitis).
Grund der motorischen Entäußerungen wegen
der Abknickgefahr möglichst nicht in die
Ellenbeuge platziert werden sollte 3.2.1 Stufe 1
55 Pulsoxymetrie, EKG- und
Blutdrucküberwachung > Die Gabe von Benzodiazepine ist in der
55 Schutz vor Selbstgefährdung und Freihalten der Regel die medikamentöse Initialtherapie zur
Atemwege: Unterbrechung eines epileptischen Anfalls.
44Weiche Unterlage (ggf. Matratze auf In der Akuttherapie besteht neben der
den Boden), gefährdende Gegenstände intravenösen Verabreichung, die Möglichkeit
entfernen der intranasalen, bukkalen und rektalen Gabe.
3.2 · Akuttherapeutisches Vorgehen (prä- und innerklinisch)
71 3
Epileptischer Anfall
Lorazepam 2-4 mg
Phenytoin
Valproat Lacosamid Levetiracetam
1500 mg/30
2400 mg 400 mg 3000 mg
Min
über über über
oder 750 mg/30 Min. 10 Minuten 15 Minuten 15 Minuten
Rest über 8 Std.
Propofol
Thiopental Midazolam
1-3 mg/kg KG
3-5 mg/kg KG Bolus 0,2 mg/kg KG Bolus
Bolus
dann dann
dann
3-7 mg/kg/h 0,1-0,5 mg/kg/h
4-10mg/kg/h
. Abb. 3.1 Stufenschema zur Behandlung eines generalisierten tonisch-klonischen Anfallsstatus. Die Dosierungen
entsprechen der Behandlung eines 80 kg schweren Patienten
Bei der intravenösen Gabe ist Lorazepam das Ben- als Nebenwirkung kommt (Alldredge et al. 2001).
zodiazepin der Wahl (Prasad et al. 2007; Shorvon Lorazepam darf nicht unverdünnt gespritzt werden,
et al. 2008; Trinka et al. 2012). Es hat im Vergleich zu sondern muss vor dem Gebrauch im Verhältnis 1:1
den anderen Benzodiazepinen die längste zerebrale mit physiologischer Kochsalzlösung oder Wasser für
Wirkdauer (12–24 h im Vergleich zu 15–30 min beim Injektionszwecke verdünnt werden.
Diazepam) und verhindert somit am besten Rezi-
divanfälle. Außerdem ist im Vergleich zum Diaze- > Die Initialdosis von Lorazepam beträgt 2 mg
pam die Umverteilung im Fettgewebe geringer, und kann bis zu 4-mal wiederholt werden
weshalb es seltener zu einer prolongierten Sedierung (Gesamtdosis 8 mg).
72 Kapitel 3 · Krampfanfälle
. Tab. 3.3 Medikamente, deren Dosierungen sowie die wichtigsten Anwenderinformationen bei der
Akutbehandlung eines konvulsiven Status epilepticus
Vermeintlich erschwerend ist außerdem für den Ret- Diazepamgabe sowie der intranasalen oder bukka-
tungsdienst, dass das Medikament laut Packungsbei- len Midazolamgabe. Letztere ist dabei auf Grund der
lage kühl gelagert werden muss. Es konnte jedoch leichteren Anwendung sowie der besseren sozialen
gezeigt werden, dass Lorazepam bei bis zu 30°C bis Verträglichkeit vorzuziehen.
zu 60 Tage ohne wesentlichen Wirkungsverlust auch
ungekühlt haltbar ist (Gottwald et al. 1999). Alterna- > Zusammenfassend sind Benzodiazepine
tive i.v. Benzodiazepine sind Clonazepam oder Dia- Therapie der ersten Wahl. Dies gilt sowohl für
zepam, wobei ersteres ähnliche pharmakokinetische den Rettungsdienst als auch für stationären
Eigenschaften wie Lorazepam besitzt und deshalb Bereich. Insbesondere im Falle eines
vorgezogen werden sollte (Crevoisier et al. 2003). persistierenden generalisierten tonisch-
Für Laien, Pflegende und Rettungssanitä- klonischen Anfalls bzw. Status epilepticus ist
ter besteht außerdem die Möglichkeit der rektalen eine hochdosierte Gabe indiziert.
3.2 · Akuttherapeutisches Vorgehen (prä- und innerklinisch)
73 3
. Tab. 3.4 Behandlungsschema des einfach- und komplex-fokalen Anfallsstatus. Weitere mögliche Indikationen für
Schnellaufsättigung: rezidivierende Anfälle, akute zerebrale Erkrankung mit hoher Rezidivgefahr, bekannte schwere
Verläufe mit rezidivierenden Anfällen/Statusentwicklung
Einschränkungen bestehen bei den anderen Anfalls- anwendbar sind, womit die Möglichkeit zur Schnel-
formen, die für die Patienten zumeist ungefähr- laufsättigung besteht. Diese sind Valproinsäure, Phe-
lich sind und keine irreversiblen Hirnschäden nytoin, Levetiracetam und Lacosamid. Die beiden
verursachen. Letztgenannten sind beim Status epilepcticus jedoch
Zwar sind hier Benzodiazepine ebenfalls The- eine Off-label-Therapie. Lacosamid ist außerdem
rapie der ersten Wahl, jedoch sollte die Dosis so derzeit nur als Add-On-Therapie zugelassen.
gewählt werden, dass therapiebedingte Komplika- Bei Versagen einer Monotherapie kann eine
tionen wie Ateminsuffizienz oder starke Sedierung Kombination mit einem der anderen drei Medika-
mit Aspirationsgefahr vermieden werden. Dies gilt mente in Erwägung gezogen werden.
vor allem für ältere und multimorbide Patienten.
Valproinsäure
3.2.2 Stufe 2 Valproinsäure kann intravenös zur Schnellauf-
sättigung eingesetzt werden und erreicht nach
In der zweiten Therapiestufe erfolgt eine Behandlung wenigen Minuten eine maximale Serumkonzen-
mit klassischen Antikonvulsiva. Vier Medikamente tration (Perucca et al. 2002; Trinka et al. 2011).
sind hierbei geeignet, da sie einerseits ein breites Positiv ist außerdem, dass es als Akutmedikament
Wirkspektrum haben und andererseits intravenös weder sedierend noch kreislaufdepressiv wirkt. Eine
74 Kapitel 3 · Krampfanfälle
Kontraindikation besteht für Patienten mit Mit- Die Bestimmung von Serumkonzentrationen
ochondriopathien. Außerdem ist es bei Schwan- kann nicht valide zur Therapiekontrolle verwendet
geren nicht Therapie der Wahl, da eine teratogene werden.
Wirkung bekannt ist. Mögliche seltene Komplikatio-
nen sind Hepatopathien, Pankreatitiden und Enze-
phalopathien. Auf Grund von Beschreibungen von Lacosamid
3 Blutungskomplikationen im Zusammenhang mit Lacosamid ist als Antikonvulsivum nur zur Add-
Valproinsäure wird immer wieder ein erhöhtes Blu- on-Therapie zugelassen, weshalb es vor allem bei
tungsrisiko durch das Medikament diskutiert, was Versagen einer Monotherapie mit einem der drei
jedoch in mehreren Studien nicht sicher bestätigt anderen Medikamente eingesetzt wird. Es existie-
werden konnte (Anderson et al. 1997; Beenen et al. ren jedoch Berichte über eine gute Wirksamkeit bei
1999). der Initialtherapie beim Status epilepticus, wobei
Der angestrebte Serumspiegel sollte bei im Vergleich zu den anderen Medikamenten die
50–100 µg/ml liegen, beim Status epilepticus sind Datenlage noch eingeschränkt ist (Übersicht in:
höhere Spiegel zwischen 100–120 µg/ml anzustreben. Trinka et al. 2011).
Die Gabe ist komplikationsarm. Kontraindika-
> Pragmatisch können beim generalisierten tionen für Lacosamid sind ein AV-Block II. und III.
tonisch-klonischen Anfallsstatus initial Grades. Bei herzkranken Patienten soll der Einsatz
1200–2400 mg über 5–10 min verabreicht nur mit Vorsicht erfolgen. Bei einer Niereninsuffi-
werden. zienz muss eine Dosisanpassung erfolgen.
Mögliches Aufsättigungsschema bei anderen Sta- > Zur Schnellaufsättigung sollte initial die
tusformen bzw. anderen Indikationen für eine Gabe von 200–400 mg i.v. als Kurzinfusion
rasche Behandlung ist die Verabreichung von 1200– über ca. 15 min erfolgen.
2400 mg Valproinsäure als Kurzinfusion über 30 min
mit anschließender Dauerinfusion über 12 h (Aus- Die Bestimmung von Serumkonzentrationen
gangsdosis: 1200–2400 mg). kann nicht valide zur Therapiekontrolle verwendet
werden.
Levetiracteam
Levetiracetam wirkt ebenfalls rasch und hat kaum Phenytoin
unerwünschte Arzneimittelwirkungen (Otoul et al. Phenytoin gehört zu den älteren Antikonvulsiva
2005; Gidal et al. 2005). Bei Patienten mit kogniti- und wird in den Leitlinien der DGN weiterhin mit
ven Einschränkungen ist das Auftreten von Ver- zur Therapie der ersten Wahl zur Statusbehand-
haltensauffälligkeiten wie Unruhezustände und lung gezählt (Rosenow et al. 2012). Probleme beim
Aggressionen beschrieben, was bei der Gabe kri- Phenytoin sind jedoch die vielen Nebenwirkungen.
tisch bedacht werden sollte. Bei einer Niereninsuf- Neben einer Hypotonie führt Phenytoin in 2% der
fizienz muss außerdem eine Dosisanpassung erfol- Fälle zu Herzrhythmusstörungen, weshalb ein AV-
gen. Es bestehen wenig relevante Interaktionen mit Block II. und III. Grades sowie eine Kardiomyopa-
anderen Medikamenten. thie Kontraindikationen darstellen. Eine Schnellauf-
Auf Grund dieser insgesamt wenigen Beschrän- sättigung kann deshalb nur langsam über 30 min
kungen bei der Gabe wird es trotz der fehlenden erfolgen, weshalb auch erst verzögert eine maximale
Zulassung bei der Statusbehandlung häufig als ini- Wirkung eintreten kann. Außerdem ist das Medi-
tiale Therapie verwendet. kament sehr gewebetoxisch und kann zu schweren
Hautnekrosen führen, weshalb es nur über einen
> Im Anfallsstatus können 1500–3000 mg als sehr sicheren peripheren Zugang oder über einen
Kurzinfusion verabreicht werden. Die Gabe ZVK verabreicht werden sollte (Leppik et al. 1983,
kann eventuell wiederholt werden. Wilder et al. 1977).
3.3 · Kleine EEG-Lehre für Notärzte und ZNA-Assistenten
75 3
Die Nebenwirkungen und die lange Aufsätti- et al. 2002; Rossetti et al. 2011). Auf Grund der kreis-
gungszeit sprechen dafür, die anderen drei Medika- laufdepressiven Wirkung ist meist eine begleitende
mente vorzuziehen. Katecholamintherapie notwendig. Bei der im statio-
Der angestrebte Serumspiegel sollte zwischen nären Bereich auf einer Intensivstation durchgeführ-
10 und 20 µg/ml liegen, beim Status epilepticus ten Therapie sollte die Narkosetiefe durch eine dau-
sind höhere Spiegel zwischen 20 und 25 µg/ml erhafte EEG-Ableitung überwacht werden.
anzustreben. Hier zeigt sich im Fall einer ausreichend tiefen
Pragmatisch können 1500 mg über 30 min ver- Narkose ein so genanntes Burst-Suppression-
abreicht werden. Beim multimorbiden und/oder Muster. In der Regel erfolgt beim Status epilep-
älteren Patienten (>65 Jahre) erfolgt initial eine Auf- ticus eine i.v. Anästhesie für 24 h. Anschließend
sättigung mit nur 750 mg über 30 min. Die restlichen erfolgt eine Reduktion der Medikamentengabe.
750 mg werden über 8 h verabreicht. Der Erfolg wird sowohl klinisch als auch elekt-
roenzephalographisch überprüft. Es sollten keine
> Zusammenfassend sind Valproinsäure, motorischen Entäußerungen mehr auftreten und
Phenytoin, Lacosamid und Levetiracetam in der EEG sollte kein Status-epilepticus-Befund
in ihrer Wirksamkeit als gleichwertig persistieren.
anzusehen, wobei Phenytoin bezüglich Bei den anderen Anfallsformen besteht selten
Pharmakokinetik und unerwünschter eine Indikation für eine endotracheale Schutzintu-
Arzneimittelwirkungen das deutlich bation. Lediglich im Falle eines therapierefraktären
schlechtere Profil besitzt. komplex-fokalen Anfallsstatus oder eines persistie-
renden komatösen Bewusstseinszustand mit feh-
Bei Versagen der 2. Stufe ist auf Grund des Zeitfak- lenden Schutzreflexen ist zur Durchbrechung des
tors bei einem generalisierten tonisch-klonischen Anfalls gelegentlich eine i.v. Anästhesie mit endo-
Anfallsstatus direkt die 3. Stufe einzuleiten. Bei den trachealer Schutzintubation notwendig.
anderen Anfallsformen ist bei Versagen einer Mono-
therapie auch eine Kombination aus zwei oder drei
Medikamenten der 2.Stufe möglich. 3.3 Kleine EEG-Lehre für Notärzte
Beispielsweise kann eine Kombination aus und ZNA-Assistenten
Levetiracetam, Lacosamid und Valproinsäure ohne
Gefahr schwerwiegender Medikamenteninteraktio- Die Elektroenzephalographie (EEG) wurde von
nen eingesetzt werden. Hans Berger 1929 eingeführt und ist somit eines der
Die Gabe von konventionellen Antikonvulsiva ältesten diagnostischen Verfahren in der Neurologie
erfolgt in der Regel erst im Rahmen der Notauf- (Berger et al. 1929).
nahme- bzw. stationärer Versorgung und ist nicht
im Rettungsdienst indiziert. > Bis heute ist die EEG ein unverzichtbarer
Bestandteil bei der Differenzialdiagnose
von Bewusstseinsstörungen, vor allem im
3.2.3 Stufe 3 Rahmen der Intensiv- und Notfallmedizin.
Hauptfunktion besteht in der Diagnostik von
Bei Versagen der ersten Stufe im Rettungsdienst Epilepsien.
und der ersten und zweiten Stufe im stationären
Bereich erfolgt bei Vorliegen eines generalisierten Die EEG kann durch den Nachweis so genannter epi-
tonisch-klonischen Anfallsstatus eine Eskalation lepsietypischer Potenziale bei der Frage helfen, ob
der Therapie durch den Einsatz von i.v. Anästhe- überhaupt ein epileptischer Anfall vorlag oder wei-
tika mit endotrachealer Intubation. Eingesetzte i.v. terbesteht. Anderseits kann anhand des Musters der
Anästhetika sind Thiopental, Midazolam und Pro- epilepsietypischen Potenziale in manchen Fällen
pofol, wobei die Datenlage zur Überlegenheit eines unterschieden werden, welche Form einer Epilep-
der drei Medikamente unzureichend ist (Claassen sie vorliegt.
76 Kapitel 3 · Krampfanfälle
In der Notfallmedizin lässt sich durch eine EEG zu einer oder zwei Referenzelektroden (meist das
häufig klären, ob eine persistierende Bewusstseinsstö- linke [A1] und das rechte Ohr [A2]) gemessen
rung Ausdruck eines Status epilepticus ist oder eine (. Abb. 3.2). Sie dient vor allem der Detektion gene-
andere Ursache (Enzephalopathie im weitesten Sinne) ralisierter Hirnfunktionsstörungen.
vorliegt. Dabei ist immer zu bedenken, dass ein unauf- Die andere Montage ist die bipolare Ableitung
fälliges EEG im anfallsfreien Intervall eine Epilepsie (. Abb. 3.3). Hierbei werden die Spannungsdifferen-
3 oder einen epileptischen Anfall niemals ausschließt. zen zwischen den einzelnen Elektroden detektiert.
Eine andere Funktion der EEG besteht in der Diag- Sie dient vor allem dem Nachweis lokaler Störun-
nostik generalisierter und lokaler Hirnfunktionsstörun- gen wie z. B. einem Herdbefund (Lesser et al. 1985;
gen. Generalisierte Hirnfunktionsstörungen machen Lüders et al. 1994).
sich klinisch häufig in Form von Bewusstseinsstörun-
gen (so genannte Enzephalopathien) bemerkbar. Mög-
liche Ursachen sind metabolische Entgleisungen (z. B. 3.3.2 Wellenformen in der
hepatisch, urämisch, septisch) oder Folge der Einnahme Elektroenzephalographie
bestimmter Medikamente (Benzodiazepine, andere
Antikonvulsiva, Neuroleptika). Lokale Hirnfunktions- Die detektierten Spannungsdifferenzen zeigen sich
störungen treten häufig bei strukturellen Hirnschädi- in der EEG als Wellen, die in jedem Kanal zu sehen
gungen wie Hirninfarkten, Hirnblutungen oder Menin- sind. Die Anzahl der Wellen pro Sekunde entschei-
gitiden auf. In der Intensivmedizin hat die EEG einen det darüber, welche Wellenform vorliegt:
Stellenwert bei der Hirntoddiagnostik. Schließlich 55 14–40 Hz = Beta-Wellen
dient die Dauer-EEG-Ableitung auch zur Steuerung 55 8–13 Hz = Alpha-Wellen
bestimmter Therapieverfahren wie z. B. die Thiopen- 55 4–7 Hz = Theta-Wellen
tal-Narkose im Sinne eines Burst-Supression-Musters. 55 <4 Hz = Delta-Wellen
. Abb. 3.2 Referenzableitung mit einem Alpha-EEG. Es erfolgte eine Ableitung gegen eine Referenzelektrode (A1). In allen
Kanälen lassen sich Alpha-Wellen mit einer Frequenz von ca. 10 Hz auszählen (eine Sekunde ist in der Abbildung immer der
Abstand zwischen zwei senkrechten Linien). Typischerweise ist der Alpha-Rhythmus am besten okzipital abzulesen
. Abb. 3.3 Bipolare Ableitung mit einem linkshemisphärischen Herdbefund mit Deltawellen. Zwischen F7–T3 und T3–T5
zeigt sich eine so genannte Phasenumkehr, bei der die Deltawellen in den beiden Ableitungen unterschiedliche Polaritäten
besitzen und sich deshalb die Wellengipfel sozusagen spiegelbildlich abbilden. Die Phasenumkehr zeigt in diesem Fall das
temporale Maximum des Herdbefundes an
. Abb. 3.4 Mittel- bis schwere Allgemeinveränderung bei einer Patientin in der Aufwachphase nach Sedierung. Es zeigen
sich unregelmäßige Theta- und Deltawellen über allen Ableitungen
3.3 · Kleine EEG-Lehre für Notärzte und ZNA-Assistenten
79 3
. Abb. 3.5 Klassischer Befund einer idiopathischen Absence-Epilepsie. Über allen Ableitungen sind 2,5-3 Hz Spike-Wave-
Komplexe zu sehen. Die Spitzen haben in der vorliegenden Abbildung eher niedrige Amplituden, dafür ist die jeweils folgende
langsame Welle umso hochamplitudiger
Theta- oder Delta-Wellen zu sehen. Dabei muss es wave“) unterscheiden sich durch ihre Dauer, patho-
sich nicht immer um eine irreversible Hirnschädi- physiologisch liegt jedoch die gleiche Ursache zu
gung handeln. Es gibt auch nur rein funktionelle Grunde. Eine Spitze dauert bis zu 70 ms, eine scharfe
Störungen, die reversibel sind. Man spricht dann Welle zwischen 70 und 200 ms. Weiteres typisches
von einem Herdbefund (. Abb. 3.3). Je nachdem, Merkmal eines ETP ist, dass im direkten Anschluss
über welcher Hirnregion die Verlangsamung loka- an die scharfe oder spitze Welle eine langsame Folge-
lisiert ist, spricht man z. B. von einem temporalen welle auftritt. Der Komplex aus Spitze bzw. scharfer
oder frontalen Herdbefund. Herdbefunde können Welle und langsamer Nachschwankung nennt man
ganz verschiedene Ursachen haben. Hierzu gehören Spike-wave- oder Sharp-wave-Komplex. Letztes
z. B.: Hirninfarkt, Hirnblutung, Enzephalitis, Schä- wichtiges Kriterium ist, dass ein ETP die die Grund-
del-Hirn-Trauma, angeborene Hirnschädigungen. aktivität bzw. den Grundrhythmus deutlich unter-
brechen muss bzw. aus dieser hervorstechen sollte
(Stichwort: „killing of the background“; Ebner et al.
3.3.5 Epilepsietypische Potenziale 2006).
ETP können generalisiert oder nur lokal nachge-
Epilepsietypische Potenziale (ETP) sind Wellenfor- wiesen werden. Häufig sieht man nur steile Wellen
men, die häufig bei Patienten mit Epilepsien nachzu- ohne eine feste bzw. starre Frequenz. Klassische „Spi-
weisen sind. Bei einem Patienten mit Anfallsereignis ke-wave-Komplexe“ mit einer einheitlichen Fre-
und Nachweis von ETP ist ein epileptisches Ereig- quenz findet man meist nur bei den idiopathischen
nis als sicher einzuordnen. Ein epilepsietypisches Epilepsieformen. Wichtiges Beispiel ist die Absence-
Potenzial ist eine Wellenform, die aus einer spitzen Epilepsie, bei der sich in der EEG generalisierte Spi-
oder scharfen (steilen) Welle besteht. Spitze Wellen ke-wave-Komplexe mit einer Frequenz von 2,5–3 Hz
oder Spitzen („spike“) sowie scharfe Wellen („sharp nachweisen lassen (. Abb. 3.5).
80 Kapitel 3 · Krampfanfälle
. Abb. 3.6 Der vorliegende Befund entspricht einem Nulllinien-EEG. Es ist keine hirneigene Aktivität nachweisbar. Die
in einigen Ableitungen zu sehenden kleinen Zacken, die immer wieder in gleichen Abständen auftreten, entsprechen EKG-
Artefakten. Ein Nulllinien-EEG ist bei Hirntodpatienten zu finden, kann aber auch bei sehr tiefer Sedierung durch eine i.v.
Anästhesie erzeugt werden
. Abb. 3.7 Burst-Suppression-EEG bei einer Patientin mit hypoxischer Hirnschädigung. Man sieht zwei Bursts mit variabler
Wellentätigkeit. Dazwischen bestehen Phasen eines Nulllinien-EEG. Die Spitzen in der Ableitung C4 sind Artefakte einer
unbekannten Quelle
. Tab. 3.5 Übersicht über die diagnostischen Mittel bei der Abklärung epileptischer Anfälle
3 Kraniale Magnetreso- In der Notfalldiagnostik sinnvoll bei Verdacht auf Herpes-Enzephalitis, ansonsten zur elekti-
nanztomographie ven Diagnostik kleinerer Hirnläsionen: z. B. angeborene Dysplasie
Elektroenzephalo- Zur Notfalldiagnostik sinnvoll bei unklarer Vigilanzminderung: Komplex-fokaler Anfall? Psy-
graphie chogener Anfall? Andere Ursache (z. B. metabolisch)?
Laboruntersuchungen Hypoglykämie? Infekt? Elektrolytentgleisung?
Nieren- oder Lebererkrankungen?
Medikamentenspiegel? Toxikologie?
Liquoruntersuchung Meningitis oder Enzephalitis?
Eigen-und Fremdanamnese
Anfallsereignis
unsicher
Anfall sicher
MRT u./o., EEG, ggf. LP,
MRT u./o. CT,EEG, ggf. kardiologische
LP Abklärung:
LZ-EKG, TTE, ggf. Kipp-
tisch-Untersuchung
fokal generalisiert/kryptogen
antikonvulsive Therapie
. Abb. 3.8 Übersicht über das diagnostische und therapeutische Vorgehen beim erstmaligen epileptischen Anfall.
(Modifiziert nach Elger et al. 2012)
Sie ist auf jeden Fall indiziert beim Status epilepticus, Folge muss aber eine cMRT prinzipiell bei jedem
bei Patienten mit erstmaligem Anfall und auffälligen Patient nach einem erstmaligen Anfall erfolgen,
neurologischem Status sowie einer Erstmanifesta- sollte sich nicht schon in der cCT eine eindeutige
tion in Form von mehreren Anfällen. Bei erstmali- Ursache zeigen.
gen Anfall und anschließend vollständig unauffäl-
ligen Patienten kann alternativ auch ein zeitnahes
cMRT durchgeführt werden. Der Nicht-Neurologe 3.4.2 Elektroenzephalographie
sollte sich bei Vertretbarkeit der Strahlenbelastung
eher für ein sofortiges cCT entscheiden. Die Elektroenzephalographie (EEG) ist ein weite-
Bei Patienten mit einer bekannten Epilep- rer wichtiger Baustein in der Diagnostik epilepti-
sie besteht nur selten die Indikation für eine cCT. scher Anfälle und kann bei der Einordung unkla-
Gründe wären ein Sturzereignis auf den Kopf sowie rer Bewusstseinsstörungen helfen (Noachtar et al.
postiktale neurologische Defizite, die vorher nicht 2009). Lassen sich epilepsietypische Potenziale nach-
bekannt waren. weisen, so spricht dies für ein epileptisches Ereignis.
Bei einer bildgebenden Diagnostik besteht die Umgekehrt ist die EEG trotz sicherem Anfallsereig-
Frage nach dem Nachweis struktureller Läsionen als nis häufig unauffällig.
Ursache für einen epileptischen Anfall. In der Akut-
diagnostik wird in den meisten Fällen die Compu- > Die EEG ist in vielen Fällen unauffällig,
tertomographie angewendet, eine kraniale Magnet- obwohl der Patient einen epileptischen
resonanztomographie steht in den meisten Kliniken Anfall hatte. Ein unauffälliges EEG schließt
nur zur elektiven Diagnostik zur Verfügung. In der einen epileptischen Anfall nicht aus!
84 Kapitel 3 · Krampfanfälle
Von Bedeutung ist eine EEG vor allem bei der Ein- die Kreatinkinase (CK) und die Serumlaktatkon-
ordnung unklarer Vigilanzminderungen ohne moto- zentration für die Diagnosestellung eines genera-
rische Entäußerungen. In diesen Fällen kann diffe- lisierten tonisch-klonischen Anfalls hilfreich sein.
renzialdiagnostisch neben einem komplex-fokalen Bei ersteren kommt es durch die exzessive Muskel-
Anfall ein psychogener Anfall oder eine nicht-epi- tätigkeit zu einem Anstieg der CK, die 24-48 h nach
leptische Ursache vorliegen (z. B. metabolische Stö- dem Ereignis häufig Werte >1000 U/l erreicht. Die
3 rungen: urämisches oder hepatisches Koma). CK-Erhöhung ist relativ spezifisch für einen gene-
Eine EEG kann hier relativ sicher helfen, die ralisierten-tonisch-klonischen Anfall und dient zur
Verdachtsdiagnose eines psychogenen Anfalls zu Abgrenzung gegenüber konvulsiven Synkopen und
bestätigen, wenn sich eine völlig unauffällige EEG psychogenen Anfällen, bei welchen es in der Regel zu
zeigt oder den Verdacht eines komplex-fokalen keinem Anstieg der CK kommt (Neufeld et al. 1997).
Anfalls zu bestätigen, indem epilepsietypische Ver- Ausnahmen bestehen, wenn der Patient zum Beispiel
änderungen nachgewiesen werden. Bei metaboli- im Rahmen einer Synkope gestürzt ist und eine trau-
schen Störungen lassen in der EEG häufig unspe- matische Muskelläsion aufgetreten ist.
zifische Veränderungen nachweisen, so genannte Als weiterer Laborparameter kann die Serum-
Allgemeinveränderungen. laktatkonzentration als diagnostischer Marker ver-
Bei einer Epilepsie kann die EEG durch den wendet werden. Im Anschluss an einen Grand Mal
Nachweis bestimmter Muster bei der Einordnung kann zumeist über 1–2 h eine Laktatwerthöhung im
der Epilepsieform helfen. Serum sowie eine daraus resultierende metabolische
Zusätzlich kann die EEG verwendet werden, Azidose nachgewiesen werden (Orringer et al. 1977).
lokale funktionelle Störungen im Gehirn zu identifi- Als Hauptmechanismus ist ein gesteigerter anaerober
zieren, die Ausgangspunkt der epileptischen Anfälle Glukosemetabolismus im Rahmen einer kurzzeiti-
sind. Darauf basierend besteht dann die Möglichkeit, gen Hypoxie der Muskelzellen anzunehmen (Wino-
präzise bestimmte Hirnregionen nach strukturellen cour et al. 1989).
Defiziten wie zum Beispiel fokale angeborene Dys- Die Verwendung der beiden Laborparameter
plasien in der cMRT zu untersuchen. als diagnostischer Marker ist jedoch auf generali-
sierte tonisch-klonische Anfälle beschränkt. Bei
den anderen Anfallsformen liegt in der Regel kein
3.4.3 Labordiagnostik Anstieg der Werte vor.
. Tab. 3.6 Häufig verwendete Medikamente in der Langzeitbehandlung von Epilepsien und deren Zulassungen und Dosierungen in Abhängigkeit von der Nierenfunktion
(modifiziert nach Hintz et al. 2015)
Indikationen/ Normale GFR 60–89 ml/min GFR 30–59 ml/ GFR 15–29 ml/ GFR <15 ml/min
Zulassungen Nierenfunktion bzw. leichte Funktions- min bzw. moderate min bzw. schwere bzw. chronisches
einschränkung Funktionseinschränkung Funktionseinschränkung Nierenversagen
Kapitel 3 · Krampfanfälle
Literatur – 109
Die bakterielle Meningitis zählt zu den neurolo- > Leitsymptome einer bakteriellen
gischen Notfällen und bedarf zeitnaher Diagnos- Meningitis sind Fieber, Kopfschmerz,
tik und rechtzeitiger Behandlung. Umso wichtiger Meningismus, qualitative und quantitative
4 sind standardisierte Arbeitsabläufe bei Verdacht Bewusstseinseinschränkung. Petechien
auf Meningitis in der neurologischen Notauf- sind stark hinweisend auf eine Meningokok-
nahme, denn trotz Einführung neuer Antibiotika kenmeningitis und werden durch
ist die Letalität der bakteriellen Meningitis weiter- Aktivierung der intravasalen Gerinnung
hin hoch mit einer Letalität zwischen 15–20% bei hervorgerufen.
Pneumokokkeninfektion und 20–30% bei Nachweis
von Listerien im ZNS. Als prognostisch ungüns- Erreger und Prädisposition
tig gelten ein höheres Erkrankungsalter, schwere Von Meningokokkeninfektionen sind in erster
Vorerkrankungen, multiresistente Erreger, Asple- Linie Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene
nie und ein komatöser Zustand bei Erstvorstellung und Patienten mit (seltenen) Defekten des Komple-
im Krankenhaus. mentsystems betroffen. Laut Robert-Koch-Institut
Im Folgenden wird ein Überblick über die Not- besteht eine saisonale Häufung im Winter und Früh-
fälle bakterielle Meningitis und Herpes-Enzephalitis jahr mit den meisten Erkrankungen innerhalb der
und anderer seltener infektiologischer Komplikatio- ersten 3 Monate eines Jahres. Sich rasch ausbreitende
nen im Bereich der neurologischen Intensivmedizin Infektionen kann es in engen Wohngemeinschaften
gegeben. Die diagnostischen und therapeutischen wie Internaten und Kasernen sowie unter Lager- und
Empfehlungen sind an die Leitlinien der Deut- Gefängnisbedingungen geben. War früher noch H.
sche Gesellschaft für Neurologie (www.dgn.org) influenzae der häufigste Meningitiserreger im Alter
angelehnt. unter 5 Jahren, so ist dieser dank der Impfung in den
Hintergrund getreten und durch Meningokokken
abgelöst worden.
4.1.2 Bakterielle Meningitis Im Gegensatz hierzu sind von Pneumokok-
kenmeningitiden vorzugsweise ältere Menschen,
Symptome Abwehrgeschwächte und Alkoholabhängige betrof-
Die klassischen Leitsymptome sind Fieber, Menin- fen. Besonderes Augenmerk gilt splenektomierten
gismus, Kopfschmerz und Bewusstseinseinschrän- Patienten, die im Rahmen eines OPSI („overwhel-
kung. In einer Fallserie mit Patienten mit außer- ming postsplenectomy infection“) als Folge einer
halb des Krankenhauses erworbener bakterieller foudroyanten Sepsis gefährdet sind. Entzündun-
Meningitis fanden sich die Symptome Fieber, gen im Bereich des Ohres, der Nasennebenhöhlen
Meningismus und Bewusstseinseinschränkung oder offene Schädel-Hirn-Traumata können per
in der Kombination jedoch nur in 44%. Dagegen continuitatem zu einer Pneumokokkenmeningi-
waren zwei von vier Symptomen bei 95% der tis führen, auch eine hämatogene Streuung z. B.
Erkrankten zu finden (Brouwer et al. 2012). Ins- im Rahmen einer Pneumonie ist möglich. Eine
besondere bei Säuglingen, Immunsupprimier- Besiedelung mit L. monocytogenes betrifft häufig
ten und älteren Menschen findet sich häufig kein Patienten mit Immunsuppression, Diabetes mel-
Meningismus. Das klinische Bild ist längst nicht litus, Karzinomen, dauerhafter Kortisonthera-
immer eindeutig und die Abgrenzung gegen- pie, AIDS oder Alkoholabhängigkeit. Dennoch
über z. B. viralen Meningitiden kann erschwert gibt es auch immer wieder Fälle ohne klassische
sein. Ein erster Hinweis auf Meningokokken als Risikofaktoren.
4.1 · Bakterielle Meningitis und Enzephalitis
91 4
Blutkulturen, Rachen/Wundabstrich
nein ja
LP Antibiotikatherapie
und Dexamethason
kein Anhalt für
erhöhten
intrakraniellen
Antibiotikatherapie
Druck
und Dexamethason
CCT und CT-NNH
. Abb. 4.1 Diagnostisches Vorgehen bei Verdacht auf bakterielle Meningitis (angelehnt an die Leitlinien der Deutschen
Gesellschaft für Neurologie zur Ambulant erworbenen bakteriellen (eitrigen) Meningoenzephalitis). LP Lumbalpunktion, CCT
kraniale Computertomographie, NNH Nasennebenhöhlen
Unmittelbare Diagnostik
Altersabhängigkeit der klassischen Menin- Bei Verdacht auf eine bakterielle Meningitis besteht
gitiserreger unmittelbarer Handlungsbedarf (. Abb. 4.1). Zwin-
44 Neugeborene gend erforderlich sind – am besten noch mit der
–– Gram-negative Enterobakterien (E. coli, Anlage der venösen Verweilkanüle – Blutkulturen
Klebsiella, Enterobacteriacae) zur Erregersicherung, da diese in etwa der Hälfte der
–– P. aeruginosa Fälle positiv sind. Bei Verdacht auf Meningokokken
–– Gruppe-B-Streptokokken ist ein Rachenabstrich sinnvoll, da hierüber der Erre-
–– L. monocytogenes gernachweis häufiger gelingt als aus dem Liquor. Bei
44 Kinder und Jugendliche Nachweis von Petechien kann über Aspiration aus
–– N. meningitidis diesen versucht werden, den Erreger zu sichern.
–– S. pneumoniae Laborchemische Entzündungszeichen wie Leuko-
–– H. influenzae (bei nicht-geimpften zytose oder Leukopenie, Erhöhung von C-reaktivem
Kindern) Protein und Prokalzitonin sind häufig. Fehlende Ver-
44 Erwachsene änderungen dieser Parameter schließen eine Menin-
–– S. pneumoniae gitis jedoch keinesfalls aus, da beispielsweise Immun-
–– L. monocytogenes kompromittierte häufig keine Leukozytose oder
–– N. meningitidis Linksverschiebung bieten. Leukozyten von entwe-
der >12.000/µl oder <4.000/µl und ein C-reaktives
92 Kapitel 4 · Infektionen des zentralen Nervensystems und Sepsis
Protein von >20 mg/l bei Aufnahme sind bei passen- 55 Gramnegative, intrazelluläre Diplokokken: N.
der Klinik am ehesten mit einer bakteriellen Menin- meningitidis
gitis assoziiert (Jung et al. 2011). 55 Grampositive, extra- und intrazelluläre
Beim wachen Patienten ohne fokal-neurolo- Stäbchen: L. monozytoges
gisches Defizit sollte direkt eine Lumbalpunktion 55 Gramnegative Stäbchen: E. coli
erfolgen. Bei bewusstseinseingeschränkten Patien-
ten oder Nachweis klinischer Hirndruckzeichen wird Der typische Liquorbefund bei bakteriellem Befall ist
empfohlen, zunächst mittels Anfertigung einer kra- gekennzeichnet durch eine Pleozytose von >1000/µl
4 nialen Computertomographie Kontraindikationen (zumeist granulozytär dominiertes Zellbild, je nach
für die Lumbalpunktion wie beispielsweise intra- Erkrankungsdauer und Erreger können auch Misch-
kranielle Druckerhöhung auszuschließen. In diesem bilder auftreten), eine Blut-Liquor-Schrankenstö-
Fall muss die antibiotische Therapie vor der Liquor- rung mit einem Liquorgesamteiweiß von >1000 mg/l,
entnahme erfolgen, um keine Zeitverzögerung zu eine erhöhte Liquor-Laktat-Konzentration von
riskieren. >3,5 mmol/l und ein verminderter Liquor/Serum-
Die schwedischen Richtlinien zur Diagnos- Glukose-Quotient von <0,3. Eine Liquorpleozy-
tik bei Verdacht auf bakterielle Meningitis wurden tose <1000/µl ist bei bakterieller Meningitis selten,
2009 dahingehend revidiert, als dass der Passus schließt diese jedoch nicht aus und ist deshalb isoliert
der Bewusstseinseinschränkung als Kontraindika- betrachtet kein sicheres Unterscheidungsmerkmal
tion zur Lumbalpunktion gestrichen wurde. Der gegenüber viralen Infektionen.
Vergleich zwischen alten Kriterien (die den deut-
schen entsprechen) 2005–2009 und den neuen Kri-
terien 2010–2012 ergab einen signifikant früheren Zusatzdiagnostik zur Fokussuche
Behandlungsbeginn mit geringerer Mortalität und Nach Einleitung der antibiotischen Therapie sollte
einer geringeren Anzahl an Spätfolgen (Glimaker weitere Diagnostik zur Fokussuche eingeleitet
et al. 2015). Es wird in Deutschland diskutiert werden werden. Eine kraniale Computertomographie mit
müssen, ob der diagnostische Pfad innerhalb der Darstellung der Nasennebenhöhlen und der Schä-
Leitlinie zukünftig entsprechend den schwedischen delbasis muss noch am Aufnahmetag veranlasst
Maßgaben verändert werden soll. werden, um beispielsweise eine Sinusitis oder Otitis
media auszuschließen. In diesem Zusammenhang
> Keine Verzögerung der antibiotischen sollte eine HNO-ärztliche Konsultation erfolgen.
Therapie durch diagnostische Verfahren! Durch rasche operative Sanierung kann die Erre-
gerlast entscheidend vermindert werden. Je nach
Die Liquoranalyse erlaubt Rückschlüsse darüber, klinischer Gesamtkonstellation sollte die Fokussu-
ob eine bakterielle oder virale Meningitis vorliegt. che auf ein Röntgen-Thorax, Abdomen-Sonographie
Der Liquoraspekt ist bei Pneumokokkenmenin- oder eine Echokardiographie ausgeweitet werden.
gitis trüb bis eitrig, Listerienmeningoenzephaliti- Bei neurologischen Herdsymptomen, epileptischen
den und Meningokokkenmeningitiden können im Anfällen und quantitativen Bewusstseinsstörun-
Frühstadium davon ausgenommen sein. Die Liquor- gen sollte ergänzend eine kraniale MRT erfolgen,
probe soll möglichst rasch an das mikrobiologische um keine Herpes-Enzephalitis, Zerebritis oder die
Labor weitergeleitet werden. Falls sich dies verzögert, bei einer bakteriellen Meningitis nicht ganz seltene
sollen aus der Liquorprobe je 2 ml in eine aerobe und Sinusthrombose zu übersehen.
eine anaerobe Blutkulturflasche überführt werden. Indirekte Hinweise auf eine bakterielle Genese
Mittels Gram-Färbung des Liquors lässt sich eine der Meningitis ergeben sich aus Begleiterkrankun-
ZNS-Infektion nachweisen. Wenn sich Erreger gen/-symptomen der Betroffenen: Patienten mit
bereits im Gram-Präparat nachweisen lassen, gelingt Sinusitis, Otitis media und Lungenentzündungen
hierüber häufig eine wertvolle Zuordnung: (insbesondere Lobärpneumonie) sind eher betrof-
55 Grampositive, extrazelluläre Diplokokken: S. fen. Defekte der Hirnhautkontinuität können eben-
pneumoniae falls zu bakterieller Besiedelung prädisponieren: hier
4.1 · Bakterielle Meningitis und Enzephalitis
93 4
kommen beispielsweise Operationen mit Eröff- ausgeschlossen ist, wird eine zusätzliche Behandlung
nung der Schädelkalotte, Durafisteln, offene Schä- mit Ampicillin empfohlen (Listerienlücke der Cepha-
del-Hirn-Traumata oder ventrikuläre Shuntsysteme in losporine). Laut Robert-Koch-Institut, RIK-Ratgeber
Frage. Auch Patienten mit Osteomyelitis oder Endo- 2015, führt eine Therapie von Meningokokken mit Peni-
karditis sind gefährdet. Weiterhin prädisponiert sind cillin G vermutlich nur zu einer Suppression, aber nicht
Patienten mit Immunschwäche im Rahmen beispiels- zu einer langfristigen Eradikation der nasopharyngea-
weise einer Alkoholabhängigkeit, eines Diabetes mel- len Besiedelung. Es wurden 2013 2,5% Penicillin-G-re-
litus, einer HIV-Infektion oder angeborenen Immun- sistente Stämme beobachtet. Da die Resistenzlage bei
defekten wie beispielsweise Komplementdefekten. Erstvorstellung nicht bekannt ist und sich innerhalb
kurzer Zeit ein lebensbedrohliches Krankheitsbild ent-
wickeln kann, ist auch hier eine Therapie mit einem
Therapiebeginn Drittgenerations-Cephalosporin empfehlenswert.
Bei Meningitisverdacht sollte die antibiotische The-
rapie frühzeitig, idealerweise innerhalb von 30 min
nach Erstvorstellung im Krankenhaus erfolgen. Bei Antibiotikatherapie der bakteriellen
schwer betroffenen Patienten, bei denen eine kurzfris- Meningitis
tige Verschlechterung des klinischen Status zu beob- Folgende Therapieschemata werden
achten ist (Glasgow Coma Scale <12), bei rascher Ver- empfohlen (in Anlehnung an die Leitlinien der
schlechterung des quantitativen Bewusstseins oder Deutschen Gesellschaft für Neurologie# und
epileptischen Anfällen führt eine Verzögerung der der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische
Therapie zu einer schlechteren Prognose (Auburtin Infektiologie*)
et al. 2006; Lepur et al. 2007; Nau et al. 2013), weshalb 44 Standardtherapie bei bisher gesundem
die Therapie ohne Verzögerung eingeleitet werden Erwachsenen#
muss. Bei begründetem Verdacht auf eine Meningo- –– 1×2 g Ceftriaxon (initial einmalig
kokkenmeningitis kann bei verzögertem Transport 4 g) oder 3×4 g Cefotaxim plus 6×2 g
ins Krankenhaus eine empirische Therapie bereits vor Ampicillin
Krankenhausaufnahme notwendig sein. –– in Ländern mit hohem Anteil Penicillin-
resistenter Pneumokokken zusätzlich
> Ein verzögerter Therapiebeginn ist mit einer 2×1 g Vancomycin oder 1×600 mg
schlechteren Prognose assoziiert. Rifampicin
44 Nosokomiale und Fremdkörper-
Kalkulierte Antibiotikatherapie assoziierte Infektionen#
–– 1×2 g Vancomycin plus 3×2 g
Außerhalb des Krankenhauses erworbene
Meropenem oder 2×1 g Vancomycin
Meningitis
plus 3×2 g Ceftazidim
Neben dem zeitnahen Beginn der antibiotischen Thera- 44 Kleinkinder und Kinder*
pie sollte die Behandlung immer systemisch und mög- –– 100 mg/kg Ceftriaxon oder
lichst hochdosiert sein und das in Frage kommende 100 mg/kg Cefotaxim (ggf.
Spektrum an Keinem möglichst breit abdecken. Zum 50 mg/kg Vancomycin bei
Einsatz kommen sollten Präparate, die im Liquorraum anzunehmender Resistenz gegenüber
(insbesondere auch noch nach Erholung der Blut-Li- Drittgenerationscephalosporin)
quor-Schrankenfunktion im Rahmen der Genesung) 44 Neugeborene*
ausreichende Wirkspiegel erreichen. Das antibioti- –– 150–200 mg/kg Cefotaxim plus
sche Regime richtet sich nach Abhängigkeit von Alter, 200–300 mg/kg Ampicillin oder
prädisponierenden Umständen und dem zu erwar- 200–300 mg/kg Piperacillin (plus
tenden Keimspektrum. Antibiotika der Wahl sind die ggf. 5 mg/kg Gentamicin bei
Drittgenerations-Cephalosporine Ceftriaxon oder schwerstkranken Neugeborenen)
Cefotaxim. Solange eine Infektion mit Listerien nicht
94 Kapitel 4 · Infektionen des zentralen Nervensystems und Sepsis
und Vestibulopathien (durch eitrige Labyrinthitis) Vergleich zu Infektionen mit Meningo- und Pneu-
Hydrocephali occlusi oder aresorptivi, Vaskulitiden mokokken kommt es bei Listerien häufiger zu neuro-
mit thrombotisch oder vasospastisch bedingten logischen Herdsymptomen im Sinne einer Begleit-
Infarkten, septische Sinusthrombosen, Hirnödeme enzephalitis. Sehr viel seltener kommt es zum
und Hirnnervenparesen. Die Entwicklung eines Hirnabszess oder Hydrozephalus sowie chronisch-
Hydrozephalus ist mit einer ungünstigeren Prog- rekurriender Listerienenzephalitis.
nose und erhöhten Letalität vergesellschaftet (Kasan-
moentalib et al. 2010). Hier ist eine externe Ableitung Spätfolgen
4 mittels Ventrikeldrainage notwendig. Zu den häufigsten Langzeitfolgen nach überstande-
Bei Hirnödem sind in Abhängigkeit der klini- ner Meningitis, von denen Erregerabhängig 10–40%
schen Notwendigkeit hirndrucksenkende Maßnah- der Patienten betroffen sind, zählen neben epilep-
men wie 30°-Oberkörperhochlagerung, Osmother- tischen Anfällen dauerhafte Hörminderungen,
apie mit 20% Mannitinfusion oder bei beatmeten Paresen von Hirnnerven und Extremitäten. Etwa ein
Patienten eine Hyperventilation mit einem vorüber- Drittel der Betroffenen bieten neuropsychologische
gehenden Ziel-pCO2 von 32–35 mmHg notwendig. Defizite, deren Auftreten unabhängig von vorange-
Keine klare Studienlage besteht bezüglich der gangener Dexamethasongabe sind. Patienten mit
Therapie arterieller Gefäßkomplikationen wie einer Pneumokokkenmeningitis sind von diesen Spätfol-
Vaskulitis oder eines Vasospasmus. Bei letzterem gen in besonderem Maße betroffen.
kann in Analogie zur Subarachnoidalblutung eine
Therapie mit Nimodipin erfolgen. Es gibt bislang Meldepflicht
keine Daten, die einen positiven Effekt von Steroi- Jeder Verdachts-, Erkrankungs- und Todesfall an
den (z. B. Dexamethason) bei Vaskulitis zeigen, inso- einer Meningokokkenmeningitis oder tuberkulö-
fern besteht hierfür keine sichere Therapieempfeh- sen Meningitis muss nach dem Infektionsschutzge-
lung. Bei septischer Sinusthrombose gibt es ebenfalls setz (IfSG) §6 dem Gesundheitsamt innerhalb von
keine kontrollierten Studien. In Analogie zu anderen 24 h gemeldet werden.
Formen der Sinusthrombose kann eine PTT-wirk-
same Heparinisierung erfolgen, es existieren jedoch > Jeder Verdachts-, Erkrankungs- und Todesfall
vereinzelte Berichte über eine erhöhte Blutungsge- durch Meningokokkenmeningitis und
fahr, so dass die Indikation streng abgewogen werden tuberkulöse Meningitis ist meldepflichtig.
sollte.
Für Listerien besteht erst nach dem direkten labor-
Spezifische Komplikationen bei chemischen Nachweis aus Blut, Liquor oder anderen
Meningokokken und Listerien normalerweise sterilen Substraten sowie Abstrichen
Eine spezifische Komplikation von Meningokok- von Neugeborenen eine Meldepflicht. Für H. influ-
keninfektionen ist das Waterhouse-Friderichsen- enzae besteht nur nach dem direkten Nachweis aus
Syndrom, welches durch einen fulminanten Verlauf Liquor oder Blut eine Meldepflicht. Pneumokok-
mit Verbrauchskoagulopathie und Multiorganversa- ken sind nicht mehr meldepflichtig. Anders verhält
gen sowie durch Nebennierenversagen mit Hypog- es sich mit Meningitiden, die durch Bakterien mit
lykämie, Hyponatriämie, Hyperkaliämie und meta- ungewöhnlicher Resistenzlage verursacht werden,
bolische Azidose gekennzeichnet ist. Etwa 10% der diese müssen auch gemeldet werden.
Patienten sind betroffen und die Letalität ist bedingt
durch das eintretende Kreislaufversagen und Koma Hygienische Maßnahmen
hoch. z Meningokokkenmeningitis
Infektionen mit Listerien können in ca. 10% in Patienten mit einer Meningokokkenmeningitis
einer Hirnstammenzephalitis münden: meist kommt müssen für einen Tag nach Beginn der Antibioti-
es zweigipfligen Verlauf mit initial Grippe-ähnlichen katherapie isoliert werden. Für diese Zeit sind das
Symptomen und in der Folge Kopfschmerz, Fieber Tragen von Nasen-Mundschutz, Handschuhen und
und Hirnstammsymptome bis hin zum Koma. Im Schutzkittel für Kontaktpersonen ebenso notwendig
4.2 · Virale Meningitis und Enzephalitis
97 4
wie Händedesinfektion. Kontakt mit Kindern sollte gegeben werden.
vermieden werden. Für Schwangere ist Ceftriaxon am günstigsten,
Rifampicin oder Ciprofloxacin sind nicht geeignet.
z Tuberkulöse Meningitis Kinder sollten aufgrund des potenzieller Störun-
Bei Vorliegen eines Tuberkuloseverdachts sollte gen des Knorpel- und Sehnenwachstums nicht pro-
der Patient so lange isoliert werden, bis die mikro- phylaktisch mit Ciprofloxacin behandelt werden.
skopische Untersuchung von Magensaft, Sputum
und Bronchialsekret auf Mykobakterien erfolgt ist. z Tuberkulöse Meningitis
Fallen diese Untersuchungen negativ aus, kann die Haben Kontaktpersonen einen negativen Tuberkulin-
Isolation aufgehoben werden. Bei positivem Nach- test, sind vierteljährliche Kontrollen ausreichend. In
weis von Mykobakterien in den Körperflüssigkeiten dieser Zeit sollte auf tuberkuloseverdächtige Symp-
besteht eine „offene“ Tuberkulose, so dass Betroffene tome wie beispielsweise Husten geachtet werden. Bei
14–21 Tage nach Therapiebeginn potenziell infek- Kindern <6 Jahre mit engem Kontakt zur ansteckend
tiös sind und isoliert bleiben müssen. Nach frühes- erkrankten Person ist eine prophylaktische dreimona-
tens 14 Tagen kann die Isolation wieder aufgehoben tige Therapie mit 10 mg/kg KG Isoniazid sinnvoll, bei
werden, nachdem dreimalig in Magensaft, Sputum Neugeborenen zwingend erforderlich. Ist nach drei
und Bronchialsekret mikroskopisch keine Mykobak- Monaten der Tuberkulintest weiterhin negativ, kann
terien mehr nachweisbar waren. die Therapie beendet werden. Bei positivem Test ist
eine Therapiedauer von 9–12 Monaten indiziert.
Expositionsprophylaxe Bei primär positivem Tuberkulintest, was einer
Eine Antibiotikaprophylaxe ist bei nachgewiesener latenten Infektion entspricht, können Betroffene
Meningitis mit N. meningitidis, H. influenzae und durch Isoniazid 5 mg/kg KG (maximal 300 mg/d)
M. tuberculosis notwendig. Bei anderen Erregern über 9 Monate (alternativ Isoniazid plus Rifampicin
besteht hierzu keine Notwendigkeit. über vier Monate) vor einer aktiven Tuberkuloseer-
krankung geschützt werden (Robert-Koch-Institut,
z Infektion durch N. meningitidis Ratgeber Tuberkulose).
Eine Antibiotikaprophylaxe sollten Kontaktpersonen
einnehmen, die im selben Haushalt leben oder mehr
als 4 h täglich in den letzten 5 Tagen Kontakt mit dem 4.2 Virale Meningitis und
Betroffenen hatten. Krankenhauspersonal, welches Enzephalitis
ungeschützten Kontakt mit Bronchial- oder Naso-
pharynxsekret gehabt hat, sollte ebenfalls eine Che- Virale Meningitiden sind im Vergleich zu bakteriel-
moprophylaxe erhalten. Die maximale Inkubations- len ZNS-Infektionen häufiger, werden jedoch in der
zeit für Meningokokken beträgt 10 Tage, so dass bei Inzidenz unterschätzt, weil bei Virusinfekten mit
einem Kontakt mit dem Erkrankten, der über zehn Kopfschmerzen oft keine Liquoranalyse durchge-
Tage zurück liegt, keine Prophylaxe mehr notwen- führt wird. Die klinische Ausprägung einer viralen
dig ist. Meningitis ist deutlich milder als die einer bakte-
Mittel der ersten Wahl für Erwachsene ist: riellen. Im Gegensatz zu bakteriellen Erregern, die
55 Ciprofloxacin 500 mg einmalig p.o. häufig die Meningen und das Zerebrum betreffen,
können virale Infektion neben diesen beiden Loka-
Alternativ kann lisationen ebenso zu Myelitiden, Radikuloneuritiden
55 Ceftriaxon 250 mg i.v. oder i.m. einmalig, und Myositiden führen.
Kinder <13 Jahren 125 mg i.v. oder i.m.
einmalig
55 Rifampicin 600 mg zweimal täglich für zwei 4.2.1 Erreger und Prädisposition
Tage, Säuglinge, Kinder und Jugendliche bis
60 kg 10 mg/kg KG zweimal täglich über zwei Es gibt eine Vielzahl von Viren, die bevorzugt das
Tage; Kinder <1 Monat 5 mg/kg KG zweimal ZNS befallen und deren Spektrum von z. B. vorher-
über zwei Tage gehendem Auslandsaufenthalt, Zugehörigkeit zu
98 Kapitel 4 · Infektionen des zentralen Nervensystems und Sepsis
Toxoplasmose
Toxoplasma gondii ist ein ubiquitär vorkommen- 44 Sekundärprophylaxe mit 25 mg
der Parasit, welcher insbesondere in rohem Fleisch Pyrimethamin + 4×500 mg Sulfadiazin
und Katzenkot vorkommt. Die betroffenen Patien- + 10–20 mg Folinsäure
ten sind in aller Regel abwehrgeschwächt durch –– Alternativ bei Sulfadiazin-Unverträg-
T-Zell-Suppression, z. B. im Rahmen von HIV lichkeit 4×300–450 mg Clindamycin
(Toxoplasmose zählt zu den AIDS-definieren- 44 Primärprophylaxe bei HIV und <100–200
den Erkrankungen) oder hämato-onkologischen T-Helferzellen: 960 mg Cotrimoxazol jeden
4 Erkrankungen wie beispielsweise einem Lymphom. zweiten Tag oder 50 mg Pyrimethamin +
Die Klinik ist in Abhängigkeit der Grunderkran- 50 mg Dapson + 25 mg Folinsäure
kung sehr unterschiedlich ausgeprägt. Von asym-
ptomatischen Verläufen, Fieber mit Kopfschmer-
zen und fokal-neurologischen Defiziten bis hin zu
symptomatischen epileptischen Anfällen ist alles Malaria
möglich. CT- und MR-tomographisch lassen sich Ein zerebraler Befall bei Malaria wird nur durch
klassischerweise hyperintense, randständig Kon- Plasmodium falciparum hervorgerufen. Der Parasit
trastmittel-aufnehmende Rundherde mit Peri- führt durch Induktion einer Erythrozytenfunktions-
fokalödem zentral im Bereich der Basalganglien störung durch vermehrte Adhärenzneigung zu Stö-
nachweisen. Verkalkungen können ebenfalls vor- rungen der Mikrozirkulation. Klinisch kommt es
kommen. Die Liquoranalytik trägt nur mäßig zur neben Fieberschüben mit Kopf- und Gliederschmer-
Diagnosefindung bei. Die Veränderungen sind mit zen zu Verwirrtheit, fokal-neurologischen Defiziten
fehlender oder leichter lymphozytärer Pleozytose wie Paresen und Koordinationsstörungen bis hin zu
mit mäßiger Schrankenstörung unspezifisch. Der gravierenden Bewusstseinsstörungen und Tod.
Erregernachweis im Liquor gelingt in der Regel
nicht, so dass neben den bildmorphologischen z Diagnostik
Veränderungen auf serologisch Untersuchungen Bei entsprechendem Verdacht anhand einer Aus-
zurückgegriffen werden muss (mit eventuellen Ein- landsanamnese mit Fieberschüben wird die Diag-
schränkungen bei fortgeschrittener Immunkom- nose über einen Blutausstrich („dicker Tropfen“)
promittierung bei AIDS). Das Therapieschema mit direktem Erregernachweis gesichert. In der MRT
umfasst eine Kombinationsbehandlung aus Pyri- lässt sich evtl. ein Hirnödem und (Mikro-)Blutungen
methamin und Sulfadiazin. Die Behandlung kann durch den Parasiten nachweisen. Die Liquoranalyse
nebenwirkungsträchtig sein mit u. a. Leuko- und trägt nicht wesentlich zur Diagnosesicherung bei,
Thrombozytopenie. Hämatologische Funktionsstö- in manchen Fällen lässt sich eine Glukoseerniedri-
rungen sollen durch gleichzeitige Folinsäure abge- gung und Laktaterhöhung nachweisen, die durch die
mildert werden. AIDS-Patienten benötigen nach Erythrozytenfunktiosstörung hervorgerufene Ver-
überstandener Akutinfektion eine lebenslange minderung der Sauerstoffversorgung und durch den
Prophylaxe. Parasiten selbst in gesteigerter Laktatsynthese und
Glukoseerniedrigung mündet. Manchmal kann auch
eine Eosinophilie nachgewiesen werden.
Therapieschema bei zerebraler Toxoplas-
mose und HIV-Infektion z Therapie
44 Pyrimethamin (Tag 1 150–200 mg, Die Therapie sollte je nach aktueller Resistenzlage
dann 50–100 mg + 4×1–1,5 g Sulfadiazin erfolgen und ggf. mit Instituten für T
ropenmedizin
+ 10–20 mg Folinsäure für 4–6 Wochen (Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin) abge-
–– Alternativ bei Sulfadiazin-Unverträg- stimmt werden. Kortikosteroide sind bei diesem
lichkeit 4×600 mg Clindamycin oder Krankheitsbild nach Studienlage eher nachtei-
2×500 mg Clarithromycin lig und somit nicht indiziert. Bei Bewusstseins-
trübung infolge eines Hirnödems sollten übliche
4.4 · Ventrikulitis
103 4
therapeutische Maßnahmen angewandt werden. Bei 55 Vermeidung von Reflux, z. B. beim Lagern und
einem Hirnödem sollte zur Hirndrucksenkung aller- 55 Aufrechterhaltung eines minimalen Liquor-
dings kein Mannitol zum Einsatz kommen, weil sich flusses von mindestens 50 ml/d
hierunter die Komadauer verlängern und die Prog-
nose verschlechtern kann. Der Nutzen einer intra- sollten eingehalten werden.
kraniellen Druckmessung ist nicht belegt.
> Regelmäßige (jeden zweiten Tag)
Kontrolluntersuchungen des Liquors
Zerebrale Amöbiasis sind unerlässlich zur Detektion einer
Eine zerebrale Amöbiasis hervorgerufen durch Enta- Ventrikulitis, insbesondere weil die
moeba histolytica ist in der westlichen Welt eine Sel- klinische Beurteilbarkeit der häufig schwer
tenheit. Zumeist besteht ein Befall der Leber, neu- betroffenen Patienten erschwert ist.
rologische Beteiligung führt neben meningitischen
Zeichen zu Defiziten, je nachdem, welche Region Liquor aus einer Ventrikeldrainage bietet häufig
durch Zystenbildung befallen ist. Auch epileptische eine erhöhte Zellzahl im Sinne einer Reizpleozytose
Anfälle sind möglich. Differenzialdiagnostische bis ca. 50/µl durch die Grunderkrankung und den
Schwierigkeiten kann die Abgrenzung zu Hirnabs- Fremdkörper an sich. Ein (kontinuierlicher) Anstieg
zessen machen. Die Diagnosestellung einer Amöbi- der Zellzahl und/oder ein Anstieg des Laktats auf
asis kann durch serologische Untersuchungen sowie >3,5 mmol/l deuten auf eine Ventrikulitis hin. Idea-
Erregernachweis in Stuhl und Biopsat gelingen. The- lerweise sollte im Rahmen der regelmäßigen Kont-
rapeutisch kommt Metronidazol (3×750 mg für 3 rollen auch Liquorkulturen angesetzt werden, um im
Wochen) zum Einsatz. Die Prognose ist bei frühzei- Falle eines Bakteriennachweises schnell gezielt anti-
tiger Behandlung gut. biotisch behandeln zu können.
Es existieren keine randomisierten prospektiven
Studien zur Behandlung bei Ventrikulitis. Für die
4.4 Ventrikulitis Behandlung wird eine Kombination aus Vancomy-
cin und Meropenem oder Vancomycin und Cefta-
Eine Ventrikulitis ist eine zunehmend häufige Kom- zidim empfohlen. Die Therapie sollte nach Erhalt
plikation auf Intensivstationen bei Patienten mit lang des Antibiogramms ggf. angepasst oder deeskal-
liegenden Verweilkathetern im ZNS. S. epidermidis siert werden. Sofern möglich, sollte die EVD ent-
und S. aureus heften sich besonders leicht an Plastik- fernt werden. Falls dies nicht möglich ist und sich
materialen an. Auf neurologischen Intensivstationen der klinische Zustand unter systemischer antibioti-
werden vor allem externe Ventrikeldrainagen (EVD) scher Behandlung nicht bessert, sollte eine intravent-
besiedelt. Seltener kommt es zu Infektionen mit Kory- rikuläre Therapie in Erwägung gezogen werden. Hier
nebakterien, Enterokokken, Pseudomonaden und gibt es mit Vancomycin und Gentamycin die meisten
Enterobacteriacae. Das Risiko einer Besiedelung steigt Erfahrungen, seltener kommen auch andere Medika-
mit zurückliegender Dauer der Drainagenanlage stark mente wie beispielsweise Colistin, Tobramycin oder
an. Die Einhaltung hoher hygienischer Standards sind Amikacin zur Anwendung. Intensivpflichtige Pati-
daher wesentlicher Bestandteil zur Reduktion einer enten, bei denen eine Pseudomonadenbesiedelung
bakteriellen Besiedelung. Allgemeinmaßnahmen wie im Vorfeld bekannt war und die auf das ZNS überge-
55 ausreichende, 5 cm bis zur Einstichstelle griffen hat, können mit Ceftazidim in Kombination
umfassende Rasur, mit einem Aminoglykosid behandelt werden. Bei der
55 Abdeckung der Einstichstelle mit einer sterilen Behandlung mit Aminoglykosiden ist auf die Ototo-
Kompresse, täglicher Wechsel mit lokaler xizität zu achten (Kontrolle per Audiogramm oder
Hautdesinfektion, akustisch evozierter Potenziale), außerdem sind die
55 Einhaltung steriler Standards beim Wechsel des Talspiegel zu beachten.
Auffangbeutels, Schlauchsystems und bei der Infektionen als Komplikation neurochirur-
Entnahme von Liquor zur Untersuchung, gischer Operationen sind neben S. aureus durch
104 Kapitel 4 · Infektionen des zentralen Nervensystems und Sepsis
vier Parameter berücksichtigt wurden, allgemeine entscheidend (Gaieski et al. 2010). Die Applikation
eine frühere antibiotische Behandlung erfolgte und zu einem noch früheren Zeitpunkt scheint dagegen
darüber hinaus eine besseres Verständnis des Krank- nicht langfristig vorteilhaft zu sein (Sterling et al.
heitsbildes durch intensive Erforschung gewonnen 2015). Neben Abstrichen von möglicherweise infi-
wurde. zierten Wunden oder Operationsiten sollen Blut-
Erst wenn unter Normovolämie eine Hypoten- kulturen (aus zwei venösen Punktionen von unter-
sion persistiert, sollten Katecholamine zum Einsatz schiedlicher Stelle oder einer venösen Punktion
kommen. Hier wird eine Primärtherapie mit Norad- und einer aus einem zentralen Katheter) gewonnen
4 renalin angeraten. In einer Vergleichsstudie konnte werden, um den verursachenden Keim nachzuwei-
zwar kein signifikanter Unterschied auf das Gesamt- sen. Es liegen für einzelne therapeutische Regimes
überleben zwischen Noradrenalin und Dobutamin keine Vergleichsstudien vor. Üblicherweise wird
gefunden werden, unter letzterem gab es jedoch mehr Vancomycin mit einem Carbapenem (Meropenem
unerwünschte Nebenwirkungen (De Baker et al. 2010). oder Imipenem) oder Drittgenerations-Cephalo-
Zur Optimierung der Sauerstoffangebots sporin kombiniert. Bei Hinweisen auf eine Pseudo-
erscheint es aus pathophysiologischen Überlegun- monaden-Besiedelung sollte zusätzlich zu Vancomy-
gen heraus sinnvoll, einen möglichst normalen Hb cin ein Dritt- oder Viertgenerations-Cephalosporin
anzustreben. Tatsächlich hat sich in Studien jedoch (Ceftazidim oder Cefepime) oder ein Carbapenem
ergeben, dass eine Transfusion von Erythrozytenkon- oder ein Ureidopenicillin (Piperacillin) angewandt
zentraten (EK) erst ab einem Hb <7 g/dl prognos- werden. Bei MRSA-Verdacht sollte eine Behand-
tisch sinnvoll ist: Der Vergleich von Transfusionen lung mit Linezolid oder Daptomycin Anwendung
von EK entweder ab einem Hb <7 g/dl oder bereits finden. Weitere Maßnahmen zur Keimeradikation
ab einem Hb <9 g/dl ergab bei ersterem Regime nicht wie beispielsweise Entfernung infizierter Katheter
nur eine Halbierung der Anzahl an Tranfusionsbe- oder anderer Fremdkörper wie Osteosynthesema-
dürftigen um 50%, sondern auch keinen signifikan- terial, Gelenkersatz oder die Drainage von Abszessen
ten Unterschied bezüglich ischämischer Ereignisse gehören ebenfalls dazu.
(Holst et al. 2014), so dass eine Transfusion erst ab Durch Messung des Prokalzitonins gewinnt man
einem Hb <7 g/dl propagiert wird. Hinweise darauf, ob eine bakterielle Infektion und
Die antibiotische Therapie, welche die eigentlich Sepsis vorliegen und wiederholte Messungen eignen
kausale Therapie der Sepsis darstellt, sollte nach der sich zur Verlaufskontrolle, ob eine antibiotische The-
Lokalisation des vermuteten oder nachgewiesenen rapie wirksam ist. Dieser Marker ist jedoch nicht
Fokus ausgerichtet werden und sollte empirisch die immer zuverlässig in der Lage, zwischen einer bak-
häufigsten typischen Erreger abdecken. Bei der Wahl teriell bedingten Sepsis und einer septischen Kons-
des Antibiotikums sollten darüber hinaus die Vorer- tellation ohne bakteriellen Befall zu unterscheiden:
krankungen des Patienten (ggf. Dosisreduktion bei in einer Metaanalyse wurde eine Sensitivität von
Niereninsuffizienz), evtl. antibiotische Vorbehand- 77% und eine Spezifität von 79% erreicht (Wacker
lungen sowie die Tatsache, ob eine Infektion außer- et al. 2013). Es mehren sich Hinweise darauf, dass
halb oder innerhalb des Krankenhauses erworben die Bestimmung von TREM-1 („triggering recep-
wurde, Berücksichtigung finden. Es existieren Daten tor expressed on myleoid cells“; ein Mitglied der
die nahelegen, MRSA (Methicillin resistenter Staphy- Immunglobulinfamilie, der in der Präsens von Bak-
lococus aureus) bei schwer kranken Patienten als ver- terien hochreguliert ist) in Patienten mit Sepsis mit
ursachender Keim auch bei Erwerb der Infektion einer Sensitivität von 96% und Spezifität von 89%
außerhalb des Krankenhauses mit zu berücksich- eine bakteriell bedingte Sepsis voraussagen kann. Die
tigen. Hier sollte Vancomycin als Mittel der ersten Bestimmung dieses Faktors hat jedoch noch keinen
Wahl zum Einsatz kommen, Alternativen sind Dap- Einzug in die Routinediagnostik gehalten.
tomycin oder Linezolid. Große Studien liegen hierzu Es gab in der Vergangenheit zahlreiche Versu-
noch nicht vor. che in Studien mit adjuvanter Behandlung von Sub-
Der rechtzeitige Beginn der antibiotischen stanzen, die zusätzlichen Nutzen bezüglich des Ver-
Behandlung innerhalb der ersten 6 h ist prognostisch laufs der Sepsis und der Letalität erzielen sollten.
Literatur
109 4
Weder eine adjuvante Therapie mit Selen, noch community-acquired bacterial meningitis. Lancet 380:
1684–1692
rekombinantem aktivierten Protein C, Antithrom-
De Baker D, Briston P, Devrient J, Madl C, Chochrad D, Aldecoa
bin III, Erythropoetin, Ibuprofen, Wachstumshor- C, Brasseur A, Defrance P, Gottignies P, Vincent JL; SOAP
mon, Prostaglandinen, Pentoxifyllin, hoch dosiertes II Investigators (2010) Comparison of dopamine and
N-Acetylcystein oder GCSF („granulocytes-colony norepinephrine an the treatment of shock. N Engl J Med
stimulating factor“) konnten nachhaltige Effekte 362(9):779–789
Ferrer R, Martin-Loeches I, Phillips G, Osborn TM, Townsend S,
erzielen und erhielten somit keinen Einzug in die
Dellinger RP, Artigas A, Schorr C, Levy MM (2014) Empiric
Leitlinien als Empfehlung. Weitgehende Einigkeit antibiotic treatment reduces mortality in servere sepsis
besteht dahingehend, dass eine Low-dose-Throm- and septic shock from the first hour: results from a guide-
boseprophylaxe erfolgen soll. Stark erhöhte Glukose- line-based performance improvement program. Crit Care
werte können mit Insulin gesenkt werden, allerdings Med 42(8):1749–1755
Gaieski DF, Mikkelsen ME, Band RA Pines JM, Massone R, Furia
ist hier der optimale Rahmen nicht eindeutig. Die
FF, Shofer FS, Goyal M (2010) Impact of time to antibiotics
meisten Autoren favorisieren Glukosespiegel zwi- on survival in patients with severe sepsis or septic shock
schen 140 und 180 mg/dl. in whom early goal-directed therapy was initiated in the
emergency department. Crit Care Med 38:1045–1053
Glimaker M, Johansson B, Grindborg Ö, Bottai M, Lindquist
Literatur L, Sjölin J (2015) Adult bacterial meningitis: earlier treat-
ment and improved outcome following guideline revi-
American Thoracic Society; Centers for Disease Control and sion promoting prompt lumbar puncture. Clin Infec Dis
Prevention; Infectious Diseases Society of America (2005) 60: 1162–9
American Thoracic Society/Centers for Disease Control Haase N, Ostrowski SR, Wetterslev J, Lange T, Moller MH, Tousi
and Prevention/Infectious Diseases Society of America: H, Steensen M, Pott F, Soe-Jensen P, Nielsen J, Hjortrup
controlling tuberculosis in the United States. Am J Respir PB, Johanssen PI, Perner A (2015) Thromboelastography
Crit Care Med 172(9):1169–1227 in patients with severe sepsis: a propective cohort study.
ARISE Investigators; ANZICS clinical trial group, Peake SL, Intensive Care Med 41(1):77–85
Delaney A. Bailey M, Bellomo R, Cameron PA, Cooper DJ, Helweg-Larsen J, Astradsson A, Richhall H, Erdal J, Laursen A,
Higgins AM, Holdgate A, Howe BD, Webb SA, Williams P Brennum J (2012) Pyogenic brain abscess, a 15 year sur-
(2014) Goal-directed resuscitation for patients with early vey. BMC Infect Dis 12:332
septic shock N Engl J Med 371(16):1496–1506 Hjalmarsson A, Blomqvist P, Sköldenberg B (2007) Herpes
Arlotti M, Grossi P, Pea F, Tomei G, Vullo V, DeRosa FG, DiPerri G, simplex encephalitis in Sweden, 1990–2001: incidence,
Nicastri E, Lauria FN, Carosi G, Moroni M, Ippolito G, GISIG morbidity, and mortality. Clin Infect Dis 45(7):875
(Gruppo Italiano di Studio sulle Infezioni Gravi) Working Holst LB, Haase N, Wetterslev J, Wernerman J, Guttormsen
Group on Brain Abscesses (2010) Consensus document AB, Karlsson S, Johansson PI, Aneman A, Vang ML,
on controversial issues for the treatment of infections of Winding R, Nebrich L, Nibro HL, Rasmussen BS,
the central nervous system: bacterial brain abscesses. Int Lauridsen JR, Nielsen JS, Oldner A, Pettilä V, Cronhjort
J Infect Dis 14 Suppl4:S79–92 MB, Andersen LH, Pedersen UG, Reiter N, Wiies J, White
Auburtin M, Wolff M, Charpentier J, Varon E, Le Tulzo Y, Girault JO, Russell L, Thornberg KJ, Hjortrup PB, Müller RG, Möl-
C, Mohammedi J, Renard B, Mourvillier B, Bruneel F, Ricard ler MH, Steensen M, Rjäder I, Kilsand K, Odeberg-Wer-
JD, Timsit JF (2006) Detrimental role of delayed admi- nerman S, Sjobo B, Bundgaard H, Thyo MA, Lodahl
nistration and penicillin-nonsusceptible strains in adult D, Maerkdahl R, Albeck C, Illum D, Kruse M, Winkel P,
intensive care unit patients with pneumococcal meningi- Perner A; TRISS Trial Group; Scandinavian Critical Care
tis: the PNEUMNOREA prospective multicenter study. Crit Trials Group (2014) Lower versus higher hemoglobin
Care Med 34: 2758–65 threshold for transfusion in septic shock. N Engl J Med
Brouwer MC, Coutinho JM, van de Beek D (2014) Clinical 371(15):1381–1391
characteristics and outcome of brain abscess: systemic Imöhl M, Reinert RR, Tulkens PM, van der Linden M (2014)
review and meta-analysis. Neurology 82(9):806 Penicillin susceptibility breakpoints for Streptococcus
Brouwer MC, McIntyre P, Prasad K, van de Beek D. Corticoste- pneumoniae and their effect on susceptibility categorisa-
roids for acute bacterial meningitis. Cochrane Database tion in Germany (1997–2013). Eur J Clin Microbiol Infect
Syst Rev 2013; Baunbæk-Knudsen G, Sølling M, Farre A, Dis33:2035–40
Benfield T, Brandt CT (2015) Improved outcome of bacte- Jung K, Goerdt C, Lange P, Blocher J, Djukic M, Gerber J, Spreer
rial meningitis associated with use of corticosteroid treat- A, Nau R, Otto M, Schmidt H (2011) The use of S100B and
ment. Infect Dis 11:1–6 Tau protein concentrations in the cerebrospinal fluid for
Brouwer MC, Thwaites GE, Tunkel AR, van de Beek D (2012) the differential diagnosis of bacterial meningitis: a retro-
Bacterial meningitis 1. Dilemmas in the diagnosis of acute spective analysis. Eur Neurol 66: 128–32
110 Kapitel 4 · Infektionen des zentralen Nervensystems und Sepsis
Unklare Bewusstlosigkeit
A. Lechleuthner
Literatur – 135
5.1 · Einführung
113 5
5.1 Einführung
. Tab. 5.1 Glasgow Coma Scale (GCS) nach Teasdale
und Jennett (1974; deutsche Übersetzung)
5.1.1 Das Bewusstsein – die
Graduierung im Notfall Punkte Augen Verbale Moto-
öffnen Kommuni- rische
kation Reaktion
Wach zu sein mit allen dazugehörigen Facetten wie
Kommunikationsfähigkeit, Reaktionsfähigkeit auf 6 Punkte – – Befolgt
äußere Reize, sowie die Möglichkeit bewusste und Aufforde-
kontrollierte Handlungen auszuführen, sind eine rungen
(Höchst-)Leistung des Gehirns. 5 Punkte – Konversa- Gezielte
Diese ermöglicht es, an unserer Umgebung teil- tionsfähig, Schmerz-
zuhaben und uns selbst, sowie andere wahrneh- orientiert abwehr
men zu können. Der Zustand „Wachsein“ erfordert 4 Punkte Spontan Konversa- Ungezielte
deshalb auch nahezu alle Bereiche des menschli- tionsfähig, Schmerz-
desorien- abwehr
chen Gehirns. Störungen der Leistungsfähigkeit des
tiert
Gehirns führen deshalb auch sehr schnell zu einer
3 Punkte Auf Auffor- Unzu- Auf
Beeinträchtigung der „Wachheit“, die in graduier-
derung sammen- Schmerz-
ter Form von fast unmerklich bis hin zum völligen hängende reize
Bewusstseinsverlust reichen kann. Worte Beugesyn-
Diese Graduierung führt dazu, dass bis heute ein ergismen
uneinheitliches Verständnis unter Ärzten (insbeson- (abnor-
male Beu-
dere verschiedener Fachrichtungen) darüber besteht,
gung)
wann der Patient tatsächlich bewusstlos ist und wann
2 Punkte Auf Unver- Auf
eben nicht oder noch nicht.
Schmerzreiz ständliche Schmerz-
Andere Personen beurteilen unseren Wach- Laute reiz Stre-
heitsgrad im Wesentlichen daran, inwieweit wir cksynergis-
mit ihnen kommunizieren können. In vereinfach- men
ter Form, inwieweit wir auf ausgesandte Signale 1 Punkte Keine Re- Keine Keine Re-
reagieren. aktion verbale Re- aktion auf
In der Notfallmedizin hat sich als Graduierungs- aktion Schmerz-
instrument die Glasgow Coma Scale (GCS) aufgrund reiz
ihrer Einfachheit etabliert, die zwischenzeitlich auf
vielen Notfallprotokollen zu finden ist. Sie gradu-
iert das Bewusstsein in 13 Stufen (von 3-15 Punkte) 55 Medikamenteneinflüsse (z. B. sedierende
und bepunktet die Bereiche „Augen öffnen“, „verbale Medikamente)
Kommunikation“ und „motorische Kommunika- 55 Neurologische oder psychische Erkrankungen/
tion“ (. Tab. 5.1). Störungen
Damit wird der Bewusstseinszustand graduiert
kodifiziert und damit messbar. Gleichwohl ist die Trotz vorhandener Störungsmöglichkeiten eignet
Erhebung der GCS ein Zusammenspiel zwischen sich die GCS zur Beschreibung des Bewusstseinszu-
Untersucher und Patient, das gestört sein kann. standes im Notfall, weil sie
Folgende Störungen beeinträchtigen die Erhe- 55 ohne Hilfsmittel erhebbar ist;
bung der GCS: 55 auch mit wirksamen Störeinflüssen eine
55 Fehlende Sprache (z. B. Säuglinge) Verlaufskontrolle bei wiederholten Erhebungen
55 Fehlende Sprachkenntnisse (z. B. ausländischer möglich ist;
Besucher, Migrant) 55 sie weit verbreitet ist und damit ein Gradu-
55 Intoxikationen (z. B. Alkohol) ierungsmaßstab in der Kommunikation mit
114 Kapitel 5 · Unklare Bewusstlosigkeit
Kollegen vorhanden ist, der zu einem (mehr Überleben (Strnad et al. 2016). In der multivariaten
oder weniger) einheitlichen Vorstellung führt, Analyse war ihre Aussagekraft bei Patienten mit fri-
in welchem Bewusstseinszustand der Patient scher TBI jedoch gering, weshalb dieses im klini-
sich befindet. schen Monitoring wichtige Zeichen, bis heute in der
GCS nicht enthalten ist. Im persönlichen Gespräch
Die GCS wurde von den beiden Neurochirurgen hatte ich Prof. Jennett einmal dazu befragt, worauf er
Sir Graham Teasdale und Professor Brian Jennett mir mitteilte, dass es sich dabei in der Akutphase um
vom Institute of Neurological Sciences in Glasgow ein „overstressed sign“ handeln würde.
1974 veröffentlicht (Teasdale u. Jennet, 1974). Auf- Die GCS ist ausschließlich zur Beurteilung von
grund ihrer Verbreitung lohnt es sich, kurz auf die frischen Hirnverletzungen entwickelt und validiert
5 GCS einzugehen, da sie eine Methode ist, die ohne worden. Aus dieser Graduierung haben Teasdale und
technische Hilfsmittel auskommt. Die GCS wurde als Jennett bei ansonsten unbeeinträchtigten (z. B. durch
eine der ersten multizentrischen Studien mit Hilfe Medikamente) Patienten auf die Verletzungsschwere
einer multivariaten Datenanalyse validiert und ist des Gehirns geschlossen.
damit evidenzbasiert. Teasdale und Jennett waren Die GCS wird in der Notfallmedizin bei nahezu
in den 1960er und 1970er Jahren Neurochirurgen in allen Patienten zur Beurteilung des Bewusstseinszu-
Glasgow. Damals gab es keine Computertomogra- standes genutzt. Demzufolge liegt dieser Bewusstlo-
phen und ihre Klinik in Schottland erhielt Patienten sigkeit eine Vielzahl möglicher Ursachen zugrunde,
mit einem Schädel-Hirn-Trauma (wird dort „trau- so dass letztlich sehr unterschiedliche medizinische
matic brain injury, kurz TBI“ genannt) aus einem rie- Fachgebiete betroffen sein können, deren Zuord-
sigen Einzugsbereich. Das Problem damals war, dass nung meist erst nach Untersuchung und Erhebung
aufgrund der fehlenden Bildgebung die Kommuni- von Befunden gelingt.
kation, was der Patient für Symptome zeigt, außer- Nach Stellung der Diagnose und der korrekten
ordentlich limitiert und sehr subjektiv geprägt war. Zuordnung zum medizinischen Fachgebiet (z. B. Neu-
So wurden Patienten ohne TBI hunderte Kilometer rologie, Neurochirurgie, Innere Medizin, Endokri-
nach Glasgow transportiert, ohne dass sie eine rele- nologie etc.) werden die dafür erforderlichen Maß-
vante Verletzung hatten und andere, die einer ope- nahmen erforderlich, die in aktueller Form sich an
rativen Intervention bedurften, wurden nicht trans- den jeweiligen Leitlinien des Fachgebiets orientieren
portiert, sondern lediglich beobachtet. (http://www.awmf.org/leitlinien/aktuelle-leitlinien.html).
Teasdale und Jennett waren deshalb bemüht, ein Da auch Neurologen die Patienten zwischen-
Instrument zu entwickeln, das Patienten mit einer zeitlich nicht mehr nur (von anderen Krankenhäu-
TBI identifizierbar, standardisiert beurteilbar und sern) „vorsortiert“ bekommen, werden in diesem
monitorbar machte. Sie entwickelten deshalb einen Kapitel deshalb zahlreiche weitere Ursachen für eine
Fragebogen, mit Hilfe dessen sie die Kommunikation Bewusstlosigkeit vorgestellt. Das Symptom „unklare
mit den anfragenden Krankenhäusern strukturier- Bewusstlosigkeit“ wird dabei in den diagnostischen
ten. Aus der initial relativ großen Fragensammlung, Kontext von Befunden und der Auffindesituation
die zur Beurteilung von Patienten mit einer mögli- gestellt, sowie die daraus folgende (Risiko-)Klassifi-
chen relevanten TBI beitrugen, wurde anschließend, zierung und Entscheidungsfindung aufgezeigt.
nachdem die Diagnose in Glasgow gestellt worden
war, mit Hilfe der multivariaten Analyse ermittelt,
welche Aussagekraft sie hinsichtlich der Fragestel- 5.1.2 Bewusstseinszustand wach
lung TBI ja oder nein besaßen. Interessanterweise und ansprechbar
war dabei auch die Frage nach der Pupillenreaktion,
die bis heute in der Neurochirurgie und Neurologie Der Arzt im Notfall muss regelmäßig den Bewusst-
klinisch von Bedeutung und im täglichen Gebrauch seinszustand feststellen und beschreiben. Dazu
ist, enthalten. Auch in neueren Studien bleibt die stehen ihm keine weiteren Hilfsmittel zur Verfü-
„Mydriasis“ bei Patienten mit isoliertem Schädel- gung. Aus diesem Grunde muss zunächst sozusagen
Hirn-Trauma, ein evidenter Prognosefaktor für das als „Kalibrierung“ definiert werden, was unter einem
5.1 · Einführung
115 5
„wachen Patienten“ zu verstehen ist. Abweichungen Das Gehirn besitzt die Fähigkeit, den Blutfluss in
davon können dann als Bewusstseinsstörung oder weiten Bereichen selbst zu regulieren (Autoregulati-
sogar als Bewusstlosigkeit klassifiziert werden. onsfähigkeit). Diese kann durch Verletzungen und
Als uneingeschränkt wach und ansprechbar kann Erkrankungen gestört oder aufgehoben sein (Roewer
ein Patient klassifiziert werden, der/die folgende et al. 2012)
Befunde aufweisen und Reaktionen zeigen: Jedes Absinken der für die Funktion und die
55 Wach (Augenöffnen), Blick auf Ansprache Lebensfähigkeit der Hirnzellen erforderlichen Blut-
zielgerichtet menge stört deshalb – unabhängig von der Ursache –
55 Konversationsfähig, antwortet auf einfache sofort die Funktionsfähigkeit des gesamten Gehirns.
Fragen prompt und richtig (z. B. Name, Diese wird von außen am schnellsten und einfachs-
Geburtsdatum, Wohnort, Datum, Uhrzeit, Ort) ten als Bewusstseinsstörung erkennbar.
55 Kann Kommandos ausführen (befolgt Jegliche Beeinträchtigung dieser Versorgung
Aufforderungen) kann zu einer Ischämie des gesamten Gehirns
führen und damit letztlich zum Tod des Patienten.
Das Gehirn eines Menschen, der uneingeschränkt Bei jeder Notfallbehandlung muss deshalb auch die
bewusstseinsklar und orientiert ist, kann zu diesem Auswirkung einer jeden Maßnahme auf die Blut-
Zeitpunkt als un- oder nur ganz wenig verletzt ein- versorgung des Gehirns einbezogen werden. Ins-
gestuft werden. besondere die Lagerung oder die systemische Blut-
Abweichungen von dem Bewusstseinszustand drucksenkung können bei Erkrankungen (z. B.
„wach und ansprechbar“ (GCS = 15 Punkte) sind das Schlaganfall) oder Verletzungen des Gehirns (z. B.
klinisch wichtigste Zeichen auf eine Erkrankung bzw. Hirnquetschung) zu einer Ischämie des Gehirns
auf eine Schädigung des Gehirns. beitragen.
Die Glasgow Coma Scale (GCS) graduiert die Atemwegssicherung ggf. mit Beatmung behoben und
Bewusstseinsstörung mit absinkenden Punktwer- gesichert werden. Störungen der Kreislauffunktion
ten. Ab einer GCS unter 8 kann davon ausgegangen (z. B. Hypotonie, Bradykardie, Kammertachykar-
werden, dass die Schutzreflexe beeinträchtigt sind, die, Hypovolämie etc.) müssen medikamentös und/
weshalb insbesondere Atemwegssicherungsmaßnah- oder mit weiteren Maßnahmen (z. B. Infusionen bei
men ab da erforderlich werden. Hypovolämie, Schrittmacher bei Bradykardie etc.)
stabilisiert werden.
Die Entscheidungsfindung, ob der Patient nach zu Schäden führen (z. B. anaphylaktischer Schock
einer Gewalteinwirkung auf den Kopf sofort in eine durch Kontrastmittel), die nur dann in Kauf genom-
Klinik mit allen verfügbaren diagnostischen und the- men werden müssen, wenn die Untersuchungen auch
rapeutischen Möglichkeiten transportiert werden tatsächlich aufgrund von Fakten notwendig sind.
muss, ist eine große medizinische Herausforde- Aufgrund der täglichen Relevanz wird im Fol-
rung, da die Graduierung einen sehr weiten Bereich genden eine Risikostratifizierung vorgenommen, die
umfasst. in 7 Abschn. 5.1.6 beschrieben worden ist.
Am deutlichsten wird das, wenn man die Abklä- Die hier genutzte Klassifizierung der Kranken-
rung fragend und generalisierend stellt: Muss jeder häuser erfolgt auf dem System der Deutschen Gesell-
Patient nach einem Sturz auf den Kopf in ein Trau- schaft für Unfallchirurgie (DGU), www.dgu.de), die
5 mazentrum mit neurochirurgischer Abteilung? zwischen „lokalem Traumazentrum“, „regionalem
Kann jeder Arzt eine schwerere, nachfolgende Ver- Traumazentrum“ und „überregionalem Traumazen-
letzung des Gehirns schon von Anfang an sicher trum“ unterscheidet.
ausschließen?
Die Antwort auf beide Fragen ist jeweils „nein“,
was das Dilemma deutlich macht, in dem sich die 5.3.1 Patienten mit einem
erstbehandelnden Ärztinnen und Ärzte (z. B. als geringen Risiko nach einer
Notarzt, Klinikarzt) befinden, ohne dass bereits wei- Gewalteinwirkung auf den Kopf
tergehende Informationen (z. B. CT) vorliegen. (Risikoklasse I)
Die Tendenz gerade bei den so genannten „Ver-
dacht auf Schädel-Hirn-Trauma“1 Fällen immer ein Milde stumpfe Gewalteinwirkung
Traumazentrum mit Neurochirurgischer Abteilung Hier wird eine Bewertung der Gewalteinwirkung
anzufahren scheint auf den ersten Blick sinnvoll. auf den Kopf nach erster Einschätzung durch eine
Allerdings sind Gewalteinwirkungen auf den Kopf Fachkraft zugrunde gelegt. Dabei muss die einwir-
so zahlreich und vielfältig, dass eine solche Strategie kende Gewalt
auch kritisch hinterfragt werden muss. 55 milde gewesen sein,
Es gibt eine Vielzahl insbesondere von Baga- 55 zu keiner erkennbaren Verletzung geführt
tellverletzungen, die bei der Strategie „alle in eine haben und
neurochirurgische Abteilung“ zu einer Hochbelas- 55 keine Bewusstseinsstörung (zu jedem
tung des Rettungsdienstes (lange Transportwege) Zeitpunkt GCS15) nach sich gezogen haben.
und der jeweiligen Krankenhäuser führt, ohne dass 55 Zudem darf kein Liquoraustritt aus Nase oder
dieser Strategie ein dementsprechender Nutzen Ohr vorliegen.
gegenüber steht. Vielmehr kann eine Überlastung
dieser Systeme dazu führen, dass dringliche Fälle Die Einstufung eines Patienten die Gruppe „gerin-
letztlich nicht zeitgerecht zur geeigneten Einrich- ges Risiko“ erfolgt dann, wenn die Kriterien erfüllt
tung gebracht bzw. behandelt werden können. Des sind, sie ansonsten gesund waren und keiner Risi-
Weiteren sind auch invasive diagnostische Maßnah- kogruppe angehören.
men nicht risikolos für den Patienten und können Hierzu im Einzelnen:
55 Beispiele für eine milde Gewalteinwirkung auf
den Kopf
1 Der Begriff „Schädel-Hirn-Trauma“ (SHT) ist zur Beschrei-
bung einer Hirnverletzung missverständlich; besser wäre
44Kopf beim Kopfdrehen an die Wand gestoßen
der im anglo-amerikanischen Sprachraum übliche Begriff 44Von einem niedrigen Sofa gefallen, Kopf ist
„traumatic brain injury“ (TBI), im Deutschen „traumati- auf einen weichen Untergrund aufgetroffen.
sche Hirnverletzung“. Durch die Mitnennung des „Schä- 44Langsam gehend mit dem Kopf an eine
dels“ im Begriff „Schädel-Hirn-Trauma“ werden häufig
geschlossene Tür gestoßen
auch Bagatellverletzungen des Schädels in die Kategorie
„SHT“ gezogen, was hinsichtlich der daraus folgenden
55 Erkennbare Verletzungen: Von außen keine
Konsequenzen erheblich sein kann (Übertherapie, Über- sichtbare Prellmarke, keine tastbare Beule und
nutzung des Systems). keine äußere Verletzung der Haut.
5.3 · Zerebrale Verletzung (7 Kap. 2)
121 5
55 Keine Bewusstseinsstörung: Zu jedem fallen, der vom Personal schnell als Sekundäreintrü-
Zeitpunkt wach, ansprechbar, antwortet sofort bung nach einem symptomlosen Intervall (Hinweis
und eindeutig auf alle einfachen Fragen (z. B. auf eine intrakranielle Blutung) gedeutet wird.
Name, Datum, Uhrzeit, Anschrift etc.) Eine Beobachtung sollte regelmäßig mit einer
Bewertung und Dokumentation des Bewusstseinszu-
In Summe weisen diese Patienten bei unbeeinträch- standes erfolgen (z. B. mit GCS). Aufgrund des Ver-
tigter Erhebungsmöglichkeit einen GCS von 15 laufs dieser Beobachtung muss entschieden werden,
Punkten auf. ob der Patient in der klinischen Einrichtung verblei-
ben kann, oder verlegt werden muss.
Konsequenzen aus der Risikoeinstufung sein. Sie können aber auch durch Hirnkontusionen
in die Risikoklasse II oder Blutungen verursacht werden.
Patienten in der Risikoklasse „höheres Risiko“ Nach notfallmedizinischer Erfahrung zeigten
(RK-II) sollten nicht ambulant behandelt werden. alle Patienten, bei denen sich im Nachhinein eine
Die Abwägung, ob sie vom Unfallort „zwangsweise“ epidurale oder auch eine subdurale Blutung heraus-
in eine Klinik mitgenommen werden müssen, stellte, bereits an der Unfallstelle eine oder mehrere
wenn sie Behandlung und Transport ablehnen, dieser Auffälligkeiten.
sollte nur durch erfahrene Ärzte getroffen werden. Versäumnisse bei diesen „problematischen“
Sollte die Entscheidung getroffen (und dokumen- Patienten (eigentlich sind sie wach, verhalten sich
tiert) werden (Basis-GCS 15, Situation vertretbar), aber dennoch auffällig), die zu Folgeschäden oder
5 dass der Patient aufgrund seiner eigenen Entschei- zum Tod geführt haben, sind schon deshalb tragisch,
dung doch am Ort verbleiben bzw. sich selbst aus weil die Ursache (z. B. eine epidurale Blutung) neuro-
der Krankenhausbehandlung entlassen kann, sollte chirurgisch oft gut behandelbar ist.
eine Betreuung (z. B. Familie, Freunde etc.) sicher- Als weitere neurologische Defizite können trau-
gestellt werden. matisch bedingte Lähmungen sowie sensible oder
Im Krankenhaus (lokales oder regionales Trau- sensorische Beeinträchtigungen vorkommen.
mazentrum) sollte zumindest eine regelmäßige
Bewusstseinsbewertung (z. B. mittels GCS) erfol-
gen. Üblicherweise wird bei diesen Patienten auch Patienten mit penetrierenden
eine bildgebende Untersuchung erfolgen. Bei einer Verletzungen
Verschlechterung muss die Einstufung in die nächst Alle Patienten mit einer penetrierenden Verletzung
höhere Risikogruppe erfolgen. am Kopf, die die Integrität des Schädels insgesamt
In anderen Ländern wird auch bei dieser Risiko- beeinträchtigt, haben eine hohes Risiko auch für eine
gruppe nicht zwangsläufig eine Bildgebung erfolgen. begleitende Hirnverletzung.
Dies hat teilweise ökonomische Gründe, teilweise Penetrierende Verletzungen des Kopfes, die auch
sind auch diese Länder nicht so flächendeckend mit mit einer erheblichen Druckerhöhung im Schädel
CT ausgestattet. selbst einhergehen (z. B. Schussverletzungen) gehen
in der Regel auch mit einer (tiefen) Bewusstlosig-
keit einher.
5.3.3 Patienten mit einem Eine den knöchernen Schädel penetrierende
hohen Risiko nach einer Verletzung führt zu einem „offenen Schädel-Hirn-
Gewalteinwirkung auf den Kopf Trauma“. Dies sind in Deutschland glücklicherweise
(RK-III) seltene Verletzungen.
An der Unfallstelle werden demgegenüber häu-
Patienten mit einer anhaltenden figer so genannte „Skalpierungsverletzungen“ beob-
Bewusstseinsstörung und/oder weiteren achtet. Dabei führt die Gewalteinwirkung zu einer
neurologischen Defiziten Abscherung der Kopfschwarte bei erhaltener Inte-
Alle Patienten, die nach einer Gewalteinwirkung grität des knöchernen Schädels. Die Betrachtungs-
eine anhaltende Bewusstseinsstörung (GCS <15) situation von außen ist demgegenüber sehr martia-
aufweisen, ohne dass sie zu einer Gruppe mit weite- lisch. Die Kopfschwarte ist zurückgeklappt, alles sehr
ren Risiken (7 Abschn. 5.1.6) gehören. blutig und darunter schimmert die weiße Schädelde-
Besonders problematisch sind Patienten, die cke. Solche Skalpierungsverletzungen werden nicht
unruhig, fahrig, Fragen wiederholend, nicht adäquat selten als „offenes Schädel-Hirn-Trauma“ angekün-
antwortend, verlangsamt (!), sind. Manche haben digt. Soweit der Patient dabei wach und ansprech-
auch ein Dröhnen im Ohr, dem sie jedoch oft keine bar (GCS 15) und das Schädeldach gut und stufenlos
Beachtung schenken. Diese Störungen können auch tastbar ist, kann die Einteilung auch in die Risiko-
Folgen der Kopfprellung und/oder des Unfallschocks klasse II erfolgen.
5.4 · Thermische Einwirkung
123 5
Frakturen des Schädels mit Verletzung ein Koma. Weiter absinkende Körperkerntempera-
der harten Hirnhaut turen können zu einer Verminderung der Lebens-
Diese Verletzungen entstehen in der Regel aufgrund funktionen soweit führen, dass der Patient für tot
eines stumpfen Unfallmechanismus, bei dem die ein- gehalten wird. Bei Patienten, die mit einer Bewusst-
wirkende Gewalt nicht unbedingt groß gewesen sein seinsstörung im Freien oder im Wasser aufgefun-
muss (insbesondere bei älteren Patienten). den werden, sollte deshalb die Körpertemperatur
Kennzeichen dabei ist ein Liquoraustritt aus gemessen werden. Bei vermeintlich toten Patienten
der Nase (frontobasale Fraktur) oder aus dem Ohr in einer kalten Umgebung, müssen die Lebensfunk-
(laterobasale Fraktur). Manchmal wird die Verlet- tionen sorgfältig geprüft und ggf. Aufwärmmaß-
zung erst auch im CT erkennbar (Lufteintritt in den nahmen in geeigneten Einrichtungen (z. B. über
Gehirnschädel). Diese Verletzungen können unbe- eine Herz-Lungen-Maschine) versucht werden. Zu
handelt zu einer aufsteigenden Infektion in den beachten ist bei Rettungsversuchen der sog. Berge-
Gehirnschädels, zu einer Entzündung der Hirn- tod bei Unterkühlung. Dieser entsteht dadurch, dass
häute oder sogar des Gehirns führen. Auch (nicht es bei einer Unterkühlung zu einer Zentralisierung
selten relativ diskrete) Verletzungen der Hirnnerven des Kreislaufs kommt, die Extremitäten kühlen dabei
kommen vor. weiter ab. Durch Umlagerungsmaßnahmen kann es
zu einer Vermischung des kalten Extremitätenblu-
tes mit dem (noch) wärmeren Kernblut kommen,
Konsequenzen aus der Risikoeinstufung weshalb die Kerntemperatur weiter absinkt. Dies
in die Risikoklasse III kann zum Tod führen.
Patienten in der Risikogruppe „hohes Risiko“ (RK-
III) müssen in ein (möglichst überregionales) Trau-
mazentrum mit einer neurochirurgischen Abteilung. 5.4.2 Wärme
Soweit die Patienten zu einer Behandlungsver-
weigerung überhaupt noch in der Lage sind, müssen Eine Aufheizung der Körpertemperatur kann zu
sie ggf. zwangsweise mitgenommen werden, weil die einer Bewussteinsstörung bis hin zur Bewusstlo-
damit verbundene lebensbedrohende Eigengefähr- sigkeit führen. Der Temperaturanstieg kann sowohl
dung vermutlich verletzungs- und/oder intoxika- durch interne Mechanismen (Fieber, körperliche
tionsbedingt vom Patienten nicht überblickt werden Anstrengung) als auch durch äußere Wärmezufuhr
kann. (z. B. Sonne) entstehen. Etwa ab 39°C kann es dann
Im Krankenhaus müssen alle erforderlichen bild- individuell unterschiedlich zu einer Bewusstsein-
gebenden und operativen Verfahren Anwendung seintrübung bis hin zum Koma kommen.
finden. Bewusstseinsstörungen durch Fieber findet
man häufig bei alten Menschen, zu denen man
gerufen wird. Erst im Zuge der körperlichen Unter-
5.4 Thermische Einwirkung suchung wird dann der zuvor unbekannte Infekt
mit Fieber als Ursache erkennbar. Bei Sportlern,
5.4.1 Kälte bei denen hohe Leistungen abgefordert werden
(z. B. Marathonlauf), kann es zu einer Bewusstlo-
Eine absinkende Körpertemperatur führt zuneh- sigkeit aufgrund einer Hyperthermie kommen. Im
mend zunächst zu einer Bewusstseinseintrübung persönlichen Erfahrungsschatz als Notarzt wurde
und mit weiterem Absinken der Körperkerntem- ein Läufer einer 20 km Strecke im Ziel mit einer
peratur bis zur Bewusstlosigkeit. Wann diese ein- Körpertemperatur von 43°C mit einer GCS von 7
tritt, ist jedoch individuell verschieden. Etwa ab angetroffen.
34°C Körperkerntemperatur werden bereits einige Patienten mit einem so genannten „Sonnen-
Patienten schläfrig, ab 30°C Körperkerntempera- stich “ fallen immer wieder durch Kopfschmer-
tur geht diese in Bewusstlosigkeit über, ab 28°C in zen und/oder Bewusstseinsstörung auf. Meist sind
124 Kapitel 5 · Unklare Bewusstlosigkeit
es Patienten, die in der prallen Sonne eingeschla- Stromeinwirkung beim Patienten hinterlässt. Diese
fen sind und es dabei zu einer lokalen Überhitzung erschwert die körperliche Untersuchung.
des Kopfes gekommen ist. Man nimmt dabei eine Für das eingesetzte Rettungspersonal, das zu
Reizung der äußeren Strukturen der Hirnhäute und einem „bewusstlosen“ Patienten gerufen wird,
ggf. des Gehirns an. Patienten mit einer Überhit- der durch Stromeinwirkung betäubt ist, besteht
zung, bei denen Wärmeeintrag bzw. Wärmeentste- die Gefahr, dass die Ursache „Stromfluss“ nicht
hung und Wärmeabfuhr nicht im Einklang stehen, ohne weiteres erkennbar ist und somit die Einsatz-
können kollabieren (Hitzekollaps) oder bewusstlos kräfte selbst in Gefahr kommen. Hier ist insbeson-
werden (Hitzschlag). dere auf Hinweise zu achten, die einen Stromunfall
wahrscheinlich machen. Eigensicherung und die
5 5.5 Elektrischer Strom
Beachtung der 5 Sicherheitsregeln stehen dann im
Vordergrund.
55 Freischalten
Der elektrische Strom hat zwei relevante Verlet- 55 Gegen Wiedereinschalten sichern
zungswirkungen auf den menschlichen Körper. Im 55 Spannungsfreiheit feststellen
Niederspannungsbereich (<1000 Volt) entfaltet er 55 Erden und kurzschließen
eine „elektrische“ Wirkung, bei der Zellen depolari- 55 Benachbarte unter Spannung stehende Teile
siert werden. Fließt eine ausreichende Strommenge abdecken oder abschranken
durch das Gehirn, kommt es dabei zu einer massi-
ven Störung der Nerventätigkeit, die zur Bewusst- > Patienten mit durch Stromeinwirkung
losigkeit führt. Diese Stromwirkung wird beispiels- verursachte thermische Verletzungen
weise auch planmäßig zur Betäubung von Tieren müssen immer zu einem Zentrum für
(Schweine, Geflügel) genutzt. Werden Muskelzellen Brandverletzte transportiert werden, auch
oder motorische Nerven durchströmt, kommt es zu wenn die oberflächliche Verletzung (z. B.
Zuckungen und Verkrampfungen. kleine Stromeintritts- oder -austrittsmarke)
Steigen Stromstärke und Spannung an, kommt nur klein sind.
zur elektrischen Wirkung die „thermische“ Wirkung
hinzu. Dabei wird der Widerstand, den das Körper-
gewebe dem durchströmenden Strom entgegensetzt 5.6 Stoffwechselstörung
durch den starken Stromfluss überwunden und es
kommt, vergleichbar eines Heizdrahtes im Koch- 5.6.1 Glukosestoffwechsel
herd, mit steigender Stromstärke und Spannung zu
einer Erwärmung des Gewebes bis hin zur Verko- Die Unterzuckerung (Hypoglykämie) gehört bei
chung und Verkohlung. Trifft ein genügend starker Notfällen zu den am häufigsten Ursachen einer
Strom (z. B. Blitzschlag) den Kopf und strömt durch Bewusstseinsstörung bzw. einer Bewusstlosig-
das Gehirn entstehen dann nicht nur Bewusstlosig- keit. Aus diesen Gründen sollte bei Patienten mit
keit wie bei der elektrischen Wirkung, sondern auch einer Bewusstseinsstörung immer ein Blutzucker-
schwere und dauerhafte Schäden durch die thermi- test durchgeführt werden. Blutzuckerwerte werden
sche Einwirkung. Die thermische Einwirkung ent- in Milligramm pro Deziliter (mg/dl) oder in Mil-
steht regelmäßig im Hochspannungsbereich, kann limol pro Liter (mmol/l) angegeben. Die Norm-
aber auch schon im Niederspannungsbereich beob- werte reichen von 55–90 mg/dl, entsprechend
achtet werden. 3,1–5,0 mmol/l. Blutzuckerwerte darunter können
Neben den körperlichen Schäden, die der elek- mit abnehmender Höhe zur Bewusstseinsstörung
trische Strom insbesondere durch die thermi- bis zur Bewusstlosigkeit führen. Diese Bewusst-
sche Wirkung verursacht, kommt regelmäßig eine seinsstörung ist ohne Blutzuckertest und ohne
starke psychische Schockwirkung hinzu, die die die Informationen, dass der Patient (in der Regel
5.7 · Infektionen
125 5
insulinpflichtiger) Diabetiker ist, nicht ohne weite- Die Infektion erfüllt auch in der Regel nicht die Kri-
res von anderen Ursachen abgrenzbar. Die Ursache terien, die in Patientenverfügungen aufgeführt sind,
einer Unterzuckerung ist relativ einfach durch die wenn eine Krankenhauseinweisung abgelehnt wird,
Gabe von Glukose (oral, i.v.) behebbar. Was dann im weil sie meistens gut behandelbar ist.
Weiteren passiert, sollte von den Gesamtumständen Eine schwere Infektion kann auch bei niedrigen
abhängig gemacht werden (Lebenssituation, Erfah- Temperaturanstiegen im Rahmen einer Immun-
rungswerte, Bewusstseinsklarheit, Willen des Patien- schwäche (z. B. bei bestimmten Krebserkrankun-
ten mit einem GCS von 14–15 etc.). gen) oder aufgrund einer Medikamentengabe (z. B.
Eine Hyperglykämie ist demgegenüber nicht Kortison, Zytostatika) vorliegen.
rasch behebbar. Eine Hyperglykämie kann zu einem
„ketoazidotischem Koma“ (Geruch nach Azeton,
charakteristische Atmung), einem „hyperosmo- 5.7.2 Gehirnhautentzündung
larem Koma“ oder zu einer Laktatazidose führen, (Meningitis) (7 Kap. 4)
die alle mit einer Bewusstseinsstörung (bis hin zum
Koma) verbunden sein können. Alle drei Formen Ein Sonderfall ist die (bakterielle) Meningitis
der durch Hyperglykämie verursachten Störungen, (7 Kap. 4), die schnellstmöglich erkannt und t herapiert
sollten initial mit einer Volumentherapie behandelt werden sollte. Alle Bewusstseinsstörungen, die mit
und erst in Abhängigkeit von den klinischen Labor- Infektionszeichen und Genickstarre einhergehen,
werten spezifischer therapiert werden. sollten als Verdachtsfall auf eine Meningitis behan-
delt und in ein geeignetes Krankenhaus eingeliefert
werden. Es zählen dabei Minuten.
5.6.2 Bewusstseinsstörungen
aufgrund von Organversagen
5.7.3 Sepsis/septischer Schock
Das Versagen weiterer Organe, wie Niere und Leber, (7 Kap. 4)
kann ebenfalls zu einer Bewusstseinsstörung führen.
Hierzu muss eine symptomatische Therapie erfol- Die Sepsis, die außerhalb eines Krankenhauses ent-
gen und eine Einweisung in eine Klinik mit freien steht, rückt derzeit stärker in den Blickpunkt der Not-
Intensivkapazitäten. fallmedizin.2 Eine unbehandelte bakterielle Sepsis mit
Schockzeichen (insbesondere Hypotension) besitzen
eine hohe Sterblichkeit (Kumar et al. 2006). Patienten
5.7 Infektionen mit einem septischen Schock weisen häufig auch an
der Einsatzstelle (z. B. Wohnung) eine Bewusstseins-
5.7.1 Infektion mit Fieber störung auf. Ihr Zustand wird vom Einsatzpersonal
nicht selten unterschätzt. Ohne kreislaufstabilisie-
Jede Infektion, die mit Fieber einhergeht, kann unab- rende Maßnahmen können Patienten mit einem sep-
hängig von der Lokalisation und der Art der Ent- tischen Schock bereits auf dem Weg von der Wohnung
zündung auch zu einer Bewusstseinsstörung führen. in das Transportmittel kollabieren und versterben. Im
Häufig wird man zu Notfallpatienten lediglich auf- Rettungsdienst werden für solche Patienten vermehrt
grund der Bewusstseinsstörung gerufen, ohne dass so genannte „Sepsiskits“ vorgehalten, die zum einen
klar ist, dass eine Infektion mit Fieber dahinter- die Abnahme von Blutkulturen und zum anderen eine
steckt. Dies gilt insbesondere für ältere Menschen. antibiotische Initialtherapie möglich machen.
Ohne Temperaturmessung wird dann nicht selten
über andere Ursachen (z. B. Schlaganfall) spekuliert. 2 Siehe dazu das „Eckpunkte – Notfallmedizinische Versor-
Eine Infektion, die mit einer Bewusstseinsstörung gung der Bevölkerung in Klinik und Präklinik“, aktualisier-
einhergeht, sollte nicht zu Hause therapiert werden. te Fassung von 2016, derzeit im Druck.
126 Kapitel 5 · Unklare Bewusstlosigkeit
Eine Hyperventilation kann sehr viele verschie- 5.8.3 Psychogene Ohnmacht (Augen
dene Ursachen haben. Bevor man die Ursache geschlossen)
dem psychischen Bereich zuordnet, muss vorher
die pulsoxymetrische Messung nachweisen, dass Unter einer psychogenen Ohnmacht wird hier ein
keine Gasaustauschstörung bzw. kein Schockzu- „plötzliches Abschalten“ auf äußere oder innere Reize
5 stand vorliegt. Bei einem pulsoxymetrischen Wert verstanden. Die Patienten machen das entweder mehr
von z. B. 96–99% SaO2, und starker Hyperventi- oder weniger bewusst, um sich zu schützen, oder im
lation, die auch mit einer „fehlenden Ansprech- Sinne eines Erschöpfungsverhaltens. In der Regel sind
barkeit“ einhergehen kann, ist es zu rechtfertigen, es äußere Stressoren, die zu einer „psychischen Über-
eine psychisch bedingte Hyperventilation anzuneh- lastung“ führen. Sie kommt in allen Geschlechtern
men. Insbesondere, wenn die Symptomatik bereits und Altersgruppen vor, wobei sie bei Frauen häufi-
mehrfach beobachtet wurde. Bei einer vorhande- ger aufzutreten scheint. Die psychogene Ohnmacht
nen Bewusstseinsstörung ist der Wimperntest in ist nicht einfach zu erkennen. Wegweisend sind eine
der Regel positiv (beim Streichen über die Augen- Bewusstseinsstörung, die weder Ansprache noch
wimpern oder beim Versuch das geschlossene Auge Schmerzreizen zugänglich ist und absolut stabile
zu öffnen, wird geblinzelt). sonstige Vitalparameter (Blutdruck, Puls, Sauerstoff-
Die Therapie besteht darin, die Patienten von sättigung), sowie ein positiver Wimperntest. Diese
äußeren Stressoren abzuschotten und sie zu beru- Symptomatik in Verbindung mit psychischen Stres-
higen. Der vielfach geschulten und angewandten soren (z. B. familiär, beruflich) macht das Vorliegen
„Rückatmungstechnik mit Tüte“ liegt eine pathophy- einer psychogenen Ohnmacht wahrscheinlich.
siologische Annahme zugrunde, sie ist nicht evidenz- Die Therapie besteht darin, die Patienten aus
basiert. Allerdings kann sie zur Konzentration des dem Umfeld (z. B. Familie) zu entfernen und in
Patienten auf eine bestimmte Tätigkeit und damit zur den Rettungswagen zu bringen. Abschottung in der
Ablenkung führen. Wohnung reicht in der Regel nicht. Außerhalb der
In der Notarztpraxis gibt es Fälle, die sich weder symptomauslösenden Umgebung (z. B. Wohnung)
durch Beruhigung noch durch Rückatmungstüte wird man feststellen, dass häufig eine einfach Anspra-
noch durch Abschottung erfolgreich behandeln che genügt, damit zumindest die Augen wieder auf-
lassen. Insbesondere, wenn starke zusätzliche Sym- gemacht werden. Insbesondere bei muslimischen
ptome (Pfötchenstellung, Verkrampfungen etc.) Migrationsfamilien sollte beachtet werden, dass die
damit einhergehen. Oft ist dann eine medikamen- Mitbetreuung einer Patientin durch eine Frau (auch
töse Therapie (auch wenn man sie grundsätzlich für im RTW) vertrauensbildend ist.
diese Fälle ablehnt) die einzige Möglichkeit, die Sym- Die Erkennung der psychogenen Ohnmacht ist
ptome zu beheben. deshalb so wichtig, da ansonsten andere Diagnosen
befürchtet und entsprechende invasive Maßnahmen
auch eingeleitet werden.
5.8.2 Stupor aufgrund psychischer
Erkrankungen (Augen offen)
5.8.4 Krampfanfälle (7 Kap. 3)
Im Rahmen von psychischen Erkrankungen können
auch Bewusstseinsstörungen auftreten, die man als Eine Bewusstlosigkeit aufgrund eines Krampfanfalls
Stupor bezeichnet. Die Patienten sind wach, aber ist ein häufiger Notfall. Bei Krampfanfällen können
nicht zugänglich, die Vitalzeichen stabil. Als Ursa- Augenzeugen die Zuordnung „Krampfanfall“ dann
chen kommen Psychosen, eine Depression, eine machen, wenn der motorische Kortex (mit-)betroffen
5.8 · Psychische Erkrankungen/Störungen (7 Kap. 9)
127 5
ist, da dann äußerlich erkennbare Zuckungen der aber auch im Liegen durch die Zuckungen mit
Muskulatur (z. B. tonisch-klonisch) die Zuordnung Kontakt zu Möbeln entstehen. Der Status epilep-
erleichtern. Dabei ist es bei großen Krampfanfällen ticus führt auch zu einer Beteiligung nahezu aller
einfacher als z. B. bei fokalen Krampfanfällen mit motorischen Nerven, so dass neben dem Bewusst-
mehr oder weniger diskreten Zuckungen. sein auch die Atmung behindert ist. Wird dabei auch
Von unkomplizierten Krampfanfällen spricht noch Mageninhalt hoch gedrückt, kann dieser in die
man, wenn sie in der Regel nicht länger als 2 min Atemwege gelangen. Insbesondere bei Kindern tritt
andauern und von selbst zum Stillstand kommen nach Abklingen des Anfalls nicht selten Erbrechen
(Terminus: der Krampfanfall ist abgelaufen). Halten auf. Hochgedrückter oder erbrochener Nahrungsbrei
die Anfälle länger, werden sie als „komplizierte“ kann die Atemwege lebensbedrohlichen verlegen.
oder „prolongierte“ Krampfanfälle bezeichnet. Durch das beständige Zucken der Muskeln greifen
Dauern sie länger als 5 min (manche Autoren erst die Schutzreflexe dabei nicht. Durch die Beteiligung
nach 10 min der 15 min) an und kommen nicht selbst des Zwerchfells (Zuckungen) wird auch die Atem-
zum Stehen, spricht man von einem „Status epilepti- mechanik gestört, so dass es auch ohne Erbrechen
cus“. Das können auch Anfallsserien sein, zwischen zu einer Sauerstoffmangelversorgung kommen kann.
denen der Patient das Bewusstsein nicht vollständig Eine Beeinträchtigung der Sauerstoffversorgung
wiedererlangt. kann sich deshalb schnell kritisch für die Vitalfunk-
Nach außen hin werden die Krampfanfälle oft tionen des Patienten auswirken.
durch eine Störung des Bewusstseins deutlich. Sind Erste Basismaßnahme ist deshalb, den Patienten
auch motorisch-steuernde Nerven betroffen, werden bei einem Krampfanfall vor Verletzungen zu schüt-
die Krampfentladungen der Nervenzellen durch zen und auf eine unbehinderte Atmung zu achten
Zucken der betroffenen Muskeln (klonisch) oder (z. B. Seitenlage wenn möglich). Bei einem Status epi-
Steifigkeit (tonisch) auch für außen stehende Beob- lepticus oder bei wiederkehrenden Anfällen kommt
achter als solche erkennbar. der medikamentösen Unterbrechung des Krampf-
Fokale Krampanfälle können auch in generali- anfalls eine entscheidende Rolle zu.
sierte Krämpfe übergehen. Bei Anfällen, die sich selbst terminieren, spricht
Zahlreiche Ursachen können neben einer Epi- nach dem Erlöschen des Krampfanfalls von einem
lepsie, Krampfanfälle auslösen, u. a. Vergiftungen, „abgelaufenen Krampfanfall“. Nach dem Anfall
Sauerstoffmangel, Verletzungen, Blutungen, Infek- wachen die Patienten entweder
tionen, Tumoren, Gefäßverschlüsse, Meningitis etc. 55 langsam wieder auf, wobei sie anfangs völlig
Die Einteilung in die (sehr große!) entsprechenden desorientiert sind, weder Namen noch Ereignis
Gruppen von Epilepsieerkrankungen erfolgt im erinnern,
Wesentlichen durch die klinische Beobachtung, das 55 oder sie gehen in einen (längeren) Schlafzu-
EEG (Elektroenzephalogramm) und weitere Unter- stand über (sog. „postiktaler Schlaf “ oder
suchungen (z. B. CT, MRT etc.). „Nachschlaf “), aus dem sie oft nur schwer
Patienten mit einer Epilepsieerkrankung werden erweckbar sind,
üblicherweise mit entsprechenden Medikamenten 55 oder sie machen eine Art Durchgangssyndrom
eingestellt, so dass sie entweder keine Anfälle mehr mit Desorientierung, Unruhe, Schreien und/
haben, oder ihre Häufigkeit reduziert ist. oder Rumschlagen durch und erholen sich erst
Kurz dauernde Anfälle sind nicht bedrohlich und danach wieder.
schädigen, nach allem was man weiß, auch nicht das
Gehirn. Lang anhaltende oder in kurzen Abständen
(Minuten) wiederkehrende Anfälle und insbeson- Krampfanfälle als Notfall
dere der Status epilepticus können lebensbedrohli- Bei abgelaufenen Krampfanfällen und einer kurzen
che Akuterkrankungen darstellen. Krampfphase (sog. unkomplizierten Krampfanfäl-
Dabei können sich die Patienten Knochen- len) ist eine medikamentöse Therapie in der Regel
brüche, Prellungen und Quetschungen (auch von unnötig. Die Patienten müssen üblicherweise nur
inneren Organen) zuziehen, die durch den Sturz, überwacht werden, bis sie sich wieder stabilisiert
128 Kapitel 5 · Unklare Bewusstlosigkeit
haben. Dies gilt insbesondere für die Patienten, die von der Verfügbarkeit aller dafür notwendigen Mittel
regelmäßige (z. B. täglich, oder mehrfach täglich) und von der Stabilität der Umgebung.
Krampfanfälle erleiden und deren Verlauf gut Die Aufhebung der medikamentös verursach-
bekannt ist. Die Quote, bei der erneut ein Krampfan- ten Atemlähmung kann durch ein Gegenmittel
fall auftritt, ist üblicherweise gering (ca. 5%). Ledig- (Antidot) aufgehoben werden. Bei Benzodiazepinen
lich bei einer fortbestehenden und unbehandelten ist das das z. B. Medikament Flumazenil (z. B. Anne-
Ursache (z. B. Infekt mit Fieber) besteht ein höheres xate). Wenngleich auch Flumazenil intranasal verab-
Risiko für einen neuen Anfall. Das Wesen des „abge- reicht werden kann, ist die dosierte und erfolgreiche
laufenen Krampfanfalls“ ist, dass er von selbst zum Anwendung über einen venösen Zugang besser. Die
Stehen gekommen ist. Anlage eines i.v. Zugangs nach einem medikamen-
5 Der „Status epilepticus“ wird bei den üblichen tös behandelten bzw. durchbrochenen Krampfanfalls
Eintreffzeiten des Rettungsdienstes in Deutschland empfiehlt sich im Notfall allerdings schon deshalb, da
in der Regel innerhalb von Minuten medikamentös weiterhin der Beeinträchtigung der Atmung gegeben
beendet. Unbehandelt weist er eine hohe Sterblich- sein und auch ein erneuter Krampfanfall besser über
keitsrate auf (>10%). einen i.v. Zugang behandelt werden kann. Die int-
Es gibt eine Reihe von Medikamenten, die geeig- ranasale (oder rektale oder bukkale oder intramus-
net sind, einen Status epilepticus zu durchbrechen. kuläre) Gabe von Medikamenten ist deshalb in die
Im Rettungsdienst werden dazu in erster Linie Wirk- Behandlung von Krampfanfällen eingeführt worden,
stoffe aus der Gruppe der Benzodiazepine eingesetzt. weil die Behandlung notwendig und der i.V. Zugang
Alle diese Medikamente haben als wesentliche, aufwendig bzw. sogar unmöglich sein kann.
dosisabhängige Nebenwirkung die Dämpfung des Die Anflutung des Medikamentes hängt vom
Atemantriebs. Das bedeutet, dass – zusätzlich in Applikationsweg ab. Trotzdem die i.v. Gabe die
Abhängigkeit von der individuellen Empfindlich- schnellste Anflutung ermöglicht, sind wirksame
keit – mit einer steigenden Dosis des Benzodiaze- Medikamentenspiegel im Blut auch über die anderen
pins mit einer zunehmenden Dämpfung des Atem- Wege rasch erzielbar.
antriebs gerechnet werden muss. Gerade bei einem Einen medikamentös durchbrochenen Status
Status epilepticus kann diese Dämpfung des Ateman- epilepticus bezeichnet man üblicherweise nicht als
triebs schon auftreten, noch bevor der Krampfanfall „abgelaufenen Krampfanfall“, sondern als „(medi-
unterbrochen werden konnte. Das kann auch passie- kamentös) durchbrochenen Status epilepticus“ oder
ren, wenn man im vorgeschriebenen Dosisbereich „medikamentös beendeten Krampfanfall“. Eine
geblieben ist, da die Empfindlichkeit für eine Atem- präzise Begriffswahl durch den Notarzt ist schon
depression individuell verschieden ist. deshalb erforderlich, da bei der Anmeldung von
Dennoch gibt es immer wieder Fälle, in denen Patienten in der Klinik der Begriff eine bestimmte
mit Benzodiazepinen ein Status epilepticus nicht Ressourcenvorbereitung bis hin zur Oberarztinfor-
unterbrochen werden kann, auch wenn die Höchst- mation (im Bereitschaftsdienst) oder zur Intensiv-
dosis gegeben oder in Form von wiederholten Gaben station auslöst oder nicht.
überschritten worden ist. Die nächste Behandlungs- Im Rettungsdienst stehen unterschiedliche
stufe ist die Versetzung in Narkose, wozu dann auch Medikamente und Applikationsformen zur Verfü-
die Atemwegssicherung mit Intubation und maschi- gung, die geeignet sind, einen Status epilepticus zu
neller Beatmung gehören. behandeln und zu unterbrechen.
Dieses Vorgehen ist bei einem andauernden Auf jeden Fall sollte im Rahmen eines neu auf-
Status epilepticus ein kritischer Prozess, der jeder- getretenen Krampfanfalls auch ein EKG geschrieben
zeit durch eine (dann auch oft) unvermeidliche Kom- werden. Immer wieder kommt es vor, dass Patienten
plikation verschärft werden kann. Dazu gehören die aufgrund eines „Adam-Stokes-Anfalls“ auf der Basis
plötzliche Atemlähmung, das Erbrechen oder eine einer Herzrhythmusstörung in die Schiene „Krampf-
andere Atemwegsverlegung. Die erfolgreiche Beherr- leiden“ gesteckt werden, wodurch die zugrundelie-
schung einer solchen Situation ist dann abhängig von gende kardiale Erkrankung unentdeckt und unbe-
der Erfahrung des (Not-)Arztes und seines Teams, handelt bleibt.
5.9 · Vergiftungen
129 5
Entscheidungsfindung Risikofaktoren aufweisen (z. B. Fieber, Stoffwechsel-
Patienten möchten nach einem Krampfanfall oft störungen, Verletzungen, GCS <15 etc.) sollten sta-
gerne zu Hause, am Arbeitsplatz oder auch in der tionär mindestens für mehrere Stunden beobachtet
Öffentlichkeit verbleiben. Umstehende und auch das und ggf. weitere Untersuchungen eingeleitet werden.
Einsatzpersonal des Rettungsdienstes tun sich regel- Dazu gehören auch Kinder nach einem Fieberkrampf
haft schwer, einen Patienten, der gerade bewusstlos (egal, ob mit oder ohne Medikation), da auch andere
und zuckend z. B. am Boden lag, nach kurzer Zeit Ursachen hier in Betracht kommen können (z. B.
weiterarbeiten oder auch am Verkehr teilnehmen zu Meningitis).
lassen. Da es in jüngster Zeit mehrere strafrechtliche Als weitere Risikofaktoren können Umgebungs-
Ermittlungen gegen Einsatzpersonal des Rettungs- variablen angesehen werden, die es nicht als verant-
dienstes wegen Freiheitsberaubung gegeben hat, ist wortbar erscheinen lassen, dass der Patient nach
bei der Entscheidung „Mitnehmen oder Dalassen“ einem Krampfanfall alleine verbleiben kann. Dazu
eine Risikostratifizierung erforderlich. In die Risi- zählen widrige Wetterverhältnisse, das Fortsetzen
koklassifizierung geht als Risiko nicht nur der mög- einer Tätigkeit im Verkehr als Fahrzeugführer, eine
liche Hirnschaden ein, sondern unter Risiko wird Wohnumgebung, die als lebensfeindlich bezeichnet
hier auch das erneute Auftreten eines Anfalls, ggf. werden kann.
mit einem größeren Schweregrad verstanden. Die Einstufung und Aufklärung eines orientier-
ten und einsichtsfähigen Patienten in Verbindung
Risikoklasse I (RK-I): Geringes Risiko mit der Bewertung weiterer Risikofaktoren sollte von
Patienten mit einer bekannten Epilepsie und einer erfahrenen (Not-)Ärzten insbesondere dann vorge-
vorhandenen Betreuung. Bei diesen Patienten ist nommen werden, wenn die Patienten nicht in ein
üblicherweise eine Epilepsie diagnostiziert, damit Krankenhaus mitfahren wollen.
nachgewiesen und in der Regel auch medikamen-
tös behandelt. Sie haben regelmäßig (oft auch mehr- Risikoklasse III (RK-III): Hohes Risiko
mals am Tag) Krampfanfälle. Es gibt oft Angehörige, Patienten mit einem länger andauernden Krampf-
die darüber berichten können, oder der Patient hat anfall, nach Anfallsserien oder nach einem medika-
einen dementsprechenden Notfallausweis dabei. mentös durchbrochenen Krampfanfall sowie Patien-
Nach einem unkomplizierten Krampfanfall mit ten, bei denen eine anhaltende Bewusstseinsstörung
einer raschen Reorientierung (GCS 15) möchten die fortbesteht, sollten auf jeden Fall in ein geeignetes
Patienten oft zu Hause bleiben oder in der Öffent- Krankenhaus. Auch Patienten mit Krampfanfällen
lichkeit ihre Tätigkeiten fortsetzen. Die Vitalwerte in Zusammenhang mit einer Suchterkrankung (z. B.
und die Befunde und Messwerte (Blutzucker!) sind Alkoholabhängigkeit) sollten auf jeden Fall statio-
normal und sie haben keine weiteren Risikofakto- när behandelt werden, da der Krampfanfall oft das
ren (z. B. ansteigendes Fieber, Verletzungen, etc.). erste Anzeichen eines beginnenden Delirs sein kann.
Eine Betreuung und Überwachung ist durch Ange- Bei Hinweisen auf einen Schlaganfall sollte dies ein
hörige oder Kollegen gesichert und diese sind auch Krankenhaus sein, das eine rasche Bildgebung (CT)
bereit die Betreuung zu übernehmen. Diese Patien- und ggf. eine Lysebehandlung durchführen kann.
ten können nach Aufklärung auch vor Ort verblei-
ben, da sie selbst über sich bestimmen können.
5.9 Vergiftungen
Risikoklasse II (RK-II): Höheres Risiko
Patienten mit einer unbekannten Epilepsie und 5.9.1 Alkohol (Ethanol)
oder weiteren Risikofaktoren. Bei einem neu auf-
getretenen Krampfanfall sollte der Patient immer in Alkohol (Ethanol, C2H5OH) ist nach wie vor die
eine Klinik mit neurologischer Abteilung verbracht häufigste Ursache für eine extrinsische Bewusst-
werden, damit die Ursachen diagnostiziert werden losigkeit. Ethanol ist in einer Vielzahl von (meist
können. Auch Patienten mit einer bekannten Epilep- flüssigen) Nahrungsmitteln in unterschiedli-
sie oder wiederkehrenden Anfällen, die zusätzliche cher Konzentration enthalten. Mit steigenden
130 Kapitel 5 · Unklare Bewusstlosigkeit
Blutalkoholkonzentrationen wird die Tätigkeit der Betroffenen behandelt werden oder kann man
Körperzellen reversibel gehemmt. Speziell die Beein- sie auch unbehandelt lassen ?
trächtigung der Nervenzellen wird nach außen hin 55 Müssen Untersuchungen (z. B. CT) gegen den
durch Verhaltensänderungen und Reaktionsbeein- Willen des Patienten durchgeführt werden, oder
trächtigungen rasch bemerkbar. Die Alkoholtoleranz kann man warten, bis er wieder nüchtern ist ?
ist von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich und
auch vom regelmäßigen Alkoholkonsum abhängig. Alle diese, hier nicht abschließend, gestellten Ent-
Im Blut sind üblicherweise schon 0–0,1‰ Ethanol scheidungen können zu Schäden bei Patienten
enthalten, ab 0,2‰ werden, individuell verschieden, führen, wenn nicht die notwendigen Maßnahmen
erste Veränderungen im Verhalten und in der Reak- eingeleitet bzw. durchgeführt worden sind. Der vor
5 tionsfähigkeit bemerkbar. Etwa ab 2,5‰ tritt eine Ort Belassene kann im Freien einschlafen/bewusst-
ethanolinduzierte Bewusstlosigkeit, ab etwa 4‰ ist los werden und erfrieren. Er kann unkontrolliert als
mit Todesfällen zu rechnen. Fußgänger in den Autoverkehr laufen. Er kann ran-
In der täglichen medizinischen Praxis ist Ethanol dalieren und andere verletzen. Er kann eine nicht
als akute Vergiftung ein erhebliches Problem. Durch diagnostizierte Hirnverletzung haben und im wei-
die Verhaltensänderung (Redseligkeit, Stimmung teren Verlauf daran sterben. Umgekehrt kann aber
heiter bis aggressiv, randalierend etc.) sind Men- auch ein leicht Angetrunkener mit erheblicher Kraft-
schen selbst bei geringen Blutethanolkonzentrati- aufwendung gegen seinen Willen mitgenommen
onen oft nur wenig kooperativ und damit nur ein- worden sein, ohne dass sein leichter Alkoholkon-
geschränkt untersuch- und beurteilbar. Schläfrige sum seine Steuerungsfähigkeit eingeschränkt hätte
und schlafende Betrunkene, die aufgrund der Etha- oder ein gesundheitliches Risiko zu befürchten war.
nolkonzentration so in der Öffentlichkeit auffallen, Hier kann dem Rettungsdienstpersonal schnell Frei-
werden von Passanten, Angehörigen und sonstigen heitsberaubung vorgeworfen werden.
Beobachtern häufig als Notfall gemeldet. Es stellt sich Aus diesen Gründen ist auch hier eine Risikostra-
dabei immer auch die Frage, in welchem Intoxikati- tifizierung notwendig. Dabei wurde zuvor schon eine
onsstadium sich der Betroffene befindet. Intoxikation mit Ethanol als eigener Risikofaktor in
55 Entsprechen die vorliegenden Beobach- die Risikostratifizierung bei anderen Erkrankungen
tungen und Befunde schon dem Vollbild der und Verletzungen mit aufgenommen worden. Auch
aufgenommenen Ethanolmenge, oder ist mit hier gilt: Nicht der schwer intoxikierte, bewusst-
weiterer Resorption zu rechnen? lose Patient ist bei der Entscheidungsfindung das
55 Ist der Betroffene noch steuerungsfähig? Problem, sondern der noch wache Betrunkene, der
55 Kann er am Verkehr (auch als Fußgänger) noch aber eingeschränkt steuerungsfähig ist und der sich
teilnehmen? gegen alles und jedes wehrt und eigenständig seinen
55 Sind die (fremd-)anamnestischen Angaben zur Weg fortsetzen möchte. Wie in anderen Fällen auch
Alkoholmenge glaubhaft? kann eine risikostratifizierte Entscheidungsfindung
55 Gibt es zusätzliche Verletzungen, Erkran- nicht alle Risiken beseitigen, aber die Anwendung
kungen oder Drogeneinnahmen? einer solchen erfüllt den Sorgfaltsmaßstab.
Für das Vor-Ort-belassen muss ebenso wie bei
Bei einem notfallmäßig vorgefundenen Betrunke- der Verletzung eine Risikostratifizierung vorgenom-
nen sind dabei Entscheidungen zu treffen, die häufig men werden. Dies ist insbesondere schon deshalb
von den Willensäußerungen des Betroffenen über- von Bedeutung, da für diesen Patienten eine externe
lagert werden: Einstufung durch Angehörige oder Passanten zur
55 Kann der Betroffene auf eigenen Wunsch vor Alarmierung des Rettungsdienstes geführt hat.
Ort bleiben oder muss er in eine Einrichtung,
die ihn überwachen kann ? > Soweit eine höhere Risikoklassifizierung
55 Müssen die festgestellten Verletzungen (z. B. erfolgt, ist zu beachten, dass eine
große Kopfplatzwunde) gegen den Willen des Behandlung oder Überwachung des
5.9 · Vergiftungen
131 5
Patienten dann ggf. gegen seinen erklärten –– Einstufung durch Fachpersonal „Patient
Willen erfolgen muss. Insofern sind die ist eingeschränkt einsichtsfähig“
möglichen Risiken und der Wille des –– Überblickt das eigene Handeln nur
Patienten gegeneinander abzuwägen. eingeschränkt und ist steuerungsfähig“
–– Isolierte Alkoholintoxikation nicht
55 Risikoklasse I glaubhaft (Hinweise auf weitere Drogen)
44Definition: Alkoholintoxikation mit –– Patient nicht oder wenig aggressiv
einemgeringen Risiko auf Lebensgefahr – konversationsfähig, eingeschränkt
oder schweren gesundheitlichen Schäden. vereinbarungsfähig
44Einstufungskriterien: Folgende Kriterien –– Verletzungen (z. B. kleine Platzwunden)
lassen bei Patienten mit einer Alkoholin- –– Hinweise auf beeinträchtigte Vitalpara-
toxikation die Einstufung in diese Risiko- meter (auch abgesunkene oder erhöhte
gruppe I zu: Körpertemperatur)
–– Patient wach, GCS 14–15 44Konsequenzen aus der Risikoeinstufung
–– Einstufung durch Fachpersonal „Patient in die Risikoklasse II: Der Patient sollte in
ist einsichtsfähig, überblickt das eigene einem Krankenhaus weiter untersucht und
Handeln und ist steuerungsfähig“ beobachtet werden. Ggf. müssen auch die
–– Isolierte Alkoholintoxikation und - kleinen Verletzungen behandelt werden.
menge glaubhaft (keine Hinweise Wehrt sich der Patient gegen eine Unter-
auf weitere Drogen oder exzessive suchung oder gegen den Transport in ein
Mengen) Krankenhaus sollte der Notarzt hinzuge-
–– Patient nicht oder wenig aggressiv – zogen werden. In der Abwägung der Risiken
konversations- und vereinbarungsfähig und des Willens des Patienten muss nach
–– Kein Hinweis auf Verletzungen erfolgter Aufklärung entschieden werden,
–– Umgebungsvariable (z. B. Wetter) stellen ob der Patient vor Ort verbleiben kann oder
keine zusätzliche Gefahr dar nicht. Wird entschieden, dass der Patient vor
44Konsequenzen aus der Risikoeinstufung in Ort bleiben kann, weil bei der Bewertung die
die Risikoklasse I: Die Konsequenz daraus Willensäußerung höherrangig bewertet wird
ist, dass der Patient vor Ort verbleiben kann, als die möglichen Risiken durch die Alkohol-
wenn er das möchte und eine Betreuung intoxikation, sollten die Rahmenbedin-
durch Angehörige erfolgen kann. Im gungen (stabile Vitalparameter, Betreuung,
Einzelfall muss entschieden werden, ob Wetter, Fahrtstrecke, mögliche Verletzungen)
trotz fehlender Betreuung der Patient vor den Verbleib rechtfertigen. Wird entschieden,
Ort bleiben kann. Stellt das Wetter eine dass der Patient in ein Krankenhaus trans-
zusätzliche Gefahr dar, sollte der Transport portiert werden muss, also die Risiken höher
nach Hause organisiert und ggf. überwacht als der erklärte Wille bewertet werden, erfolgt
werden. die Klassifizierung in Risikogruppe III.
55 Risikoklasse II 55 Risikoklasse III
44Definition: Alkoholintoxikation mit einem 44Definition: Alkoholintoxikation mit einem
höheren Risiko auf Lebensgefahr oder hohen Risiko auf Lebensgefahr oder
schweren gesundheitlichen Schäden schweren gesundheitlichen Schäden
44Einstufungskriterien: Folgende (und/oder) 44Einstufungskriterien: Folgende (und/oder)
Kriterien führen bei Patienten mit einer Kriterien führen bei Patienten mit einer
Alkoholintoxikation zu der Einstufung in Alkoholintoxikation zu der Einstufung in
die Risikoklasse II: die Risikoklasse III:
–– Patient wach, jedoch beeinträchtigt GCS –– Patient noch wach aber erheblich
12–13 beeinträchtigt GCS <13
132 Kapitel 5 · Unklare Bewusstlosigkeit
–– Einstufung durch Fachpersonal „Patient Bei diesen Patienten stellt sich die Frage, ob und
ist nicht einsichtsfähig, überblickt das in welchem Umfang eine Antidotbehandlung ein-
eigene Handeln nicht mehr und/oder ist geleitet werden soll und was nach dem Aufwachen
nicht steuerungsfähig“ mit dem Patienten weiter geschehen soll. Hier gibt es
–– Schwere Alkoholintoxikation ohne oder sehr unterschiedliche Ansichten, die aufgrund der
mit weiteren Drogen (fehlenden) Literatur keine Entscheidungsrichtung
–– Patient nicht mehr konversations- und zulassen.
vereinbarungsfähig In der notärztlichen Erfahrungspraxis werden
–– Offensichtliche oder vermutete schwere Intoxikation durch eine Antidotgabe beendet, da
Verletzungen es für das Fortbestehen der Intoxikation mit Beein-
5 –– Erhebliche Vorerkrankungen, die in trächtigung von Vitalparametern keinen rechtfertig-
Verbindung mit der Alkoholintoxikation baren Grund gibt. Bei dem Aufwecken der Patienten
zusätzlichen Risiken bergen nach der Antidotgabe setzt man auf beruhigen-
–– Instabile Vitalparameter des Zusprechen und nicht auf (mehr oder weniger
44Konsequenzen aus der Risikoeinstufung starke) Schmerzreize. Nach Erwachen und Beob-
in die Risikoklasse III: Der Patient muss in achten des Patienten kann er in der Regel, soweit
einem Krankenhaus weiter untersucht und die Antidotgabe ausreichend war bzw. keine weite-
behandelt werden. Wehrt sich der Patient ren Drogen bewusstseinsbeeinträchtigend wirken,
gegen eine Untersuchung oder gegen den beraten und aufgeklärt werden. Er kann sich dann
Transport in ein Krankenhaus muss der entscheiden, ob er mit in ein Krankenhaus oder vor
Notarzt hinzugezogen werden. In der Ort (mit allen Risiken) verbleiben möchte. Diese
Abwägung der Risiken und des Willens des Risiken werden insbesondere darin gesehen, dass
Patienten muss nach erfolgter Bewertung die Antidotwirkung kürzer ist als die Wirkung des
entschieden werden, ob der Patient in Heroins. Ob das eine klinisch relevante Auswir-
Risikoklasse III verbleibt oder in Risiko- kung hat, ist bislang nicht systematisch untersucht
klasse II eingestuft wird. Verbleibt er in worden. Von einem Belassen in einem intoxikierten
Risikoklasse III, muss er in ein Krankenhaus Zustand mit dem Ziel, dass der Patient nach dem
transportiert werden. Ggf. müssen die Aufwachen nicht flüchtig ist und vor Ort bleiben
dafür erforderlichen Zwangsmaßnahmen möchte, wird dringend abgeraten: Zum einen, weil
angewandt werden. die Intoxikation selbst Risiken birgt, zum anderen,
weil der mutmaßliche Wille des Patienten nicht in
die Richtung einer fortbestehenden, ggf. lebensbe-
5.9.2 Sedativa/Narkotika drohlichen intoxikationsbedingten Bewusstlosig-
keit geht.
Heroin
Heroin ist nach wie vor ein häufiger Einsatzgrund
für eine unklare Bewusstlosigkeit. Während im 5.9.3 Medikamente/Drogen
Drogenmilieu die Umstände, Einstichstellen und
Materialien relativ rasch eine Heroinintoxikation Bei allen Medikamenten und Drogen, die im Rahmen
wahrscheinlich machen, ist das in einem bürgerli- einer Überdosierung (z. B. versehentlich, aus suizida-
chen Umfeld nicht immer ohne weiteres möglich. len Gründen, aus kriminellen Gründen etc.) zu einer
Soweit der Patient noch bei Eintreffen lebt, ist eine Bewusstseinsstörung oder zum Tod führen können,
starke Atemdepression mit schnappartigen, grun- ist der Transport in ein Krankenhaus erforderlich.
zenden Atemgeräuschen alle 8–10 Sekunden ein Die Behandlung erfolgt im Notfall symptomatisch
Hinweis auf eine Heroinintoxikation. War die Dosis (BZ-Messung nicht vergessen!). Die Gefährlichkeit
stärker, ist der Patient meist schon bei Eintreffen rea- kann durch die Beratung einer Vergiftungszentrale
nimationspflichtig oder tot. besser bewertet werden.
5.9 · Vergiftungen
133 5
5.9.4 Gase Kohlendioxid (jahreszeitliche Schwankungen und
jährlicher Anstieg von 2 ppm). Die Ausatemluft
Kohlenmonoxid (CO) enthält 4% CO2.
Die Kohlenmonoxidvergiftung ist eine der gefähr- Mit ansteigender CO2-Konzentration (Hyperka-
lichsten und tückischsten Vergiftungen, die zu einer pnie) im Blut reagieren zunächst die CO2-Sensoren
unklaren Bewusstlosigkeit führen können. Kohlen- im menschlichen Körper und es wird als Gegenre-
monoxid ist geruchlos und entsteht bei allen unvoll- gulation unwillkürlich die Atemfrequenz erhöht.
ständigen Verbrennungen eines kohlenstoffhaltigen Steigt die CO2-Konzentration in der Atemluft über
Materials. Bereits bei sehr niedrigen Konzentratio- 4% (entspricht auch dem prozentuale Anteil der Aus-
nen (ab 30 ppm Luftkonzentration) kann es zu initial atemluft) weiter an, entsteht individuell verschieden
sehr unspezifischen Symptomen kommen, die sich ab etwa 7% eine CO2-Narkose. Ein CO2 Anstieg im
ohne Messung nur sehr schwer auf CO zurückfüh- Blut kann innere und äußere Ursachen haben. Als
ren lassen. innere Ursachen können Vergiftungen in Betracht
Farbensehen, Krampfanfälle, Verwirrtheit, kommen und Lungenerkrankungen. Speziell bei den
Unkonzentriertheit, Lähmungen, Erbrechen, bis Lungenerkrankungen (z. B. schwere COPD), Lun-
hin zur Bewusstseinsstörung und Bewusstlosigkeit genfibrose etc.) kann es auch zur chronischen Hyper-
sind Symptome, die im Rahmen einer CO-Vergiftung kapnie kommen. Bei Notfällen sind häufig äußere
beobachtet werden können. Online gibt es zahlrei- CO2-Anstiege ursächlich für Bewusstseinsstörun-
che Übersichten zum Vorkommen von CO-Quellen, gen bis hin zum Tod.
die zu Schäden an Patienten führen können. Beson- Hohe CO2-Konzentrationen können in Sicker-
ders häufig im häuslichen Umfeld sind dabei auch gruben, Weinkellern, Brunnen, speziell geformte
defekte Gasthermen (www.ikz.de). In der Öffentlich- Mulden und (Keller-)Räume sein. Kohlendi-
keit kommen CO-Vergiftungen auch immer wieder oxid wird auch technisch bei so genannten CO2-
in so genannten „Shisha-Bars“ vor. Löscheinrichtungen3 und zur Narkose von Tieren
In der eigenen gutachterlichen Praxis ist ein Fall in Schlachthöfen eingesetzt. Bei unklarer Bewusst-
vorgekommen, bei dem eine Patientin mit einer losigkeit ist deshalb nach inneren und äußeren Ursa-
unklaren Bewusstlosigkeit als „Verdacht auf Schlag- chen zu fahnden.
anfall“ in eine Stroke Unit eingeliefert und behan-
delt worden ist. In diesem Fall wurde erst nach
Wochen die (wahrscheinliche) Ursache CO-Vergif- Schwefelwasserstoff (H2S)
tung dadurch zuordnungsbar, dass in der gleichen Schwefelwasserstoff (H2S) entsteht bei allen Degra-
Wohnung erneut eine CO-Vergiftungen bei einer dierungsvorgängen schwefelhaltiger Produkte. H2S
Angehörigen aufgetreten ist. Insofern muss bei der ist ubiquitär vorhanden und am Geruch von faulen
differenzialdiagnostischen Abklärung in der Klinik Eiern (nicht alle Menschen können das riechen!)
eine mögliche CO-Vergiftung mit berücksichtigt erkennbar. H2S ist sehr giftig. Ab etwa 200 ppm
werden, da der Umgebungskontext nach Einliefe- führt seine Giftwirkung zur Blockade der Geruchs-
rung ins Krankenhaus dann fehlt. Im Rettungsdienst nerven. Ab etwa 500 ppm werden Menschen davon
setzen sich immer mehr CO-Warngeräte durch, die bewusstlos. Auch hier sind die Umgebungsinforma-
bereits beim Betreten einer Wohnung mit einer CO- tionen von wesentlicher Bedeutung für die Diagnose.
Atmosphäre alarmieren. Patienten, die während ihrer Arbeitstätigkeit in Müll-
deponien, Biogasanlagen, Kläranlagen, Gerbereien,
und chemischen Betrieben, bewusstlos geworden
Kohlendioxid (CO2) sind, können eine H2S-Vergiftung haben.
Kohlendioxid entsteht bei Verbrennungs- und
Gärungsprozessen. Es ist schwerer als Luft. Dort wo
es sich aufgrund der baulichen Situation sammeln 3 Spektakulärer CO2-Unfall: http://www.rp-online.de/
kann, nimmt seine Luftkonzentration zu. Übli- panorama/deutschland/107-verletzte-bei-gas-un-
cherweise enthält die Einatemluft rund 387 ppm fall-aid-1.476382
134 Kapitel 5 · Unklare Bewusstlosigkeit
Schwindel
C. Helmchen
Literatur – 155
peripher
(rechts)
Nystagmus
links
6
Alexandersches Gesetz: Nystagmuszunahme in Richtung der
schnellen Phase
zentral
BRN beidseils
(richtungs-
wechselnd)
. Abb. 6.1 Blickrichtungsverhalten eines Spontannystagmus: Differenzierung zwischen zentraler und peripherer Ursache
a b
c d e
. Abb. 6.2 a–e Kopfimpulstest zur Diagnostik einer rechtsseitigen horizontalen Bogengangparese. a Der Kopf des
Patienten wird passiv rasch mit kleinen Amplituden, aber hoher Beschleunigung (>200°/s Geschwindigkeit bzw. bis 10.000°/
s2 Beschleunigung) in der horizontalen Kanalebene bewegt, während der Patient die Nase des Untersuchers fixieren soll.
Bei der linksseitigen Kopfbewegung werden die Augen in die der Kopfbewegung entgegengesetzten Richtung mit gleicher
Geschwindigkeit bewegt (b). Bei Kopfwendung nach rechts (zur Läsionsseite, c) hingegen erfolgt aufgrund des defekten
vestibulookulären Reflexes eine zu schwache Kompensationsbewegung der Augen (d), so dass eine Korrektursakkade zum
Blickziel erforderlich ist (e). (Aus Schubert et al. 2004)
L R L
Hypophorie
zentripetale Rückstellsakkade
Hyperphorie
. Abb. 6.3 Abdecktest zur klinischen Prüfung auf vertikale Fehlstellung der Bulbi (Divergenz): Bei Verdeckung driftet das
Auge nach unten (Hypophorie) oder oben (Hyperphorie). Sichtbar wird nach dem Abdecken ein Refixationssakkade hin zur
mittleren Augenposition
Romberg-Test
Stehen mit geschlossen Augen und paralleler oder Neuritis vestibularis
Tandem-Fußstellung und angelegten Armen. Patho- z Klinische Symptomatik
logisch bei propriozeptiven, vestibulären und zerebel- Sie ist gekennzeichnet durch subakut einsetzen-
lären Läsionen. Die visuelle Kontrolle verbessert die den, dann über Stunden bis wenige Tage anhal-
Standregulation bei den sensorischen (vestibulären, tenden Drehschwindel (zur gesunden Seite) mit
propriozeptiven) Defiziten, bei zerebellären Erkran- erheblicher Gang- und Standunsicherheit, Übel-
kungen jedoch nur wenig. Starke richtungskonsis- keit und Erbrechen. Selten kommen Prodromi
tente Lateropulsion vor allem bei akuten vestibulären mit geringen, aber reversiblen Stunden anhalten-
Ausfällen (dorsolateraler medullärer Hirnstammin- den Schwindelepisoden über 2–3 Tage vor, bevor
farkt, Neuritis vestibularis). Erschwerte Bedingung es zur heftigen, anhaltenden Gang- und Standun-
des Romberg-Tests durch Kopfreklination und seitli- sicherheit mit Drehschwindel kommt (Lee et al.
che Perturbationen. Beim Blindgang und Blindstrich- 2014). Hörstörungen gehören nicht zum typischen
gang ist nur die konsistente und wiederholbare Sei- Krankheitsbild.
tenabweichung pathologisch zu werten.
z Klinische Untersuchung
Im klinischen Untersuchungsbefund imponieren die
Unterberger-Tretversuch Zeichen einer akuten vestibulären Imbalanz:
30 Sekunden mit geschlossenen Augen auf der Stelle 55 Ein rotierender horizontaler Spontannys-
treten. Bei peripher-vestibulären Läsionen dreht sich tagmus zur gesunden Seite, der im Dunkeln
der Patient zur Läsionsseite (akut meistens >90°, dann oder Fixationssuppression (Frenzel-Brille)
als pathologisch zu werten), bei zentralen Läsionen sowie bei Blick in die Richtung der schnellen
weniger und nicht für die Seitenlokalisation verwertbar. Phase des Nystagmus zunimmt
144 Kapitel 6 · Schwindel
55 Pathologischer Kopfimpulstest (Halmagyi- viralen Infektion sein (z. B. Mumps, Masern, Varizel-
Curthoys-Test) (sichtbare zentripetale len, Herpes simplex, Epstein-Barr) oder isoliert das
Korrektureinstellsakkaden bei raschen Labyrinth oder den VIII. Hirnnerven betreffen. Die
Kopfbeschleunigungen zur betroffenen Seite Diagnose stützt sich auf den subakuten Beginn (über
55 Fallneigung zur erkrankten Seite (Kompen- Stunden), den Tage bis Wochen anhaltenden Störungen
sation des Drehschwindels zur gesunden Seite) (Abgrenzung zum M. Menière), Hochfrequenzdefizite
im Tonaudiogramm, und eine kalorische Untererreg-
z Therapie barkeit. Die hochauflösende MRT ist meistens negativ,
Die Therapie mit Steroiden ist umstritten (1 mg/ sie hilft aber beim Ausschluss von bakteriellen oder
kg KG) und es gibt aufgrund der widersprüchlichen autoimmunentzündlichen Labyrinth-Erkrankungen.
Datenbasis keine einheitliche Empfehlung (Fish- Kontrollierte evidenzbasierte Therapiestudien fehlen,
mann et al. 2011). In einer prospektiven, Placebo- so dass das Vorgehen sehr unterschiedlich ist (Kortison
kontrollierten Studie an 141 Patienten konnte die vs. Aciclovir vs. Kombination vs. keine Therapie). Wie
6 Wirksamkeit von Methylprednisolon (100 mg/Tag, bei der Neuritis vestibularis ist eine frühe vestibuläre
alle 4 Tage um 20 mg) gegenüber Placebo innerhalb Stimulation (Gleichgewichtsübungen) zur Förderung
von einem Jahr gezeigt werden (Strupp et al. 2004). der zentralvestibulären Kompensation wichtig.
Primäres Endziel war die Rückbildung der kalori-
schen Untererregbarkeit (Parese der Bogengangsaf-
ferenz), während Schwindel-Skalen zur Beurteilung Schlaganfall (Hirnstamm, Kleinhirn);
der subjektiven Besserung nicht verwendet wurden. Pseudoneuritis vestibularis
Unklar ist, ob Kortison auch zu einer Besserung im Schlaganfälle können klinisch wie eine Vestibulopat-
täglichen Alter führt (schwindelbezogene Scores). hie wirken. Plötzlich (binnen Sekunden) einsetzen-
Wichtig zu Beginn ist die symptomatische (Antiver- der, akuter Drehschwindel mit oder ohne Hörstörung
tiginosa in den ersten 2 Tagen) und krankengym- bei älteren Patienten über 50 Jahren mit mehreren
nastische Therapie zur Verbesserung der zentralen vaskulären Risikofaktoren sind hinweisend für laby-
Kompensation, vor allem der vestibulo-spinalen rinthäre Infarkte im Versorgungsgebiet der A. cere-
Kompensation (Strupp et al. 1998), die einen positi- bellaris anterior inferior (AICA), aus der die A. laby-
ven Effekt auf den klinischen Verlauf hat. rinthii entspringt (Kim et al. 1999, Lee et al. 2002).
Den Infarkten gehen häufig vertebrobasiläre transi-
z Differenzialdiagnose torisch ischämische Attacken voraus, selten auch iso-
Differenzialdiagnostisch ist an die Neurolabyrin- liert als rein vestibuläre Attacken. Häufig finden sich
thitis (mit Hörstörungen), an zentrale Läsionen im begleitende Hirnstammsymptome durch die asso-
Bereich der Eintrittszone des N. vestibulocochlea- ziierte Hirnstamm-/Kleinhirninfarzierung (V und
ris in den Hirnstamm (z. B. bei multiplen Sklerose) VII Hirnnervenkern, Flocculus, mittlerer zerebellä-
oder an eine Kleinhirnläsion zu denken („Pseudo- rer Pedunkel). Die Eintrittszone des VIII. Hirnner-
neuritis“). Bei akutem Beginn ist vor allem an eine vens wird häufig von der AICA versorgt, enthält aber
Ischämie im Versorgungsgebiet der A. labyrinthi zu auch zahlreiche Gefäßanastomosen.
denken, die häufig, aber keineswegs obligat Hörstö- Infarkte im Versorgungsgebiet der A. cerebella-
rungen hervorruft. ris posterior inferior (PICA) führen zumeist weder zu
peripher-vestibulären Läsionsmustern noch zu koch-
leären Defiziten. Isolierte kaudale Vermisinfarkte
Neurolabyrinthitis (Uvula, Flocculus) können mit der peripheren Ves-
Die Neurolabyrinthitis ist durch einen subakuten tibulopathie verwechselt werden, da sie sich auch mit
(binnen Stunden) Beginn von vestibulären und koch- horizontalem Spontannystagmus präsentieren können
leären (einseitige Hörminderung, Tinnitus) Sympto- (Lee et al. 2015), aber einen normalen Kopfimpuls-
men gekennzeichnet. Klinisch imponiert eine einseitige test und zusätzlich eine beidseits gestörte langsame
Hörminderung mit Spontannystagmus. Pathoätio- Blickfolge sowie ein Blickrichtungsnystagmus haben
logisch kann sie Komplikation einer systemischen können (Lee et al. 2014; Park et al. 2013). Vaskuläre
6.3 · Wiederkehrende Schwindelattacken
145 6
Risikofaktoren, vorherige Schlaganfälle, HINTS sowie
. Tab. 6.1 Beispiele für Erkrankungen mit Dreh-
weitere Okulomotorikstörungen erlauben eine Risi- und Schwankschwindel
koabschätzung bezüglich der zentralen Genese eines
akuten vestibulären Syndroms (Kerber et al. 2015). Drehschwindel Schwankschwindel
Akuter Schwindel im Rahmen von dem Patienten Schwindel ist als Drehschwindel zu werten, wenn er
bekannten, weil wiederkehrenden Attacken lässt mit Umweltoszillopsien einhergeht: dabei beschreibt
sich leicht anhand folgender Kriterien differenzieren der Patient Scheinbewegungen der Umwelt, so z. B.
146 Kapitel 6 · Schwindel
Up-/Downbeat-Nystagmus
Akustikus-Neurinom
Bilaterale Vestibulopathie
Hirnstamminfarkt
Neuritis vestibularis
Morbus Menière
Vestibuläre Migräne
Phobischer Attackenschwindel
6 Labyrinthfistel
Benigner Lagerungsschwindel
Vestibularisparxoysmie
drehe sie sich wie ein Karussell. Dem Drehschwin- Häufige Erkrankungen mit Drehschwindel sind in
del liegt zumeist eine vestibuläre Läsion zugrunde. . Abb. 6.5 aufgelistet.
Die Angabe von Drehschwindel oder seiner Inten- Schwankschwindel hingegen ist unspezifischer.
sität allein erlaubt keine Differenzierung zwischen Der Patient beschreibt ein Gefühl der Stand- und
einer peripheren oder zentral-vestibulären Ursache. Gangunsicherheit ohne Umweltoszillopsien und
Häufig ist der Drehschwindel mit einer gerichteten gerichteter Fallneigung. Visuelle (z. B. Katarakt),
Fallneigung (Lateropulsion) assoziiert, die sich aus propriozeptive (z. B. Polyneuropathie) und zere-
der pathologischen Wahrnehmung des Raumes belläre Erkrankungen sind auszuschließen, jedoch
ergibt. Beim akuten peripheren Vestibularisausfall werden auch bilaterale vestibuläre Erkrankungen mit
(Neuritis vestibularis) bemerkt der Patient z. B. einen Schwankschwindel symptomatisch, insbesondere
Drehschwindel zur gesunden Seite, der über vesti- wenn sie sich langsam entwickeln. Erst nach Aus-
bulo-spinale Haltungsreflexe zur Fallneigung zur schluss verschiedener sensorischer Defizite, muss
erkrankten Seite führt. bei Schwankschwindel mit typischer Situationsab-
Beim Wallenberg-Syndrom richtet der Patient hängigkeit und normalem neurologischen Befund
seinen Körper gemäß der krankhaft verkippten auch an funktionelle bzw. somatoforme (u. a. pho-
Schwerkraftwahrnehmung (durch ein zentral-ves- bischer Attackenschwankschwindel) Erkrankungen
tibuläres Innervationsungleichgewicht, messbar gedacht werden.
mit der subjektiven visuellen Vertikalen, SVV) zur
Läsionsseite aus. Eine gerichtete Fallneigung ist
aber nicht immer Folge einer vestibulären Störung 6.3.2 Zeitliche Dynamik (Dauer,
(wie z. B. bei zerebellären Läsionen) und vestibuläre Häufigkeit, Tageszeitpunkt)
Erkrankungen gehen wiederum keineswegs immer
mit Drehschwindel einher, insbesondere wenn sie Bei rezidivierenden Schwindelsyndromen ist die
langsam progredient (z. B. Akustikusneurinom) oder Schwindeldauer ein wichtiges Unterscheidungs-
bilateral vorkommen (bilaterale Vestibulopathie). kriterium. . Abb. 6.5 zeigt Erkrankungen mit dem
6.3 · Wiederkehrende Schwindelattacken
147 6
Demgegenüber spricht ein kurzfristiger Schwank-
. Tab. 6.2 Auslösefaktoren bei rezidivierenden
Schwindelattacken schwindel, der mit dem Aufstehen in die senkrechte
Körperposition auftritt, eher für eine orthostatische
Kopfbewegung (hori- Vestibuläres Ungleichge- oder eine vasovagale Dysregulation.
zontal) wicht (Vestibulopathie) Schwindel bei horizontalen raschen Kopfbewe-
Sick-Sinus-Syndrom
gungen im Stehen oder beim Laufen sind häufiger
A.-vertebralis-Okklusion
(tonische Kopfposition)
Ausdruck eines defekten vestibulookulären Reflexes
Vestibularisparoxysmie (VOR) als eines BPPV. Dadurch kommt es zu einer
Blickbewegung Okulomotorik-Störungen
ungewollten retinalen Bildverschiebung, so dass
Spontannystagmus kompensatorisch Korrektursakkaden durchgeführt
Downbeat-/Upbeat-Nys- werden müssen, um das Blickziel auf der Retina zu
tagmus stabilisieren.
Fixationspendelnystag- Schwindel bei bestimmten einseitigen tonischen
mus
Ocular flutter, Opsoklonus
seitlichen Kopfpositionen können auf Vertebraliss-
tenosen hinweisen (Vertebralis-Okklusionssyndrom,
Husten, Geräusche Perilymphfistel
Bow-Hunter-Syndrom). Lokomotionsabhängige
Situation Phobischer Attacken- Sehstörungen (Verschwommensehen/Oszillop-
Schwindel
sien), die in Ruhe verschwinden, kommen oft durch
Aufstehen Vasovagal, orthostatisch, eine bilaterale Vestibulopathie zustande (rasch ein-
ggf. Lagerungsschwindel
setzende vestibulotoxische Nebenwirkung von Ami-
noglykosiden, z. B. Gentamycin).
Schwindel beim Umherschauen, d. h. bei Augen-
Leitsymptom „Schwindel“ in Abhängigkeit von ihrer bewegungen ohne Kopfbewegungen, sind bei peri-
Dauer (Sekunden beim gutartigen Lagerungsschwin- pheren Augenmuskelparesen, vor allem aber bei
del bis zu Wochen bei der Neuritis vestibularis). Ent- zentralvestibulären Nystagmusformen (häufig mit
gegengesetzt verhält sich die Attackenhäufigkeit: Oszillopsien) und bei zentralen Okulomotorikstö-
Krankheitsentitäten mit Schwindelattacken kurzer rungen, wie z. B. Störungen der Fixation, der Sakka-
Dauer (Lagerungsschwindel, Vestibularisparoxys- den (zerebelläre Sakkadendysmetrie, Opsoklonus)
mie) zeigen eine hohe Attackenfrequenz (mehrfach oder der Blickfolge.
täglich), während die Häufigkeit bei den gelisteten Schwindel durch physikalische Einflussgrö-
Erkrankungen mit länger andauernden Attacken ßen (Druck, Lärm) spricht zumeist für eine peri-
deutlich abnimmt (M. Menière, Migräne; alle paar pher-vestibuläre Läsion. Schwindel bei Anwendung
Wochen). von periaurikulärem mechanischen Druck oder am
Tragus spricht für eine Bogengangs-(Perilymph-)
Fistel. Ein solcher Sekundenanhaltender Attacken-
6.3.3 Auslösefaktoren schwindel wird auch durch Druckschwankungen
mit dem Politzer-Ballon, dem Vasalva-Manöver,
Auslösefaktoren sind vor allem bei episodischen Husten, Schlucken, Niesen oder Pressen ausgelöst.
Schwindelformen von diagnostischer Relevanz Auch laute Geräusche können zu einer indirekten
(. Tab. 6.2). Der benigne paroxysmale Lagerungs- Bogengangs- (Perilymphfistel) oder Otolithenrei-
schwindel ist typischerweise durch seine Abhän- zung (Tullio-Phänomen) führen. In Abhängigkeit
gigkeit von raschen Lageänderungen des Kopfes von der Lage des Perilymphdefektes kann sowohl
gekennzeichnet. Da der hintere Bogengang am häu- eine Reizung des Bogengangs, der Otolithen als auch
figsten betroffen ist, tritt der Drehschwindel bei der Kochlea (dann mit Hörstörungen) auftreten. In
schrägen Kopfbewegungen auf, zumeist aus dem Kombination mit einer Hörminderung/Sturz muss
Liegen heraus (morgens beim Aufrichten an die beim erstmaligen Auftreten eine Ruptur des runden
Bettkante) oder bei Drehungen im Bett (aber auch Fensters ausgeschlossen werden, die eine Notfallope-
beim Bücken und schrägen Kopfreklinationen). ration erfordert!
148 Kapitel 6 · Schwindel
Schwindel in Abhängigkeit von charakteristi- Drehen im Bett zumeist in eine bestimmte Richtung,
schen Umgebungen (Menschenansammlungen in Bücken, Aufwärtsblicken u. ä.
Kaufhäusern, in Gegenwart von Familienmitgliedern
oder Arbeitskollegen, auf großen Plätzen etc.) ist hin- z Klinische Untersuchung
weisend für einen phobischen Schwindel. Der klinische Untersuchungsbefund im Sitzen ist
regelrecht. Bei rascher Lagerung auf die anamnes-
tisch betroffene Seite (Stimulation des posterioren
6.3.4 Begleitsymptome Bogengangs, Dix-Hallpike-Manöver) findet sich zeit-
gleich mit der Angabe von Drehschwindel ein ver-
Begleitsymptome helfen sowohl bei der Differen- tikal (stirnwärts) schlagender Nystagmus mit einer
zierung zentral vs. peripherer Schwindel als auch rotatorischen raschen Komponente zum unten lie-
bei der ätiologischen Zuordnung. Hörstörungen als genden Ohr, dessen Amplitude eine Crescendo/
Begleitsymptom bei episodischem Schwindel sind Decrescendo-Dynamik aufweist und etwa 5–30
6 hinweisend für den M. Menière, kommen aber sel- Sekunden, maximal 60 Sekunden anhält. Typischer-
tener auch – vor allem in Kombination mit Kopf- weise tritt der Nystagmus mit einigen (1–5) Sekun-
druck – bei der basilären oder auch der vestibulä- den Latenz nach Beginn des Lagerungsmanövers auf.
ren Migräne vor. Die Dissektion der A. vertebralis Bei wiederholten Lagerungsmanövern nehmen der
führt zum lateralen Halsschmerz und Symptomen Nystagmus und der Drehschwindel ab (Ermüdbar-
des akuten Vestibularisausfalls (s. o.). Begleitende beit, Habituation), so dass der Patient bei ambulan-
Augenentzündungen lassen z. B. an Autoimmuner- ter Vorstellung oftmals durch Provokationsmanöver
krankungen denken (z. B. Cogan-Syndrom, Behçet- nicht symptomatisch wird. Dies ist häufig so und ein
Syndrom). Brennende Schmerzen, Bläschen, Hör- unaufälliger Lagerungstest schließt einen BPPV kei-
störungen und begleitende Fazialisparese lassen neswegs aus!
an den Zoster oticus (Ramsay-Hunt-Syndrom) Beim Aufrichten aus der provozierenden Lage-
denken. rungsposition kommt es zu einer Nystagmusum-
Die medikamentöse Therapie der meisten epi- kehr (nach unten, zum Kinn schlagender Nystag-
sodischen Schwindelformen (Ausnahme: BPPV) ist mus mit geringer rotatorischer Komponente). Das
eine prophylaktische Behandlung (z. B. Betahistin Wiederaufrichten hat eine umgekehrte Bewegung
bei M. Menière, β-Blocker bei vestibulärer Migräne) des Konglomerats zur Folge und damit eine ampul-
(s. u., . Tab. 6.2). lopetalen Auslenkung der Cupula, die die Umkehr
des Nystagmus erklärt. Die Latenz lässt sich mit der
Entwicklung der Sogwirkung auf die Cupula, die
6.4 Lagerungsabhängiger Schwindel Ermüdbarkeit des Nystagmus mit der Aufspaltung
des Konglomerates in mehrere Einzelteile erklären.
Der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel
(BPPV; etwa 20–25% aller Schwindelformen) ist die z Therapie
häufigste Schwindelform. Fast jeder Notfallpatient, Therapeutisch sind in fast allen Fällen bogengangs-
der über nächtliche wiederkehrende Drehschwindel- spezifische Befreiungsmanöver wirksam. Thera-
attacken klagt, mit semiologisch ähnlicher Abfolge peutisches Ziel ist es, durch Kopfbewegungen die
von Symptomen, hat wahrscheinlich einen PBBV. „Steinchen“ aus dem betroffenen Bogengang in den
Klinisch charakteristisch sind kopfbewegungsab- Utrikulus herauszubewegen. Es gibt zwei evidenzba-
hängige, kurzanhaltende (Sekunden, selten Minuten) sierte Befreiungsmanöver zur Behandlung der Kana-
Drehschwindelattacken mit Oszillopsien mit oder lolithiasis im hinteren Bogengang (Semont, Epley),
ohne Übelkeit, jedoch ohne weitere neurologische die sich als wirksam erwiesen haben.
Begleitsymptome. Typische Auslösemechanismen Das Semont-Manöver sieht eine rasche
sind z. B. Hinlegen und Aufstehen aus dem Bett vor 180°-Bewegung des gesamten Körpers von der
allem morgens nach längerer Bettruhe bzw. nach län- betroffenen zur nicht betroffenen Seite vor. Man
geren Operationen (intraoperative Positionierung), beginnt aus dem Sitzen heraus mit der diagnostischen
6.4 · Lagerungsabhängiger Schwindel
149 6
Befreiungsmanöver (Epley) für den rechten
posterioren Bogengang
. Abb. 6.6 Befreiungsmanöver nach Epley zur Behandlung des benignen peripheren Lagerungsschwindel (BPPV) des
rechten posterioren Bogenganges. (Aus Lempert 2003)
raschen Lagerung des Kopfes (Kopfwendung zur die Liegeposition mit leichter Kopfhängelage, die zur
nicht erkrankten Seite um 45°), um nach Abklingen Kanalolithiasis und dem charakteristischen Dreh-
des Nystagmus (Konglomerat liegt dann am tiefsten schwindel führt (Lee et al. 2014). Nach Abklingen
Punkt des hinteren Bogenganges) die „Steinchen“ der Symptomatik (mindestens 1 min) wird der Kopf
aus dem Kanal herauszuschleudern. Dafür muss die im Liegen um 90° zur gesunden Seite gedreht, dann
rasche Kopfbewegung aber stets in der Ebene des folgt eine weitere 90° Kopf- und Körperdrehung in
betroffenen Bogenganges erfolgen. Der Kopf kommt dieselbe Richtung, die ebenso ca. 1 min einbehalten
auf der gegenüberliegenden gesunden Seite somit wird. Zum Ende richtet sich der Patient wieder in die
so zu liegen, dass er um 45° nach unten geneigt ist. Sitzposition an der Bettkante auf.
Schlägt der Lagerungsnystagmus jeweils zur betrof- Der seltenere (in ca. 15%) horizontale BPPV
fenen Labyrinthseite war das Manöver erfolgreich wird mit der Kopfseitwärtsdrehung in Rückenlage
(d. h. apogeotrop auf der gesunden Seite). exploriert. Nach raschen horizontalen Kopfdrehun-
Alternativ bietet sich das ebenso wirksame gen in der 30°-Rückenlage findet man einen geotro-
Epley-Manöver an (. Abb. 6.6). Hierbei werden klei- pen horizontalen Nystagmus (ohne Rotation) ohne
nere Drehbewegungen des liegenden Körpers und Latenz auf beiden Seiten. Auf der erkrankten Seite
des Kopfes durchgeführt, die sich bei der Selbstbe- ist der Nystagmus intensiver. Der Lagerungsnystag-
handlung als Vorteil herausgestellt haben. Im Gegen- mus hat beim horizontalen BPPV länger an (1 min)
satz zum Semont-Manöver wird der Kopf im Sitzen und ist kaum erschöpfbar bei mehreren Lagerungs-
um 45° zur erkrankten Seite gedreht. Anschließend manövern. Schlägt der Lagerungsnystagmus schon
erfolgt eine rasche Körperbewegung nach hinten in mit der ersten seitlichen Lagerung apogeotrop, dann
150 Kapitel 6 · Schwindel
. Abb. 6.7 Befreiungsmanöver nach Gufoni zur Behandlung des benignen peripheren Lagerungsschwindel (BPPV) des
horizontalen Bogenganges. (Modifiziert nach Kim et al. 2012)
6.7 Therapie von akuten Kausale Therapien gibt es nur beim Lage-
Schwindelsyndromen rungsschwindel. Symptomatische Therapien bei
verschiedenen Schwindelsyndromen sind in
Sie umfasst physikalische (Lagerungsschwindel) und . Tab. 6.4 gelistet, sie spielen für die Akutbehandlung
medikamentöse Therapien. In der Akutphase (erste 3 des Schwindels eine geringere Rolle, da sie meistens
Tage) sind Antivertiginosa hilfreich, auch um Befrei- prophylaktisch eingesetzt werden.
ungsmanöver beim BPPV leichter durchführen zu . Abb. 6.8 zeigt ein Stufenschema zur Vorgehens-
können (Dimenhydrinat 50 mg alle 4–6 h). Danach weise bei akuten und chronischen Schwindelformen,
verzögert die weitere Gabe die zentrale Kompensation die näher zu beschreiben das Thema dieses Buchka-
bei einem anhaltenden akuten vestibulären Syndrom. pitels aber überschreiten würden.
154 Kapitel 6 · Schwindel
Schwindelsyndrom Therapie
Zentraler Schwindel
Vegetative Entgleisung Kurzfristig: Dimenhydrinat (50 mg alle 4–6 h), Diazepam (5–10 mg alle 4–6 h), Scopolamin
(Scopoderm®)
Reiseschwindel (Kine- Kurzfristig: Dimenhydrinat (50 mg alle 4–6 h), Diazepam (5–10 mg alle 4–6 h), Scopolamin
tosen) (Scopoderm®), prophylaktisch: Flunarizin 10 mg (Sibelium®)
Übelkeit Als Dopamin und 5HT-Antagonist: Metoclopramid 2 ml =10 mg (Paspertin®, Cave: extra-
pyramidale Nebenwirkung); Phenothiazine (Promethazin, 25 mg alle 8 h, z. B. Atosil®),
sedierend und antihistaminerg; Ondansetron als 5HT-Antagonist: 4–8 mg (Zofran®) nicht
6 Phobischer Schwindel
sedierend!
Serotoninwiederaufnahmehemmer: z. B. Citalopram (10–20 mg/d), Sertralin oder Paroxetin
(10–20 mg/d)
Vestibuläre/basiläre Metoprolol (50–200 mg/d, z. B. Beloc zok®), Topiramat (50–150 mg/d), Valproinsäure (600–
Migräne 900 mg/d), Flunarizin (10 mg z. B. Sibelium®)
Orthostatische Dysre- Physikalische Maßnahmen (Wechselduschen etc.), Antihypertensiva und Dopaminergika
gulation reduzieren
Medikamentös: sympathikotone Form: Dihydroergotamin; asympathikotone Form: Fludro-
cortison, α-Blocker: Midorin; posturales Tachykardiesyndrom: α-Blocker, β-Blocker, SSRI
Downbeat-Nystagmus 3,4-Diaminopyridin (3×10 mg/d), 4-Aminopyridin (3×5–10 mg/d) bzw. als unretardier-
(Kleinhirnsyndrom) tes 4-AP (Fampyra®), Baclofen (bis 3×10 mg/d), Clonazepam (3×0,5 mg/d), Gabapentin
(3×300 mg/d)
Fixationspendelnystag- Gabapentin 3×300–600/d (1. Wahl), Memantin (15–60 mg/d) allein oder in Kombination
mus mit Clonazepam (3×0,5–1,0 mg/d)
Okulopalatiner Myo- Gabapentin (3×300–600/d, 1. Wahl), Memantine (15–60 mg/d) allein oder in Kombination
klonus mit Clonazepam (3×0,5–1,0 mg/d)
Upbeat-Nystagmus 4-Aminopyridin (3×5–10 mg/d), Baclofen (3×5–10 mg/d)
Seesaw-Nystagmus Baclofen (3×5–10 mg/d), Clonazepam (3×0,5–2 mg/d, 2. Wahl), Gabapentin (3×300–
600 mg/d), Alkohol (1,2 g/kg KG)
Kongenitaler Nystag- Memantin (aufsteigend von 10–40 mg/d), Gabapentin (aufsteigend von 600–2400 mg/d),
mus Prismengläser, Augenmuskeloperation
Opsoklonus, „ocular Steroide, ACTH, Clonazepam (3×0,5–2 mg/d), Nitrazepam (3×5–10 mg/d), Propanolol
flutter“ (3×40–80 mg/d)
Episodische Ataxie Acetazolamid (250–1000 mg/d, Diamox®), 4-Aminopyridin (3×5-10 mg/d) bzw. als unretar-
diertes 4-AP (Fampyra®)
Periodisch alternieren- Baclofen (3×5–10 mg/d), Clonazepam (3×0,5–2 mg/d; 2. Wahl)
der Nystagmus
Episodische Ataxie Acetazolamid (125–1000 mg/d), 4-Aminopyridin (3×5 mg/d), oder retardiert (1–2×10 mg
Typ II Fampyra®)
Zentraler Schwindel
Okulomotorische Hirn- Prismengläser, keine Medikamente
nervenparesen
Okuläre Neuromyotonie Phenytoin (2–3×100 mg/d), Carbamazepin (3×200 mg/d)
Neuritis vestibularis Methylprednisolon (Beginn mit 100 mg und nachfolgender Reduktion um 20 mg alle 3
Tage), initial symptomatisch Antivertiginosa (Dimenhydrinat), Vestibularistraining
Literatur
155 6
. Tab. 6.4 Fortsetzung
Schwindelsyndrom Therapie
Zentraler Schwindel
akut? chronisch?
nein
ja ja
ja ja ja ja
Auslöser? Begleitsymptome?
-schlechte Kompensation
-zentrale vestibuläre Läsion
-perstierende periphere
• seitenwechselnder
Nystagmus?
• Skew deviation?
Hörstörung
Kopfdruck
Aufstehen
Lagerung
Neurodegenerativ
situativ
Druck
nein
Somatoform
ja nein
Stroke-
Diagnostik
orthostatisch
Paroxysmie
phobisch
Migräne
Meniere
Fistels
BPPV
Neuritis
TIA
vestibularis
. Abb. 6.8 Stufendiagnostik zur Vorgehensweise bei akuten und chronischen Schwindelformen
Garland EM, Raj SR, Black BK, Harris PA, Robertson D (2007) diagnoses and emergency department management
The hemodynamic and neurohumoral phenotype of decisions: a cross-sectional analysis from a nationally
postural tachycardia syndrome. Neurology 69:790–798 representative sample. Academic emergency medicine:
Halmagyi GM, Curthoys IS (1988) A clinical sign of canal official journal of the Society for Academic Emergency
paresis. Arch Neurol 45:737–739 Medicine 16:970–977
Halmagyi GM, Curthoys IS, Brandt T, Dieterich M (1991) Ocular Newman-Toker DE, Kattah JC, Alvernia JE, Wang DZ (2008)
tilt reaction: clinical sign of vestibular lesion. Acta Otola- Normal head impulse test differentiates acute cerebellar
ryngol Suppl 481:47–50 strokes from vestibular neuritis. Neurology 70:2378–2385
Helmchen C, Machner B, Lehnen N, Jahn K, Schneider E, Newman-Toker DE, Saber Tehrani AS, Mantokoudis G, Pula JH,
Sprenger A (2014) Current state of diagnostic manage- Guede CI, Kerber KA, Blitz A, Ying SH, Hsieh YH, Rothman
ment of acute vertigo: a survey of neurologists in Germa- RE, Hanley DF, Zee DS, Kattah JC (2013) Quantitative
ny. J Neurol 261:1638–1640 video-oculography to help diagnose stroke in acute
Hoeldtke RD, Bryner KD, Hoeldtke ME, Hobbs G (2007) Treat- vertigo and dizziness: toward an ECG for the eyes. Stroke
ment of autonomic neuropathy, postural tachycardia and 44:1158–1161
orthostatic syncope with octreotide LAR. Clinical auto- Park HK, Kim JS, Strupp M, Zee DS (2013) Isolated floccular
Literatur – 168
Diagnostikschwelle
Anzahl der Patienten
leichte Erkrankung
(z.B. grippaler Infekt, Migräne)
Spezifizitat α-Fehler
(1 - α) (falsch positiv)
β-Fehler Sensitivität
(falsch negativ) (Power)
schwerwiegende Erkrankung
. Abb. 7.1 Diagnosefehler in Abhängigkeit von Häufigkeit und Schwere der Erkrankung
Akute oder rasch progrediente Sehminderung bei Tipp: Die direkte Spiegelung des Augenhintergrun-
Kindern erfordert frühzeitiges Erkennen und dann des mit einem elektrischen Augenspiegel ist relativ
7 dringliche Diagnostik und Behandlung. Die Ätiolo- einfach (zu üben) und sollte jeder Kinderarzt beherr-
gie hängt von den betroffenen Abschnitten des visu- schen, z. B. wenn Kinder wegen Kopfschmerzen vor-
ellen Systems ab: gestellt werden!
55 Augapfel
55 Sehnerv
55 Chiasma opticum 7.6 Akuter Strabismus
55 Retro-chiasmale Sehbahn (Sehstrahlung und
Sehrinde) Schielen ist bei Kindern häufig (2–4%) (O’Dowd
2013). Behinderte Kinder (z. B. mit Hirnblutung
Obwohl bei Schulkindern eine psychogene Ursache und infantiler Zerebralparese) schielen noch viel
sehr häufig sind, sollte sie als letztes erwogen werden. häufiger. Schielen kann primär (angeboren) oder
Eine Sehstörung nur auf einem Auge kann überse- sekundär (erworben) sein. Sekundäres Schielen
hen werden. Ein akuter vollständiger aber vorüber- hat oft eine neurologische Ursache (z. B. intrakra-
gehender Visusverlust kann bei einer Epilepsie oder nielle Tumoren, Schädel-Hirn-Trauma, Infektionen,
Migräne auftreten. Autoimmunkrankheiten).
Eine rasch progediente Visusminderung kann
folgende Ursachen haben: > Akuter Strabismus ist bei Schulkindern selten
55 Netzhauterkrankung (primär) und erfordert weitere neurologische
55 Optikusneuritis Diagnostik.
55 Kortikale Blindheit
Wenn sich das Schielen akut entwickelt, dann ist die
Das diagnostische Vorgehen bei einer akuten oder entscheidende Frage, ob es sich um ein Begleitschie-
rasch progredienten Sehstörung hängt von der Sym- len (Strabismus concomitans), bei dem das schie-
ptomatik, assoziierten Beschwerden und dem oph- lende Auge das führende Auge in alle Blickrich-
thalmoskopischen Befund der Sehnervpapille ab. Es tungen begleitet, so dass der Schielwinkel immer
bedarf der Zusammenarbeit zwischen Augenarzt, konstant ist, oder um ein Lähmungsschielen (Stra-
Kinderarzt und (Kinder-)Neurologen. Bei Netz- bismus incomitans) handelt, bei dem der Schielwin-
hautblutungen sollte zuerst an ein Trauma gedacht kel durch Lähmungen eines oder mehrerer äußerer
werden, z. B. an das Schütteltrauma im Rahmen Augenmuskeln nicht in allen Blickrichtungen
einer Kindesmisshandlung! Eine Papillenschwel- gleich ist, sondern in der Zugrichtung der gelähm-
lung kann Hinweis auf einen erhöhten intrakra- ten Muskel zunimmt. Während das Begleitschielen
niellen Druck oder eine Optikusneuritis sein. Bei durch eine Entwicklungsstörung der sensomotori-
unauffälligem ophthalmologischem Befund sollten schen Koordination bedingt ist und sich regelhaft
7.6 · Akuter Strabismus
165 7
im frühen Kindesalter als primäres Schielen mani- immer gesund gewesen ist oder ob es unerklärt
festiert, hat das Lähmungsschielen als sekundäres krank gewesen war. Es sollte nach einem kürzlichen
Schielen akute (erworbene) Ursachen. Trauma, insbesondere des Kopfes, der Orbita oder
der periorbitalen Region gefragt werden. Alle frü-
heren augenärztlichen Untersuchungsbefunde sind
Ursachen des sekundären Schielens wichtig.
44 Neurogen Eine genaue Beschreibung des Symptombeginns
–– Intrakranielle Tumore: z. B. Kleinhirn, und assoziierter Symptomatik, z. B. Gangstörungen,
Pons, Corpus callosum, Hypothalamus Nystagmus, Sehschwäche oder Schielen ist relevant,
–– Intrakranielle Blutung: z. B. sekundär ebenso der Verlauf, z. B. ob der Strabismus konstant
nach Herzoperation oder bei Trauma oder intermittierend (Frequenzänderung, Abhängig-
(an Kindesmisshandlung denken!) keit von der Blickrichtung oder Zunahme bei Müdig-
–– Intrakranielle Ischämien: posteriore keit) ist.
Thalamusinfarkte Die augenärztliche und detaillierte orthoptische
–– Intrakranielle Infektionen (Schiel-)Untersuchung ist wesentlich, um zu ent-
–– Erhöhter intrakranieller Druck: scheiden, ob und welche weitere Diagnostik notwen-
Abduzens-, Trochlearis- oder dig ist. Ein zusätzlicher Nystagmus ist bei dienzepha-
Okulomotoriusparesen durch len Tumoren oder Arnold-Chiari-Malformationen
intrazerebralen Tumor, Hydrozephalus möglich. Die Abduzensparese hat einen geringen
(z. B. Sonnenuntergangsphänomen lokalisatorischen Stellenwert. Die Beteiligung meh-
durch Okulomotoriusparese) rerer Hirnnerven, z. B. gleichzeitige Fazialis- und
–– Läsionen der Augenmuskelnerven: z. B. Abduzensparese, sollte eher an einen Hirnstamm-
entzündlich (Bakterien, Viren, Borrelien), tumor als an eine Polyneuritis nervi cranialis denken
nach Infektionen oder Impfungen lassen.
(„benign aquired isolated abducens Kongenitale Schwächen der Augenmuskelner-
nerve palsy“) ven, die bisher kompensiert waren, lassen sich oft auf
–– Autoimmunkrankheiten: Myasthenia Familienfotos, z. B. an einer kompensatorische Kopf-
gravis, Diabetes mellitus, Morbus schiefhaltung, bereits in jungem Alter erkennen. Eine
Basedow (endokrine Orbitopathie) Myasthenia gravis kann ebenfalls zum – oft tageszeit-
–– Toxine und Schmermetallvergiftungen lich abhängigem – Schielen führen.
–– Sehschwäche (Amblyopie)
44 Myogen > Latentes Begleitschielen kann sich manchmal
–– Myositis auch plötzlich manifestieren! Es sollten
–– Tumor aber auf jeden Fall andere Ursachen für
44 Mechanisch einseitige oder asymmetrische Sehschwäche
–– Einklemmung des M. rectus inferior bei augenärztlich ausgeschlossen werden,
Orbitabodenverletzung infolge einer besonders bei sehr jungen Kindern (z. B.
Blow-out-Fraktur Katarakt, Uveitis, Frühgeborenenreti-
–– Intraokuläre Blutung nach Trauma (an nopathie, Retinoblastom).
Kindesmisshandlung denken!)
Aufgrund der schwerwiegenden Konsequenzen
(auch für das intakte Sehen!) sollte bei akutem Stra-
Bei der Anamnese sind der Schwangerschafts- und bismus das Kind immer sorgfältig augenärztlich und
Geburtsverlauf sowie die bisherige psychomotori- neurologisch untersucht werden. Demgegenüber
sche Entwicklung wichtig. Von Bedeutung ist auch, erfordert ein abwartendes Verhalten, dass zu aller-
ob es in der Vorgeschichte maligne oder autoim- erst eine doch bereits lang bestehende zugrundelie-
munvermittelte Erkrankungen, Expositionen oder gende Störung dokumentiert (z. B. durch alte Fotos)
Impfungen gegeben hat und ob das Kind bisher werden kann.
166 Kapitel 7 · Notfälle aus der Kinderneurologie
> Neu aufgetretenes Schielen kann Gastroenteritis. Nach der Entlassung zwei Tage
schwerwiegende intrakranielle oder besserer Allgemeinzustand. Am Aufnahmetag er-
intraokuläre Ursachen haben! neut starke Müdigkeit, Erbrechen, Lichtscheue und
Vigilanzminderung. Bei Aufnahme schlechter All-
gemeinzustand, Stöhnen, Hände vor das Gesicht
7.7 Lehrreiche Kasuistiken haltend, erscheint vigilanzgemindert, blass, Haut-
turgor reduziert. In der daraufhin sofort durchge-
Fall 1 führten MRT-Untersuchung zeigt sich rechtshemi-
Ein 6-jähriges Mädchen wird 3 Wochen zuvor ge- sphäral raumfordernd ein subdurales Hygrom mit
schubst und fällt nach vorne auf die Knie. In der deutlichen Zeichen einer intrakraniellen Hyper-
darauffolgenden Nacht 3-mal erbrochen, eine tension und Mittellinienverlagerung nach links
Woche später fingen Kopfschmerzen an, die so (. Abb. 7.3).
stark waren, dass das Kind weinte und von der
Schule abholt werden musste. Nach Vorstellung Fall 3
bei der Kinderärztin erfolgte die Vorstellung bei An einem Freitag wird ein dreijähriger Junge von sei-
7 einer Osteopathin, die Verspannung an der Hals- ner Mutter in einer Durchgangstür liegend gefunden,
wirbelsäule feststellte und dort manipulierte. An- nachdem er vorher noch mit seinem Bruder ganz nor-
schließend kam es zum starken Erbrechen. Wegen mal gespielt hatte und kein Geräusch zu hören war,
anhaltender Kopfschmerzen eine Woche später obwohl die Mutter nur wenige Meter entfernt war. Die
nochmalige osteopathische Behandlung, wieder Augen des Kindes waren offen, aber keine Reaktion
gefolgt von Erbrechen. Seit einer Woche durch- auf Ansprache. Beim Hochnehmen fällt auf, dass der
gehend sehr müde und schlapp, Kopfschmerzen rechte Mundwinkel nicht gehoben werden kann, der
insbesondere abends, plötzliches Augenzwinkern, rechte Arm und das rechte Bein schlaff sind. Der Junge
keine Sehstörungen angegeben. Am Aufnahmetag hat in einer Urinpfütze gelegen. Danach war der Junge
Vorstellung beim Augenarzt, der Stauungspapillen noch sehr schlapp, ungewöhnlich müde und anteil-
links > rechts feststellte, so dass die Einweisung nahmslos und wurde in der Kinderklinik vorgestellt.
bei Verdacht auf erhöhten Hirndruck erfolgte. Bei der Blutentnahme an der rechten Hand wehrte
Es erfolgte unmittelbar nach Aufnahme bei dem sich der Junge mit guter Kraft, allerdings beim Hän-
ansonsten neurologisch unauffälligen Mädchen dedruck Kraftgrad rechts 3/5 und links 5/5, ansonsten
eine MRT-Untersuchung, die den Verdacht auf ein keine neurologischen Defizite, auch keine Fazialispa-
Plexuspapillom in den Seitenventrikeln mit Verle- rese mehr. Wenige Stunden später war auch die Kraft-
gung der Foramina Monroi, einer Infiltration des minderung verschwunden, so dass der Verdacht auf
Septum pellucidum und einer Verdrängung des eine Todd´sche Parese nach anamnestisch plausibel
Thalamus links nach kaudal ergab. Es zeigte au- erscheinendem epileptischen Anfall geäußert wur-
ßerdem sich ein konsekutiver Liquoraufstau mit de und nach dem Wochenende am Montag ein EEG
Druck bedingten paraventrikulären Ödemen, Op- abgeleitet wurde, dass einen unauffälligen Befund
tikusscheidenhydrops, exkavierter Hypophyse und ergab, so dass am Folgetag eine MRT durchgeführt
Kompression der venösen Sinus als Zeichen eines wurde, die akute Infarkte im Nucleus lentiformis und
deutlich erhöhten intrakraniellen Drucks ohne Nucleus caudatus links zeigte (. Abb. 7.4). Die darauf-
Hinweis auf eine transtentorielle Herniation oder hin durchgeführte Thrombophiliediagnostik ergab
Traumafolgen (. Abb. 7.2). Normalbefunde. In der Familie gibt es zwei Mitglieder
die um das 50. Lebensjahr herum einen Schlaganfall
Fall 2 erlitten hatten.
Ein 4-jähriger Junge hatte vor 7 Wochen einen Fahr-
radunfall. Am Folgetag entwickelte er Erbrechen,
seitdem tägliches Unwohlsein und an 2/3 der Tage Fall 4
Erbrechen. Wenige Tage vor Aufnahme Behandlung Manifestation eines Diabetes mellitus bei einem
in einer auswärtigen Kinderklinik mit Verdacht auf dreijährigen Mädchen. Drei Tage später zwei
7.7 · Lehrreiche Kasuistiken
167 7
. Abb. 7.4 MRT des Gehirn mit akuten Infarkten in den . Abb. 7.5 MRT des Gehirn mit Thrombose im linken Sinus
Basalganglien links sigmoideus (Pfeil)
168 Kapitel 7 · Notfälle aus der Kinderneurologie
Literatur
Neurologische Aspekte
der kardiopulmonalen
Reanimation
J. Litmathe
Literatur – 187
8.1 Vorbemerkungen
. Tab. 8.1 Ursachen des Kreislaufstillstandes nach
ERC 2005. (Modifiziert nach (Ziegenfuß 2011)
Galten der ärztliche Berufsstand und somit auch die
Anfänge der Notfallmedizin noch bis ins Mittelalter Ursache Anteil [%]
als wenig angesehen, weil ja gegen vermeintliche Ver-
Kardiale Grunderkrankung 82
fügungen Gottes vorgegangen wurde, entwickelten
sich v. a. durch kriegerische Auseinandersetzungen Pulmonal 4
(z. B. Napoleonische Feldzüge) im 19. Jahrhundert Zerebrovaskulär 2
erste Konzepte zur Versorgung Schwerstverletzter. Trauma 3
Insbesondere in Bezug auf Wiederbelebungsmaß- Ersticken, Ertrinken 2
nahmen galt der besondere Fokus dem Beinahe-
Intoxikationen 2
Ertrinken: Hier wurden noch indirekte Thoraxex-
kursionen durch Armbewegungen, wie sie bis in 20.
Jahrhundert propagiert wurden, favorisiert, wohin-
gegen Peter Safar vor fast 60 Jahren die Mund-zu- Rahmen von Polytraumen zu nennen, aber auch
Mund-Beatmung als die effektivere Methode zur zerebrovaskuläre Ursachen, die mit einer Beein-
Luftinsufflation erkannte. trächtigung des Atemantriebes einhergehen (z. B.
8 Etwa zeitgleich entwickelte sich das Konzept der
Herzdruckmassage sowie konsekutiv die Kombina-
Hirnstamminsulte) sind von Bedeutung. Weiterhin
spielen Intoxikationen, primär pulmonale Ursachen
tion aus beidem. Heutzutage werden die Reanimati- (z. B. Pneumothorax mit Mediastinalverlagerung)
ons-Guidelines schon lange in regelmäßigen Abstän- sowie Ersticken oder Ertrinken eine Rolle.
den von der American Heart Association (AHA)
überarbeitet und publiziert. Ähnliche Empfehlungen > Sowohl für den Notarztdienst als auch in
werden von European Resuscitation Council (ERC) der Notaufnahme ist die Differenzierung
erarbeitet und in fünfjährigen Zyklen aktualisiert. möglicher Ursachen eines Kreislauf-
Zudem erfolgt eine übergreifende evidenzbasierte stillstandes von großer Bedeutung. Vor
Bewertung der Empfehlungen der einzelnen Länder- allem die primäre Rhythmusanalyse
und Fachgesellschaften durch das International (Kammerflimmern versus Asystolie versus
Liaison Committee on Resuscitation (ILCOR) – elektromechanischer Entkopplung,
die ILCOR Consensus Statements. Diese dienen wie- d. h. pulslose elektrische Aktivität) lässt
derum als Grundlage der regelmäßigen nationalen Rückschlüsse auf die Dauer des Kreislauf-
Anpassungen. Auf die in Europa geltenden Emp- stillstandes zu, da Kammerflimmern oft im
fehlungen wird im weiteren Text Bezug genommen. Rahmen akuter myokardialer Ischämien als
Erstsymptom auftritt.
Patient reaktionslos?
Hilfe rufen
Atemwege freimachen
nicht länger als 10 Sekunden unterbrechen. Der Stel- unterstreicht die allerwichtigste Forderung nach
lenwert der endotrachealen Intubation ist hoch, noch zerebraler Perfusion. Als Notfallmedikamente sind
wichtiger ist jedoch die Aufrechterhaltung einer aus- Adrenalin 1 mg alle 3–5 min (Erstgabe nach dritter
reichenden Zirkulation, so dass der Herzdruckmas- Defibrillation sowie Amiodaron 300 mg als Erstgabe
sage die höchste Bedeutung in Bezug auf eine mög- und 150 mg als repetitive Gabe bei VF/pVT) vorge-
lichst günstige Langzeitprognose beigemessen wird. sehen; bei PEA/Asystolie erfolgt die Adrenalin-Gabe
Alternative Wege des „airway management“ umgehend nach Schaffung eines i.v. Zuganges.
beim Versagen der konventionellen Zugangswege Reversible Ursachen des Kreislaufstillstandes
sind die Larynxmaske (nicht geeignet bei Atemwegs- müssen bedacht und nach Möglichkeit behandelt
schwellungen) oder ösophagusblockierende Kombi- werden (Hypoxie, Hypovolämie/Blutung, Hypother-
tuben (ebenfalls ungeeignet bei Atemwegsschwellun- mie, Hyper-/Hypokaliämie; Thrombembolie, Peri-
gen). Bei nicht behebbarer Verlegung der Atemwege kardtamponade, Pneumothorax, Intoxikationen).
oder vollständig geschwollener Stimmritze ist eine
Notfallkoniotomie indiziert. Auch hierzu sind ein-
satzfertige, handelsübliche Sets verfügbar (z. B. 8.4 Leitliniengerechte Reanimation
Melker-Notfall-Krikothyrotomie). – Kinder
. Abb. 8.4 zeigt den grundsätzlichen Algorith-
mus beim ALS. Die Grundsätze unterscheiden sich nicht wesentlich
Die Herzdruckmassage erfolgt ohne Unter- von dem Vorgehen bei Erwachsenen. Unterschiede
brechung, sobald der Atemweg gesichert ist. Dies ergeben sich aus Körpergröße und Gewicht sowie bei
8.4 · Leitliniengerechte Reanimation – Kinder
173 8
Reaktionsloser Patient
Hilfe holen
Atemwege freimachen
Insuffiziente Atmung?
1x Defibrillation
CPR fortsetzen, bis Patient erwacht,
sich bewegt, Augen öffnet, normal atmet
oder bis zur Erschöpfung
. Abb. 8.2 BLS-Maßnahmen, sobald AED verfügbar (nach ERC Empfehlungen 2010/2015)
der Neugeborenenreanimation. Wesentliche Unter- der American Heart Association (AHA) in leichter
schiede der Kinderreanimation sind die fünf initialen Linksseitenlage reanimiert, um nachteiligen Auswir-
Beatmungen nach Feststellung des Atemstillstandes kungen des Unterleibs auf den venösen Rückstrom
mit vorangehender einmütiger manueller Wiederbe- zu begegnen.
lebung. Im anschließenden Algorithmus erfolgt die
CPR-Abfolge Thoraxkompression zu Beatmung im > A und O der Wiederbelebung bei
15:2-Modus. Auch bei Kindern sollen Laien ermutigt Erwachsenen und Kindern ist die manuelle
werden, mit dem für Erwachsene geltenden Algo- Thoraxkompression. Neurologisch desaströse
rithmus zu reanimieren. Ergebnisse sind i. d. R. Folge unzureichender
Bei Schwangeren (Reanimationsursachen z. B. zerebraler Perfusion. Bei Kindern wird
schwere Eklampsie, Schwangerschaftskardiomyo- der Bedeutung der Hypoxie ein größerer
pathie, Blutungen, Embolien) wird nach Leitlinien Stellenwert beigemessen.
174 Kapitel 8 · Neurologische Aspekte der kardiopulmonalen Reanimation
Reaktionsloser Patient
Reanimationsteam rufen
CPR 30:2
Defi und EKG-Monitor platzieren
Möglichst keine CPR-Unterbrechungen
Rhythmus?
ROSC
Während der CPR :
1x Defibrillation • Behandlung reversibler Ursachen
• Adrenalin i.r.
• Atemwegssicherung
• Kontrolle guter CPR (z.B. Eindringtiefe
der Kompressionen)
sofort CPR 30:2 für 2 min. sofort CPR 30:2 für 2 min.
. Abb. 8.4 Allgemeiner Ablauf des ALS (nach ERC Empfehlungen 2010/2015)
sind (Neumar et al. 2008; Leitlinien der Darüber hinaus lassen sich auch als unmittelbare
Deutschen Gesellschaft für Neurologie). Die Ursachen einer hypoxischen Enzephalopathie Sauer-
insgesamt diffusen Schädigungen betreffen stoffmangelsituationen bei erhaltenem zerebralem
prognostisch und schwerpunktmäßig oft Blutfluss (CBF), z. B. im Rahmen von CO-Intoxika-
den Hippokampus, Neokortex, Thalamus, tionen oder beim therapierefraktärem Status asthma-
Kleinhirn und die Stammganglien. ticus abgrenzen.
Als weiteres therapeutisches Prinzip nach Reani- . Abb. 8.8 Vergleichbarer Mehrlumen-Katheter mit
mation steht die möglichst optimale venöse Drai- modifiziertem Gelkissen zur intravasalen Kühlung. (Mit
freundlicher Genehmigung der Fa. Zoll)
nage über die Jugularvenen im Vordergrund. Eine
Oberkörperhochlagerung von etwa 30°C ist hierzu
einfach und sicher durchführbar. Katheterlag, insbe-
sondere solche mit stärkeren Lumina (z. B. Shaldon- Die reflektorische systemisch arterielle Hyperto-
Katheter zur Dialyse beim akuten Nierenversagen) nie des Hirndruckpatienten ist essenziell, um einen
sollten möglichst nicht in den Jugularvenen platziert adäquaten zerebralen Perfusionsdruck (CPP) auf-
werden. Subclaviapunktionen sind unter Berücksich- rechtzuerhalten. Gegebenenfalls sind auch bei nor-
tigung des Gerinnungsstatus sowie etwaig vorhande- movolämen Patienten α-adrenerge Substanzen nötig,
ner Begleiterkrankungen (COPD, Lungenemphysem) um den gewünschten systemarteriellen Druck zu
vorzuziehen. Letztlich kommen auch Punktionen der erzielen (Noradrenalin).
V. femoralis als kurzfristige Ausweichmöglichkeit in Eine milde Hyperventilation führt durch die
Betracht. Motorische Entäußerungen werden ent- Erniedrigung des pCO2 zu einer reaktiven Vasokonst-
sprechend behandelt (7 Kap. 3, Krampfanfälle). riktion und damit zu einer Abnahme des intrazerebra-
Hirndruckmessungen erfolgen im Rahmen von len Drucks (ICP). Eine Absenkung unter 30 mmHg
Lumbalpunktionen oder durch eine externe Ventri- führt allerdings unter Umständen zu einer reflekto-
keldrainage (EVD). rischen Hypoperfusion, so dass tatsächlich nur eine
178 Kapitel 8 · Neurologische Aspekte der kardiopulmonalen Reanimation
. Abb. 8.9, . Abb. 8.10 und . Abb. 8.11 zeigen wichtigsten negativen prognostischen Indikatoren
exemplarisch typische, mit einer schlechten Prog- in Abhängigkeit zum Zeitverlauf zusammen:
nose einhergehende EEG-Muster:
Zahlreiche Studien konnten solche elektrophy-
siologischen Indikatoren an teils größeren Patienten- 8.10 Bildgebung
gruppen (z. B. Rossetti 2009, 2010) als Prädiktoren
einer infausten Prognose identifizieren. Leicht verfügbar ist die konventionelle Computer-
Als biochemische Marker können die neuronen- tomographie (kraniales CT). Hier wie auch in der
spezifische Enolase (NSE) sowie das Serum-Protein sich meist im weiteren Verlauf anschließenden Mag-
S 100-B herangezogen werden. Absolute Cut-off- netresonanztomographie (cMRT) stehen die Doku-
Werte sind zur Prognoseeinschätzung nicht vor- mentation der Hirnschwellung und das Ausmaß
handen, NSE-Werte unter Normothermie von über des Hirnödems im Vordergrund. Da diese Befunde
33 µg/l waren jedoch häufiger mit einer schlech- oftmals nicht sofort eindeutig sind, empfiehlt sich
ten Prognose vergesellschaftet. In jüngeren Studien eine Wiederholung spätestens nach 96 h. Progno-
konnte für einen weiteren Biomarker, dem Tau-Pro- seabschätzungen anhand der Bildbefunde sind ins-
tein, eine gute Korrelation für das Outcome nach besondere unter therapeutischer Hypothermie
sechs Monaten post reanimationem belegt werden praktisch nicht möglich. Die höchsten Werte zur
(Randall et al. 2013). Spezifität wurden einmal mehr nur in Korrelation
. Tab. 8.2 fasst in Anlehnung an die Leitlinien mit der klinischen Symptomatik erbracht (Wu et al.
der Deutschen Gesellschaft für Neurologie die 2011).
180 Kapitel 8 · Neurologische Aspekte der kardiopulmonalen Reanimation
. Tab. 8.2 Negative prognostische Indikatoren (modifiziert nach Leitlinien der DGN)
Ohne therapeuti- Hyperglykämie Spontane, generalisier- GCS motorisch <3 oder nur
sche Hypothermie Normothermie te Myoklonien (cave: Strecksynergismen
Hyperthermie Medikamenteneffekte) Fehlender Pupillenreflex
Verzögerte Reani- NSE erhöht Fehlender Kornealreflex
mation Fehlender vestibulookulärer
Lange Reanimation Reflex
Fehlende EEG-Reaktivität oder
Burst-Suppression-Muster
Niederspannungs-EEG (<20 µV)
Cave: Medikamenteneffekte
Medianus SEP (N20) beidseits fehlend
Fehlender Pupillenreflex
Fehlender Kornealreflex
Cave: Medikamenteneffekte
Medianus SEP (N20) beidseits fehlend
Burst-Suppression-Muster im
EEG
Niederspannungs-EEG (<20 µV)
Cave: Medikamenteneffekte
. Abb. 8.12, . Abb. 8.13 und . Abb. 8.14 zeigen 55 Als diametral gegensätzlich hierzu ist für
Beispiele von Hirnschwellung und Ödembildung in Zustände nach längeren Reanimationen und
Fällen von „out of hospital cardiac arrest“ (OHCA): v. a. zusätzlich auch nicht effektiver Reanimation
das apallische Syndrom möglich (Synonyme:
Wachkoma, Coma vigile, persistierender vegeta-
8.11 Klinische Situationen post tiver Status) Dies wird erkennbar, wenn der
reanimationem Patient nicht mehr vollständig komatös ist: Er
öffnet die Augen, nimmt jedoch seine Umgebung
Wie bereits ausgeführt, sind neben den o. g. EEG-Be- nicht wahr und reagiert nicht auf Laute oder
funden persistierendes Koma und Frühmyoklonien Aufforderungen. Gerichtete Bewegungen sind
in Bezug auf die Wiedererlangung des Bewusstseins nicht vorhanden, wohl aber ungerichtete oder
mit einer schlechten Prognose einhergehend. Reflexbewegungen; diese sind häufig enthemmt
Folgende Situationen können klinisch nach wie- und im Verlauf zunehmend. Diskonjugierte
dererlangtem Kreislauf beobachtet werden: Bewegungen der Augenbulbi sind möglich.
55 Spontanes bzw. verzögertes Wiedererwachen Ebenso fehlt der Lidschluss als Schutzreflex.
mit oder ohne fokale(n) Defizite(n). Hier Hirnstammreflexe können durchaus erhalten
liegen häufig protrahierte Verläufe sein. Oft werden ein vermehrter Speichel-
vor und zunächst bestehende Defizite fluss und Kau- oder Schmatzautomatismen
zeigen oft Erholungspotenzial bis zur beobachtet. Saug- und Greifreflexe sind positiv.
vollständig abgeschlossenen Rehabilitation. Die Herz-Kreislauf-Funktion und die sonstigen
Besonders nach kurzer und effektiver Wieder- vegetativen sind erhalten, oft jedoch unregel-
belebung ist eine Restitutio ad integrum mäßig und enthemmt („vegetativer Status“).
möglich. Der Schlaf-Wach-Rhythmus ist nicht mehr an
182 Kapitel 8 · Neurologische Aspekte der kardiopulmonalen Reanimation
. Abb. 8.12 CCT 4 Tage nach globaler Hypoxie (Strangulation und Reanimation). Man sieht eine globale
Hirnvolumenvermehrung mit fehlender Abgrenzbarkeit der Stammganglien. Zusätzlich ist das Rindenband nicht mehr vom
Marklager zu differenzieren („Homogenisierung“)
8.11 · Klinische Situationen post reanimationem
183 8
a b
. Abb. 8.13 a, b Diffuse Marklagerhypoxie. a Generalisierte Schwellung und Ödembildung in Diffusion und ADC-Map.
b Im Gegensatz hierzu praktisch Normalbefund nach kurzer Reanimation bei in „hospital cardiac arrest“, IHCA)
a b
die Tageszeiten gebunden. Die Diagnose kann und Bewertung der Rückbildungsfähigkeit ist schwie-
frühestens nach Ablauf eines Monates gestellt rig und ebenfalls an lange Zeitintervalle geknüpft.
werden. Remissionen noch nach bis zu einem
Jahr sind jedoch beschrieben. Hier sind dann > Lang anhaltende und besonders nicht
wieder zunehmend gerichtete Aktionen (z. B. leitliniengerechte Wiederbelebungs-
willentliche Mundöffnung, Äußern von Wut maßnahmen münden nach Wiederkehr
oder Freude) möglich. Nach mehr als einem Jahr des Spontankreislaufs oft in desaströsen
Persistenz des Coma vigile ist von einer Irrever- neurologischen Situationen, z. B. vegetativer
sibilität auszugehen. Status, MCS. Dies ist im Langzeitverlauf mit
hohen Kosten, einer enormen psychischen
Zwischen beiden Situationen kann das Bewusstsein Belastung für die Angehörigen und einer
zwar nicht als ausgeschaltet aber als maximal einge- erhöhten Inzidenz von Sekundärkom-
schränkt bezeichnet werden, sog. „minimal conscious plikationen (z. B. Respirator-assoziierte
state“ (MCS). Die Abschätzung der Gesamtprognose Pneumonien) verbunden.
184 Kapitel 8 · Neurologische Aspekte der kardiopulmonalen Reanimation
Frühreha-Barthel-Index (FRB)
Bitte Zutreffendes ankreuzen und Gesamtpunktzahl berechnen
A) FR-INDEX
Nein Ja Punkte
intensivmedizinisch überwachungspflichtiger Zustand (z.B. veg. Krisen,...) 0 -50
absaugpflichtiges Tracheostoma 0 -50
intermittierende Beatmung 0 -50
beaufsichtigungspflichtige Orientierungsstörung (Verwirrtheit) 0 -50
beaufsichtigungspflichtige Verhaltensstörung (mit Eigen- und/oder Fremdgefährdung) 0 -50
schwere Verständigungsstörung 0 -25
beaufsichtigungspflichtige Schluckstörung 0 -50
Summe FR-
Index:
B) BARTHEL-INDEX
1. Essen und Trinken nicht möglich 0
("mit Unterstützung"), wenn Speisen vor dem Essen mit Unterstützung 5
zurechtgeschnitten werden
selbständig 10
2. Mobilität nicht möglich 0
Umsteigen aus dem Rollstuhl ins Bett und umgekehrt mit Unterstützung 5
(einschl. Aufsitzen im Bett)
selbständig 10
3. Persönliche Pflege nicht möglich 0
(Gesichtwaschen, Kämmen, Rasieren, Zähneputzen) mit Unterstützung 0
selbständig 5
4. Benutzung der Toilette nicht möglich 0
(An-/Auskleiden, Körperreinigung, Wasserspülung) mit Unterstützung 5
selbständig 10
5. Baden/Duschen nicht möglich 0
mit Unterstützung 0
selbständig 5
6. Gehen auf ebenem Untergrund nicht möglich 0
mit Unterstützung 10
selbständig 15
6a. Fortbewegung mit dem Rollstuhl auf nicht möglich 0
ebenem Untergrund (dieses Item nur verwenden, mit Unterstützung 0
falls das Item 6 mit "nicht möglich" bewertet wurde)
selbständig 5
7. Treppen auf-/absteigen nicht möglich 0
mit Unterstützung 5
selbständig 10
8. An-/Ausziehen nicht möglich 0
(einschließlich Schuhebinden, Knöpfe schließen) mit Unterstützung 5
selbständig 10
9.Stuhlkontrolle nicht möglich 0
mit Unterstützung 5
selbständig 10
10.Harnkontrolle nicht möglich 0
mit Unterstützung 5
selbständig 10
Barthel-Punktzahl (B):
FR-Barthel-Index-Gesamtzahl (A+B):
Frühreha-Barthel-Index (FRB)
Bitte Zutreffendes ankreuzen und Gesamtpunktzahl berechnen
A) FR-INDEX
Nein Ja Punkte
intensivmedizinisch überwachungspflichtiger Zustand (z.B. veg. Krisen,...) 0 -50
absaugpflichtiges Tracheostoma 0 -50
intermittierende Beatmung 0 -50
beaufsichtigungspflichtige Orientierungsstörung (Verwirrtheit) 0 -50
beaufsichtigungspflichtige Verhaltensstörung (mit Eigen- und/oder Fremdgefährdung) 0 -50
schwere Verständigungsstörung 0 -25
beaufsichtigungspflichtige Schluckstörung 0 -50
Summe FR-Index
B) BARTHEL-INDEX
1. Essen und Trinken
kann selbständig eine feste Mahlzeit in üblicher Zeit zu sich nehmen; sollte i.d. Lage sein, erforderliche Hilfsmittel einzusetzen, Fleisch zu
10
schneiden, Butter aufzustreichen u.s.w.
Hilfe ist erforderlich (s. oben), Pat. isst selbst 5
unmöglich 0
2. Mobilität
a) Gehen in der Ebene
kann mind. 50 m gehen; Hilfsmittel wie Prothesen, Gehstützen können eingesetzt werden, jedoch kein Rollator; Gebrauch der Hilfsmittel selbständig 15
auf Hilfe oder Aufsicht angewiesen, mind. 50 m mit geringer Unterstützung 10
b) Rollstuhlfahren
8 selbständiger Gebrauch des Rollstuhls; sollte um Ecken, an Tisch, Bett oder Toilette fahren u. auf der Stelle drehen können; Mind.strecke 50 m
0
3. Treppauf-/Treppabsteigen
bewältigt ein Stockwerk ohne Hilfe, Gebrauch von Geländer, Gehhilfe möglich 10
benötigt Hilfe oder Aufsicht 5
nicht möglich 0
4. Transfer
a) benötigt keinen Rollstuhl 15
b) Transfer Rollstuhl - Bett und zurück
selbständig in allen Bereichen, fährt sicher an das Bett, betätigt Bremsen, hebt die Fußstützen, wechselt in das Bett, legt sich nieder, kann
allein aufrecht auf der Bettkante sitzen, die Position des Rollstuhls korrigieren; analog zurück 15
geringe Hilfe o. Aufsicht durch 1 Person f. einen oder mehr. Teilschritte erforderlich 10
kann an der Bettkante sitzen, muss aber von 1 oder 2 Personen aus dem Bett gehoben werden bzw. benötigt deutliche Hilfestellung 5
unmöglich, keine Sitzbalance 0
5. An-/Ausziehen
selbständig beim Auswählen der Kleidung, An- und Ausziehen einschl. Verschlüsse und Schnürsenkel; Hilfsmittel werden selbständig angelegt 10
benötigt Hilfe (z.B. bei Knöpfen, Reißverschluss); mind. die Hälfte des Aufwandes vom Pat. selbst geleistet in vernünftigem Zeitrahmen 5
abhängig 0
6. Persönliche Hygiene
kann sich Hände und Gesicht waschen, kämmen, Zähne putzen, rasieren, Make-up gebrauchen; Toilettenartikel können bereitgestellt werden 5
nicht möglich bzw. mit Unterstützung 0
7. Waschen
kann Voll- oder Duschbad nehmen; alle Handlungsschritte selbständig 5
nicht selbständig möglich 0
8. Toilettenbenutzung
selbständig einschl. An-/Ausziehen, Kleidung reinhalten, Anus säubern 10
teilselbständig, aber Hilfsperson nötig 5
unselbständig 0
9. Harnkontrolle
kontinent Tag und Nacht; evtl. Gebrauch einer Harnableitung selbständig 10
gelegentliches Einnässen/Missgeschick (max. 1/ Tag) 5
10. Stuhlkontrolle
kontinent, keine Missgeschicke 10
gelegentliches Einkoten/Missgeschick (max. 1/ Woche) 5
inkontinent oder unselbständig 0
Barthel-Punktzahl (B):
Untersucher: FR-Index (A):
FR-Barthel-Index-Gesamtzahl (A+B):
8
189 9
Psychiatrische Notfälle
M. Paulzen, G. Gründer
Literatur – 205
Notfallort (präklinisch)
Rettungssanitäter / Rettungsassistent
(Polizei, Feuerwehr, Seelsorger)
Anästhesist
Internist
Chirurg
Notaufnahme
Somatische Klinik Notaufnahme
Anästhesist
Psychiatrische Klinik
Internist Psychiater
Chirurg Internist
Psychiater
. Abb. 9.1 Einsatzorte und beteiligte Personen im Falle psychiatrischer Notfälle. (Modifiziert nach Messer et al. 2015)
. Tab. 9.1 Psychiatrische Notfälle in der präklinischen Notfallmedizin (modifiziert nach Pajonk 2015 u. Kardels et al. 2007)
die psychisch kranke Menschen oftmals auch ohne Notfälle abzudecken. Einer weitergehenden Defini-
Behandlungsbereitschaft der Betroffenen versorgen tion zufolge darf dann von einem Notfall ausgegan-
müssen. Die Einsatzhäufigkeit aufgrund psychischer gen werden, wenn „plötzlich und unerwartet eine
Störungen beträgt konstant zwischen 10 und 15%, wesentliche gesundheitliche Schädigung zu befürch-
was bedeutet, dass jährlich etwa 500.000 Patienten ten ist, die unverzüglich in einer besonderen Behand-
vom Notarzt und 1,5 Mio. Patienten in Notaufnah- lungseinrichtung (z. B. einem Krankenhaus) versorgt
men aufgrund eines psychiatrischen Notfalls ver- werden muss, auch wenn noch keine unmittelbare
sorgt werden müssen (Pajonk 2015). Lebensgefahr besteht, und bei der eine Versorgung
Der Stellenwert einer psychiatrischen Notfall- durch niedergelassene Ärzte definitiv nicht ausreicht“
versorgung ist in den letzten Jahren gestiegen. Mit (Pajonk 2015).
beinahe 15% aller Notfälle sind psychiatrische Notfälle Eine Grenzziehung zwischen einem „Akutfall“
etwa gleich häufig wie neurologische und unfallchir- und einem „Notfall“ kann nicht allgemeingültig getrof-
urgische Notfälle und gehören zu den Top 5 hinsicht- fen werden, sondern hängt vom jeweiligen Einzelfall
lich der Einsatzhäufigkeit von Notärzten im Rahmen ab. Von einem psychiatrischen Notfall spricht man
medizinscher Notfälle (Pajonk u. Messer 2009). Inner- dann, wenn das akute Auftreten oder die Exazerba-
halb psychiatrischer Notfälle stellen Alkoholintoxika- tion einer bestehenden psychischen Störung zu einer
tionen die größte Gruppe dar, gefolgt von Erregungs- unmittelbaren Gefährdung von Leben und Gesundheit
zuständen und Suizidalität (Pajonk et al. 2002). des Betroffenen und/oder seiner Umgebung führt und/
oder einer akuten Therapie bedarf (Pajonk et al. 2000).
Von den psychiatrischen Notfällen (. Tab. 9.1)
9.2 Definition kann die Notfallsituation als akuter Krankheitszu-
stand, bei dem keine Lebensbedrohung und keine
Unabhängig von psychischen Krankheiten geraten erheblichen Organfunktionsstörungen bestehen,
Menschen unverhofft und schicksalshaft gelegent- abgegrenzt werden. Hierzu zählen unter anderem
lich in persönlich psychosoziale Krisensituatio- krisenhafte Entwicklungen in der Folge unerwar-
nen. Zwar stellen diese (noch) keine psychiatrische teter belastender Ereignisse, wenn Ereignisse und
Notfallsituation dar, münden aber oftmals in eine Lebensumstände auf einen Menschen einwirken, die
solche (Laux u. Berzewski 2011). Ein medizinischer dessen Belastungsfähigkeit im Sinne seiner psycho-
Notfall wird definiert als akuter lebensbedrohlicher physischen Ressourcen und seine Bewältigungsstra-
Zustand durch Störung der Vitalfunktionen oder tegien übersteigen und seine psychische und soziale
als Gefahr einer plötzlich eintretenden irreversib- Integrität hochgradig gefährdet ist. Psychopatho-
len Organschädigung (Pschyrembel 2015). Gleich- logische Symptome und Verhaltensauffälligkeiten
wohl reicht diese sehr eng gefasste Definition nicht führen zu einer Beeinträchtigung der psychosozia-
aus, um die Vielzahl unterschiedlicher medizinischer len Funktionsfähigkeit (Pajonk 2015), diagnostisch
192 Kapitel 9 · Psychiatrische Notfälle
zeigt sich meist das Bild einer akuten Belastungsreak- steigender Bedarf an psychiatrischer Notfallversor-
tion im Sinne der Diagnosekriterien psychischer Stö- gung für Flüchtlinge und Migranten hinzuzukom-
rungen der Weltgesundheitsorganisation (ICD-10). men (Pajonk 2015; Bühring 2015).
Naturkatastrophen, Großschadensereignisse oder
der plötzliche Verlust geliebter Menschen zählen zu
den Ursachen. 9.4 Notfallpsychiatrisch relevante
Psychiatrische Notfälle sind oftmals durch eine Syndrome und Störungen
Prodromalphase gekennzeichnet, die in eine Form
krisenhafter Zuspitzung mit psychomotorischer Das Spektrum notfallpsychiatrisch relevanter Syn-
Erregung, Aggressivität oder Suizidalität überge- drome und Störungen ist vielfältig und umfasst Sui-
hen kann. Nicht ein konkret erhebbarer und ope- zidalität, Erregungszustände, delirante Syndrome,
rationalisiert messbarer Befund definiert sodann einhergehend mit Bewusstseinsstörungen und
den psychiatrischen Notfall als vielmehr beobacht- Verwirrtheit, Intoxikationen in suizidaler Absicht
bare Verhaltensauffälligkeiten, Störungen der psy- oder aufgrund akzidenteller Ursache und weiterge-
chosozialen Interaktion und psychopathologische hende substanzassoziierte Störungen wie Entzugs-
Auffälligkeiten. syndrome, paranoid-halluzinatorische Syndrome,
manische Syndrome, Stupor und Katatonie, Angst-
störungen oder auch psychosoziale Krisen und
9.3 Epidemiologie Traumatisierungen. Hinzu kommen noch die durch
Psychopharmaka ausgelösten Notfälle wie akute
9 Verschiedene Faktoren legen die Annahme nahe, Dystonien/Frühdyskinesien, ein malignes neuro-
dass die Häufigkeit psychiatrischer Notfälle in den leptisches Syndrom oder auch ein zentrales Seroto-
letzten Jahren gestiegen ist. Ursächlich mag sein, dass ninsyndrom, eine Lithiumintoxikation oder ein anti-
in vielen Regionen die ambulante Versorgungssitu- cholinerges Syndrom.
ation unzureichend ist, Erkrankungen lange unent-
deckt bleiben und erst auffällig werden, wenn sich ein
Notfall hieraus entwickelt hat. Die Verkürzung der Notfallpsychiatrisch relevante Syndrome
stationären Verweildauer in psychiatrischen Einrich- 44 Suizidalität
tungen und der hierdurch erhöhte Anteil nur teilsta- 44 Psychomotorische Erregungszustände
bilisierter Patienten im Übergang in ein ambulantes 44 Delirante Syndrome
Versorgungssystem, das hierfür nicht ausgelegt ist, 44 Bewusstseinsstörungen
könnte die Häufigkeit beeinflussen. 44 Intoxikationen
Aufgrund einer steigenden Lebenserwartung 44 Substanzassoziierte Störungen wie
erhöht sich zudem der Anteil gerontopsychiatri- Entzugssyndrome
scher Patienten, immer umfangreichere somatische 44 Paranoid-halluzinatorische Syndrome
Interventionsmöglichkeiten (Transplantationschir- 44 Manische Syndrome
urgie, komplexe chirurgische Eingriffe) oder kom- 44 Stupor
plexe pharmakologische Therapien mit hohem 44 Medikamentös induzierte Notfälle
Interaktionspotenzial erhöhen die Wahrschein-
lichkeit lebensbedrohlicher Störungen (z. B. deli-
rante Syndrome). Darüber hinaus ist eine beobacht-
bare Zunahme exzessiven Substanzkonsums sowohl 9.5 Allgemeine Verhaltensweisen
legaler als auch illegaler Stoffe mit einer erhöhten in einer psychiatrischen
Anzahl von Notfällen verbunden. Schließlich spielen Notfallsituation
psychosoziale Belastungsfaktoren mit erhöhter
Stressbelastung, hoher Arbeitsbelastung oder soziale Aufgrund der Häufigkeit und klinischen Beson-
Isolation eine Rolle für die Zunahme psychiatrischer derheit psychiatrischer Notfälle im präklinischen
Notfälle, neuerdings wird wahrscheinlich zudem ein Bereich sowie in Notaufnahmen stellt der Umgang
9.6 · Diagnostik in der Akutsituation
193 9
mit derartigen Situationen eine besondere Heraus- vergleichbarem Umfang und einer allgemeinen Ver-
forderung für jeden klinisch tätigen Arzt oder das ständlichkeit als Hilfesuchende zu erkennen geben.
medizinische Fachpersonal dar. Neben nicht-phar- Zudem sind einige Symptome eines akuten psych-
makologischen Kompetenzen wie einem ruhigen iatrischen Syndroms, weil sie zum Gefüge norma-
und sicheren Auftreten, einer beruhigenden Zuwen- len menschlichen Verhaltens gehören können, nicht
dung, der für den Patienten wahrnehmbaren Gewiss- immer direkt zu erkennen (Neu 2015).
heit, ernst genommen zu werden, einer wohlwollend In jeder (prästationären) Untersuchungssituation
direktiven Gesprächsführung mit dem Ziel eines müssen ein (orientierender) psychopathologischer
„down talkings“ und einer konsequenten Hand- Untersuchungsbefund ebenso wie eine vollständige
lungsbereitschaft, stellen sehr gute (psycho-)phar- körperlich-neurologische Untersuchung erfolgen.
makologischen Kompetenzen eine wesentliche Säule Wichtige Leitsymptome psychischer Störungen in
im Umgang mit psychiatrischen Akutsituationen dar der Akutsituation sind (Neu 2015):
(Messer et al. 2015). 55 Bewusstseinsstörungen
Einer möglicherweise notwendigen medika- 55 Antriebsstörungen
mentösen Behandlung des psychiatrischen Notfalls 55 Orientierungsstörungen
sollten folgende Maßnahmen vorausgehen (Benkert 55 Angst
u. Müller 2015; Müller u. Lange-Asschenfeldt 2012; 55 Selbstgefährdung
Henkel u. Schneider 2016): 55 Symptome wie Mutismus, Stupor oder
55 Abschätzen einer akuten Eigen- oder Fremd- Dissoziation
gefährdung durch den Patienten
55 Ausschluss einer unmittelbaren vitalen Eine Bewusstseinsstörung ist immer ein Hinweis auf
Bedrohung durch internistische/chirurgische eine akute Funktionsstörung des Gehirns. Bei einer
(Grund-)Erkrankung verminderten Vigilanz erfordert sie eine Abklärung,
55 Vorläufige diagnostische Einschätzung des ob es sich um ein normalphysiologisches Phänomen
Notfallsyndroms (vermutete zugrunde liegende wie Müdigkeit handelt oder ob eine quantitative
Störung, u. a. durch Fremdanamnese wie Bewusstseinsstörung in den Dimensionen von Wach-
z. B. durch Polizei, Angehörige oder durch heit bis Koma vorliegt (Neu 2015). Eine Operationa-
Verhaltensbeobachtung) lisierung kann mittels der gebräuchlichen Glasgow
55 Festlegung der Behandlungsstrategie und Coma Scale erfolgen. Bewusstseinsstörungen können
-modalität (freiwillig vs. unfreiwillig) auf vielfältige Ursachen zurückzuführen sein. Hierzu
zählen Intoxikationen, ein Entzug von Alkohol oder
Drogen, ein Zustand nach einem Krampfanfall, ein
9.6 Diagnostik in der Akutsituation Schädel-Hirn-Trauma, ein zerebraler Prozess bis hin
zu einer Meningitis, eine metabolische Störung, ein
Wie auch im somatischen Bereich, so verbleibt für Herz-Kreislauf-Versagen oder ein Delir.
die Diagnostik im Rahmen psychiatrischer Notfälle Antriebsstörungen fallen meist schon im
nur ein begrenzter Zeitrahmen. Neben der Einschät- Zusammenhang mit einer orientierenden Beobach-
zung einer vitalen Gefährdung müssen Aspekte wie tung auf. So zeigt sich eine Antriebssteigerung meist
eine bestehende Eigen- oder Fremdgefährdung, eine durch eine vermehrte allgemeine Aktivität, Unruhe
somatische versus eine psychiatrische Behandlungs- und Getriebenheit bis hin zur Enthemmung und
notwendigkeit sowie die Frage einer ambulanten Erregung aus, eine Verminderung der Antriebslage
oder stationären Behandlungsbedürftigkeit geklärt zeigt sich meist durch Bewegungsarmut, -verlangsa-
werden. Schwierigkeiten beim Erkennen, Bewer- mung und fehlende Spontanität (Berzewski 2009).
ten und bei der diagnostischen Einordnung psycho- Erregung als wichtiges Leitsymptom ist problemlos
pathologischer Symptome bzw. akuter psychiatri- durch Verhaltensbeobachtung zu erkennen, obgleich
scher Syndrome ergeben sich insbesondere für den die diagnostische Einordnung schwierig sein kann,
psychiatrisch unerfahrenen Untersucher dadurch, da Erregung bekanntlich auch zum normalen psy-
dass psychiatrische Patienten sich oftmals nicht in chophysischen Verhalten gehören kann.
194 Kapitel 9 · Psychiatrische Notfälle
Orientierungsstörungen beziehen sich auf die eine gründliche Anamnese – soweit erhältlich –,
Orientierung zu Zeit, Ort, zur eigenen Person und da diese es am besten erlaubt, Beschwerdeursa-
zur Situation. Eine Orientierungsstörung kann gele- chen richtig zuzuordnen. Die somatische Abklä-
gentlich durch eine reine Verhaltensbeobachtung rung von Patienten mit psychischen Erkrankun-
offensichtlich werden, manchmal zeigt sie sich aber gen in der Akut- und Notfallmedizin wird ebenso
erst im Rahmen einer gezielten Exploration. Wesent- wie in der Regelversorgung als „ medical clea-
liches Kriterium zur Differenzierung eines nicht- ring“ bezeichnet (Schwerthöffer et al. 2016) und
akuten von einem akuten Bild ist der Zeitpunkt des umfasst neben einer umfassenden körperlich-
Eintretens der Symptomatik (Neu 2015). Mögliche neurologischen Untersuchung eine Pulsmessung,
Ursachen einer Orientierungsstörung können ein die Bestimmung von Blutdruck und Sauerstoffsät-
Delir, eine Intoxikation, ein Entzugssyndrom, ein tigung, Temperaturmessung und EKG-Ableitung,
demenzielles Syndrom, ein konvulsives Ereignis, sowie im Verlauf eine Analyse von Blutbild, Elek-
eine affektive Störung wie eine Depression oder ein trolyten, Leber- und Nierenwerten, C-reaktivem
zerebrales Ereignis sein. Hinzu kommen noch die Protein (CRP), Protein und Gerinnungsparame-
Möglichkeit einer Arzneimittelwirkung oder einer tern (Beerhorst et al. 2012).
metabolischen Störung (Neu 2015). Im Falle akuter Suizidalität (s. u.) stellt die
Mutismus, Stupor oder Dissoziation sind direkte, wertneutrale und einfühlsame Nachfrage das
gekennzeichnet durch ein vermindertes oder auf- wichtigste Element zur Erkennung und Einschätzung
gehobenes Sprechen sowie eine fehlende oder inad- von Suizidalität dar.
äquate Reaktion auf Ansprache. Mutismus zählt
9 dabei zu den Antriebsstörungen und wird abge-
grenzt vom willentlichen Schweigen (Arbeitsge- 9.7 Rechtliche Grundlagen
meinschaft für Methodik und Dokumentation
in der Psychiatrie 2007). Stupor benennt einen Neben den Grundkenntnissen hinsichtlich der
Zustand mit deutlich verminderter bis hin zu aufge- diagnostischen Einschätzung und der Einleitung
hobener Aktivität. Ein Patient kann in dieser Situa- einer symptomorientierten Therapie psychiat-
tion Vorgänge seiner Umwelt mit besonderer Emp- rischer Notfälle ist die Kenntnis der rechtlichen
findlichkeit wahrnehmen, ist aber nicht imstande, Rahmenbedingungen zur Behandlung psychisch
sich aktiv daran zu beteiligen (Arbeitsgemeinschaft Kranker auch bei Ärzten anderer Fachrichtungen
für Methodik und Dokumentation in der Psych- sowie bei Mitarbeitern der Rettungsdienste oder
iatrie 2007). Hauptmerkmal der Dissoziation ist der Feuerwehr besonders wichtig. Eine Besonder-
eine Unterbrechung von normalerweise integra- heit ergibt sich zudem dadurch, dass bei psychi-
tiven Funktionen des Gedächtnisses, der Identität atrischen Akuterkrankungen die Krankheitsein-
oder der Wahrnehmung der Umwelt (Neu 2015). sicht und Kooperationsbereitschaft der Patienten
Ursächlich für dissoziative Zustände sind meist eingeschränkt sein können und in akuten Gefähr-
Persönlichkeitsstörungen wie die Borderline-Stö- dungssituationen auch Behandlungen gegen den
rung oder eine Traumafolgestörung. Stupor findet ausgesprochen Willen betroffener Patienten erfol-
sich häufig bei depressiven Erkrankungen oder bei gen können und bisweilen freiheitsentziehende
schizophrenen Störungen, während ein Mutismus Maßnahmen eingeleitet werden müssen. Die
bei beinahe allen psychiatrischen Krankheitsbil- wichtigsten rechtlichen Grundlagen im Rahmen
dern vorkommen kann und auf eine besondere psychiatrischer Akutsituationen umfassen den
Schwere der Erkrankung hindeuten kann (Neu rechtfertigenden Notstand (§ 34 des Strafgesetz-
2015). buches, StGB), das PsychKG (Gesetz über „Schutz“
Soweit möglich, sind laborchemische Unter- und „Hilfen“ für psychisch kranke Menschen, Psy-
suchungen wie die Bestimmung der Blutglukose chisch-Kranken-Gesetze, als Landesgesetz teil-
(Erregungszustand bei Hypoglykämie) oder auch weise auch als „Unterbringungsgesetz“ oder als
die Atemalkoholkontrolle in der Akutsituation „Freiheitsentziehungsgesetz“ bezeichnet), sowie
durchzuführen. Von besonderer Wichtigkeit ist das Betreuungsgesetz.
9.8 · Pharmakotherapie
195 9
genannter Rechtfertigungsgrund vorliegt. Der recht-
Rechtliche Grundlagen im psychiatrischen fertigende Notstand (§ 34 StGB) setzt eine gegenwär-
Notfall (nach Mavrogiorgou et al. 2011) tige, dabei nicht anders abzuwendende Gefahr für
44 Der rechtfertigende Notstand (§ 34 Leib und Leben des Patienten voraus. Hierbei sind
StGB) erlaubt ärztlich indizierte das bedrohte Rechtsgut und der Grad der Gefahr
Behandlungsmaßnahmen gegen das zu verletzende Rechtsgut und der Grad
–– zur Abwendung von Gefahr im seiner Beeinträchtigung abzuwägen. Es muss das
Notfall, bedrohte Rechtsgut wesentlich überwiegen. In der
–– auch ohne Einwilligungsfähigkeit des Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH)
Patienten. übernimmt jeder Arzt, der die Behandlung eines
44 PsychKG (öffentlich-rechtliche Patienten übernimmt, eine sogenannte Garanten-
Unterbringung) stellung. Es kann auf diesem Wege eine Körperver-
–– regelt die Unterbringungsmodalitäten letzung oder eine fahrlässige Tötung durch Unter-
(„Zwangseinweisung“), lassen begangen werden, indem der Garant (z. B. der
–– ist bundesländerspezifisch, Notarzt) Maßnahmen unterlässt, die ihm möglich
–– Unterbringung kann bei Eigen- oder wären, um das Fortschreiten einer Erkrankung oder
Fremdgefährdung durch jeden Arzt und den Eintritt des Todes zu verhindern.
Bürger beim Gericht angeregt werden. Insbesondere im Rahmen psychiatrischer Not-
–– Die Unterbringung erfolgt durch einen fallsituationen dürfen in Situationen einer akuten
richterlichen Beschluss. Eigen- oder Fremdgefährdung dringend erforder-
44 BtG (Betreuungsgesetz) liche (unterbringungsähnliche) freiheitsentziehende
–– Bei krankheitsbedingtem Unvermögen Maßnahmen vorgenommen oder weitergeführt
des Patienten, seine Angelegenheiten werden. Zu den so genannten unterbringungsähn-
zu regeln, kann eine Betreuung lichen Maßnahmen zählt z. B. auch eine Fixierung
eingerichtet werden; wenn dies (vgl. rechtfertigender Notstand). Generell ist bei
schon besteht, kann der Betreuer Fixierungen Folgendes zu beachten (Weber-Papen
hinzugezogen werden. u. Schneider 2016):
–– Ein Antrag hierfür kann beim 55 Fixierungen sollten eine Ausnahmesituation
zuständigen Gericht eingereicht darstellen und sind nur durchzuführen, wenn
werden und wird meist nach Situationen anders nicht bewältigbar sind.
fachärztlichem (psychiatrischem) 55 Für die Dauer der Fixierung bedarf es einer
Gutachten entschieden. ständigen personellen, d. h. 1:1-Betreuung.
–– Die Betreuung kann zeitlich und für 55 Mindestens alle 15 min. sollte kontinuierlich
umschriebene Wirkungsbereiche eine Vitalzeichenkontrolle erfolgen.
(zum Beispiel Gesundheitsfürsorge, 55 Regelmäßiges Überprüfen des Sitzes der
Aufenthaltsort) begrenzt werden. Gurte (mindestens alle 15 min), Achten auf
Druckstellen.
55 Lückenlose Dokumentation durch Führen
eines Fixierprotokolls.
Außerhalb von Notfallsituationen bieten nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs weder die
betreuungsrechtlichen noch die unterbringungs- 9.8 Pharmakotherapie
rechtlichen Vorschriften nach Landesrecht eine aus-
reichende Ermächtigungsgrundlage für die Zwangs- Möglichst sollte aufgrund verfügbarer Informatio-
behandlung von psychisch erkrankten Menschen. nen eine erste syndromale Verdachtsdiagnose gestellt
In der Akutsituation eines psychiatrischen Not- werden, anhand derer sich die psychopharmakolo-
falls greift unter Wahrung der Angemessenheit der gische Behandlung orientiert. Nicht-pharmakologi-
Mittel der rechtfertigende Notstand, wenn ein so sche Maßnahmen wie verbale Deeskalation oder eine
196 Kapitel 9 · Psychiatrische Notfälle
Haloperidol (z. B. Haldol®) Psychotische und delirante Zu- i.m./p.o.: 5–10 mg, bei Hohes Wirkpotenzial, v. a. in niedrigerer QTc-Verlängerung möglich, Frühdys-
9.8 · Pharmakotherapie
standsbilder älteren Patienten geringer Dosis und bei kurzer Anwendung rela- kinesien. Intravenöse Gabe wird laut
(zunächst 0,5–1,5 mg) tiv gute kardiovaskuläre Verträglichkeit FI nicht empfohlen. Nur bei Monitor-
Psychomotorische Unruhe
überwachung!
Höchstdosis in Akutsitua- Hohes EPS-Risiko v. a. in hohen Dosis-
tionen besser nicht über bereichen
15–20 mg
Kombination mit BZD möglich
Mittel der Wahl bei Erregungszu-
ständen im Rahmen von (Alkohol-)
Intoxikationen
Risperidon Schizophrenie; manische Epi- p.o.: initial 1–2 mg Als Schmelztablette/Saft verfügbar; EPS, orthostatische Hypotonie mög-
(z. B. Risperdal®) soden; Kurzzeitbehandlung keine i.m.-Präparation für die Akut- lich, auch QTc-Verlängerung
Höheres Lebensalter/De-
(bis 6 Wochen) von anhalten- behandlung
menz: 0,25–1 mg
der Aggressivität bei Patienten
Antipsychotisch-beruhigende Ei-
mit mäßiggradiger bis schwe- Höchstdosis 12 mg genschaften, keine anticholinergen
rer Alzheimer-Demenz
Eigenschaften
Olanzapin (z. B. Zyprexa®) Psychotische Zustandsbilder i.m. 10 mg als Einzeldosis, Problemloser Übergang in p.o.-Erhal- QTc-Verlängerung möglich, selten
ggf. niedriger; maximal tungstherapie Bei i.m.-Behandlung schnelle Umstel-
Psychomotorische Unruhe bei
20 mg/Tag lung auf p.o.-Applikation anstreben
Schizophrenie und Manie Schnell lösliche p.o.-Applikationsform
p.o.: initial 10–20 mg, (Velotab) verfügbar Keine i.v.-Applikation, Kombination
mit parenteralem BZD wird nicht emp-
fohlen. Cave: Kombination mit Alkohol
Aripiprazol (z. B. Abilify®) Agitiertheit und Verhaltens- i.m. 9,75 mg als Einzeldosis, Keine bedeutsame Verlängerung des Datenlage für Akutsituationen un-
störungen bei Schizophrenie ggf. auch niedrigere Dosis QTc-Intervalls vollständig
197
. Tab. 9.2 Fortsetzung
Loxapin (z. B. Adasuve®) Leichte bis mittelschwere 9,1 mg zur Inhalation Einziges Inhalationspräparat Bronchodilatatorische Therapie mit
Agitiertheit bei Schizophrenie Betasympathomimetikum muss ver-
Ggf. nach 2 h zweite Dosis Anwendung nur im Krankenhaus-
und bipolarer Störung fügbar sein (Bronchospasmus)
umfeld unter Aufsicht von medizini-
Kapitel 9 · Psychiatrische Notfälle
schem Fachpersonal
Promethazin Unruhe und Erregungszustän- p.o./i.m./i.v.: initial in der Gut sedierende Eigenschaften ohne QTc-Zeit Verlängerung möglich, häu-
(z. B. Atosil®) de im Rahmen psychiatrischer Regel 25 mg, Wiederholung merkliche antipsychotische Wirkung, fig Mundtrockenheit, anticholinerge
Grunderkrankungen nach 2 h, maximal kurzzei- Kombination mit Haloperidol i.m. in Wirkungen
tig 200 mg/d bei schweren Akutsituationen evaluiert Cave: Vorsicht bei Intoxikationen mit
Unruhe- und Erregungs- Alkohol oder anderen Psychophar-
zuständen maka, Senkung Krampfschwelle
Melperon (z. B. Eunerpan®) Dämpfung psychomotorischer p.o.: initial 50–100 mg, Gute sedierende Eigenschaften bei QTc-Zeit Verlängerung, ortho-
Unruhe und Erregungszu- nicht mehr als 400 mg/24 h mäßiger antipsychotischer Wirkung, statische Dysregulation, potenter
stände fehlende anticholinerge Eigenschaf- Cytochrom-2D6-Blocker, Cave: Inter-
ten aktionen
Pipamperon (z. B. Dipi- Schlafstörungen, psychomoto- 40–120 mg, nicht mehr als Gute sedierende Eigenschaften, Teilweise orthostatische Hypotonie
peron®) rische Erregungszustände 300 mg/24 h geringe antipsychotische Wirkung, möglich, keine parenterale Appli-
fehlende anticholinerge NW, gut ge- kation
eignet für ältere Patienten
BZD Benzodiazepine, EPS extrapyramidalmotorische Störungen, HWZ Halbwertszeit, i.m. intramuskulär, i.v. intravenös (auch per infusionem), NW Nebenwirkungen, p.o. orale
Applikation, KI Kontraindikation,
9.8 · Pharmakotherapie
199 9
. Tab. 9.3 Benzodiazepine für (präklinische) psychiatrische Notfallsituationen (nach Messer et al. 2015; Benkert u.
Müller 2015; Müller u. Lange-Asschenfeldt 2012)
BZD Benzodiazepine, EPS extrapyramidalmotorische Störungen, HWZ Halbwertszeit, i.m. intramuskulär, i.v. intravenös
(auch per infusionem), NW Nebenwirkungen, p.o. orale Applikation, KI Kontraindikation
mindestens 10-mal häufiger sind als vollendete 55 Gefühl von Wertlosigkeit und Schuld
Suizide (Suizidrate in Deutschland ca. 11 Fälle pro 55 Quälende Unruhe, Getriebenheit, massive
100.000 Einwohner/Jahr), stellt die akute Suizidalität Anspannung
alleine zahlenmäßig die Notfallversorgung vor eine 55 Psychotische Angst- und Panikzustände
erhebliche Herausforderung. 55 Einfluss imperativen Stimmenhörens mit
Psychopathologische Auffälligkeiten als Risi- Suizidaufforderung
kofaktoren suizidalen Verhaltens sind (Neuner u. 55 Wahnhaft-depressive Symptomatik als Zeichen
Schneider 2012): generalisierter und höchster Einengung
55 Schwere depressive Zustände 55 Paranoide Verfolgungsängste mit existentiellem
55 Gefühl einer Hilflosigkeit oder eines Bedrohtheitserleben.
Ausgeliefertseins
55 Erleben bedrohlicher Umweltveränderungen, In der Notfallsituation einer akuten suizidalen
Wert- und Orientierungsverlust Krise (Suizididee, drängende Suizidabsicht mit
55 Hoffnungslosigkeit, fehlende Handlungsdruck) ist neben einem wertneutralen
Zukunftsperspektive ruhigen Gespräch meist immer eine begleitende
200 Kapitel 9 · Psychiatrische Notfälle
. Tab. 9.4 Charakteristika des akuten Erregungszustands (nach Mavrogiorgou u. Juckel 2015)
Steigerung von Antrieb und Psychomotorik Psychomotorische Erregung mit starkem Bewegungsdrang
Cave: Wechsel von Ruhe und Erregung
Affektive Enthemmung und Gereiztheit Angst, Panik, Gespanntheit, Gereiztheit, zielgerichtete Aggres-
sionen bis hin zum ungezielten aggressiven Verhalten, blind-
wütiges Toben, inadäquat gesteigertes Selbstwertgefühl
Kontrollverlust evtl. mit raptusartigen Gewalttätig- Unvorhergesehenes raptusartiges Auftreten vor allem aggres-
keiten („Gespanntheit“) siver Verhaltensweisen, evtl. ausgelöst durch unspezifische
oder belanglose Reize
Weitere Psychopathologie Formale Denkstörungen, Wahn, Halluzinationen, Bewusst-
seinsstörungen, Orientierungsstörungen
Vegetative Begleitsymptome RR-Anstieg, Tachykardie, Hyperthermie, Schwitzen, gastroin-
testinale Symptome
Unklarer oder komplexer Psychotischer Er- Delir ohne Hinweise auf Delir mit Hinweisen auf Intoxikation mit zentral- Intoxikation mit zen-
9.8 · Pharmakotherapie
Erregungszustand regungszustand bei Entzug (Alkohol, BZD) Entzug (Alkohol, BZD) nervös stimulierenden tralnervös dämpfen-
bekannter psychischer oder Intoxikation Substanzen (v. a. Amphe- den Substanzen (v. a.
Grunderkrankung tamine, Kokain) Alkohol)
Kein Hinweis auf Intoxika- 1. AAP p.o. Internistische Basis- 1. Clomethiazol p.o. oder 1. B
ZD (Lorazepam, Diaze- BZD vermeiden
tion, Entzug oder Delir – Risperidon 1–2 mg behandlung, BZD ver- Lorazepam p.o. oder pam) p.o.
– Olanzapin 5–10 mg meiden Diazepam p.o.
Ohne psychotische
Symptome: Lorazepam, 2. KAP p.o. 1. AAP p.o.(KAP p.o.) 1. H
aloperidol p.o.
Diazepam – Haloperidol ≤10 mg – Risperidon 1–2 mg 2–10 mg
und Lorazepam – Amisulprid 50–
Mit psychotischen Symp-
100 mg
tomen: Wie beim psychoti-
– Haloperidol ≤5 mg
schen Erregungszustand
3. KAP i.m.(p.inh.) 2. KAP i.m. 2. L orazepam oder Diaze- 2. L orazepam oder Diaze- 2. H
aloperidol i.m.
– Haloperidol – Haloperidol ≤5 mg pam i.m. oder langsam pam i.m. oder langsam 2–10 mg
2–10 mg i.m. + Lo- i.v. i.v.
razepam, Laxopin
p.inh.
– Zuclupenthixolace-
tat 50–150 mg i.m.
4. AAP i.m. 3. Ggf. AAP i.m. Ggf. + Haloperidol p.o.
– Olanzapin 10 mg – Aripiprazol 5,25– oder i.m. bei psycho-
– Aripiprazol 5,25– 9,75 mg tischen Symptomen +
9,75 mg Clonidin s.c./p.o. bei vege-
tativem Hyperarousal
201
Literatur – 230
10.2 · Bildgebende Verfahren
209 10
10.1 Einführung 10.2.1 Computertomographie
Bildgebung bei neurologischen Notfällen ist eine Die CT gehört zu den Schnittbildverfahren und
Herausforderung, da die klinische Symptomatik basiert auf Röntgenstrahlung. Um Bilder zu akqui-
durch verschiedenste Ursachen hervorgerufen rieren, wird der Patient auf einem beweglichen Tisch
werden kann. Die führende Modalität der Bild- durch die so genannte Gantry, einen Ring, gefahren.
gebung bei neurologischen Notfällen des Kopfes Die Gantry beinhaltet eine Röntgenröhre, die um
ist die Computertomographie (CT) (Weber et al. den Patienten rotiert und Detektoren, die ankom-
2003). Die Begründung hierfür kann in organi- mende Röntgenstrahlung messen. Durch die Rota-
satorische Gründe wie die flächendeckende Ver- tion der Röntgenröhre wird eine Körperschicht von
fügbarkeit der CT in Deutschland und die schnel- mehreren Seiten durchstrahlt. Die Schichtdicke wird
lere Akquirierung der Bilder im Vergleich zu einer durch geeignete Blenden erreicht, die den eigentlich
Magnetresonanztomographie (MRT)-Untersu- divergenten Röntgenstrahl zu einem dünnen Fächer
chung sowie in die wichtigeren folgenden Gründe formen. Röntgenstrahlen werden durch verschie-
unterteilt werden: Die CT ist wenig artefaktan- dene Strukturen im Körper unterschiedlich stark
fällig und weniger komplex, so dass eine sichere abgeschwächt. Diese Schwächung der Röntgen-
Diagnostik möglich ist, außerdem stellt die CT strahlung wird durch die Detektoren in einer Kör-
den Knochen dar, so dass sie immer erste Wahl perschicht gemessen und die Schwächungswerte
bei Traumata ist. Die Strahlenbelastung ist bei werden anschließend rechnerisch gemäß der ört-
der Anwendung von CT-Untersuchungen immer lichen Verteilung rekonstruiert und im Schnittbild
zu berücksichtigen und die rechtfertigende Indi- als Graustufen dargestellt. Die Abschwächungswerte
kation zu stellen, d. h. die Feststellung, dass der der Röntgenstrahlung können auf einer CT-Skala
gesundheitliche Nutzen der Anwendung am Men- bzw. Hounsfield-Skala graphisch als unterschiedli-
schen gegenüber dem Strahlenrisiko überwiegt che Grauwerte dargestellt werden. Die Grauwerte
(§ 23 RöV). Die MRT ist in der Feindiagnostik des können dadurch Geweben zugeordnet werden. Da
Gehirns und des Myelon der CT überlegen und das menschliche Auge nicht alle möglichen Grau-
hat bei spinalen Notfällen ihren Stellenwert, wie werte unterscheiden kann, wird mit Hilfe der Fens-
im Folgenden erläutert wird. Außerdem kommt tertechnik der interessante Bereich erfasst und alle
die digitale Subtraktionsangiographie (DSA) zur Werte, die außerhalb dieses Fensters liegen, schwarz
Diagnostik, wie z. B. bei nicht-traumatischer SAB, oder weiß dargestellt werden. Durch die Auswahl
und zur Therapie, z. B. bei Thrombektomien, zum des Fensters kann der Kontrast beeinflusst werden
Einsatz. (Prokop et al. 2007).
Die nachfolgende Darstellung basiert auf den Während in den Anfängen der Computerto-
Erfahrungen in unserem Institut für Diagnostische mographie Schicht für Schicht untersucht wurde,
und Interventionelle Radiologie am Universitäts- werden aktuell überwiegend Spiral-Volumen-Tec-
klinikum Düsseldorf. Da wir die neuesten Studien hniken eingesetzt. Durch gleichförmige Bewegung
und Leitlinien verfolgen, wird das Procedere immer der Röntgenröhre und des Patienten erhält man
den neuesten Erkenntnissen angepasst. Die folgen- eine Spirale, welche anschließend wieder in Schich-
den Darstellungen sind somit an den AWMF- und ten umgerechnet werden kann. Durch den Einsatz
DGN-Leitlinien orientiert. von Multislice-CT, die mehrere Schichten gleichzei-
tig aufnehmen, werden die Untersuchungen immer
schneller angefertigt und ergeben Volumendaten-
10.2 Bildgebende Verfahren sätze, so dass diese in jeder beliebigen Raumrichtung
rekonstruiert werden können. Durch intravenöse
Zunächst werden die bildgebenden Verfahren CT, Kontrastmittelgabe wird die Differenzierbarkeit
MRT und DSA erläutert, um den entsprechenden von verschiedenen Organen und Gefäßen verbes-
Einsatz in der Notfalldiagnostik auf dem Boden ihrer sert. Durch die Entwicklung der Spiral-CT wurden
Funktion zu erklären. CT-Angiographien möglich (Prokop et al. 2007).
210 Kapitel 10 · Bildgebung und Intervention bei neurologischen Notfällen
> Die Bildgebung neurologischer Notfälle Darstellung der zervikalen und intrakraniellen
umfasst vor allem die native kraniale CT, die Gefäße gestartet.
CT-Angiographie und die CT-Perfusion sowie Die CTP misst die Anflutung des Kontrastmittels
die Darstellung der Wirbelsäule bei Trauma. in einer definierten zerebralen Schicht. Dabei wird
diese Schicht immer wieder untersucht und nach
Die native kraniale CT (CCT) stellt einen Volumen- Anfertigung von wenigen Schichten ohne Kontrast-
datensatz des Schädels dar, der im Parenchymfenster mittel erfolgt die Kontrastmittelgabe und die Anflu-
und Knochenfenster nachberechnet wird. Schwan- tung des Kontrastmittels kann gemessen werden und
gere Patientinnen sollten in der Regel nicht im CT in Farbkarten dargestellt werden. Damit eine gute
untersucht werden, in der Notfallsituation, wenn eine Anflutung des Kontrastmittels erreicht wird, muss
Bildgebung zwingend erforderlich ist, können sie eine hohe Flussrate (5 ml/s) verwendet werden, so
allerdings auch in der CT untersucht werden. Sollte dass ein großlumiger Zugang in der Ellenbeuge erfor-
eine MRT zeitnah verfügbar sein und die Fragestel- derlich ist. Die CTP sollte vor der CTA angefertigt
lung ebenso sicher in der MRT diagnostizierbar sein, werden, kann allerdings in Ausnahmefällen auch
kann eine MRT erwogen werden. nach der CTA oder anderweitig vorausgegangener
Die CT-Angiographie (CTA) und CT-Perfusion Kontrastmittelgabe erfolgen.
(CTP) benötigen eine Kontrastmittelgabe. Es sollte . Abb. 10.1 gibt eine anschauliche Übersicht über
auch in der Notfalldiagnostik abgeklärt werden, ob Untersuchungsstrategien bei neurologischen Notfäl-
Kontrastmittel verabreicht werden kann bzw. ob len je nach Verdachtsdiagnose.
Maßnahmen vor oder nach der Untersuchung bei
z. B. Nierenfunktionseinschränkung oder Kont-
rastmittelallergie getroffen werden müssen (Prokop 10.2.2 Magnetresonanztomographie
10 et al. 2007).
Kontraindikationen für eine elektive CT-Unter- Die MRT gehört ebenso wie die CT zu den Schnitt-
suchung mit Kontrastmittel sind: bildverfahren, basiert jedoch auf der magnetischen
55 Relevante Nierenfunktionsstörung Resonanz von Wasserstoffprotonen. Die Bildge-
55 Manifeste Hyperthyreose bung beruht darauf, dass Protonen im Atomkern
55 Schwangerschaft von Wasserstoff eine Eigenrotation, den Kernspin,
55 Kontrastmittelallergie (je nach Ausprä- aufweisen und dadurch magnetisch sind. Durch den
gungsgrad, ggf. mit Prophylaxe möglich) großen Anteil an Wasserstoffatomen im menschli-
chen Körper bietet sich die Darstellung der Was-
Deswegen ist bei elektiven Untersuchungen notwen- serstoffatome zur Bildgebung an. Um ein Bild zu
dig und bei Notfalluntersuchungen wünschenswert erzeugen, wird der Patient zunächst in ein großes,
vor der Untersuchung den Kreatininwert und das statisches Magnetfeld gebracht. Die Stärke des Mag-
TSH zu bestimmen. Sollte der Zustand des Patien- netfeldes liegt im klinischen Gebrauch meist bei 1,5
ten es nicht zulassen, auf diese Werte zu warten, sollte oder 3 Tesla. Dort richten sich die magnetischen Pro-
die notwendige Bildgebung durchgeführt w