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Band 148
Studien und Dokumente zur deutschen Literatur
und Kultur im europischen Kontext
Herausgegeben von
Achim Aurnhammer, Wilhelm Khlmann,
Jan-Dirk Mller, Martin Mulsow und Friedrich Vollhardt
De Gruyter
Printed in Germany
www.degruyter.com
A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1. Das epische Lehrgedicht als Genus rinascimentaler Poesie –
ein Grundriß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
1.1. Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.2. Mittelalter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
1.3. Renaissance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
2. Die Alchemie: Geschichte und Textwelt . . . . . . . . . . . . . . . 9
2.1. Etymologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
2.2. Die spätantiken Gründungstexte und ihre Vermittlung . . 12
2.3. Mittelalter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
2.4. Renaissance und Barock:
Hermetismus – Paracelsismus – Rosenkreutzertum . . . . 15
3. Alchemie und Lehrgedicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
4. Alchemie und Vision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
5. Mythologie und Alchemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
6. Kommentar und Alchemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
7. Ein Prosakommentar des Tractatus aureus
als wichtige Quelle der Chryseis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
8. Furichius: Arzt und Dichter in Straßburg . . . . . . . . . . . . . . . 29
9. Exkurs: Joachim Morsius – ›teuerster Freund‹
und Rosenkreutzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
10. Die Chryseis: Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
11. Die Chryseis im Vergleich mit der Chrysopoeia des Augurelli 51
12. Furichius’ Chryseis im Vergleich mit seinem Frühwerk
Aurea Catena . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
13. Die Chryseis als publizistisches Ensemble zwischen
Inter- und Paratextualität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
C. Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
Furichius, Chryseis, Praefatio, Kommentar. . . . . . . . . . . . . . . . . 195
Furichius, Chryseis, Liber I, Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
Furichius, Chryseis, Liber II, Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
Furichius, Chryseidos, Liber III, Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . 276
Furichius, Chryseidos, Liber IIII, Kommentar. . . . . . . . . . . . . . . 310
D. Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348
1. Auswahl aus den Libelli Carminum Tres von 1621
Stadtarchiv Weißenburg in Bayern, Sign. 784/3. . . . . . . . . . 348
2. Edition des Briefes im Album Morsianum,
Stadtbibliothek Lübeck, Altbestand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353
3. Edition des Programma Funebre Straßburg, Thomasarchiv . 356
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359
Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387
Register. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389
1. Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389
2. Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397
Im Mittelpunkt der hier vorgelegten Edition und der sie begleitenden Unter-
suchungen steht das 1631 zu Straßburg in vier ›Büchern‹ (ca. 1600 Verse)
erschienene alchemische Lehrepos eines heute beinahe unbekannten Autors
und dem Paracelsismus nahestehenden Mediziners aus dem Umkreis des
Straßburger Späthumanismus: Johannes Nicolaus Furichius (1602–1633).
Obschon er früh an der Pest verstarb, brachte er ein für seine Jugend er-
staunlich umfangreiches Oeuvre zusammen. Als Schriftsteller ist er – dis-
kurs- wie formgeschichtlich betrachtet – den bedeutenden Vertretern einer
teils weit über das Schrifttum der europäischen Renaissance hinausreichen-
den Literatur-, Wissens- und Theorietradition zuzurechnen. Wenngleich
diese erst in Ansätzen erforscht ist, wird doch seit geraumer Zeit jener
schier unabsehbare Kontinent der hermetischen, oft vom Neuplatonismus
inspirierten frühneuzeitlichen Naturphilosophie sukzessive von der interna-
tionalen Forschung erschlossen.
Es beeindrucken an diesem Werk, der Chryseis, welcher Furichius ein
ähnliches, in Italien publiziertes Carmen hatte vorangehen lassen, nicht nur
die metrische Verarbeitung alchemohermetischer Fachliteratur, sondern
auch die in narrativ-fiktionaler Darstellung bevorzugten Muster der my-
thoalchemischen Exegese und Bildlichkeit in Verbindung mit Topoi der
Visionsliteratur und mit Reflexen der antiken bis zeitgenössischen Verse-
pik. Furichius schuf mit der Chryseis als Publikationsverbund aus beigege-
benen Glossen und umfangreichen Scholien ein in der europäischen Lite-
ratur wohl einzigartiges Werk. Derart findet man gerade im intellektuellen
Profil dieses Arztdichters die epochal signifikante, in den urbanen Zentren
der Frühen Neuzeit nicht ungewöhnliche Kombination aus naturphilosophi-
schen Interessen und humanistisch-ästhetischer Bildungskompetenz exem-
plarisch ausgeprägt. Ihre Darstellung wirft somit auch manches Licht auf
die damaligen kulturellen Formationen der oberrheinischen Stadtkultur. Zu-
gleich wird über den Widmungsträger und Mentor des hier edierten Epos,
Joachim Morsius (1593–1643), die in ihrer Bedeutung für das Geistesleben
des frühen 17. Jahrhunderts kaum zu überschätzende Sphäre der sogenann-
ten ›frühen Rosenkreutzer‹ einbezogen.
Indem ich dieses Lehrgedicht mit einer erster Übersetzung und einem
ebenso die sehr aussagekräftigen Scholien und Glossen berücksichtigenden
Kommentar in seinen konzeptionellen Strukturen, seiner dichterischen Fak-
tur und seinen ideellen Referenzen erschließe, wird nicht nur eine Fülle
literarischer Quellen und Allusionen (von Aristoteles über Ariost zu Ron-
sard wie von antiken und humanistischen Kommentatoren zu zeitgenössi-
schen Forschungsreisenden und den sogenannten Paracelsisten) sichtbar,
sondern auch ein Beitrag zur wissenschaftlich aktuellen Frage nach der
frühneuzeitlichen Konnexion von Wissensbeständen beziehungsweise phi-
losophischen Theoremen und ihrer poetischen Assimilation geleistet. Der
Edition, der Übersetzung und den Kommentaren werden in der Einleitung
die nötigen Informationen zum Autor, zu seinem Gesamtwerk und seinem
Umfeld vorangestellt. Zudem werden die Geschichte der Gattung ›Lehrge-
dicht‹ wie auch der alchemischen Literatur exponiert, um schließlich mit
einer Skizzierung des intertextuellen und paratextuellen Bezugsfeldes den
Leser auf die eigene Lektüre der Chryseis einzustimmen.1
1 Das Buch erscheint auf besonderen Wunsch des Verfassers in alter Rechtschreibung.
2 Grundlegend zum Lehrgedicht sei verwiesen auf W. Kühlmann (2000c), vor der po-
pulärwissenschaftlichen Einführung P. Tooheys (1996) wird gewarnt; eine erhellende
›Geschichte der Geringschätzung‹ für die Gattung bietet D. Wuttke (1982); zu einzel-
nen Epochen und Teilfragen sei auf die folgenden Fußnoten verwiesen.
3 Vgl. hierzu R. Schuler u. J. Fitch (1983), S. 9–11.
1.1. Antike
Die ersten Sachschriftsteller der Vorsokratischen Zeit waren solcher Sorgen
noch ledig, da sich bis ins 5. vorchristliche, Jahrhundert keine entsprechend
tragfähige griechische Prosa ausgebildet hatte. Später standen sich zunächst
noch Verstext und Fachprosa ebenbürtig gegenüber, dann verschob sich mit
dem Hellenistischen Zeitalter die Rolle des Dichters vom Experten und
Künstler in einer Person hin zum poetischen Könner, der einen ihm frem-
den Gegenstand ästhetisch anspruchsvoll aufbereitete, sprich Prosatraktate
in kunstvolle Verse übertrug. So heißt es über besagten Arat, den Verfasser
der Phainomena, er habe von Astronomie im Vergleich zum Astronomen
Hipparchos, welcher ihm treulich Auskunft gab, fast nichts verstanden. Der
literarische Ruhm fiel jedoch allein der Dichtung zu, wohingegen der Fach-
gelehrte nur als bescheidener Kommentator überdauerte.8
Da die römische Literatur sehr oft Interpretatio, Imitatio und Aemulatio
der griechischen war, übernahm sie zwar mit dem Lehrgedicht dessen Gat-
tungsproblematik, brachte jedoch dessenungeachtet die gerade für das Ri-
nascimento bedeutendsten Vorbilder hervor.9 Zwar erachteten Cicero und
Quintilian die Versdidaxe als einen ›Grenzfall des Epos‹, schlugen sie aber
der Poesie zu. Poeta und Orator, als verwandte Berufe, sollten nach beider
Dafürhalten schließlich in der Lage sein, auch ohne Fachwissen jeden Ge-
genstand adäquat zu behandeln (vgl. CIC. de orat. 1, 16 sowie QVINT. inst.
10, 1, 46–10, 1, 87). In diesem Sinne urteilte auch Horaz, der in seinem
eigenen poetologischen Lehrgedicht zwar die Schwierigkeiten bei der Vers-
dichtung abhandelte, doch das Problem der Mimesis nicht sah (vgl. HOR.
ars. 335–344). Er unterschied allein nach den angemessenen Metren (vgl.
HOR. ars. 73–82). Diesen zitierend gliederte auch Tacitus, der alle Gattun-
gen der ›eloquentia‹ hochhielt, die Dichtung nicht nach den Gegenständen,
sondern vorrangig nach den für den Gegenstand geeigneten Versmaßen:
»ego vero omnem eloquentiam omnesque eius partes sacras et venerabiles
puto, nec solum cothurnum vestrum aut heroici carminis sonum, sed lyri-
corum quoque iucunditatem et elegorum lascivias et iamborum amaritudi-
nem [etc.]« (TAC. dial. 10, 4).
In keinem anderen als Lukrez sah Cicero den idealen Lehrdichter ver-
wirklicht, vereinigte dieser doch in sich ›furor, ingenium et ars‹.10 So gilt
auch sein Werk als der wichtigste Prätext naturphilosophischer lateinischer
Dichtung. Hinsichtlich De rerum natura wurde das Lehrgedicht als Aus-
drucksmittel des persönlichen Anliegens gesehen, in diesem Fall der Ver-
nichtung der Religio durch die Vermittlung des Epikureismus. Ebenso be-
anspruchte der Dichter für sich, die Schwierigkeit von ›egestas linguae‹ und
›novitas rerum‹ adäquat gelöst zu haben.11 Ohne weiteres lassen sich hier
dem Epikureer die übrigen großen Vorbilder mit ihren Spezifika anfügen:12
8 Aratos lebte Ende des 4. Jhds bis Mitte des 3. Jhds, studierte in Athen und hielt sich
dann am Makedonischen Hof auf, er schrieb verschiedene Gelegenheitsdichtungen,
sowie kleine Lehrdichtungen. Sein Hauptwerk aber sind die ›Phainomena‹; vgl. M.
Fantuzzi (1996); B. Effe (1977), S. 23–25; Th. Haye (1997), S. 243–245; R. Schuler
u. J. Fitch (1983), S. 11 f.
9 E. Pöhlmann (1973), S. 835–878 erkennt den Hauptunterschied zwischen griechischer
und lateinischer Lehrdichtung in den auftretenden Figuren; bei den Griechen: Lehrer,
Schüler und Musen; bei den Römern: Dichter, Mäzen und Princeps.
10 Vgl. R. Schuler u. J. Fitch (1983), S. 1–19; E. Pöhlmann (1973), S. 814–825.
11 Vgl. B. Effe (1977), S. 66–79; E. Pöhlmann (1973), S. 849–854.
12 Vgl. auch R. Schuler u. J. Fitch (1983), S. 16–20. Daneben stellt B. Effe (1977), S. 30–
32 eine Typologie auf: 1) Der Gegenstand ist für den Dichter bedeutend, er will (!)
lehren, 2) Der Gegenstand ist dem Dichter gleichgültig, da er artistisch glänzen
möchte, 3) Der Autor lehrt nicht den Stoff, sondern durch (!) den Stoff; diese Kate-
gorisierung variiert unter ausdrücklicher Bezugnahme A. Dalzell (1996), S. 32 f.
Nachwirkung zeitigten fürder das anonyme Aetna-Gedicht wie auch die Ars
poetica des Horaz, Ovids Ars amatoria;16 nicht minder wirkten spätantike
christliche Lehrdichtungen fort, darunter besonders die Werke des Pruden-
tius.17
1.2. Mittelalter18
Die mittelalterliche Lehrdichtung war für Furichius fast belanglos, sah er
sich doch in der Tradition der italienischen Renaissanceautoren. Dennoch
soll sie an dieser Stelle nicht gänzlich ausgeklammert werden, zumal die
didaktische Epik von Antike und Mittelalter, mit Ausnahme des Lukrez und
Manilius, keine ›Epochenschwelle‹ trennte, gehörten doch die Gattungsvor-
lagen häufig zur Schullektüre. Ovid und Vergil galten dabei – auch wissen-
schaftlich – als größte Autoritäten. Da Dichtung als eine Mischung aus
Rhetorik, Theologie, Allegorie und der Ausbreitung enzyklopädischen Wis-
sens begriffen wurde, war es erneut ein und derselbe Verfasser, welcher sein
Wissen als Fachprosa und Verstext ausarbeitete, wobei der ästhetische An-
spruch mit dem Wunsch nach Memorierbarkeit, der Nähe zum Merkvers,
korrelierte. Besonders deutlich tritt dies bei dem in der Tradition des Ma-
crobius stehenden Martianus Capella vor Augen (spätes 4. oder frühes
5. Jd.): Das Trivium (Grammatik, Rhetorik, Dialektik) und das Quadrivium
der mathematischen Künste bündelte er in seiner prosimetrischen, allego-
risch überformten Enzyklopädie De Nuptiis Philologiae cum Mercurio.19
Letzthin gilt jedoch beinahe die gesamte mittelalterliche Dichtung als ›lehr-
haft‹.20
Zugleich gewann die Paratextualität an Bedeutung, bedurfte doch das
Lehrgedicht fast immer der erläuternden Prosa, der Glosse und des Kom-
mentars. Es galt, den »nicht selten kryptischen Text des Lehrgedichts unter
philologischen wie sachlichen Fragestellungen [zu] erläutern«.21 Man
kannte zwar Diomedes, doch eine gewisse Verbindlichkeit genoß einzig
die Hierarchie der ›Rota Vergilii‹ des Kommentators Aelius Donatus (geb.
um 310), welche steigerte: Eklogen – Georgica – Aeneis. Dem Lehrgedicht
wurde somit im literarischen Kanon der mittlere Rang zugesprochen.22
1.3. Renaissance
Im deutschen Humanismus wurde das Lehrgedicht im 16. Jahrhundert »in
ernsthafter Absicht als Medium der institutionalisierten Wissensvermittlung
verwandt«.23 Die Verfasser waren in der Regel sowohl Experten des Fachs
(gerade Ärzte) wie auch Dichter. Die italienische Renaissance dagegen
blieb von äußeren Einflüssen kaum berührt und griff in Ablehnung des
Überkommenen direkt auf die antiken Autoren und deren Selbstbild zu-
rück;24 vor allem Manilius, Vergil und Lukrez, wenn es darum ging, die
Frage nach dem Ursprung der Dinge zu erörtern.25 In der Folgezeit nahm
man sich immer entlegenerer, immer herausfordernder Sachgebieten an,
wobei den Dichter der nämlich Ehrgeiz wie Manilius trieb, intrikates Fach-
wissen in kunstvolle Verse zu fassen. Girolamo Fracastoros (1479–1553)
Epos über Krankheitsbild und Verlauf der Syphilis (Verona 1530)26 oder
Lodovico Lazzarellis (1450–1500) Opusculum de bombyce über die Sei-
denraupenzucht (gedruckt 1493) legen davon beredtes Zeugnis ab. Zu-
gleich befanden sich die lateinischen Renaissancedichter im Wettstreit mit
der klassizistischen Epik des Volgare: Kein geringeres Ziel gab es, als den
Orlando furioso des Lodovico Ariosto (1474–1533) irgend zu überbieten,
so daß ein Gregorio Ducchi (2. Hälfte des 16. Jd.) kühn bekundete, er wolle
der ›Ariost‹ des Lehrgedichts werden – nicht minder jedoch Vidas (1485–
1566) ›Schachgedicht‹27 mit der eigenen Scacheide in Oktaven (erschien
zuerst Vicenza 1586) in die Schranken weisen.28
20 Vgl. Th. Haye (1997), S. 257–268; und vor allem B. Sowinski (1971).
21 Th. Haye (1997), S. 369.
22 Vgl. J. Schuler u. R. Fitch (1983), S. 23–28.
23 Th. Haye (1997), S. 391.
24 Einen Kurzüberblick zur italienischen Renaissance bietet G. Roellenbleck (1973); aus-
führlich ders. (1975).
25 Zu Lukrez im Neulateinischen vgl. etwa Y. Haskell (2007).
26 Als zweisprachige Ausgabe herausgegeben von Georg Wöhrle; vgl. Literaturverzeichnis.
27 In moderner Ausgabe mit Übersetzung herausgegeben von Walter Ludwig; vgl. Lite-
raturverzeichnis.
2.1. Etymologie
Die Herkunft des Wortes ›Alchemie‹ verliert sich im Dunkeln. Vieles
spricht für ägyptisch-mesopotamische Wurzeln, die sich in der byzantini-
schen sowie griechisch-arabischen Tradition fortpflanzten, bevor sie ins
Lateinische gelangten. Ein daneben vertretener altchinesischer Ursprung
ist unwahrscheinlich, jedoch läßt sich an einer solchen Hypothese und ihren
Vertretern deutlich ablesen, daß mit jeder Deutung und Herleitung die Zu-
weisung an einen bestimmten historischen Kulturbereich und damit Seman-
tisierung einhergehen. Es geht um die Ausweisung eines historischen Kul-
turraums als Wiege von Weisheit und Wissenschaft. Gut datierbar dagegen
ist die Ankunft des Wortes im lateinischen Mittelalter: ›al-kīmijaˉ ‹ wurde im
Jahre 1144 von Robert von Chester durch seinen Liber de Compositione
Alchemiae eingeführt. Üblicherweise geht man von der Zusammensetzung
aus dem arabischen Artikel ›al‹ und der aus dem Griechischen entlehnten
χυμεία für ›Vermischung‹ oder der im Suidas verzeichneten χημεία für die
künstliche Edelmetallherstellung aus. Gerade nach der Zerstörung Konstan-
tinopels im 15. Jahrhundert und dem Exodus byzantinischer Gelehrter, die
ihre Handschriften im Gepäck hatten, gewann diese griechische Herkunft
an Befürwortern. Nach heutiger etymologischer Deutung rührt die χυμεία
vom altägyptischen ›kmt‹ (›Kam-it‹ oder ›Kem-it‹) als Bezeichnung für die
fruchtbare Erde des Nilbeckens her – und damit metonymisch für das Land
Ägypten.54
51 Vgl. zum ›Splendor Solis‹ J. Völlnagel (2004), und – als jüngster seiner zahlreichen
Beiträge, darunter J. Telle (1991a) – J. Telle (2006b); zu ›Sol und Luna‹ ders. (1980).
52 Weitere Definitionen alchemischer Bildlichkeit in H. Sheppard (1984), S. 16 f.
53 Übersicht über die Gegenstands- und Forschungsproblematik bietet in luzider Kürze:
W. Kühlmann (2004). Zur Zahlensymbolik sei auf die Kommentare zu CHRYS.,
S. 9, 27–30; S. 9, 24 – S. 10, 13; S. 34, 17; S. 50, 30; S. 51, 8–12 verwiesen; des weiteren
auf J.-P. Brach (1987). Die beste Einführung in die Ikonographie der Alchemie ist M.
Gabriele (1997), neuaufgelegt 2008; vgl. auch J. Völlnagel (2004), S. 92–95; eine
bündige Einführung in das Feld von Mnemotechnik und Symbolik gibt M. Gabriele
(2006), S. 7–60.
54 Zusammengefaßt aus M. Gabriele (1997), S. 11–17; desweiteren B. D. Haage (1996),
S. 50–53; S. Hartmann (1987); J. Telle (1987), S. 199 f.
55 Zu den Anfängen der Alchemie vgl. etwa B. D. Haage (1996), S. 63–95, Alchemie
Lexikon, S. 22–25 und zu Zosimos ebd., S. 380 f.; zur alexandrinischen alchemischen
Literatur als Kommentar vgl. C. Viano (2000).
56 Eine Erklärung dieses Phänomens bieten R. Schuler u. J. Fitch (1983), S. 38, Anm. 65
– unter Bezug auf W. Stahl (1962), S. 254 – mit der ›aura of uncanniness‹ solcher
Schriften, die geradezu nach der Zuweisung ›to remote personages like Asclepius,
Homer, or Pythagoras‹ verlangt, wie heute Unheimliches der Wissenschaft in die Sci-
ence-Fiction transponiert wird.
57 Vgl. zur Tabula vor allem J. Ruska (1962) sowie J. Telle (1995c); zu Hermes und
Hermetismus stellvertretend W. Kühlmann (2000b), F. Ebeling (2005); sowie M. Mul-
sow (2002); auch meinen Kommentar zu CHRYS., S. 16, 18 – S. 17, 10.
58 Vgl. Kommentar zu CHRYS., S. 20, 27; u. S. 51, 22.
59 Vgl. Alchemie Lexikon, S. 67. Zum lateinischen Geber vgl. J. Telle (1980c) u. ders.
(1986a).
60 Vgl. B. D. Haage (1996), S. 110–142 sowie J. Telle (1995e) u. ders. (1997b); die
zugrundeliegende Ausgabe J. Ruska (1931).
2.3. Mittelalter61
Zwar ist bereits für das Frühmittelalter alchemisches Schrifttum überliefert,
es handelt sich hierbei in erster Linie um Gebrauchstexte zur Herstellung
von Emaille oder Legierungen und Abhandlungen zum Bergbau. Die ei-
gentliche geistige Auseinandersetzung mit der Transmutationskunst setzte
jedoch erst im 12. Jahrhundert ein. Ausschlaggebend war die unter grie-
chisch-arabischem Einfluß stehende, rationalistisch geprägte Schule von
Chartres, welche sich zugleich mit Macrobius, Platos Timaios und Texten
des Corpus Hermeticum auseinandersetzte. Daneben zeichneten sich die
Universitäten von Salerno wie auch Toledo durch ihre Übertragungen ins
Lateinische aus. Im Umkreis jener Übersetzerschule führte 1144 auch der
vorgedachte Robert von Chester ›Alchemie‹ – als Begriff und ›ars nova‹ –
in die Kultur des Abendlandes ein. In der Folgezeit zeichnete sich ein vor-
übergehender Stillstand der theoretischen Entwicklung ab, welchen jedoch
die voranschreitende Spiritualisierung der Texte ausglich. Wie schon in der
Spätantike blühte auch damals die Pseudoepigraphie, so daß neben den
arabischen Gelehrten Rhazes und Avicenna oder Aristoteles nicht minder
Thomas von Aquin (1224/5–1274), Raimundus Lullus (1232/33–1316)
oder Arnaldus von Villanova (gest. 1311) zahllose Werke untergeschoben
wurden. Daneben standen eigenständige Autoren, wie Johannes von Rupes-
cissa (Mitte 14. Jd.) mit De consideratione quintae essentiae,62 der geheim-
nisumwobene Bernardus Trevisanus (14. Jd.), der erdichtete Nicolas Flamel
(1330–1418)63 sowie Petrus Bonus (14. Jd.), an dessen Pretiosa margherita
aus dem 1. Viertel des 14. Jahrhunderts sich die Modelle der alchemischen
Mythenallegorese der Zeit und nicht minder der Stand der Alchemie in der
damaligen Gelehrtenwelt ablesen lassen.64 So diente der Traktat keinem
geringeren Zweck, als die spagyrische Kunst gegen ihre, durchgehend als
›ignorantes et idiotae‹ gebrandmarkten, Kritiker in Schutz zu nehmen und
sie letztlich in die ›Septem Artes‹ zu integrieren. Ohne sich in Einzelheiten
zu verlieren, kann man die Alchemie der Zeit als durchaus nicht unange-
fochten, doch innerhalb der Gesellschaft höchst präsent bezeichnen. Es
häuften sich Berichte über gelungene Transmutationen, nicht zuletzt von
in Fürstendienst stehenden Alchemikern, wie auch Verteidigungen, War-
61 Zusammengefaßt aus: Alchemie Lexikon, S. 26–29; sowie J. Telle (1978), S. 202f; Ch.
Crisciani (1976); u. diess. (1996); G. Jüttner (1980); B. Obrist (1986); B. D. Haage
(1996), S. 59–62; u. S. 143–177.
62 Vgl. zu Arnald von Villanova W. Pagel (1958), S. 248–258; CP 1, S. 132 f.; Alchemie
Lexikon, S. 62 f.; zu Johannes von Rupescissa ebd., S. 185–187 und W. Pagel (1958),
S. 263–266; D. Kahn (2007), S. 40–42.
63 Vgl. zu Trevisanus Alchemie Lexikon, S. 78 u. J. Telle (2008b); zu Flamel ebd.,
S. 136–138; besonders jedoch R. Halleux.
64 Vgl. zu Bonus Alchemie Lexikon, S. 270 f. sowie C. Crisciani (1976) u. J. Telle
(1983a).
nungen, Verbote und Satiren – kurz: die Flut an Schriften der Befürworter
wie der Gegner schwoll stetig an. Neben dem lateinischen Schrifttum trat
nicht minder vulgärsprachliche Literatur auf, so sind etwa seit dem
14. Jahrhundert deutschsprachige alchemische Texte überliefert. Das an-
onyme Bildgedicht Sol und Luna kann hierfür, gewiß auch wegen seiner
erotischen Bildlichkeit als bestes Beispiel angesehen werden.65
75 W. Kühlmann (1998), S. 407; zudem die Studie zu Rosenkreutzern am Hof des Moritz
von Hessen Kassel (1572–1632), zu welchem zeitweise auch Maier gehörte, B. T.
Moran (1991), bes. S. 87–114.
76 Vgl. zu Fludd Alchemie Lexikon, S. 139 f. Zu Maier sei auf die Monographie von H.
Tilton (2003) verwiesen, sowie die Biblio-Biographie von E. Leibenguth (2002),
S. 21–64; davor U. Neumann (1993); sowie J. Craven (1968); neben den Abschnitten
in R. Evans (1997), S. 200 f. et passim.
77 Zu Andreae bes. R. Van Dülmen (1978) u. W. Kühlmann (1988); desweiteren B. D.
Haage (1996), S. 176–196; S. Rusterholz (2007); J. Telle (1978), S. 203–206; Alche-
mie Lexikon, S. 46–48.
78 Zu Zetzner als Verleger von Hermetica sei verwiesen auf C. Gilly (2002c); u. J. Telle
(2004a), S. 13–25; sowie D. Kahn (2007), S. 112–121.
79 Ein intelektuelles Profil der Stadt während der Reformation zeichnet M. Usher Chris-
man (1967); während des Humanismus dies. (1982); kurz B. Vogler (2001), S. 233–
237; zu Oberrhein und Paracelsismus die beiden Vorworte CP 1, S. 15–37 et passim;
und CP 2, S. 6–13 et passim.
80 Vgl. W. Kühlmann (1984), S. 106–110.
81 Vgl. W. Kühlmann (1984), S. 123 f.
lichen Dichtungen, wie das seit dem frühen 16. Jahrhundert vielfach über-
lieferte Spruchgedicht Von der Bescheidenheit des Alchemikers82 oder die
bis ins 18. Jahrhundert weitverbreitete Dichtung vom Sermo Philosophicus
(zuerst gedruckt 1605).83 Daß für das Verfassen wie Erforschen gerade
volkssprachlicher alchemischer Dichtung kein tieferer Einblick in die Ma-
terie nötig war und ist, beweist eindrucksvoll der Nürnberger Wundarzt
Hans Folz (1435/40–1513), der – wie er mit seinem Fastnachtspiel Der
Juden Messias deren Ausweisung beförderte – auch diesen Teil des Peg-
nesischen Stadtgesprächs mit seinem Stein der Weisen für sein Publikum
literarisch aufbereitete.84 Daneben ist ebenso das längere kompilatorisch-
autobiographisch allegorische Viatorium spagyricum des (historisch unge-
sicherten) Herbrandt Jamsthaler vom Ende des 16. Jahrhunderts zu nennen,
welches noch bis ins 18. Jahrhundert gelesen wurde.85 Im angelsächsischen
Sprachraum erlangte das, ebenso von Furichius erwähnte, Lehrgedicht der
Twelve Gates des George Ripley (um 1415–1490) hohe Berühmtheit, nicht
minder jedoch seine lateinische Prosafassung.86 Lateinisch (ab 1600) wie
auch ursprünglich volkssprachlich (ab 1500) wurde auch der Vers-Bild-
Traktat Vom Stein der Weisen des (nicht zu identifizierenden) Lamspring
verbreitet, doch scheint von den alchemischen Autoren fast ausschließlich
die internationale Fassung wahrgenommen worden zu sein.87
Im Lateinischen jedoch herrschten im Gegensatz zu den Volkssprachen die
Kleinformen vor, wie es die Dichtungen des Johannes von Teschen (14. Jd.),
mit seinem stark rezipierten Lumen secretorum,88 des Alexander von Suchten
(1520–1575)89 oder etwa eines Laurentius Span von Spanau (1530–1575)90
zeigen. Der oberrheinische Paracelsist Michael Schütz, genannt Toxites
(1514–1581), der von 1542–1545 auch Lehrer an der Straßburger Akademie
gewesen war, verfaßte neben vielen eleganten lateinischen Schriften unter
anderem ein alchemisches Gedicht über das Antimon; dies als Beitrag zum
Disput um dessen medizinische Verwendung. Es erschien 1567 unter dem
Titel Spongia Stibii adversus Lucae Stenglini Medicinae Doctoris, Et Physici
Augustani Aspergensis als Einzeldruck, in welchem das beschuldigte Anti-
mon sich selbst verteidigt und Paracelsus huldigt.91
Doch selbst ein Michael Maier kam mit seinen Cantilenae intellectuales
und anderen Gedichten kaum über epyllisches Format hinaus;92 ebensowe-
nig wie der Arztdichter Stoltz von Stolzenberg (1600 – nach 1644). Dessen
1624 zum ersten Mal erschienenes und als Chymisches Lustgärtlein kurz
darauf verteutschtes Viridarium chymicum 1624 stellt letztlich nur eine,
wenn auch lange, Sequenz alchemischer Emblemta mit Subscriptiones
dar.93 Kurzum: Augurellis Chrysopoeia und Furichius’ Aurea Catena wie
seine Chryseis, als veritable alchemodidaktische Epen, werden zu recht als
›formgeschichtliche Ausnahmen‹ betrachtet.94
Wie die Alchemie sich nach und nach schier aller literarischen Formen
bemächtigte, war sie allein schon ob ihrer Verwurzelung im Mystisch-Spe-
kulativen seit Zosimos durch Visions- und Traumschilderungen bestimmt.
Hinzu kommt, daß »Visionen als inkorporierte oder autonome Texte fester
Bestandteil der abendländischen Literatur sind, da sie im Alten und Neuen
Testament häufig begegnen (Danieltraum, Apokalypse des Johannes).«95
Für kosmologische Träume des lateinischen Mittelalters und der Renais-
sance war zudem der Rekurs auf das Somnium Scipionis (CIC. rep. 6, 9–
29) und dessen umfangreiche Deutung durch Macrobius, zumal dieser eine
Kategorisierung der Erscheinungen vorausschickt, geradezu unumgänglich;
auch für den wohl wichtigsten und wirksamsten Traumtext der Zeit, die
Hypnerotomachia Poliphili des Francesco Colonna von 1499.96 Und wie
sich die Visionsliteratur seit der Spätantike bewußt hermeneutisch gesicher-
ter Bilder bediente – aus Traumbüchern, wie demjenigen des Artemidoros
von Daldis, über die Patristik bis zur mittelalterlichen Mystik97 – bedienten
91 Vgl. W. Kühlmann (1995); dort abgedruckt S. 520–526; sowie D. Kahn (2007),
S. 136 f.; 215–217 et passim.
92 Vgl. die Monographie von E. Leibenguth (2002).
93 Vgl. J. Telle (1991b) sowie W. Kühlmann (1992b).
94 Vgl. W. Kühlmann (1995), S. 511; und zu Maier in der Tradition der (alchemischen)
Lehrdichtung E. Leibenguth (2002), S. 75–80.
95 P. G. Schmidt (2003), S. 785.
96 Zur Nachwirkung von MACR. somn. vgl. A. Hüttig (1990); vgl. auch Kommentar zu
CHRYS., S. 26, 1–9; grundlegend zu philosophisch-naturkundlichen Träumen M.
Ariani (1999) u. M. Gabriele (1999).
97 Zur Interdependenz von Traumbüchern und literarischen Traumvisionen grundlegend
P. Habermehl (1992), S. 65–177.
thos.106 Schon bei Zosimos war das Bestreben erkennbar, Mythen, welche
er dem Hesiod entnahm, antike Orakelsprüche wie auch die Orphik für
seine Zwecke zu verwenden.107 Als schließlich um die Jahrtausendwende
die byzantinische Enzyklopädie Suidas entstand, stand unter dem Lemma
›Goldenes Vlies‹ wie selbstverständlich nur dessen alchemische Deu-
tung.108 Im Mittelalter alchemisierte Albertus Magnus (um 1200–1280) in
De mineralibus die Geschichte von Pyrrhus und Deucalion, Petrus Bonus
bediente sich reichlich aus Vergils Mytheneinschüben und nicht minder aus
den ganzen Metamorphosen Ovids.109 Dahinter stand die Annahme eines
›sensus naturalis der mythologischen Fiktion‹, welcher über Tertia compa-
rationis, wie Farbanalogien, Bezüge zum Gold, dem großen Wagnis und
jeglicher Art der Verwandlung, vor allem Gorgo, Proteus, den Goldenen
Zweig, Proserpina, Phaeton, das Kretische Labyrinth, Medea mitsamt Vlies
und Argonautenfahrt sowie Pyramus und Thisbe sowohl ›in verbis‹ als
auch ›in factis‹ hermetoalchemisch deutete.110
Wie dieser ›sensus chimicus‹ als hermeneutische Kategorie der Vier-sen-
sus-Lehre der Bibelexegese entstammte, wurde im Gegenzug auch die Hei-
lige Schrift hermetisch gedeutet: zum einem als Interpretation goldbehan-
delnder Bibelstellen, wie »dabit pro terra silicem et pro silice torrentes
aureos« (Iob. 22, 24), zum anderen als Gleichsetzung Jesu Christi, des wie-
derauferstanden Erlösers, mit dem Stein der Weisen, und bildimmanent der
Heiligen Jungfrau mit der Retorte – agierten doch bereits die babylonischen
Metallgötter als Mysteriengötter, betrafen Tod und Auferstehung schon Isis
und Osiris.111 Diese Lesart brachte unter anderem die alchemische Meß-
liturgie eines Nicolaus Melchior von Hermannstadt hervor, des 1531 hinge-
richteten böhmisch-ungarischen Hofkaplans.112 Daß der Klerus – trotz der
›Alchemistenbulle‹ Spondent quas non exhibent (um 1317) des Avignoner
Papstes Johannes XXII. (1244–1334, ab 1314 Pontifex) – im Mittelalter
Träger alchemischer Bildung war, scheint Derartiges nur begünstigt zu ha-
ben. Anfang des 14. Jahrhunderts bot schließlich der pseudo-Arnaldische
Tractatus parabolicus einen alchemischen Bibelkommentar, welcher Chri-
stus durchgängig in Analogie zum Mercurius setzte.113 Da also die herme-
neutischen Methoden vorlagen, stand ihrer Anwendung selbst auf neuere
Werke nichts mehr im Wege. Einer besonderen Beliebtheit erfreute sich
dabei die Divina Commedia Dantes,114 gefolgt von Artusromanen und der
Hypnerotomachia.115
Wiederum war es der Florentiner Neuplatonismus, welcher die Mythoal-
chemie maßgeblich anregte. Geistesgeschichtlich handelte es sich bei dieser
Auffassung des Mythos um eine Variante des Euhemerismus, jener nach
Euhemeros aus Messene benannten Lesart. Dieser leitete die Entzauberung
mit seinem um 300 vor Christus verfaßten utopischen Reisebericht über die
Insel Panchaia ein. Seinem Ich-Erzähler wird im dortigen Tempel offenbart,
daß die Olympischen Götter nur deifizierte Könige der Vorzeit gewesen
seien. Dem frühen Christentum waren solche Erklärungsmuster in seiner
antipaganen Polemik äußerst willkommen, so daß vor allem Augustinus
den Euhemeros in Ehren hielt.116
Den Mythologen der Hochrenaissance waren dann auch die alchemi-
schen Deutungen vertraut. Dem großen Natale Conti (um 1520–1582)117
war ihre Verbreitung schlechterdings ein Dorn im Auge. In seinen Mytho-
logiae libri X wettert er immer wieder – zugunsten seines eigenen histo-
risch-christlich-moralischen Euhemerismus, im Sinne der ›sedes scelerata‹
als Purgatorium, etc.118 – gegen die ›metallorum tortores‹ und deren sowohl
gottlosen als auch unsinnigen Deutungen.119 Literarisch bot ihm eine Ge-
neration später der Mythoalchemiker schlechthin Paroli: Michael Maier
wird in seinem, nicht minder umfangreichen, alchemischen Götter- und
Heroenhandbuch Arcana Arcanissima nicht müde, den Italiener – welchen
114 In der Italianistik hat sich inzwischen für esoterische Exegeten kanonischer Texte der
feste Terminus ›velamisti‹ eingebürgert; vgl. U. Eco (1990), S. 86–95. Ursprünglich
kannte nur die Danteforschung den Begriff als ironische Bezeichnung für diejenigen,
welche – auf die Verse »O voi ch’avete li’ intelletti sani, / mirate la dottrina che
s’asconde/ sotto ’l velame de li versi strani.« (Dante Inf. 9, 60–62) gestützt – Dante
als Rosenkreutzer, Templer, Freimaurer oder gar Protokommunisten sehen wollten und
wollen; vgl. P. M. Pozzato (1989); H. Lozano Miralles (1989), S. 47 f.; zur Ausbildung
einer veritablen Sensus-Lehre beim Dante-Exegeten René Guénon (1886–1951) vgl.
C. Miranda (1989); einen Überblick gibt zudem A. Asor Rosa (1989); zum Thema vgl.
auch J. Telle (1978), S. 212.
115 Vgl. D. Kahn (2000), S. 476–480. S. Matton (2000), S. 449–452. Bis in die Gegenwart
ist etwa der italienische Kunstgeschichtler Maurizio Calvesi bemüht, seine alchemi-
schen Deutungen der ›Hypnerotomachia‹ in symbolisches Kapital auszumünzen; der
köstliche Verriß bei M. Gabriele (1997), S. 156–160.
116 Zum Euhemerismus: M. Fusillo (1998) u. K. v. See (1989).
117 Vgl. R. Ricciardi (1983).
118 Aufschlußreich ist diesbezüglich in seiner ›Mythologia‹ das 10. Buch ›Quod omnia
philosophorum dogmata sub fabulis contineatur‹ – dort werden die wichtigsten My-
then ausdrücklich ›ethice‹ gedeutet; und somit auch die antike Unterwelt christiani-
siert: »His igitur rebus antiqui nos hortabantur ad probitatem, quoniam si quis dum
viuit, poenas suorum scelerum deuitauerit, at certè post mortem supplicium deuitare
non poterit.« (Conti, S. 536).
119 So etwa gegen alchemische Deutungen des Saturnus: »Conantur enim metallorum
tortores et has, et alias his similes artes excogitare, quibus possint metalla in alias
formas transferre terterrima paupertatis forma perterriti;« (Conti, S. 64).
Der Vorwurf, welchen die moderne Forschung gegen die Chrysopoeia des
Augurelli erhebt, daß sie als Text »whose classical form dictates candour
and transparency«128 keinerlei Lehre vermittle, kann ebenso gut gegen die
Chryseis erhoben werden. Beide alchemischen Lehrgedichte zeichnen sich
dadurch aus, daß sie Lehrgedichte sind, welche den Leser die Alchemie
nicht lehren – nicht einmal im bescheidenen Maße von Vergils Georgica,
nach welchen man (mag dies auch umstritten sein) zumindest ansatzweise
eine kleine Landwirtschaft betreiben kann. So wird der Leser des Trevisa-
ners oder des Straßburgers selbst durch intensive Lektüre nicht in den Stand
gesetzt, die Transmutation zu vollbringen oder das Allheilmittel zu extra-
hieren. Dasselbe ›Defizit‹ freilich findet sich in aller129 alchemischer Lite-
ratur, welche das ›Opus magnum‹ thematisiert: Strenggenommen bieten
spagyrischen Schriften keinerlei Aufklärung, und dies selbst dann, wenn
sie ausdrücklich als die erklärende Gattung schlechterdings, nämlich als
Kommentare, ausgewiesen werden. Da die alchemische Literatur sich je-
doch in ihrer Gesamtheit durch die Erklärung ihrer ›dunklen‹ Prätexte
rechtfertigt, so kann sie auch insgesamt als Sonderfall des Genres ›Kom-
mentar‹ betrachtet werden:130 »Un des leitmotive de la quasi totalité de ces
auteurs est en effet de prétendre vouloir avant tout expliquer et justifier le
propos des auteurs antérieurs, comme le fait dès le IIIe siècle Zosime de
Panopolis«.131 Dementsprechend war die arabische und mittelalterliche la-
teinische Tradition weitestgehend Kommentierung der Tabula smaragdina
und der jeweils vorausgehenden, an sich schon kommentierenden alchemi-
schen Literatur, während bei nicht mehr eindeutig kenntlichen Prätexten
Kommentar und Paraphrase ununterscheidbar wurden. Zwar gab es stets
die üblichen paratextuellen Kommentarformen, wie glossierte Handschrif-
ten der Pretiosa margharita oder Scholienbände zum Rosarium des Arnal-
dus von Villanova, doch traten gerade ab der Renaissance vermehrt weitere
literarische Formen an deren Stelle, wie etwa die Emblemata der Atalanta
fugiens oder auch die alchemischen Lehrgedichte. Ebenso mischte sich in
die alchemische Kommentierung die Rezeption und Ausdeutung der (pseu-
do-)paracelsischen Schriften.132 Die damalige Auffassung der Alchemie als
Königsweg zur Natur- und damit Gotteserkenntnis, als Physik und Ethik in
128 Y. Haskell (1997), S. 589.
129 Die Existenz geheimer, unverhüllt die Transmutation beschreibender Schriften wurde
mir einmal von einem geheimnistuerischen nordamerikanischen ›Rosenkreutzer‹ unter
dem Siegel der Verschwiegenheit angedeutet.
130 Vgl. R. Häfner (2000), S. 299 f.
131 S. Matton (2000), S. 437.
132 Vgl. S. Matton (2000), S. 438–449; die alchemische Kommentierung neigt dahin, daß:
»le commentaire se voit fréquentement assimilé à l’oeuvre commentée en s’insinuant
en elle sous forme de gloses incorporées, ou bien, absorbant l’oeuvre commentée
sich vereinende Wissenschaft, führte bei alledem zu einer bis dahin unge-
sehenen Steigerung des intertextuellen Aufwands.133
Der alchemische Kommentar jedoch ist – wie angedeutet – per se dem
philosophischen oder philologischen entgegengesetzt: Er ist in seiner Er-
scheinung paradox, indem er zwar verheißt, alles zu erhellen, doch dies
dann wortreich unterläßt – »tout l’art du commentaire va consister à dire
qu’on ne va rien expliciter, ou plus exactement qu’on va tout révéler, mais
d’une façon qui ne sera compréhensible qu’à ceux qui connaissent déjà le
secret lui-même.«134 Dem zeitgenössischen wie auch modernen Leser wird
die Lösung versprochen, doch letztlich wieder und wieder vorenthalten,
was, gerade wenn der alchemische Kommentar als ›carmen didascalicon‹
auftritt, eine gewisse kognitive Dissonanz hervorrufen mag.135 Letztlich
aber bedeutet alchemische ›Kommentierung‹ nichts anderes, als daß die
poetische Phantasie eine Metapher durch eine andere ersetzt, was Mytholo-
geme einschließt sowie konsequent Allegorien umfaßt. Daneben bedienen
diese Kommentatoren sich mit Vorliebe des Oxymorons (›lac virginis‹ etc.)
oder der vermeintlich ›näheren‹ Bestimmung bekannter Substanzen wie
›Sulphur‹ als ›Sulphur noster‹, ›Sulphur philosophorum‹ in Abgrenzung
gegen ›communis‹ oder ›vulgaris‹.136
So faßt auch Umberto Eco – mit Blick auf Antoine Pernety – die Grund-
züge der alchemischen Semiotik, wie folgt, zusammen: 1) Das Geheimnis
ist stets woanders, 2) die Substanzbezeichnungen bezeichnen nicht die Sub-
stanzen, die Substanzen haben andere Bezeichnungen, 3) trotzdem geht es
immer um dasselbe Geheimnis.137 Und sobald dieses Geheimnis einem
Mythologem, einer ägyptischen Hieroglyphe, einer Bibelstelle oder einem
philosophischen Theorem eingeschrieben scheint, werden jene Teil des al-
chemischen »discorso di sinonimia totale«138 – welchem man nur mit neu-
en Synonymen beizukommen glaubt. Hierbei ist allen alchemischen Texten
gemein, daß sie sich letztlich auf das Geheimnis der Transmutation als
(unbekannten) Urtext beziehen, den wiederherzustellen sie ankündigen,
ihn dann jedoch hinter weiteren Metaphern verdunkeln. Doch nicht nur
Literaturwissenschaftler machen sich darüber ihre Gedanken, bereits Petrus
Bonus stellte, während er das integumentale Sprechen der Autoritäten ab-
handelte, die Überlegung an, daß das Geheimnis aperte wohl in sechs bis
zwölf Zeilen mitgeteilt werden könnte: »Et verè dico, sicut opinor, quod si
totam hanc artem, cum omnibus necessariis, practicè tradere vellent, reli-
quendo omnes figuras, quod in 6. vel 12. lineis scribere ipsam possent,
quod quare non fecerint, supra dilucidè satis enituit.« (Bonus, S. 37 f.).139
dem auch sei: Der bisher nicht eindeutig zu klärende Kommentator ließ
zumindest durchblicken, daß seine Muttersprache das Französische war,
da er bei Gelegenheit die eigene Übertragung einiger alchemischer Verse
›in Gallicam nostram‹ einfügte: »Ouurier sur tout aye cure,/ Que l’art imite
nature./ L’externe feu de charbon/ Rendla matiere alteree:/ Mais l’interne et
l’aetheree/ Faira ton ouurage bon.« (Tract. aur., S. 622). Auch waren just
diese Erklärungen, von der sonstigen Wirkung der Hermetischen Apo-
phthegmata abgesehen – so inspirierten sie nicht minder Allegorien der
Chymischen Hochzeit – eine der Hauptquellen von Michael Maiers Em-
blembuch Atalanta fugiens; wobei etwa bezüglich der alchemischen Geo-
metrie und des alchemischen Rabens dieselben Scholien zugrundeliegen.146
Im Jahr 1602 kam Johannes Nicolaus Furichius in Straßburg als Sohn des
französischen Schreibzeugmachers Johannes Nicolaus Furichius und des-
sen Frau Elisabeth, geborene Huaschin, zur Welt. Es liegt nahe, anzuneh-
men, daß Mutter und Vater als Religionsflüchtlinge ins Elsaß gekommen
waren. Im Elternhaus sprach man französisch, deutsch lernte Furichius erst
richtig, als er bereits Schüler der Straßburger Akademie war.148 Seit diesen
Tagen verband ihn eine innige Studien- wie auch Dichterfreundschaft mit
dem ein Jahr älteren Johann Michael Moscherosch (1601–1669),149 die
auch lyrisch ihren Niederschlag fand. So drückte, als der ältere Freund
1620 sein Baccalaureat erwarb, Furichius in der Gratulationsschrift epi-
grammatisch für die Mitbenutzung von dessen Büchersammlung seinen
Dank aus.150 Am 28. November 1622 erhielt Furichius als einer der ersten
– genau genommen als vierter – zusammen mit der Magisterwürde dieje-
nige eines Poeta laureatus.151 Im gleichen Jahr erschienen seine Libelli
Carminum Tres.152 An diesem Jugendwerk ist hervorzuheben, daß es »in
thematischer und formaler Vielfalt eine größere Bandbreite als Moscher-
oschs Epigramme«153 aufweist. Neben den üblichen Gelegenheitsdichtun-
146 Vgl. H. De Jong (1969), S. 170–172; u. S. 271 f.
147 Der biographische Teil ist eng abgeglichen mit W. Kühlmann (1984), S. 111–135 – Haupt-
quelle ist auch hier das weiter unten in Übersetzung wiedergegebene ›Programma
funebre‹.
148 Eine Monographie zur Akademie der Zeit bietet A. Schindling (1977); eine Kurzfas-
sung ders. (2000); eine Einführung ins Schulwesen im deutschen Humanismus W.
Kühlmann (2007).
149 Zur Schulzeit Moscheroschs an der Straßburger Akademie, bis die Wege sich trennten,
und dem damaligen geistigen Umfeld vgl. W. Kühlmann (1981); sowie ders. u. W.
Schäfer (1983), S. 14–35.
150 Abgedruckt in W. Kühlmann u. E. Schäfer (1983), S. 21.
151 Vgl. G. Knod (1897), S. 519, u. 586.
152 W. Kühlmann stellte mir hierfür freundlicherweise seine Aufzeichnungen zur Verfügung.
153 W. Kühlmann (1984), S. 111.
Oder die im Druck folgende Comparatio Mundi cum Homine zum Kom-
plex von Mikro- und Makrokosmos:
Fatur Aristoteles hominem Microcosmion esse:
Iccirco Mundo hic aequiparandus erit.
Sit Cerebrum firmamentum: duo Lumina stellae:
Inferior Cerebro pars velut aer erit.
Sint Meteora, petens sursum Fumatio Ventris: [5]
Humentes pluviae sunto Catarrhus item:
Terra Caro: Sanguis, terram qui permeet, Humor:
Corpus enim totum perfluit unda velut.
Corque, Iecurque, Lien, Splen, sint Animalia, Heparque [10]
Vitales motus congerit his cerebrum.
Si dicis, nondum me declarasse quis Ignis?
Hic Radicalis Corporis esto calor.
Vt toti Mundo tandem Deus imperat unus:
Sic rectrix etiam Corporis est Anima. (Ebd., S. B4vf.)
Auch das Lob des in den Paratexten der Chryseis mehrfach angeführten
wie gepriesenen Julius Caesar Scaliger wird bereits in den Libelli gesun-
gen.156 Doch wie die Physica in Furichius’ Erstlingswerk noch ein Gegen-
stand unter vielen sind, so hat auch De Somniis Naturalibus noch nichts mit
Visionsliteratur zu tun:
Somnia nascuntur tantum ex affectibus ejus,
Qui vigilat, nulla haec postera significant.
Namque repraesentant ea, quae sunt visa diebus;
Ergo superstitio nulla feratur iis. (Libelli, S. F1r)
Neigung folgend, als Student der Medizin auf die Artistenfakultät, an wel-
cher er bis 1625 blieb.
Obgleich sie zu den größten Hochschulen im deutschen Sprachraum
gehörte, hatte die Straßburger Akademie erst 1621 durch Kaiser Ferdi-
nand II. (1578–1637) die Privilegien einer Volluniversität mit dem Recht
der Doktorpromotion erhalten, sie umfaßte die vier Fakultäten Theologie,
Recht, Medizin und Philosophie.164 Bestimmend für die Medizinische Fa-
kultät war damals, als Sohn seines Vorgängers im Amte, der Dekan Mel-
chior Sebitz junior (1578–1674). Mit 34 Jahren war er 1612 nachgerückt
und hatte das Amt bis 1668 inne. Zwar orientierte er sich – vor allem was
die Disputationen seiner Studenten betraf – am Galenismus, doch war er
bestrebt, diesen nicht philologisch zu behandeln, sondern mit der alltägli-
chen Erfahrung des Arztes abzustimmen. Er legte eine Sammlung kurioser
Todesfälle an, lehrte vorzugsweise und einflußreich über Diätetik und Ba-
dekuren und ließ um 1620 einen eigenen botanischen Garten anlegen.
Ebenso sezierte er mit seinen Studenten und setzte die Einrichtung eines
anatomischen Theaters durch, weshalb damals die Straßburger Medizin zu
den fortschrittlicheren in Europa gehörte. Bei aller Freude an der Empirie
stand er jedoch dem Paracelsismus grundsätzlich ablehnend gegenüber.165
In jener Zeit bestritt Furichius einen Teil seines Unterhalts als Präzeptor
zweier Schweizer Studenten, Johann Wernher Bygel und Bartholomäus
Peyer, welche vom Schaffhausener Prediger Melchior Hurter (1584–1655)
betreut wurden. Ein Teil des Briefwechsels zwischen dem Geistlichen und
Furichius ist erhalten, in welchen Furichius auch die dortige Familie
Oschwald herzlich grüßen läßt. Der Sohn Johann Jakob Oschwald war
einer der drei Widmungsträger der Libelli Carminum Tres, dessen Abschied
im Gedichtband besungen wird.166 In einem Brief vom 19. 3. 1624 an Hur-
ter ist der Tutor, nachdem er wegen eines Epigramms gerügt worden war,
bemüht, dem strenggläubigen Calvinisten zu verdeutlichen, daß er keinen
verderblichen Einfluß auf seine Schützlinge ausübe. Aus dem Schreiben ist
ersichtlich, daß er sich literarisch mit Paracelsus und, wenn er diesen auch
als Ketzer verdammt, Valentin Weigel (1533–1588)167 auseinandergesetzt
hatte.168
1624 erschien schließlich die zweite Gedichtsammlung, Poemata Mis-
cellanea. Lyrica, Epigrammata, Satyrae, Eclogae, Alia, ebenso in Straß-
burg, welche nun Kommilitionen, darunter ausdrücklich Moscherosch, de-
diziert ist. Dieser steuerte auch zwei Geleitepigramme bei, und Furchius
würdigte den wissenschaftlichen Fortschritt seines Freundes in drei Dich-
tungen des Bandes.169 Auch hier finden sich zahlreiche Freundschafts- und
Gelegenheitswerke, so treten neben den Freunden, darunter erneut besagter
Oschwald, die Professoren der Universität in Erscheinung, sei es in Epita-
phien auf den Scholarch – einer der drei Schulherren, welche Finanzen und
Berufungen der Hochschule bestimmten als auch Disziplinarfragen ent-
schieden – Adam Zorn von Plobsheim (im Amt 1618–1623), sei es als
Widmung an dessen Amtskollegen Peter Stork (1614–1627)170 oder den
Juraprofessor und Spezialisten für Feudalrecht Kaspar Bitsch (1579–
1637).171 Neben Brülow findet sich auch Daniel Rixinger, welcher von
1600 bis 1633 als Professor für Philosophie im Amt war und hauptsächlich
über das Organon und die Metaphysik las.172
Vom September 1624 bis zum April 1625 hielt Furichius sich in Genf
auf, wobei sich womöglich hier nochmals die Wege der beiden Freunde
Furichius und Moscherosch, welcher dann nach Frankreich weiterzog,
kreuzten. In der Überzeugung, dort seine Ausbildung zum Arzt nicht weiter
vertiefen zu können, beschloß Furichius, nach Italien weiterzureisen – dies,
obschon sich ein fester Austausch der medizinischen Fakultät Straßburgs
mit Basel und Tübingen etabliert hatte.173 Von den Kämpfen um das Veltlin
gehindert, bezog er zunächst Quartier in Brixen und arbeitete als Hauslehrer
bei einer Offiziersfamilie. Auf die damaligen Umstände spielte er in einem
Geleitgedicht zu Moscheroschs Centuria Prima Epigrammatum an:
Cum me Brixia militem fovebat,
Ad Musas monitis tuis redivi.
Tu, cum Celtica rura permeâras,
Ut vitam excoleres probe futuram,
Ductu, nescio quo, propè incidisti [5]
In Martis laqueos, quod improbabas,
Ni Musa monitu ipsius redisses,
Et pro Marte tibi ipse Martialis,
Et sit reddita Penna pro Bipenni. (Moscherosch Centuria, S. 9)
Als Ziel der Reise stand für ihn Padua – von 1406 bis 1814 der Republik
Venedig zugehörig – fest, welches er in einem Brief als das ›neue Athen‹
pries, und dessen für die damalige Zeit fortschrittlichste medizinische Fa-
kultät ihn lockte.174
Die Universität Padua bestand spätestens seit dem Jahr 1222, bereits
1261 war der erste deutsche Student eingetragen. In der Folgezeit sollte
gerade das Heilige Römische Reich unter den Immatrikulierten aus dem
Norden, vor allem im 16. und 17. Jahrhundert, den größten Teil stellen.
169 Auch hierzu übergab mir W. Kühlmann seine Notizen.
170 Vgl. A. Schindling (1977), S. 80–84 et passim.
171 Vgl. A. Schindling (1977), S. 320 f. et passim.
172 Vgl. A. Schindling (1977), S. 239–241.
173 Vgl. A. Schindling (1977), S. 340.
174 Vgl. W. Kühlmann (1984), S. 116 f.
Waren bis 1553 die Studenten der Deutschen Nation (darunter etwa auch
Ungarn, Schweizer und Dänen) aller vier Fakultäten zusammen organisiert,
spaltete sich nun, zu neuem Selbstbewußtsein gelangt, die ›natio Germanica
artistarum‹ von den Juristen ab. Sie gab sich eigene Statuten und Siegel und
legte eine eigene Bibliothek an. Die Kirche Santa Sofia wurde zur Stätte
ihrer festlichen Zusammenkünfte bestimmt, und man begann mit einem
eigenen Matrikel. Unabhängig von der allgemeinen Immatrikulation, hatte
sich dort jeder Student binnen zwei Wochen persönlich einzutragen,175 so
auch Furichius am 15. Oktober 1626: »Iohannes Nicolaus Furichius Argen-
tinensis, poeta caesareus, huic sese inscripsit libro, solutis solvendis, 15
octobris anno 1626«.176 Womöglich war es für ihn in Anbetracht seiner
antikatholischen Epigramme und seiner sich in dieser Zeit verstärkenden
Neigung zum Hermetismus nicht unvorteilhaft, daß er als Student der Deut-
schen Nation zugleich die von Venedig (um den Handel nördlich der Alpen
nicht zu gefährden) durchgesetzte Immunität gegenüber der Römischen In-
quisition genoß.
Da leider Näheres über den Studienaufenthalt des Furichius nicht be-
kannt ist,177 soll hier zumindest die medizinische Fakultät seiner italieni-
schen Alma mater näher beschrieben werden. Zu Beginn des 16. Jahrhun-
derts hatte der gebürtige Brüssler Andreas Vesalius (1514–1564) Padua
zum Zentrum der modernen Anatomie gemacht. Sein anhand von Leichen-
sektionen gewonnenes Wissen erschien 1543 als De humani corporis fa-
brica. Er ließ anatomische Tafelwerke drucken, und seine Studenten erwar-
ben ihr Wissen ebenso am Seziertisch. Unter seinen Nachfolgern machte
sich vor allem Girolamo Fabrici d’Acquapendente (1533–1619) um die
vergleichende Anatomie verdient, auch gilt er ob seiner Schriften De for-
matu foetu von 1600 und De formatione ovi et pulli (1621) als Begründer
der Embryologie, wie er zuvor schon das wegweisende De venarum ostiolis
(1603) zum Blutsystem verfaßt hatte. Seit 1533 gab es einen Lehrstuhl für
Pharmakologie, an welchem hauptsächlich Dioskurides und Galen gelehrt
wurden. Doch da man bald erkannt hatte, daß eine eher philologische Lek-
türe der Medizinbücher wenig nutzte, kam es, daß schon 1546 ein eigener
botanischer Garten eingeweiht wurde. Über die hervorragenden Handels-
beziehungen der Serenissima war man in der Lage, exotische Pflanzen zu
importieren und zu kultivieren. Auch hatte in Padua der im Abschnitt zu
den Lehrgedichten erwähnte Veroneser Girolamo Fracastoro, dort ein
Freund und Kommilitone des Kopernikus, studiert und es zum Spezialisten
für Infektionskrankheiten gebracht, wie auch sein Lehrgedicht Syphilis sive
morbus gallicus beweist. Der von Furichius mehrmals in den Scholien der
Chryseis erwähnte Ägyptenreisende Prospero Alpino (1553–1616) hatte
dort von 1594 an einen Lehrstuhl innegehabt und war ab 1603 dem botani-
schen Garten vorgestanden, dessen Ausbau der hervorragende Pharmazeut
weiter vorantrieb.178 Im 17. Jahrhundert wandte man sich unter dem Ein-
fluß der von Galileo Galilei (1564–1642), dort von 1592 bis 1610 Mathe-
matikprofessor, eingeführten wissenschaftlichen Methode des Messens der
experimentellen Anatomie zu. Der theoretische Mediziner Santorio Santo-
rio (1561–1636) bestimmte als erster die Frequenz des Pulses mit einem
Pendelapparat. Der (Wieder-)Entdecker des Blutkreislaufes William Harvey
(1578–1657) hatte ebenso 1602 in Padua seinen Doktortitel erworben.179
Ein Jahr vor der Ankunft Furichius’ war der seit 1619 lehrende Anatom
Adriaan van den Spieghel (1578–1625) verstorben, nachdem er zu Lebzei-
ten den Ruf der Universität als Hauptsitz von Anatomie und Pharmazie
weiter gefestigt hatte. Auch der bedeutende Arzt, Naturforscher und Weg-
bereiter der modernen Wissenschaft Joachim Jungius (1587–1657), hatte
sich dort 1618 promoviert,180 und der genannte Initiator der Rosenkreutzer-
bewegung, Valentin Andreae, hatte dort als Student Station gemacht.181
Es ist anzunehmen, daß die in den Paratexten der Chryseis stattfindende
Diskussion wissenschaftlicher Probleme zwischen einem Aristotelismus,
wie er in Padua gelehrt wurde, und hermeto-paracelsischen Gedanken aus
dieser Zeit herrührt; nicht minder, daß Furichius in Norditalien mit der
Chrysopoeia des Giovanni Aurelio Augurelli in Berührung gekommen
sein muß, welche dem ehrgeizigen angehenden Arzt und erprobten Dichter
eindrucksvoll die Möglichkeit der Ausformung kosmologisch-alchemi-
schen Wissens in versepischer Form vor Augen führte, sowie mit dem
Werk des großen Ariost. So entstand in diesen Jahren Furichius’ – weiter
unter ausführlicher der Chryseis verglichenes – erstes alchemisches Lehr-
gedicht Aurea Catena siue Hermes poeticus de Lapide Philosophorum,
welches 1627 in Padua gedruckt wurde und den ›Häuptern‹ der beiden
deutschen Nationes zugeeignet ist.182
Zu Beginn Jahres 1628 war Furichius schließlich zurück in Straßburg.
Dort schrieb er seine Dissertation unter dem Titel Disceptatio de Phrene-
tide, welche im selben Jahre erschien, und als Tag der Promotion den
1. März nennt. Laut Programma funebre erfolgten die dazugehörigen Feier-
lichkeiten erst im Juni. Noch im selben Jahr heiratete er Marie Barbette,
Tochter des angesehenen Goldschmiedes Josias Barbette. Dieser Schwie-
178 Vgl. Kommentar zu CHRYS., S. 3, 28; S. 32, 30–31; S. 48, 9-S, 49, 2.
179 Vgl. Kommentar zu CHRYS., S. 11, 22–28.
180 Vgl. Ch. Meinel (1990).
181 Vgl. W. Kühlann (1984), S. 117 f. Einen Überblick über die medizinische Fakultät der
Zeit bieten etwa K. Bergdolt (1994) oder G. Ongaro (2001), S. 164–186.
182 Vgl. W. Kühlmann (1984), S. 118 f.
gervater stammte aus Pfalzweiler bei Lützelstein im Elsaß und erwarb 1603
das Straßburger Bürgerrecht; in der Stempeltafel der Goldschmiedezunft
von 1612 wird er als 1605 aufgenommener Meister geführt. Soweit be-
kannt, sind von ihm nur einige Entwürfe und die Geschäftskorrespondenz
(in deutscher Sprache) seiner Tätigkeit für Erzherzog Leopold V. von Tirol
(1586–1632) aus den Jahren 1628 bis 1632 überliefert. Für diesen fertigte
beziehungsweise verzierte Barbette äußerst kunstvoll Blank- und Feuerwaf-
fen, Jagdausrüstung, Prunkuhren und Hutschmuck.183
Aus der fruchtbaren Ehe gingen bis Herbst 1633 insgesamt fünf Kinder
hervor, drei Mädchen und ein männliches Zwillingspaar, zwei der Töchter
ereilte der Kindstod. Furichius hatte sich damals in Straßburg als Arzt nie-
dergelassen und arbeitete daneben an seinem ambitionierten Hauptwerk,
den Chryseidos Libri IIII, welche 1631 erschienen. Moscherosch, mit
dem er weiterhin sehr gut befreundet war, trug hierfür zwei Glückwunsch-
gedichte bei.184 Angeregt wurde das Werk jedoch von seinem Widmungs-
träger. Dieser war der, von Furichius in der Vorrede als ›teuerster Freund‹
(vgl. CHRYS., S. A2r) bezeichnete, neun Jahre ältere Joachim Morsius,
welchen seine Biographen gerne als das ›Idealbild eines Rosenkreutzers‹
schildern.185
Joachim Morsius kam als jüngster von drei Brüdern am 3. Januar 1593 als
Sohn des Goldschmieds Jakob Mores (auch: Mors, Moers, Mortzen etc.)
und der ebenfalls aus einer Goldschmiedsfamilie stammenden Engel, ge-
borene Kopstedt, in Hamburg zur Welt. Wohlstand und Ansehen dieses
Elternhauses gestatteten ihm eine sorgfältige Schulbildung. 1610 immatri-
kulierte er sich als Student der Theologie in Rostock, widmete sich dann
aber mehr und mehr humanistisch-philologischen sowie alchemischen Stu-
dien. 1611 wechselte er nach Leyden und kehrte über mehrere Zwischen-
aufenthalte 1613 nach Rostock zurück, wo er, der er bereits damals begann,
eine eigene große Büchersammlung aufzubauen, von 1615 bis 1618 als
Bibliothekar der neugegründeten Universitätsbibliothek geführt wird. In-
wieweit diese Funktion allerdings über das Beratende hinausging, ist frag-
lich, fiel doch in jene Zeit eine erste längere Studienreise nach Kopenhagen
und Stettin. In jener Zeit begann Morsius sich für die aufkommende Rosen-
183 Vgl. W. Kühlmann (1984), S. 119; zu Josias Barbet vgl. H. Haug (1978), unpaginiert
›Table II. 1612‹; sowie H. Meyer (1881), S. 219. Eine kurze kunstgeschichtliche Wür-
digung des Goldschmiedes bietet E. Egg (1966).
184 Mit Übersetzung abgedruckt bei W. Kühlmann (1984), 120; vgl. auch meinen Kom-
mentar zu CHRYS., S. A3v morosos istos Catones, aut Solones, letzter Abschnitt.
185 Vgl. H. Schneider (1929), S. 7.
188 Vgl. u. a. R. Van Dülmen (1978), S. 154 f.; R. Kayser (1897); W. Kühlmann (1984),
S. 129–131; W.-E. Peuckert (1973), S. 207–216, u. S. 249–253; H. Schneider (1929),
S. 7–72; ebenso Einträge in biographischen Sammelwerken, wie Moller 1 (1744),
S. 440–446; aus jüngerer Zeit R. Hoche (1885) und demnächst J. Telle (2010).
189 Der unter dem Pseudonym ›Anastasius Philaretus Cosmopolita‹ herausgegebene ›Nun-
cius Olympicus‹ findet sich als reprographischer Nachdruck in C. Gilly (1994a),
S. 239–289. Der Katalog verzeichnet 228 Manuskripte, wovon die meisten aus der
Feder des streitbaren Vielschreibers unter den Paracelsisten und Rosenkreutzern, An-
ton Haslmayr, stammen; geboren 1560 in Bozen, wurde er 1612 in Innsbruck wegen
Ketzerei verhaftet und zur Galeere verurteilt, vgl. C. Gilly (1994a), S. 32–67; zum
›Nuncius Olympicus‹ vgl. ebenso H. Schneider (1929), S. 74. Verzeichnisse der übri-
gen von Morsius verfaßten und herausgegebenen Werke finden sich etwa in: Moller 1
(1744), S. 445 f.; H. Schneider (1929), S. 73–78.
190 Vgl. H. Schneider (1929), S. 118 f., Anm. 60.
191 Vgl. R. Kayser (1897), S. 310. Das eindrucksvolle Personenregister des Albums findet
sich in H. Schneider (1929), S. 79–110 – die Transkription des lateinischen Orignal-
textes im 2. Anhang. Die dort griechischen Begriffe sind hier kursiv gesetzt, für deren
Auflösung bin ich Peter Habermehl, Berlin, zu großem Dank verpflichtet.
lehrtenrepublik [5] Matthias Bernegger,192 erfuhr ich, worüber ich froh bin, daß Du wohl-
behalten bist, in dem Grade, daß Du mir in meinem Sinn auferweckt von den Toten
scheinst, in der Art eines gewissen neuen Eros Armenios,193 wenn wir dem Plato glauben,
oder Enarchus,194 wenn dem Plutarch, oder schließlich Aristeas Prokonesios,195 wenn
dem Herodot. Wo in aller Welt Du aber steckst, darüber habe ich noch keine Gewißheit.
Nicht hieltest Du Dich an die Versprechungen, wie ich gehofft hatte, bezüglich Deines
Briefes [10] angekündigtem Eintreffen. An Dir liegt es, unser Gemüt von den Hirnge-
spinsten zu befreien, warum es nicht unternommen wurde. Nicht, daß ich nicht wüßte, daß
es im Übermaß gibt, was Dich von überallher in Anspruch nimmt. Weil Du dennoch so
viel an Liebe zu Dir in uns erweckt hast, solltest Du wenigstens dem nach Dir Glühenden
das wütende Verlangen durch ein Wort mildern. Du erinnerst Dich ohne Zweifel, daß, als
Du damals noch mit uns Dich eines Himmels erfreutest, von Dir aus Erwähnung fand [15]
ein gewisses Gedicht von mir, zu Padua niedergeschrieben, über jenen berüchtigten Stein
der Weisen, welches Du zur damaligen Zeit ein Flickwerk statt Neuem nanntest. Gedruckt
ist es in Italien, wie es unter der Feder zustande kam, wobei die Lektüre manniger Au-
toren Hebammendienste leistete. Auf Dein Betreiben hin nahm ich dennoch dieses Wer-
klein erneut in die Hände, erneut ging ich es durch, erneut schuf ich es,
Oft den Griffel wendend, dann, was erneut zu lesen wert,
zu schreiben.196
[20] Dann endlich wird es als so, wie Du es sehen wirst, ans Licht kommen. Ich sollte
freilich zuvor, wie der Dichter anmahnt:
Mit den Tafeln zugleich des redlichen Zensors Herz erfassen197
Ja überhaupt, weil,
Da verschlossen noch das Konzept, ich vernichten dürfte,
was ich nicht veröffentlichen sollte.198
[25] Allein, wenn ich mir vorstellte, daß es einst in dürftigerem Gewand gewagt wurde, in
der Zensoren Augen zu bestehen, darf man sich nun ob zu wenig Ausschmückung nicht
davonstehlen; auf Dein Geheiß vor allem hin, für den der ganze Mythos vollendet wurde.
Nimm daher an, was Dein ist, offensichtlich, denn Du machtest es durch dieses Geheiß
zum Deinigen. Und, sofern irgend etwas in den Worten oder Gegenständen selbst verfehlt
[30] ist, woran ich in der Tat keineswegs zweifle, wende freimütig die Zensorenrute an,
welche ich in einem solchen Labyrinth anstelle eines Ariadnefadens gelten lassen will.
Wie es hoffentlich, wie in diesem, so bei meinen anderen Studien und Überlegungen
192 Zu Matthias Bernegger vgl. A. Schindling (1977), S. 279–289, 378–382 et passim;
sowie W. Kühlmann (1982), S. 118–135.
193 Nach Plat. R. 10, 8; 614b-615c wird Eros, Sohn des Armenios, als man nach zehn
Tagen die Gefallenen vom Schlachtfeld räumt, noch unverwest aufgefunden. Am
zwölften Tage erhebt er sich vom Scheiterhaufen, um von seinen Erfahrungen im Jen-
seits zu berichten.
194 Furichius bezieht sich bezüglich dieses Widergängers nicht direkt auf Plutarch, bei
welchem ein ›Enarchos‹ nicht aufzufinden ist, sondern auf Ficinos Schrift zur ›Un-
sterblichkeit der Seelen‹ – dort im 13. Buch: »Enarchus, inquit [Plutarchus], nuper
aegrotans tamquam iam mortuus a medicis fuit relictus, et brevi tempore in seipsum
[sic] postea reductus dicebat se mortuum fuisse et in corpus iterum restitutum [etc.]«
(Ficino Theologia, S. 219).
195 Bei Herodot (vgl. Hdt. 4, 13 f.) ist Aristeas aus Prokonnesos ein Dichter, der in einem
Werk behauptet, er sei von Apoll inspiriert bei einem Volk namens Arimaspi jenseits
der Hyperboreer gewesen. Tatsächlich war er vor der Abfassung, nachdem er scheintot
in einer Walkstube zusammengebrochen war, sieben Jahre lang spurlos verschwunden.
Und auch nach der Veröffentlichung des Poems wurde er nicht mehr gesehen.
196 Nach HOR. sat. 1, 10, 72 f.
197 Nach HOR. epist. 2, 2, 110.
198 Frei nach HOR. ars. 389 f. Die Übersetzung folgt derjenigen E. Schäfers in Horatius
(2008).
gestattet sein möge. Gewiß lerne ich erst zu leben und, um es so zu sagen, mit umge-
wandter Ferse den neuen Weg zu beschreiten, dennoch unsicheren Fußes, wie es jene zu
tun pflegen, die aus dem Schlaf aufgeweckt sich zur Reise gürten; [35] noch in tiefer
Dämmerung. Ich beginne, sage ich, mich vor jenen Kleingeistern zu ekeln, deren Worte
und Werke, nicht Menschen gehören sondern Ameisen:
Ich platze! Fast meint man, es brüllten Arkadiens Herden.199
In dem Maße bellen sich die Besseren an, und selbst unruhig stören sie alle Ruhe mit
ihrem Gekläff. Dasjenige, welches wir Gott schulden, maßen sie sich an. Was [40] soll ich
mit den Faslern? Doch, was lege ich mich mit jenen Metrikern an? Esel werde ich rascher
zum Fliegen bringen oder einen Äthiopier weißwaschen, als ich diese da ändern werde.
Aus dem Grunde, so lange es möglich ist, laß uns emportauchen aus diesem Menschen-
dreck, laß uns in um so helleres Licht unsere Geister stellen. Laß uns leben erhaben in
königlicher Würde, auf dem Thron der hohen heiligen Wahrheit ruhend. Bereitet ist uns
der Weg; dargelegt von vielen, geheim dennoch
[S. 746]
gehalten, und einzig den glühend Strebenden aufgezeigt. Wenn er, wie man sagt, bekannt
ist, dann einer gewissen sogenannten Rosenkreutzerbruderschaft. Deren Ruf und Herr-
lichkeit, wenn Worte und Werke nicht entsprechen, könnte bei Dir, bei anderen den An-
fang nehmen. Auf staunenswert Weise fürwahr gefiel Dein Urteil über die heiligen Dinge,
um so mehr, desto [5] näher es den Sterblichen zu Gott herausführt, und, nachdem die
schmutzige Häute des Leibes verlassen sind, den Geist zu Höheren antreibt, indem es von
unten dränget, oder vielmehr die Liebe Gottes beschwört. Die Alten bereiteten uns einen
Weg. Denn sie lehrten glücklich jenes zu verachten, welches nicht zum Menschen gehö-
ret, damit wir um so sorgfältiger jenem zu Glanz verhelfen, was in der Tat ausmacht ein
Mensch zu sein. Oft erblickte ich staunend das Licht Epiktets in solcher [10] Finsternis,
und pries ich bei mir denjenigen glücklich, welcher jene überdacht hatte, sich selbst
glücklicher gemacht hatte; wir gleichermaßen glücklich, wenn wir nacheifern, fürwahr
glücklicher, weil wir den ewigen Sohn unseres unaussprechlichen Gott haben, der über
dies hinaus seligeres Naschwerk des Geistes darreicht: Gottes Wort selbst bringt das
großes Landgut der gewaltigen göttlichen Weisheit. Die Liebe selbst verkündigte die
Liebe, erwirkte sie, brachte sie hervor. Fürwahr durch seinen Geist [15] des völlig Glück-
lichen gab er unseren Geistern zu trinken seine nektarsüße Wonne in einzelnen Augen-
blicken. Dies ist unsere Philosophie: oder jede andere, die darauf Bezug nimmt. So wird
berichtet, daß Marsilio Ficino, nachdem er beinahe aller Wissenschaften Feinheiten er-
schöpft hatte, einzig bei der Lektüre der Heiligen Schrift seine Ruhe gefunden hat. Wenn
wir dennoch darüber hinaus irgend etwas verfolgen, wollen wir Alles tun, um unseres
Gottes Ruhm [20] zu verbreiten, die Güte unters Volk zu bringen, die Macht zu preisen.
Ach, wieviel dieser Zeit ist übel vertan von vielen in der Literatur glänzenden Männern.
Denn so viel an menschlicher Weisheit verliehen ist, so viel ist fortgenommen an gött-
licher. Die meisten von uns streben nach Lob aus anderer Gebeugtheit, oder aus den
Trümmern eines anderen Namens oder Schelte errichten wir den Unsrigen. Doch, um
zu uns zurückzukehren, damit wir nicht ebenso [25] den Eindruck erwecken, allzu be-
triebsam beim eifrigen Vortragen der Schlechtigkeiten anderer scheinen. Ich möchte,
wenn ich es irgend verdiente, Deiner Güter teilhaftig werden. Ob Du dem Vulcanus Opfer
darbringst? Ob Du etwas herausgefunden hast beim Entlocken jener Seele des Goldes?
Wenn Du ebenso die Art, [es] in seine Principia aufzulösen, in Erfahrung gebracht hast,
daß Du sie wenigstens mitteiltest. Ich habe soweit nichts versucht, wie sehr ich auch
überzeugt bin, etwas zustande zu bringen, wenn ich mich daran mache. Unterdessen lok-
ke ich Heilmittel von überall her heraus, ja [30] mit dem Aesopischen Hahn wühle ich
sogar aus dem Misthaufen Juwelen, und, was sonst geglaubt wurde, daß es durch Feuer
nicht hervorgebracht würde, mache ich der dessen Macht gefügig. Alle (man muß es
nämlich zugegeben) sind zu gewerbsmäßiger Heilkunst geeignet; und dies aus Notwen-
digkeit. Es wächst die Familie, und noch nicht kam irgendwoher eine Erbschaft, es drückt
der Unterhalt, auch ist etwas für die Schutzmacht zu entrichten. Der hiesigen Ärzte Söhne
Schar hat dahingehend zugenommen, daß es beinahe [35] so viele Kranke wie Ärzte gibt.
Doch was von allem am meisten schändlich ist: Nach Quacksalberbrauch machen sie aus
der Medizin eine Hure: Mist verkaufen sie gegen Gold, mit Worten bezwingen sie die
Krankheiten, nicht mit Kräutern. Dann erst wehen die geschwollenen Windbeutel Lügen
aus. Kurz: Alles geht so drunter und drüber, so daß ich fürwahr mit dem Dichter ausrufen
wollte:
[40] Ach der Menschen Bemüh’n, ach viel auf der Welt ist eitel!200
Dies ist dennoch zu ertragen, sofern, wie der Komödiendichter sagt, die unsterbliche
Götter wollten, daß wir diese Plackerei ausführen. Es schickt sich, es ruhigen Gemüts
zu erdulden, wenn wir es so halten werden, wird die Mühe leichter sein. Es ist zwar,
wie er sonst lehrt, Gleichmut der Plackerei bestes Gewürz. Doch diese Lehre war schick-
licher aus den Prophezeiungen unseres Heilands
[S. 747]
zu entnehmen. Zu all dem kommt das allgemeine Unglück hinzu, die Unbill des Krieges,
welche bisher so an Gewalt zunahm, daß wir einzig durch die Kunde niedergeschlagen
nur zur Aufgabe nicht bereit sein werden. Für glücklich halte ich oft meinerseits die
Magdeburger, und mit Mühe halte ich mich zurück, daß ich nicht mit Aeneas bei Vergil
ausrufe:
[5] O dreifach ihr und vierfach Beglückte,
denen vergönnt war, einst vor Trojas ragenden Mauern
vor den Augen der Väter zu sterben.201
Wenn ich den Zustand unseres Gemeinwesens betrachte, ahne ich unausweichliche Ge-
fahr: wenn [auch nicht] die Bürger den Krieg im Inneren [führen], wenn er auch nicht mit
Waffen entschieden wird, haftet in den Seelen dennoch [10] unheilbare Feindschaft. Wenn
ich Gründe nennen werde, wirst Du sie wiedererkennen. Ich höre, daß die Eurigen im
nämlichen Kot steckengeblieben sind. Mögen die Götter gute Gesinnung herbeiführen.
Doch was geht uns das alles an. Es gibt, außer in der Einbildung, keine Übel. Man
muß sich mühen mit jener Tugend der Stoiker, welche sie Unempfindlichkeit nennen,
der Geist ist zu sich selbst zurückzurufen. Du machst das alles besser. Mir nur war dies
von mir einzutrichtern. Dich vor allem halte ich gerade für einen, der Du viel ergänzen
könntest; [15] so wie es, in meinem Vertrauen, gewiß geschehen wird, im nächsten Brief,
wenn Du nicht allzusehr durch Geschäfte abgelenkt sein wirst. Lebe wohl, aber dies doch
so, daß es mir bald wohl ergeht! Niedergeschrieben zu Straßburg, den 17. September, im
Jahre des Heils 1631.
Deiner Erhabenheit
größter Verehrer
Johannes Nicolaus Furichius
Doktor der Medizin und Kaiserlicher Dichter
Wie das Schreiben Zeugnis vom unsteten und anrüchigen Wanderleben des
Morsius ablegt, so erhellt es nicht minder die Entstehungsumstände der
Chryseis als die durch den Hamburger angeregte Überbearbeitung der Au-
rea catena, welche Morsius mit Winken zum Alchemischen mündlich und
später schriftlich begleitete. Zugleich geht aus dem Brief hervor, daß Furi-
chius zwar über Morsius der Rosenkreutzerbewegung, vor allem in ihrem
theosophischen Impetus, nahestand, ja sich Großes von ihr erhoffte, selbst
200 Übersetzung von PERS. 1, 1; nach W. Kißel, in: Persius (1990).
201 VERG. Aen. 1, 94–96; Übersetzung nach J. Götte (1988).
aber nicht in jene Zirkel eingebunden war. Auch läßt sein Konflikt mit der
als störrisch empfundenen protestantischen Orthodoxie – welche sich an-
maße ›vorzuschreiben, was wir Gott schulden‹ – nicht erkennen, ob er der
sich auf Paracelsus berufenden, ›Theophrastica Sancta‹ genannten Gruppe
religiöser Sektierer zuzurechnen ist.202 Doch nicht nur mit seinem Gewis-
sen sondern auch mit dem Vorhaben, den Hermetoparacelsimus im ehrwür-
digen Hexameter ein Denkmal zu setzten, scheint er – ›Was lege ich mich
mit jenen Metrikern an?‹ – in gewissen Straßburger Gelehrtenkreisen auf
Ablehnung gestoßen zu sein. Wie aus den diesbezüglichen Bitten um die
Mitteilung von Arkanwissen und Winken zur Transmutation hervorgeht,
war er jedoch selbst (sofern es sich nicht um affektierte Bescheidenheit
handelte) während der Abfassung seiner beiden alchemischen Lehrgedichte
nicht mit spagyrischen Experimenten beschäftigt. Seine Labortätigkeit be-
schränkte sich damals – und bis zu seinem frühen Tode dürfte sich sowohl
in Anbetracht der Säumigkeit des Adressaten als auch seiner prekären Fi-
nanzlage wenig geändert haben – höchstwahrscheinlich auf die Herstellung
iatrochemischer Präparate. Durch deren Verkauf und seine Tätigkeit als
Arzt hatte er sich, seine Frau und die Kinder durchzubringen: eine Aufgabe,
die in Anbetracht der von Furichius beklagten Mißstände, der widrigen
Konkurrenz der Kurpfuscher und der, auch im Programma funebre erwähn-
ten, Überversorgung der Universitätsstadt mit Medizinern sicherlich nicht
leicht fiel. Zu diesen Alltagssorgen kamen die steigende innere Unruhe der
Stadt und die allgemeine Kriegslage. Hierbei schlägt gerade dem Refor-
mierten die Einnahme des protestantischen Magdeburg, das vergeblich
auf die Entsetzung durch Gustav Adolf (1594–1632) gehofft hatte, durch
den Feldherrn der Katholischen Liga Tilly (1559–1632) am 20. Mai dessel-
ben Jahres auf das Gemüt: Im Zuge von Beschießung, Erstürmung und
Plünderung waren schätzungsweise 20.000 Zivilisten, mehr als die Hälfte
der Einwohner, umgekommen; die Stadt war dem Erdboden gleichgemacht.
Solch traurige Geschehnisse waren vor allem in Flugblattpropaganda der
Reformierten barbarisch ausgemalt worden.203
Dies also waren die Entstehungsumstände der Chryseidos libri IIII. Doch
selbst des Ruhmes dieser Dichtung konnte Furichius sich nicht lange er-
freuen. Als 1633 einmal mehr die Pest in seiner Vaterstadt ausbrach, for-
derte die Seuche von der besonders gefährdeten Ärzteschaft einen hohen
Zoll. Furichius infizierte sich und starb am Abend des 14. Oktober 1633 in
seiner Wohnung in der Münstergasse. Das Leichenbegängnis fand 17. Ok-
tober statt. Das zu diesem Anlaß gehaltene Programma funebre des nunma-
ligen Akademierektors und konservativen – mit keiner Silbe erwähnt er des
202 Vgl. hierzu C. Gilly (1994b).
203 Eine Übersicht gibt M. Puhle (1998), S. 236–265; auch sei auf die anderen Beiträge
des Bandes verwiesen.
der Philosophische, dann der zweite zusammen mit der Dichtkunst, nicht ohne das größte
Lob. An Milch nämlich und Honig war er überreich, wie jener sagt. Ihm wurde das Wesen
der Wortgewandtheit im Überfluß zuteil, welchem er den Eifer und die arbeitsame An-
strengung hinzufügte, Diese zwei nämlich * so machen sie auch den Dichter aus; aus dem
Grunde Horaz:210
Ob durch Naturtalent eine Dichtung Beifall erring oder durch Kunstverstand,
Hat man gefragt. Ich kann nicht erkennen, was ein Bemühen ohne fündige Ader
Oder was eine unausgebildete Begabung nützt; so fordert das eine die Hilfe
Des anderen und verschwört sich mit ihm in Freundschaft.211
Obgleich er aber in dieser Studiengattung, als der Muße Ergötzlichkeit, vortrefflich war,
wollte er dennoch weder an jenem einen gemessen werden, noch darin Bug und Heck der
Studien verankern; sondern fürder richtete er den Sinn auf das äußerst nützliche Studium
der Medizin, auf welche er nicht nur hier, sondern auch in Genf und Padua fürtrefflich
seinen Fleiß verwandte. Von der Reise zurückgekehrt, wurde er an dieser seiner heimi-
schen Akademie mit der Doktorenwürde ausgezeichnet, im Jahre 1628, im Monat Juni.
Welchem er die Würde des Ehestandes hinzugesellte, welchen er einging im nämlichen
Jahre mit der äußerst Sittsamen Jungfer MARIA BARBETIN, des vortrefflichen Herrn
JOSIAS BARBETTES, Goldschmiedes, Tochter. Aus welchem Ehebund er fünf Kinder
empfing, Zwillingsknaben, die bisher überlebten, drei Töchter, von welchen eine noch am
Leben ist. Dies ist des recht kurzen Lebens des Furichius kurzer Abriß. Der Gemeinschaft
unserer Studenten schulden wir die letzte Ehre, wir schulden das Leichenbegräbnis all
jenen, die einmal Mitglieder unserer Akademie gewesen sind. Vor allem jedoch, was
wir bereits häufiger in eben diesen Wochen anmahnten, gehört es sich aus dieser Verdich-
tung der Todesfälle, welche wir täglich vor Augen haben, für alle Stände Ansporn, das
Leben zu bessern, zu schöpfen. Es verdienten Sünden das Schwert, durch das soviel
tausende bereits zugrunde gingen, sie verdienten den Hunger, der, wie er viele andernorts
nach langer Marter verzehrte, so auch bereits an unsere Tore pocht. Sie verdienten eben
diese Geißel der Pest, vor welcher wir verdientermaßen schaudernd zurückschrecken, da
wir mitanschauen, wie Greise, Jünglinge, Gelehrte, Ungelehrte, Gemeine, Adlige, in gro-
ßer Zahl daselbst vernichtet werden. Die Sünden in aufrichtigen Tränen der Reue zu
beklagen, auf daß sie durch die Göttliche Gnade getilgt werden, damit nicht, wenn wir
säumig sind und träge bei der Umkehr, aller Sicherheit Verkehrung nachfolgt. Ich füge an,
welche ich lange im Blick habe, die Worte des Ambrosius aus der 85. Predigt, Band 3,
Seite 311, am Ende: »Einer Stadt wird nur aufgrund der Sünden der Bürger der Untergang
auferlegt, laß’ daher ab zu sündigen, und die Stadt wird nicht untergehen.«212 Laßt uns
hinzufügen glühende Gebete, welche die Macht haben zu binden den Unbezwingbaren
und zu bezwingen den Allmächtigen. Möge unter uns zahlreich jenes allerdemütigste
[Lied] vernommen werden:
Laß ab, Herr, von Deinem furchtbaren Zorn
Und halte ein mit der blutigen Geißel und eile nicht,
Mit gerechtem Richterstab zu strafen unseren Frevel.
Wenn gerechte Strafen empfangen unsere Übeltaten,
Wer kann aushalten die schrecklichen Schläge,
Da er doch nicht ertrüge
Die mit solcher Gewalt strafende Zuchtrute.
Laß doch ab von unserer Schuld,
210 An der mit Asterisk markierten Stelle weist das ›Programma‹ einen etwa fünf Silben
langen Riß auf.
211 Nach HOR. ars 408–411. Die Übersetzung folgt derjenigen E. Schäfers in Horatius
(2008).
212 In einer anderen zeitgenössischen Ausgabe die 85. Predigt ›De Barbaris non timendis‹;
vgl. Ambrosius, S. 900–902.
213 Ursprünglich die ›Ode Sapphica irae divinae deprecatrix‹ des Matthias Bergius (1536–
1592), abgedruckt in G. Scipione (1613), letztes Blatt. Sie wurde später berühmt in der
Vertonung durch Heinrich Schütz, SWV 337; vgl. H. Schütz (1963), S. 93–114; und
Hinweise S. 115–117; ebenso Zedler 3 (1733), Sp. 1271.
214 Vgl. W. Kühlmann (1984), S. 119, Anm. 49.
215 K. Ch. Schmieder (1932), S. 354 – in der Neuauflage des ›Killy Literaturlexikon‹
findet sich nun ein Artikel; vgl. Reiser (2009b).
S. 1–13 Liber I:
Alchemo-Kosmologisches Lehrgedicht, darin der Ich-Erzähler in
der Rolle des Lehrers die direkt angesprochenen Leser unterweist;
von den Gestirnen stufenweise und unter zunehmender Verdeutli-
chung der spagyrischen Bedeutung des Beschriebenen ins Erdinnere
hinabsteigend.
S. 9, 15 – 23 Mercurius als das alchemische Wasser, welches sich aus drei (Princi-
pia) und vier Teilen (Elementa) zusammensetzt; Bilder von Nymphen
und Naß.
S. 9, 24 – 10, 13 Septenarii numeri laus: Lob der Siebenzahl anhand von Beispielen
ihres Vorkommens in Kosmologie und Medizin.
S. 10, 14 – 28 Erklärung der Analogie zwischen Alchemie und Ackerbau; mit my-
thoalchemischem Ornat, wie dem Goldenem Vlies und dem Hesperi-
denbaum.
S. 10, 29 – 11, 16 All dies bezeichnet Mercurius und das Opus; weitere Bilder: Phoenix,
Sol und Luna.
S. 11, 17 – 12, 3 Ankündigung des Autors, all dies dem Leser vor Augen zu führen;
Vergleich des Wachstums der Metalle mit demjenigen der Korallen.
S. 12, 4 – 22 Synkretismus mehrerer Naturphilosopheme: Radius Mundi, Calor,
Amor, Venus, Anima Mundi, welche allesamt den Mercurius bedeu-
ten.
S. 12, 23 – 13, 2 Dessen weitere Beschreibung; Verwerfen vulgärer Vorstellungen; wei-
tere Decknamen, wie Kreide und Drachblut.
S. 13, 3 – 16 Schau in das Innere der Erde: dramatische Schilderung des Waltens
des Weltgeistes bei der Erzeugung der Metalle; Vergleich seiner Ge-
walt mit dem Scheitern auf See.
S. 13, 17 – 19 Abschließende Ermahnung der Leser, das Wachsen und Werden der
alchemischen Pflanze zu studieren.
S. 13–24 Liber II: Vision des Raben, Begegnung mit dem Greis, Gespräch bis
Sonnenuntergang.
S. 14, 0 – 5 Bericht des Ich-Erzählers, wie er einst in der Lybischen Wüste an den
Berg gelangte, auf dessen Spitze ein sprechender Rabe saß (Phasma).
S. 14, 6 – 16, 6 Rede des Vogels:
S. 14, 6 – 14 über sich selbst: Dreifarbig versinnbildlicht er das Opus,
welches Mercurius als alchemisches Wasser hervorbringt.
S. 14, 15 – 16, 6 Anleitung, den Drachen, welcher die Schätze auf der
Spitze des Berges bewacht, mit bereiteten Giften (Menstrua) zu quä-
len und dann in Heilschlaf zu versetzen, um Zugang zu erlangen.
[= Versbearbeitung einer Scholie des Tractatus aureus]
S. 16, 7 – 19 Farb- und klangliche Metamorphose des Raben, Auftritt des Senex.
S. 16, 20 – 17, 10 Begrüßung und Vorstellungsrede des Greises: sein heiligenmäßiger
Wandel, und wie er von Gott geleitet an jenen Berg in der Wüste kam.
S. 17, 11 – 28 Beginn der Einführung in die Mysterien: Ermahnung zur Frömmig-
keit, erneut Bilder der Navigation (Gott als Leitstern) für den Alche-
miker, welcher sonst scheitert; Welterkenntnis als Gotteserkenntnis.
S. 17, 29 – 18, 28 Geheimwissen einst in Hieroglyphen und Mythen (miris figuris, lo-
cutio aenigmatica) verborgen, die sich nur durch Göttliche Gnade er-
S. 25–37 Liber III: Traumvision von der Ermordung des Phoebus im Bade
durch Saturnus und der Wiederbelebung; Deutung(en) derselben am
nächsten Morgen durch den Greis.
S. 26, 1 – 22 Unruhiger Schlaf und Traumgesichter des Chrysanthus. Bei Morgen-
grauen sucht er den Greis auf, welchen er beim Gebet antrifft; Bitte,
den Traum erzählen zu dürfen.
S. 26, 23 – 29, 1 Somnium authoris:
[= Adaption einer Scholie des Tractatus aureus]
S. 26, 23 – 27, 12 Erste Götterversammlung: Venus stellt sich als Me-
tallgottheit und Gebärerin des Lapis vor.
S. 27, 13 – 19 Phoebus stellt sich als Bruder vor und klagt über die
Nachstellungen des Saturnus.
S. 27, 20 – 24 Phoebus verliert im Bad das Bewußtsein und erstarrt.
S. 27, 24 – 28, 16 Zweite Götterversammlung: Hermes bittet Saturnus
um Rat, dieser stellt sich vor und bekennt seine Tat, welche jedoch
zum Wohle aller geschah.
S. 28, 17 – 30 Iupiter, Diana, Venus und Mars beleben Phoebus mit
ihren Balsamen wieder, voll Dank verleiht er den Geschwistern seinen
Glanz.
S. 28, 31 – 29, 1 Dieweil erwacht Chrysanthus, hält das Geschaute je-
doch für bedeutungslos.
S. 29, 2 – 20 Der Greis preist Chrysanthus ob des Geschauten, das er als von der
Chryseis gesandt erkennt, glücklich und beginnt dessen mytho-alche-
mische Kommentierung.
S. 29, 21 – 33 Erneute Mahnung, die alchemischen Schriften nicht simplice sensu
aufzufassen; Notwendigkeit der Menstrua, um den Samen des Goldes
aus dem Golde zu gewinnen.
S. 30, 1 – 16 Ablehnung anderer Ursprünge und mythoalchemische Ausführungen.
S. 30, 17 – 31, 29 Auri encomia – Lob des alchemischen Goldes:
Mit Bildern des Grün-Vegetativen und unter Bezug auf die Calor-
Diskussion der zeitgenössischen Medizin erhobene Forderung, der
Chrysolith solle frisch sein; Vergleich mit dem, leider verlorenen,
Goldenen Zeitalter.
S. 31, 30 – 32, 13 Satyrica elusione in secus sentientes: Verspottung der Wahnsinnigen
(Nieswurz-Topik), welche den Samen des Chrysolith nicht im Golde
suchen; Schmähung als gottlose Schöpfungszerstörer.
S. 32, 14 – 25 De sulfuribus Solis et Lunae – Unterscheidung der Schwefel von Sol
und Luna.
S. 32, 26 – 33, 5 Ignis modus – Ausführungen zum alchemischen Feuer.
S. 33, 6 – 25 Fortführung der Ackerbaubilder des Vortages; die Erde, in welche der
Same gesetzt wird, dessen Entwicklung zum Keimling.
S. 33, 26 – 34, 1 Beschreibung des Mercurius in der Sublimatio und Circulatio.
S. 34, 2 – 35, 19 Weiteres zur Extractio des Mercurius: Vergleiche mit Geflügelten und
großer Hitze in Mythos und Naturgeschichte; Adler und Sonne.
S. 35, 20 – 36, 15 Nochmalige Beschreibung des Principium des Steins anhand des Pro-
serpina-Mythos wie auch der Orphik; unter Einbeziehung des alche-
mischen Raben.
S. 36, 16 – 37, 1 Weitere Beschreibung: Ouroboros, Pelikan und Auster.
S. 37, 2 – 15 Zusammenfassung des Gesagten, um an der Transmutation Zweifeln-
de zu widerlegen.
wurde, nach Treviso. War bereits 1491 eine erste Sammlung ausgewählter
Gedichte in Verona erschienen, arbeitete er nun mit anderen an einer Catull-
Ausgabe. Nachdem Franco 1499 verstorben war, ging Augurelli 1500 als
Kanzler nach Feltre. Damals beteiligte er sich auch an der Volgare-Diskus-
sion. 1503 kehrte er als Lehrer für klassische Sprachen nach Treviso zu-
rück. 1505 publizierte er schließlich eine zweite Gedichtsammlung bei Al-
dus, in welcher sich bereits ein kurzes alchemisches Gedicht mit dem Titel
Vellus aureum findet.217 1509 zwang ihn der Krieg der Liga von Cambrai,
sich vorübergehend nach Venedig zurückzuziehen, wo er Dichtungen Be-
mbos revidierte und sein eigenes alchemisches Lehrgedicht, die Chryso-
poeiae libri III, zum Abschluß brachte. Diese, erst Julius II. (1443–1513,
ab 1503 Pontifex), dann Leo X. (1475–1521, ab 1513 Patriarch des Abend-
landes) zugeeignet, erschienen 1515 in Venedig – zusammen mit der christ-
lich-spirituellen Dichtung Geronticon liber primus.218 Augurelli erhielt da-
für übrigens vom Heiligen Vater nicht – wie es altkluge Antiquare zum
besten geben – eine ebenso schöne wie leere Börse, da er sich diese ja
selbst füllen könne, sondern eine Bestallung als Kanoniker in Treviso.219
Dort ist er zudem 1518 als Bibliothekar verzeichnet. 1524 ereilte ihn über
einem gelehrten Disput in einer Buchhandlung der Gelehrtentod.220
Mit der Abfassung der Chrysopoeia begann Augurelli bereits um 1500,
in jenem intellektuellen Umfeld, in welchem sich fast jeder Gelehrte, wie
schon sein Jugendfreund Ficino, in irgendeiner Form mit Alchemie und
Hermetismus auseinandersetzte; sei es, daß er praktisch iatrochemisch
oder spagyrisch experimentierte, sich kosmologischen Spekulationen hin-
gab, oder sei es, daß er gegen das Vorgenannte polemisierte.221 Augurelli
betonte zu recht der erste zu sein, welcher im klassischen Hexameter und
unter Herbeizitierung der Muse des Mantuaners die Kunst behandelte. Un-
berührt vom vernichtenden Urteil Julius Scaligers in dessen Poetik222 war
die Rezeption der Chrysopoeia gewaltig: Augurellis Lehrgedicht brachte es
allein im 16. Jahrhundert auf fünf weitere Auflagen, bis ins 19. Jahrhundert
folgten 21 Editionen. Schon um 1560 erschienen zwei französische Über-
setzungen,223 1614 mit dem Chrysopoeiae compendium paraphrasticum in
Frankfurt am Main eine Prosazusammenfassung. Zu den ersten Lesern der
Chrysopoeia zählten auch Agrippa von Nettesheim (1486–1535) und des-
sen Sohn Johannes (1525 – nach 1560).224 Der Vater verwandte das Lehr-
gedicht als Quelle seiner Alchemistenschelte des 90. Kapitels von De in-
certitudine et vanitate scientiarum (gedruckt ab 1530), der Sohn verfaßte in
den 1560er Jahren in Nachahmung Augurellis, mit Anleihen bei Vergil und
Ovid, ein Pius IV. (1499–1565, ab Pontifex) gewidmetes eigenes Lehrge-
dicht unter dem Titel Vellus Aureum, welches allerdings nur als Original-
manuskript mit Scholien von eigener Hand im Vatikan überliefert ist.225
Als anderer Aemulator ist der Florentiner Dichter Antonio Allegretti (um
1512-nach 1572) zu nennen, ein Freund Benvenuto Cellinis (1500–1571)
und Benedetto Varchis (1503–1565). Allegretti arbeitete von der Mitte der
1550er Jahre bis an sein Lebensende fortwährend am Manuskript seiner
Cosimo I. de’ Medici (1519–1574) gewidmeten vier Bücher, gut 1500
Verse, De la Transmutatione de metalli. Sie sind zum Großteil eine in der
Tradition Petracas stehende ›versione in volgare‹ der Chrysopoeia, wobei
der Autor jedoch auch eigene umfassende Kenntnisse der hermetischen
Tradition und des spagyrischen Schrifttums – vor allem zur spirituellen
Alchemie – einfließen läßt.226 Aus dem Jahre 1716 schließlich ist eine
Valentin Weigel zugeschriebene Verteutschung überliefert.227
Diese Rezeptionsgeschichte ist nun um Furichius zu erweitern; jedoch
nicht als schlichter Nachahmer, sondern als von Augurellis Werk zu eige-
nem Schaffen inspirierter Nachfolger in der Gattung der alchemischen la-
teinischen Lehrdichtung, als deren einzige bekannte Autoren beide, nach
dem Stand der Dinge, gelten können.228 Vor einer Gegenüberstellung zu-
nächst der Aufbau der Chrysopoeia – wobei man Yasmin Haskells Stoß-
seufzer »the poem as a whole cannot be said to evince a clear logical
structure«229 in gewisser Weise beipflichten muß: Das 1. Buch behandelt
die Existenz des Steines und die Wahrheit der Kunst. Daß die Transmuta-
tion möglich ist, läßt sich durch ›ratio‹ und ›experientia‹ erkennen, auch
wird die profane Goldgier der Sterblichen verworfen.230 Im 2. Buch ver-
teidigt der Trevisaner die Ars gegen ihre Verächter und weist hochallego-
risch den Weg zu einem die Transmutation ermöglichendem Pulver. Dieses
wird nach beschwerlichem Aufstieg in einer auf einem Berge gelegenen
Nymphengrotte gefunden. Das 3. und abschließende Buch behandelt die
Gerätschaften und Prozesse, erhebt das Schweigegebot und verheißt gewal-
tige Reichtümer, wie auch die lange gesuchte Panazee.231
Die Unterschiede der beiden Lehrepen beginnen im Formalen: Umfaßt
die Chrysopoeia drei Bücher von jeweils sechs- bis siebenhundert Versen,
hat die Chryseis dagegen vier mit insgesamt 1600 Hexametern. Sprachlich
ahmt Augurelli mit Emphase den Vergil der Georgica nach, wenngleich
sein Opus nur drei Bücher umfaßt, seine Diktion ist klassisch und ele-
gant.232 Das Latein von Furichius dagegen ist nicht streng den Augusteern
verpflichtet: Klassisches und Nachklassisches findet sich, neben dem un-
vermeidlichen Fachvokabular, durchwoben mit Archaismen, mittel- wie
kirchenlateinischen Spuren, neulateinischem Wortschatz und Neologis-
men.233 Auch wirken viele Verse, als seien sie mit ›-que‹ aufgefüllt. Dies
soll ihn in keiner Weise zugunsten des Italieners abwerten, denn Furichius
geht – wie aus obigem Schema ersichtlich – in drei von vier Büchern weit
über seinen Vorgänger hinaus. Der Straßburger gestaltet seinen Gegenstand
episch narrativ, wogegen Augurelli über sein ganzes Werk, das zwar einige
Epyllien und Exkurse aufweist, als Unterweisender zum Leser spricht, als
solcher ist er durchgehend mit dem in der Republik Venedig lebenden
Humanisten Augurelli der Entstehungszeit identifizierbar. Zur Exemplifi-
zierung der Behandlung des, letztlich doch gleichen, Stoffes durch beide
Dichter mag die Darstellung der Metallerzeugung im Erdinnern dienen: Wo
Augurelli im 1. Buch der Chrysopoeia das Epyllion des Lyncaeus einfügt,
dessen Sehvermögen bis an ferne Gestade, ja bis ins Erdinnere hinabreicht,
wo er der Metalle Entstehung schaut – vgl. »Lynceus, ut fama est, uisu
praelatus acuto/ omnibus [….]« (Augurelli, 1, 203 f.) – läßt Furichius selbst
den Senex (vgl. CHRYS., S. 19, 24-S. 20, 7) vom Wirken der Chryseis-Pro-
serpina und ihrer Dienerinnen bei der Metallerzeugung berichten, welche
auch die Alchemiker lehrte – hier die doppelte Einbindung in die narrative
230 Vgl. »Hactenus auriferam secretae Palladis artem/ inuentam humana quondam uirtute
coegit/ credere nunc ratio, nunc experientia suasit.« (Augurelli, 2, 1–3).
231 Vgl. Z. v. Martels (1994), S. 985–987; Y. Haskell (1997), S. 584–588; den Aufbau des
Werkes am ausführlichsten in G. Pavanello (1905), S. 65–77.
232 Vgl. auch Y. Haskell (1993), S. 124; Z. v. Martels (2000), S. 179–181.
233 Als Beispiele: altlateinisch ›artubus‹ für ›artibus‹ (CHRYS., S. 3, 18); ›intumulare‹
(S. 33, 9) oder ›discursamen‹ (S. 36, 15); ›luctifluus‹ (S. 11, 12); baccescere (S. 50, 1)
– jeweils mit Anmerkungen in meinem Kommentar; wie auch S. 33, 29–30 ›flamen
clarificum‹ nicht klassisch zur Bezeichnung einer Luftbewegung sondern für ›Flamme‹
– wie erst im Mittelalter üblich; vgl. A. Blaise (1975), S. 388.
Struktur, als Personenrede und Tätigkeit der titelgebenden und das Telos
des Werkes darstellenden Mysteriengöttin, dort brillanter Einschub.
Weiterhin kontrastieren die jeweiligen Widmungen und Anrufungen von
Gottheiten. Augurelli eignet sein Werk dem Medici-Papst zu, wobei der
Renaissancekatholik im Gegensatz zum Straßburger Reformierten mit we-
niger Eifer seine Orthodoxie bekunden muß als sich vielmehr ›pro forma‹
für die folgenden Mythologeme entschuldigt. Dann ruft er die Götter für
das Große Werk und gesondert am Ende des 1. Buches den alchemischen
Hermes an.234 Zu Beginn des 2. Buches versichert er sich zudem des Bei-
stands der Muse Vergils. Furichius nennt seinen Widmungsträger Morsius
im voranstehenden Brief, von den Göttern wird einzig Phoebus als Musen-
führer und Stein der Weisen herbeizitiert (vgl. Kommentar zu CHRYS.,
S. 1, 2–3).
Am deutlichsten springt jedoch ins Auge, daß Augurelli Persönliches
und Zeitgeschichtliches in sein Werk einflicht: Ist der Handlungsort der
Chryseis der hochfiktive ›Berg in der Lybischen Wüste‹ als Burg- und
Tempelberg der Chryseis-Proserpina mit Bezügen zum Corpus Hermeticum
und Eremitenlegenden (vgl. Kommentar zu CHRYS., S. 14, 0–4), ist die
Nymphengrotte Augurellis ein »Taruisiis […] in montibus antrum« (Augu-
relli, 2, 279 f.). Der Ort der Offenbarung findet sich also im Veneto bei
Treviso, und Augurelli gedenkt so der Landhäuser seiner Freunde und Gön-
ner.235 Auch seine Liebe zur darstellenden Kunst klingt an, wenn er auf das
Auripigment der Maler verweist: »Est lapis effossus Syriae pictoribus, auri/
pigmentum uero quod et ipsi nomine dicunt. [etc.]« (Augurelli, 1, 428–
441). Im 3. Buch hebt er als nützlichen Aspekt des alchemischen Experi-
mentierens sogar hervor, daß ihm immerhin die Herstellung von Farben für
einen Malerfreund gelungen sei, vor allem ein besonderes, als ›caeruleus‹
ausgewiesenes Blau (vgl. Augurelli 3, 291–322).236 Er geht soweit, die Al-
chemie als beste Lieferantin von Farben zu preisen, neben ihren Vorteilen
für die Glasfärberei und Metallurgie (vgl. Augurelli 3, 284–304). Der hier-
bei mit ›meus Iulius‹ bezeichnete Nutznießer von Augurellis Alchemisten-
küche ist kein anderer als der ebenso mit dem Hermetismus in Verbindung
gebrachte Giulio Campagnola (geb. 1480); welcher damals in der Lagunen-
stadt in den gleichen Kreisen verkehrte, und im Testament des Aldus aus
dem Jahre 1514 verzeichnet ist.237 Die anschließenden Verse enthalten dann
auch die Descriptio eines von Campagnolas Gemälden (vgl. Augurelli,
3, 305–22), wie auch die Schilderung des Ortes des Steins als Hain der
mend,242 in der Aurea Catena dagegen ist die kosmische Verwirrung bei
Plutos Raubfahrt nur ein Vergleich der unförmigen Prima Materia unter
vielen und wird in zwei Zeilen abgehandelt: »Non secus ac facies nascen-
tis marcida Mundi/ Primùm erat: aut quondam propter Plutonis amorem,/
Cum rapuit Cereri natam, tenebresceret aër./ Threicea haec nox est, a qua
dependet origo [etc.]« (AUR. CAT., S. 48, 30 – S. 49, 2).
242 Zur, kaum belegten, alchemischen Deutung des Proserpina-Mythos vgl. W. Kühlmann
(2002b), S. 167 und ders. (1984), S. 134, Anm. 78; mit dem Verweis auf Johann Ru-
dolph Glaubers (1604–1670): ›Kurtze Erklärung über die Höllische Göttin Proserpi-
nam, Plutonis Haußfrawen‹ Amsterdam 1667 – H. Antons (1967) Motivgeschichte
bietet, ohne alchemische Texte zu streifen, die Rezeption des Mythos in der Neuzeit,
doch liegt sein Schwerpunkt auf der galanten Literatur im Umfeld des Pariser Hofes.
243 Vgl. »Il discorso alchemico è un ›discorso al quadrato‹: esso è il discorso dell’alchimia
sui discorsi alchimistici. […] Può darsi che l’autore non conosca ciò di cui parla e ne
parli in termini poetici proprio per poterlo rendere in qualche modo evidente (e persino
per suggerire che di quel Qualcosa di oscuro non si può parlare altrimenti), ma egli
vuole pur sempre parlare di Qualcosa che non è il suo discorso. Invece il discorso
alchemico è il discorso di quei testi – o di quelle pagine che appaiono sempre in un
testo alchemistico – in cui l’autore parla di ciò che hanno detto gli altri alchimisti, per
omologarlo al suo discorso. Il discorso alchemico è il discorso che l’alchimista fa sulla
continuità discorsiva della tradizione alchemica.« (U. Eco (1990), S. 74).
244 Zur Intertextualitätsproblematik in der Frühen Neuzeit am Beispiel Moscherosch und
Rollenhagens; vgl. W. Kühlmann (1994).
245 J. Helbig (1996), S. 17–82 diskutiert die einschlägige Forschung, darunter Genette,
dessen Modell er für überfrachtet hält, ausführlich und verwirft sie – nachvollziehbar
– zugunsten der einfachen ›alludierender/alludierter Text‹, deren ›Schnittmenge‹ er als
›intertextuelle Spur bezeichnet‹.
246 Vgl. J. Helbig (1996), S. 14–16; zum Phänomen ›cognitiver Dissonanz‹ am hagiogra-
phischen Beispiel vgl. T. Reiser (2007a), S. 87 f.
247 Vgl. G. Genette (1982), S. 10–17.
248 J. Helbig (1996), S. 108.
249 Vgl. Kommentar zu CHRYS., S. 16, 20; u. S. 19, 5–6.
Änderungen im Text:
Die folgenden Änderungen wurden gegenüber dem Originaltext der Chrys-
eis, deren Ausgabe keine ›Errata‹ enthält, vorgenommen:
S. 2, 8 mirtantem: mirantem
S. 4, 8 gontem: fontem
u. 26 oelsum: celsum
S. 12, 30 qua: quae
S. 18, 28 misêre: miserêre
S. 31, 30 ingne: igne
S. 35, 11 furosius: furiosius
S. 36, GL. 16 ἀνακεφαλέωϲιϲ ἀνακεφαλαίωϲιϲ
S. 52, 8 termitis: terminis
S. 53, 6 rota: vota
262 Diese Übersetzung der Vorrede ist bezüglich der dort zitierten Passagen abgeglichen
mit W. Kühlmann (1984), S. 130 f.
263 Der griechische Text ist bezüglich der Akzentsetzung abgeglichen mit den hier von
Furichius, indirekt über Joseph Scaligers Maniliuskommentar, zitierten Einträgen
›Δέραϲ‹ und ›Χημεία‹ in Suidas 2 (1931), S. 24 u. Ebd. 4 (1935), S. 804.
sagt – die Augen aushacken. Ein Libavius würde genügen, um die Wahrheit
der Kunst zu beweisen, wofür er zahllose Gewährsleute aufführt. Zu diesem
kommen die Zeugnisse von Robertus Vallensis, welche er von den Neueren
ohne Ende überliefert. Der göttliche Scaliger zwar – der Vater – vermochte,
wie er an Cardanus schreibt, sich kaum dazu zu entschließen, daß er für die
Alchemie irgendeine Gewißheit gelten ließe. Der Sohn jedoch, beim Kom-
mentieren des Manilius, obschon er den ›Aschenbrödeln‹ – wie er sie nennt
– und den ›Münzgießern‹ ein Brandmal aufgedrückt zu haben scheint, ver-
mag dennoch nicht abzustreiten, daß von einem Ursprung der Kunst weit
vor den Zeiten der Römer ausgegangen werden muß; welche sie von den
Bessi gelernt hätten, [was er durch] Cassiodor und den Dichter Claudian als
Gewährsmänner bekräftigt. Neben Firmicus sagt ja Suidas über das goldene
Vlies der Colchier dieses: Dieses ist aber nicht wie es dichterisch gesagt
wird, sondern es ist ein auf Vlies geschriebenes Buch, das enthält, auf
welche Weise man mit der Chemie Gold hervorbringen muß. Bildlich also
nannten sie es damals das goldene Vlies, wegen der Wirkung aus ihm. An
anderer Stelle. Chemie: Von Silber und Gold die Zubereitung, deren Bü-
cher, da er sie durchforschte, Diokletian verbrannte. Deshalb, weil sie von
den Ägyptern wegen Diokletian erneuert wurden. Mit diesen verfuhr er
unerbittlich wie auch mordlüstern, als er sowohl die über die Chemie des
Goldes als auch des Silbers von deren Ahnen geschriebenen Bücher, da er
sie durchmusterte, verbrannte, damit nicht mehr den Ägyptern Reichtum
aus solcher Kunst entstünde, auch nicht, damit sie sich im Vertrauen [S.
A3r] auf einen Überfluß an Geldmitteln in Zukunft gegen die Römer zu
erhöben. Von dieser Männer Exempel angeregt begann ich recht aufmerk-
sam in den Schriften der anderen nachzuforschen, welche diesen Gegen-
stand recht weitschweifig verhandelt hatten: Viele kamen zu Händen, wel-
che man nur aus größter Entfernung leicht mit den Augen streifen durfte.
Du kennst nämlich in diesem Bereich den größten Aberglauben der Men-
schen – oder sollte ich Neid sagen? Ich aber, soweit ich es vermochte,
übertrug es, in Verslein gebracht, in mein Journal; eine allerdings in größter
Hast verrichtete Arbeit, mit diesen Rauheiten überstreut, so lange bis einige
Mitwisser meiner Ungereimtheiten, welche recht ungestüm nach ebenjenen
beharrlich und dringend zu verlangten, daß ich es in Druck gäbe. Auf die
Bühne brachte ich eine Dichtung, nicht weil, wie jener sagt,
mancher Tag und so manches Polieren gekürzt,264
(Es bestand nämlich auch keine Gelegenheit) sondern, weil sie wenigstens
einen gewissen Anschein von Regelhaftigkeit zur Schau tragen würde.
Gleichwohl ist es auf Dein Anraten hin, und durch Deine Überzeugung
geschehen, daß ich die ausgestoßene Leibesfrucht, als ich in die Heimat
zurückkehrte, sorgfältig durchmusterte. Vor allem, da ich vieles fand, das
264 Übersetzung von HOR. ars. 292 f. nach E. Schäfer, in Horatius (2008).
scriptorum tuorum adminiculo emendare conatus sum, cui meo voto, si non
omnia, ut sperabam, respondent, tuae saltem petitioni satis fecisse suffece-
rit. Ec quis verò in tanta rei novitate omnia ad normam exactissimam di-
rigere possit?
[S. A3v] Nemo enim hactenus inter Romanae elegantiae proceres materiam
hancce attingere dignatus est. Invenies totam Lapidis Philosophici tractatio-
nem severiorem barbari seculi limitibus circumscriptam. Tuos verò Graecu-
los, quos manuscriptos hac de materia ostendisti, pace tua dicam, admodum
novitios judico, atque etiam semibarbaros, quod ex duorum, quos adhuc
domi meae servo, lectione arguere possum. Fortasse verò, si quis tui similis
tentaverit, naevos longo situ contractos acrioris judicij lixivio diluere possit.
Lusus igitur hosce meos, tibi transmitto, qui eosdem quasi de trivio
redemptos tibi ipse destinâsti proprios. Illud verò tantò facio audentior,
quantò aequanimitatis tuae sum confidentior. Neque enim te inter morosos
istos Catones, aut Solones existimo recensendum,
Obstipo capite, et figentes lumine terram,
Murmura cum secum et rabiosa silentia rodunt,
Atqué exporrecto truntinantur verba labello.
Ut acriorem censuram tuam extimescere necesse habeam. Ut namqué decet
inter bonos benè agier: ita optima quaeque de te spero. Vale amicissime
Morsi. Dabam Argentorati Mense Martio, Anno M. DC. XXXI.
teils ungeschickt, teils zuwenig gediegen ausgedrückt war, welches ich, mit
Deinen Schriften als Stütze, von Hand versucht habe auszubessern. Wenn
dem nach meinem Wunsch auch nicht alle, wie ich hoffte, entsprechen,
möge es wenigstens dafür ausreichen, Deinem Anbegehren genüge getan
zu haben. Könnte tatsächlich irgend jemand bei einem solch ungewöhnli-
chen Gegenstand alles an einer exakten Norm ausrichten?
[S. A3v] Niemand freilich von den Meistern der Römischen ›Elegantia‹ hat es
bisher für wert gehalten, ebendiesen Stoff anzurühren. Du wirst feststellen,
daß die ganze ernsthaftere Behandlung des Steins der Weisen rings von den
Grenzen einer barbarischen Zeit umgeben ist. Deine Griechlein aber, wel-
che Du als Handschriften über diesen Stoff vorgewiesen hast – mit Deinem
Einverständnis mag ich es sagen – sind nach meinem Urteil jüngeren Da-
tums, wie auch halbe Barbaren, was ich aufgrund der Lektüre der beiden,
welche ich noch bei mir zuhause aufbewahre, schließen kann. Wenn aber
jemand, der Dir ähnlich ist, es versuchte, könnte er die durch langes Lie-
genlassen zugezogenen Makel mit der Lauge einer schärferen Urteilskraft
abwaschen.
Diese meine Spielereien also übersende ich Dir, der Du diese gleich-
sam von der Gasse für Dich selbst aufgelesen als Eigentum ausersehen hast.
Das mache ich aber desto dreister, je fester ich auf Deine Gleichmut ver-
traue. Auch meine ich nämlich nicht, daß Du zu jenen mürrischen Männern
wie Cato oder Solon hinzuzurechnen bist,
welche, den Kopf verdreht und den Grund mit dem Blick durchboh-
rend, im Stillen für sich ihr Murmeln und wütiges Schweigen zerkauen und
auf geschürzter Lippe ein Wort ums andere wägen,265
so daß ich es nötig hätte, Deine gestrenge Abrechnung mit Furcht zu er-
warten. Wie es sich nämlich unter Tüchtigen gehört, gut behandelt zu wer-
den: Daher wünsche ich Dir alles Gute. Lebe wohl mein bester Freund
Morsius. Ich schrieb es nieder zu Straßburg, im Monat März, im Jahre
1631.
CHRYSEIDOS
LIBER I.
Argumentum,
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[v. 2] a Graeci et Arabum nonnulli.
[v. 5] b Γιγαντομαχία: Rectè atheorum subnotatur impietas, eorundemqué poena. Vide et
Virigil. lib. Georgic.
DER CHRYSEIS
I. BUCH
Inhalt,
Ein großes Werk nehm’ ich in Angriff. Ich eile zu den Gipfeln der Dinge.
Und, da Du Apoll, mein Herz mit neuer Lebenskraft weihend besprengst,
beginne ich mit unermeßlichen Mühen die Kunst zu erneuern, welche lehrte
wie man eindringt in alle der * großen Mutter Verstecke [5] und wie man †
die Seele vor der Dunkelheit der Unkenntnis bewahrt,
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[›Inhalt‹] Beginn.
[v. 4] * Cybele, die als Göttin der Erde dargestellt wird.
[v. 5] † Der Chemie, die bei den Alten weniger bekannt war.
[S. 2] welche die Menschen vergangener Zeit schmählich in ihrer Gewalt hielt. (a)
Die ehrgeizige Schar, der das Gedächtnis aufgeschwollen war von der Din-
ge nichtiger Monstrosität, glaubte daß die Quelle der Natur zur Gänze er-
schöpft sei. Der Olymp stand da, eingenommen [5] durch die Schliche der
Menschen. (b) Die überwundnen Gestirne ließen ein neues Geschlecht zu,
welches sie schon lange durch den geschleuderten Blitz zu Boden geworfen
glaubten, als Jupiter den staunenden Ossa, dessen Nacken sich zu den Ster-
nen erhob, niederschmetterte. Die Sache war nicht erdacht. Des Donnerers
berühmter Sieg [10] übergab einst den Leichnam des Enceladus an die
knisternden Flammen des Ätna und sandte damals die verbündeten Titanen
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[v. 2] a Die Griechen und von den Arabern einige.
[v. 5] b Gigantomachie: Üblicherweise wird die Gottlosigkeit der Atheisten darunter ver-
standen, wie auch deren Bestrafung. Siehe auch VERG. georg.
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[v. 2] Astrologiae vel potius ᾽Αϲρομαντέιαϲ vanitas.
[v. 7] Meteora.
[v. 9] Metallica.
in die Unterwelt: Bryareus fiel, die Waffen des Mimas wurden durch Jupiter
zertrümmert, wie die Schwerter des hundertarmigen Aegeon. (c) Allein, ein
neues Geschlecht trat ehedem auf, [15] welches, die Verheerungen der
wahnsinnigen Schar erneuernd, begann eine Intrige zu spinnen, durch wel-
che es mit Bitten, nicht durch Gewalt, hinaufsteigt zum höchsten Himmel.
Indem es mit dem Geist die gestirnten Gipfel des Himmels durchirrte,
wollte es sich zum Herrn des Himmelsthrones erheben. Bereits war die
Bahn der schnellen Sonne zum Vorschein gekommen, [20] ebenso war
bekannt, von welchem Ausgangspunkt Phoebus seinen Weg nimmt; wo
der Wagenlenker die gleißenden Zügel des Viergespanns wendet; warum
* die Scheren den Tag verlängern; warum die Wintersonnenwende ihn ver-
kürzt; welchen Weg sich die schneeweiße Diana durch die Sternbilder
bahnt; warum sie den Glanz verbirgt; warum sie mit unvollständigem Ant-
litz scheint; [25] auf welche Weise Orion mit Wolkenscheitel über die Län-
der reitet; wie es um die Plejaden steht; wie um das * benachbarte Sternbild
des Bootes; und welche Ernten der kleine Hund ankündigt. Allein, endlich
entsprang ein Geschlecht der Araber, kundig des Himmels, das lehrte wie
man von dort bedeutsamere Geschehnisse erschließt. [30] Jenes unterschied
die verschiedenen Bewegungen der Planeten nach fester Ordnung, zeich-
nete die langen Bahnen auf, wie auch die Kräfte; mit welcher Seite ein
jeder sich den anderen verbindet und sich darstellt; was der auf schiefem
Weg mit Gestirnen versehene Kreisbogen bezeichnet. Nicht gibt es einen
Bereich am Himmel, nicht irgendeinen Winkel, [35] dem nicht Gesetze
vorschrieben sind und eine strenge Rechtsordnung.
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[v. 14] c Die Astrologen.
[v. 21] Die zwei Solstitia.
[v. 22] * Der Wendekreis des Krebses wie auch des Steinbocks.
[v. 26] * Arcturus.
[S. 3] Die Parzen selbst überdies, so behaupten sie, welche, nachdem sie beim
Wechsel der Wohnstatt dem Orcus verloren gegangen, seien einst an den
Himmel gewandert. Von dort aus würden die Leben der Menschen gespon-
nen und wiederum abgerissen.
Eitler Aberglaube und Kult, ohne Ahnung von den Göttern! [5] Es wird
geglaubt, der König des Himmels habe die Herrschaft über die Welt den
Geschöpfen überantwortet und über den Himmel schreckliche Statthalter
eingesetzt.
Hernach schmückte er den nahen Luftraum mit Wolken und oberhalb der
Wolken mit Kometen mit furchtbarem Schweif und mit den Feuern, welche
aus jenem ganzen Bereich herabfallen. [10] Zuletzt stieg es [das neue
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[v. 2] Der Astrologie oder vielmehr der Sterndeuterei Nichtigkeit.
[v. 7] Luftzeichen.
[v. 9] Aus Metall.
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[v. 1] Μεταλλών.
Geschlecht, die Araber] noch in die Erde hinab. Durchstöbert wurden die
innersten Eingeweide der Erde und oberhalb des Erdrückens die Pflanzen,
von denen es so viele Arten gibt, wie Sandkörner in den Gefilden Lybiens.
Vor allem den Menschen sah es sich an, und so lange zerpflückte der
Mensch die winzigen Teile, bis er alles kannte: [15] wie am Anfang Gott
die Knochen des Menschen, gleichsam wie Gestein, aus feuchter Erde
formte, welche er nicht anders mit mächtigem Feuer durchsetzte als Stero-
pes es in den Sizilischen Öfen mit den Waffen tat; wie auch von seinen
Gliedern die neu aufgekochten Knochen trennte; wie er ihnen die leichte
Bewegungen gab mit Hilfe * einer Flüssigkeit; [20] wie sie an den Sehnen
befestigt, so wie über Zügel, gezogen werden, wohin der regierende König
Wille möchte oder nicht möchte; hierauf hin sieht es [d. h. besagtes Ge-
schlecht] im gleichen Bewußtsein, aus welchem Samen das weiche Fleisch
hervorkam; durch welchen Tau was auch immer träuft, damit es harten
Gegenständen nachgibt; wie die Ströme in den rosenfarbigen Adern sich
[25] durch den ganzen Körper verbreiten und alle verborgenen Orte; wie
der Vater Oceanus durch die Zonen der weiten Welt die Reihe der Wellen
ausgießt, indem er bald die Fluten durch die Becken des Nils schickt, bald
die schlüpfrigen Zügel anzieht, gießt aus tosenden Hörnern in das Gastliche
Meer die Donau. [30] Hernach strebt er nach Sonnenaufgang und sonnt
sich im Glanze des Ganges. Und wiederum, wenn er nun anlangte an den
abendlichen Küsten, nennt man ihn Eridanus. So entdeckt es alles, nach-
dem es sich anschickte, die Bäuche der Menschen und Tiere zu ergründen
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[v. 11] Pflanzen.
[v. 12] Anatomie.
[v. 13] Die Erzeugung des Menschen.
[v. 18] Siehe Hp. Art. wie auch Galens Kommentar.
[v. 19] * Paracelsus nennt ihn mit einem fremden Wort Synovia.
[v. 27] Ernährung.
[S. 4] und mit den Pflugmessern nach den sich verborgendenhaltenden Samen der
Äcker zu forschen.
Doch es war nicht genug. Es schickte sich an, auf verwegenem Kiel den
Ozean zu durchfahren, wie es auch seinen Weg bahnte selbst durch gespal-
tene Berge. Die Göttin der Erde, Cybele entsetzt durch das gewaltsame
Beben [5] hielt inne, zog an die Zügel der rotblonden Löwinnen. Gar
kein Geheul gaben die Mänaden von sich. Die Flöte verstummte. Nirgends
gaben Widerhall die Cymbeln. Vor Furcht verstummte die tobende Schar,
und vor Verwunderung, daß eine neue Quelle rase, streifte sie ab das un-
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[v. 1] Der Metalle.
nütze Wüten. [10] Dieweil glissen von überall große Reichtümer. Von hier
strahlte das Gold schwellend von edlem Schwefel, von dort das Silber,
welchem es Luna erblassend gleichtut. Das Zinn blitzte hervor von hier
sanft schimmernd als gezogener Strang. Dort das trübsinnige Blei, welchem
des Mars grausiges Rüstzeug [15] beilag, und das rötliche Kupfer, die der
Zyprierin heiligen Erze. Zwischen diesen vermischt brodelte auf die mun-
tere Woge, vorher gleichwohl erstarrt, doch da sie bereits flüssig das Feuer
verspürte, pflog sie nach hier und nach dort zu fließen. Nicht anders Majas
Sohn, da er als Bote die Flügel [20] schwingt und dieser Welt die Weisun-
gen der Götter überbringt. Noch nicht war es zu Ende: Weitaus größere
Dinge als diese vollbrachten die Sterblichen. Man sah, wie die Liebe zum
Gold ohne weiteres obsiegte, und wie dessen Strahlen die ganze Welt
durchziehen. Man sah, wie Könige jubelten über Minen von Gold. [25]
Man sah, wie sie mit diesem Metall die Finger zierten und dem hohen
Haupt die goldene Krone aufsetzten. Selbst des Jupiters Wagen glänzte
prächtiger von Gold und das Haar des Gottes strahlte von diesem Glanz.
Ihre Prachtgewänder wob Juno sich aus diesem, [30] dieses trug sie am
Hals, dieses eine auch trug sie an den Ohren, ebenso wollte sie, daß des
Zweigespanns Deichsel von diesem Erz tönt; auch die nach unten gehalte-
nen Schnäbel des geflügelten Paares mit diesem Farbstoff zu bestreichen.
Alsbald verlangte der Rhodopeische Mars nach der Sizilischen Grotte,
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[v. 10] Die sieben Metalle.
[v. 22] Die Vortrefflichkeit des Goldes.
[S. 5] und die Spitzen der Schwerter befahl er mit Gold zu überziehen und auf
ähnliche Machart die Enden der Hefte zu verzieren. Golden war der Helm,
und der Schild erstrahlte überzogen mit demselben Material, der Brustpan-
zer strahlte ebenso von Gold. [5] Es trat Citherea hinzu, und machte daraus
Halsbänder und Gürtel, auch für Sandalen hielt sie dieses für angemessen,
wie auch für die Kothurne. Der Sohn Cupido würde beinahe immer seine
Geschosse vergolden, wenn er nicht begehrte den Seelen die tödliche Wun-
de zuzufügen. Davon trug dennoch der Köcher selbst die goldglänzenden
Verzierungen, [10] wie auch der Bogen die Kanneluren, ebenso die Dop-
pelfedern den Glanz. So war es der Schar der übrigen Götter ein Bedürfnis,
dem gleich zu tun. Ein jeder wie es sich schickte. Doch, was über alles
hinaus erstaunlich ist, Iustitia selbst trug ebenso Sorge, daß die doppelten
Waagschalen aus diesem Erz gemacht wurden wie auch des Dolches ober-
ste Spitze.
[15] Solange daher die sterblichen Scharen sich abmühten, dies in Gedanken
abzuwägen, wurden sie fähig, sich die Kräfte der Natur anzueignen und
nach den tiefen Quellen des Goldes zu schürfen. Da sie nämlich gewahr
wurden, daß die unberührten Gewölbe Gold hervorbringen, und an der
unförmigen Scholle das Metall hängt, [20] gab die Vernunft ein, daß,
wenn Kunst sich der Äcker annähme und ein scharfsinniger Verstand, sie
bei weitem ergiebiger wären. Den hierauf vertrauenden Gemütern verlieh
die Kühnheit Ansporn. Hohle Öfen glühten und gaben Qualm von sich. Die
Gefäße bargen im Inneren rohe Erde * ohne Samen, [25] dennoch voll
Leben, wie auch von lebensspendender Kraft strotzend, welche nun befreit
von den irdischen Banden aus dem Gold mit Gewinn den bloßen Samen
herauslockt, welcher, indem er die verwandten Nährstoffe des eigenen
Brachfeldes aussaugt, anwächst mit unermeßlicher Stärke zu unermeßli-
chen Kräften. [30] Dieweil verließ sich die der Kunst kundige Heidenschaft
auf das Gewagte. Vor allem war man darauf bedacht, ohne Unterlaß Gott
den Mächtigen anzubeten, wie auch die höchste Gottheit für sich einge-
nommen zu haben. Bewegt, nicht widerwillig, zog Gottes Natur den Busen
zurück,
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[v. 15] Alchemie.
[v. 24] * Der Same nämlich wird aus dem Gold gezogen.
[v. 30] Propositio.
[S. 6] welche, indem sie, ausgebreitet, es der Sonne rosenfarbigen Haaren gleich-
tut, alles anscheint und jedes erfüllt, wie auch durch alles dringt. Wer diese
nicht erheischt, wird begraben sein unter trostloser Nacht. Als zweiter Pa-
linurus wird er mitten auf dem Strand festsitzen. [5] Ohne diese, da der
Arzt, den einst Pergamus hervorbrachte, versuchte aus den leidenden Glie-
dern die Krankheiten zu entfernen, vertraute er die schwächliche und ver-
stümmelte Kunst den Nachkommen an. Allein, tief im Mark trägt sie ein
entsetzliches Gift. Die davon kosten, werden in schwarzen Wahnsinn ge-
trieben, [10] und * Gott fallen sie an mit grimmigem Zahn, und unbehol-
fenen Spöttereien. Zugrundegehen sollen die Griechen, deren Irrsinn so die
Gemüter der Menschen verwirrt, daß sie glauben, es gab keinen Ursprung
der Welt, und die Seelen würden von todbringenden Schatten geraubt. Es
gestattete uns die Milde des höchsten Königs, [15] recht frei zu urteilen.
Doch schändliche Taten zu schützen, dafür gab keinen Anlaß der vereh-
rungswürdige Lenker. Icarus ertrank einst mitten in den Wogen, während
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[v. 10] * Christus.
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[v. 22] Der die Jagd beschützende Gott.
[S. 7] damit nicht, wie es sich ziemt, womöglich bevorstünde die strenge Rache
des himmlischen Richters, und das Plutonische