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Krüger
as okkulte 3. Reich - ein Thema, das bereits auf eine umfangreiche Liste
von Veröffentlichungen zurückblickt. Zugleich ein Themengebiet, um
das die akademische Forschung für gewöhnlich einen weiten Bogen
macht, um es der so genannten Verschwörungs- und Okkultliteratur zu über
lassen. Kernpunkt ist die Befassung führender Protagonisten des 3. Reiches,
insbesondere aus dem Umfeld der SS, mit einem - im Vergleich zu heutigen
Darstellungen - alternativem Verlauf der Frühgeschichte und okkulten Phäno
menen, wobei innerhalb des 3. Reiches wirkende „Geheimbünde" als esoteri
sche Drahtzieher die NS-Herrschaft geprägt und dabei eine verborgene Rolle
bei der Entwicklung der „Wunderwaffen" des Dritten Reiches eingenommen
haben sollen. Eine politische Dimension der Thematik impliziert die Existenz
verschiedener Vereinigungen, die sich als wahre Erben des nicht untergegan
genen Deutschen Reiches sehen, und sich argumentativ auch auf eine „Dritte
Macht" reichsdeutscher Provenienz stützen, die mit ebenjener „ Wunderwaffen-
Technologie" noch heute die Weltpolitik beeinflussen würde.
Im Zusammenhang mit Geheimbünden des Dritten Reiches werden ins
besondere die Thule-Gesellschaft sowie die Organisation „Ahnenerbe" ge
nannt. Während erstere nach wissenschaftlicher Aufarbeitung - im Ge
gensatz zur häufigen Unterstellung einer gewichtigen Hintergrundrolle
als Drahtzieher der NS-Protagonisten in früheren Publikationen - nur noch
marginal in der jüngeren Literatur als noch zur Zeit des Dritten Reiches
wirkend erscheint, wird letztere trotz einer bereits 1969 publizierten umfas
senden wissenschaftlichen Abhandlung, um so nachhaltiger in einen sol
chen Zusammenhang gebracht. Dies liegt insbesondere daran, daß seiner
zeit Bedenken hinsichtlich der Befassung des Ahnenerbes mit okkulten und
geheimen Forschungen unter Hinweis auf „fehlende Akten" nicht restlos
ausgeräumt werden konnten und überdies eine enge Verflechtung des Ah
nenerbes mit dem „Persönlichen Stab RF-SS" bestand, in dem sich - anders
als im tatsächlichen Ahnenerbe - in der Tat eine Reihe von Persönlichkeiten
befanden, die sich mit okkulten Forschungen befaßten.
Einer besonders großen Beliebtheit erfreuen sich okkulte Zusammenhänge
des 3. Reiches traditionell in Frankreich, einem Mutterland der okkulten Ge
sellschaften. Hier drehen sich viele Publikationen vor allem um den Spiritis
mus der NS-Protagonisten und die Gralssuche Otto Rahns, der viele Jahre in
Frankreich lebte und Verbindungen zu verschiedenen französischen Okkul
tisten unterhielt. In den USA, wo sich die Mehrheit Kenntnisse historischer
Geschehnisse vor allem der Zeit des 2. Weltkrieges aus Hollywood-Filmen
aneignet,1 fielen viele dieser okkulten Ansätze auf fruchtbaren Boden; hier
1 So Levenda (2002)
3
war es vor allem das Interesse an okkulten Forschungen innerhalb des 3.
Reiches und die Verwendung bestimmter Symbole, wie des Hakenkreu
zes, was Autoren und Leserschaft der Okkultliteratur fesselte. Zunehmend
verlagert sich hier jedoch der Schwerpunkt des Blickwinkels auf die tech
nischen Aspekte der verborgenen Geschichte des 3. Reiches. Während bei
spielsweise Col. Howard Buchners Werk noch ganz in der französischen
Tradition der Veröffentlichungen etwa Angeberts und Bernardacs stand,
drehen sich die Werke zum okkulten 3. Reich der letzten Jahre vor allem
um die Beziehungen zwischen den Okkultgruppen und moderner Techno
logie. In der kurzen Übersicht zur Literatur wird auf einige dieser Werke
zurückzukommen sein. All diesen typischen Okkultveröffentlichungen
gemein, ist das fast völlige Ausblenden wissenschaftlicher Forschungen
über deutsche Vereinigungen am Vorabend des Dritten Reiches. Trotz
der wissenschaftlich untermauerten Entmystifizierung der Legenden um
das Ahnenerbe, die Thule- und Vril-Gesellschaften sowie Weisthor und
Otto Rahn2 - um nur einige zu nennen -, erfreuen sich derlei Legenden
nach wie vor großer Beliebtheit. Nicht zuletzt deshalb, weil die genann
ten Veröffentlichungen mit wissenschaftlichem Hintergrund oftmals den
Eindruck vermitteln, als wenn hier wichtige Episoden ausgelassen oder
gar verschwiegen werden. Genau dies ist nämlich das Manko der wissen
schaftlichen Veröffentlichung und gebiert den Reiz der Laiendarstellung:
Der Wissenschaftler orientiert sich an den der Forschung zugänglichen
Quellen, daß heißt an Akten, an mündlichen Überlieferungen wie etwa
Zeugenaussagen oder an vorhandenen materiellen Hinterlassenschaften.
Daß gerade im Bereich der okkulten, also im Verborgenen wirkenden Ge
schichte dies die tatsächlichen Geschehnisse nur Auszugsweise widerspie
gelt, liegt auf der Hand.3 Verborgene Geschehnisse werden in der Regel
nicht anhand von Akten überliefert. Wo diese vorhanden waren, werden
sie zudem oft vernichtet oder zur Verschlußsache erklärt - bis in die heu
tige Zeit.4 Für den Wissenschaftler sind sie somit nicht greifbar, ihr Inhalt
entzieht sich einer Darstellung. Dazu kommt, daß viele der wissenschaft
lichen Publikationen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts starken Ten
denzen ausgesetzt sind, die Rolle des 3. Reiches nicht objektiv, wie man
es von Historikern erwarten würde, sondern aus dem Blickwinkel eines
„gegnerischen Systems" betrachten. Dies führte vor allem im Falle der
Veröffentlichung Michael Katers zu einigen Schlußfolgerungen, die sich
weniger an der Faktenlage, denn an persönlichen Befindungen orientieren,
2 Kater (2006), Rose (1999), Bahn (2003), Lange (1999), Lange (2001)
3 Siehe hierzu zuletzt Knaack (2010), S. 10 ff.
4 Zur Problematik der bewußten Aktenvernichtung durch US-Behörden nach dem
2. Weltkrieg, siehe Georg (2009), S. 53 f. ebenso Mayer/Mehner (2007), S. 19.
4
nicht nur was die persönliche Einschätzung verschiedener Protagonisten
des 3. Reiches betrifft.5
Die vorliegende Veröffentlichung versucht nun, die verschiedensten Quel
len über das „Okkulte 3. Reich" zusammenzutragen, die Thesen der Sekun
därliteratur, vor allem der „Okkultveröffentlichungen" zu sichten und unter
wissenschaftlichem Gesichtspunkt darzustellen und - wo möglich - auf ihren
Wahrheitsgehalt abzuklopfen. Dabei steht die Forschungstätigkeit der SS in
Bezug auf die Frühgeschichts- und die Erforschung okkulter Phänomene im
Mittelpunkt der Betrachtung, wobei wiederum die Organisation „Ahnener
be" eine Schlüsselrolle einnimmt. Die Betrachtung der okkulten Vorläufer des
3. Reiches, die bereits in einer Vielzahl von Werken Würdigung erfuhr, wird
lediglich gestreift und in den Handlungsrahmen eingebettet.
Das Grundgerüst des Werkes beruht auf dem Entwurf einer Magisterarbeit
über das Ahnenerbe, der zu einem Zeitpunkt entstand, als dieses außer durch
Michael Kater und einige wenige Forscher noch weitgehend unerschlossen
war. Mittlerweile hegen eine ganze Reiche von Publikationen, vor allem Dis-
seratationen vor, die sich der Thematik näherten. Trotz der teilweise zu er
kennenden wissenschaftlichen Akribie und der Vielzahl neuer Forschungser
kenntnisse haben jedoch auch diese Werke traditionell jene Dinge ausgelassen,
die über die vorhandenen Aktenbestände hinausreichen.
Mit diesem Werk wird daher der Versuch unternommen, eine Brücke zwi
schen beiden Forschungsansätzen zu schlagen und dem Leser eine Gesamt
darstellung der okkulten Phänomene in Bezug auf die SS als wichtigster Un
terorganisation des 3. Reiches zu präsentieren.
In die hier vorhegende 2. Ausgabe sind neben einigen Korrekturen auch
Ergänzungen eingeflossen, die sich aus der Berücksichtigung der seit Veröf
fentlichung der ersten Ausgabe erschienenen Werke zum Themenkomplex
ergeben haben.
Dennis Krüger
5
Jüngere & Standard-Literatur zum Themenkreis
Michael Kater: Das Ahnenerbe der SS
Als Standardwerk zum Ahnenerbe firmiert nach wie vor das bereits 1969
veröffentlichte „Ahnenerbe" von Michael Kater. Auf etwa 468 Seiten wertet
Kater einen Großteil des damals zugänglichen Aktenbestandes aus. Neben
vielen subjektiven Empfindungen, die Kater in sein Werk einfließen läßt, ist
es vor allem das hohe Alter der Veröffentlichung, das seinen Wert schmä
lert. Aufgrund einer Umstellung in der Aktenverwaltung durch die Signa
turen neu vergeben wurden ohne die früheren zu vermerken (Kater stützt
sich auf T-580 Signaturen des alten Berlin Document Centers, die unter der
selben Signatur als „Captured German Documents" im Nationalarchiv in
Washington vorliegen), sind zudem die Belege Katers für die Forschung oft
nicht mehr nachvollziehbar. In letzter Zeit wird Kater ferner vorgeworfen,
das Ahnenerbe vor allem hinsichtlich seiner vorgeblichen Rolle bei der Ju
denverfolgung zu „mild" behandelt zu haben. (Kater 2006)
7
Peter Levenda: Unholy Alliance / Rüdiger Sünner: Schwarze Sonne
Eine der wenigen „seriösen" angloamerikanischen Veröffentlichungen zum
Themenkomplex der okkulten Verstrickungen und der Gralssuche der Nazis,
die nicht zu sehr ins Phantastische abgleitet, ist Levendas Veröffentlichung,
die als diesbezügliches Standardwerk des englischsprachigen Raumes anzu
sprechen ist. Neben den „okkulten Wurzeln" wie sie bereits vom früheren
Standardwerk Goodrick-Clarkes untersucht wurden, befaßt sich Levenda sehr
detailliert mit dem Ahnenerbe, dem Wirken Rahns und Weisthors sowie der
Frage nach der Kontinuität des Nazi-Okkultismus. Allerdings vermag Levenda
dabei trotz Nutzung einiger „Captured German Documents" - im Vergleich
zu Rüdiger Sünners kompakter Veröffentlichung „Die Schwarze Sonne" - we
nig abweichendes zu präsentieren, was wohl der versäumten Aktualisierung
der bereits 1995 erschienenen Erstausgabe geschuldet sein dürfte. (Levenda
2007 / Sünner 1999)
8
der vielen Ergänzungen zu Katers Werk - insbesondere was die Biographien
einzelner Protagonisten anbelangt - und des anderen Blickwinkels der Autorin,
werden allerdings kaum Fakten gebracht, die über das bislang bekannte hin
ausgehen: Der Aufbau des Buches soll den geradlinigen Weg des Ahnenerbe
vom Forschungsverein zum Handlanger der Judenvernichtung widerspiegeln.
(Pringle 2006)
Neben den hier aufgeführten Werken existieren eine Reihe weiterer akadami-
scher wissenschaftlicher Werke, die allerdings stark dem Zeitgeist huldigen und
zumeist nur Teilbereiche beleuchten - u.a. „Uta Halle: ... die Externsteine sind
bis auf weiteres germanisch"oder „Achim Leube: Prähistorie und Nationalsozi
alismus". Eine überaus reichhaltige Fundgrube zum Ahnenerbe bietet dagegen
Prof. Gerd Simon unter http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon an.
9
Innerhalb der Forschung über eine deutsche Atom-Bombe nehmen die Au
toren Harald Fäth, Thomas Mehner und Edgar Mayer eine Pionierstellung
ein, die lediglich angesichts zahlreicher Neuveröffentlichungen ein und der
selben These einen faden Beigeschmack hinsichtlich allzu kommerzialisier
ter Ausbeutung der Forschung erhält - wobei hier auch der herausgebende
und in diesem Bereich führende Verlag nicht ganz unschuldig sein dürfte.
Dennoch trugen insbesondere die Veröffentlichungen
„Geheime Reichssache" (Mayer / Mehner 2004), die erstmals entschei
dende Zeugenaussagen präsentierte, sowie das jüngste, die Thesen zusam
menfassende Publikation „Die Angst der Amerikaner vor der deutschen
Atombombe" (Mayer / Mehner 2007) zur Erhellung des Phänomens bei.
Co-Autor des letzteren Werkes ist Friedrich Georg, der als bester Kenner
der deutschen Geheimwaffenforschung insgesamt zu nennen wäre. Seine
derzeitige Veröffentlichung „Hitlers letzter Trumpf" (Georg 2009) stellt das
diesbezüglich umfassendste Übersichtswerk dar.
10
deutschen Geheimwaffen. Dabei sticht insbesondere Cooks glaubwürdige
Recherche hervor, die ihn mit allerhand hier zu erwähnenden Theorien und
Protagonisten konfrontiert.
Nachtrag:
Kurz vor Drucklegung dieser Veröffentlichung erschien als Neuauflage
das vergriffene Werk: „Stuart Rüssel / Jost Schneider: Himmlers Burg -
Wewelsburg, Zentrum der SS" - ein Bildband von einem der besten Kenner
der Hintergrundgeschichte zur Wewelsburg, das sich auf zahlreiche Augen
zeugen und Primärdokumente stützt.
Für die 2. Ausgabe wurde auch auf das neu aufgelegte Werk von Rudolf
Mund: „Der Rasputin Himmlers" zurückgegriffen.
11
Inhalt
Vorwort 3
Literaturübersicht.............................................................................................. 6
Einleitung.......................................................................................................... 14
14
der deutsche Okkultismus durch neue Bestandteile völkischen und rassebe
wußten Denkens bemerkbar machte, die sich auch aus Revanchegefühlen
und der Reaktion auf die Geringschätzung der deutschen Frühgeschichte
speisten. Das besondere Augenmerk dieser neuen okkulten Vereinigungen
galt der eigenen, der deutsch-germanischen Frühgeschichte und der Suche
nach dem Seelenheil auf germanischer Grundlage. Daß dies zu dieser Zeit
zwangsläufig mit okkulten Betrachtungsweisen einherging, war dem Um
stand geschuldet, daß die Frühgeschichte im Allgemeinen auf sehr jungen
wissenschaftlichen Füßen stand und die germanische Frühgeschichte im
Besonderen kaum das Interesse der akademischen Forschung auf sich zu
ziehen vermocht hatte, sofern es über die Rolle der Germanen als tumbe
Gegenspieler des Römischen Reiches hinausging.
Mit Machterringung am 30. Januar 1933, erfüllte das 3. Reich vor allem
zwei Voraussetzungen, okkulte Strömungen zu fördern: Zum einen waren
verschiedene Protagonisten okkulten Dingen zugeneigt, was jedoch nicht
bedeutet, „daß der gesamte NS-Staat zu einer okkulten Organisation mutierte",
wie es insbesondere in den USA häufig zu lesen ist.5 Ein Hang zum Okkulten
läßt sich vor allem für Himmler konstatieren, dessen okkulte Vorlieben noch
nähere Betrachtung erfahren, mit Abstrichen aber auch für den Reichskanz
ler Adolf Hitler selbst, in dessen Bibliothek sich eine reichhaltige Auswahl
an Büchern okkulten Inhaltes fand. Ebenso ist der stellvertretende Parteichef
Rudolf Hess für seinen ausgeprägten Hang für okkulte Dinge, insbesondere
die Astrologie, bekannt.6
5 So Levenda (2002), S. 201, der sich, obgleich er noch zu den seriöseren US-Autoren
zu zählen ist, sogar zu der Behauptung verleiten läßt, „the secret beliefs and practises
ofa select coven ofderanged oocultists became the official policy ofthe nation“. Siehe
dagegen u.a. Rissmann (2001), S. 158 f: „Oie verbreitete Interpretation des National
sozialismus als einer okkultistisch geprägten Ideologie, in die politische Praxis umge
setzt von unheimlichen Esoterikern, dürfte auf eine Überschätzung der Rolle Heinrich
Himmlers zurückgehen, der in der Tat auf völkische Okkultismen zurückgriff." Wer
angesichts dieser abergläubischen Tendenzen innerhalb der Führungsriege des 3. Rei
ches die Nase rümpft, sei auf die ebenfalls zu erwähnende Tatsache hingewiesen, daß
sich die deutschen Politiker damit in bester Gesellschaft befanden: Sowohl in den USA
als auch Großbritannien bestand während des Krieges eine enge Verbindung zwischen
Politik und okkulten Kreisen: So arbeitete u.a. der englische MI 6 mit bekennenden
Okkultisten wie Aleister Crowley, Jack Parsons und Ron L. Hubbard (Scientology-
Gründer!) zusammen; vgl. Graddon (2008), S. 180 f.
6 Vgl. Berndt (2011), S. 124 ff.; hier findet sich auch die wohl treffende Bilanz,
der zufolge Hitler weder Okkultist noch Okkultismusgegner war, sondern diesen
Dingen - zumindest privat - durchaus aufgeschlossen gegenüber stand: „Insgesamt
ergibt sich so das Bild eines Adolf Hitler, der sich eigentlich sein ganzes Leben über
15
Zum anderen trat das 3. Reich an, grundsätzliche Gegebenheiten jener Zeit,
seien sie politischer, biologischer aber auch wissenschaftlicher Natur, gene
rell in Frage zu stellen. Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf der Offen
heit gegenüber allen Denkansätzen, die sich vom - sogenannten - „jüdisch
materialistischen" Weltherrschaftssystem der damaligen Zeit absetzten.7
Diese Suche nach Alternativen war insbesondere im und vor allem am Ende
des Krieges ein dominierender Faktor in der nationalsozialistischen Wissen
schaft. Vor dem Krieg waren es insbesondere die Suche nach historischen
Vorbildern und Versatzstücken, mit deren Hilfe das neue Reich gestützt
werden sollte. Eine wichtige Rolle kam dabei Himmler und seiner Organi
sation Ahnenerbe zu, die sich im Verlauf des 3. Reiches von einem „Quasi-
Privatforschungsverein" zum offiziellen SS-Wissenschaftsinstitut wandelte.
Neben dem Ahnenerbe liegt der Fokus der Betrachtung aber auch auf dem
Persönlichen Stab Himmlers, unter dessen Dach Forscher jenen Aufträgen
nachgingen, die selbst für das Ahnenerbe zu unwissenschaftlich waren. Als
dritte Gruppe, die sich auch mit „okkulten" Angelegenheiten befaßte, ist
die „Gegnerforschung" innerhalb des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA)
unter Franz Six zu nennen, die sich unter anderem mit der Bekämpfung der
Freimaurerei befaßte.
Dabei muß bei der Betrachtung grundsätzlich thematisch unterschieden
werden, zwischen den okkulten Wurzeln vor Errichtung des 3. Reiches und
der Befassung mit okkulten Themen innerhalb des Nationalsozialismus. Zu
ersterem Thema gibt es bislang eine ganze Reihe von Veröffentlichungen,
die sich vor allem auf die Ariosophie und die Thule-Gesellschaft als „geistige
Väter" des Nationalsozialismus konzentrieren. Ein Element dieser okkulten
Wurzeln ist die hypothetische Beeinflussung Hitlers durch diverse Vorgän
ger. Hier sind insbesondere Guido von List, der Gründer des Armanen-Or-
dens, und dessen einstiger Schüler Jörg Lanz von Liebenfels, der Mann, der
nach einem Biographen desselben „Hitler die Ideen" gab,8 zu nennen. In die
Reihe der Impulsgeber gehört aber nicht zuletzt auch Dietrich Eckart, oft als
„Mentor Hitlers" benannt - und mit ihm, die Thule Gesellschaft. Letztere in
des insbesondere innerhalb der Verschwörungsliteratur nimmt oftmals die
Rolle eines esoterischen Zirkels hinter den offiziellen Machthabern ein und
wird in einigen Fällen gar als ein Glied innerhalb einer Reihe eines Jahrhun
derte währenden esoterischen Konfliktes zweier Parteien genannt: Thule auf
der einen - Zion auf der anderen. Ins Extrem übersteigert erscheint dieser
für Astrologie interessiert und sich phasenweise auch intensiv mit ihr beschäftigt
hat. Wie stark sich Hitler aber letztlich von Astrologie und Hellseherei inspirieren
ließ, bleibt fraglich." (S. 235).
7 Vgl. hierzu Witkowski (2008), S. 4f; ebenso Farrell (2009), S. 10.
8 Daim (1985).
16
Hintergrund bei Miguel Serrano, der den Mythos von Hitler als einem Ein
geweihten mit der indoarischen Avatar-Lehre verknüpft und Hitler als den
letzten Avatar in einem Ringen kosmischer Kräfte charakterisiert.9
Daneben existiert auch die - ursprünglich erstmals durch Nesta Webster
(1876-1960) begründete - Verschwörungsrichtung, die das 3. Reich als Be
standteil einer einzigen Weltverschwörung sieht, die seit frühester Zeit an
der „Versklavung" der Menschen arbeitet und auch das 3. Reich steuerte,
um eine „Neue Weltordnung" zu errichten.10
Einer der Vertreter dieser Verschwörungsrichtung, der US-Amerikaner
Jim Keith, veröffentlichte vorgebliche Aufzeichnungen eines Vatikan-Prie
sters, welche die jahrhundertelange Zusammenarbeit zwischen einem „Teu
tonischen Orden" und einer Gruppe semitischer Magier aufdecken. Diese
hätten auf einem Treffen 1897 auch die Protokolle der Weisen von Zion als
Richtschnur ihrer kommenden Tätigkeit erstellt.11
Dabei stellt sich allerdings die Frage, warum eben jene Mächte - oft als „Fi
nanzadel" bezeichnet -, die tatsächlich als hinter den Kulissen der Politik wir
kende Kulissenschieber zu agieren scheinen, seinerzeit alles aufboten, um das
3. Reich zu vernichten, wenn es doch von ihnen selbst gesteuert wurde?
Eine weitere mythenumrankte Vereinigung stellt die Vril-Gesellschaft
dar, die bei einigen Autoren als Bindeglied zwischen uralten magisch-eso
terisch Strömungen und dem Nationalsozialismus dient. In diesem Zusam
menhang wird auch immer wieder die Person Karl Haushofers erwähnt, der
sowohl hier als auch in der Thule-Gesellschaft Mitglied gewesen sei.
Daß diese Theorien, so unglaublich und realtitätsfern sie auch klingen mö
gen - zumindest in Teilen in den Bereich nationalsozialistischer Forschungen
hineinwirkten, soll im folgenden anhand zugänglicher Quellen und den Er
kenntnissen der bisherigen Forschung dargestellt werden.
Unumstrittener als okkulte Triebkräfte innerhalb des 3. Reiches jedenfalls,
sind gewisse Einflüsse auf das Dritte Reich, die ihre Wurzeln in den esote
rischen Bewegungen der letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts und im be
ginnenden 20. Jahrhundert hatten und deren Portrait unsere Darstellung ein
läuten wird.
9 Serrano (1987/2010).
10 So insbesondere Carmin (2005), S. 7 ff.; zum Ursprung bei der britischen Schrift
stellerin und „Verschwörungstheoretikerin" Nesta Webster („Secret societies and
subversive movements", 1921), vgl. Webb (2008), S. 170.
11 Vgl. dazu Graddon (2008), S. 184 f.
17
1. Heinrich Himmler &
die völkischen Geheimbünde
„So sind wir angetreten und marschieren nach
unabänderlichen Gesetzen als ein nationalso
zialistischer, soldatischer Orden nordisch be
stimmter Männer und als eine geschworene Ge
meinschaft ihrer Sippen den Weg in eine ferne
Zukunft."12
12 Himmler (1937).
13 So hielt Blavatsky - ebenso wie später Lanz von Liebenfels - Menschenaffen für
Produkte von Sodomie; vgl. Godwin (2007), S. 56.
14 Blavatsky (1969), S. 42.
18
Inspiriert durch die Theosophie wurde eine ganze Reihe von Mystikern
und Gelehrten der damaligen Zeit, unter anderem Rudolf Steiner (1861-1925),
aber auch der österreichische Kaufmann Guido von List (1865-1919), der den
theosophischen Okkultismus mit der völkischen Lehre verband und daraus
die Ariosophie schuf - eine okkulte, den Arier betreffende Weisheit. List be
trachtete sich als den letzten Magier der Armanen, der einstigen geistigen
Führer oder Priester der „Ariogermanen". 1908 schuf er mit seiner Veröffent
lichung „Die Armanenschaft der Ariogermanen" die Grundlage dieser Lehre,
indem er die Einteilung der Germanen durch Tacitus als ständische Dreiglie
derung interpretierte: Armanen (Irmionen) = Priester, Ingväonen = Adelige
und Fürsten, Istävonen = Bauern und Handwerker. Schon früh verband er sei
ne okkult-völkische Lehre mit der Warnung vor der „internationalen jüdischen
Verschwörung", die damals erstmals in breiteren Kreisen der Gesellschaft auf
tauchte, und empfahl zur Lösung, einen rassisch homogenen Staat mit einem
durch die Arier selbstgewählten „Führer" als neuer Herrschergestalt.15
Als Symbol eines neuen, rassereinen Reiches empfahl der Armane die
doppelte Sig-Rune 44, die er als Femerunen deutete.16 Schwerpunkt der
Durchsetzung der Armanen-Regeln sollte eine überwiegend staatlich-orga
nisierte Erziehung der Kinder sein, wobei die Familie selbst streng patriar
chalisch ausgerichtet werden müßte. Eine große Rolle in Lists Lehre spielte
auch die Interpretation der Runen als okkulte Anleitungen.
190517 gründete der List-Schüler und Freund Georg Lanz von Liebenfels
(1874-1954), ein ehemaliger Zisterzienser-Mönch, in Wien die „Guido-von-
List-Gesellschaft", die in Österreich zu einem Zentrum ariosophischer und
antisemitischer Kreise wurde. Zu den bekannteren Anhängern dieser Gesell
schaft zählten der damalige Wiener Oberbürgermeister Karl Lueger, der be
kannte Theosoph Franz Hartmann und weitere Mitglieder der Wiener Theo
sophischen Gesellschaft. Über die deutsche „Guido-von-List-Gesellschaft"
wurden Lists Ideen auch im Wilhelminischen Kaiserreich verbreitet.
1911 gründete von List den „Hohen Armanen Orden" (HAO) als inneren
Zirkel der List-Gesellschaft, der aus den Anhängern einen elitären Kern he
rausbilden sollte. Aus diesem Zirkel heraus wurden später die Gründung
sowohl des „Reichs-Hammer-Bundes" als auch des „Germanen-Ordens" in
Deutschland beeinflußt.
Lanz von Liebenfels war ebenfalls ein bekannter Protagonist der alldeut
schen und ariosophischen Aktivitäten. Sein 1905 veröffentlichtes Buch „Die
Theozoologie oder die Kunde von den Sodoms-Äfflingen und dem Götter-Elektron"
propagierte die Verwirklichung der Rasse-Reinheit. „Die niederen Rassen sollen
19
sterilisiert werden, die arische Rasse der Gottmenschen solle sich durch strenge Unter
ordnung der Frau unter den arischen Mann vermehren. Unverheiratete Brutmütter
sollen in Zuchtklöstern von blonden blauäugigen arischen Ehehelfern begattet wer
den, um Neuarier zu gebären", wie ein Lanz nicht allzu gewogener Autor dessen
Ziele dramatisierte.18 Ein Zitat, das oft als Vorlage für die Lebensborn-Kon
zeption im 3. Reich herhalten mußte, obgleich dieses nichts mit einer „Zucht
anstalt" zu tun hatte, sondern alleinerziehenden Müttern eine Unterkunft bot.
Im selben Jahr begann Lanz mit der Herausgabe seiner Broschüre „Ostara,
Briefbücherei der Blonden und Mannesrechtler", die heute zumeist als „übles
Hetzblatt" bezeichnet wird. Lanz publizierte auch astrologische Prophezei
ungen und Abhandlungen zu Themen wie „Sexualphysik", „Liebe als odische
Energie" oder „Rassenmystik".
Noch vor der „Guido-von-List-Gesellschaft" gründete Lanz 1900 den
„Ordo Novi Templi" (ONT),19 den Neuen Templer Orden, als Wiedererwe
ckung des Templerordens auf Grundlage der Idee eines auf Rassengleich
heit aufbauenden Männerordens mit der Losung, „Liebe Gott in deinem
Nächsten, d.i. in deinem Artgenossen."20 Seine Aufgabenbereiche lagen in
18 Orzechowski (1987), S. 33; zu tatsächlichen Plänen einer „Zuchtanlage" siehe We
gener (2010); dagegen relativiert Mund (1976), S. 211, die Lanzschen Rassenzucht
pläne mit Hinweis auf die eigentlich geistige Natur dessen Rassebegriffs: „...heute
scheint es, daß Dr. Lanz vielmehr eine aristokratische Einstellung eines Menschen als
ein rassisches Erscheinungsbild forderte".
19 Goodrick-Clarke (2004), S. 59, dem die Forschung heute folgt, nennt als Gründungs
jahr 1907; Mund zufolge, der sich auf persönliche Aussagen des Lanz beruft, erfolgte die
formelle Gründung bereits am 25.12.1900, S. 39; so auch Lorenz (2010), S. 27
20 Sol Invictus (Kreuz), S. 12; zur Legitimation des Ordens als Nachfolger des ur
sprünglichen Templerordens führt Mund aus: „Somit ist die rechtmäßige Übertra
gung der Weihen in ununterbrochener Folge über die Zisterzienserabtei Heiligen
20
der Stammbaum-, Ahnen- und Rassenfor
schung, Erforschung und Anknüpfung an die
kulturellen und geistigen Errungenschaften der
Ahnen sowie der Ausarbeitung rassenbiolo
gischer Richtlinien einer Kolonisation, die auch
eine Heiratsförderung beinhaltete.21
In der Rückschau gehören Lanz von Lieben
fels und sein ONT zu den heute meistkritisier
ten Bünden vor 1933. So wirft Dietrich Bronder
Lanz und seiner „absonderlichen Lehre“ vor, „mit
List zusammen das geistige Zentrum des rassischen
Antisemitismus gebildet“ und als „direkter Wegbe
reiter der düsteren Rassenmystik des Nationalsozia
lismus“ gedient zu haben.22 Seine Behauptung,
Die Ruine der Burg nach der Lanz „gleich jüdischer Abkunft (war)
Werfenstein heute wie Adolf Hitler“, hat sich indes als unhaltbar
für beide Personen herausgestellt, wird aber
dennoch bis heute kolportiert.23 In Bezug auf die okkulten Vereinigungen
sieht der Autor Glowka die Bedeutung des ONT darin, „daß er dem völkisch
antisemitischen Gedankengut eine eigenartige ariosophische Esoterik unterlegt und
damit in andere Okkultbereiche ausstrahlt."24
Lanz von Liebenfels ist zugleich auch der eigentliche Wortschöpfer und
damit Begründer der Ariosophie, der „Ur-Religion der Ario-Heroiker" und
des „Urchristentums einer arischen Rassen- und Ahnenkultreligion".25
Kreuz, in Niederösterreich (dieser trat Lanz 1893 bei und empfing die Priesterweihen
1897; Anm. Autor) bis zum Jahr ihrer Gründung 1133, dann über den Sohn des Ba
benberger-Herzogs Friedrich II, dem Streitbaren, Bischoff Otto von Freising, früheren
Abt der Zisterze Morimund in Burgund, und weiter über den Stern der Zisterzienser,
den hl. Bernhard von Clairvaux und den Äbten Stefan Harding und Alberich von
Zisterz zum Gründer des Zisterzienserordens, dem burgundischen Adeligen Robert
von Molesmes, bis zum Jahr 1098 lückenlos zu verfolgen." Mund (1976), S. 44
21 Vgl. Sol Invictus: (Kreuz), S. 12; das offizielle Programm „Der Orden des neuen
Tempels“ von 1907 beginnt mit: „Die Staaten werden im Interesse ihres Bestandes
der Kultur zur planmäßigen Zucht der staats- und kulturerhaltenden Menschen
arischer Rasse kommen müssen."
22 Bronder (1964), S. 228.
23 So Zoller (1994), S. 13 ; vgl. den Ursprung bei Bronder (1969), S. 227; dessen
ungeachtet findet sich diese Legende heute noch, so etwa auf Wikipedia (Artikel
Lanz von Liebenfels) oder bei Paminer (Lanz von Liebenfels), S. 1.
24 Glowka (1981), S. 21.
25 Vgl. Sol Invictus (Kreuz); heute wird der Begriff Ariosophie historisch unscharf
21
Die Besonderheit des ONT gegenüber der Lehre Lists
war dabei, daß Lanz Interesse nicht den „ariogerma-
nischen", also den heidnischen Göttern galt, sondern
dem Christentum, welches er als „arische Religion"
betrachtete, die von „jüdischer Seite" entstellt und
ihres wahren Kerns beraubt worden wäre. Lanz zu
folge war Jesus ein Engel, der sich anders als viele
andere, nicht mit Affen bzw. „Tschandalen" paarte.
Als Gottessohn war er einer von vielen Menschen, die
ihren Namen aufgrund ihrer Reinheit, ihrer höheren
anthropologischen Abstammung als unvermischte
Engelwesen trugen.26
Dahinter steht die alte theosophische Vorstellung
vom Abstieg, der Degeneration des Menschen vom
Gottmenschen bzw. Engel zum affengleichen Wesen
durch Paarung mit Affenwesen. Jesu Lehre habe sich
demnach gegen die Vermischung der Gott- bzw. En
gelsmenschen mit den Affenwesen gerichtet und wäre
auch so in der Bibel zu finden gewesen, bevor diese
„unter dem Einfluß der Tschandala bis zur Unkenntlich
keit verstümmelt" worden und nur noch einigen Orden
und Mystikern bekannt gewesen sei: „Das reinigende
Geheimnis ist die Zuchtwahl, die Gott seit den Urzeiten
übte." Daher sei auch die Lehre Jesu, „Liebe deinen
Nächsten" ganz wörtlich aufzufassen, nämlich, „daß
man den „Nächsten", d.i. den in der Art nahestehenden
Menschen geschlechtlich liebt. Man haßt und beschimpft
Gott, wenn man mit Minderwertigen Kinder zeugt und Grabplatte des Berthold
diese der Art nach auf Jahrhunderte hinabstößt."27 von Trenn in der Zis
Die Tempelritter hätten dann im Mittelalter ver terzienser-Abtei Heili
sucht, die eigentliche Lehre Jesu - die Bekämpfung genkreuz bei Wien
der Vermischung mit den Tschandalen - wieder her
zustellen. Als Erweckungserlebnis diente Lanz dabei
der Fund einer Grabplatte die einen Ritter - für Lanz einen Tempelritter - zeigt,
der auf einen zu seinen Füßen kauernden Affen weist (Bild rechts oben).28
auch auf die Lehren Lists und ähnliche Strömungen angewendet, vgl. Wikipedia:
Ariosophie; ebenso Goodrick-Clarke (2004).
26 Lanz (1906), S. 114 ff.
27 Lanz (1906), S. 138 f; Dietrich Eckart erkannte die eigentliche Übersetzung
„Liebe deinen Nächsten" als „Liebe deinen Volksgenossen"; Eckart (1933), S. 25.
28 Vgl. Sol Invictus (Kreuz), S. 7f.
22
Über verschiedene Gönner und Freunde erhielt Lanz für seinen ONT zahl
reiche Spenden mit denen verschiedene Ordensburgen erschaffen wurden.
Auf der wichtigsten, Burg Werfenstein, wurde 1907 zum „erstenmal in der
Geschichte der Neuzeit eine Hakenkreuzfahne gehißt".29 Gemäß Daim deu
tete der ONT die Flagge wie folgt: „Der goldene Grund als Symbol der Ewigkeit,
die (vier blauen) Lilien als Symbol der (Rassen-)Reinheit und das rote Hakenkreuz
als Symbol des aufsteigenden Arioheroischen."
Aus dem Umfeld des ONT erfolgte 1925 auch die Gründung der Edda-
Gesellschaft, auf die noch einzugehen sein wird.
In Österreich wurde 1932 der „Lumenclub" gegründet, ein „Vorhof" des
ONT, wie es Rudolf Mund ausdrückt.30 Lediglich dieser soll am 4. März 1942
mit Wirkung zum 2.12.1938 aufgelöst worden sein, während der ONT ledig
lich aus eigenem Entschluß geruht habe.31 Lanz von Liebenfels, der sich selbst
seines Einflusses auf die NSDAP rühmte, wurde mit Schreibverbot belegt.
23
Links: Rudolf
Glauer alias von
Sebottendorf
(rechts außen)
in der Türkei
Rechts: Symbol
der Thule-Ge
sellschaft
schwörung" mit ihren eigenen Mitteln zu bekämpfen.34 „Das okkulte Moment des
Germanen-Ordens tritt“, daher nach Glowka „hervor durch eine geradezu mysti
sche Verherrlichung der Reinheit des deutschen Blutes sowie der Annahme, daß den
Runen eine spezifische magische Kraft innewohne."35
Infolge des 1. Weltkrieges kamen die Tätigkeiten des Ordens weitgehend
zum Erliegen und es entstanden Finanzierungsprobleme, die in einem Streit
zwischen Pohl auf der einen, Leipziger und Berliner Ordensbrüdern auf der
anderen Seite, kulminierten.
Daraufhin gründete Pohl 1916 mit Unterstützung der Logen von Breslau,
Hamburg und Gera den „Germanenorden Walvater", während der eigent
liche Germanenorden als „loyaler Germanenorden" fortan von Erwin von
Heimerdinger mit Unterstützung Philip Stauffs ohne größere Bedeutung
weitergeführt wurde.36 Durch die Nutzung des bisherigen Briefpapiers und
Stempels gelang es Pohl auch loyale Logen wie die Berliner auf seine Seite zu
ziehen, sorgte dabei aber für eine große Verwirrung unter den Mitgliedern,
die zu Auflösungsgerüchten des Germanenordens als Ganzem führten.37
Bereits 1915 hatte Kurt Paehlke („Weishaar"), Mitglied des Königsber
ger Germanenordens, gemeinsam mit Ordensbrüdern den eigenständigen
„Bund der Guoten" gegründet, der in Ostpreußen zu einer bedeutenden
Sammelbewegung verschiedenster Verbände anwuchs und Anfang der 30er
Jahre um die 3000 Mitglieder führte.38 Der Bund befaßte sich bis zu seinem
34 Sebottendorf (1933), S. 33.
35 Glowka (1981), S. 22.
36 Vgl. Goodrick-Clarke (2004), S. 118; ebenso Wegener (2005), S. 9.
37 Goodrick-Clarke (2004), S. 119.
37 Vgl. dazu Wegener (2005), S. 11.
24
Verbot ähnlich dem Germanen-Orden mit Rassenkunde, Theosophie, Ok
kultismus, Astrologie und allen möglichen Geheimlehren.
Die weitere Entwicklung der Pohlschen Neugründung ist dagegen eng
mit dem Namen Rudolf von Sebottendorf (1875 - 1945), geborener Rudolf
Glauer, verbunden. Glauer war als Seemann 1900 nach Ägypten gelangt, wo
er als Verwalter von Besitztümern des türkischen Grundbesitzers Hussein Pa-
sha zu einigem Wohlstand kam. Von diesem späteren Freund, der in Dien
sten des Vizekönigs von Ägypten, Abbas Hilmi, stand, wurde er auch in den
Sufismus eingeführt und entdeckte sein Interesse an esoterischen Lehren.
Durch den jüdischen Seidenhändler und Kabbala-Schüler Termudis, dessen
reichhaltige okkulte Büchersammlung Glauer erben sollte, wurde er in eine
orientalische Freimaurerloge eingeführt, wo er zum Meistergrad der Rosen
kreuzer aufstieg, bevor er nach einem Zwischenaufenthalt in Deutschland
(1902-1908) 1911 die türkische Staatsbürgerschaft erlangte und durch einen
Baron Heinrich von Sebottendorf nach türkischem Recht adoptiert wurde.
Seit 1913 wieder in Deutschland, machte er 1916 aufgrund einer Zeitungs
anzeige des Germanenordens Bekanntschaft mit dem Vorsitzenden des Ger
manenordens Walvater, Pohl.39
Im Dezember 1917 wurde Sebottendorf zum Meister der bayerischen Pro
vinzen dieses Germanenordens ernannt und entfaltete eine rege Werbekam
pagne, die zu einem Anstieg der Interessenten und daher auch zum Zwang
der Anmietung einer größeren Örtlichkeit führte, die man 1918 in den Räu
men des Hotels „Vier-Jahreszeiten" in München fand.40
Hier wurde der bayerische Ableger des Germanen-Ordens zur Tarnung
der Tätigkeit als „Thule-Gesellschaft" ins Leben gerufen, die allerdings erst
am 21.März 1919 ins Münchener Amtsregister eingetragen wurde. Offizieller
Zweck war die „Erforschung deutscher Geschichte und Förderung deutscher Art".
Dabei sollte der Name Thule, in Anlehnung an die antiken Überlieferungen
von einem geheimnisvollen Wohnsitz der Nordvölker im äußersten Norden,
sowohl mythische Assoziationen mit der Überwindung bestehender Prämis
sen als auch mit der Sehnsucht nach dem Urquell der Arier wecken.41
Als Symbol wurde das runde Hakenkreuz erwählt, daß Sebottendorf als
„das heilige Zeichen der Sonne“ den arischen Völkern zuordnet. Für Sebotten
dorf hatten die Arier innerhalb des deutschen Volkes, eine Mission zu erfül
len: „Arier waren es, die der Welt die Kultur brachten. Sie waren die Lichtbringer
der ganzen Welt. Der Geist der Erde, der eins mit dem Geiste der Welt ist, kommt in
dem arischen Menschen zum reinsten Ausdrucke. Durch die Schrecken der Eiszei-
25
ten entwickelte dieser Geist den
weisen, weißen Arier, dessen
religiöse Anschauung turm
hoch über den unseligen stand,
weil er unverdorben eine un
mittelbare Erkenntnis hatte.
Durch die Rassenmischung
begann die Verdunklung, in
der sich nach dem Plane des
Weltengeistes andere Kräfte
entwickeln sollten. ... Ob die
Deutschen bestimmt sind, ein
neues Geschlecht der Welt zu Gottfried Feder Alfred Rosenberg
geben? Fast scheint es so, eine
neue, diesmal geistige Eiszeit ist über uns hereingebrochen, es wird an uns sein zu
erweisen, ob wir ihr gewachsen sind.''42
In die Zeit der Annahme des Tarnnamens fällt auch die Übernahme des
Münchener Beobachters, aus dem später der „Völkische Beobachter" her
vorging.43 Umstritten in der Forschung war dabei, ob die Thule-Gesellschaft
lediglich den bayerischen Zweig des Germanenordens darstellte, der nicht an
die Öffentlichkeit treten sollte, oder eigenständig unter dem Vorsitz Sebot-
tendorfs agierte, der bereits vor der Namensfindung der Gesellschaft auf der
Weihe am 17. August 1918 zum Vorsitzenden berufen wurde. Eine Tagebuch
eintragung des Thule-Mitglieds Walter Nauhaus weist auf die Verschmel
zung der Thule mit dem Germanen-Orden (Walvater) hin. Danach noch
nachweisbare Veranstaltungen des Germanenordens dürften dem „loyalen
Orden" zugeschrieben werden. Rose, der zuverlässigste Biograph der Thule
führte hierzu aus: „Sebottendorf begann also seine Tätigkeit im Auftrag des Germa
nenordens, organisierte dann aber unter dem Endruck der politischen Veränderungen
seinen eigenen Kreis als Thule-Gesellschaft, rekrutierte dafiir die Mitglieder zum Teil
aus dem Germanenorden, aber auch aus anderen völkischen Gruppierungen. Nicht
einmal die Thule-Gesellschaft ist wohl vollständig in die Aktionen und Planungen
Sebottendorfs einbezogen worden, sondern nur ein Teil von ihr."44
Die Tätigkeit der Thule-Gesellschaft seit 1918 bestand weniger in der Rolle
einer Geheimgesellschaft denn eines konspirativen Rahmens für die gegen
revolutionäre Tätigkeit einer nationalistischen Gruppe. In den Wirren der
Zeit des Zusammenbruchs 1918 die in Bayern ein Anwachsen der kommuni
stischen Kräfte und schließlich die Errichtung der Räterepublik gewärtigte,
26
sorgte die Thule für die Vernetzung der Freikorps- und völkischen Kräften
und hatte somit einen nicht unbedeutenden Anteil an der Niederschlagung
der Räterepublik. Der sogenannte Thule-Kampfbund als exekutives Organ
begründete das Freikorps Oberland, legte Waffenlager an und infiltrierte
gegnerische Organistionen. Nach Auffindung einer Mitgliedsliste und wei
teren belastenden Materials bei der Durchsuchung der Thule-Vereinsräume
in den Vier Jahreszeiten durch die Geheimpolizei der Räteregierung am 26.
April 1919, wurden sieben Thule-Mitglieder am 30. April als Geiseln erschos
sen. Am 3. Mai war die Rote Armee der Räterepublik besiegt und die Thule
wirkte bei der Ergreifung flüchtiger Verdächtiger mit. Nach Konsolidierung
der Lage 1920 sank die Thule-Gesellschaft zunehmend in die Bedeutungslo
sigkeit und beschränkte sich auf Vorträge und Feiern. Bereits im September
1919 hatte Sebottendorf aufgrund interner Streitigkeiten um die Schuld an
der Auffindung belastender Dokumente die Vereinigung verlassen. Fortan
widmete sich Sebottendorf primär der Astrologie.45
Der letzte Vortrag der Thule-Gesellschaft ist für 1926 belegt als die Vereini
gung gerade noch fünf Mitglieder zählte. 1930 folgte schließlich die Löschung
aus dem Vereinsregister. Zwar wurde im September 1933 unter Führung Se-
bottendorfs die Thule-Gesellschaft neu gegründet, jedoch spielte sie lediglich
noch eine Rolle als Erinnerer an die Märtyrer von 1919.46
Aufgrund verschiedener Veröffentlichungen zur Thule-Gesellschaft be
stand lange Zeit Unklarheit über die Mitgliederliste der Thule, auf der zahl
reiche politisch und gesellschaftlich angesehene und einflußreiche Münchner
Persönlichkeiten, u.a. der völkische Publizist Dietrich Eckart erschienen. Ne
ben dem Geopolitiker Karl Haushofer sollen folgende spätere national-sozi
27
alistische Persönlichkeiten bereits Thule-Mitglieder gewesen sein:47 Wilhelm
Frick (u.a. ab 1939 Mitglied des sechsköpfigen Kriegskabinetts), Rudolf Hess
(Stellvertreter des Führers), Julius Streicher (Herausgeber des antisemitischen
Blattes „Der Stürmer", später Fränkischer Gauleiter), Alfred Rosenberg
(NSDAP-Parteüdeologe, ab 1941 Reichsminister für die besetzten Ostgebiete),
Hans Frank (ab 1939 Generalgouverneur von Polen).
Bei Bronder erscheinen darüber hinaus noch Hitler, Himmler, Göring,
Feder, Karl Haushofer, Dietrich Eckart, Hitlers Leibarzt Morell und sogar
Guido von List und Lanz von Liebenfels - wobei Bronders abschließender
Hinweis „auf die z.T. mangelhafte und unsichere Belegbarkeit des Angeführten"
hier Bände spricht.48
Mittlerweile hat nun Rose in der ersten umfassenden wissenschaftlichen
Arbeit nachgewiesen, daß sowohl Adolf Hitler als auch Eckart und Hausho
fer niemals Mitglieder der Thule-Gesellschaft waren - ebenso wenig Göring
und Himmler.49 Für Rosenberg ist eine Mitgliedschaft umstritten, wird aber
in jedem Fall angesichts einer lediglich kurzen Erwähnung derselben bei Ro
senberg vermutlich überschätzt.
28
Dietrich Eckart Georges I. Gurdjieff Karl Haushofer
gründen. Erst Ende 1917, anfang 1918, soll demnach Sebottendorf alias Glauer
zu der Gruppe gestoßen sein um gemeinsam mit Nauhaus neue Mitglieder
zu rekrutieren und den Vorsitz zu übernehmen.52 Tatsächlich unterstützte
Nauhaus Sebottendorf bei der Werbung neuer Mitglieder für den Ableger des
Germanen-Orden und schlug auch den Namen Thule vor. Sebottendorf zufol
ge wollte er „aus den älteren Herren das Rückgrat der Bewegung bilden" während
Nauhaus die Jugend „sammeln sollte".53
Nach anderer Quelle wäre die Thule-Gesellschaft bereits 1912 durch einen
Max Heindl begründet worden. Die Herkunft dieser These bleibt indes im
Dunkeln. Belegt scheint eine Kontaktaufnahme Heindls mit Rudolf Steiner
1909, mit dem er den Aufbau einer okkulten Gesellschaft plante, was sich al
lerdings zerschlug. Danach wurde er in den wiederbegründeten Rosenkreu
zer-Orden eingeweiht und fand Zugang zur Loge der älteren Brüder unweit
Berlins. Noch vor dem 1. Weltkrieg gründete Heindl in Seattle / USA die „Ro-
sicruzian Fellowship".54
Jene Rosenkreuzer hat auch der Autor E.R. Carmin im Visier, wenn er
die Vorbereitung des geistigen Nährbodens des Germanen-Ordens und der
Thule-Gesellschaft dem Lanz-Vertrauten und Blavatsky-Freund Franz Hart
mann zuschreibt, der als Mitglied eben jener Rosenkreuzer 1895 den „Ordo
Templi Orientis" (OTO) mitbegründete. Diesem gesellte sich Theodor Reuß,
Mitglied des britischen „Golden Dawn" und Freund des späteren Ober
hauptes dieser Gesellschaft, Aleister Crowley, hinzu.55
52 Webb (2008), S. 347.
53 So Sebottendorf (1933), S. 41; zu Nauhaus, S. 52; vgl. ebenso Goodrick-Clarke
(2004), S. 127.
54 So Glowka (1981), S. 112.
55 Carmin (2005), S. 38 f; 1912 wurde der mit dem britischen Geheimdienst in Ver-
29
Die abwegigste These stellt - wie so oft - das Autorenduo Pauwels / Bergier
auf: Ihnen zufolge sei die Thule erst 1923 und zwar durch Karl Haushofer
gegründet worden. Grundlage sei dabei nicht germanisches, sondern tibe
tisches Weistum gewesen.56
Bei allen Okkult-Autoren werden mystische Hintergründe innerhalb des
Wirkens der Thule-Gesellschaft angenommen. So schreibt Autor Richardi
unter Bezug auf Hermann Wilhelm: „Die Geheimnisse dieser legendären Thu
le-Zivilisation wollte man durch okkulte Praktiken und magische Rituale ivieder
sichtbar machen. Man war überzeugt, daß Wesen, die zwischen den Menschen und
Geistern aus dem Jenseits standen, den Eingeweihten des inneren Kreises magi
sche Kräfte verleihen könnten", die eingesetzt werden sollten, „um Deutschland die
Herrschaft über die Welt zu sichern und zur Wiege einer neuen Rasse von Über
menschen aus Mutationen des Homo Sapiens werden zu lassen. So wird der innere
Kreis der Thule-Gesellschaft, der nur eingeweihten Adepten der Esoterik zugänglich
ist, absichtlich geheim gehalten."57 Und Charroux läßt 1934 die längst aufge
löste Thule-Gesellschaft „zu einem mächtigen Geheimbund" werden, „dessen
Name weder der Öffentlichkeit noch denen bekannt werden durfte, die um Auf
nahme baten". Deshalb sei sie als „Deutschritterorden", teils auch als „Posei
donsritter" bezeichnet worden.58
Überaus abwegig ist bei allen Okkultautoren die Behauptung, Haushofer hät
te eine okkulte Rolle hinter den Kulissen gespielt, insbesondere vor dem Hin
tergrund seiner durchweg seriösen, geopolitischen Ausrichtung. Eine oft unter
stellte okkulte Verbindung Haushofers mit Tibet, wo er sich zwischen 1903 und
1908 aufgehalten haben soll,59 scheint pure Spekulation, lediglich ein Aufenthalt
in Japan als Militärattachee zwischen 1908 und 1910 läßt sich nachweisen.60
Dabei durchquerte er auf der Hin- und Rückreise nach bzw. von Japan
auch Indien, Burma, Hongkong sowie China, ein Tibet- Aufenthalt entzieht
bindung stehende Crowley von Reuß, der auch die Illuminatenloge wieder begrün
dete und Papus zur Gründung des Pariser „Memphis-Misraim-Ritus" ermächtigt
haben soll (ebenda, S. 326), in den OTO eingeweiht; ebenda, S. 43.
56 Pauwels / Bergier (1968), S.368; ähnlich Carmin (2005), S. 45 ff.; siehe zur Ein
schätzung Goodrick-Clarke (2009), S. 239.
57 Richardi (1991), S. 36.
58 Charroux (1967), S. 255, hierher stammt auch die Legende, die SS hätte auf Or
densburgen - die in Wirklichkeit der Partei unterstanden - okkulte und körperliche
Schulungen durchgeführt, wobei auch ein Kampf gegen Doggen zur Abhärtung Be
standteil gewesen wäre.
59 Pauwels/ Bergier (1968), S. 372, berichten lediglich von Reisen Haushofers in
den „Fernen Osten" und nach Japan, „wo er einer der bedeutendsten buddhisti
schen Geheimgellschaften" beigetreten sein soll.
60 Hakl (2006), S. 198.
30
sich jedoch unserer Kenntnis Auch Haushofers Mitgliedschaft in der japani
schen Luminous-Loge, einer buddhistischen Geheim-Gesellschaft, die Pau
wels/Bergier behaupten, und die mit den „Gelbmützen" gleichgesetzt wird,
ist weder verifizierbar noch realistisch.61
Zu den sieben Begründern der Partei NSDAP zählte auch eine Dame, die,
je nach Blickwinkel des Verfassers, als „Gewissen der Partei" oder als Prota
gonistin jener Gruppe bezeichnet wird, die „sich den Schwarzen Mächten In-
nerasiens ausgeliefert hatten und bereit waren, durch ein Meer von Blut zu waten,
um die Weltherrschaft zu erringen", wie es Pauwels und Bergier nahelegten.62
Die Rede ist von einer gewissen Frieda Dorenberg. Diese war Mitglied der
Edda-Gesellschaft und eines Kreises, der sich „Freie Söhne der Nord- und
Ostsee" (FSNO) nannte. „Hier beschäftigte man sich unter anderem mit dem Ge
dankengut des Kristgermanen Gustav Müller, verehrte das steirische Schreibmedi
um Jakob Lorber und hörte die, Offenbarungen aus dem Urlicht' eines Mediums aus
München", wie Rudolf Mund bemerkte.63
Insbesondere die Ankündigung „der Herabkunft des Starken von Oben
aus dem Urlicht" weckt Assoziationen mit dem späteren Führerkult um
Adolf Hitler. Tatsächlich war das Wirken dieses Kreises aber weniger auf
okkult-magische Dinge ausgerichtet, denn auf die Befassung mit dem, was
der später zu diesem Kreis stoßende Karl-Maria Wiligut als deutsches Ur-
kristentum bezeichnete: Frieda Dorenberg und Erna von Benthin, auch als
„Medium des Nationalsozialismus" bezeichnet, geben sich, laut Mund, in
ihren Visionen und Offenbarungen dementsprechend „als Christen im ma-
nichäischen Sinne" zu erkennen.64 Noch bis 1945 hielt Himmler Kontakt zur
inzwischen hochbetagten Frieda Dorenberg.
31
eines Mittels zu nationalem Zwecke hatte.
Karl Harrer war eines der einigen Hundert
Mitglieder der Münchner Thule-Gesellschaft.
„Dieser völkische, nach Art der Freimaurerlogen
organisierte und antisemitische Vorkriegstraditi
onen weiterführende Bund suchte, nicht zuletzt
durch die gärende Volksstimmung in Bayern ge
gen Kriegsende bewogen, auch Einfluß in der Ar
beiterschaft zu gewinnen und hatte Harrer beauf
tragt, in dieser Richtung tätig zu werden."65
Die Beziehung der DAP zur Thule-Gesell
schaft war nur locker, aber doch nützlich, vor
allem für die Vermittlung von Kontakten,
Mitgliedern und Referenten (deren erster
Dietrich Eckart war). Der „politische Ar-
beitszirkel" blieb weiterhin bestehen. Seine „Der Bannerträger" (1938) Bild
ausgewählten Mitglieder, die auch der DAP von Hubertus Lanzinger, das
beitreten mußten, wurden vom Vorsitzenden Hitler, der sich ein „Alleinver
(und anfänglichem hauptsächlichem Redner) fügungsrecht" über jede öffent
Harrer berufen und mußten Stillschweigen liche Ausstellung dieses Bildes
geloben über Interna, Namen und Tagungs sicherte, nicht der Öffentlichkeit
stätten. Am 5.1.1919 kam es zum Zusammen zugänglich machen wollte
schluß mit dem „Freien Arbeiterausschuß für
einen guten Frieden" Anton Drexlers deren Fusionsergebnis fortan als „Deut
sche Arbeiter Partei" firmierte.
Am 12. September 1919 nahm Adolf Hitler erstmals an einer Versammlung
der DAP teil. Dies im Auftrag der Aufklärungsabteilung des Gruppenkomman
dos 4 der Reichswehr, welche die politische Entwicklung an der Basis im Auge
behalten wollte. Die DAP bekundete Interesse an Hitler, der als politischer Auf
klärungsredner schon Erfahrung gesammelt hatte. Im November 1919 sprach
Hitler bereits als Hauptredner auf den DAP-Versammlungen, die immer noch
im kleinen Kreis der Mitglieder stattfanden. Am 24. November übernahm er
die Leitung der „Partei-Rednerschule". Als Werbe-Obmann wurde er siebtes
Mitglied im Arbeitsausschuß der DAP. Er betrachtete es, unterstützt von Drex
ler, als seine vordringliche Aufgabe, die politischen Ideen der kleinen Partei in
der breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. In dem nun folgenden Konflikt
mit Harrer ging es nicht nur um die Frage „Loge" oder „Massenbewegung"
oder welche Propaganda-Taktik die sinnvollste sei, sondern um die Frage nach
dem ausschlaggebenden Führungsgremium der Partei. Hitler befürchtete den
Versuch parteifremder Kreise, die DAP von außen zu lenken. Am 5. Januar
32
1920 schied Harrer schließlich aus der Partei aus. Am 24. Februar sprach Hitler
bereits vor 2000 Menschen im Hofbräuhaus-Festsaal in München und verlas
das 25-Punkte-Programm der Partei, die nun „Nationalsozialistische Deutsche
Arbeiterpartei" (NSDAP) genannt wurde. Der Ruf der NSDAP verbreitete sich
über Münchens Grenzen hinaus, und Hitler trat schon 1920 mehrere Male au
ßerhalb Münchens als Redner auf. Seit dieser Zeit erhielt der einstige Gefreite
Unterstützung von einer Reihe einflußreicher Persönlichkeiten: „Der Münch
ner Polizeipräsident Emst Pöhner gab ihm Rückendeckung, der Hauptmann
Emst Röhm stellte ihm die Verbindung zur Reichswehr her, der General Erich
Ludendorff schenkte ihm sein Wohlwollen, und der Ingenieur Gottfried Feder
öffnete ihm die Augen für die „Herrschaft des Zinses". Neben diesen Män
nern, die Hitlers politischen Werdegang in den ersten Jahren beeinflußt haben,
steht der Dramatiker und Journalist Dietrich Eckart. Den meisten gilt er als der
Förderer Hitlers schlechthin."66 Eckart gab seit Dezember 1918 die Zeitschrift
„Auf gut Deutsch" heraus, die fast ausschließlich die sogenannte „Judenfrage"
aufgriff, und erstmals unter dem Einfluß Gottfried Feders und Alfred Rosen
bergs, zwischen „raffendem Kapital des Juden" und „schaffendem Kapital" des Ari
ers unterschied und sowohl Kapitalismus als auch Kommunismus als Manife
stationen eines „jüdisch-materialistischen" Geistes charakterisierte.67
Am 14. August 1919 hielt Eckart vor Mitgliedern der DAP einen ersten Vor
trag, wurde jedoch nicht Mitglied, obgleich er künftig als „Dichter der Bewe
gung" gefeiert wurde. Nach Ansicht des Autoren Plewnia wollte er Distanz
halten, denn später betrachtete er sich als Kontrolleur der Partei und ihres
Führers. Adolf Hitler hörte er zu'Beginn des Jahres 1920 in einer Versamm
lung reden, hat ihn aber möglicherweise schon im Herbst oder Dezember 1919
kennengelemt. Eckart erhielt wiederholt Besuch von Hitler. Während Hitler
die Juden vorwiegend als Rasse verurteilte, verachtete Eckart sie als Vertreter
einer bestimmten Geisteshaltung. Eckart wurde Hitlers „väterlicher Freund",
von dem Hitler selber später sagte, er sei sein einziger großer Freund gewesen,
der ihn auch in höhere Gesellschaften einführte und seine Kreditwürdigkeit
förderte. Eckart sah die Vorteile Hitlers in dessen hypnotischer Überzeugungs
kraft und Redegabe und in seinem Draufgängertum. Außerdem war Hitler
Junggeselle und als Autodidakt noch belehrbar. Nach seiner Scheidung im
März 1921 gab Eckart „Auf gut deutsch" zugunsten des 1920 von der NSDAP
erworbenen Völkischen Beobachters" auf, und trat in die Dienste des 20 Jahre
jüngeren Adolf Hitler. Im Sommer 1921 verhalf Eckart Hitler in einer internen
Parteikrise durch seine Vermittlerrolle zum Sieg, und Hitler machte sich zum
Diktator der bis dahin nach demokratischen Grundsätzen geleiteten NSDAP.
Gleichzeitig mit Hitlers Aufstieg verlor Eckart mit der Zeit an Bedeutung. Neue,
33
jüngere Männer - u.a. Rudolf Hess - befanden sich nun in Hitlers Nähe. Noch
im Frühling 1923 pries Eckart, der das Schlagwort „Deutschland erwache!" ge
prägt hatte, Hitler im Völkischen Beobachter als „Erlöser". Obwohl Eckart am 8.
November 1923 bei Hitlers Bürgerbräuputsch nicht anwesend war und es un
klar ist, ob er beim Marsch auf die Feldherrnhalle mitmachte, wurde er am 15.
November verhaftet und u.a. auf Landsberg interniert. Als er am 26. Dezember
1923, sechs Tage nach seiner Haftentlassung, durch Herzversagen starb, wur
de er zum Märtyrer der „Bewegung" erklärt. Einige Monate nach Eckarts Tod
erschien seine unvollendete Schrift „Der Bolschewismus von Moses bis Lenin.
Zwiegespräch zwischen Hitler und mir" (ob mit oder ohne Bewilligung Hit
lers ist unklar), mit welcher Eckart versuchte, der Partei und Hitler ein weltan
schauliches Fundament zu geben. Die heutige Forschung geht davon aus, daß
Eckart entgegen seinen Angaben alleiniger Autor war und Hitler nur fiktiver
Gesprächspartner.68 Die Empfänglichkeit Hitlers gegenüber okkulten Dingen
indes reduzierte sich trotz anderlautender Legenden69 überwiegend auf das
Studium okkulter Titel, wie seine erhaltende Leseliste offenbart. Die Astrolo
gie beispielsweise betrachtete Hitler als „Aberglauben", obgleich ihn 1923 die
Astrologin Elsbeth Ebertin schwer beindruckte, deren Prophezeiungen sich für
Hitler Punkt für Punkt erfüllten. „Aber Hitler sprach nur ganz ironisch von dieser
Koinzidenz und betrachtete das ganze als einen Spaß", bemerkte Hitlers ehemalige
Privatsekretärin Frl. Schröder dazu.70
Allerdings berichtet Trevor Roper unter Bezug auf das Tagebuch des Grafen
Schwerin von Krosigk von einer Begebenheit Anfang April 1945 als Goebbels
gegenüber Hitler aus Carlyles „Geschichte Friedrich des Großen" eine Passage
zitierte, in der die Verzweiflung Friedrichs angesichts der bevorstehenden Nie
derlage im 7-jährigen Krieg geschildert wird. Kurz danach starb die russische
Zarin und ihr Nachfolger schloß Frieden mit Preußen. Daraufhin seien Hitler
Tränen in die Augen gestiegen und er hätte sich Horoskope kommen lassen, die
vor dem Krieg erstellt und seitdem unter Verschluß gehalten worden wären.
Diese hätten übereinstimmend den Kriegsausbruch 1939, die Siege bis 1941 und
dann die Kette der Rückschläge bis 1945 mit einem anschließenden Frieden in
der zweiten Aprilhälfte vorhergesagt. Als am 12. April Roosevelt starb, hielt
Goebbels dies für die angekündigte Wende - vielleicht auch Hitler selbst.71
34
Hitlers Verhältnis zu okkulten Dinge kann vielleicht zusammenfassend als ein
generelles Interesse an verschiedenen, auch okkulten Themen, aber einer offizi
ellen Ablehnung jeder okkulten Richtung zusammen gefaßt werden. Tatsächliche
okkulte Elemente traten dagegen in Zusammenhang mit einem anderen Protago
nisten des 3.Reiches - nämlich Heinrich Himmler - weitaus sichtbarer zutage.
Das Hakenkreuz
Auch dem alles überragenden Symbol des Nationalsozialismus, dem Haken
kreuz, wird immer wieder die Bedeutung eines okkult-magischen Elementes
der Bewegung unterstellt. In „Mein Kampf" erklärt Hitler die Symbolik der Ha
kenkreuz-Fahne wie folgt: „Im Rot sehen wir den sozialen Gedanken der Bewegung,
im Weiß den nationalistischen, im Hakenkreuz die Mission des Kampfes für den Sieg des
arischen Menschen und zugleich mit ihm auch den Sieg des Gedankens der schaffenden
Arbeit, die selbst ewig antisemitisch war und antisemtisch sein wird."72
Bereits Webb verwies darauf, daß die Frage, wer letztendlich der geistige
Vater der Übernahme des Hakenkreuzes in der Neuzeit gewesen war, eine
müßige ist, da es bei vielen völkischen Verbänden nicht nur in Deutschland
Verwendung fand. Einen direkten Einfluß auf die Übernahme übte unbestrit
ten die Thule-Gesellschaft aus, was die Legenden um die tiefe Beeinflußung
der neuen Bewegung zementierte. Diese hatte das runde Hakenkreuz zu ih
rem Symbol erkoren. Für die DAP hatte neben Hitler auch der Thule-Mann
Dr. Friedrich Krohn ein Wappen entworfen, das ebendieses abgerundete Ha
kenkreuz auf weißem Grund zeigte.73
Einer der ersten völkischen Protagonisten, der das Hakenkreuz wiederent
deckte war jedoch Friedrich Ludwig „Turnvater" Jahn. Danach taucht es spä
testens 1908 bei Guido von List als „Werdandi-Rune des ewigen Vergehens"
auf.74 Lanz von Liebenfels ließ 1907 ein Hakenkreuz-Banner auf seiner Burg
Werfenstein hissen. Die dahinter stehende Deutung sieht im Hakenkreuz das
Symbol des Ariers,75 obgleich sich seine Nutzung nicht auf die klassischen
arischen Völker beschränkte, sondern sich auch in Amerika, in Sumer und bei
den südeuropäischen Bandkeramikern fand.
hältnis zum Okkultismus Berndt (2011), S. 160 ff.; hier auch der Hinweis auf die
mögliche astrologische Beraterin Hitlers, Elsbeth Ebertin (S. 176), sowie Hitlers ok
kulte Eiteratur, darunter Carl Loogs Nostradamus-Weissagungen (S. 223).
72 Zit. nach Richardi (1991), S. 284; das „weiß" tritt dabei europaweit als Erken
nungsfarbe der antikommunistischen Freikorps und Verbände auf, u.a. in Rußland
ab 1917 und bei den deutschen Freikorps.
73 Richardi (1991), S. 282.
74 von List (Rita), S. 57ff.
75 Erstmals bei Krause (1891), der es als „arisches Leitfossil" bezeichnet, S. 104 f;
siehe auch Scheuermann (1933), S. 7 ff.
35
Vinca-Schrift aus dem Balkan-Raum, ca. 6. Jahrtausend v.Zw.
Da diverse völkische Autoren aber auch jene Völker unter die Arier sub
sumierten, die noch vor der klassischen Wanderung der Indogermanen seit
dem 2. Jahrtausend v.Zw. andere Völker inspirierten ohne ihre indogerma
nische Sprache etablieren zu können, war die Gleichsetzung „Arier und
Hakenkreuz" nicht von der Hand zu weisen. Gemäß dieser Deutung war
das Hakenkreuz das Zeichen der Sonne, genauer gesagt des Sonnenlaufes
und stand damit in Verbindung mit dem wiedererwachenden Leben.76 Plas
tisch symbolisierte es zugleich den Lauf des Sternbildes des kleinen Wagens
um den Polarstern, wodurch es auch zum Zeichen der Herkunft der Ari
er aus dem Polgebiet avancierte.77 Dieses Zeichen trugen die „nordischen"
Auswanderer demnach seit etwa 10.000 v.Zw. als Eroberer in die südlichen
Gebiete, die sie auf ihren ersten Wanderzügen eroberten oder kulturell „be
fruchteten", wie etwa Sebottendorf postulierte.
Das bislang früheste Vorkommen ist allerdings im südosteuropäischen
Raum eruiert worden, wo Elisabeth Weeber es auf die Zeit um 10.000 v.Zw.
datiert, ohne diese frühe Zeitangabe allerdings stichhaltig zu untermauern.78
Auch Jörg Lechler sah das früheste Auftreten des Hakenkreuzes im bandke
ramischen Siebenbürgen, setzte es jedoch auf die Zeit um 3000 v.Zw.79
Überall wo es Verwendung fand, wurde es indes unbestritten zum Heils
und Glückszeichen der Erneuerung - wobei dies natürlich nicht für die
unterworfenen Völker galt. Aufgrund der weiten Verbreitung des Haken
kreuzes haben verschiedene Forscher zeitweise eine unabhängige regiona
le Entstehung vertreten. Ludwig Wilser bemerkte dazu aber bereits 1918:
„Kann man auch die Möglichkeit einer solchen Entstehung nicht ganz von der
Hand weisen, so liegt doch ohne Frage eine viel größere Wahrscheinlichkeit in der
Annahme, dies eigenartige Zeichen habe sich unter ganz besonderen Umständen in
einem beschränkten Gebiet entwickelt und von da aus im Laufe der Zeit durch Völ
kerwanderungen, nachbarschaftlichen Verkehr und Handelsbeziehungen in immer
weiterem Umkreis verbreitet."80
76 vgl. zustimmend Wilser (1918), S. 3f; Lechler (1921), S. 8f.
77 siehe hierzu, Evola: Das Hakenkreuz als polares Symbol, in: Evola (2009).
78 Weeber (2007).
79 Lechler (1921), S. 1.
80 Wilser (1918), S. 1.
36
Samarra-Tonteller. Prä- Jahreszeitliche Positionen Dalai Lama mit Swastika-
Sumerisch ca. 5500 v.Zw. des Sternbildes Kleiner Teppich
Wagen um den Polarstern
Obgleich es auch in Israel- vermutlich durch die nordisch-stämmigen Phi
lister auftaucht, wurde es seit dem 19. Jahrhundert zum Gegenbild Judas
erkoren. Noch heute zeigen Hoheitszeichen buddhistischer Würdenträger,
so des tibetischen Dalai Lamas, dieses Symbol.
Verschiedentlich wird dem Hakenkreuz eine magische Bedeutung zu
gesprochen, die in Zusammenhang mit seiner Ausrichtung stehen soll. So
sei das linksdrehende Hakenkreuz, auch mit der goldenen Sonne assoziiert,
Zeichen der Schöpfung und Fruchtbarkeit; demgegenüber das rechtsdrehen
de, Synonym der Schwarzen Sonne, die das wiederentfachte irdische Feuer
symbolisiere. Andere Autoren wiederum sehen das linksdrehende in einem
„positiven", das rechtsdrehende in einem „negativen" Kontext. Für Serrano
dagegen impliziert das linksdrehende Hakenkreuz den vorzeitlichen Exo
dus der Weißen Rasse und das gegenläufige die Rückkehr der Rasse an ihr
esoterisches Zentrum am Pol.81 Godwin weist jedoch zurecht darauf hin, daß
eine bevorzugte Verwendung bei keinem der dieses Zeichen nutzenden Völ
ker feststellbar sei und lediglich die Unterscheidung zwischen Symbol für
die polare Drehung („linkshändig") und den Lauf der Sonne („rechtshän
dig") sinnvoll erscheine.82
38
Ämtern der Ordnungspolizei, der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) und des
Reichskriminalpolizeiamts. Als Reichsführer-SS unterstand ihm weiterhin der
Sicherheitsdienst (SD) als parteiinterner Nachrichtendienst. Himmler wurde in
seiner neuen Eigenschaft den Befehlshabern des Heeres und der Marine sowie
den Reichsministern im Rang gleichgestellt und erhielt Kabinettsrang.
84 Vgl. Pringle (2006), S. 19; dagegen behauptet Kater (2006), S. 16, unzutreffend,
daß Himmler sich erst spät für die Geschichte interessiert hätte.
85 Hitler führte dazu in privater Gesprächsrunde aus: „Wir tun gut daran anzu
nehmen, daß das, was die Mythologie von Gestalten zu berichten weiß, die Erinne
rung ist an eine einstige Wirklichkeit"; nach Picker (1997), S. 298.
86 Siehe Sünner (1999), S. 10.
87 Edgar Dacque: Urwelt, Sage und Menschheit. Oldenburg 1924 ; Ernst Betlia:
39
Kranzniederlegung am Grabe Heinrichs I. in Quedlinburg 1936
40
Eine jener Schriften, die Himmler faszinierten, war die Ura-Linda-Chronik,
die später noch eine größere Rolle spielen sollte. Bereits 1932 war sie jedoch
ein Grund für Himmler, über die Errichtung eines eigenen, quasi privaten For
schungseinrichtung nachzudenken, die strikt germanisch ausgerichtet und
gegen die „jüdisch-versippte" akademische Wissenschaft antreten und trium
phieren sollte. Bevor diese Überlegungen jedoch Gestalt annahmen, umgab
sich Himmler überwiegend mit Laienforschem, die er im Kreis der Edda-Ge
sellschaft, der Artamanen und anderer völkischer Bünde kennen gelernt hatte.
1936 gründete Himmler eine „Gesellschaft zur Förderung und Pflege Deut
scher Kulturdenkmäler e.V.", die historische Bauwerke aus Geschichtsepo
chen betreute, die ihm am Herzen lagen: Aus der germanischen Vorzeit, der
heidnischen Ära des frühen Mittelalters und der Epoche deutsch-kolonialer
Ostmission unter dem Deutschen Ritterorden. „Himmlers Denkmäler-Verein
pflegte bewußt, was in das antichristliche und antislawische Weltbild der SS paßte, so
alte Burgen des Deutschen Ritterordens oder den Sachsenhain bei Verden an der Al
ler, Erinnerungsstätte für die im Jahr 782 von Karl dem Großen (,Karl dem Franken')
hingerichteten 4.500 heidnischen Sachsen.. . Geschichtsromantik, Germanen- und
Heidentum als Integrationsfaktoren der aus allen Gesellschaftsschichten rekrutier
ten SS - das war der Sinn dieser und auch anderer Stiftungen Himmlers", wie
Arfst Wagner Himmlers diesbezügliches Interessengebiet resümierte.91
„Diese Dinge interessieren uns, weil sie im weltanschaulichen und politischen Kampf
von größter Wichtigkeit sind" führte Himmler im vertrauten Kreis dazu aus.92
Seinen Volksbegriff umriß Himmler einmal folgendermaßen: „Das Volk
wird begriffen nicht als Summe von einzelnen, nicht einmal als die Gesamtheit der
gegenwärtig lebenden Menschen gleichen Blutes, sondern als überpersönliche und
überzeitliche Gesamtwesenheit, die begrifflich alle Generationen dieses Blutes - von
den frühesten Ahnen bis zu den fernsten Enkeln - umfaßt."93
Wie Longerich bemerkte, war jedoch die innerhalb der SS betriebene Ger
manenverehrung „nicht bloßer Ausfluß einer persönlichen Marotte des Reichsfüh
rers", sondern es ging darum, „der SS im ideologischen Kernbereich des Nationalso
zialismus eine feste Rolle als Hüterin des germanischen Erbes und seiner Ausdeutung
zu sichern".94
Ein besonderes Interesse Himmlers galt dem sächsischen König Heinrich I.
(875-936), genannt der „Vogler". Dieser war der Vater des ersten deutschen
Kaisers, Otto I., und gilt als der Wegbereiter des Deutschen Reiches. Sein be
41
sonderes Verdienst war zum einen die Oppo
sition zum römischen Papst und zum anderen
seine erfolgreiche Ostkolonisation.
Anläßlich der geplanten 1000-Jahr feier des
Todestages des „Slawenbezwingers" Hein
rich, gelang es Himmler die Feierlichkeiten an
sich zu reißen.
Dr. Hermann Reischle, Chef des Rasseamtes
unter Darre, nannte diese Feier „propagandis
tisch [...] geradezu ein Geschenk des Himmels" und
berichtete am 24.10.1935 an Himmler: „Durch
ihre zweckmäßige Gestaltung können wir mit einem
großen Schlag das erreichen, was sonst auf propa
Himmler im Jahr 1939 gandistischem Weg nur mühsam in Jahren durch
gekämpft werden könnte. Schon aus diesem Grund
muß die entscheidende Beteiligung der SS und damit unsere Einflußnahme auf die
Vorbereitung und Gestaltung der Feier dringend befürwortet werden."95
Um das Gedenken an Heinrich I. in den Köpfen zu verankern, gründete
er die König-Heinrich-I.-Gedächtnis-Stiftung. Am tausendsten Todestag des
Königs, dem 2. Juli 1936, schwor der lebende dem toten Heinrich in dessen
(damals leerer) Gruft im Quedlinburger Dom, die Ostmission des Sachsen
fortzusetzen und zu vollenden. Ein Jahr später ließ er die Gebeine Heinrichs
I. in feierlicher Prozession in den Dom überführen. Heinrichs Gruft sollte laut
Himmler „eine Weihestätte sein, zu der wir Deutschen wallfahren, um König
Heinrichs zu gedenken".96
Noch im Dezember 1935 legt er fest, daß die SS mit der Stadt Quedlinburg
alleinige Trägerin der Feiern am 2. Juli 1936 sein sollte.
Wie Heinrich I. von ihm instrumentalisiert wurde, geht aus einem Tage
bucheintrag des Leibarztes F. Kersten hervor: „Er rechnete mir vor, daß bei sys
tematischer Verfolgung dieser Maßnahmen" (nämlich die Rückzüchtung der „germa
nischblond-blauen Urrasse") „in einhundertzwanzig Jahren nach den Mendelschen
Gesetzen das deu tsche Volk wieder weitgehend reinblütig germanisch aussehen werde,
die Geschichte ihm das danken und in tausend Jahren sein Lebenswerk genau so ver
stehen würde, wie dies jetzt mit dem Werk König Heinrichs I. der Fall sei."
Doch das Interesse Himmlers an seinem Namenspatron ging über die blo
ße Verehrung und Instrumentalisierung hinaus: „An jedem Todestag des Königs
machte sich der Reichsführer auf, mit dem anderen Heinrich stille Zwiesprache zu pfle
gen - in der kalten Krypta des Doms pünktlich zur Zeit, wenn die zwölf dröhnenden Glo
ckenschläge die Mitternachtsstunde verkündeten", wie Wagner zu berichten weiß.
42
Tatsächlich glaubte Himmler an spiritistische
Vorgänge wie die Geisterbeschwörung. Zum
Buch „Die Phänomenologie des Spitismus"
des Münchener Philosophen Freiherr Dr. Carl
du Prel (1839-1899), notierte Himmler in einer
Anmerkung: „Ein wissenschaftliches Werkchen
auf philosophischer Gru ndlage, das mich wirklich
an den Spiritismus glauben läßt und mich erst
richtig in denselben eingeführt hat.“97
So beschränkte Himmler seine spiritisti
schen Kontakte nicht auf Heinrich, sondern
nutzte seine Fähigkeit regelmäßig, Geister
zu beschwören. Allerdings, „müsse man eine
bestimmte Veranlagung dafür haben und es kä
men nur die Geister von Menschen in Frage, die
schon hundert Jahre tot seien“, wie der Reichs
führer seinem Arzt Dr. Kersten anvertraut Heinrich-Gedenkplakette der SS
haben soll.98 „Wenn er im Halbschlaf liege, be
richtete Himmler, erscheine ihm der Geist König Heinrichs und erteile ihm wertvolle
Ratschläge. Oft begann Himmler mit der Redensart:,König Heinrich hätte in diesem
Falle folgendes getan.' Er beschäftigte sich mit seinem Helden so lebhaft, daß er sich
allmählich für eine Reinkarnation des Königs hielt."99
Als Mittel zur Geisterbeschwörung bediente sich Himmler des Pendels.
1925 studierte er einen praktischen Leitfaden für „Pendelpraxis und Pen
delmagie", der nach Auskunft des Untertitels als „Anleitung zum Gebrauch
des siderischen Pendels zwecks Feststellung von Krankheiten und mensch
lichen Charaktereigenschaften, Geschlechtsbestimmung und Befragung der
Jenseitigen" fungierte.
Ein wichtiges Rolle spielte dabei das sogenannte Od, eine Art Äther (in
disch „Prana"), das fünfte Element neben Luft, Feuer, Wasser und Erde, das
als kosmischer Energiespeicher diente.100
Sein spiritistisches Wesen zeigte sich jedoch auch in der Konsultation
von Astrologen. Hierzu führte Kersten aus: „Vor wichtigen Entscheidungen
ließ sich Himmler einen seiner beiden Astrologen kommen, um sich das Horoskop
stellen zu lassen... Himmler hat öfters betont, daß die Astrologen einstimmig der
43
Meinung seien, Deutschland könne erst dann aufsteigen und gesunden, wenn alle
Juden ausgerottet seien."101 So kritisch dieses von dem über weite Strecken un
glaubwürdigen Leibarzt Himmlers überlieferte Zitat zu betrachten ist, ist
daraus zumindest ein großes Interesse Himmlers an der Astrologie, beson
ders zum Kriegsende, herauszulesen. Von Mai 1944 bis April 1945 konsul
tierte er den Astrologen Wilhelm Wulff zu verschiedensten Fragestellungen
und ließ sich regelmäßig Horoskope erstellen.102
Ein der Geisterbeschwörung eng verwandtes Gebiet war die Telepathie,
die Hellseherei, für die Himmler ebenfalls ein offenes Ohr besaß. Hierzu las
er 1923 die Veröffentlichung Friedrich zur Bonsens und fügte als Anmer
kung hinzu: „Es ist ein genaues Referat und Zusammenstellung über unbekannte
und sagenhafte Gebiete. Ein kleiner Ausschnitt aus der unendlichen Terra incognita,
alles Übersinnliche, was da sind Astrologie, Hypnose, Spiritismus, Telepathie usw.
- Darstellung und Erklärungsversuche wissenschaftlich und gut verständlich."103
Über das Okkulte und Geschichtliche hinaus war der strenggläubige Leh
rersohn auch an religiösen Fragen interessiert - insbesondere an der Frage,
wodurch sich das Christentum zukünftig ersatzen lassen könnte. Gemäß
Himmler waren die germanischen Religionsquellen durch das Christentum
verschüttet worden. Es galt daher diese aus alten Sagen „wie durch einen
Brunnenschacht wieder ans Licht zu heben“.104 Mangels germanischer Quel
len befaßte er sich daher auch mit den indoarischen Überlieferungen, die in
einem späteren Kapitel nähere Betrachtung erfahren.
„Ich bin überzeugt von der Weltanschauung, daß letzten Endes in der Welt nur
das gute Blut, auf die Dauer gesehen, die beste Leistung hervorbringt. Danach muß
te es richtig sein, daß wirklich nur das gute Blut nach unserer Kenntnis der Ge
schichte als das führende, schöpferische und jeden Staat, vor allem jede soldatische
Betätigung tragende Blut anzusehen ist, und zwar das nordische Blut. Ich sagte
mir: Wenn es mir glückt, in einer Organisation möglichst viele Menschen, die zu
einem namhaften Teil Träger dieses erwünschten Blutes sind, aus dem deutschen
Volke zu erfassen und unter soldatischen Gehorsam zu bringen, sie allmählich mit
dieser Erkenntnis vom Wert des Blutes und von der ganzen Weltanschauung, die
daraus entspringt, zu erfüllen, dann müßte es möglich sein, tatsächlich eine Ausle
seorganisation zu schaffen, die jeder Belastung standhält."105
44
Mit diesen Worten umschreibt Heinrich Himmler seine Vorstellung von
der SS. Die am 4. April 1925 zum persönlichen Schutz Adolf Hitlers begrün
dete Schutzstaffel der NSDAP (SS) unterstand seit 1926 der Sturmabteilung
(SA) und wurde erst nach dem „Röhm-Putsch" 1934 zu einer eigenständigen
paramilitärischen Organisation der NSDAP, die zugleich den parteiinternen
„Polizeidienst" ausübte.
Um in die SS eintreten zu können, mußte der Bewerber bestimmte rasse
biologische und weltanschauliche Kriterien erfüllen und auch Ehefrauen der
SS-Mitglieder wurden hinsichtlich ihrer „Rassenreinheit und Erbgesundheit"
überprüft.106 Während die Beibringung des großen Ariernachweises - eines bis
1800 zu dokumentierenden Nachweises, daß sich keine jüdischen Vorfahren
in der Ahnenreihe befanden - bei der NSDAP und ihren Unterorgansistionen
relativ lax gehandhabet wurde, mußte der SS-Anwärter diesen Nachweis bis
1750 in jedem Fall führen107 und selbst Himmler erbrachte diesen Nachweis!
Unter dem Einfluß Himmlers wandelte sich die ursprüngliche Schutzstaffel
zu einem „Führungsorden" der nationalsozialistischen Weltanschauung, bei
deren Aufbau sich der Reichsführer vom Jesuitenorden, mittelalterlichen Rit
terorden und der Sagenwelt König Arthus gleichermaßen inspirieren ließ.
1935 kam es zur Umbennung der bisherigen Verwaltungseinheiten der
SS in Allgemeine SS. Dadurch sollte sich der eigentliche SS-Orden von den
bewaffneten Verbänden, der SS-Verfügungstruppe und den SS-Totenkopf-
verbänden, abgrenzen, die später die Waffen-SS bildeten. Diese Allgemeine
SS, nun auch Heimat- oder Schwarze-SS genannt, unterstand nun dem neu
en Kommandoamt der Allgemeinen SS in Berlin.
Damit kam es zur klassischen Dreiteilung der SS, die informell bis 1945
Bestand hatte: 1. Allgemeine SS - 2. SS-Totenkopfstandarten - 3. SS-Verfü
gungstruppe.
Die SS umfaßte 1939/40 folgende Hauptämter und deren Unterabteilungen:
- Das Führungshauptamt (FHA) war die betriebliche Stabsstelle (Hauptquar
tier) der SS. Es leitete und verwaltete die Offiziers-Schulen, medizinische
Versorgung, Transportvorgänge, Lohnzahlungen und Ausrüstungen.
- Das Rasse- und Siedlungshauptamt (RuSHA) hatte die Aufgabe, eine
„rassisch wertvolle" Führungselite herauszubilden.
- Das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) entstand aus der Zusammenle
gung von SD und SiPo und war die zentrale Stelle zur Ausübung der
polizeilichen Funktionen der SS.
- Das SD-Amt Reinhard Heydrichs diente als Geheimdienst zur Bekämp
fung äußerer wie innerer Gegner und zur „Bespitzelung" der Bevölke
rung.
45
- Die Sicherheitspolizei (Sipo) war für die Kriminal- und die Geheime Staats
polizei (Gestapo) zuständig.
- Militärischer Zweig der SS war die aus Verfügungstruppen und Totenkopf-
verbänden gebildete Waffen-SS
- Das Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt (WVHA) steuerte die Kon
zentrationslager und deren Konstruktion und verwaltete die SS-eigenen
Industrien, Gewerbe- und Landwirtschaftsbetriebe.108
Das Ausmaß dieser wirtschaftlichen SS-Unternehmungen gehört dabei zu
den unbekanntesten Vorgängen in Zusamenhang mit der SS, vor allem da
während des Krieges „nie darüber gesprochen wurde", wie Himmler in einer
Rede 1940 bemerkte.109
Gegen Ende des Krieges (1944/45) zählte die SS formal über 840.000 Mit
glieder, zu denen neben dem „SS-Führerkorps" (d. h. Führungsschicht in
den SS-Hauptämtern und die Offiziere sowie die Unteroffiziere der Waffen-
SS) auch Polizeioffiziere gehörten, sobald ihr Dienstgrad einem SS-Rang
entsprach. Die Zugehörigkeit der Offiziere von Waffen-SS und Polizei zur
SS wurde von Amts wegen begründet; für die Mannschaften der Waffen-SS
und Polizei war eine Übernahme in die SS erst für die Zeit nach Ende des
Krieges vorgesehen.
In der Zeit nach dem Kriegsende wurde das Wort vom „Staat im Staate"
für die SS geprägt, was die Überhöhung der SS als monolithischem, von ei
nem gemeinsamen Willen geprägten „Orden des Bösen" implizierte. Durch
die Arbeiten Gerald Reitlingers und insbesondere Heinz Hohnes erfolgte die
Entdämonisierung und Verdeut
lichung des heterogenen Charak
ters der SS, „freilich nicht ohne den
verbrecherischen Charakter der SS als
ganzes in Frage zu stellen", wie Jan
Schulte es formuliert.110
Weltanschaulich wirkte neben
Himmler selbst vor allem das seit
1931 von Richard Walther Darre
geleitete „Rasse- und Siedlungs
hauptamt" (RuSHA), das ne
ben dem SS-Hauptamt und dem
Hauptamt SD eines der drei ältes
ten SS-Hauptämter war. Das „Ras
seamt der SS" wurde bereits Ende
SS-Stabswache in Berlin
108 Nach Schulte (2009).
109 Vgl. Georg (1963), S. 10; siehe hier auch zur Geschichte der SS-Wirtschaft.
110 Vgl. hierzu Schulte (2009), S. XIV.
46
Dezember 1931 gegründet und war zuständig
für Rassenuntersuchungen und Ehegenehmi
gungen für Angehörige der SS. Später wurde
es als „Rasse- und Siedlungsamt" bezeichnet
und ab Januar 1935 als SS-Hauptamt geführt.
Im Zusammenhang mit der Bildung des
Reichskommisariats für die Festigung deut
schen Volkstums und der Ausarbeitung des
„Generalplans Ost" übernahm es Aufgaben
der Rassenselektion der Bevölkerungen der
besetzten Gebiete sowie der Auswahl von
Kandidaten für die geplante Ansiedlung ent
lassener SS-Angehöriger im Osten. Richard Walther Darre -
Für die Durchführung von nichtstaatlichen Erster Leiter des RuSHA
und inofiziellen Angelegenheiten sorgte der
„Persönliche Stab RFSS", der dem SS-Obergruppenführer Karl Wolff un
terstand. Dieser Stab, der sich aus der Adjutantur des RF-SS entwickelte,
war eines der Berliner Hauptämter und für alle Himmlerschen Belange
bestimmt, die nicht in den Bereich eines SS-Hauptamtes fielen, bearbeitet
durch seine Sachbearbeiter den normalen Dienstverkehr, Hier wurde die
Presseabteilung des Reichsführers SS sowie ein umfangreiches Kulturrefe
rat geführt, dem unter anderem auch die SS-Porzellan-Manufaktur in Allach
angeschlossen ist. Ferner unterstanden ihm die privaten Organisationen
„Lebensborn", „Freundeskreis Reichsführer SS", „Ahnenerbe" und „För
dernde Mitglieder der SS", sowie die Wewelsburg.111
Der Persönliche Stab RF-SS war eine Einrichtung, die es Himmler ermög
lichte, eigene Forschungsinteressen an diesem Stab angehörende Mitarbeiter
zu delegieren und zugleich Forscher, deren Arbeit dem Interesse Himmlers
entsprachen, unter dem Schutz und - zumindest eingeschränkter Bezahlung
- arbeiten zu lassen. Die Arbeit dieser von der akademischen Wissenschaft
zumeist ausgegrenzten oder sich selbst von jener bewußt abgrenzenden For
scher trug zu einem nicht unerheblichen Teil zum schlechten Leumund des
Ahnenerbes bei, obgleich dieser nicht deckungsgleich mit jenem war.
Ab dem Jahr 1936 wurde der Persönliche Stab RFSS von einem unterge
ordneten Amt im RuSHA zum Hauptamt erklärt. Mitarbeiter des Ahnen
erbes, das offiziell lediglich als unabhängiger Verein firmierte, inoffiziell
jedoch personell dem RuSHA nahestand, wurden nach zunehmendem Zer
würfnis zwischen dem RuSHA-Leiter Walter Darre und Himmler mehrheit
lich in das neue Hauptamt aufgenommen um ihre Bindung an Himmler zu
festigen, wobei es jedoch auch Ausnahmen von dieser Regel gab.
47
Der Großmufti von Jerusalem bei einem Besuch bosnischer SS-Freiwilliger
Eine der für die vorliegende Untersuchung relevantesten Abteilungen in
nerhalb des Persönlichen Stabes war die Abteilung „Ausgrabungen", neben
der noch eine Reihe weiterer Forscher zwar in der selben Sache, aber diesem
nicht unterstehend tätig waren.
Entsprechend seines eigenen Lebenslaufes, der stark vom Glauben geprägt
war und entgegen der propagandistischen These von der „Gottlosigkeit" der
SS, legte Himmler großen Wert auf die Gläubigkeit seiner SS-Männer. Un
ter dieser Gläubigkeit verstand er allerdings weniger die Zugehörigkeit zu
einer Konfession, als einen grundsätzlichen „Gottglauben". Auf dieser Basis
plante Himmler eine mittelfristige Ersetzung des Christentums durch einen
arteigenen Glauben, auf den an anderer Stelle näher einzugehen sein wird.
Diesbezüglich spielte die Frage auch in der Erziehung des SS-Mannes eine
Rolle. In der SS-Publikation „50 Fragen und Antworten für den SS-Mann"
steht als erste Frage: ,Wie lautet dein Eid?'
Antwort: ,Wir schwören dir, Adolf Hitler, als Führer und Kanzler des Deut
schen Reiches Treue und Tapferkeit. Wir geloben dir und den von dir bestimmten
Vorgesetzten Gehorsam bis in den Tod. So wahr uns Gott helfe!'
Zweite Frage: ,Also glaubst Du an einen Gott?'
Antwort: ,Ja, ich glaube an einen Herrgott.'
Dritte Frage: ,Was hältst Du von einem Menschen, der an keinen Gott glaubt?'
Antwort: ,lch halte ihn für überheblich, größenwahnsinnig und dumm; er ist
nicht für uns geeignet.'
Himmler selbst führte dazu aus:
„Ich habe Ihnen diese drei Fragen und Antworten mitgeteilt, um damit eindeutig
unsere Stellung zur Religion darzutun. Seien Sie überzeugt, wir wären nicht fähig,
dieses zusammengeschworene Korps zu sein, wenn wir nicht die Überzeugung und
48
den Glauben an einen Herrgott hätten, der über uns steht, der uns und unser Vater
land, unser Volk und diese Erde geschaffen und uns unseren Führer geschickt hat.
Wir sind heilig davon überzeugt, daß wir nach den ewigen Gesetzen dieser Welt
für jede Tat, für jedes Wort und für jeden Gedanken einzustehen haben, daß alles,
was unser Geist ersinnt, was unsere Zunge spricht und was unsere Hand vollführt,
mit dem Geschehen nicht abgetan ist, sondern Ursache ist, die ihre Wirkung haben
wird, die im unentwegten, unentrinnbaren Kreislauf zum Segen oder Unsegen auf
uns selbst und auf unser Volk zurückfällt. Glauben Sie, Menschen mit dieser Über
zeugung sind alles andere als Atheisten. Wir verbitten uns aber, deswegen, weil
wir uns als Gemeinschaft nicht für diese oder jene Konfession, nicht für irgendein
Dogmafestlegen, oderauch nur von irgendeinem unserer Männer dieses verlangen,
unter Mißbrauch des Wortes Heide als Atheisten verschrien zu werden."112
Und er beschließt diese Ausführungen mit den folgenden Worten:
„So sind wir angetreten und marschieren nach unabänderlichen Gesetzen als
ein nationalsozialistischer, soldatischer Orden nordisch bestimmter Männer und
als eine geschworene Gemeinschaft ihrer Sippen den Weg in eine ferne Zukunft."113
Bestandteil dieser Zukunft war zugleich eine Neuordnung der politi
schen Landkarte Europas. Neben der geplanten Errichtung eines eigenen
SS-Staates „Burgund" erwuchs innerhalb der SS im Zuge ihrer „Europäisie
rung" durch Rekrutierung verschiedener Nationalitäten für die Waffen-SS,
der Plan eines zentralregierten, aber regional verwalteten Europas das sich
zwischen Atlantik und Ural erstrecken sollte. Mit der Idee nach Volks- und
Stammeszugehörigkeit untergliederten Regionen, deren Verbundenheit
sich aus der gemeinsamen germanischen Abstammung gespeist hätte, ent
warf die SS somit einen Gegenentwurf zum heute existenten Europa der
Bürokraten, in dem Wirtschaftsinteressen vorherrschen. „Das ganze Natio
nalitätenproblem, das", wie Miguel Serrano resümiert, „von dem in den Westen
eingeschleusten Kommunismus zur Erreichung seiner Ziele hochgespielt wird, wäre
dann beseitigt als Ergebnis einer organischen, lebenswichtigen, nicht nur vernunft
bezogenen Sinngebung. Die großen künstlichen Menschenzusammenballungen,
welche die Völker gegenwärtig bilden, würde gegenüber freiwilligen Verbindungen
der blutsverwandten Vaterländer' in den Hintergrund treten."114
Wenn sich dieser Gedanke auch erst im Laufe des Krieges manifestierte
und auch dem zunehmend negativen Kriegsverlauf Tribut zollte, so handel
te es sich bei diesem Gedanken eines germanischen Europas gleichberech
tigter Stämme um eine Vision, deren Umsetzung durchaus möglich gewe
sen wäre und deren Anvisierung vor allem die europäischen SS-Freiwilligen
beflügelte.
49
2. Wewelsburg & Erberinnerung - die SS-Burg und der
mysteriöse Oberst Wiligut/Weisthor
50
Spekulationen: „In Himmlers Gralsburg saßen die Auserwählten rund um des
Reichsführers eichenhölzerne Tafel, jeder in einem schweinsledernen Ohrensessel mit
einem silbernen Plättchen, das den Namen des jeweiligen SS-Ritters preisgab",118 Wie
Daniela Siepe bemerkte, befanden sich im Obergruppenführersaal allerdings
nie schweinsledernde Ohrensessel - diese waren vielmehr Bestandteil eines
Nebenraumes im Ostflügel, der tatsächlich in etwa die Maße von 35 Meter
x 15 Meter aufwies und von Höhne mit dem Saal im Nordturm verwechselt
worden sein dürfte.119
„Jeder der Auserwählten besaß ein eigenes Gemach in der Burg, das jeweils in ei
nem bestimmten historischen Stil eingerichtet und einer historischen Persönlichkeit
gewidmet war. "12° Daß diese tatsächlich existenten Gemächer jeweils einem
SS-Oberen gewidmet waren, ist dabei ebenfalls eine Interpretation Hohnes,
denn offiziell fungierten die Räume lediglich als Studienzimmer ohne einer
bestimmten Person zugeordnet zu sein. Vielmehr sollten die SS-Führer von
Tagung zu Tagung - mit Ausnahme Karl Wolffs - die Räume wechseln, bis
sie zu Lehr- und Studienzwecken mit allen Gestalten, die als Namenpatrone
der Räume dienten, vertraut gewesen wären.121
Als Namensgeber dienten „Heinrich I.", „Friedrich II.", „Friedrich Bar
barossa", „Widukind", „Heinrich der Löwe", „König Arthus", „Der heili
ge Gral", „Arier", „Deutscher Orden", „Fridericus" und sogar „Christoph
Kolumbus", dessen Frequentierung in Kreisen der SS überraschen mag.122
Neben thematischer Literatur sollen sich auch entsprechende Requisiten in
51
den jeweiligen Zimmern befunden haben. Gemäß der fragwürdigen Über
lieferung Ravenscrofts hätte sich in Himmlers Raum eine Kopie der heiligen
Lanze befunden, die 1935 angefertigt worden sei als „Himmler auf Hein
rich I. stieß", wie Helzel bemerkt, der die Geschichte trotz der mangelhaften
Quelle für glaubwürdig hält.123 Allerdings zitiert Helzel als weiteren Quel
lenbeleg auch den Autoren Frischauer, der sich bei seiner Wewelsburgschil-
derung auf Zeugenaussagen beruft.
Ebenso spekulativ ist die Annahme, Himmler habe die Zahl seiner hier
empfangenen Gruppenführer zukünftig tatsächlich auf 12 begrenzt wissen
wollen, wie es die Legende besagt: „Geschichtsromantiker Himmler wußte aus
seinen Sagenbüchern, daß der Keltenkönig Artus (500 nach Christus) die zwölf tap
fersten und edelsten Ritter um eine runde Tafel versammelt und mit ihnen zusammen
Glaube und Freiheit der Kelten gegen die eindringenden Angelsachsen verteidigt hat
te. Hier konnte man auch für die SS lernen. Die König-Artus-Sage muß den SS-Chef
beeindruckt haben, denn er duldete an seiner Tafel stets nur zwölf Gäste. Und wie
einst Artus die tapfersten Zwölf ausgewählt hatte, so bestimmte nun König Heinrich
die zwölf besten Obergruppenführer zu oberen Hierarchien seines Ordens.124
Tatsächlich sind nur wenige Zusammenkünfte durch Quellen belegt: Die
bekannteste vom 11. bis 15. Juni 1941, als Himmler im Vorfeld des Unterneh
mens Barbarossa - das in den Planungen von Hitlers Generalstabschef Franz
Halder 1940 noch „Plan Otto" hieß125 - zu einer SS-Gruppenführertagung
auf die Wewelsburg einlud. Bei der Tagung habe er den Zweck des Angriffs
auf die Sowjetunion, nämlich „die Dezimierung der Bevölkerung der slawi
schen Nachbarländer um 30 Millionen" verkündet - so zumindest ein Groß
teil der Autoren, die hier einer Aussage des SS-Führers Erich von dem Bach
(Zelewsky) vor dem Siegertribunal der Alliierten in Nürnberg folgen.126
123 Dabei spricht Helzel selbst von einem „über weite Strecken, was Hitlers Okkultismus
angeht, unglaubwürdigen Buch", S. 128 (Anm. 51); vgl. Ravenscroft (1996), S. 310 ff.;
Hüser (1982), S. 33, spricht Franzius und Jordan die Ausstattung der Zimmer, darunter
einen Globus für das Kolumbus-, und einen Bergkristall für das Gralzimmer zu.
124 So Höhne (1981) S 141 f.
125 Helzel (2008) vermutet nachvollziehbar in Anspielung auf Otto I., S.36
126 Helzel (2008), S. 29; dagegen verweist Schulte (2009), S. 15, darauf daß die Aus
sage nicht nachweisbar sei. Karl Wolff hat diese Aussage sowohl gegenüber Frischauer
(1953) als auch Hüser bestritten, und sprach von „Millionen von Toten als Folge"
nicht aber Ziel des Kriegs; Hüser (1982), S. 3; Jedenfalls steht dieses Ziel auch im
Gegensatz zum vielzitierten „Generalplan Ost" Himmlers, der die Umsiedlung eben
jener Zahl von Menschen vorsah (Fassung von Mai 1942 bzw. „Generalsiedlungs
plan von September 1942 - siehe u.a. Wikipedia: Generalplan Ost) - zur Einstellung
Himmlers gegenüber den Ostvölkem siehe auch Höhne (1981), S. 47, der Kersten
mit den Worten zitiert: „Im Grunde seines Wesens hätte Himmler die Völker des
52
Ölgemälde der Burg von Robert Kämmerer-Rohrig, 1940
Insgesamt ist die Quellenlage trotz zahlreicher Publikationen über die
Burg relativ dürftig. Dies liegt vor allem daran, daß Himmler ein Verbot
erließ, über die Wewelsburg zu berichten.
Doch welche Rolle spielte die Burg - war sie Schulungszentrum, SS-Kult-
stätte oder Zentrum des neuen Reiches? Himmler selbst sprach lediglich da
von, „die Wewelsburg ... als Reichsführerschule der SS auszubauen".117
Gesichert scheint daher nur die Anfangszeit der Nutzung: Mithilfe eines
Kommandos des freiwilligen Arbeitsdienstes und eines Stabes von SS-Exper
ten wurden sowohl die Inneneinrichtung als auch Teile der Außengestaltung
der Burg verändert. Über dem Speisesaal im Südflügel des Festungsdreiecks
wurden die Privatgemächer des Reichsführers eingerichtet, zu denen auch
ein Saal für seine umfangreiche Waffensammlung und ein weiterer für eine
Bibliothek gehörten. Im Südflügel wurde ein Museum eingerichtet, für das
SS-Obersturmführer Wilhelm Jordan prähistorische und geologisch-paläon
tologische Exponate zusammenstellte. Derweil arbeitete der Sippenforscher
Rudi Bergmann an der Erstellung verschiedener Ahnentafeln für SS-Offiziere,
darunter auch Himmlers Stammbaum, und Obersturmführer Dr. Bernhard
Frank an einer Arbeit über die Flurnamen der Umgebung Wewelsburgs.127 128
Ostens lieber erzogen als ausgerottet"; vgl. dazu auch Longerich (2010), S. 273, der
Himmler folgend zitiert: „Jedes gute Blut... das sie irgendwo im Osten treffen, kön
nen sie entweder gewinnen oder sie müssen es totschlagen". Longerich folgert daraus,
daß Himmler die größte Gefahr nicht mehr von einem „asiatisch-bolschewistischen
Block unter jüdischer Führung" ausgehend sah, sondern von asiatischen Horden un
ter arisch-germanischer Führungsschicht. Seit 1942 - so Longerich - „traten [daher]
die Juden als Hauptgegner immer mehr zurück".
127 Vgl. Moors (2009), S. 170.
128 Vgl. Rüssel (2010), S. 7.
129 Hüser (1982) S. 32 f, hatte behauptet, an dem Museum konnten sich nur „Himmler
53
Himmler und Karl Wolff im Almetal - rechts: Der Innenhof der Burg heute
den ein Sitzungssaal und ein Gerichtssaal für das oberste SS-Gericht, das sich
im gleichen Trakt wie die Gästezimmer befand.
Nachdem Himmler Manfred von Knobelsdorff zum Burghauptmann er
nannt, ein Berichterstattungsverbot für die Presse und ein Besuchsverbot
verhängt hatte, wurde der Aufbau der SS-Schule in Angriff genommen. Für
diesen Zweck wurden bereits zwei Schulungsleiter, Karl Lasch und Wal
ter Franzius, ernannt.130 Ein umfangreicher Lehrbetrieb war von Beginn an
nicht vorgesehen, wie Schulte unter Verweis auf die auf einen kleinen Kreis
von Besuchern zugeschnittenen Umbaumaßnahmen an der Burg bemerkt.131
Auch eine reichhaltige Bibliothek, die 1938 fast 16.000 Bände umfassen soll
te, geleitet von Dr. Hans Peter des Coudres, befand sich im Aufbau und
sollte der weltanschaulichen Bildung der SS-Führer dienen.132
Im Februar 1935 wurden die zunächst dem RuSHA Darres zugeordne
ten Mitglieder der Burgmannschaft mitsamt der nun als „SS-Schule Haus
Wewelsburg" firmierenden Burg in den Persönlichen Stab Himmlers über
stellt.133 Mit der Entlassung von Knobelsdorfs, dem Schwager Darres, 1938,
war der Bruch zwischen diesem und Himmler nun auch auf der Wewels
burg vollzogen - wenige Monate später wurde Darre - auf eigene Initiative
- als Leiter des RuSHA entlassen.134
selbst und eigens geladene Gäste erfreuen“; Rüssel (2010), S. 124 f. weist dagegen an
hand von Tätigkeitsberichten Jordans nach, daß auch andere Gästegruppen wie BDM-
und Verwundetengruppen ebenso wie Fachwissenschaftler das Museum besichtigten.
130 Vgl. Frank (2007), S. 18; siehe auch Rüssel (2010), S. 9
131 Schulte (2009), S. 7, demnach standen maximal 50 Betten zur Verfügung.
132 Vgl. Frank (2007), S. 20
133 Goodrick-Clarke (2004), S. 162
134 Vgl. Schulte (2009), S. 8; siehe auch Moors, S. 175, der als offizielle Gründe der
Entlassung „arrogante Ungeschicklichkeiten im Umgang mit der Dorfbevölkerung
und disziplinarische Mißstände bei den Untergebenen“ anführt; diese kann aller
54
Der „Obergruppenführersaal" mit Bodenornament (links) - Die Gruft (rechts)
55
Damit sollte die Forschung der Wewelsburg künftig als Teil der expandie
renden SS-Wissenschaftsorganisation Ahnenerbe fungieren. Im Rahmen der
Zusammenarbeit kam es auch zu Forschungsaufträgen an die Wissenschaftler
der Wewelsburg, so etwa an Wilhelm Jordan „bestimmte Ausgrabungen" an
den Externsteinen durchzuführen.137
Nachdem der bislang für die Arbeiten zuständige RAD zum Ausbau des
Westwalls abgezogen wurde, erfolgte 1939 die Einrichtung eines Arbeitsla
gers „Niedernhagen" um die - nun zunehmenden - Arbeiten durch Häftlin
ge ausführen zu lassen.138
Helzel vermutet dahinter, die Erkenntnis der SS-Ideologen, „was sich mit
einer chronologisch nicht genau fixierbaren sächsischen Wallburg anfangen läßt";
nämlich, „ die Umwandlung in eine Heinrichsburg. "139 In diesem Zusammenhang
sieht Helzel auch die parallel zur Heinrichsfeier 1936 erfolgte Gründung der
„Gesellschaft zur Förderung und Pflege Deutscher Kulturdenkmäler e.V."
in München, deren Hauptzweck Erhaltung und Ausbau der Wewelsburg
war: „Aus der Wewelsburg soll in der Himmlerschen Vision der Mittelpunkt ei
nes „Großgermanischen Imperiums" werden, für dessen Ausbau der Chef-Archi
tekt Hermann Bartels bis 1964 die Summe von 250 Mio. RM veranschlagt. .. Dort
möchte er nach dem Krieg als,Reichsverweser' residieren."140 Tatsächlich blieb es
bei 13 Mio Reichsmark die bis Kriegsende investiert wurden.
Dabei übersehen die Autoren, allen voran Helzel, zumeist den Grundgedan
ken der „Schulung" in Himmlers Augen - die Beibehaltung des Namens „SS-
Schule Haus Wewelsburg" weist darauf hin, daß der Schulungsgedanke kei
neswegs „fallen gelassen wurde",141 sondern lediglich anders zu verstehen ist.
Es sollten eben keine klassischen Schulungen in Hörsälen und Seminaren, etwa
für den SS-Nachwuchs, stattfinden, sondern es spricht alles dafür, daß damit
die persönliche weltanschauliche Schulung, also die geistige Reifung des SS-Of-
fiziers ins Auge gefaßt war, für welche die Burg eine geeignete Kulisse bot. Fol
gerichtig stand am Abschluß dieser geistigen Schulung die „quasiliturgische"
Aufnahme in den Kreis der SS-Gruppenführer, die einmal jährlich ausschließ
lich auf der Wewelsburg stattfinden sollte.142 Auch die Absetzung Knobelsdorffs
hat nichts mit den neuen Plänen zu tim. Erstens erfolgt sie lange nach den ers-
137 Vgl. dazu Rüssel (2010), S. 94; unklar bleibt allerdings welche „bestimmte Ex-
ternstein-Grabung" gemeint war, da diese in der Vita Jordans nicht auftaucht. Siehe
auch Frank (2007), S. 38 f.
138 Rüssel (2010), S. 9; vgl. auch Schulte (2009), S. 7.
139 Helzel (2008), S. 28.
140 So Helzel (2008), ebenda.
141 So exemplarisch Helzel (2008), S. 27.
142 Schulte (2009), S. 9; vgl. dazu auch Serrano (2010), S. 7, der der Wewelsburg
eine wichtige Rolle bei der „Initialisierung" der SS-Krieger einräumte.
56
ten Schritten auf dem Weg zur
Ordensburg und zweitens
bestand ein enges Verhältnis
zwischen Wiligut und dem
Burghauptmann, der beein
flußt durch den alten Oberst
seine Briefe in „irministischer
Treue" abschloß - als Zeichen
für sein Interesse an der alten
Religion, wie sie von Weis
thor gepredigt wurde, der ja
wichtiger Berater bezüglich Himmler und Gefolge bei einem Besuch der bedeu
der Neugestaltung der Burg tendsten Grabung Jordans: Der Freilegung eines
war.143 germanischen Hauses bei Böddeken, 1937.
„Es ist mein Ziel", so er
klärte Himmler 1937, „daß möglichst im Bereich jeder Standarte ein solcher kul
tureller Mittelpunkt deutscher Größe und deutscher Vergangenheit gezeigt werden
kann, daß er wieder in Ordnung gebracht und in einen Zustand versetzt wird, der
eines Kulturvolkes würdig ist."144
Doch für die Wewelsburg hatte Himmler noch weitergehende Pläne -
nicht nur geistiges Zentrum und Treffpunkt des „Neuadels der SS", sondern
zugleich „Zentrum des neuen Reiches" sollte die Wewelsburg werden - mit
dem Nordturm als symbolischem „Mittelpunkt der Welt". Der Architekt,
Hermann Bartels, erinnerte sich in einem nach dem Krieg verfaßten Brief
folgendermaßen an die Planungen: „Aus einem anfänglich kleinen Planungs
gedanken mit einem Kostenaufwand von etwa 300.000 RM wurde nach jähren
ein umfangreiches kühnes Projekt mit Forschungsinstituten der Vor- und Früh
geschichte, der Astronomie mit Sternwarte, Bibliotheken und sonstigen kulturellen
und wissenschaftlichen Gebieten von vielen Millionen Mark."145
Unbestritten hätte der gigantische Komplex auch an an eine Lanze erin
nert - mit der Burg selbst als Lanzenspitze. „Ein weltanschuliches Zentrum
in baulicher Ausgestaltung der Longinus-Lanze" in deren Mitte sich symbo
lisch die Kraft des neuen Adels ergießen sollte.
Die zu den Reichsinsignien zählende sogenannte heilige Lanze, Mauriti
us-Lanze oder der Longinus-Speer soll Himmler genau wie seinen Namen
patron Heinrich I. fasziniert haben. Letzterer hatte für ihren Erwerb vom
König von Burgund sogar einen Teil seines Reichsgebietes hergegeben.146
57
Gemäß dem bekannten Mittelalterhistoriker Helmut Beumann, habe dessen
Vater Otto I. die Lanze in einer Schlacht gegen die Ungarn dem Heer vorantra
gen lassen, weil sie am Gedenktag des Longinus, am 15. März 933, stattfand.
Bei der entscheidenden Schlacht gegen die Ungarn auf dem Lechfeld von 955
soll Otto die Lanze dagegen selbst in den Kampf geführt haben.
In der Lanze lebte also - so Helzel - „die Tradition des Kampfes gegen die „asi
atischen Horden" am sinnfälligsten fort." Weiter folgert Helzel: „Ihr Symbolgehalt
fand bis in die endgültigen Ausbauplanungen des Äußeren der Wewelsburganlage
von 1944 Ausdruck. Der dreieckige Burgkern war jetzt der äußerste Punkt einer
Speerspitze, die sich gleichschenklig über einige hundert Meter erstreckte und die bis
in die als Schaft gedachte schnurgerade Zufahrtsstraße kilometerweit architektonisch
ausgestaltet werden sollte."147
148
58
Pläne zum Ausbau der Wewelsburg: Links oben Entwurf 1941, der deutlich eine
an die „Heilige Lanze" erinnernde Speerspitze zeigt, darunter Entwurf 1943 mit
„germanischer" Lanzenspitze. Oben: Modell des Entwurfs von 1943.
59
sollen. Die Entlüftung durch vier faustgroße Löcher in der Kellerdecke, die
ein stilisiertes Hakenkreuz schmückte, war so konstruiert, daß sich während
der Verbrennungszeremonie der Rauch wie eine Säule im Raum hielt.150 Indes
ist auch diese Version der Phantasie Hohnes entsprungen. Dennoch geht die
Mehrzahl der Forscher heute davon aus, daß in der Vertiefung in der Mitte
des Raumes eine Schale mit einer „ewigen Flamme" installiert werden sollte.
Dagegen spricht jedoch, daß die „Entlüftungslöcher" in der Decke im
Nichts enden. Einen weiteren Widerspruch ruft die Akustik hervor, die ge
nau über der Vertiefung erzeugt wird. Die flüsternde Stimme einer dort ste
hende Person kann in allen Ecken der Gruft deutlich wahrgenommen wer
den. Für die Person selbst vervielfacht sich die eigene Stimme und gerät in
Schwingungen, die ein leichtes Vibrieren erzeugen. Wenn die Akustik kein
Produkt des Zufalls ist - was eigentlich ausgeschlossen werden kann - dann
müßte auch der Zweck der Vertiefung damit in Zusammenhang stehen.
Doch was sollte dort installiert werden, wo sich heute nur noch eine Rotun
de findet, die auf eine Entfernung eines vordem existierenden Gegenstandes
hinweist ? Bevor wir in einem späteren Kapitel darauf zurückkommen, sol
len die unumstrittenen Funktionen Erwähnung finden.
Der Raum selbst, oft als das „Allerheiligste des Ordens", seine „Kultstät
te", oder „das Reich der Toten" bezeichnet, erinnert architektonisch an grie
chische Kuppelgräber. Unzweifelhaft weisen Form, Akustik und Lichtfüh
rung allesamt auf einen solchen Ort der „Totenehrung".151
Tatsächlich dürfte die Gruft, in dem die Asche gefallener SS-Führer auf
bewahrt werden sollte, als heiliger Kultraum gedeutet werden. Einem Brief
Jordans zufolge, sollte auch Himmler hier seine letzte Ruhestätte finden.152
Hier im Nordturm, mit dem Hakenkreuz an der Decke der Gruft und
dem im Raum darüber liegenden Sonnenrad („Schwarze Sonne")153 lag nach
Plänen des Architekten Bartels der Endpunkt der zentralen Achse des neuen
Wewelsburg-Komplexes. Doch zur Ausführung der bis 1943 konzipierten
Pläne kam es kriegsbedingt nicht mehr: Im April 1943 wurden die Bauar
beiten eingestellt, obgleich die Planungen noch weiter fortschritten.154 Am
30. März sprengte ein von Himmler beauftragtes Kommando unter Heinz
Macher die Burg, die jedoch nur leicht beschädigt wurde. Nach Abzug der
SS nahmen Dorfbewohner zahlreiche vorhandene Artfakte aus der Wewels
burg an sich - was noch übrig war, wurde von den einrückenden US-Trup-
pen als Souvenir mitgenommen.
60
Im Zusammenhang mit dem Ausbau der Wewelsburg fällt der Blick er
neut auf Wiligut, der den Reichsführer regelmäßig bei Besuchen der Burg
begleitete.
Dieser hatte nämlich nicht nur den SS-Totenkopfring im Auftrag Himm-
lers entworfen und mit Runen geschmückt, deren Bedeutung er sorgfältig
erörterte,155 sondern ebenso könnte Himmlers Berater auch verantwortlich für
das Sonnenrad im Gruppenführersaal, die heute sogenannte „Schwarze Sonne"
zeichnen.
Umstritten ist bislang allerdings der Grund, der zur Auswahl der Wewels
burg als Schulungszentrum führte. Am 3. November 1933 sah Himmler die
Wewelsburg zum ersten Mal - in seinem Gefolge: Architekt Hermann Bartels
und das Ehepaar Oeynhausen.156 Am Anfang desselben Jahres befand er sich
mit Hitler auf Wahlkampftour im Lipper Land, unweit der Wewelsburg. Als
Herberge diente damals die Grevenburg, die sich im Besitz der Familie Adolf
und Jutta von Oeynhausen befand. Hier, im Burgidyll, fand die Gesellschaft
seilschaft Ruhe von den Strapazen des Wahlkampfes, die auch Himmler für
sich und seine Gruppenführer gewünscht haben mochte.157
Sowohl die Athmosphäre der dortigen Burg, als auch der Mythos
des umliegenden ostwestfälischen Landstrichs mit seinen „wichtigen
Kristillisationspunkten"158 dürfte Himmler bewogen haben, hier seine geplan
te SS-Führerschule zu suchen. Ähnlich formuliert es auch der Völkische Beob
achter vom 26.9.1934: „Mit dem heutigen Tage ist die alte trutzige Teste Wewels
burg, an historischer Stätte im alten Sachsenlande gelegen, von der SS der NSDAP in
ihre Obhut genommen worden.... Hier an dieser Stätte im alten Reich der Sachsen hat
Widukind dem Frankenkaiser getrotzt - vielleicht sind hier vor fast 2000 Jahren auch
die germanischen Freiheitshelden gegen Roms Machtgelüste zu Felde gezogen ... Nur
wenige Kilometer weit liegen die sagenumwobenden Extemsteine mit der Irminsul
und von Ferne mahnt die Gestalt Hermanns des Befreiers von der Grotenburg."
Auch der Leiter des RSHA Darre dürfte den Standort in Westfalen aus
weislich seiner Schrift „Neuadel aus Blut und Boden" (1930) begrüßt haben:
„Hier und da in Westfalen" habe, so Darre in dieser Schrift, ein „Stamm kleinerer
und mittlerer freier Gutsbesitzer und Bauern" überlebt, der typisch für das Ger
manentum sei, das anderenorts mit dem 10. Jahrhundert mehr oder weniger
flächendeckend untergegangen ist.159
61
Himmler an der Wewelsburg - im Bild Rechts: Wiligut-Weisthor,
Schöpfer des SS-Totenkopfringes ? (links)
Bevor die Wahl auf die Wewelsburg fiel, war im Juli 1933 ein anderes Ob
jekt im Fokus Himmlers: Die Schwalenburg im lippischen Städtchen Schwa
lenberg.160 Ehe es jedoch zur Vertragsunterschrift kam, wurde die Mietverein
barung von Seiten der SS aufgrund vorgeblicher unhaltbarer Bedingungen
der Hausherrin Gräfin Marie zur Lippe-Biesterfeld rückgängig gemacht.161
Offiziell sei Himmlers Interesse vom Ehepaar Oeynhausen und Architekt
Bartels von der Schwalenburg weg und von „von einflußreichen Vertretern
der ländlichen Führungsschicht des Kreises Büren" auf die Wewelsburg hin ge
lenkt worden.162 Ausgrabungsbefunden von 1924 war zu entnehmen, daß
die Wewelsburg offenbar anfänglich als sächsische Wallburg angelegt war
und „in die Zeit der Abwehr kämpfe König Heinrichs I. um 930 gegen die
Ungarn oder ,Hunnen'" fiel.163 Somit soll also die Verehrung Heinrichs das
zentrale Motiv Himmlers gewesen sein, die Wewelsburg zu erwählen.
Ähnlich spekuliert auch Bernhard Frank: „Wer dieses Land sieht, der sieht
hinein in ein Kernland deutscher Geschichte. So ähnlich mag es auch Himmler er
gangen sein, als er dieses germanische Kernland... bereiste, wo er nach langer Suche
160 So berichtete die Süddeutsche Sonntagspost am 23. Juli 1933 von einer Pach
tung der Schwalenburg auf 99 Jahre um dort eine „Rasseschule der SS „ einzurich
ten; siehe Moors (2009), S. 167.
161 Vgl. Moors (2009), S. 167, der den Grund der Weigerung des Aufziehens der
Hakenkreuzfahne als vorgeschoben bezeichnet.
162 Vgl. Moors (2009), S. 168, der die Ernennung Adolf von Oeynhausens, der zuvor die
Schwalenburg empfohlen hatte, zum Regierungspräsidenten von Minden zum 1. April
1933 als Grund annimmt (Minden lag im gleichen Regierungsbezirk wie Wewelsburg).
163 Helzel (2008), S.27f.
62
sein Monsalvatsch, die Gralsburg seiner Träume gefunden hatte. Ob sich Himmler
bei seiner Suche nach der Gralsburg dessen bewußt war...? Das glaube ich bei sei
nem hohen Interesse für geschichtliche Vorgänge annehmen zu müssen. ... Lange
hatte er in der Diözese Paderborn gesucht, die Burgen und Schlösser des Landes
besichtigt, um sich schließlich für die Wewelsburg zu entscheiden."164
Das Paderborner Land als „Kernland deutscher Geschichte" als alleini
ger Grund hier die SS-Burg anzusiedeln? Dies dürfte angesichts zahlreicher
anderer, ebenfalls geschichtsträchtiger Orte in Deutschland etwas mager
ausfallen. Denn für die Wahl dieses Gebietes und speziell der Wewelsburg
spricht auch eine andere Begebenheit:
„Ich habe es gefunden Herr Reichsführer - hier ist die Prophezeiung der großen
Entscheidungsschlacht“, mit diesen eingangs zitierten Worten richtete ein äl
terer Herr in SS-Brigadeuniform die Aufmerksamkeit des Reichsführers auf
sich. Die Rede ist vom ehemaligen Ku.K-Obersten Karl Maria Wiligut, der
unter dem Pseudonym Weisthor einen nicht unerheblichen Einfluß auf sei
nen Dienstherren ausübte.165
Eine alte westfälische Sage von der „Schlacht am Birkenbaum" besagt,
daß den nächsten Sturm aus dem Osten nur eine Burg in Westfalen überste
hen werde. In dieser lokalen Ausprägung der seit dem Mittelalter bekannten
Kaisersage ist von einer endgültigen Schlacht zwischen Ost und West oder
zwischen „Hunnensturm" und westlichem „Weltmissionierungsauftrag"
die Rede. Der „direkte Zugang zum Osten" sollte symbolisch gewährleistet
werden, indem man mit einer acht Kilometer langen Allee Anschluß an den
„Hellweg" suchte, die alte, aus vorrömischer Zeit stammende west-östliche
Verbindungsstraße, wie Helzel spekuliert.166
Gemäß Goodrick-Clarke, prophezeite Wiligut gegenüber Himmler die
erneute Bedeutung dieser Sage für die Zukunft. Die Wewelsburg sei „ein
magischer Kraftpunkt der Deutschen im zukünftigen Konflikt zwischen
Europa und Asien". Sie sei „das Bollwerk, an dem der neue Hunnensturm
zerbrechen" würde.167 Gedanken, die Himmler, der ebenfalls von einer Ent
scheidungsschlacht zwischen West und Ost in den nächsten 100-200 Jahren
ausging, tief beeindruckt haben dürften.168
63
Auch Wagner berichtet von dieser Begebenheit, die er allerdings als Le
gende abtut. Wagner zufolge sei der Landrat des Kreises Büren, zu dessen
Aufgaben auch die Instandhaltung der Burg gehörte, froh gewesen, „dem bur
gennärrischen SS-Chef das Gemäuer abtreten zu dürfen. Der Romantiker Himmler
hatte seine Marienburg gefunden, denn wie er in der SS einen zweiten Deutschen Rit
terorden sah, so plante er auch die Wewelsburg als geistiges Zentrum, als Stätte der
Inspiration des neuen Ordens, analog der Marienburg in Westpreußen, in der einst
die Hochmeister der Deutschritter die Herrschaft über die Slawen konzipiert und ihre
berühmtesten Toten unter dem Chor der Schloßkirche begraben hatten."169
Allerdings ist die Quelle der vermeintlichen Legende Karl Wolff, Leiter
des Persönlichen Stabes RF-SS, der sicherlich kein Motiv hatte, der Nachwelt
einen „Bären aufzubinden". Auch Schulte tendiert zu einer Glaubwürdig
keit des Berichtes, allerdings nimmt er einen späteren Bezug der Sage auf
die bereits erworbene Burg an: „Wiligut, der sich selbst Weisthor nannte, soll die
Sage aktualisiert und auf die Wewelsburg bezogen haben".170
Allerdings spricht der Zeitpunkt der ersten Bekanntschaft zwischen Himm
ler und Wiligut Mitte 1933 auf einer Tagung der Nordischen Gesellschaft171 für
die Beeinflussung Himmlers vor dem Erwerb der Burg. Bereits im Novem
ber 1933 - also zur gleichen Zeit als Himmler die Burg nach Schulte erstmals
sah - trat Wiligut in die SS ein172 - und das wohl nicht ohne Grund! Deshalb
kam es wahrscheinlich auch zu dem kurzfristigen Entschluß, die Zusage der
Anmietung der Schwalenburg rückgängig zu machen - ebenfalls genau zum
Zeitpunkt (etwa im Juli 1933) des ersten Treffens Himmler-Wiligut.173
Doch wer war dieser Wiligut eigentlich, von dem heute vielfach als
„Scharlatan" die Rede ist?
Die Suche nach dem Hintergrund Wiliguts führt zu einer der okkulten
Gruppen die nach dem ersten Weltkrieg in Deutschland tätig waren: der Ed
da-Gesellschaft. Diese zählte jenen Mann zu ihren Mitgliedern, der Wiligut
mit Himmler auf der Tagung der nordischen Gesellschaft bekannt machte:
Richard Anders (1894-1965).
169 Wagner (1993).
170 Schulte (2009), S. 8; Hiiser (1982), S. 2, bestreitet aber ebenso wie Höhne (1967), S.
141 f, daß die Sage oder Wiligut einen Einfluß auf den Erwerb der Burg gehabt hätten.
171 Lange (2010), S. 46.
172 Lange (2010), S. 42.
173 Die Beeinflußung Himmlers durch Wiligut zur Auswahl der Wewelsburg zieht
auch Goodrick-Clarke (2004) in Betracht, hält sie aber anders als die Pläne zum
Ausbau der Burg zum weltanschaulichen Zentrum für nicht beweisbar, S. 163.
64
Plan zum Ausbau des Nordturms und der Gruft - Blick in ein „Studierzimmer"
Obgleich dieser bei Goodrick-Clarke als SS-Mitglied erscheint, ist seine
Mitgliedschaft in der SS nicht belegt.174 Der aus Ludwigshafen stammende
Architekt Anders war unter dem Ordensnamen Fra Ra Mitglied des ONT
des Lanz von Liebenfels und befaßte sich vor allem mit „Großsteinskulptu
ren", Menschen- und Tierköpfe bzw. Körpern, die seit der jüngeren Altstein
zeit von Menschen aus Felsen herausgearbeitet worden sein sollen.175 Diese,
„unsere germanischen Kultstätten aber, die Spiegler der exakten Himmelsortung,
begründet im urgewachsenen Fels", so Anders, „wurden zum fundamentalen Aus
gangspunkt aller Kultur".176
Richard Anders war ähnlich wie sein Freund Wiligut, von seiner Bega
bung überzeugt, altes Urwissen aus einer Art „Erberinnerung" schöpfen zu
können. Beider Freundschaft hielt Anders allerdings nicht davon ab, Wiligut
in einigen Punkten zu kritisieren. In Bezug auf eine Erklärung des Wortes
Gral in Runen kritisierte er: „Ich allein habe mir mein Wissen selbst erworben
und dasselbe nur mit dem Urwissen Wiliguts verglichen. Dabei mußte ich feststel
len, daß auch ihm bereits vieles verloren gegangen war, während - dank göttlicher
Gnaden - ich das Glück habe, immer tiefer in dasselbe eindringen zu dürfen."177
Unbestritten stand Anders in direktem Kontakt mit Himmler. In einer
Grabrede eines ONT-Bruders heißt es gar, „wer hätte es hinter diesem sich so
174 Goodrick-Clarke (2004), S. 158; Katholing (2001) verweist dagegen auf Rüdiger
Sünner, der von einer Anfrage an das Bundesarchiv Berlin berichtet, die eine Mit
gliedschaft von Anders in der SS für unwahrscheinlich halten; S. 120.
175 Zur Geschichte der Großskulpturen-Forschung siehe Katholing (2001)
176 Anders: „Der Schlüssel...", zit. nach Katholing (2001), S. 134.
177 Katholing (2001), S. 121
65
bescheiden gebenden Menschen vermutet, daß er vor drei Jahrzehnten als Spiritus
Rektor, als geistiger Berater der damaligen Reichsregierung fungierte? In esoteri
schen Glaubenstiefen wurzelnd, setzte er all seinen Einfluß daran, dem deutschen
Reich und seinen Menschen den äußeren Frieden zu erhalten. Er traf sich mit dem
damaligen Reichsführer SS Himmler auf Burg Trifels in der Pfalz, offenbarte dem
selben das Urweistum unserer Ahnen und beschwor ihn, niemals den Weg der Ge
walt zu beschreiten."178
Auch wenn hier seine Rolle überwertet worden sein mag, so ist sein Ein
fluß auf den SS-Führer unbestritten: Nach Rudolf Mund könnte Anders
Himmler auch bei der Verfassung des Heiratsbefehls vom 31. Dezember
1931 beraten haben, da deren erster Punkt genau dem ersten Punkt der
ONT-Ordensregeln entspricht.179
Auch bei der Entscheidung Himmlers, den Menhir Gollenstein im saar
ländischen Blieskastel offiziell für die SS zu erwerben, dürfte Anders mit
gewirkt haben. Dennoch vertraute der Reichsführer dem Felsbildforscher
nicht blind. In einem Brief an Ahnenerbe-Kurator Walther Wüst, bittet
Himmler diesen um Einholung von fachkundigen Stellungnahmen zu An
ders Forschungen. Anders sei nämlich „in vieler Hinsicht nicht ernst zu neh
men, liefert aber wie viele dieser Menschen, dieses und jenes Brauchbare." Diese
kritischen Worte könnten indes ein Zugeständnis an den wissenschaftlich
pedantischen Wüst gewesen sein, dem gegenüber sich Himmler vielleicht
keine Blöße geben wollte. Denn weiter bekräftigt Himmler die von Anders
vertretene These der Fertigung von Großsteinskulpturen in „atlantischer
Zeit". „Was die Bilder angeht, so bin ich der Ansicht, daß in ganz frühen Zeiten -
ich denke hierbei an atlantische Zeiten - die letzten großen Steinbilder in die Berge
hineingeform t wurden. “180
Trotz aller Skepsis innerhalb des Ahnenerbes an derlei „erberinnerten"
Forschungen, bemühte man sich - vielleicht auch aus Rücksicht auf Himm
lers bekannte Vorlieben - um eine sachliche Würdigung: So fiel die Beur
teilung durch Dr. Werner Müller181 positiv aus und lobt, „was man auch aus
wissenschaftlich nicht stichhaltigen Anregungen herausholen kann.“ Selbst Wal
ther Wüst wollte die Möglichkeit der künstlichen Erschaffung von Groß
skulpturen unter Verweis auf den hellenistischen Plan, den Berg Athos zu
einem Alexander-Kopfbildnis umzugestalten und dem tatsächlich umge
178 Zitiert nach Katholing (2001), S. 121; auf der Reichsburg Trifels wurden im
Mittelalter vorübergehend die Reichskleinodien aufbewahrt, zudem galt der Burg
berg Trifels als Schlafstätte des deutschen Kaisers Friedrich II. bzw. Barbarossa.
179 Mund (2011), S. 86 f; ebenso Katholing (2001), S. 120.
180 Brief Himmler an Wüst vom 22.03.1939, zit. nach Katholing (2001), S. 135 f.
181 Ahnenerbe-Abteilungsleiter für Ortung & Landschaftsbilder - späterer Verfas
ser mehrerer Veröffentlichungen über die Religion der Indianer.
66
setzten neuzeitlichen Präsidenten-Bergportrait in den USA, nicht gänzlich
ausschließen.182
Die Edda-Gesellschaft, der Anders neben dem ONT angehörte, wurde am
29. November 1925 in Dinkelsbühl von Rudolf John Gorsleben gegründet.
Ihre Mitgliederzahl stieg innerhalb weniger Jahre auf mehrere hundert Mit
glieder. Der Vorsitzende Gorsleben war ein klassischer Protagonist inner
halb der völkisch-okkulten Bewegungen und wies einige Gemeinsamkeiten
mit dem Thule-Gründer Rudolf von Sebottendorf auf. Im ersten Weltkrieg
kämpfte er an türkischer Seite gegen die von den Briten aufgewiegelte ara
bische Stämme - bemerkenswerter Weise befand er sich damit zur gleichen
Zeit wie Sebottendorf in der Türkei.183 Nach dem Krieg zählte Gorsleben zu
den bekannteren Vertretern der völkischen Bewegung und war unter dem
Namen Fra Rig ebenso Mitglied des Ordo Novi Templi wie der Guido-von-
List-Gesellschaft.184 Daneben trat er auch schon früh als Redner bei Veran
staltungen der NSDAP auf.185
Seit 1933 bestanden auch Querverbindungen der Edda-Gesellschaft zur
Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung die am 29. und 30. Juli
1933 in Eisenach gegründet wurde. Auf Einladung von Jakob Wilhelm Hau
er kamen hier die wichtigsten freireligiösen, freiprotestantischen, religiös
völkischen und deutschgläubigen Gruppen zusammen. Der der Einladung
begleitende gemeinsame Aufruf „an die Männer einer germanisch-deut
schen Glaubensbewegung" wurde unter anderem von Hauer, Ernst Berg
mann und Arthur Drews sowie bekannten Vertretern des völkischen Lagers
wie Ludwig Fahrenkrog, Bernhard Kummer, Gustav Neckel, Herman Wirth
und Theodor Fritsch unterschrieben.186
Der Zusammenschluß umfaßte die Germanische Glaubensgemeinschaft
(GGG - Ludwig Fahrenkrog), die Volkschaft der Nordungen, die Nordische
Glaubensgemeinschaft, den Rig-Kreis, die Adler und Falken die Deutsch
gläubige Gemeinschaft, die Nordisch-religiöse Arbeitsgemeinschaft sowie
Mitglieder des Freundeskreises der Kommenden Gemeinde und der Bund
freireligiöser Gemeinden welcher aus dem Volksbund für Geistesfreiheit
ausscherte, der im Juli 1933 verboten wurde. An der Spitze dieser Arbeitsge
meinschaft standen Hauer und ein Führerrat, dem der Philosoph Ernst Berg
mann (1881-1945), der Rassenideologe Hans F. K. Günther, der Schriftsteller
Ernst zu Reventlow, Arthur Drews, Hermann Mandel, der Historiker Herman
Wirth sowie Ludwig Fahrenkrog und Lothar Stengel-von Rutkowski (Adler
67
Links: Der
Runenstein
von Busdorf,
ca. 1000
u.Zt.
187 Barth (2004), S. 382; im Mai 1935 beschloß man die Umwandlung in die
„Deutsche Glaubensbewegung" (DG).
188 Aufzählungen nach Glowka (1981), S. 26 f
189 Gorsleben (1930), S. 2.
68
te Überlieferungen.190 In Anlehnung an Guido von List, wären in germa
nischer Zeit die Armanen für die Weitergabe der Überlieferung zuständig
gewesen, nun aber, seien nur noch wenige Menschen Weistumsträger, näm
lich die „Goten", jene Menschen, die nicht „arisch entseelt, allzuvermenschlicht
und mit Affenblut zersetzt sind". Und diese bereiteten sich - so Gorsleben - vor,
„wiederum zum deutschen Volk zu sprechen, um ihm die Geistesschätze seiner Vor
fahren zu übermitteln".191
Die direkte Beeinflußung Himmlers durch Gorslebens Thesen wird sehr
schön anhand eines in seiner Diktion von Gorsleben beeinflußten Schrei
bens des Reichsführers an Prof. Wetzel vom 23.3.1939 deutlich, in dem die
ser in Bezug auf Ausgrabungen im Lonetal von dortigen Sagen berichtet:
„Die Kahllende und Gerichtslinde muß auch in späteren Zeiten noch ein verbotener
Sammelplatz für heidnisches und frühes Wissen gewesen sein, denn es könnte hier
auf der Begriff des „Verkahlens" - Verheimlichens -, das in der Gilde im Mittelalter
gepflegt wurde, um trotz des Sieges des Christentums altes Wissen in verkühlter
Form zu überliefern, zurückzuführen sein."192
Einer dieser angesprochenen Propheten war der bereits erwähnte Karl Ma
ria Wiligut. Dieser verkehrte bereits nach dem ersten Weltkrieg in esoterischen
Zirkeln Wiens,193 seine Bekanntschaft mit Gorsleben und Mitgliedern der Edda-
Gesellschaft könnte diese hinsichtlich der Erberinnerungsgabe inspiriert haben.
Bereits zu seiner Wiener Zeit soll Wiligut nämlich als „Geheimer König" („ Weis-
kunig") verehrt worden sein - freilich nur von den eingeweihten Esoterikern.
Daher versuchte nach Mund 1920 Lanz von Liebenfels über den Ordensbruder
Theodor Czepl Kontakt zum alten Oberst aufzunehmen. Dieser habe Wiligut
dreimal in dessen Heimatort Morzg besucht und über allerlei Vergangenes aus
gefragt, was dann Eingang in das ONT-Archiv gefunden habe.194
Nach dem Tod Gorslebens 1930 und beginnender finanzieller Schwierig
keiten Anfang der 30er Jahre versuchte der neue Vorsitzende von Bülow
aus den guten Verbindungen zur SS Kapital zu schlagen: Er bat Weisthor/
Wiligut um Hilfe, den Absatz der Zeitschrift Hagal und die Mitgliederlisten
zu vergrößern, indem dieser beim Reichsführer-SS und Walter Darre Wer
bung für Hagal machte. In der Folge traten mehrere SS-Abschnitte in die
Edda Gesellschaft ein. Um 1937/38, als es der Zeitschrift abermals schlecht
69
ging, gab es Verhandlungen die Hagal durch
das SS-Ahnenerbe übernehmen zu lassen, was
jedoch aus finanziellen Gründen scheiterte.
Das Ahnenerbe entschied sich stattdessen für
die Zeitschrift „Germanien". Weisthor empfahl
von Bülow dem Chef des RuSHA als Leiter des
dortigen Abteilung VII. Später reichte Bülow
seine Abhandlung über die „Irminsul" beim
Ahnenerbe-Forschungswerk „Wald und Baum
in der arisch-germanischen Geistes- und Kultur
geschichte" ein - allerdings erfolglos. Das vom
Ahnenerbe initiierte Forschungswerk sollte die
Rolle des Baumes (u.a. als Weltenbaum Yggdra
sil, als Weltachse, als Irminsul, Questenbaum, Rudolf John Gorsleben
usw.) bei indogermanischen Völkern religions
wissenschaftlich untersuchen. Sogar noch in Kriegszeiten, 1942, versuchte v.
Bülow das SS-Ahnenerbe für ein Manuskript zur Kalenderscheibe von Fos-
sum zu interessieren, worin er einen Beweis für das Alter und die indogerma
nische Verbreitung einer prä-runischen Sinnbildschrift sah.
Eine weitere nachhaltige Beeinflußung der späteren SS-Forschung war
Gorslebens Betonung der Namenpatronin seiner Zeitschrift, der Hagal-Ru-
ne. Diese spielet sowohl in Herman Wirths Lehre als auch in Wiliguts Ru
nendeutung eine wichtige Rolle.195
Der am 10.12.1866 in Wien als Sohn eines ehemaligen Offiziers der KuK-
Armee geborene Karl-Maria Wiligut zählte zu den umstrittensten Persön
lichkeiten im 3. Reich. Als Leiter der Abteilung Archive (Amt VII) im RuSHA
(München)und ab 1935 der Abteilung Vor- und Frühgeschichte im Persönli
chen Stab des RF-SS (Berlin) spaltete er die Meinungen seiner Zeitgenossen
über seine Person in totale Ablehnung und offene Bewunderung.
Der im ersten Weltkrieg als Frontoffizier ausgezeichnete Oberst der KuK-
Armee betätigte sich schon früh schritstellerisch unter den Pseudonymen
„Jarl Widar" und „Lobesam".196 Das Interesse Wiliguts lag dabei auf der
Mythologie und Geschichte. 1903 erschien seine Abhandlung über die alte
Rabenstein-Sage unter dem Namen „Seyfrieds Runen".197 Wie bereits be
195 Wirth (1928); Lange (2010); S. 240 zitiert Wiliguts Deutung der Hag-All:
„ Umhege das All in dir und du wirst das All beherrschen".
196 Zur Weltkriegszeit und frühen Biographie siehe Mund (2011), S. 18 ff.
197 Neu aufgelegt von Winfried Katholing, 2004.
70
schrieben, verkehrte Wiligut bereits 1919 in den esoterischen Zirkeln Wiens
und machte 1920 Bekanntschaft mit dem ONT des Lanz von Liebenfels.198
Aufgrund einer Bürgschaft für einen ehemaligen Regimentskameraden
beim Erwerb eines Sägewerkes geriet Wiligut Anfang der 20er Jahre jedoch
in finanzielle Schwierigkeiten, was in Zusammenhang mit einer schwierigen
Situation in seiner Ehe dazu führte, daß er im November 1924 entmündigt,
verhaftet und in die Salzburger Heilanstalt für Gemütskranke eingeliefert
wurde.199 Nach seiner Entlassung 1926 wurde Wiligut unter die Vormund
schaft seiner Frau gesetzt, reiste jedoch auf Einladung des ONT-Mitglieds
Friedrich Schiller und dessen Gattin Emma Schiller-Delbrück nach Deutsch
land, wo er bei Mitgliedern des ONT Unterkunft fand. Hier machte er Be
kanntschaft mit Frieda Dorenberg, einer sehr früheren NSDAP-Anhängerin,
dem Vorsitzenden der Edda-Gesellschaft Gorsleben und dessen Gefährten
Richard Anders, Friedrich Schiller sowie Werner von Bülow (Nachfolger
Gorslebens als Leiter der Edda-Gesellschaft). Ferner stand er noch in Kon
takt mit den Österreichischen Freunden Ing. Friedrich Teltscher und Emil
Rüdiger, der später als Wiligut-Schüler dessen Werk fortsetzen sollte.200
Hintergrund der Einladung aus dem Kreis des ONT war das Ziel, Wili-
guts „Erberinnern für das junge Werden in Deutschland nutzbar zu machen", wie
es Friedrich Schiller ausdrückte. So bereicherte Wiligut die Forschergemein
schaft „Freie Söhne der Nord- und Ostsee" (FSNO) und gründete mit seinen
Anhängern eine sogenannte „Pflanzstätte Jarl Widar", die zeitweise bei dem
Mitglied der Edda-Gesellschaft, Frau Käthe Schäfer-Gerdau, im thüringi
schen Mühlhausen angesiedelt war.201
Kontaktaufnahmen zu Forschern, deren Forschungsgebiete weniger ok
kulter denn frühgeschichtlicher Natur waren, Herman Wirth und Wilhelm
Teudt, blieben 1930 dagegen - noch - unbeantwortet.202
Im Sommer 1933 gehörte Wiligut auch zu dem Kreis von sieben Vertre
tern der Edda-Gesellschaft, die der Einladung Jakob Wilhelm Hauers gefolgt
waren, der zur Gründung der „Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbe
wegung" aufgerufen hatte, in der sich die dem Christentum kritisch gegen-
198 Mund (2011), S. 25 f, nennt den Kreis um die Baronin Thaler, in dem nicht nur
ONT-Mitglieder, sondern vielleicht auch Hitler selbst verkehrt hätten.
199 Vgl. dazu Mund (2011), S. 35 ff.
200 Vgl. Mund (2002), S. 10; ebenso Mund (2011), S. 54 ff.
201 So Mund (2011), S.55f.
202 Vgl. Lange (2010), S. 20; allerdings zitiert Mund (2011), S. 54, einen Brief Wi-
liguts vom Februar 1929, in dem dieser von einer gemeinsamen Reise Emil Rüdigers
mit Wilhelm Teudt schreibt, die auf seine Veranlassung das „Studium des großen
Goslaer Geheimnisses" zum Ziel gehabt hätte.
71
Karl-Maria Wiligut - links in Zivil ca. 1933 - rechts mit Himmler am Kriemhilden-
stuhl (mit dem Rücken zur Kamera), ca. 1935
überstehenden Glaubensgemeinschaften zusammenschließen sollten.203
Irgendwann 1933, spätestens aber im Sommer, lernte Wiligut über die Edda-
Kreise Heinrich Himmler kennen, der ihm, offensichtlich beeindruckt von des
sen „hellseherischer Erberinnerung", einen Rang innerhalb der SS anbot.204 Im
November 1933 trat Willigut unter dem Pseudonym „Weisthor" in die SS ein,
wo er Mitte 1934 als SS-Standartenführer (Oberst) eine Unterabteilung im Ru
SHA leitete, die später in den Persönlichen Stab RF-SS übernommen wurde.
Wenige Wochen nachdem Weisthor Himmler bei der Findung der Wewels
burg beeinflußt haben dürfte, bereisten der Reichsführer und sein Berater auch
die nahe der Burg gelegenen Externsteine. Wo immer der Fachwissenschaft
Antworten auf seine Fragen fehlten, zog Himmler seinen Begleiter zu Rate. So
erinnert sich Freerk Haye Hamkens, damaliger Mitarbeiter Wilhelm Teudts
und Grabungsteilnehmer der Extemsteingrabung von 1934, wie Prof. Julius
Andree auf die Frage Himmlers nach dem Alter eines Trockenmauerwerkes
vor den Externsteinen die Antwort schuldig blieb. Nicht so Weisthor, der dem
Bauwerk aus dem Stegreif ein Alter von 4000 Jahren bescheinigte.205
Der Lebenslauf Wiliguts, der nach SS-Vorschrift für jedes Mitglied zu den
persönlichen Akten genommen wurde, dürfte der ungewöhnlichste der ge
samten Schutzstaffel gewesen sein.
Er ist durchzogen von Legenden und Mythen, mit denen Wiligut die
wenigen Fakten seiner Biographie anreicherte. Am 10. Dezember 1866 als
Sohn eines königlich ungarisch-deutschen Hof-Accesisten geboren, begann
Willigut demnach als Sohn eines Landwehrhauptmannes schon früh eine
72
Wiligut-Weist-
hor bei einer
Wanderung im
Deister 1930
(links)
In Standarten
führer-Uniform
ca. 1934 (rechts)
73
(Goslar) ans Kreuz geschlagen worden sein, mit Hilfe der Runen habe er sich in
der neunten Nacht seines Kreuzgangs vom Kreuz gelöst."207 Anschließend sei er
über Rügen in die Wüste Gobi geflohen, wo er eine irminische Meisterschu
le gründete, die nahe eines älteren wotanistischen „Kristallisationspunktes"
lag. In dieser irminischen Tradition, gleichsam als Erbe der auf Balder-Kris-
tus zurückzuführenden Königswürde, wähnte sich jedenfalls Wiligut, als er
einmal bemerkte: „Meine Krone liegt in der Kaiserpfalz zu Goslar, mein Schwert
in einem Steingrab bei Steinamanger."208
Der Kreuzigungsmythos hatte also Wiliguts Überlieferung zufolge seinen
Ursprung in Germanien, und wurde erst später zur christlichen Heilslehre
umfunktioniert.209
207 Nach Mund: „Der Rasputin Himmlers", zit. nach Katholing (2001), S. 157
208 Nach Mund (2011), S. 28 f.
209 Lebenslauf BArch; zum Balder-Irmin-Kreuzigungsmythos siehe auch Betha
(1913), S. 245 ff., wo dieser seinen Ursprung haben dürfte; vgl. auch von Ricklin
gen (2008).
210 Zur Verdeutlichung dieser vorgeblichen Verfolgung durch die katholische Kirche er
wähnte Wiligut bereits in seinem Lebenslauf, von einem Jesuiten als Angehöriger der „ Fa-
miglia Malatetta" (verfluchte Familie) bezeichnet worden zu sein; Lange (2010), S. 202.
74
Die „ Ur-Kreuzigungsstätte" in Goslar nach Ernst Betha. Re.: Weisthor 1945
Wüst) - auch Weisthors Adjutant, Hans von Lachner, soll die Fähigkeiten seines
Dienstherren bezweifelt haben.211 Dennoch scheinen gewisse magische Fähig
keiten Weisthors in der Tat bestanden zu haben; so berichtet Else Baltrusch,
wie Wiligut am Tag des Attentates auf den Botschaftsrat Rath in Paris auf ei
ner Wanderung plötzlich stehenblieb und sagte: „jetzt ist irgenwo ein Botschafter
erschossen worden."212 Vor allem aber wies Weisthor auf verschiedenen Dienst
reisen nach „Eingebungen" auf verschiedene Orte hin, bei deren Ergrabung
tatsächlich frühgeschichtliche Funde gemacht werden konnten. So beschreibt
Rudolf Mund wie Weisthor auf einem Spaziergang durch Baden-Baden einen
Eckstein eines Hauses als mit vordem unsichtbaren Ornamenten versehen er
kannte und ebenso in der Burg von Krakau einen verborgenen Raum aufspür
te, in dem sich nicht näher zu eruierende Gegenstände befunden haben sollen.
Bereits einige Jahre zuvor hatte er bei einem Besuch der Wewelsburg Himmler
aufgefordert, an einer bestimmten Stelle am Rande des Gemäuers nach einer
Schatzkammer graben zu lassen. Zwar ist nicht überliefert, was sich in dem
tatsächlich vorgefundenen Raum befunden hat, immerhin schien der Vorgang
aber Weisthors Ansehen bei Himmler nicht zu schmälern.213 Auch dem späteren
Leiter der Ahnenerbe-Abteilung Innerasien und Expeditionen, Ernst Schäfer,
blieb Weisthor mit seinen tranceartigen Zuständen, die Schäfer von früheren
Expeditionen von tibetischen Botenläufern kannte, in besonderer Erinnerung
- erzählte er doch während dieser Zustände dem verwunderten Schäfer von
211 Nach Kater (2006), S. 364; zu v. Lachner, Lange (2010), S. 51; siehe auch der bei
Mund (2011), S. 113, angeführte Brief Herman Wirths über Weisthor.
210 Nach Mund (2011), S. 115.
213 Vgl. Mund (2011), S. 110/116 f; siehe auch Katholing (2001), S. 149 f, der von
„Findungen" Weisthors auf Fahrten berichtet.
75
Begebenheiten früherer Expeditionen, die
nur dieser selber kennen konnte.214
Auch der später zum Islam konvertier
te Johannes von Leers bestätigte in einem
nach dem Krieg verfaßten Brief an den
Autoren Rudolf Mund, daß Wiligut, „ein
in jeder Hinsicht alter Wissender", „profun
des Wissen über armanische Überlieferung"
aufwies und „wenn man durch die Land
schaft fuhr, sagen konnte, wo einst ein altes
Heiligtum gelegen hatte."215
Während des Krieges kam es trotz
Weisthors Dienstaustritt zu weiteren An
fragen Himmlers; so etwa bezüglich der
Frage der angemessenen Totenrunen Familienwappen Wiliguts
für die Grabkreuze deutscher Gefalle
ner, für die Weisthor die Man- statt der Tyr-Rune empfahl.216
Gegen Kriegsende wurde es still um den alten Oberst - nach einem
Schlaganfall 1945 starb er schließlich am 3. Januar 1946 in Arolsen, wo er
auch beigesetzt wurde. Zurück bleibt ein Vermächtnis, zu dessen Schau nur
wenige Leute befähigt erscheinen. Else Baltrusch, Angehörige der Edda-
Gesellschaft, die Weisthor seit 1936 betreute, wähnte sich nach dem Krieg
als die Einzige, die seit 1936 „direkt in Geheimnisse hineinschauen und horchen
durfte, welche nicht für die Nachwelt bestimmt sind."217
Unzweifelhaft jedenfalls waren die vorgeblichen Kontakte des alten
Oberst nicht völlig aus der Luft gegriffen, wie sich bei seiner Beerdigung
1946 zeigte, wo allerlei seltsame Menschen, darunter Inder und Tibeter, Wi
ligut das letzte Geleit gaben.218
Trotz aller Negativurteile über ihn, scheint von seinen „Hirngespinsten"
zumindest so viel Bedeutung ausgegangen sein, als daß er auf verschiedene
Entscheidungen Himmlers einen nicht unbedeutenden Einfluß ausübte und
sich noch nach Kriegsende der britische Geheimdienst für den Wanderstock
Wiliguts interessierte.
214 Unveröffentlichte Memoiren Ernst Schäfers, zit bei Siinner (1999), S. 50; siehe
dazu Kapitel 10.
215 Vgl. Mund (2011), S. 114/122.
216 Siehe Lange (2010), S. 54.
217 Ebenda, S. 58.
218 Vgl. Mund (2011), S. 145, der spekuliert, daß die im Lebenslauf Wiliguts nicht
nachweisbaren Besuche Asien möglicherweise „Astralreisen" gewesen seien.
76
3. Ahnenerbe & Urreligion: Das Vermächtnis des Herman Wirth
77
Links: Runenkunde für SS-Fahnenjunker. Rechts: Ahnenerbe-Haus in Berlin-Dah
lem, ca. 1938 - das Haus wurde nach 1945 abgerissen.
Ahnenerbe „Unterschlupf“ gefunden haben, weiß auch eine jüngere Veröf
fentlichung zu berichten, die mit ihrer politisch motivierten Verquickung von
Halbwahrheiten und Ungenauigkeiten ein gutes Beispiel für die Bewertung
des Ahnenerbes in populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen darstellt.222
Wie weit sich diese Gedankengänge spinnen, ist an einem weiteren „Stan
dardwerk" der Verschwörungstheorien zum dritten Reich „Die heilige Lan
ze" von Trevor Ravenscroft zu beobachten, das allerdings eifrig aus dem
Fundus von Pauwels und Bergier schöpfte, welches wiederum stark von
Rauschnings angeblichen Gesprächen mit Hitler beeinflußt wurde. Diese
„Gespräche" geistern dabei - obgleich 1984 als wissenschaftlich unbrauch
bar erwiesen - munter durch die gesamte Literatur der NS-Forschung.223
Andere Autoren bezeichnen das Ahnenerbe dagegen wahlweise als
„pseudowissenschaftliches Forschungsinstitut" oder als „williges Werkzeug
der verbrecherischen Hitlerdiktatur", wobei die Mehrzahl die Begründung
für diese Werturteile schuldig bleibt.224
Ein besonderes Detail bezüglich der Rolle des Ahnenerbe schließlich, ist
die Behauptung der Beteiligung an der Errichtung deutscher Geheimbasen
im Ausland, insbesondere in „Neuschwabenland", sowie am Bau deutscher
Flugscheiben, auf die in Kapitel 10 näher eingegangen wird.225
Bemerkenswert in Hinblick auf die Arbeiten des Ahnenerbes insgesamt
gesehen, ist zweifellos der Versuch, verschiedene Wissenschaften und Teil
wissenschaften ganzheitlich, aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten,
was aufgrund der Vielzahl der voneinander abgeschiedenen Wissenschafts
bereiche zuvor versagt bleiben mußte.226 Zwar stand hier sicherlich ein
zwischen Thule- Gesellschaft und Ahnenerbe als esoterischem Zirkel der SS; S. 388 f.
222 Heller/ Maegerle (1998).
223 Ravenscroft (1976); zur Entlarvung Rauschnings siehe Hänel (1984).
224 Siehe etwa http://www.bundesarchiv.de/oejfentlichkeitsarbeit/bilderdokumente/
01831/index-16.1itml.de und Mandl (1999)
225 So etwa Feistle (2010), S. 14 oder Farrell (2010), S. 176.
226 Vgl. dazu Himmler zit. nach Heiber (1970), S. 100 f.
78
Die Embleme des Almenerbe Links: Ahnenerbe-Stiftungsverlag - Mitte: Irminsul-
Emblem - Rechts Emblem zumeist in Büchern des Ahnenerbe bis 1939
politischer Anspruch hinter diesem neuen Weg der Wissenschaft, formell
betrachtet stieß dieser Ansatz jedoch nicht nur bei damaligen Nationalsozia
listen auf Zustimmung, sondern wurde auch von anderen Persönlichkeiten
im Hinblick auf eine Neuausrichtung der Wissenschaft gefordert.
79
Links: Wolfram Sievers - Reichsgeschäftsführer des
Ahnenerbe
„Der Reichsführer erwartet, daß die Zusammenarbeit
im Ahnenerbe umgehend so wird, wie er sich das vor
stellt. Er wünscht zunächst einmal den Bericht über
die Tropfsteinhöhle und weiterhin die Einschaltung
der anderen beiden Abteilungen und dann möglichst
bald einen Bericht über das, was sie dort gefunden
haben. Den augenblicklichen Zustand vergleicht der
RF-SS mit der eifersüchtigen Abkapselung eines je
den wissenschaftlichen Gebietes, wie es ja auf den
Universitäten und in der gesamten deutschen Wis
senschaft bisher der Fall ist, daß jeder Kollege eifrig
darüber wacht, sein Gebiet vor seinen Kollegen abzuschließen."229
Ein weiterer Zweck der Arbeit des Ahnenerbe lag in der Rekonstruktion
des Ahnen- und Sippenkultes sowie der Glaubenswelt der frühen Germa
nen. Letztere sollte auf längere Sicht wiederbelebt werden und langfristig
auch eine Rolle als „Ersatzreligion" für das Christentum spielen. Dabei
wurde allerdings nicht auf den Wotanismus, bzw. die Götterwelt der Edda-
Überlieferung abgezielt, die einigen als „Religion der Verfallszeit" galt, son
dern auf den Lichtbringerkult der frühgermanischen Zeit.230
Gegründet wurde das Ahnenerbe offiziell am 1. Juli 1935 als eingetrage
ner Verein unter der Firmierung: „Deutsches Ahnenerbe. Studiengesellschaft
für Geistesurgeschichte".
Zu Beginn bestand eine enge Anlehnung an das von Darre geführte
RuSHA, die Himmler im Februar 1936 per Weisung als verbindliche Zusam
menarbeit fixierte.231
Von sechs während der Gründungsphase bis zur Satzungs- und Namens
änderung (seitdem nur: Deutsches Ahnenerbe) im März 1937 eingerichteten,
sogenannten Pflegestätten („Schrift- und Sinnbildkunde" [Wirth - Juli 1935],
„Germanenkunde" [Teudt - Oktober 1936], „(Indoarische) Wortkunde"
[Wüst, Oktober 1936], „Märchen- und Sagenkunde" [Plassmann - Februar
1937], „Indogermanisch-Finnische Kulturbeziehungen" [von Grönhagen -
Februar 1937], „Wetterkunde" [„Welteislehre - Scultetus - Februar 1937]),
erhöhte sich deren Zahl bis zum Jahr 1939 auf 34 verschiedene Forschungs
80
abteilungen; 21 davon im Inland, sowie weitere außereuropäische Stätten.
1945 existierten schließlich 45 offizielle Forschungsstätten.
Zu diesen zählten Themengebiete wie etwa Wetterkunde und Astrono
mie, welche im Hinblick auf die Erforschung der Welteislehre Hörbigers tä
tig wurden und rasch an Bedeutung zunahmen.
Michael Kater weist darauf hin, daß einige der aufgeführten Abteilun
gen (Osteologie, Volksmedizin, Tiergeographie, indogermanisch-deutsche
Musikwissenschaft, Urgeschichte, Wurtenforschung, Geheimwissenschaf
ten) lediglich auf dem Papier existierten, da sie nicht „nachgewiesen werden
konnten".232 Gerade diese offensichtliche Lücke in der Dokumentation der
letztgenannten Forschungsrichtungen, insbesondere in Bezug auf die Ge
heimwissenschaften, dürften den Anstoß für zahlreiche Spekulationen in
dieser Richtung geliefert haben.
Im Rahmen der Ahnenerbe-Schriftenreihe wurden in den der SS naheste
henden Verlagen Widukind-Verlag und Hase & Koehler, ab 1938 dann im
eigenen Ahnenerbe-Stiftung-Verlag zahlreiche Schriften publiziert, die das
Wirken der Vereinigung publizistisch unterfütterten.233
Zu Beginn lag der Schwerpunkt der Ahnenerbe-Arbeiten auf den per
sönlichen Steckenpferden Wirths - der Sinnbildkunde - sowie der Germa
nenkunde von Wilhelm Teudt, dem Wiederbegründer der modernen Ex
ternsteinforschung.
81
„Sazellum" der Externsteine Das „Felsengrab"
sondere der Präsident der Römisch-Germanischen Kommission Frankfurt,
Staatsrat Theodor Wiegand, der als Anhänger der „klassischen" Deutschen
Vorgeschichte - die in Abgrenzung zu Kossinnas „ostdeutscher Richtung" als
„westdeutsche Richtung" bezeichnet wurde - den Plänen zur Gleichschaltung
entgegentrat und durch seinen Einfluß auf den zuständigen preußischen Kul
tusminister Rust zu verhindern wußte. Zugleich trat Wiegand Himmlers SS
bei, wodurch er einen natürlichen Schutz vor dem Einfluß Rosenbergs suchte
und auch fand - stand dieser doch in einem ständigen Konkurrenzkampf mit
Rosenberg und dessen Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte.234
Eine der bekanntesten Gruppierungen an deren Übernahme Reinerth seit
1933 arbeitete, waren die „Freunde germanischer Vorgeschichte" unter ih
rem Leiter Wilhelm Teudt (1860-1942).
Wilhelm Teudt
Der am 7. Dezember 1860 in Detmold geborene, ehemalige Pfarrer Teudt
wurde als einer von vielen ebenfalls von Gustav Kossinna beeinflußt. Nach
seinem Kirchenaustritt 1908 trat Teudt dem Keplerbund zur Förderung
der Naturerkenntnis bei. Nach dem 1. Weltkrieg, den Teudt als Soldat an
der Westfront erlebte, gründete der Detmolder 1921 den Cheruskerbund,
eine 1923 etwa 1000 Mann zählende Zweigorganisation der „Organisation
Escherich". Seit dem Frühjahr 1922 verfügte dieser Bund, dessen Gruß übri
gens „Sieg und Heil" lautete, über eine paramilitärische Formation namens
„Nothung".235
Ab Mitte der 1920er Jahre widmete sich Teudt der „völkischen Germa
nenkunde", deren primärer Zweck für ihn in der Bekämpfung des Vorur
teiles der primitiven germanischen Vorgeschichte lag:
„Die Annahme, daß das Germanentum in Germanien erst durch die Berührung
82
„Kreuzabnahme-Relief' - Der „Hängende" - Dr. Wilhelm Teudt
mit den Römern und Westfranken in die Reihe der Kulturvölker eingetreten sei, ist
als ein grober Geschichtsirrtum anzusehen", bekannte er in seinem 1929 erst
mals erschienenem Hauptwerk „Germanische Heiligtümer".236
In diesem führte er den Nachweis der kultisch-astronomischen Funkti
on einer Reihe von Stätten in Westfalen deren Mittelpunkt die Externsteine
bildeten, die im Grenzgebiet von verschiedenen Stämmen zu einem gemein
samen Heiligtum erkoren worden wären.
1928 hatte Wilhelm Teudt zur Verbreitung seiner Thesen und zur Samm
lung anderer Interessierter die „Vereinigung der Freunde germanischer Vor
geschichte" gegründet, die bis 1935 etwa 1100 Mitglieder umfaßte. Grundla
ge der Arbeit dieser Vereinigung war die Verteidigung der Germanen-Ehre
gegen „Gegner, die alles Deutsche ausmerzen" wollten, wobei das Zentrum
dieser Ehre in Gestalt der Externsteine erblickt wurde.
Seine im „nationalen Pathos"237 vorgetragene These der Externsteine als
Heiligtum der germanischen Stämme prägte den Blick auf die Germanen
der damaligen Zeit und wirkt bis in die heutige Zeit nach.
Obgleich Hans Reinerth noch 1933 Teudt in einem Atemzug mit Herman
Wirth als „nationalen Phantasten" bezeichnet hatte, kam es im Oktober 1934
zu Gesprächen über den Beitritt der Vereinigung zum Reichsbund. Unter Zusi
cherung der Selbständigkeit der Zeitschrift Germanien, dem Publikationsorgan
des Vereins, und des Schutzes vor Angriffen der Fachwissenschaft - was sich
vor allem auf die These Teudts der Externsteine eines germanischen Heiligtums
bezog - erfolgte Anfang Mai 1935 der offizielle Beitritt zum Reichsbund.238
236 Vgl. Teudt (1929), S.llf.
237 So Loennecker (2004), S. 8.
238 Vgl. Bollmus (2002), S. 177.
83
Doch bereits 1936 kam es aufgrund anhaltender, entgegen der Abma
chung erfolgter, Kritik an dessen Arbeit insbesondere aus Reihen des Reichs
bundes, zu einer Annäherung Teudts an Himmler, der seit März 1934 als
Vorstand in der von der lippischen Landesregierung einberufenen Extern-
steine-Stiftung fungierte. Himmler sah in dem altgermanischen Kultplatz
der Externsteine das Potential einer zukünftigen nationalsozialistischen
Wallfahrtsstätte.239 Seit 1935 wurden auf einem provisorischen Kultplatz vor
der Anlage Sonnenwendfeiern durchgeführt und noch im selben Jahr er
klärte Himmler die Externsteine samt Umgebung zur „Weltanschaulichen
Interessensphäre der SS".240
Aufgrund der dadurch entstehenden ideologischen Nähe zu Teudt, wur
de dieser mitsamt seiner Vereinigung im Herbst 1936 offiziell als Leiter der
Pflegestätte für Germanenkunde in das Ahnenerbe aufgenommen. Ein Jahr
später übernahm das Ahnenerbe auch die Betreuung der Externsteine.241
Wenige Monate zuvor war die 1934 mit großen Hoffnungen auf die Auf
findung germanischer Spuren eröffnete Grabungskampagne durch den
Münsteraner Archäologen Prof. Julius Andree ausgelaufen, die zwar Zerstö
rungsspuren an der Anlage eruiert, aber nicht die erhofften Funde erbracht
hatte.242 Obwohl Teudt in der Folgezeit zahlreiche Ehrungen zuteil wurden
(Professorentitel, Ehrenbürgerschaft der Stadt Detmold - beides 1935),243
wurde das Verhältnis zwischen Teudt und dem Ahnenerbe zusehends pro
blematischer. Loennecker führt dies auf dessen mangelnde SS-Konformität
und Wissenschaftlichkeit zurück.244 Teudt trat nach erheblichen Meinungs
verschiedenheiten 1938 zurück. Himmler machte dafür Teudts angebliche
„Unsachlichkeit und krankhafte Art, Streit zu suchen", verantwortlich.245
Dennoch standen Teudts Forschungen auch weiterhin in hohem Ansehen,
noch 1940 wurde ihm anläßlich seines 80. Geburtstages von Hitler persön
lich die „Goethe-Medaille" für seinen „kämpferischen Einsatz für die breitere
84
Wertschätzung der deutschen Vorgeschichte"
verliehen.246 Ein Jahr zuvor hatte mit seinen
Anhängern die Osningmark-Gesellschaft mit
Sitz in Detmold gegründet, die dem Reichs
bund unter Leitung von Hans Reinerth ange
schlossen war. Auch die parteiamtliche Grabre
de nach Teudts Tod im Jahr 1942 würdigt noch
die Verdienste Teudts:
„Wesentlich ist, daß Teudt in den Herzen un
zähliger Deutscher [...] durch seinen begeisterten
Aufruf germanische Heiligtümer schuf. Darin
liegt das unvergängliche Verdienst Teudts für die
deutsche Erneuerung [...] Es fehlt bei uns gewiß
nicht an klugen Köpfen, aber die tapferen Herzen
dürften in der Wissenschaft häufiger sein."
Titelblatt „Germanien" Obgleich von der etablierten Wissenschaft
bereits damals angefeindet, haben sich wesentliche Thesen Teudts - entge
gen der oftmals geäußerten Einschätzung der heutigen Geschichtswissen
schaft247 - als stimmig erwiesen:
- Mit der Sachsen-Christianisierung um das Jahr 800, sei es zu einem Kul
turbruch und einer einher gehenden Kulturvernichtung durch das Chri
stentum gekommen, die aus heutiger Sicht den Blick auf die davor liegen
de Zeit erschwere.
- Die germanische Kultur sei eine Holzkultur gewesen, weshalb kaum
Kunstdenkmäler aus der germanischen Vorgeschichte erhalten sind.
- Die Externsteine seien eine germanische Kultstätte gewesen, die dortige
Höhenkammer eine so genannte Sonnenwarte.
- Der Hof Gierke in Oesterholz, die Hünnenkirche in Kohlstädt und die
Erdwälle bei Langelau seien germanischen Ursprungs und Bestandteil
eines größeren heiligen Bezirkes um die Externsteine herum. Auf dem
Grund des heutigen Hof Gierke hätte sich eine „Kultburg" befunden, bei
der Hünnenkirche möglicherweise um den „Turm der Veleda" (Tacitus)
und bei den Erdwällen von Langelau um eine Rennbahn gehandelt.
Während letztere Thesen heute aufgrund fehlender weiterer Forschungen
nicht erhärtet werden können, erwiesen sich die drei Grundthesen als richtig:
Die Forschung beweist, daß es ein primäres Anliegen der Kirche gab, heid
nische Relikte und Kultorte zu zerstören oder zu übernehmen. Als Beispiel sei
ne hier sowohl die Festtage als auch die ersten Kirchenbauten auf heidnischen
Vorgängern (Stichwort „Kultstättenkontinuität") genannt. Wenn sich nicht
246 Vgl. Loennecker (2004), S. 12.
247 Auch Kater (2006) bezeichnete Teudt als „völkischen Dilettanten", S. 55.
85
eine Abschrift der Germania des Tacitus im Mittelalter gefunden hätte, wäre
die Geschichtsforschung heute allein auf die tendenziösen Überlieferungen
Caesars angewiesen - andere nachgewiesene Schriften über Germanien gelten
heute als verschollen, so etwa der Bericht Pytheas von Massilia.
Die Unterwasserarchäologie in der Ostsee beweist, daß bereits die Ertebolle-
Ellerbeck-Kultur (5800-4300 v.Zw.) Werkzeuge aus Holz und Geweih fertigte.
Auch die sogenannte Bandkeramische Kultur verwendete zum Häuser- und
Gerätebau Holz. Daß es dennoch eine hochentwickelte Zivilisation im Norden
Europas , dem späteren Germanien, gegeben haben muß, beweisen die Stun
de um Stunde anwachsenden Zufallsfunde der Spatenforschung.
Spätestens die Untersuchungen Wolfhard Schlossers und Ulrich Nied-
horns haben die These der germanischen Kultstätte an den Externsteinen
erwiesen: Sowohl die Ausrichtung des Peilloches im Sazellum der Extern
steine, als auch verschiedene Brandspuren innerhalb der „Kulthöhle" an
den Externsteinen beweisen eine Nutzung in vorchristlicher, mithin germa
nischer Zeit.248 Dazu gesellen sich zahlreiche Indizien, die auf einstige Be
arbeitungen an den Steinen hinweisen, die offensichtlich nicht christlichen
Ursprungs waren (diverse abbrechende Treppenstufen) sowie Zerstörungs
spuren, die vermutlich vordem Gewesenes unkenntlich machen sollten.
Dennoch gelten Teudts Thesen heute zumeist als Irrlehren und selbst
konservative Kreise äußern sich distanziert zum Wirken Teudts, die hier
häufiger zitierte Veröffentlichung aus burschenschaftlichen Kreisen fügt
sich dementsprechend nahtlos in die Beurteilung ein, wonach Teudt ledig
lich als Ideengeber für die „Esoterik-Szene" oder „neuheidnische Gruppen"
tauge.249 Dagegen zeichnet sich in der etablierten Geschichtsschreibung be
reits eine überfällige Rehabilitation Teudts ab - so schrieb der renommierte
Wissenschaftsautor Martin Kuckenburg, der bereits in seiner Veröffentli
chung „Lag Eden im Neandertal" eine überaus objektive Darstellung des
frühesten menschlichen Geschichtsverlaufes präsentierte, in seiner jüngsten
Veröffentlichung sogar: „Auch den Gedanken an einen der Sonnenbeobachtung
dienenden Kultraum wird man heute vor dem Hintergrund der Entdeckungen von
Goseck und Nebra kaum mehr so vehement und von vornherein ablehnen, wie dies
in den vergangenen Jahrzehnten von archäologischer Seite mitunter geschah."250
86
und Runen, die zumeist von Laienforschern stammten. Zu den frühen Auto
ren zählen insbesondere Wilhelm Teudt, Herman Wirth und Otto Suffert, der
als Schriftleiter der ersten Jahre fungierte. Trotz seiner Nähe zu Teudt, mit
dem er die „Vereinigung der Freunde germanischer Vorgeschichte" mitbe
gründet hatte und seiner fachlichen Qualifikation,251 wurde er 1936 als Schrift
leiter durch den ebenfalls zum Mitbegründerkreis zählenden, aber als streng
völkisch geltenden Joseph Otto Plassmann (1895-1965) ersetzt.252
Der verwundete Weltkriegsveteran und Volkskundler Plassmann gilt als ei
ner der wichtigsten Forscher innerhalb der Organisation Ahnenerbe und war
der führende Volkskundler innerhalb der SS. Als Schriftleiter der Ahnenerbe-
Zeitung „Germanien" stellte er die Weichen für die praktische Vermittlung der
innerhalb des Ahnenerbe erarbeiteten Forschungsergebnisse. 1895 in Arnsberg
als Sohn eines Oberlehrers geboren, absolvierte der streng katholisch erzogene
Plassmann 1913 sein Abitur - rechtzeitig um bereits ein Jahr später als Freiwil
liger am ersten Weltkrieg teilzunehmen. Hier wurde er im Rußlandfeldzug
1914/15 schwer verwundet. Nach teilweiser Genesung ging er 1917 - erneut
freiwillig - als Hilfsreferent der deutschen Zivilverwaltung nach Brüssel, wo er
mit dem späteren Ahnenerbe-Begründer Herman Wirth Bekanntschaft machte.
Diese Begegnung übte großen Einfluß auf Plassmann aus und veranlaßte ihn,
neben dem angestrebten Studium der Germanischen Sprache und Kulturge
schichte auch die Religionswissenschaften mit einzubeziehen.
Noch während seiner Studienzeit engagierte sich Plassmann 1919/20 in
der Münsteraner Bürgerwehr gegen die Rote Ruhrarmee. Nach Beendigung
seines Studiums mit dem Staatsexamen für das höhere Lehramt und an
schließender Promotion 1921, verfaßte er zahlreiche Aufsätze zu germanen-
und volkskundlichen Themen bevor er 1923 zur Pressestelle Rhein Ruhr, des
„Abwehrkampfes an der Ruhr" gegen die französische Ruhrgebietsbeset
zung gelangte. Eine weiterführende Tätigkeit innerhalb des Staatsdienstes
nach dieser Zeit blieb ihm als „Kriegsversehrter" nach seiner Verwundung
im ersten Weltkrieg verwehrt.253 So hielt er sich in den nächsten drei Jahren
mit diversen Aufsätzen für verschiedene Zeitschriften über Wasser, bevor er
1927 auf Wilhelm Teudt traf, den er bereits aus seiner Münsteraner Studien
zeit kannte.254 Mit diesem zusammen gründete er 1928 die „Vereinigung der
Freunde germanischer Vorgeschichte".255
251 Welche sogar die kritische Uta Halle einräumt, Halle (2002), S. 150; Suffert ge
hörte daher auch zu den wenigen Wissenschaftlern, die nach 1945 ihren Posten - in
diesem Fall die Leitung des Lippischen Landesmuseums - weiterführten.
252 Vgl. Loennecker (2004), S. 13.
253 Vgl. hierzu und zur ausführlichen Biographie Lixfeld (1994), S. 228 ff.
254 Loennecker (2004), S. 15.
255 Vgl. Bollmus (2002), S. 179.
87
Aus diesem Verein heraus wurde kurz danach die Zeitschrift Germanien
ins Leben gerufen, die vor allem Beiträge Wilhelm Teudts und J.O. Plass-
manns, aber auch Artikel Herman Wirths abdruckte, dessen Forschungen
einen hohen Stellenwert in Plassmanns Auffassung der Frühgeschichte inne
hatten. Etwa zeitgleich erfolgte Plassmanns Annäherung an die NSDAP, der
er 1929 beitrat und für die er ab 1934 hauptamtlich als Referent in der Reichs
führung des Reichsbundes „Volkstum und Heimat", in der Amtsleitung der
NS-Kulturgemeinde Alfred Rosenbergs und ab Oktober 1935 als Abteilungs
leiter des Stabsamtes des Reichsbauernführers wirkte. Mit der Überführung
der Zeitschrift „Germanien" in das 1935 neubegründete Amt Ahnenerbe,
wurde er 1936 zum ehrenamtlichen Mitarbeiter des Amtes. Aufgrund seiner
Unentbehrlichkeit, wurde auf Initiative Wolfram Sievers, dem Generalsekre
tär und organisatorischem Leiter des Ahnenerbes, Plassmann zum 1. Januar
1937 vom Reichsnährstand in das RuSHA der SS überstellt, wo er offiziell
als Abteilungsleiter des Rasseamtes II fungierte, tatsächlich jedoch ausschließ
lich für das Ahnenerbe tätig war - im Gegenzug wechselte dafür Hans Strobel
zum Reichsnährstand.256 Die mit der hauptberuflichen Ahnenerbe-Anstellung
verbündenden Aufgaben Plassmanns bestanden primär, im Ausbau der Zeit
schrift „Germanien" „zu einem stoßkräftigen Kampfblatt für die weltanschau
liche Schulung nach den Grundsätzen der SS", die fortan in nichts dem von
Hans Reinerth herausgegebendem Konkurrenzblatt „Germanen Erbe" des
Rosenbergschen Volksbundes nachstehen sollte.257
Nach Übernahme der Zeitschrift Germanien durch das Ahnenerbe im
März 1936 behielt Plassmann die Hauptschriftleitung und verfaßt eine Reihe
von programmatischen Artikeln zur propagandistischen Ausrichtung des
Ahnenerbes auf die Linie der NS-Führung. In den folgenden Jahren gelang
es, zunehmend akademische Forscher für Beiträge zu gewinnen, auch wenn
der Hauptanteil noch immer auf den Beiträgen von Laienforschern lag. Es
wäre jedoch falsch, der Zeitschrift ein begrenztes Niveau zu bescheinigen,
wie es etwa Kater tut.258
256 Nach Lixfeld, die einen Befehl Karl Wolffs zur Kommandierung Plassmanns
zur Dienstleistung im Ahnenerbe von 1936 zitiert - allerdings stellt sich die Frage,
warum dieser als Führer des Hauptamtes RFSS statt Darre als Amtschef des Ru
SHA diesen Befehl erteilte?
257 Lixfeld (1994), S. 229.
258 Kater (2006), S. 118, schreibt dazu polemisch: „Die Zeitschrift Germanien war
in jeder Hinsicht ein Blatt für Laien und solche, die sich politisch für dumm verkau
fen ließen" und urteilt, in ihr „hätten vornehmlich die unteren wissenschaftlichen
Ränge im Ahnenerbe publiziert... Spitzenkräfte wie ... Till ...überhaupt nicht" (S.
106); Lund (1995), S. 31, weist dagegen einen Beitrag Tills für die „Germanien"-
Ausgabe 15/1943 und damit Katers erneuten Irrtum nach.
88
Im Gegenteil, für eine Zeitschrift, die sich nicht an ein Fach- sondern an ein
Laienpublikum richtet, war das Niveau sogar so hoch, daß Himmler noch
1940 - als also kriegsbedingt weniger Forscher für Beiträge zur Verfügung
standen - die ursprünglich geplante Verteilung von 5000 Exemplaren inner
halb der Waffen-SS auf 2000 senkte. Der Grund: Die Lektüre sei teilweise „zu
hoch" und zu „wissenschaftlich" für den einfachen SS-Mann.259
Aufgrund des großen Zuspruchs insbesondere durch den neuen Ahnen
erbe-Präsidenten Walther Wüst, der Plassmann bescheinigte, „aufgrund sei
ner Gesamtleistung unbedingt der alten Schule von Germanisten" zugerechnet
werden zu müssen, „die von den Gebrüdern Grimm begründet worden ist",260
übernahm Plassmann nicht nur im Februar 1937 die Führung der neuge
gründeten Ahnenerbe-Pflegestätte für Märchen- und Sagenkunde", sondern
darüber hinaus noch die Schriftleitung von drei anderen Ahnenerbe-Publi
kationen: „Nordland", „FM-Zeitschrift" und „Das Thema von Morgen".
Weiterhin auffällig ist Plassmanns Schreib- und Arbeitsfleiß, der umso
erstaunlicher scheint, als daß er für seine Tätigkeit lediglich mit einem gerin
gen Einkommen entlohnt wurde. Zwischen 1925 und 1942 verfaßte er über
70 wissenschaftliche Artikel, davon 60 innerhalb der Zeitschrift „Germa
nien", sowie zahlreiche Buchrezensionen.261
Jedoch scheint die hohe Arbeitsbelastung zwischenzeitlich ihren Tribut zu
fordern: so bemängelte Wüst 1939 ein Abfallen des Niveaus der Zeitschrift.
Insbesondere sei es wiederholt zum Abdruck nicht redigierter Texte gekom
men, die bei einigen Lesern und auch Ämtern für Kritik sorgten.262 Innerhalb
kurzer Zeit, scheint Plassmann dementsprechend reagiert zu haben, denn
wenige Monate später wird er wieder ausdrücklich für seine Arbeit gelobt.
Gekrönt werden sollte seine schriftstellerische Tätigkeit durch seine
- schon vor Fertigstellung von Wüst überschwenglich gepriesene - Habi
litationsschrift über die sächsischen Kaiser, die im Dezember 1938 an der
Universität München eingereicht wurde. Wüst schreibt hierzu an Himmler:
„Sie wird mit Hilfe einer geradezu verblüffenden und ergebnisreichen Methode das
Geschichtsbild der Sachsenkaiser auf altgermanischer Grundlage aufbauen, dieses
Geschichtsbild so der römischen Geschichtsklitterung endgültig entreißen und da
mit die Absichten des Reichsführers SS in einer Weise und Stärke mit verwirklichen
helfen, wie sie eindrucksvoller nicht gedacht werden kann."263
Hintergrund dieser Lobpreisung war dabei allerdings die drohende
Entlassung Plassmanns aus dem Ahnenerbe durch ein im April 1937 ein
89
geleitetes SS-Disziplinarverfahren nach einem Streit des Germanien-Schrift
leiters mit Angehörigen der Hitlerjugend. Trotz der breiten Front an Unter
stützung für Plassmann, wurde er aufgrund des Verfahrens tatsächlich im
November 1937 für einen kurzen Zeitraum aus der SS entlassen. Während
er seine Tätigkeit innerhalb des Ahnenerbe auf Himmlers persönliche Wei
sung davon unbeeindruckt beibehielt, sprach ihn schließlich auch das SS-
Ehrengerichtsverfahren noch Ende des Jahres von allen Vorwürfen frei und
Plassmann wurde wieder in die SS aufgenommen. Zugleich erhielt er eine
Festanstellung im Ahnenerbe, was sein bislang eher kärgliches Einkommen
bedeutend verbesserte. Insgesamt ging der „Germanien"-Schriftleiter aus
dieser Angelegenheit gestärkt hervor, sein Konkurrent Bernhard Kummer,
Schriftleiter der Zeitschrift „Nordische Stimmen", der ihn des „Katholizis
mus nahestehend" beschuldigt hatte, mußte sich in „Germanien" öffentlich
entschuldigen und wurde seiner Tätigkeit - auch aufgrund eines damit in
Zusammenhang stehenden Konfliktes mit Otto Höfler - enthoben.264
Weniger Glück hatte Plassmann indes mit seiner Habilitation - dort
bahnte sich ein Streit zwischen dem Hauptgutachter Höfler und dem Zweit
gutachter Erich Gierach an: weniger über die Arbeit des Doktoranden, denn
über deren persönliches Verhältnis. Jedenfalls legte Wolfram Sievers Plass
mann nahe, die Arbeit vorerst zurückzuziehen, was dieser mit dem Verweis
auf eine von ihm gewünschte Erweiterung dann im März 1940 auch tat.
Für Michael Kater, den Verfasser der Ahnenerbe-Monographie, war dieses
vermeintliche „Scheitern" Anlaß, Plassmanns Fähigkeiten generell in Frage
zu stellen.265
Daß dies fernab jeglicher Realität ist, räumt selbst die dem Ahnenerbe-
Mitarbeiter nicht allzufreundlich gesinnte Gisela Lixfeld ein: „Dieses Urteil
- wohl auch in der von Kater immer wieder vorgenommenen strikten Scheidung in
Koryphäen und Dilettanten begründet - läßt sich mit Hilfe der überlieferten Akten
nicht erhärten."266
90
Bevor Plassmann seine Habilitation weiter ver
folgte, hielt er im Auftrag des Ahnenerbes landes
weit Vorträge, organisierte und besuchte diverse
Tagungen und arbeitete an verschiedenen Buch
projekten. Diese Tätigkeit schien dem Ahnenerbe,
obgleich aus seinen Reihen in Person des Präsi
denten Wüst Plassmann zur Habilitationsanmel
dung förmlich gedrängt wurde, von größerer
Bedeutung, als die Aufwertung eines ihrer Prota
gonisten durch einen akademischen Titel.267
Im Juni wurde Plassmann zur „Sicherung von
Kulturgütern" in das besetzte Paris entsandt, wo
er unter anderem französische Dokumente zum
J. O. Plassmann
Westfälischen Frieden entdeckte, die für eine ge
meinsame Publikation mit Dr. Schulte/Münster
Verwendung fanden.
Seit August 1940 wirkte Plassmann ferner innerhalb des „Germanischen
Wissenschaftseinsatzes" zur Gewinnung von europäischen Freiwilligen für
den Nationalsozialismus in den besetzten Ländern Belgien und den Niederlan
den und wurde aufgrund seiner Erfolge 1941 zum Ahnenerbe-Verbindungs
mann zum SS-Hauptamt „Germanische Freiwilligen Leitstelle" ernannt.
Durch den erzwungenen Rücktritt des seinerzeitigen Dekans des Volks
kunde-Lehrstuhles in Bonn, Heinrich Harmjanz und den Tod dessen vorgese
henen Nachfolgers Erich Röhr, wurde Plassmann als neuer Volkskunde Lehr
stuhlinhaber vorgeschlagen und reicht seine Habilitationsschrift zum Thema
„Untersuchungen zur germanischen Sagen- und Religionsgeschichte bei Wi
dukind von Corvey" an der Universität Tübingen ein. Mit einigen Vorbehal
ten wurde diese im Oktober 1943 angenommen. Nach Überwindung weiterer
Widerstände im Bonner Universitätsbetrieb wurde Plassmann schließlich im
Wintersemester 1944 zum ordentlichen Professor bestellt, nachdem er am 1.
Mai aus dem hauptamtlichen Dienst des Ahnenerbe ausgeschieden war um
bereits als Vertreter für den vakanten Volkskunde-Lehrstuhl zu fungieren.
so dilettantisch und die als seriös eingeschätzten waren nicht so seriös, wie es auf den er
sten Blick erscheinen mag. Die Übergänge zwischen beiden Extremen sindfließend, und
die generell ebenso dilettierenden wie wissenschaftlich vorgehenden Ahnenerbe-Forscher
lassen sich eher nach dem Grad und den Gründen ihres Engagements für die nationalso
zialistische oder,SS-Weltanschauung' unterscheiden."
267 So Lixfeld (1994), S. 235.
91
3.3. Herman Wirth & die Urreligion
92
seine bereits durch den Vater geförderte Vorliebe für die deutsche Kultur
weiter zunahm.272
Nach Utrecht zurückgekehrt, bestand Wirth 1908 sein Staatsexamen und
promovierte 1910 mit der Arbeit „Der Untergang des niederländischen Volks
hedes" an der Universität Basel beim dortigen Volkskundler John Meier zum
„Dr.phil/'Darauf kehrte er als Dozent für niederländische Philologie an die
Berliner Universität zurück, wo er sich neben volkskundlichen Studien273 auch
für die niederländische Volksmusik begeisterte. Zusammen mit einer Gruppe
begeisterter Anhänger gab er Veranstaltungen in denen früh-niederländische
Musikdarbietungen mit Vorträgen kombiniert wurden. 1913 heiratete er eine
beteiligte Musikerin, Margarethe Schmitt, Tochter eines damaligen bekannten
Landschaftsmalers.274
Zu Beginn des Ersten Weltkrieges meldete sich Wirth freiwillig zum deut
schen Militär. Aufgrund seiner niederländischen Staatsangehörigkeit setzte ihn
das Militär in der Zivilverwaltung im deutsch besetzten Belgien in Gent ein, wo
er als Verbindungsmann zu den - deutschfreundlichen - flämischen Separatisten
fungierte. Hier engagierte er sich stark für die flämischen Belange. Nicht zuletzt
wegen seines Engagements als gebürtiger Niederländer für Deutschland wurde
er 1916 von Kaiser Wilhelm II. zum Titularprofessor ernannt. Allerdings ging
einigen deutschen Offizieren sein Einsatz für Flandern zu weit, so daß er noch
1916 von seiner Position abberufen wurde.275 Nach dem Zusammenbruch 1918
gründete Wirth in den Niederlanden die hündische Organisation „Landsbond
der dietsche Trekvogels", eine niederländische Variante des Wandervogels. In
diesem Zusammenhang erkannte er, daß der deutschen Jugend bei allem völ
kischen Enthusiasmus die eigentliche geistige Urgrundlage fehlte:
„Denn daß die Edda keine „germanische Bibel" war - wie von gordischen Glau
bensbewegungen' damals (und sogar noch heute) mit tragischer Ehrfurcht ange
nommen wurde - das war mir soweit klar geworden. Aber was lag dahinter?"276 Mit
dieser Fragestellung verband sich der Beginn des „Suchens und Tastens"
Wirths zurück zur europäischen Geistesurgeschichte - lange vor dem Wal
halla- und Götterglaube der Germanen.277
Zu dieser Zeit - 1924 - ließ sich Wirth in Marburg nieder und errichtete
das Haus Eresburg als Studienort. 1925 trat er der NSDAP bei, doch be-
93
Herman Wirth in seinem Arbeitsraum im Haus Eresburg, Marburg, ca. 1930
reits 1926 folgte sein Parteiaustritt, dessen Begründung umstritten ist. Wir
th selbst führte an, durch diesen Schritt der Bewegung von größerem Nut
zen gewesen zu sein, da er dem Nationalsozialismus entgegenkommende
Thesen ohne Vorwurf der Parteilichkeit propagieren hätte können. Andere
Stimmen behaupteten demgegenüber, Wirth hätte zu dieser Zeit jüdische
Gelder angenommen und werten dies als Beweis für seinen vorgeblichen
Opportunismus.278 Wie sich der Austritt auch immer erklären läßt, sticht
hier bereits Wirths eigenwilliger Charakter hervor, bei aller unumstrittenen
geistigen Nähe zur NS-Bewegung auch unpopuläre Maßnahmen zu ergrei
fen, wenn er von deren Richtigkeit überzeugt war.
Bereits seit 1921 mündete Wirths Interesse an den Grundlagen der germa
nischen Kultur in volkskundlichen und frühgeschichtlichen Forschungen, in
deren Mittelpunkt die Sinnbild- und Kultsymbolik stand.
Mit seinem 1928 bei Eugen Diederichs in Jena veröffentlichten Werk „Der
Aufgang der Menschheit" begeisterte er weite Kreise der völkischen Anhän
ger und inspirierte auch führende NS-Protagonisten. Durch die Deutung des
Hakenkreuzes als „arteigenem Heilszeichen" bereitete er auch - gemeinsam
278 Kater (2006), S. 13 - Ursprung der Vorwürfe war die Behauptung Bolko v.
Richthofens gegenüber NSDAP-Parteigremien, die der Denunziation Wirths die
nen sollten. Tatsächlich hatte Wirth eine beachtliche Spende des jüdischen „Ölmag
naten" Ludwig Schindler angenommen; vgl. Alexander (Wirth).
94
mit anderen Forschern - dem spä
teren Symbol des Dritten Reiches
ein theoretisches Fundament.
Im gleichen Jahr erfolgte die
Gründung der Herman-Wirth-
Gesellschaft" welche den grund
legenden Thesen Wirths eine
weitere Verbreitung verschaffen
sollte - die Abstammung noch
heute weltweit anzutreffender
Sinnbildsymbolik von einer jung-
paläolithischen Kultur, die bereits Umstrittene Schriften: „ Ura-Linda-Chronik"
einen auf dem Sonnen-Jahreslauf (1934) und „Aufgang der Menschheit" (1928)
basierenden (Ur-)Monotheismus
und Lichtbringerglauben besessen hätte und identisch mit der atlantisch
nordischen Rasse wäre, die ihren Ausgangspunkt aus einem arktischen „At
lantis / Thule" genommen hätte. Die weltweit verbreiteten Zeichen deutete
Wirth als „vergeistigte Urbilder", die zugleich Urschrift, Urkultur und Ur
symbolik verkörperten. In Wirths Worten in einem Satz zusammengefaßt,
„daß die Religion der nordatlantischen Tuatha-Völker, „jener „Leute" oder
„Deutschen" der fernen Vorzeit eine monotheistische war, ein Glaube an
den Welten- und Himmelsgott."279
1929 hielt Wirth einen Vortrag in München, bei dem auch Hitler mit eini
gen Parteifreunden, darunter Alfred Rosenberg, sowie das Verlegerehepaar
Bruckmann anwesend waren. Im Anschluß an den Vortrag übergab Hitler
Frau Bruckmann Wirths Buch „Der Aufgang der Menschheit" mit folgender
Widmung: „Wirth ist für mich der lebendigste Wissenschaftler. Ich warte nur da
rauf daß dieser Mann zum Volke spricht. Nach der Machtübernahme werde ich sein
und Klages' Werk durch Lehrstuhl und Institut sicher stellen."280
1932 führte Wirths Nähe zur NSDAP, die sich auch in einem Wahlaufruf
Wirths zugunsten der Partei 1932 im Völkischen Beobachter widerspiegelte,281
zur Gründung des Forschungsinstitutes für Geistesurgeschichte in Bad Do
beran auf Betreiben der nationalsozialistischen Landesregierung von Meck
lenburg-Schwerin. Im März 1933 eröffnete Wirth in der Potsdamer Straße in
Berlin die auf einen Monat angesetzte Ausstellung „Der Heilbringer - Von
Thule bis Galiläa und von Galiläa bis Thule", in der er auf die Vorwegnahme
des Christentums im Norden Europas anspielte. Die Ausstellung umfaßte
von Wirth als „Denkmäler des nordischen Kulturkreises und Geisteserbes"
279 Wirth (1931), S. 12; siehe dazu auch Strohmeyer (1993), S. 32 ff.
280 Neumann (Begegnung), S. 7.
281 Vgl. Wiwjorra (1995), S.99.
95
erkannte Exponate und verdeutlichte, daß die „Edda zwar eine schöne Skal
dendichtung war, aber nicht die germanische Religion darstellte."282
Aufgrund des großen Zuspruchs folgte im Mai 1933 mit Unterstützung des
nationalsozialistischen mecklenburgischen Ministerpräsidenten eine Fortset
zung der Ausstellung in Schwerin.
Die Reaktionen auf die Präsentation von Wirths Forschungsergebnissen war
jedoch auch unter Anhängern des Nationalsozialismus umstritten. Insbesonde
re Wirths Ansicht, daß die Zukunft Deutschlands, Europas und im Grunde der
ganzen Menschheit davon abhängt, ob der Mann der Frau ihre Stellung zurück
gibt, die sie einst hatte, und die er ihr genommen hatte. Denn, so Wirth, „sie
stand einst nicht nur neben ihm, sondern sie war auch seine Rätin“.283
Damit mußte er zwangsläufig auch den Widerspruch Rosenbergs herauf
beschwören, der der Frau lediglich eine passive Rolle zugestehen wollte.284
Mit Wirths Eintritt für einen „wahren Quellenkern" der Ura-Linda-
Handschrift (ULH), die er 1933 mit einem Kommentar veröffentlichte,
steigerte sich die Polarisierung um den umstrittenen Forscher weiter. Die
Mehrzahl der akademischen Frühgeschichtsforscher wandte sich gegen
Wirth, nur wenige anerkannte Fachleute nahmen ihn in Schutz - etwa der
Prähistoriker Gustav Schwantes, der von einem „Funken echten Geniums"
Wirths sprach. Hauptkritikpunkt der Kritiker Wirths waren dabei vor
allem Passagen innerhalb der Chronik, die sich nicht mit dem herrschen
den Frühgeschichtsbild nationalsozialistischer Frühgeschichtsforscher
deckten sowie die vielen neuheidnischen ausgerichteten Forschern aufsto
ßende Nähe zum Christentum,285 zugleich aber auch Wirths aus der ULH
abgeleitete Überzeugung von der großen Bedeutung des Weiblichen in der
282 Neumann (Begegnung), S. 4; vgl dazu auch Kummer (1935), der darauf hin
wies, daß in allen isländischen Sagen weder Wodan, Oin noch das Walhall erschei
nen, sondern immer nur von Thor als einziger Gottheit gesprochen wird.
283 Herman Wirth während einer Führung durch die Ausstellung, zit. nach Neu
mann (Begegnung), S. 4.
284 Vgl. dazu Rosenberg (1943), S. 321: „.. daß der Mann auf allen Gebieten der
Forschung, Erfindung und Gestaltung dem Weibe überlegen ist, dessen Wert aber
auf dem ebenso wichtigen, alles andere voraussetzenden der Blutserhaltung und
Rassenvermehrung beruht, aber eben doch nur mittels ihres Leibes“; Neumann, S.
7, berichtet von einem Einspruch nach dem Münchener Vortrag 1929 durch Rosen
berg: „Na, Herr Professor, das sind doch wohl alles nur Ihre persönlichen Meinun
gen.“ Worauf der Herr Professor antwortete: „Herr Rosenberg, davon verstehen
Sie nichts:“ Neumann ergänzt: Ob Herman Wirth wohl damals geahnt hatte, daß
Rosenberg damit sein Todfeind geworden war? Im Juni 1934 erließ Rosenberg je
denfalls ein Verbot, über Wirth zu berichten; Simon (ULChr,), S. 9.
285 Vgl. Wiwjorra (1995), S. 102 f.
96
nordischen Frühzeit, die sich in einer matriarchal geprägten Gesetzgebung
und Rechtsprechung manifestiert hätte.
Trotz dieser den Plänen Himmers zur Errichtung eines SS-Männerordens
auf den ersten Blick entgegenstehenden Ansätzen Wirths,286 war der SS-
Reichsführer nach Bekanntschaft des Marburger Forschers durch Vermitt
lung Johannes von Leers den Forschungen Wirths gegenüber empfänglich.287
Obgleich aufgrund der innerhalb der NSDAP ausgebrochenen Kontrover
sen um Wirth das Forschungsinstitut für Geistesurgeschichte in Bad Dobe
ran nach Streichung der Gelder 1934 wieder geschlossen werden mußte, un
terstützte Himmler gemeinsam mit Richard Walther Darre die Einrichtung
einer neuen Ausstellung „Der Lebensbaum im Germanischen Brauchtum"
im Gebäude des Reichsnährstandes.288
Kurz danach mündete die neue Allianz am 1. Juli 1935 in der Gründung
des Projektes Ahnenerbe, „Verein zur Erforschung der Geistesurgeschiche".
Hier ging Wirth seinen Forschungen zu symbolkundlichen Überlieferungen
nach und errang mit der Aufstellung einer Sammlung von Gipsabgüssen
prähistorischer Felsbilder aus Bohuslän, die während einer offiziellen Ah
nenerbe-Expedition angefertigt wurden, auch internationale Anerkennung.
1945 wurde Wirth nach Denunziation durch einen Nachbarn von den
US-amerikanischen Truppen für zwei
Jahre interniert. Nach seiner Freilassung
als „Mitläufer" zog es ihn für einige Jah
re nach Schweden. Bereits 1954 kehrte er
jedoch in seine alte Heimat Marburg zu
rück, wo er als Privatgelehrter lebte. Trotz
seiner negativen Erfahrungen mit dem
NSDAP-Parteiapparat trat er anläßlich sei
ner Wiedergutmachungsklage wegen des
Verlustes seiner Professur im 3. Reich aus
Überzeugung auch öffentlich für seiner
Ansicht nach richtige Aspekte des Dritten
Reiches ein, weshalb er die Klage verlor
und von verschiedener Seite als unver- Herman Wirth in Skandinavien
286 Entgegen der weit verbreiteten Ansicht stand Himmler - anders als Alfred Ro
senberg - der Betonung der bedeutenden Rolle des Weiblichen in der germanischen
Urgeschichte positiv gegenüber, exemplarisch findet sich dies in der Schrift des
Himmler beratenden Weisthors, „Die Maidenschaft'' (Hagal Nr. 8/1935).
287 Im Frühsommer 1934fand auf Vermittlung der frühgeschichtlich interessierten
von Leers in deren Haus das erste Treffen zwischen Wirth, Darre, Himmler und
Wiligut/Weisthor statt; vgl. Pringle (2006), S. 55.
288 Nach Wiwjorra (1995), S. 105.
97
besserlicher „Nazi-Anhänger" eingestuft wurde.289 Dennoch erhielten seine
Lehren über „mütterlich geprägte Urkulturen" in den 1970er Jahren Reso
nanz in der sich entwickelnden Alternativszene und in Unterstützergruppen
für die nordamerikanischen Ureinwohner.290 1974 errichtete die Ur-Europa-
Gesellschaft in Fromhausen/Horn, in der Nähe der Extemsteine, eine kleine
re Ausstellung mit über 700 Ausstellungsobjekten. Da die Ausstellungsfläche
jedoch nicht genügend Raum für alle Exponate Wirths bot, kam es zu Plänen
für eine größere Ausstellung in Thallichtenberg. Auf Vermittlung des Wirth-
Schülers und SPD-Mitgliedes Roland Häke besuchte Willy Brandt 1979 Wir
th in Marburg und die Rheinland-Pfälzische Landesregierung unterstützte
zeitweise ein Projekt, in Kusel ein Museum mit der ethnographischen Samm
lung Wirths einzurichten. Aufgrund einer gezielten Denunziationskampagne
gegen Wirth, bei der auch die Zeitschrift „Der Spiegel" eifrig mitwirkte,291
zog sich die Landesregierung trotz vorhergehender Zusagen über 1,5 Mio
Mark zurück.292 Alternativ kam es 1979 stattdessen zu einer kleinen „Oster-
Maien" Ausstellung in Thallichtenberg, wohin Wirth nach dem Tod seiner
Gattin 1979 übergesiedelt war.
Die Behauptung, derzufolge Wirths historische und ethnographische
Thesen „von der wissenschaftlichen Fachwelt einhellig abgelehnt" wurden und
werden und „.. durch keinerlei Quellen belegbar (sind)",293 ist allerdings falsch:
So erlebte die von Wirth in Übereinstimmung mit Forschern wie Bal-
gangadhar Tilak und anderen vertretene Auffassung, Grönland bzw. der
arktische Raum sei ein wichtiges Ursprungsgebiet des nordischen Menschen
gewesen, in den letzten Jahren einen neuen Aufschwung.294
Ebenso wurde unlängst die Existenz der von Wirth postulierten „Ur-
Schrift" erhärtet: Die Forscherinnen April Nowel und Genevieve von Pet-
zinger haben in einer im April 2009 auf dem Treffen der Paläanthropolo-
gischen Gesellschaft in Chikago präsentierten Studie festgestellt, daß an
verschiedenen altsteinzeitlichen Fundstätten auftauchende Symbolzeichen
eine frühe Form rudimentärer Schrift sein könnten. Wie die Mitarbeiter der
Universität von Victoria in British-Columbia (Kanada) mitteilten, weisen die
teilweise komplex gestalteten Zeichen sowie ihre an verschiedenen Orten
nachweisbare Existenz auf eine frühe Kommunikationsform hin, die sich
weltweit ausbreitete. Angefertigt wurden die insgesamt 26 verschiedenen
98
Zeichen - darunter Hände, Linien, Spiralen, Rauten usw. - in der Zeitspan
ne zwischen 35 000 und 10 000 v. Zw. zumeist innerhalb bekannter Höhlen
oder an Felswänden, wie etwa im südfranzösischen Chauvet oder in der
Les-Trois-Freres Höhle in den Pyrenäen. Hier in Südfrankreich lokalisierten
die Forscherinnen auch das früheste Auftreten der Zeichen, obgleich sie eine
frühere Entstehung und zeitgleiche Ausbreitung mit dem modernen Men
schen von Afrika ausgehend, nicht ausschließen wollen.
Mit den Forschungsergebnissen werden auch die Erkenntnisse Wirths
unterstützt, der bereits in seinem 1928 erschienenden Werk „Der Auf gang
der Menschheit" von einer weltweiten Verbreitung einer altsteinzeitlichen
Schriftform ausging, welche teilweise die gleichen Symbolzeichen enthält,
wie die nunmehr im Rahmen der Studie vorgestellten.295
So mag man in der Bilanz durchaus Günter Bischoffs anläßlich der To
tenfeier für Wirth geäußerten Worten beipflichten, daß nämlich Wirth „wil
lens (war),einer fest gefahrenen Kathederwissenschaft in ihrer Unkenntnis und im
Nichtwissen um das nicht beachtete Denkmälermaterial, wieder neues, ehedem altes
Leben einzuhauchen. Ruht doch darin allein urgeschichtliche-geistige Überlegung,
um nun auf diesem Wege den Vorstellungen um einen unpersönlichen, einst ge
dachten Weltengott, Weltengeist,der als Ur-Vorstellung einer Urgemeinschaft ge
schaut , gedacht und als solcher verehrt worden ist, wieder nahe zu kommen."296
Weltweite Verbreitung von Zeichen, die bereits Herman Wirth erkannt hatte; New Scientist
99
4. Indogermanisches Weistum statt „Germanentümelei"?
Walther Wüst & der kommende SS-Glaube
chon zwei Jahre nach Gründung des Ahnenerbe sah sich Himmler zu
100
Lächerliches anhaftete, war Himmler im Grunde peinlich,
und je eher er den Geistesurgeschichtsforscher, dessen brü
chiges Renomee beizeiten auch auf das Ahnenerbe abfärben
mußte, durch einen allerseits akzeptierten Mann ersetzen
konnte, desto besser."298
Dementsprechend dominiert innerhalb der Li
teratur als Motiv der Ablösung Wirths, der Ver
such, die Reputation des Ahnenerbe zu verbessern
- zumeist mit dem irrigen Verweis auf das Eintreten
Wirths für die Echtheit der Ura-Linda-Chronik, als
vermeintlichem Auslöser für Himmlers Entschei Ludwig Roselius
dung gegen Wirth.299
Ausschlaggebend für diese Entscheidung Himmlers waren tatsächlich
jedoch verschiedene Faktoren. Zum einen war Wirth als Forscher „mit Leib
und Seele" wenig den organisatorischen Angelegenheiten zugeneigt, die
sich ebenfalls mit der Position als Präsident eines offiziellen Forschungs
institutes verbanden. Schon immer hatte Wirth Probleme, sein finanzielles
Budget angemessen zu verwalten, was nach dessen kostspieliger, im offi
ziellen Rahmen des Ahnenerbe erfolgten Skandinavien-Fahrt zur Erstel
lung von Gipsabgüssen von Felsbildern 1936 den Zorn Himmlers herauf
beschwor, der seinem Präsidenten vorwarf, damit das Ahnenerbe „an den
finanziellen Ruin" zu treiben.300 Daneben spielte auch Himmlers generelles
Bemühen eine Rolle, „sein" Ahnenerbe-Institut wissenschaftlicher auszu
richten, wozu als Präsident unbedingt eine wissenschaftlich integre Person
gefunden werden mußte. Letztendlicher Auslöser der „Kaltstellung" Wirths
war jedoch - worauf insbesondere Gert Simon hinwies301 - die Kritik von
höchster Stelle. Diese erfolgte in Form einer Rede Adolf Hitlers gegen die
Begleiterscheinungen der allerorten hervorbrechenden Germanenbegeiste
rung. Im September 1936 ging Hitler mit den sogenannten Romantisierern
hart ins Gericht: „Wir haben nichts zu tun mit jenen Elementen, die den Natio
nalsozialismus nur vom Hörensagen kennen und ihn daher nur zu leicht verwech
seln mit undefinierbaren nordischen Phrasen und die nun in einem sagenhaften
Atlantischen Kulturkreis ihre Motivforschung beginnen. Der Nationalsozialismus
101
lehnt diese Art von Böttcherstraßen-Knltur schärfstens ab." Damit richtete sich
der Reichskanzler sowohl gegen den Bremer Kaufmann Ludwig Roselius als
auch gegen dessen Protegee Herman Wirth. Roselius hatte 1931 in der Bre
mer Böttcherstraße sein künstlerisch umstrittenes Haus Atlantis vom Archi
tekten Bernhard Hoetger errichten lassen. 1933 und 1934 rief Roselius eine
Reihe bedeutender Forscher und Historiker zu „Thing-Veranstaltungen"
nach Bremen, darunter auch den italienischen Autoren Julius Evola sowie
Walther Wüst, die beide 1934 sprachen. Doch bereits das Thing 1933 sorg
te durch die Rede Herman Wirths, der zugleich die in Bremen gastierende
Ausstellung „Der Heilbringer" eröffnete, für Kontroversen, die darin gipfel
ten, daß zwei Forscher die Veranstaltung vorzeitlich verließen.302
Besonderen Anstoß nahmen „NS-treue" Gefolgsleute auch an architektoni
schen Umsetzungen, wie etwa der „schauerlichen" Odin-Jesus-Skulptur am
Portal des Hauses Atlantis, die auf Wirths Lebensring-Jahresrad Bezug nahm.303
Die Polemik Hitlers versetzte jedenfalls den „treuen Heinrich", wie
Himmler in Anspielung auf seine Verbundenheit mit Hitler ironisch ge
nannt wurde, in höchste Alarmstimmung. Damit waren bereits im Herbst
1936 die Weichen für den Wechsel gestellt, denn ein Wort Hitlers hatte in
Himmlers Empfinden immer auch den Ton eines Befehls. Bislang hatte Hit
ler Himmlers Privatforschungsattitüden stets toleriert, obgleich seine privat
geäußerte Ablehnung der Ausgrabung „germanischer Lehmhütten" von
Zeit zu Zeit offenkundig wurde: „Nicht genug, daß die Römer schon große Bau
ten errichteten, als unsere Vorfahren noch in Lehmhütten hausten, fängt Himmler
nun an, diese Lehmdörfer auszugraben.''304
Nunmehr sah sich Himmler im Zugzwang gegenüber seinem Dienst
herren, mit dem Ahnenerbe für die Partei verwertbare Ergebnisse zu prä
sentieren. Dies sollte zum einen mit der Steigerung der internationalen Re
putation des Vereins, zum anderen mit der Änderung der Ausrichtung, hin
zur Erforschung des Indogermanentums erfolgen.
Neben Himmlers Zweifeln an der Eignung Wirths zur Verbesserung der Re
putation des Ahnenerbe, spielte auch dessen fragliche Verwendung zur Kon
struktion eines religiös-mythischen Unterbaus der SS eine Rolle. Zwar verstand
Himmler die SS nicht als reinen Männerorden, sondern als Familienorden, den-
302 So Lutzhöft: Der nordische Gedanke, zit. nach Strohmeyer (1993), S. 62.
303 Artikel in der SS-Zeitung Schwarzes Korps vom 24. Oktober 1935, zit. nach
Strohmeyer (1993), S. 72; auch Wirth empfand übrigens die Skulptur als wenig
gelungen, was seine „Mithaftung" indes nicht verhinderte.
304 Nach Speer (1976), S. 108; allerdings muß dieses Zitat hinterfragt werden,
denn der Autor nimmt es auch an anderen Stellen nicht so genau mit der Wahrheit;
daß Hitler in der Öffentlichkeit durchaus den Wert des „Germanentums" anerkann
te, beweist seine Rede vom 5.12.1934; siehe Lund (1995), S. 103.
102
noch war die Ausrichtung auf das männerbün-
dische Prinzip nicht zu leugnen. Exemplarisch
dafür stehen Himmlers Überlegungen zur Er
laubnis einer Mehrehe für den SS-Mann. Nach
seinen Überlegungen sollte der SS-Mann neben
seiner Frau auch weitere Frauen nehmen dür
fen, sofern sich damit auch die Zeugung weite
rer Kinder verband. Auch wenn der Vorwurf
absurd ist, Himmler selbst hätte getreu dieser
Überlegung eine weitere Frau genommen - tat
sächlich trennte er sich von seiner ersten Frau
Magda aufgrund persönlicher Differenzen be
vor er eine neue Frau heiratete - so wäre den
noch eine tatsächliche Umsetzung durchaus Prof. Walther Wüst
denkbar gewesen. Folgerichtig stand Wirth,
dessen stark mutterrechtlich beeinflußte Vorstellung einer Ur-Religion, die der
Reichsführer SS zu Beginn als möglichen langfristigen Ersatz des Christentums
betrachtet haben mag, dem Ordensgedanken der SS im Weg.
Verschiedene Autoren haben die religionspolitischen Pläne Himmlers als
„Renaissance eines heidnischen Glaubens"305 verkannt, was jedoch nicht den
Tatsachen entspricht.
„Heinrich Himmler hatte erkennen müssen, daß eine Restaurierung des ger-
manisch-religiösen Lebens aus den vielen Sekten und Bünden, die meist auf den
Lehren des Wieners Guido von List und der Edda fußten, keine für die SS und das
deutsche Volk verbindliche Religion zu schaffen war", wie bereits Rudolf Mund
bemerkte.306
Mangels schriftlicher germanischer Quellen und eingedenk der Unbrauch
barkeit der gut überlieferten Verhältnisse der spätgermanischen Zeit aufgrund
ihrer diffusen Vielgötterwelt, wendete sich Himmlers Bück schließlich auf die
indogermanischen Vettern der Frühgermanen: Die Indoarier. Damit richtete
sich Himmlers Fokus zugleich auf einen Mann, der trotz seines jungen Alters als
Koriphäe auf diesem Gebiet galt und überdies bereits als SS-Mann dem Ahnen
erbe Schützenhilfe geleistet hatte: Walther Wüst (1901-1993). Neben seiner
Verteidigung der Ura-Linda-Chronik als „im Kern echt" anläßlich der be
reits erwähnten Podiumsdiskussion, erregte er insbesondere mit seiner viel
beachteten Rede „Des Führers Buch Mein Kampf als Spiegel arischer Welt-
305 So vor allem die wenig differenzierenden US-Autoren; vgl. etwa Levenda:
„Himmlers dream was to create, out ofthe SS, a new religion based on the pagan
elements ofwhat he percieved to be the original, Ur-aryan religion ofancient India
and Europe"; S. 215.
306 Mund (2011), S. 148
103
anschauung" nicht nur das Interesse Himmlers.307 308 Wüst war in Vielem fast
das Gegenteil von Wirth - pedantisch, organisatorisch perfektionistisch und
vor allem wissenschaftlich ausgerichtet und als solcher auch im Ausland an
erkannt. Mit Anfang 30 verfügte er bereits über einen eigenen Lehrstuhl an
der Universität München. Die Berufung von Wüst versprach nicht nur eine
bessere Reputation des Ahnenerbe, sondern auch neue Ansätze zur Kreie
rung eines tatsächlichen „SS-Glaubens", der aus den Ur-Quellen schöpfte.
Auch im Kreise der NS-Führerschaft genoß der Wissenschaftler Wüst ho
hes Ansehen. Anläßlich der Ernennung Wüsts zum Rektor der Münchener
Universität führte Gauleiter Wagner aus, daß dieser „zu den wenigen Gelehr
ten gehöre, die das Wissen über Leben, Geist, Kultur der ältesten Arier bewußt aus
den lebendigen nationalsozialistischen Voraussetzungen heraus erforschen und für
die geistige Formung unseres Volkes nutzbar machen."303
Diese neue Ausrichtung stellte die Weiche für die geistige Unterfütterung
des Anspruchs des neuen Deutschlands, das gemeineuropäische Erbe des
Indogermanentums anzutreten. Der zunehmenden Kritik Wüsts an Wirths
fortgesetzten Forschungen und Vortragsveranstaltungen, schlossen sich auch
Wirths einstige Schüler und Anhänger Wolfram Sievers und Joseph Otto
Plassmann an. 1939 wurde Wirth, der nicht daran dachte, seine öffentlichen
Äußerungen den politischen Erwartungen unterzuordnen, mit einem Vor-
Walther Wüst während der Rede: „Des Führers Buch Mein Kampf', 1936.
307 Vortrag 1936; Wüst, ed. nach Simon, S. 1; die Parteinahme Wüsts für Wirth
im Ura-Linda-Streit verdeutlicht erneut die Unhaltbarkeit der Behauptung, dieser
Streit hätte Wirths Ende im Ahnenerbe besiegelt.
308 Zitiert nach Trimondi (2002), S. 40.
104
trags- und Lehrverbot belegt Doch hielt dieser mit der Kritik an der neuen
Ausrichtung „seines" einstigen Vereins nicht hinter dem Berg. Insbesondere
kritisierte Wirth die Abkehr vom alteuropäischen Mütterglauben und warnte
eindringlich vor der „männerbündlerischen Richtung", die Wüst vorschweb
te und den „Schwarzen Orden" Himmlers fortan kennzeichnen sollte.309 Die
Spannungen zwischen Wirth und Wüst führten schließlich im Dezember 1938
zum offiziellen Austritt Wirths, nicht ohne daß Himmler mit dem Gelehrten
in Kontakt blieb und für finanzielle Forschungsbeihilfen sorgte. Unrühmlich
war in diesem Streit vor allem die Rolle Wolfram Sievers, dem als früheren
Sekretär Wirths die gesamte administrative Leitung des Ahnenerbes oblag.
Er stellte sich gegen seinen einstigen Förderer und blieb auf seinem Posten.
Daß Sievers trotz seiner persönlichen Kritik an seinem einstigen Vorgesetz
ten zumindest dessen Arbeit fachlich würdigte, beweist jedoch ein Schreiben
des Geschäftsführers an Plassmann, mit der Vorgabe den Forscher Wolfgang
Krause wegen der Unterschlagung der Forschungen Wirths innerhalb eines
Aufsatzes Krauses zu tadeln.310
Das im März 1937 neu organisierte Kuratorium des im November 1936
dem Persönlichen Stab RF-SS angegliederten Ahnenerbe umfaßte seitdem fol
gende Mitglieder: 1. Reichsstatthalter Gauleiter Dr. Alfred Meyer, Münster/
2. SS-Standartenführer Erwin Metzner, Berlin, Siegelbewahrer des Reichsbau
ernrates / zum Präsidenten: SS-Hauptsturmführer o. Univ.-Prof. Dr. Walther
Wüst, Dekan der philosophischen Fakultät der Universität München / zum
stellv. Präsidenten: SS-Standartenführer Dr. Wilhelm Kinkelin, Berlin, Haup-
abteilungsleiter im Stabsamt des Reichsbauernführers / zum Reichsgeschäfts
führer: SS-Untersturmführer Wolfram Sievers, Berlin. Der stellvertretende
Kurator war wie bisher SS-Brigadeführer Dr. Hermann Reischle, Berlin, Stab
samtsführer im Reichsnährstand. Außerdem hat der Reichsführer-SS den SS-
Obersturmbannführer Prof. Dr. Herman Wirth, Marburg, als Mitbegründer
des „Deutschen Ahnenerbes" zum Ehrenpräsidenten ernannt.311
105
Wüst und Himmler in Quedlinburg - in der Kritik: Yro v. Grönhagen, Theodor Weigel
106
der Bedeutung von „Erbhof" für 2000 v.Zw.
bescheinigte.314
Bereits 1929 hatte sich Wüst kritisch gegen
über Wirths Aufgang der Menschheit geäu
ßert und vor allem dessen gewagte Sprach
vergleiche bemängelt. Dennoch bescheinigte
er dem Werk, in überarbeiteter und gekürz
ter Fassung, insbesondere nach Rückname
des „religiös-kämpferischen" Tons, eine der
„Wissenschaft dienliche Funktion.315 Nach
dem Machtwechsel fiel Wüsts Bewertung der
Wirthschen Arbeit deutlich positiver aus. So
zählte Wüst zu den Verteidigern des echten
Quellenkerns der Ura-Linda-Chronik auf der
bereits erwähnten Podiumsdiskussion. In sei
nem dortigen Vortrag forderte Wüst eine „kri
Festschrift anläßlich der „Salz tische Herausgabe" des Werkes um den „alten
burger Wissenschaftswochen" Kern herauszupräparieren. Daß er in diesem
Zusammenhang die Arbeit Wirths, den er we
nige Jahre zuvor noch kritisiert hatte, als untadelig bezeichnet, weckt beim
Wüst-Biographen Maximilian Schreiber den Verdacht des Opportunismus.316
Allerdings hielt Wüst seinen Kampf für die Echtheit des Quellenkerns der
ULH auch noch nach seinem Eintritt in das Ahnenerbe 1936 aufrecht und be
faßte sich gemeinsam mit seinem ehemaligen Lehrer Otto Mausser tatsächlich
mit einer kritischen Neuausgabe der Chronik. Der Tod Maussers kurz danach
verhinderte jedoch eine Umsetzung dieser Pläne.317
Im Juni 1936 hielt Wüst im Audimax der Münchener Uni seine Rede „Des
Führers Buch mein Kampf als Spiegel indogermanischer Weltanschauung", in
welcher er Hitler mit Buddha verglich und die gemeinsamen Rassegrundlagen
beider betonte, die über Jahrtausende ähnliche Verhaltensweisen begründen
würden.318 Der anwesende Ahnenerbe-Generalsekretär Sievers berichtete von
314 Vgl. Kater (2006), S. 43 f; sowie Schreiber (2008), S. 49; eine Publikation mit
dem Namen Odal veröffentlichte 1936 Johannes von Leers, der Wirth mit Himmler
bekannt gemacht hatte.
315 Siehe Wüst (1929); vgl. dazu Schreiber (2008), S. 45 f.
316 Schreiber (2008), S. 47f.
317 Vgl. Schreiber (2008), S. 49; vgl. auch Brief Himmler an Eckhardt vom 25.2.1937,
in dem der RF von seinem Auftrag an Prof. Mausser berichtet, bei Heiber (1970), S. 56.
318 Vgl. Schreiber (2008), der eine von Wüst gezogene Koninuitätslinie von den
Ariern über die Römer und Germanen bis zum Nationalsozialismus als „unwissen
schaftlich und unhaltbar" bezeichnet; S. 153.
107
anschließenden minutenlangen Ovationen. Grund genug, Wüst von Seiten des
Ahnenerbe um eine Wiederholung dieses Vortrages vor SS-Männern zu bitten.
Wüst kam diesem Ansinnen im Winter 1936/37 in insgesamt 13 Städten nach.
Zwei Jahre bevor Himmler Wüst nicht zuletzt als Dank für seine Schützenhil
fe für das Ahnenerbe im Oktober 1936 zum Leiter der Ahnenerbe-Forschungs
abteilung für Wortkunde ernannte, war Wüst noch auf dem ersten nordischen
Thing des Wirth-Freundes Ludwig Roselius als Redner aufgetreten.319 Zwei Jah
re später war der Frühgeschichts-Kreis um den Bremer Kaufmann ebenso wie
Herman Wirth von höchster Stelle ins Visier geraten und Wüst verbat sich ange
sichts seiner Ahnenerbe-Tätigkeit eine Unterstellung unter Herman Wirth.320 Im
Februar 1937 erfolgte dann die offizielle Ablösung Wirths als Präsident durch
Wüst, der erst in diesem Jahr offiziell der SS beitrat.
Fortan galt Wüsts Streben, die Indologie „fruchtbar zu machen, für den nati
onalsozialistischen Staat".321 Diesbezüglich führte er im März 1937 aus:
„Wir lassen nicht mehr jene lebensfremde und unserem Sein feindliche Irrlehre
gelten, daß wir „Menschen" oder „Kulturmenschen" erst durch den Einbruch einer
fremden Weltanschauung und Staatsauffassung geworden seien; daß die eigenen
Ahnen, von denen uns kaum dreißig bis vierzig Geschlechterfolgen trennen, gewis
sermaßen nur die eine Hälfte unseres Wesens hergegeben haben, während die ande
re, und zwar die bessere, uns von irgendwelchen fremden Sendlingen aufgepfropft
und zum untrennbaren Bestandteil unseres Wesens gemacht worden sei.
Weil wir das ablehnen und weil wir dagegen mit aller Entschiedenheit die Bluts
und Geisteseinheit aller Geschlechterreihen bejahen, darum verwerfen wir auch jene
ausgeklügelte Lehrmeinung, daß wir „Deutschen" etwas ganz anderes sein sollen
als die „Germanen“ von denen wir Deutschen abstammen, und daß den Deutschen
vom Germanen grundlegende und wichtige, angeblich neu hinzugekommene We
sensbestandteile scheiden. Mit solchen befangenen und böswilligen Behauptungen
soll ja nur erreicht werden, daß der Deutsche die Einheit des Blutes vergißt und
seine geistige und seelische Heimat überall anderswo suchen soll, nur nicht bei sei
nen eigenen Ahnen. Und damit soll das Wort „deutsch" seines eigentlichen rein
germanischen Inhaltes beraubt und im eigentlichen Sinne bastardisiert und das
deutsche Volk auf eine Stufe mit solchen Völkern gestellt werden, von denen man
sagen kann, daß sie weder Römer, noch Gallier, noch Germanen, sondern ein neues
Erzeugnis aus der Retorte der Weltgeschichte seien. Für uns ist das Ahnenerbe eine
blutsmäßige, geistige und seelische Tatsache, die alle Geschlechterreihen umfaßt, die
,deutschen', die germanischen' und darüber hinaus jenes Urvolk, daß wir als,Indo
germanen' bezeichnen. Unser Ahnenerbe reicht also weit hinaus über jene Zeit, die
man in willkürlicher Verengung des Begriffes als die „deutsche" bezeichnet; es um
108
faßt alle geistigen und seelischen Werte, die als Erbteil des Blutes von jenem Urvolk
und seinen Abzweigungen im Laufe der Jahrtausende geschaffen worden sind. Als
Bewohner und Bewahrer des indogermanischen Kernlandes erheben wir Anspruch
auf die gesamte Erbmasse, die je aus diesem Kernlande in die Welt hinausgetragen
worden und im Spiegel der indogermanischen Sprache und Kultur und der davon
beeinflußten Sprachen und Kulturen wiederzuerkennen ist. “322
Trotz seiner unbestrittenen wissenschaftlichen Reputation wird Wüst al
lerdings auch kritisch gesehen: Fachlich warf man Wüst vor, sein groß ange
kündigtes „Wörterbuch des Altpersischen", das in der ersten und einzigen
Lieferung lediglich drei Begriffe enthielt, als wissenschaftliches Feigenblatt
verwendet zu haben. Tatsächlich jedoch bestätigen Zeitzeugen den großen
Aufwand, den Wüst hierfür betrieb. Sein seit 1924 kontinuierlich anwach
sender Zettelkasten, auf dem Einträge und Querverweise gesammelt wur
den, soll auf über 200.000 Zetteln 2 Millionen Einträge aufgewiesen haben.323 324
Daß die erste Lieferung dennoch mager ausfiel, lag vor allem an der um
fangreichen Bibliographie und Einleitung - durch den Verlust der Arbeiten
während des Krieges konnte das arbeits- und kriegsbedingt nicht fortgesetz
te Wörterbuch dann auch nach dem Krieg nicht erscheinen. Von einigen Au
toren wird Wüst zudem als der klassische Fall des Schreibtischtäters charak
terisiert, der der nationalsozialistischen Weltanschauung zu universitären
Weihen verholten habe. Diesbezüglich stellte Maximilian Schreiber in seiner
Wüst-Biographie richtig, daß dieser zwar „seine eigene Fachwissenschaft für
politische Zwecke instrumentalisierte", jedoch bemüht war, „den wissenschaftli
chen Qualitätsanspruch der Universität weiterhin zu bewahren",32i
Dazu zählte auch, daß er sich für die Autonomie der Hochschule gegen
zu große Einflüsse der politischen NS-Stellen ebenso einsetzte, wie für Mit
glieder des Lehrkörpers, die wegen „defätistischer Äußerungen" oder ihrer
Abstammung von Parteinstitutionen verfolgt wurden.325
Unter Wüsts Dekanat konnten begabte junge Wissenschaftler der SS wie
Rudolf Till, Franz Dirlmeier, Otto Höfler oder Fritz von Rintelen vorzeitig
Karriere machen, Wissenschaftler, die er allerdings für ungeeignet hielt, ver
hinderte er dagegen, selbst wenn es sich um SS-Angehörige handelte.
Seine akademischen Prinzipien übernahm Wüst auch für das Ahnenerbe,
in dem er im Februar 1937 offiziell den Präsidenten Herman Wirth ablöste.
Seine ersten Amtshandlungen zielten darauf, die Arbeit des Ahnenerbe zum
einen auf eine breitere Basis zu stellen, zum anderen strenger wissenschaft
lich auszurichten. Fortan galt als Ziel der Organisation, „Raum, Geist und Tat
109
des nordischen Indogermanentums zu erforschen, und die Ergebnisse in klarer, einfa
cher Form dem deutschen Volk zu vermitteln". Die Durchführung dieser Aufgabe
sollte unter Anwendung „exakt-wissenschaftlicher Methoden zu erfolgen" ha
ben.326 Tatsächlich gelang es, weitere renommierte Forscher für das Ahnenerbe
zu gewinnen, darunter den bekannten Archäologen Herbert Jankuhn und die
von ihm schon an der Universität München protegierten Altertumswissen
schaftler Franz Dirlmeier sowie Rudolf Till. Auch Victor Christian, ein aner
kannte Wiener Frühgeschichtler, stieß später zum Kreis der Vorzeige-Wissen-
schaftler des Ahnenerbe. Ein Sponsorenkreis wurde ebenfalls eingerichtet: Der
„Freundeskreis Heinrich Himmler", dem Wüst gemeinsam mit Ernst Schäfer
und Wolfram Sievers seit Juni 1942 bis Mitte 1944 als Repräsentant des Ah
nenerbe angehörte,327 sorgte fortan für eine bessere Finanzierung der hochge
steckten Ziele des Vereins, auch wenn dadurch noch nicht alle Pläne Himmlers
finanziert werden konnten. Nach fortgesetzten Meinungsverschiedenheiten
zwischen Wüst und dem Ehrenpräsidenten Herman Wirth, der nicht daran
dachte, sich an den Maulkorberlaß der SS zu halten, ersuchte er Himmler um
die Kaltstellung des Marburger Forschers. Himmler hielt jedoch an seiner
sprichwörtlichen Treue gegenüber alten Gefährten fest, denn ein Rücktrittsge
such Wirths erübrigte eine Entscheidung des Reichsführers.
Neben Wirth fielen den strengen Anforderungen des neuen Präsidenten
auch andere altgediente Forscher zum Opfer: Wilhelm Teudt lehnte ähnlich wie
Wirth eine Unterordnung unter die SS-Interessen ab und mußte gehen. Auf ei
ner Ahnenerbe-Konferenz 1937 anläßlich der neuen Ausrichtung ließ sich Wüst
von den Leitern der Forschungsstätten einen Bericht über die bisherige Tätig
keit erstatten. Der Deutsch-Finne Yrjö von Grönhagen wurde für seinen Vor
trag getadelt. Wüst empfahl ihm, seinen wissenschaftlichen Mängeln durch den
Abschluß eines Studiums abzuhelfen. Die nicht über eine Promotion in ihren
Fachgebieten verfügenden Karl Theodor Weigel (Landschaftssinnbilder) und
Karl Konrad Ruppel (Hausmarken) wurden fortan primär als „Materialsamm
ler" eingesetzt, während die wissenschaftliche Aufbereitung den Fachgelehrten
überlassen wurde.328 Durch die Maßnahmen Wüsts, der ab 1939 unter Beibe
haltung seiner Kompetenzen als Kurator firmieren sollte, schien es eingangs
des Schicksalsjahres 1939, in dem das Ahnenerbe offiziell als Dienststelle der SS
geführt wurde,329 als sei es tatsächlich auf dem Weg zur wissenschaftlichen Re
spektabilität330 - wenn es nicht weiterhin Forschungsgebiete gegeben hätte, die
110
trotz Wüsts wissenschaftlicher Ausrichtung auf ausdrücklichen Wunsch des
neuen offiziellen Präsidenten Heinrich Himmler beibehalten wurden: Die Er
forschung der Welteislehre und die Erforschung der sogenannten Geheimwis
senschaften, auf die noch einzugehen sein wird. Wüst akzeptierte offensichtlich
den Kompromiß, einerseits streng wissenschaftlich zu arbeiten, andererseits
Rücksicht auf die Wünsche Himmlers zu nehmen.331
1939 wurden in einer Denkschrift des Ahnenerbes die folgenden, „Pflege
stätten" genannten Abteilungen aufgeführt:
111
- Forschungsstätte für Karst- und Höhlenkunde (erst Steinhäuser, dann Brand)
- Forschungsstätte für Biologie (Greite)
- Forschungsstätte für Botanik (Frh. von Liltzelburg)
- Forschungsstätte für Volksmedizin (vorgesehen: Berg)
- Forschungsstätte für Geophysik (Scultetus)
- Forschungsstätte für Astronomie in der Sternwarte Grünwald (Fauth)
- Lehr- und Forschungsstätte für darstellende und angewandte Naturkunde
„Haus der Natur" (Tratz)
- Forschungsstätte für Osteologie
- Forschungsstätte für Tiergeographie und Tiergeschichte (Anbindung an Tibet-
Institut, Schäfer)
- Forschungsstätte zur Überprüfung der sogenannten Geheimwissenschaften
Nicht nur die Zweckforschung, sondern auch die vier davor genannten Ab
teilungen zeigen dabei einen unverkennbaren Einfluß der anstehenden Kriegs
erfordernisse. Kater weist jedoch darauf hin, daß einige der aufgeführten
Abteilungen (Osteologie, Volksmedizin, Tiergeographie, indogermanisch
deutsche Musikwissenschaft, Urgeschichte, Wurtenforschung, Geheimwis
senschaften) lediglich auf dem Papier existierten, da sie nicht „nachgewiesen
werden konnten".333 Gerade diese offensichtliche Lücke in der Dokumentati
on der letztgenannten Forschungsrichtungen, insbesondere in Bezug auf die
Geheimwissenschaften, die in der 1939 erschienenden Ahnenerbe-Denkschrift
als existent aufgeführt wird und in der Stellenausschreibung 1938/39 eben
falls erscheint, dürften den Anstoß für zahlreiche Spekulationen innerhalb der
„romantisierenden" Sekundärliteratur in dieser Richtung geliefert haben.
112
4.3. Das indoarische Erbe:
Hauer, Hielscher, Evola & der „SS-Glaube"
334 So erstmals zit. bei Ackermann (1970), siehe Lange (2010), S. 43.
335 Vgl. dazu Hagal, Juli 1934, zit. nach Lange (2010), S. 32: „Im Sinne des irmi-
nischen Urglaubens bedeutet die Spätzeit des Germanentums, wie sie uns in der
nordischen Überlieferung entgegentritt, den Verfall."
336 Mund (2011), S. 150; S. 99 ergänzt Mund: „Himmler jedoch, der Weisthor über
alles verehrte und in ihm den Gründer und Verkünder der uralten, längst verges
113
„SS-Tauf-
weihe" und
„Eheweihe"
auf der
Wewelsburg,
ca. 1936
114
Zugleich kritisierte Hitler auch den im „Mythus des 20. Jahrhunderts" pro
pagierten Vorstoß Rosenbergs zum Aufbau einer mystischen Ersatzreligion
auf Blutsgrundlage, als „Rückfall ins Mittelalter“.340
„Das Einschleichen mystisch veranlagter, okkulter Jenseitsforscher", sollte
nach Hitler in der Bewegung nicht geduldet werden, denn „an der Spitze un
seres Programms steht nicht das geheimnisvolle Ahnen, sondern das klare Erkennen
und damit das offene Bekenntnis."341
Erfolgsversprechender schien für Himmler daher von Beginn an, eine dem
Christentum verwandte, aber mehr der eigenen Art entsprechende Religions
form ausarbeiten zu lassen, die man zum richtigen Zeitpunkt Hitler unterbrei
ten konnte. Genau diese fand Himmler nun in Wiliguts Ur-Kristentum, der
Sage von der Kreuzigung des Irminen-Gots in Goslar. Mit dieser, vorgeblich ur
sprünglicheren und arteigenen Version des Christentums, konnte in Himmlers
Gedankenwelt das vorderasiatische Christentum mittelfristig ersetzt werden.
Wiligut hatte parallel dazu bereits „Regeln zur Herstellung des Ur-Glaubens"
erstellt, die seitens des Staates in kluger Aufeinanderfolge nötig" seien:
1. Vollster Denkmalschutz für alle Museen (auch sogenannte private), Kunster-
zeugnisse aller Art (insbesondere solche aus vorgeschichtlicher Zeit bis ins 17.
Jahrhundert), Bauten, Höhlen, Denksteine, Felsgebilde, Kirchen, Kapellen und
Wallanlagen, sowie für alle Funde aus dem Boden. Die Denkmalvorschriften sind
wiederholt und regelmäßig im Jahre überall zu verlautbaren.
2. Erfassung aller Kirchenbesitze ....
3. Allmähliche Aufhebung der Klosterschulen ...
4. Allen Berufsausbildungen zu Priestern hat stets die staatliche voranzugehen und
darf vor dem 24. Eebensjahr überhaupt nicht angetreten werden!
5. Sodann hat die Auflösung aller männlichen und weiblichen Klöster platzzugrei
fen...
6. Sodann sind auch die humanitären Zwecken dienenden Anstalten in staatlichen
Besitz überzuführen, wobei man anfangs die dortselbst tätigen Personen bis zum
Tod beläßt
7. Energische Maßregelung von Geistlichen, die „Proselyten" zu machen suchen,
sich evtl. Kirchenaustritten entgegenstellen oder gegen Andersdenkende öffent
lich oder von den Kanzeln auftreten.
8. Beschlagnahme aller Kirchenvermögen ohne Unterschied....
9. Unschädlichmachung von Geistlichen aller Grade mittels der dem Staate Verfü
gung stehenden Mittel...
115
10.Alle Glaubensvereinigungen haben ihre Funktionäre aus diesen jährlich neu zu
bemessenden Mitteln selbst zu erhalten!342
116
bezüglich religiöser Formen „alles noch im Fluß" sei,
war aber zugleich besessen davon, diese Alternative
zu entwickeln.
Zu Beginn begnügte er sich daher damit, christliche
Kulthandlungen innerhalb seiner Schutzstaffel durch
SS-Kulte zu ersetzen. Dazu zählten SS-Hochzeiten,
Jugendweihen, Taufen und Beerdigungen. Daneben
wurden schrittweise christliche Lieder und Gedichte
durch SS-gerechte Kompositionen ersetzt.345
Ein anschauliches Beispiel bietet die im März 1938
erarbeitete Anweisung des RuSHA zur Gestaltung der
Sommersonnenwend-Festspiele. Detailliert wird hier
aufgeführt, wie ein erstmals 1937 von Himmler selbst Prof. K. A. Eckhardt
eingeführter „Sonnentanz" ausgeführt wird, bei dem
52 Fackelträger Hakenkreuz und Sonnenrad formten.346
Eine wichtige Grundlage für die neuen Feste bildeten aber auch Ratschläge
des Himmler-Beraters Weisthor, sowie Anregungen des Indogermanisten Ja
kob Wilhelm Hauer, die dieser etwa in seiner Veröffentlichung „Fest und Feier
aus deutscher Art" zusammenfaßte. Demnach sollten nicht Priester die Zere
monien leiten, sondern Familienangehörige oder Gefährten. Hintergrund war
auch die ausdrückliche Vorgabe Hitlers an eine neue Religion, nicht die alten
christlichen Priester durch neue „SS-Priester" zu ersetzen.347 Statt einer neuen
Priesterkaste sollten die gleichen Kämpfer, die Schulter an Schulter mit den nun
Verstorbenen gerungen haben, auch die Zeremonie leiten, also die Umsetzung
der Vorstellung des Kriegers und Priesters in einer Person. Exemplarisch wird
diese Einstellung in einem Schreiben Himmlers an einen Sturmbannführer
deutlich, in dem er diesen scharf kritisiert: „Ich habe Sie damals aus dem RuSHA
versetzt, da sie sich selbst und damit auch andere zu dem Typ von Pfaffe entwickelten,
den wir ja gerade dem deutschen Volk ersparen wollen. Pfaffe ist, wer berufsmäßig bei
Geburt, Hochzeit und Tod sowie bei Feierstunden als Redner auftritt, ...(und) in spätes
tens 10,20 oder 30 Jahren daraus einen neuen Beruf entwickelt und dem deutschen Volk,
wenn wir vielleicht glücklich die christlichen Pfaffen los sein werden, neue, nämlich
345 Vgl. dazu u.a. Weisung Himmlers zur Verfassung von deutschen Liedern durch
junge Dichter, bei Heiber (1970), S. 76; ebenso Forschungsauftrag an Dr. Otto Paul
zu „Jahresfeiern im Indogermanentum"; Simon (ChrPaulO).
346 Siehe dazu Koop (2012), S. 96 ff.; insgesamt sollte die Sonne im neuen Glau-
bensskult eine bevorzugte Stellung nicht nur als Richtweiser des Jahreslaufs ein
nehmen; siehe dazu die Frage nach der Ausschmückung der Kirchtürme mit einem
Hahn, der als „Sonnenverkünder" angesprochen wird; ebenda, S. 127.
347 So erwähnte Hitler einmal, „der Gedanke, daß ich einmal zum ,SS-Heiligen'
gemacht werde - ich würde mich im Grabe umdrehen" (Speer 1976), S. 108.
117
SS- oder Parteipfaffen auf diese Art begründet und entwickelt. Ich habe deswegen schon
seit Jahren festgesetzt: Berechtigt zur Abhaltung einer Feier bzw. einer Ansprache bei
Geburt, Hochzeit oder Tod ist jeweils nur der in Frage kommende Kommandeur für die
ihm unterstellten SS-Männer und niemand anders."348
Die Jenseits-Komponente der religiösen Vorstellung ist in diesem Kontext
anhand der Veröffentlichung des Direktors des Deutschrechtlichen Instituts des
Reichsführers SS, Prof. Karl August Eckhardt (1901-1979) abzuleiten. Das Werk
des späteren Ahnenerbe-Abteilungsleiters für Hausmarken und Sippenzeichen,
„Irdische Unsterblichkeit", ging von einem alten Glauben einer Seelenwande
rung innerhalb der eigenen Sippe aus. Himmler war begeistert von dem Buch,
bemängelte jedoch den Begriff „Seelenwanderung", den er mit „Wiedergeburt
in der Sippe, im eigenen Blut" besser wiedergegeben wähnte.349
Dabei ist unklar, ob Himmler selbst auch den Glauben an diese Seelen
wanderung hegte. In einer Rede führte er 1937 dazu folgendes aus: „Ich muß
sagen, dieser Glaube hat soviel für sich wie viele andere Glauben. Dieser Glaube ist
ebenso wenig exakt zu beweisen wie das Christentum, wie die Lehre Zarathustras,
des Konfuzius usw. Aber er hat ein großes Plus: Ein Volk, das diesen Glauben der
Wiedergeburt hat und das seine Ahnen und damit sich selbst verehrt, hat immer
Kinder, und dieses Volk hat das ewige Leben. "35°
Entgegen verschiedentlich geäußerten Gerüchten, äußerte sich Himmler
auch nie öffentlich, sich für eine Reinkarnation Heinrichs I. zu halten, obgleich
er grundsätzlich an die Möglichkeit einer Seelenwanderung glaubte.351
Trotz der von Eckhardt vorgenommenen Abgrenzung des „lebensbejahen
den", wahren Wiedergeburtsglaubens der Germanen gegenüber dem lebens
verneinenden Gedanken des Buddhismus und der damit implizierten Kritik an
den indoarischen Glaubensvorstellungen, fiel auch Walther Wüsts Stellungnah
me zur Veröffentlichung Eckhardts positiv aus: „Alles in allem eine ausgezeich
nete Darstellung einer wesentlichen, man darfauch sagen, der wesentlichsten Seite
germanischen Glaubens". Allerdings bemängelte Wüst das Bestreben Eckhardts,
„Scheidewände zwischen rassengleichen Völkern aufzurichten", womit die ne
gative Sicht auf den Wiedergeburtsgedanken bei den Indoariem gemeint war.352
348 Schreiben Himmler vom 16.04.1940, zit. nach Heiber (1970), S. 94.
349 Vgl. Schreiben Himmler an Eckhardt vom 12.2. 1937; Heiber (1970), S. 54.
350 Himmler zit. nach Helzel (2008), S. 34; ähnliches hatte bereits 1930 Darre
ausgeführt: „Man glaubte, daß das,Blut' Träger der Eigenschaften eines Menschen
sei, daß mit dem Blute die körperlichen und seelischen Eigenschaften des Menschen
sich von den Vorfahren auf die Nachkommen vererben, daß edles Blut auch edle
Eigenschaften übertrage; dementsprechend glaubte man auch an das , Wiedergebo
renwerden' eines Vorfahren im Nachkommen." Ebenda, S. 34.
351 Vgl. Helzel (2008), S. 33; siehe auch Kapitel 1.2.
352 Vgl. hierzu Trimondi (2002), S. 48.
118
Daß es sich bei diesem Gedanken um einen Völker- und zeitübergreifen
den arischen Grundgedanken handelte, demonstrierte Wüst anhand seiner
Veröffentlichung „Tod und Unsterblichkeit", in der diesbezügliche Sinn
sprüche, Gedichte und Verse, angefangen bei den Veden über antike Texte
bis hin zu mittelalterlichen und neuzeitlichen Verfassern enthalten waren.353
Den „krönenden" Abschluß bildeten dann Auszüge aus Reden Adolf Hit
lers, der ja gemäß Wüst bereits in seinem „Mein Kampf" den arischen Ge
danken in hervorragender Weise verkörperte.354
119
zu Reventlow. Trotz seiner Mitwirkung in Alfred Rosenbergs „Kampfbund für
deutsche Kultur" seit Mai 1933 zerschlugen sich in den nächsten Jahren Hau
ers Hoffnungen, daß die Deutsche Glaubensbewegung neben den „Deutschen
Christen" ebenfalls durch den Staat als offizielle Glaubensgemeinschaft Aner
kennung finden würde.357
Hauer richtete sein Augenmerk daher auf Himmlers SS, der er im Au
gust 1934 beitrat um innerhalb des Sicherheitsdienstes tätig zu werden.358 Im
Rahmen dieser Tätigkeit trug er 1935 mit einem Gutachten, in dem er den
Anthroposphen Walter Johannes Stein als „Juden" und die Anthroposphie
selbst als „jüdisch indoktriniert" darstellte, entscheidend zum Verbot der
Anthroposophischen Gesellschaft bei.359 Fast alle Publikationen Hauers
nach 1933 bemühten sich, die deutschgläubige Religion in die geistesge
schichtliche Tradition des Indogermanentums einzuordnen, um ihr eine
wissenschaftliche Grundlage zu geben. Belohnt wurde dieses Engagement
durch Ausweitung seines ursprünglichen Lehrauftrages Indologie und All
gemeine Religionsgeschichte an der Universität Tübingen auf die „Arische
Weltanschauung". Parallel wurde Hauer zum Direktor des Arischen Semi
nars ernannt. Dieses erhielt den Auftrag, Unterrichtsmaterialien für den in
Württemberg geplanten Weltanschauungsunterricht zu erarbeiten. Hierzu
gehörte die Erstellung von Schul- und Textbüchern sowie die Ausbildung
der dafür benötigten Lehrer. 1938 kam es in einem ähnlichen Zusammen
hang erstmals zu einer Zusammenarbeit mit dem Ahnenerbe. Bereits 1936
hatte Hauer als Leiter der Deutschen Glaubensbewegung bei Walther Wüst
angefragt, ob dieser als Mitherausgeber der Zeitschrift „Deutscher Glaube"
fungieren würde. Wüst hatte dies unter Verweis auf seine angehende Tä
tigkeit im Ahnenerbe abgelehnt.360 Hauer erhielt aber im Gegenzug einen
Forschungsauftrag, eine „Stoffsammlung aus der germanisch-deutschen
Glaubensgeschichte für den weltanschaulichen Unterricht in Schulen" zu
erstellen, was allerdings kriegsbedingt nicht abgeschlossen werden konnte.
Ebenfalls über das Planungsstadium nicht hinaus kam der sogenannte In-
dogermanisteneinsatz, der Teil der Aktion Ritterbusch war.361
120
Entworfen wurde der Einsatzplan von Walther Wüst in Zusammenarbeit
mit Hauer, der innerhalb des Projekts Leiter der Gruppe „Lebensmächte
und Wesen des Indogermanentums" war. Diese Beteiligung Hauers weist
auf den hohen Stellenwert hin, dem man der indogermanischen Religion für
die Zukunft des Reiches einräumte. Zur tatsächlichen Beteiligung Hauers
kam es allerdings an dem Ahnenerbe-Projekt „Wald und Baum" für das eine
ganz Reihe von Forschern Beiträge beisteuerten.
Friedrich Hielscher
Ein weiterer Protagonist, der über eine eigene Glaubensbewegung verfügte,
war Friedrich Hielscher mit seiner unabhängigen Freikirche, der auch Wolfram
Sievers angehörte. Im Rahmen seiner Dissertation hatte Hielscher sich intensiv
mit den Werken Oswald Spenglers und Friedrich Nietzsches befaßt. Die daraus
gezogenen Erkenntnisse Heß er in seine Arbeit als Publizist in der von Ernst
Jünger herausgegebenen nationalrevolutionären Zeitschrift „Arminius" ein
fließen. Seitdem zählte Hielscher zum Kreis der „Konservativen Revolution"
und stand in regem Austausch mit Persönlichkeiten wie Emst Jünger, dessen
Bruder Friedrich Georg Jünger, August Winnig, Franz Schauwecker, Friedrich
Wilhelm Heinz und Ernst von Salomon. Ab Juni 1928 war er Herausgeber der
Zeitschrift „Vormarsch", seit 1930 auch der Zeitschrift „Reich", die zu den wich
tigsten Publikationen dieser Geistesströmung zählten. 1931 erschien Hielschers
politisch-philosophisch intendiertes Buch „Das Reich", das lebhafte Debatten
weit über das konservativ-revolutionäre Spektrum hinaus auslöste.362 Das dem
Buch zugrundeliegende politische Konzept Hielschers sah eine Auflösung der
Nationalstaaten zugunsten traditioneller Kulturregionen und -landschaften vor,
wobei die Trennung zwischen Politik und Religion zugunsten eines „Reichskö
nigs" entfallen sollte, der zugleich König und Priester wäre.363
1933 trat der evangelisch getaufte Hielscher aus der Kirche aus und begrün
dete die weitgehend konspirativ wirkende - also nicht missionierende - Glau
bensgemeinschaft, die „Unabhängige Freikirche (UFK)", in der sich panenthe-
121
istische mit heidnischen Elementen verbanden: Kem
von Hielschers Religionsbegriff war der Gedanke
„alles ist eins", d.h. alles entspringt einem göttlichen
Funken.364 Diesem übergeordneten Gottesbegriff,
der „die Vielfalt alles Lebendigen umspannt", un
terstellte er zwölf göttliche „Boten", die heidnischen
Göttern entsprachen: Wode, Frigga, Fro, Sigyn, Loki,
Freya, Ziu, Erke, Heimdall, Berchta, Thor, Sif.365
Die UFK verfügte in der Vorkriegszeit über etwa
40, in ihrer Blütezeit in den Fünfziger Jahren etwa
50 - 60 Mitglieder, darunter viele Akademiker und
Amts träger.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialis Friedrich Hielscher
ten 1933 wurde Hielscher als „regimefeindlich" ein
gestuft, sein Buch „Das Reich" sowie die gleichnamige Zeitschrift verboten.366 In
den folgenden Jahre initiierte Hielscher eigenen Angaben zufolge eine geheime
Widerstandsgruppe, die plante, das Dritte Reich von innen zu unterwandern.
Widerstandsgruppe und Freikirche überschnitten sich, von übereinstimmen
den ethischen Motiven geprägt, personell in starkem Maße, ohne jedoch völlig
identisch zu sein. Mitglieder des Hielscher-Kreises waren u.a. in Funktionen bei
der Abwehr platziert und unterstützen in verschiedenen Fällen politisch Ver
folgte. Durch den Reichsgeschäftsführer des SS-Ahnenerbe Wolfram Sievers
wurde Hielscher bereits Ende der 30er Jahre mit dem Ahnenerbe-Präsidenten
Walther Wüst bekannt gemacht, der sich für die Arbeiten Hielschers interessier
te und ihm am 1. Februar 1940 einen offiziellen Forschungsauftrag im Bereich
des Brauchtums verschaffte. Bestandteil seiner Arbeiten für das Ahnenerbe war
die Suche nach einem Metrezept, welches im Judentum noch überliefert sei.
Hierfür reiste er 1942 ins Getto Litzmannstadt, wo er zugleich im Rahmen sei
ner Widerstandsbewegung ein jüdisches Ehepaar zu treffen hoffte.367
Friedrich Hielschers Arbeiten wurden innerhalb der SS dermaßen geschätzt,
daß er eine eigene Forschungsstätte für Indogermanische Jahreslauffeiem er
hielt und seine Gebete der Feste auch Eingang in die Planungen für die zukünf
tigen Sonnenwendfeiern innerhalb des Persönlichen Stabes RF-SS fanden.368
Die konspirative Tätigkeit Hielschers unter dem Deckmantel des Ahnener
be fand allerdings ein Ende, als sein Name nach dem Hitler-Attentat am 20.
Juli 1944 bei verhafteten Mitverschwörern gefunden wurde. Tatsächlich be
122
standen enge Verbindung zwischen dem Hielscher-Kreis und dem Kreisauer
Kreis um Graf Helmut von Moltke. Hielschers Freund Wolfram Sievers ge
lang es jedoch die Vorwürfe gegen seinen Ziehvater zu entkräften, so daß die
ser gegen Ableistung eines Militärdienstes wieder frei kam.369
Auch wenn umstritten ist, ob Sievers tatsächlich im Sinne Hielschers ge
gen das NS-Regime wirkte,370 so ist doch ein Hintertreiben von SS-Plänen
durch den Ahnenerbe-Geschäftsführer in einigen Bereichen, etwa in der
Verschleppung der Umsiedlung der Südtiroler, mit der Sievers seit 1940 be
traut war, erkennbar.371
Bemerkenswert ist jedenfalls, daß Hielscher trotz seiner feindlichen Ge
sinnung gegenüber Himmler, die auch dessen Ermordung in Erwägung
zog, nicht nur Forschungsaufträge des Ahnenerbe, das er als „unterirdische
Burg" der Widerstandsarbeit bezeichnete,372 erlangte, sondern sogar zum
Abteilungsleiter avancierte - offiziell wurde die Zusammenarbeit sogar erst
am 8.11.1944 beendet.373
Julius Evola
Eine Gemeinsamkeit mit dem Begründer der Freikirche läßt sich auch
bei dem italienischen Philosophen Julius Evola ausmachen, der ebenso
wie Hielscher den bereits im christlichen Glau
ben angelegten herrschenden Nihilismus durch
Rückbezug auf einen transzendenten Ursprung
zu überwinden trachtete.374 Und ebenso wie
Hielscher, unterhielt auch Evola Kontakte zu
den Männern des Kreisauer Kreises. Am 19. Mai
1898 in Rom als Giulio Cesare Andrea geboren,
geriet Evola, geprägt von seinen Erfahrungen
als Artillerieoffizier im ersten Weltkrieg, bereits
früh in Kontakt mit der kulturellen Restitution.
Als Protagonist der avantgardistischen Kultur
bewegungen des Dadaismus und Futurismus Julius Evola
123
fertigte er eine Reihe von Bildern an, von denen eines sogar noch heute in
der Nationalgalerie für moderne Kunst in Rom zu besichtigen ist.375
Unter Evolas Leitung formierte sich Ende 1926 in Rom die „Gruppe von
Ur", die sich mit magischen Übungen sowie Initiationsriten befaßte und mit
der Zeitschrift UR eine Publikation herausbrachte. Nach Zerfall der Gruppe
im Jahre 1929 beschäftigte sich Evola mit den Grundlagen der Tradition und
faßte seine Erkenntnisse in den Werken „Die hermetische Tradition" (1931),
„Das Mysterium des Grals" (1937) und „Lo yoga della potenza" (1949) spä
ter zusammen. Die Schriften der Gruppe von Ur wurden in der dreibändi
gen „Magie als Wissenschaft vom Ich" herausgegeben.
Nach einer streng katholischen Erziehung stieß Evola als Suchender be
reits in früher Jugend inspiriert durch Meister Eckhart auf die Faszination
der heidnischen Antike und wandte sich zunehmend vom Katholizismus
ab. Eine andere Einflußquelle war der Taoismus, dessen Hauptwerk, das Tao
Te King, Evola zweimal ins Italienische übersetzte. Als Essenz dieser Lehre
schloß Evola auf die grundsätzliche Überlegenheit geistiger über materielle
Kräfte, was auch Einfluß auf seine Haltung zum Faschismus ausübte.
Obgleich kritisch gegenüber verschiedenen Elementen, hielt er den Fa
schisums als solchen für eine der Zeit angemessene Gegenkraft zum Materi
alismus, unter dem er Amerikanismus und Bolschewismus subsumierte, die
dabei wären, sich die Welt aufzuteilen.376
Seine vor allem in seinem 1934 erschienen Hauptwerk „Revolte gegen die
moderne Welt" manifestierten Gedanken sind zum einen geprägt durch den
Traditionalismus, der von einer - römisch inspirierten - ruhmreichen und
zugleich sakralen europäischen Antike und einem steten Niedergang dieser
europäischen Schöpfungskraft ausgeht, zum anderen durch das aristokra
tische Prinzip, welches für Evola als „Königtum" aus dem Geist und der
Rasse des Herrschers erwächst. Mit dieser rassisch und antidemokratisch
geprägten Geisteshaltung, die in der französischen Revolution und der aus
ihr entspringenden Moderne die Wurzel späteren Übels erblickte, fand Evo
la auch Zustimmung im nationalsozialistischen Deutschland. Jedoch stieß
Evola mit seinem von der NS-Sicht abweichenden Rassebegriff, der nicht
biologisch begründet wurde, sondern allein auf die sichtbaren Elemente der
Kultur, Elite und Aristokratie abzielte, seiner Ablehnung des klassischen
Volksbegriffs und seiner Geringschätzung des Weiblichen auf Ablehnung
in nationalsozialistischen Führungskreisen; insbesondere Alfred Rosenberg,
den er persönlich traf und der in seinen Schriften explizit kritisiert worden
war,377 entwickelte eine Antipathie gegen den italienischen Denker.
124
Ebenso war Himmlers damaliger Intimus Walther Darre 1935 in einer
Schrift Evolas angegangen worden,378 so daß Himmler seinerzeit das Ah
nenerbe mit einem Gutachten über Evola beauftragt hatte, welches den ita
lienischen Philosophen insgesamt in kein allzu gutes Licht rückte, obgleich
ihm vom Leiter der Ausgrabungsstätte im Persönlichen Stab, Alexander
Langsdorff, aufgrund Abstammung seiner Familie von Normannen „ein
erstaunliches Wissen über arische Zusammenhänge" beschieden wurde379:
Die Gesamterscheimmg (Evolas) ist geprägt von der aristokratischen Feudali-
tät alten Stils. So erhält auch sein Gelehrtentum einen Zug ins dilettantisch-lite-
ratenhafte. Daraus ergibt sich, daß für den NS keine Veranlassung besteht, sich
dem Baron Evola zur Verfügung zu stellen. Seine politischen Pläne eines römisch
germanischen Imperiums sind utopischen Charakters und darüber hinaus geeignet,
ideologische Verwirrung anzustiften. ...Es wird daher vorgeschlagen:
1. Den augenblicklichen Bestrebungen Evolas, die auf die Stiftung eines geheimen,
überstaatlichen Ordens und auf die Gründung der dazu bestimmten Zeitschrift
hinauslaufen, keine konkrete Unterstützung zu gewähren.
2. Seine öffentliche Wirksamkeit in Deutschland nach dieser Vortragsreihe ohne be
sondere Maßnahmen stillzulegen.
3. Sein weiteres Vordringen zu führenden Dienststellen der Partei und des Staates
zu verhindern
4. Seine propagandistische Tätigkeit in den Nachbarländern beobachten zu
lassen."380
Neben dem Rassebegriff waren es vor allem Evolas Ablehnung der Kon
stanten von Volk und Nation sowie seine Negation daraus entspringender
sozialer Verpflichtung, welche dazu führten, daß Evola kritisch gesehen
wurde.
Nicht nur in Deutschland, auch in Italien wurde Evola zu dieser Zeit am
bivalent betrachtet: Aufgrund seiner Kritik an Mussolinis Konkordat mit
der Katholischen Kirche von einem Schreibverbot bedroht, näherte sich der
„Duce" selbst den Gedanken des Philosophen zunehmend an und erwog
nach 1935 sogar, Evolas Rassebegriff zur Staatsdoktrin zu erheben.381
Eine gewisse geistige Nähe entwickelte Evola, der deutsch sprach und eine
Vorliebe für die deutsche Kultur hegte, zu Vertretern der „Konservativen
125
Revolution", in deren aristokratisch-konservati
vem Umfeld sich Evola bei seiner ersten Vortrags
reise 1934 in Deutschland bewegte. Die kritische
Betrachtung dieses Personenkreises durch offizi
elle Stellen des 3. Reiches dürfte dabei die Nega
tivsicht auf Evola erhärtet haben. Zu dem Nega
tivbild Evolas in gewissen Kreisen könnte auch
sein Auftritt auf dem zweiten Nordischen Thing
des Bremer Kaffeefabrikanten Ludwig Roselius in
Bremen am 17. Mai 1934 beigetragen haben. Dort
führte er seine Gedanken zum Vorrang der Tradi
tion vor der Rasse in aller Deutlichkeit aus: „ Tra
dition ist für uns die erste, Rasse die zweite Gegeben
heit. Wie der Geist von innen heraus den Leib gestaltet, so formt die Tradition oder
Kultur jene Elemente, die in einem höheren Sinne, mit Bezug auf den Menschen
als solchen und nicht in seiner naturverhafteten Erscheinung, als Rasse bezeichnet
werden können."332 Daß Himmler trotz dieser Negativbewertung durchaus
Gemeinsamkeiten mit dem Weltbild Evolas ausmachen konnte, spiegelt
sich in einer weiteren Stellungnahme, die weitaus wohlgesonnener ausfiel
und interessanterweise von Himmlers Berater Wiligut-Weisthor stammt:
„ Um sich ein endgültiges und abschließendes Urteil über Evola zu bilden, müßte
man mit diesem Mann selbst einmal zusammenkommen. Es ist durchaus denkbar,
daß mit vielgebrauchten Begriffen Imperialismus, König und Adel die Gedanken
dieses Mannes falsch verstanden iverden und ich möchte dies nochmals besonders
betonen. Meiner Auffassung nach kann es sein, daß Evola durchaus richtig orien
tiert ist und daß nur der Übersetzer Friedrich Bauer diese falsche Gedankenrichtung
hervorruft. Dies scheint mir insofern nahezuliegen, weil im übrigen Evola in seiner
ganzen Auffassung mit wenigen Ausnahmen (Kastenwesen) germanisch-arisch ori
entiert ist.......Ich würde gerne noch eingehend über das Buch (gemeint ist Heidni
scher Imperialismus) mit dem Reichsführer sprechen."
Dementsprechend erging eine Weisung Himmlers, die sich in einem
Schreiben des Reichssicherheitshauptamtes (II. 2113) findet: „Der Reivchsfüh-
rer SS hat angeordnet, das Buch des Baron Evola,Heidnischer Imperialismus' nach
den von Brigadeführer Weisthor aufgefiihrten Gesichtspunkten zu überprüfen und
noch einmal durchzuarbeiten. "382 383
382 Evola (1934), S. 94; hier lernte Evola übrigens auch Walther Wüst kennen, der
ebenfalls als Referent in Bremen auftrat.
383 Zit. nach Mund (2011), S. 275.
126
als Bündnispartner Italiens empfahl,384 entsprangen den Plänen der SS zur
Errichtung eines männerbündisch ausgerichteten Ordensstaates, die der Ita
liener ausdrücklich begrüßte:
„Wir sind davon überzeugt, den Kern eines Ordens im höheren Sinne der Tra
dition im „Schwarzen Korps" zu finden", schrieb er im August 1938 in „Vita
Italiana". 1941 fügte er in Bezug auf ein künftiges Europa unter deutscher
Führung hinzu: „Jenseits der Grenzen der Partei und jeder politisch-administra
tiven Struktur, muß eine Elite in Form eines neuen Ordens - einer Art asketisch
militärischer Organisation, verbunden durch die Prinzipien Ehre und Treue - die
Basis dieses Staates bilden."385
Diese partiellen Übereinstimmungen sowie die esoterischen Züge inner
halb Evolas Werk veranlaßten Himmler entgegen der offiziellen Linie der
Parteiführung, seiner engeren Umgebung das Studium Evolas zu empfeh
len. Dazu kam, daß sich Himmler nunmehr selbst von seinem von Evola
einst kritisiertem Freund Darre gelöst hatte und auch sein Verhältnis zum
ebenfalls gescholtenen Rosenberg von tiefer Konkurrenz geprägt war.
Im Gegenzug verfaßte Evola auch einen positiven Artikel über die SS
- „Wächter und Orden der Hakenkreuz-Revolution"- für den er 1938 um
Material bei der SS selbst ersuchte.386 Im Juni 1938 hielt Evola einen schon
länger geplanten Vortragszyklus in den Räumen der Deutsch-Italienischen
Gesellschaft in Berlin, in deren Verlauf er drei verschiedene Vorträge refe
rierte: „Die arische Lehre des heiligen Krieges", „Der Gral als nordisches
Mysterium" sowie „die Waffen des geheimen Krieges".387
In seinem letzten Vortrag betonte Evola die Bedeutung des geheimen Ge
genordens gegen die aktiven freimaurerischen Geheimbünde:
„Besonders in Zeiten, die, wie die heutigen, Vorspiel zur letzten Entscheidung
einer ganzen Kulturwelt sind, müssen wir die Forderung in uns spüren, in dieser
Elite oder in diesem Orden, wovon in unseren Vorträgen schon so oft die Rede gewe
sen ist, die Fähigkeit zu erwecken, den materiellen Kampf durch einen unsichtbaren,
subtilen Kampf zu ergänzen, durch ein geheimes, unerbittliches Wissen, das jetzt
jedoch nicht im Dienst dunkler Mächte, sondern des lichten, sonnenhaften Prinzips
der arischen Geistigkeit steht."388
384 Bei Evola euphemistisch als „Zusammenschluß der beiden Adler" bezeichnet;
vgl. dazu Hansen (1991), S. 81 ff.
385 Evola in: Vita Italiana, 15. August 1938 / August 1941; Graddon (2008), S.
201, bezieht auch ein früheres Gedicht Evolas auf die SS, in denen er von „Schwar
zen Mönchen" schrieb, „welche die Stadt niederbrennen" und „wenn die Zeit ge
kommen ist..., die Kräfte der Wiederauferstehung leiten werden".
386 Schreiben Evola; Archiv d. Verfassers Nr. 32.
387 Bei Godwin (2007), S. 73, heißt es, Evola „sei auf die Ordensburgen der SS gereist."
388 Evola: Die Waffen des geheimen Krieges, S. 16.
127
Den Nährboden für einen solchen arisch-geistigen „Gegenorden" hatte
Evola bereits 1934 mit der Zeitschriftenreihe „Diorama Filosofico" (Philoso
phisches Schauspiel) erschaffen: Einer philosophisch-literarischen Plattform
einer „europäischen Geisteselite". Innerhalb dieser bis 1943 erscheinenden
Zeitschrift fanden sich so illustre Autoren wie Franz Altheim, Rene Guenon,
Othmar Spann, Gottfried Benn und Karl Wolfskehl ebenso wie Vertreter
des monarchischen Gedankens.389 Dementsprechend schwebte Evola noch
nach 1945 als Endziel die Wiedererrichtung einer Habsburg-Monarchie als
„Damm" gegen den Kommunismus und Materialismus vor.390
Nach dem Zusammenbruch des faschistischen Regimes in Italien floh
Evola 1943 ins Deutsche Reich und arbeitete in Wien erneut für die SS in
Verbindung mit dem SD und dem Ahnenerbe. Hier schrieb er für das noch
näher zu betrachtende Amt VII des RSHA an einer „Geheimen Geschich
te der geheimen Gesellschaften" - ein erstaunliches Thema angesichts des
nahenden Kriegsendes.391 Bestandteil dieser Arbeiten war die Übersetzung
diverser esoterisch-okkulter Texte.
Gleichzeitig war Evola jedoch auch propagandistisch für die SS tätig, in
dem er die Verteidigung des alten Europa gegen Sowjetbolschewismus und
US-Imperialismus beschwor.392
Nach Installation der faschistischen Sozial
republik war Evola für einen Ministerposten
vorgesehen - der Kriegsverlauf machte diese
Pläne jedoch zunichte.
1945 wurde Evola durch einen sowjetischen
Bombengriff auf Wien schwer verletzt und war
seitdem von der Hüfte abwärts gelähmt. Nach
dem Krieg avancierte der 1974 verstorbene ita
lienische Philosoph zur Ikone der Neurechten,
wurde aber auch von linken Kreisen adaptiert.
128
5. Okkultismus, Ausgrabungen & Expeditionen -
Forschungsschwerpunkte & Kuriositäten im Ahnenerbe
„Wir sind den Römern oder Griechen, den Galli
ern oder Briten und ihren heutigen Nachfahren kei
nen größeren Dank für irgendwelche Kulturgüter
schuldig, als sie uns. .. Wir können vielmehr dar
aufhinweisen, daß die Germanen schon 1000 Jah
re bevor Rom gegründet wurde, einen kulturellen
Hochstand erlebt haben. Wir können und müssen
mit noch viel mehr Recht darauf hinweisen, daß fast
alle europäischen Völker indogermanisch sind, wie
nicht nur die deutsche, sondern wie auch die euro
päische Vorgeschichtsforschung bewiesen hat.''393
Ausgrabungen
5.1. & Germanenkunde
129
Der 1940 der SS beigetrete
ne Rudolf Till gab 1943 in der
Ahnenerbe-Schriftenreihe die
„Germania" des Tacitus neu
heraus, versehen mit einer Wid
mung an Heinrich Himmler.397
Die willkommene Aufnahme
der Taciteischen Beschreibung
der Germanen als „groß, blond
und blauäugig", offensichtlich
autochton und unvermischt,
sorgte in der Nachkriegszeit Der „ Codex Aesinas", die älteste erhaltene Abschrift
nicht nur für Kritik an den der „Germania" des Tacitus (15. Jahrhundert)
Forschern, die sich mit Tacitus
befaßten und so vermeintlich Grundlagen der rassischen Kategorisierung
schufen, sondern auch an der Überlieferung selbst. So wurde nun behauptet,
Tacitus hätte sein Wissen lediglich aus zweiter Hand und hätte es primär „auf
literarischen Wandermotiven" aufgebaut - sprich er hätte irgendwelche Kli
schees, die damals kursierten, niedergeschrieben.398
So wie die Tacitus-Rezeption im Dritten Reich, stößt auch die gesamte Ger
manenforschung innerhalb des Ahnenerbe heute auf Kritik der akademischen
Forschung, die sie in erster Linie als Tendenzwissenschaft bezeichnet.399
397 Vgl. Lund (1995), S. 31; Das Ahnenerbe hatte Till ermöglicht, in Rom den so
genannten Codex Aesinas einzusehen, eine der wichtigsten handschriftlichen Über
tragungen der Germania. Nach dem Sturz Mussolinis hatte sich das Ahnenerbe
vergeblich um Sicherstellung des Codex bemüht, den der Duce 1936 als Geschenk
versprochen hatte. Siehe Wikipedia(USA): Ahnenerbe.
398 So etwa Lund (1995) in Bezug auf Eduard Norden (bereits 1920), S. 35
399 Vgl. Lund (1995), weitere typische Beispiele finden sich bei Halle (2003) und
jüngst bei Koop (2012), S. 10 ff., der sogar die germanische Herkunft der Goten in
Abrede stellen möchte und sich gegen die Bezeichnung des Grabmals Gotenkönigs
Theoderich in Ravenna als „germanisch" verwahrt; exemplarisch auch http://www.
bundesarchiv.de: „Das Ahnenerbe sollte den „wissenschaftlichen" Beweis für die
Überlegenheit des deutschen „Ariers" durch Forschungen - insbesondere zur ger
manischen Vorgeschichte - erbringen. Zeit seines Bestehens war das „Ahnenerbe"
wissenschaftliches Zentrum der NS-Ideologie und nicht - trotz wiederholter Beteue
rungen seiner Führer und Abteilungsleiter sowie Himmlers - an den Grundsätzen
bewährter sachlicher Wissenschaftlichkeit orientiert." 2013 erschien mit dem Be
gleitband zur Ausstellung „Graben für Germanien" der bisherige Höhepunkt der
politisch-korrekten Darstellung der SS-Ausgrabungen.
130
Der hauptsächliche Vorbe
halt gegenüber dieser Kritik
betrifft vor allem die mangel
hafte Kenntnis der tatsäch
lichen frühgeschichtlichen
Verhältnisse durch die Riege
der Kritiker. Denn der heu
tige Kenntnisstand, der sich
gerade im Bereich der Früh
geschichtsforschung auch
außerhalb der akademischen
Germanenforschung etab
liert, beweist die Richtigkeit
vieler damals vorgetragener
Thesen, auch wenn sie heute
anders formuliert werden. So bescheinigte jüngst der politisch unverdächti
ge Carl-Heinz Böttcher, dem nordeuropäischen Kulturraum eine dominie
rende Funktion in der Ausbreitung kultureller Elemente: Demnach seien die
die südeuropäischen Bandkeramiker überlagernden nordischen Trichterbe
cherleute Begründer eines losen „Reiches" gewesen, welches Keimzelle der
europäischen Zivilisation wurde und aus der heraus verschiedene Kulturen,
darunter die Schnurkeramische, entstanden, die wiederum als Verbreiterin
des„Indogermanischen" bis nach Asien gilt.400 Daneben wären eine ganze
Reihe von Forschern zu nennen, die von Nord- und Mitteleuropa ausgehen
de Auswanderungswellen und damit verbundenen Kulturtransfer von hier
in den Süden, Westen und Osten bestätigen und selbst die akademische For
schung hat seit dem Fund der Bronzescheibe von Nebra zumindest den euro
päischen bronzezeitlichen Kulturen einen hohen kulturellen Stand und enge
Handelsbeziehungen nach Südeuropa und in den Nahen Osten eingeräumt.401
131
SS-Grabung am Glauberg SS-Grabung Camburg
Professor Dr. Alexander Langsdorff und Dr. Hans Schleif konnte Himmler
dabei auf zwei anerkannte Fachleute als persönliche Referenten zurückgrei
fen. Langsdorff hatte 1927 in klassischer Archäologie promoviert und war
danach Kustos am Museum für Vor- und Frühgeschichte in Berlin, bevor er
zu Himmlers SS stieß und Artikel für die SS-Zeitung „Das Schwarze Korps"
verfaßte. Schleif dagegen war zwar ursprünglich Ingenieur, beschäftigte
sich aber, über das interesse an der Bauforschung der Antike angeregt, be
reits seit einigen Jahren mit der europäischen Frühgeschichte.402
Beide verband die Sorge vor dem Druck, den Rosenberg seit seiner Ernen
nung zum „Beauftragten für die Überwachung der gesamten geistigen und
weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP", aus der er auch
den „Auftrag zur Reglementierung der deutschen Vorgeschichtsdisziplin
ableitete", über seinen neu geschaffenen „Reichsbund für Deutsche Vorge
schichte" auf die deutsche Frühgeschichts- und Archäologenzunft ausübte.403
Wiegand, der wie oben dargestellt, bedeutendste Gegenspieler von Hans Rei-
nerths „Reichsbund für deutsche Vorgeschichte", hatte den Weg für die bei
den Archäologen vorgezeichnet: Durch Eintritt in die SS konnte man sich dem
Zugriff Reinerths entziehen - dadurch wurde Himmlers „Schwarzer Orden"
zum Schutzreservat der objektiven archäologischen Forschung und verhin
derte „paradoxerweise" - wie Bollmus es formuliert - „das Absinken der deutschen
Vorgeschichtsforschung in die Niederungen der Germanophilie. "404
132
Links: Skizze des geplanten Schutzgebietes Externsteine - rechts:
SS-Bauhelfer während der Externsteingrabung durch Julius Andree, 1935
Ausgrabungsstätten
Erste Ausgrabungsorte der SS-Gruppe befanden sich an der Erdenburg
bei Bensberg/ Köln, wo ein Ringwall aus der Zeit der Römerkriege freige
legt wurde, an einem germanischen Dorf auf dem Bärhorst bei Nauen, an
der spätgermanischen Burg bei Alt-Christburg sowie im Lontal bei Urspring,
wo Hinterlassenschaften der Altsteinzeit ergraben wurden.
1936 folgten als Ausgrabungsorte Lichtenburg / Sachsen sowie 1937
die Ausgrabungen in Mauern bei Ingolstadt. Hier hatte der Begründer
des Urgeschichtlichen Forschungsinstitutes in Tübingen, Robert Rudolf
Schmidt,steinzeitliche Werkzeuge innerhalb eines Höhlensystems gefun
den. Im August 1937 übernahm die SS unter Rolf Höhne die Ausgrabungen.
Höhne beauftragte den niederländischen Forscher Assien Böhmers mit der
Fortsetzung der Ausgrabung, die neue Erkenntnisse über den Cro-Magnon
Menschen erbringen sollte. 1938 wurde Böhmers der Aufgabenstellung ge
recht, indem er einen Ursprung dieser Rasse, die als früheste Vertreterin
des modernen Menschen in Europa gilt, im eiszeitlichen Europa um 70 000
v.Zw. postulierte.405
Eine Reihe weiterer archäologischer Forschungen, die nicht offiziell von
der SS geleitet wurden, standen personell ebenfalls in Verbindung mit dem
405 Vgl. Pringle (2006), S. 124 f; ebenso auf deutsch: Pringle (2007); Böhmers glaubte
aber auch an eine Entwicklung des Cro-Magnon aus dem europäischen Neandertaler-
Menschen, ohne dies explizit in seinem Forschungsbericht darzulegen; vgl. ebenda, S. 82
133
Ahnenerbe: Ausgrabung der Burg Altjoch am Kochelsee, Ausgrabungen in
Fridolfing, Untersuchung der Roßtrappe bei Thale im Harz, Grabung beim
Stoppelberg in Höxter sowie Grabungen an der Kyffhäuserburg406
Die bedeutendste archäologische Stätte der SS waren jedoch die Externstei
ne bei Hom, die bereits nach Abschluß der Ausgrabungen Andrees 1935 zum
„Interessengebiet der SS" erklärt wurden. An den Extemsteinen sollte ein zen
trales Nationalheiligtum des germanischen Ahnenkultes geschaffen werden,
das eine zentrale Umwallung beinhaltete. Im Jahre 1936 begann der Reichsar
beitsdienst Abt. 64 Iburg/ Horn, im Auftrage der Externsteine-Stiftung diese
Pläne in die Wirklichkeit umzusetzen.407 In den folgenden Jahren verschwan
den die Externsteine allerdings fast gänzlich aus der öffentlichen Betrachtung,
so daß verschiedentlich die These geäußert wurde, es habe einen „Schweige
befehl" über die wahre Bedeutung der Externsteine gegeben. Grund hierfür
sei die nicht haltbare Deutung als germanische Kultstätte gewesen, wie Ger
not Geise spekuliert408 Auch Freerk Haye Hamkens, damaliger Mitausgräber
Andrees bei der Externsteine-Grabung, gibt an, daß 1939 der Plan der Ein
richtung eines Nationalheiligtums auf gegeben wurde. Daß dem nicht so war,
beweist indes ein Befehl Himmlers an Oswald Pohl vom 20.2.1940. In diesem
führt Himmler eine ganze Reihe von Dingen auf, die im Rahmen der Einrich
tung dieser Nationalstätte noch erledigt werden sollen, darunter die Anferti
gung hölzerner Treppenaufgänge, die Erstellung von Karten und Infomaterial
für Besucher u.a.. Allerdings weist Himmler im Schlußsatz auf den Zeitpunkt
der Umsetzung seiner Anregungen hin, ohne dies ausdrücklich anzuspre
chen: „Ich bitte für den Frieden um Vorschläge, in welcher Form diese Aufgaben zwi
schen dem Chef des V. und W. Hauptamtes und dem Ahnenerbe geteilt werden."409
134
Für Ende April 1940
ist ferner ein Schrei
ben Plassmanns an den
Münsteraner Archäolo
gen August Stieren über
liefert, in dem ebenfalls
die Externsteine themati
siert werden: „Wir haben
hier an einem Felsen der
Externsteingruppe zahl
reiche Spuren künstlicher
Herrichtung festgestellt,
die bis in die vorgeschicht Herbert Jankuhn (Bildmitte) im Kreis seiner Kollegen
liche oder frühgeschichtli
che Zeit zurückzugehen scheinen. Flachwände, die mit dem Spitzmeißel behauen
sind, sind ganz unverkennbar. Außerdem scheinen einige damit zusammenhängen
de Erdbewegungen vorgenommen zu sein. Auffallend ist dabei, daß ein berühmter
Felsbeschmierer des 18. Jahrhunderts namens Kieselack sich gerade an dieser Stelle
verewigt hat. Wenn es Ihre Zeit einmal erlaubt, so wäre ich Ihnen sehr dankbar,
wenn Sie gelegentlich einmal hierin kommen und sich die Sache ansehen wollten.
Der Reichsführer SS wird sich für positive Ergebnisse an den Externsteinen, die ja
bisher nicht allzu reichlich waren, sehr stark interessieren.''410
Während der bereits angesprochenen, 1934 durch Dr. Julius Andree er
folgten Ergrabung, waren seinerzeit bereits SS-Grabungshelfer und -Archäo
logen zum Einsatz gekommen. Zu dieser Zeit -1935/36 - bestand noch eine
Zusammenarbeit zwischen SS-Ausgräbern und dem Reichsarbeitsdienst
Rosenbergs, deren Mitglieder ebenfalls oftmals als Grabungshelfer zum
Einsatz kamen. Mit der Erschließung weiterer archäologischer Betätigungs
felder am Glauberg und am Brunholdisstuhl vermochte Heinrich Himmler
jedoch weiteren Boden gegenüber Rosenberg gut zu machen und gliederte
schließlich im Februar 1938, dank eines „wohlwollend passiven" Hitlers,
dem die Einbindung der westdeutschen Richtung mit ihrer Betonung der
Kulturgröße des klassischen Roms und Griechenlands entgegen kam,411 die
SS-Grabungen, die seit 1935 formell dem Persönlichen Stab unterstanden,
offiziell dem 1935 begründeten Amt Ahnenerbe ein.
Zugleich eignete sich das Ahnenerbe im Februar 1938 die RuSHA-Ab-
teilung „Vor- und Frühgeschichte" (RA III b) an, das gemeinsam mit der
Abteilung Ausgrabungen in die neu formierte Abteilung „Germanische
135
Ausschnitt aus der Karte Interessengebiete des Ahnenerbe, Denkschrift 1939
136
Geschichte neben der Erforschung der Welteislehre unter Dr. Scultetus zu
den wichtigsten Forschungsfeldern des Ahnenerbes. Diese Ausgrabungen
von Hinterlassenschaften aus der Früh- und Vorgeschichte Europas sollten
dabei vor allem die Rolle der „Nordischen Rasse" für die Frühzeit Europas
beleuchten und hervorheben, zugleich aber auch vergessenes Brauchtum
und Wissen der vorchristlichen Zeit betonen, was zugleich als Kritik an der
Kirche dienen sollte, die nach Himmlerscher Lesart die Hauptverantwor
tung für die Auslöschung dieses alten Wissens trug.
Insbesondere die Haithabu-Forschung des renommierten Prähistorikers
Herbert Jahnkuhn, der 1937 in das SS-Ahnenerbe eintrat, sowie die gewis
senhafte, wenn auch heute oft angefochtene Arbeit Schleifs am Kriemhil-
denstuhl, vermochten tatsächlich den Ahnenerbe-Anspruch auf „exakt wis
senschaftliches" Arbeiten zu untermauern. Dagegen stießen die noch heute
umstrittenen Arbeiten an der heidnisch-germanischen Gedenkstätte in Ver
den an der Aller bereits damals auf vorsichtige Kritik. Der in Erinnerung an
4500 durch christliche Franken getötete Sachsen errichtete Sachsenhain ließ
zum einen - entgegen den Plänen Hitlers auf einen vorläufigen Burgfrieden
mit den christlichen Stellen - die antichristliche Position der SS offenbar wer
den, und vermochte überdies nicht die selbst gestellten Ansprüche auf eine
möglichst objektive Forschung aufrecht erhalten; vielmehr wird die Sach
senhain-Tätigkeit des Ahnenerbes die einherging mit der Schaffung einer
weltanschaulichen Kultstätte, noch heute als das Paradebeispiel der Verqui
ckung weltanschaulicher und wissenschaftlicher Tätigkeit im NS-Staat ver
wendet - obgleich die Forschungs- und Grabungsergebnisse für sich allein
betrachtet durchaus einer wissenschaftlichen Überprüfung standhalten.413
Mit Ausweitung des nationalsozialistischen Herrschaftsbereiches seit
1938 gesellten sich zunehmend auswärtige Grabungsstätten hinzu, die den
bereits seit 1937 eingeläuteten Prozeß der Dezentralisierung des Ahnenerbes
forcierten. Um das Ansehen des Ahnenerbe über die Landesgrenzen hinaus
und damit dessen Anerkennung als ernsthaftes Forschungsinstitut weiteren
Auftrieb zu verschaffen, war ein Ausgriff auf Forschungsziele im Ausland
unvermeidlich. Dazu bediente Himmler sich der Hilfe bereits anerkannter
Forscher, denen er eine unbeeinträchtigte Forschung innerhalb der SS anbot.
Daneben hegte der Reichsführer mit einer weltweiten Forschung auch
den Wunsch auf Verbreiterung der Basis der innerhalb des Ahnenerbe er
arbeiteten Thesen, insbesondere bezüglich des Nachweises der Welteislehre
als auch der weltweiten Kulturbefruchtung durch germanische Stämme. Zu
diesem Zweck wurden eine ganze Reihe von Forschungsreisen und Expedi
tionen geplant und zum Teil auch durchgeführt.
137
5.2. Forschungsreisen & Expeditionen
Michael Kater behauptete seinerzeit, daß keine der bis dato erwogenen For
schungsreisen „in Regionen außerhalb des Reiches bis Kriegsende in Gang
gesetzt werden konnte", auf Planungen zu Forschungsreisen während der
Kriegszeit geht er gar nicht ein, sondern weist lediglich auf die Unmöglichkeit
der Durchführung derlei Expeditionen zu Beginn des Krieges hin.414
Dieser Sichtweise folgte die Mehrzahl der Autoren, die sich mit diesem The
mengebiet auseinandersetzten.415 Daß dies so nicht zutreffend ist, bemerkte
jüngst Heather Pringle, die sich schwerpunktmäßig gerade mit diesen Expedi
tionen des Ahnenerbe auseinandersetzt. Während Kater durchblicken ließ, daß
die eine oder andere Forschungsreise im Auftrag des Ahnenerbes doch durch
geführt wurde416, eruiert Pringle insgesamt acht vor Kriegsbeginn durchgeführte
Ahnenerbe-Expeditionen ins Ausland sowie vier weitere geplante, die nicht mehr
durchgeführt wurden:417 Skandinavien-Expedition(en) (Herman Wirth 1935 &
1936), Finnland (von Grönhagen 1936), Abessinien (Edmund Kiss 1939), Balkan
/ Kroatien (Altheim 1936), Vorderer Orient / Irak (Altheim 1938), Südfrankreich
(Assien Böhmers, 1939), Griechenland (Hans Schleif, 1940), Tibet (Emst Schäfer
1938/39). Zu den geplanten Expeditionen zählen Island (Bruno Schweizer), Ka
narische Inseln (Otto Huth 1939), Persien (Walther Wüst 1940) und Bolivien (Ed
mund Kiß 1940), wobei innerhalb der Ahnenerbe-Korrespondenz von 1939 auch
noch Mandschuko (Japan),418 Südnigerien und sogar Hawai genannt werden.419
138
Herman Wirth in Skandinavien 1936 - Vorbereitung zum Felsbildabguß
Weitere Interessengebiete ergaben sich aus bereits abgeschlossenen For
schungen zumeist von Privatforschern, auf die das Ahnenerbe aufmerksam
wurde und für die zukünftige Unterstützung zugesagt wurde, so im Falle
Ludwig Kohl-Larsens, der 1936 Afrika bereiste. Daneben gab es archäolo
gische Forschungen, die teils bereits vor dem Kriegsende anliefen und mit
Anschluß (Österreich) oder Kriegseinbruch (Polen) in die Abhängigkeit des
Ahnenerbe gerieten.
Im Ausland standen die Expeditionen des Forschungsvereins oft im Ver
dacht, als Deckmantel für deutsche Spionagetätigkeit zu dienen - das nicht
ohne Grund: Tatsächlich wurden die der SS nahestehenden Forscher vom
SD dazu angehalten, Beobachtungen politischer Natur sowie Einstellungen
der Bevölkerung besuchter Gebiete gegenüber Deutschland und auswärti
gen Mächten schriftlich festzuhalten.
139
Nach seiner Rückkehr wenige Wochen später vermochte Wirth anhand
eines Diavortrages Himmler von der Finanzierung einer größeren Expedi
tion nach Skandinavien zu überzeugen. Diese sollte nicht nur die Felsbilder
Bohusläns erfassen, sondern noch andere Stätten in Schweden und Nor
wegen erforschen. Am 4. August 1936 startete die Expedition, welche die
Gruppe um Wirth erst nach Rügen und dann weiter nach Backa / Schweden
führte. Von hier ging es weiter nach Bohuslän. Mit einer besonderen Tech
nik fertigten Wirth und sein Team Gipsabgüsse zur Archivierung der Bilder
an, die anschließend nach Deutschland geschickt wurden.421 Eines der Fels
bilder, eine Figur mit erhobenen Armen, bezeichnete Wirth als Symbol des
Gottessohnes, eines arischen Vorläufers des urarischen monetheistischen
Gottesbegriffs, von dem das Christentum die Vorstellung des Gottesvaters
und -sohnes übernommen hätte. Nach Besichtigung des letzten Ziels der Ex
pedition, der norwegischen Insel Lauvoylandet, kehrte die Forschergruppe
drei Monate nach ihrem Aufbruch in die Heimat zurück.422
Nach Kaltstellung Wirths wurde 1938 der Schwede Hakon Fernholm als
Mitarbeiter der Ahnenerbe-Abteilung Schrift- und Sinnbildkunde mit einem
weiteren Forschungsauftrag in Schweden betraut. Im Rahmen des Auftrags
sollten schwedische Runen- und Stabkalender gesichert und weitere Felsbil
der untersucht werden.423
Finnland
1935 war Himmler durch die Lektüre eines Zeitungsartikels über die fin
nische Sagensammlung
Kalevala auf einen jun
gen Autoren aufmerksam
geworden: den Deutsch-
Finnen Yrjö von Grönha-
gen. Nach einem ersten
Zusammentreffen hatte
Himmler von Grönhagen
als Abteilungsleiter der
Forschungsstätte für In
dogermanisch-Finnische
Kulturbeziehungen für
das Ahnenerbe verpflich
tet und mit der Durchfüh
rung einer Forschungsreise
Yrjö von Grönhagen (re.) in Finnland, 1936
421 Vgl. Kater (2006), S.78.
422 Zu Details siehe Pringle (2006), S. 65 ff.
423 Vgl. ebenda.
140
Heinrich Himmler in Norwegen, ca. 1940 - Rechts: Hirsch-Gott-Darstellung
Frankreich
Nach Abschluß der Mauerner Grabung im Juli 1938, in der Assien Böhmers
den „Beweis" für eine Indigenität des Cro-Magnon-Menschen in Europa er
bracht zu haben glaubte, versuchte der niederländische Forscher seine im
Ausland mit Skepsis aufgenommenen Forschungsergebnisse abzusichern.
Dazu plante er die Aussprache mit den führenden europäischen Steinzeit
forschern und die Begutachtung deren Skelettmaterials. Die erste Station
führte Böhmers nach Brüssel, wo er die Sammlung steinzeitlicher Perlen
und Werkzeuge des wallonischen Forschers Aime Rutot begutachtete. Von
hier reiste Böhmers weiter nach Paris, um am „Institut de Paläontologie Hu-
maine" Werkzeuge aus Feuerstein zu untersuchen, die der führende Fran
zösische Steinzeit-Experte Abbe Henri Breuil (1877-1961) zusammengestellt
hatte. Breuil hatte 1901 die Felsmalereien in der südfranzösischen Dordogne
entdeckt und deren Entstehung in der Altsteinzeit nachgewiesen. Nun er
424 Vgl. Pringle (2007), S. 77ff.
141
möglichte der Franzose seinem niederländischen Kollegen die Besichtigung
der Höhlenmalereien von „Les Trois-Freres", der bekanntesten der Höhlen.
Hier prangt auch das Bild des Schamanen, eines Mensch-Hirsch-Zwitterwe
sens, das als eine der ältesten religiösen Darstellungen Europas gilt. Nach
seiner Rückkehr referierte Böhmers im Winter 1938 auf einer SS-Gruppen
führer-Tagung über die „Ur-Gottheit" der Cro-Magnon-Menschen.
Himmler belohnte den emsigen Forscher mit der Ernennung zum Leiter
der Forschungsstätte für Urgeschichte. Im August 1939 übernahm Böhmers
in dieser Funktion die Grabungsstätte Dolni Vöstonice in Tschechien, wo
der nun emeritierte tschechische Forscher Karel Absolon seit den 20er Jah
ren bedeutende Funde zutage gefördert hatte. In drei Grabungskampagnen
zwischen 1939 und 1942 konnten allerdings nur wenige Artefakte geborgen
werden, die an Absolons Funde nicht heranreichten.425
Abessinien
Im Februar 1939 führte Edmund Kiß im unter italienischer Verwaltung
stehenden Abessinien (Äthiopien) („Welteis"-)Forschungen über Strandli
nien durch. Innerhalb von zwei Wochen trug Kiß mit seinen Begleitern eine
Reihe von Indizien für die einstmalige Existenz von gewaltigen Wassermas
sen in der lybischen Sahara zusammen, die für ihn nur mit der Hörbiger
sehen Theorie erklärt werden konnten (siehe folgendes Kapitel 6).
425 Vgl. dazu Pringle (2007), S. 81 ff.; zur ausführlichen Biografie Böhmers, siehe
Pringle (2006).
426 Vgl. Pringle (2006), S. 11.
142
Altheim und Trautmann im Orient Assien Böhmers Bruno Schweizer
indogermanischen Völker mit semitischen Stämmen gewinnen zu können. Im
Irak trafen sich die beiden auf Vermittlung des Botschafters Fritz Grobba mit
einheimischen Forschern und besuchten Parfhische und Persische Ruinen in
der Nähe Bagdads. Das Ahnenerbe unterstützte diese Forschungsreise mit
6800 RM, die aus der Kasse des persönlichen Stabes des RF-SS stammten.427
Gleichzeitig erfüllten Altheim und Trautmann aber auch Dienste für den
SD, indem sie Berichte über die politische Situation und Einschätzungen von
ihnen getroffener Personen vornahmen.428
Am 13.01.1941 vermerkt Ahnenerbe-Geschäftsführer Sievers einen An
trag Altheims auf eine Forschungsreise in das damalige Jugoslawien, die
eine Besprechung zwischen Sievers und Altheim am 2.3.1941 nach sich zog,
auf der weitere Einsatzfelder Altheims besprochen wurden.
145
manische Glaubensgeschichte, hatte sich bereits in seinem Manuskript
„Die Gesittung der Kanarier als Schlüssel zum Indogermanentum" mit den
Ureinwohnern der Kanaren befaßt und bemühte sich daher auch aus eige
nem Interesse, Rössler den Weg für die Forschungsreise zu ebnen, jedoch
ergebnislos. Nachdem die Expedition angesichts des drohenden Kriegsaus
bruchs abgesagt werden mußte,438 gelang es Rössler, Wölfel, der sich weiter
hin einer Übergabe seines Archivs an das Ahnenerbe widersetzte, von der
Notwendigkeit eines Nachdruckes der bedeutendsten Guanchen-Quelle zu
überzeugen. Diese dann 1940 erschienende, aus dem Privatarchiv Wölfels
stammende „Torriani-Handschrift" nutzte Rössler schließlich für seine Ha
bilitationsschrift über die „Sprache der Kanarier"1941. Nach erfolgreicher
Habilitation wurde Rössler Leiter einer Kanaren-Abteilung innerhalb der
Ahnenerbe-Forschungsstätte für den Vorderen Orient Victor Christians.439
Weitere Interessengebiete des Ahnenerbes in Spanien ergaben sich aus ei
ner Zusammenarbeit mit dem spanischen Archäologen Julio Martinez Santa
Olalla. Dieser war im Vorfeld des Hitler-Franco-Treffens 1940 abgestellt, den
die Reise vorbereitenden Himmler in Madrid zu begleiten. Gemeinsam be
sichtigten sie das archäologische Nationalmuseum. „Begeistert von der fach
kundigen und germanophilen Betreuung", wie Nowak es formuliert, lud
Himmler den von der Idee der „Arisierung" der spanischen Frühgeschich
te beseelten Spanier nach Berlin ein.440 Ende 1940 hielt Santa Olalla einen
Vortragszyklus über die Goten in Spanien in mehreren deutschen Städten.
Himmler revanchierte sich mit der Bereitstellung von Aufklärungsflugzeu
gen für archäologische Geländeerkundungen und der Unterstützung der
Ausgrabung der westgotischen Nekropole Castiltierra, 100 Kilometer nörd
lich von Madrid. Auf Einladung der spanischen Behörden stattete Herbert
Jankuhn der Grabung einen Besuch ab und auch Ernst Schäfer soll sich vor
Ort über die Grabungsergebnisse informiert haben.
Aufgrund fehlender Möglichkeiten der Restaurierung geborgener Ar
tefakte in Spanien, wurden einige bronzene Grabbeigaben nach Berlin ge
Glaubensgeschichte von Otto Huth bei, mit dem er durch Heirat der Schwester Huths
auch verwandtschaftliche Bande knüpft; siehe Simon (ChrRoessler), S.lf
438 Vgl. Simon (ChrRoessler); dennoch wird immer wieder von einer erfolgten Ex
pedition berichtet, u.a. Nowak (2008): „Mythologie-Experte Otto Huth unternahm
1939 eine Expedition auf den Archipel, hoch motiviert durch Berichte über die religiö
sen Riten der Ureinwohner und Funde von Guanchen-Mumien mit blonden Zöpfen".
439 Vgl. Rohrbacher (2010), S. 4; ebenso Simon (ChrRoessler), S. 18 f; nach Auf
nahme einer besser bezahlten Tätigkeit für das „Institut zum Studium der Judenfra
ge" 1939 wurde Rössler im Januar 1940 Assistent Jakob Hauers in Tübingen, wobei
er als ehrenamtlicher Mitarbeiter im Ahnenerbe geführt wurde; ebenda, S. 12 ff.
440 Nowak (2008).
146
schickt. Noch im Jahr 1943 berichtete die spanische Zeitung „El Pais" von
einem Versand von Knochenfunden nach Berlin, die ebenfalls in Zusam
menhang mit der Grabung Santa Olallas stehen soll.441
Griechenland
Ein Land, das traditionell im Fokus der deutschen Archäologie stand,
war Griechenland - oft als „Mutterland" europäischer Zivilisation bezeich
net. Spätestens seitdem Hitler sich mehrfach schwärmerisch über die grie
chische Antike geäußert, zugleich aber auch ein älteres, von Norden kom
mendes Erbe dieser griechischen Kultur impliziert hatte, war das Land auch
für Himmler interessant geworden. Es galt, die anhand von Sagenüberlie
ferungen naheliegende Verwandtschaft zwischen den alten Hellenen und
den Germanen wissenschaftlich nachzuweisen - anhand anthropologischer
und archäologischer Überlieferungen. Dies war die Ursache für eine Reihe
von Maßnahmen, die heute verwunderlich erscheinen, insbesondere wenn
sie während des Krieges initiiert wurden, als es sicherlich wichtigere Dinge
gegeben haben dürfte, als etwa die Feststellung, wie viele der SS-Männer
ein griechisches Profil aufwiesen.442 In diesem Fall war Himmler von dem
Gedanken bewegt, der Zuneigung seines Führers zu den antiken Hochkul
turen mit der Aufstellung eines SS-Verbandes zu huldigen, der - mangels ge
eigneter griechischer Freiwilliger - aus griechischen „Rassetypen" bestehen
sollte. Gleichzeitig war Himmler in Bezug auf Griechenland bestrebt, die
sprachliche und kultu
relle Verwandtschaft
zwischen Hellenen und
Norwegern mittels ei
nes Forschungsauftra
ges zu prüfen - dieser
Auftrag wurde jedoch
auf die Zeit nach dem
Kriegsende verscho
ben.443 Ebensowenig
zur Umsetzung kam
die geplante Einrich- Modell des Burgbergs von Pergamon nach H. Schleif
147
tung einer Ahnenerbe-Forschungsstätte über die „Arisch-indogermanischen
Zusammenhänge in Griechenland und Italien".444
Auf archäologischem Gebiet war bereits seit 1936 Emil Kunze auf An
trag des Reichssportführers v. Tschammer und Osten mit einer sogenannten
„Führergrabung" im griechischen Olympia befaßt. Im Herbst 1940 stieß Hans
Schleif, der damalige Leiter der Ahnenerbe-Stätte Ausgrabungen hinzu und
wurde für die Zeit der Grabung vom Ahnenerbe beurlaubt und als Leiter
der Forschungsstätte durch Herbert Jankuhn abgelöst.445 Zuvor hatte Schleif
bereits bei der Ausgrabung der antiken griechischen Stadt Pergamon (heute
türkisch „Bergama") mitgewirkt, in deren Verlauf er auch ein Rekonstrukti
onsmodell erstellte (Bild S. 143). Auf beide Grabungsbefunde, die 1944 ver
öffentlicht wurden, wird noch heute in Fachpublikationen zurück gegriffen.
Weitere Ahnenerbe-Forschungen erstreckten sich auf das griechische Ora
kel-Heiligtum Delphi, das 279 v.Zw. von Kelten geplündert wurde, die aller
dings einen Großteil des „Schatzes" (von Orakelbefragern gespendete Mün
zen u.dgl.) auf dem überstürzten Rückzug zurückließen. Gerüchten zufolge,
soll das Interesse des Ahnenerbes genau diesem Schatz gegolten haben.446
Eine weitere Untersuchung erstreckte sich auf das „Tor des Hades", eine
Bezeichnung für ein bei Tainaro gelegenes Höhlensystem auf dem südlichen
Peloponnes. Legenden besagten, durch dieses Tor seien germanische Völker
auf der Flucht vor einer Naturkatastrophe direkt aus Nordeuropa nach Grie
chenland gelangt.447 Hier soll Hans Reinerth zwischen April und Dezember
1941 für Rosenbergs Reichsbund geforscht haben, mit dem Ergebnis, daß
tatsächlich neue Beweise für die nordische Einwanderung nach Griechen
land erbracht worden seien.448
Südnigerien
Neben offiziellen und halboffiziellen Expeditionen gab es allerdings noch
eine Reihe weiterer Interessengebiete und Forschungsprojekte, für welche
sich das Ahnenerbe interessierte.
Zu diesen zählten eine Südnigerien-Reise des Forschers Dr. Ludwig Kohl-
Larsen, an deren Finanzierung sich das Ahnenerbe 1938 beteiligen wollte.
Dr. Kohl-Larsen, SS-Mitglied als Obersturmbannführer, hatte zwischen
1934 und 1936 die ehemalige Kolonie Deutsch-Ostafrika bereist und For
schungen über vorgeschichtliche Felsmalereien im Nyarasa-Graben und die
Tindiga, ein Jäger- und Sammlervolk in Afrika, angestellt. Berichte seiner
148
Forschungstätigkeit wurden auch an das
Ahnenerbe geleitet, welche daraufhin eine
Unterstützung der weiteren Forschungs
tätigkeit Kohl-Larsens beschloß. Sievers
verfügte im August 1937 die Zahlung ei
ner Summe von 500 RM und stellte die
Vermittlung eines Geldbetrages von 30 000
RM durch andere Stellen in Aussicht.449
Einen Monat später bedankte sich Kohl-
Larsen bei seinem Förderer Himmler mit
einem von ihm verfaßten Buch über die
afrikanischen Issansu-Märchen.450 Hieraus
entstanden Pläne für eine sogenannte Süd-
nigerien-Expedition, die aber über theore Ludwig Kohl-Larsen (re.) 1936
tische Erwägungen nicht hinaus kam.
Grönland
Auch die Grönland-Forschungen von Prof. Paul Burkert, der als Unter
sturmführer seit Mitte der 30er Jahre SS-Mitglied war, erregten das Interesse
des Ahnenerbe. Zwischen 1931 und 1933 führte der Meteorologe eine Expe
dition im arktischen Raum durch, von der er mehrere Exponate, darunter
einen Inuit-Kajak mitbrachte. 1935 veröffentlichte Burkert seine Erlebnisse
in dem Büchlein „Erlebtes Grönland". Für 1937 plante Burkert, der 1936
auch zu den Teilnehmern der Island-Reise der SS-Führer zählte, eine wei
tere Forschungsfahrt nach Grönland, die unter anderem Beobachtungen des
Verhaltens des Polarlichtes hinsichtlich der Welteislehre, Stern- und Wet-
terkundliche Untersuchungen sowie die
Erforschung von Wikingersiedlungen
vorsah. Das Ahnenerbe unterstützte diese
Forschungen in der Vorbereitung mit 580
RM sowie der Bereitstellung von Waffen
und Material. Wenige Wochen später dis
tanzierte sich Sievers jedoch offiziell „aus
besonderen Gründen" von der geplanten
Expedition, da Burkert angeblich „un
richtige Angaben über Forschungsauf
träge Himmlers anläßlich der zurückhe
genden Island-Fahrt verbreitet hätte.451 So
führte Burkert die Expedition schließlich Paul Burkert (re.) 1937
449 Sievers an Ahnenerbe 20. 8. 1937; ArchivVerfasser Nr. 32.
450 Archiv Verfasser Nr. 33.
451 Vgl. Schreiben Galke an Dresdener Bank, Archiv Verfasser Nr. 34.
149
zwischen August 1937 und Mai
1938 ohne offizielle Mitwirkung
des Ahnenerbe durch. Ein Bericht
über diese Forschungsfahrt fin
det sich in Burkerts 1938 erschie-
nendem Buch „Weißer Kampf.
Eigene Erlebnisse in Grönland".
Hier berichtete er über geolo
gische Entwicklung Grönlands:
„Es muß hier einmal wie in den ge
samten polaren Gebieten üppigstes
Leben gewesen sein, es muß hier
einmal der Wald aus Schachtel
halmen gewaltiger Größe gestan
den haben, die heute im arktischen
Gebiete zur Steinkohle Grönlands
und Spitzbergens geworden sind....
. Und wie lange ist es her, daß sie
hier ihr Blattwerk grünen ließen? ...
Tannen und Kiefern, Ahorn und so
gar Linde, Buche, Walnuß, Zypresse
und andere Arten schatteten in der
Tertiärzeit - also vor rund 10 000 Reiseskizze Burkerts
Jahren. Wodurch wurde der Wechsel
des Klimas bedingt? .. Die wahrscheinlichste Ursache ist eine Veränderung in der
Wärmemenge, die uns die Sonne zusendet. “ Die Frage ist, ob diese Antwort bei
einer expliziten Untersuchung der Wirkung der Welteislehre im Auftrag des
Ahnenerbe ebenso ausgefallen wäre? Allerdings, so Burkert weiter, sei „auch
gar nicht ausgeschlossen, daß der Nordpol selbst seine Lage auf der Erdoberfläche
geändert hat..."
Auch die schon im Rahmen der anvisierten Ahnenerbe-Forschungsreise
geplante Untersuchung der Wikingersiedlungen auf Grönland erwähnt Bur
kert: „Was ist denn ausgegraben worden? Und wo sind denn die Normannen ge
blieben? ... Man fand zum Beispiel kleine Messer mit Holzgrijfen; aber die Klinge
war so abgenutzt, daß sie kaum mehr als 2 bis 3 cm lang war. Es hat also starker
Eisenmangel bei den Siedlern geherrscht. Andererseits wissen wir aus den Sagas,
daß die Verbindung mit der Heimat zu Anfang des 15. Jahrhunderts außiörte.........
Der Viehbestand an Schafen, Rindern und Schweinen ging allmählich aus Mangel
an Nahrung zugrunde. Das Verhältnis mit den eingeborenen Eskimos war nicht
immer friedlich, es kam zu schweren Kämpfen. So trat eine Ursache zur anderen,
den Untergang der normannischen Besiedlung herbeizuführen."452
452 Burkert (1938), S. 28 f, S. 58 f.
150
Tibet: Zur Ernst-Schäfer Tibet-Expedition 1938/39 siehe folgendes Kapitel 10
151
Experimentelle Archäologie im SS-Ahnenerbe: Luren und Rennwagen.
Prozesses gegen den Generaloberst von Fritsch 1938 ließ der RF-SS zwölf
seiner vertrautesten SS-Führer in einem dem Verhörzimmer nahegelegenen
Raum versammeln und beauftragte diese, durch Willenskonzentration ei
nen suggestiven Einfluß auf v. Fritsch auszuüben. Himmler erwartete, daß
der Angeschuldigte unter dieser Einwirkung die Wahrheit sagen müsse und
bekennen werde, ob er die Tat begangen habe. Im Laufe der Verhandlung
stellte sich jedoch heraus, daß der General Opfer einer Namensverwechs-
lung geworden war, wie er stets behauptet hatte.455
Tatsächliche Ergebnisse erbrachte das Interesse Himmlers dagegen für
das Wünschelrutengehen. Im August 1942 verfügte er, aus geeigneten SS-
Pionieren SS-Wassersucher-Brigaden aufzustellen, die später eventuell auch
zur „Erzsuche", speziell zum Aufspüren von Gold, eingesetzt werden soll
ten.456 Zu diesem Zweck rekrutierte das „Ahnenerbe" Dr. Josef Wimmer,
einen Lehrer für Flugphysik an der Wittelsbacher Oberschule in München.
Wimmer übernahm im „Ahnenerbe" die Abteilung für angewandte Geolo
gie, richtete im Heilkräutergarten des KZ Dachau seine Ausbildungsstätte
ein und schloß den ersten Wassersucherlehrgang am 13. Oktober 1942 ab.
Nach einem weiteren Vertiefungskurs im November 1942, erging die An
weisung, daß jedem SS-Wehrgeologietrupp ein Wünschelrutengänger zuzu
ordnen sei. Zu diesem Zeitpunkt waren einer in Belgrad stationierten SS-Di-
vision bereits die ersten drei Wassersucher zugeteilt worden. Für den März
1943 wurden Doppelkurse vorgesehen, für die zusätzlich ein Hilfsausbilder
eingestellt werden sollte.457
152
Wie Wimmer später angab,
wurden bis zum Kriegsende eine
Reihe weiterer Kurse im Wün
schelrutengehen durchgeführt, de
ren Absolventen offizielle Urkun
den vom Ahnenerbe erhielten.458
Angeblich beschränkte sich die
Tätigkeit der ausgebildeten Ru
tengänger nicht nur auf die Was
sersuche. Sie sollen auch für das
Aufspüren unterirdisch angeleg
ter Gänge, Bunker und Depots, ja Illustration aus Willy Ley: „Pseudoscience"
sogar für die Suche nach Minen
eingesetzt worden sein. Selbst für „Schatzsuchen" verfügte Himmler offenbar
noch Ende 1943 über Kapazitäten. So wurde Wimmer mit der Untersuchung
des Hohenhöwen, eines Basaltberges im Hegau, auf dem sich eine Burgruine
befindet, beauftragt. Hintergrund des Einsatzes war eine Legende, derzufol-
ge sich in diesem Berg ein „sagenhafter Schatz" befände.458459 Über den Erfolg
dieser Mission ist allerdings nichts bekannt. Neben der Wünschelrute wurde
auch das Pendel zur Erlangung von Informationen eingesetzt.
Bereits 1942 hatte das Oberkommando der Marine eine Gruppe von Pen
delexperten in Berlin zusammengezogen, die zuvor als vermeintliche Mit
schuldige am Scheitern der Heß-Mission 1941 in Konzentrationslagern inter
niert waren. Diese sollten den Aufenthaltsort alliierter Schiffe mithilfe eines
über einer Seekarte schwingenden Pendels bestimmen. Die Gründung dieser
geheimen „SP"-Gruppe soll in Reaktion auf die alliierten Erfolge bei der Ver
senkung von U-Booten seit Ende 1941 erfolgt sein. Während der Erfolg tat
sächlich durch die Entschlüsselung des deutschen Enigma-Codes zustande
kam, glaubten einige Offiziere auf deutscher Seite an übernatürliche Fähigkei
ten, was möglicherweise durch die Allierten selbst suggeriert wurde.460
Nach katastrophalen Ergebissen wurde die Gruppe Ende 1942 aufgelöst.
Diese Mißerfolge brachten Himmler nicht davon ab, an der grundsätzlichen
Möglichkeit des erfolgreichen Pendeleinsatzes zu zweifeln.
458 So http://alpenfestung.com/ahnenerbe_rutengehen.htm.
459 So Brand wörtlich in seinem Schreiben an Sievers unter Bezug auf Himmler,
bei Heiber (1970), S. 289f.
460 Vgl. Wulff (1968), der die Initiative britischen, vom Geheimdienst gestreuten Ge
rüchten zuschreibt, denen zufolge die Briten selbst durch das Pendel große Erfolge bei
der Aufspürung deutscher U-Boote erzielen würden. Allerdings haben die Briten tat
sächlich auch Okkultisten mit ähnlichen Forschungen beauftragt; vgl auch http://www.
astrologix.de/artikel/geschichte/hartmann05.html; siehe dazu auch Howe (1995), S. 317
153
So ließ er im Herbst 1943 mehrere Hellseher, Astrologen und Pendler in
einer Villa am Warmsee unterbringen, von wo aus sie den Aufenthaltsort des
wenige Tage zuvor von der neuen sozialistischen Regierung festgesetzten
Duce feststellen sollten. Ebenfalls beteiligt an dieser „Unternehmen Mars"
genannten Aktion war der Astrologe Wilhelm Th. Wulff, der in seiner Bio
graphie „Tierkreis und Hakenkreuz" von seiner Begegnung mit Himmlers
Leibarzt Felix Kersten berichtet, über den er Kontakt zum RF-SS bekam. Im
Rahmen des Mussolini-Ortungseinsatzes ermittelte er dessen Aufenthalts
ort „höchstens 75 km südöstlich Roms''.461 Zu diesem Zeitpunkt befand sich
Mussolini tatsächlich auf der Insel Ponza, etwa 120 Km südlich von Rom,
bevor er in ein Hotel auf dem Gran Sasso / Abruzzen verbracht wurde. Dort
wurde er schließlich durch ein Kommandounternehmen unter Führung von
Otto Skorzeny befreit. Tatsächlich scheinen also in einigen Fällen der An
wendung des Pendels oder der Wünschelrute durchaus positive Ergebnisse
erzielt worden zu sein - nicht nur in diesem Fall.462
Alchemie
Wie bereits erwähnt, bestand ein Ziel der Radiästhesie in der Auffindung
von Goldadern. Die Suche nach Gold wurde jedoch auch durch einen ande
ren, den okkulten Künsten zugerechneten Weg angestrebt, nämlich der Al
chemie. Der alte alchimistische Traum der Verwandlung wertloser Substan
zen in Gold war für Himmler anders als für die meisten seiner Zeitgenossen
kein bloßer Wunschtraum, sondern potentielle Realität. Dabei dürfte er von
verschiedenen Quellen beeinflußt worden sein, die von der tatsächlichen Fä
higkeit einiger Alchemisten berichten, Blei in Gold zu verwandeln.463
So gelang es Himmler, den Alchemisten Franz Tausend für seine Zwecke
einzuspannen. Tausend hatte zum Zeitpunkt des Interesses Himmlers be
reits eine typische Hochstapler-Karriere hinter sich: Der 1884 in Krombach
geborene Franz Seraph wurde bereits durch die Wunderheiler-Karriere sei
nes Vaters, eines gelernten Klempner, inspiriert. Nach einer gescheiterten
Volksschullehrer-Ausbildung und ebensolcher Militärlaufbahn wurde er
ebenfalls Klempner, begann aber anschließend eine Drogisten-Lehre. Nach
dem Weltkrieg gründete er einen „Bund der Familienfreunde" der gegen
Geldeinlagen Lebensmittel beschaffen sollte. Tatsächlich wanderte das
461 Wulff (1968) S. 129; vgl. auch die online-Ausgabe (englisch) unter http://www.
skyscript.co.uk/wuljf6.html; siehe auch ausführlich: Berndt (2011), S. 240ff.
462 Vgl. dazu Howe (1995), S. 314 ff.; ferner http://alpenfestung.com/ahnenerbe_
rutengehen.htm; vgl. auch Schellenberg (1981), S. 49.
463 Vgl. Wegener (2006), S. 27f, der hier drei, freilich sich heutiger Nachprüfung
entziehende Fälle nennt: Helvetius (Johann Friedrich Schweitzer, + 1709), Berigado
von Pisa (17. Jhrh.) und Johannes Baptista von Helmont (+ 1644).
154
Geld in Tausends Tasche. Nach Ankauf eines Schloßgutes in Regensburg
versuchte sich Tausend mit einer wissenschaftlichen Geigen-Prüfstelle und
entwarf einen Geigenlack zur Klangverbesserung.464 Von der Möglichkeit
fasziniert, mit derlei Schabernack Geld zu verdienen, wendete er sich der
Goldmacherei zu. Zu diesem Zweck gewann er Förderer vor allem aus Krei
sen der völkischen Bewegung, darunter Erich Ludendorff, denen er sich mit
der Vorstellung andiente, durch die Goldmacherei „Deutschland aus den Fes
seln des Leihkapitals zu befreien",465
Tausend hatte drei verschiedene Verfahren zur Umsetzung seiner Pläne
vorgesehen, darunter das Quecksilberverfahren sowie das KOH-Verfahren.
Und tatsächlich fand sich am Ende des jeweiligen Verfahrens ein Körnchen
Gold in der Schlacke des verwendeten Ofens. Der Zeitzeuge Heinrich Schleff
mutmaßt allerdings, das Gold habe sich schon vor den Versuchen in Tau
sends Hand verborgen befunden. Die aufgrund seiner vermeintlichen Er
folge in der „Tausend-Gesellschaft-GmbH" versammelten Industriellen und
Förderer spendeten von 1925 bis 1929 mehrere Hundertausend Reichsmark,
die vertraglich zu 75 % Ludendorff zuflossen, der wiederum die völkische
Bewegung, u.a. die NSDAP, finanziell unterstützte.466
Nachdem der Erfolg ausblieb, kam es 1929 zu einem von Tausends Anle
gern angestrengten Betrugsprozeß, bei dem Tausend nach zwei Jahren Er
mittlung 1931 schuldig gesprochen wurde. Als Schwindel entlarvt worden
war eines seiner Verfahren bereits 1928 vom italienischen Chemiker und
Erfinder Quirino Sestini.467 Nach Verbüßung seiner Haftzeit wendete sich
Tausend seit 1933 wiederum der Alchemie zu, wurde aber 1938 erneut we
gen Betruges zu drei Jahren Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung
verurteilt.468
Zwischen 1934 und 1938 war er von Heinrich Himmler verpflichtet wor
den, in einem in einem Nebengebäude des Prinz-Albrecht-Palais einge
richteten Labor, Gold zu erzeugen - so zumindest Adolf Eichmann. Dieser
erinnerte sich in seinen 1961 verfaßten Memoiren an einen von Himmler be
schäftigten Goldmacher, der „merkwürdigerweise Tausend" hieß.469 Auch Wil-
155
heim Wulff erwähnt eine 1943 ihm gegenüber erfolgte
Aussage des Himmler-Adjutanten Suchanek: „Der
Reichsführer läßt ihnen sagen, daß sie schneller arbeiten
und sich mehr Mühe machen sollen, sonst könnte es ihnen
so ergehen wie dem Goldmacher Tausend, der im KZ sitzt
und solange sitzen wird, bis er Gold machen kann."00
So sehr die „Goldmacherei" den heutigen Leser
auch befremden mag, befand sich Tausend damit
in bester Gesellschaft: Dazu faßt Wikipedia zusam
men: „Der Nobelpreisträger Fritz Haber versuchte in
diesen Jahren Gold aus Meerwasser zu gewinnen und der
Professor an der TH Charlottenburg Adolf Miethe erregte
zwischen 1924 und 1926 Aufsehen mit seinen Versuchen,
Gold aus Quecksilber zu synthetisieren. Dasselbe Ziel Franz Tausend
verfolgte ab 1924 der japanische Physikprofessor Na-
gaoka mit starken elektrischen Feldern. In den USA schließlich war seit 1897 die
Aktiengesellschaft,Argentaurum Company' des Metallurgen Stephen H. Emmens
aktiv, die angeblich eine künstliche Goldsilbermischung produziert und an die Uni-
ted States Mint verkauft hatte."01
470 So Wulff (1968), S. 126 f; einen ähnlichen Fall schildert Koop (2012), S. 139,
unter Berufung auf Sievers. Demnach hätte ein Mann in Düsseldorf behauptet, aus
minderwertigen Stoffen Gold, und aus Wasser Benzin machen zu können. Trotzdem
er den Beweis immer schuldig blieb, wandte er sich nach und nach an immer neue
Partei-Stellen bis Hitler schließlich befahl, den Mann solange einzusperren, bis er
tatsächlich aus Dreck Gold und aus Wasser Benzin gemacht hätte.
471 Wikipedia: Franz Tausend.
472 http://www.tourism-watch.de/node/63.
473 „In neuerer Zeit wurde diese Idee von einem Hauptmann der US-Armee na
mens John Cleves Symmes jun. (1780-1829) vertreten". Wikipedia: Theorie der
hohlen Erde.
156
„Bestimmte Kreise der Deutschen Marine
glaubten an die Hohlwelttheorie. Sie erachteten sie
als hilfreich, um die Britische Flotte zu lokalisieren,
denn die Wölbung der Erde würde die Beobachtung
nicht behindern. Wegen der Lichtbrechung seien
optische Strahlen nicht geeignet; doch Infrarot
strahlen hätten eine geringere Brechung. Folglich
wurde eine Gruppe von etwa zehn Mann unter der
wissenschaftlichen Leitung von Dr. Heinz Fischer,
einem Experten für Infrarotlicht, von Berlin zur In
sel Rügen gesandt, um mit Infrarotlichtausrüstung
die Britische Flotte unter einem nach oben gerichte
ten Winkel von etwa 45° zu fotografieren."474
Aufgegriffen wurden die Gerüchte von ver
schiedenen Autoren - selbstverständlich auch
von Pauwels/Bergier - allerdings ohne daß
Titelbild des Lang-Werkes
auch nur eine Primärquelle irgendwo genannt
wurde. Eine tatsächlich befürwortende Aussa
ge eines höheren NS-Protagonisten zu der Hohlwelttheorie - ob aus Marine
oder Luftwaffe - ist jedenfalls nicht bekannt. Im Gegenteil, sprach sich Ah
nenerbe-Präsident Wüst 1937 sogar für ein Verbot der Schrift „Vorgeschich
te wird Geschichte. 10.000 Jahre Schrift und Kultur" von Johannes Lang aus.
Dieser Astrologe, der auch zu den Bekannten Weisthors gehört haben soll,475
propagierte darin zusammen mit Karl Neupert eine Weitsicht, derzufolge
der Mensch auf der Innenseite einer Hohlkugel lebt. Himmler lehnte jedoch
ein Verbot ab, da man damit „erst das Buch bekannt machen würde."476 Auch
Rosenberg verurteilte auf Anfrage die Hohlweltlehre als „völlig unwissen
schaftliche Erklärung des Weltraums".477
474 Bericht Kuiper, nach Pauwels/Bergier (1967), S. 356 ff.; ebenso Moon (1999).
475 Lange (2010), S. 37, unter Verweis auf Gabriele Winckler-Dechend, zählte
Lang zu den Gästen Weisthors in Berlin.
476 Siehe Kater (2006), S. 125.
477 So Webb (2008), S. 380.
157
6. Das Welteis, Edmund Kiss & Atlantis
m Jahre 1912 erschien in Kaiserslautern ein Werk, das die gesamte bis
158
sich vor vielen Millionen Jahren eine
Riesensonne von millionenfacher
Sonnengröße bildete, die ein ver
eistes Gestirn von der 40 000-fachen
Größe unserer Sonne verschlang. Ein
Teil des Einfänglings drang so weit
in das Innere des Glutriesen ein, bis
er dort auf Schichten seiner Dichte
stieß. Dadurch konnte das Eis bzw.
Wasser nicht sogleich verdampfen,
sondern bildete um den Einfängling
eine bimssteinartige Schlacke, die im
Verlauf 10 000 er Jahre durch die Glut
unter steter Bildung von Dampf zer
stört wurde. Durch den entstehenden
Siedeverzug aktivierte eine Druck
veränderung den überhitzten Was Hanns Hörbiger
serstoff zur Explosion, wodurch der
Einpfängling zusammen mit Materie des Glutsternes ausgestoßen wurde.
Während drei Viertel der Materie durch die Anziehungskraft wieder einge
fangen wurden, entzogen sich 1/4 der Materie durch die hohe Geschwin
digkeit von 3200 km/ sec. dieser Kraft, ordneten sich zu einem Glutkreisel
und bildeten die heutige Sonne und ihre Planeten.
Die den Glutkreisel umgebende Wasserdampfhülle dehnte sich nach Ver
bindung mit Wasserstoff aus dem Äther aus, kühlte ab und führte zur Aus
bildung einer immer dichter werdenden Eishülle: Danach seien alle Planeten
ursprünglich mit Eis bedeckt, übriger Eisdunst habe die Milchstraße gebildet.
Nach und nach würden nun diese Körper Opfer größerer Anziehungskräfte
der Sonne oder benachbarter Planeten bis auch diese von der Sonne eingefa-
nen würden - so sollen bereits 10 Planeten hinter Merkur Opfer unserer Sonne
geworden sein und zugleich die Erde bereits mehrere Monde besessen haben,
die ebenfalls nach und nach auf die Erde stürzten - danach wäre auch der
Mars ein möglicher kommender Mond. Zyklisch würden diese Mondeinstür
ze kosmische Katastrophen hervorrufen, die jeweils das Leben - insbesondere
das menschliche - in seiner Entwicklung weit zurück würfen.480
Für die akademische Forscherwelt stellte dies ein Sakrileg dar, war die WEL
doch eine Weltlehre, die in absolutem Widerspruch zu den offiziell anerkann
ten Grundsätzen der Astronomie und Mathematik stand. So mißtrauten auch
viele Forscher auf Seiten der Nationalsozialisten dieser Lehre, ungeachtet
der Mythen verschiedener Völker, die mit Teilen der Lehre korrespondieren.
159
Genau diese Mythen aber
waren es, die vielen Anhän
gern die Hörbigersche Leh
re als letzten Mosaikstein
der Erkenntnis der Welt
dünken ließ. Rudolf Elmay-
er-Vestenbrugg (1888-1970)
etwa, deutscher Schrift
steller und Verteidiger der
WEL über das Kriegsende
hinaus, schrieb: „Hörbigers
unvergängliches Verdienst ist
es, die urferne Weisheit unse
rer Vorväter vom ewigen Wi Broschüre von Hanns Fischer - Sintflut-Motiv
derstreit des Feuers und Eises,
wie ihn die Edda besingt, wieder aufgedeckt und wissenschaftlich in dem großarti
gen Weltbilde der Welteislehre neu begründet zu haben."481
Auch Hitler war begeistert vom „deutschen Genie" Hörbiger und woll
te, so Strohmeier, „das ist mehrfach bezeugt - auf dem Donauufer in Linz ein
Gebäude errichten lassen, ,das insbesondere der katholischen Pseudowissenschaft
zum Trotz die drei Weltbilder des Ptolemäus, des Kopernikus und der Welteislehre
(Hörbigers) enthalten solle'. Auch eine Marmorbüste des Welteispropheten sollte
aufgestellt werden, des Mannes, den Hitler für den , Kopernikus des 20. Jahrhun
derts' hielt."482
Die Ablehnung selbst großer Teile des eigenen Lagers führte jedoch dazu,
daß die WEL mit Kriegsende als widerlegte Irrlehre angesehen wurde.
Nichtsdestotrotz treten mit wachsendem Wissen über das Zusammenspiel
der Planeten immer wieder Details zutage, welche die WEL in bestimmten
Punkten stützen - zu nennen wäre hier vor allem der folgende Kernsatz Hör
bigers: „Der Weltraum kann nicht leer sein, in ihm muß eine fein verteilte, ver
mutlich aus Wasserstoff bestehende Materie sein" der heute als unbestreitbare
Tatsache angesehen wird und vielleicht nicht die letzte erkannte Wahrheit
der WEL bleiben wird.483
Auch die Existenz von Riesensternen bzw. -sonnen wird mittlerweile eben
so anerkannt, wie ein „jenseits des Neptuns befindlicher Planetoidengürtel.''484
160
6.2. Edmund Kiss & das Pyrmonter Protokoll
Die Befassung des Ahnenerbes mit der Welteislehre lag im Interesse Himm
lers an der sogenannten „germanischen Naturwissenschaft" begründet, die
seinem Verständnis nach gegen die vorherrschende „jüdisch versippte Wissen
schaft" antrete. Hintergrund war die dominierende Stellung jüdischer Wissen
schaftler in einigen Wissenschaftsbereichen, für die exemplarisch der als „Rela
tivitäts-Jude" verspottete Albert Einstein stand. Die 1905 erstmals präsentierte
Lehre über die Struktur von Raum und Zeit war ein theoretisches Konstrukt,
das mit dem „sogenannten gesunden Menschenverstand" nicht nachvollzieh
bar war und als Reaktion die Suche nach einer verständlicheren „Gesamtschau"
wachrief, welche nunmehr die WEL zu präsentieren beanspruchte.485 Die von
Hörbiger abgeleitete „göttliche Abstammung der Germanen", die, nach Himm
lers Überzeugung, vor der Erdengeburt im „ewigen Eise des Weltraumes kon
serviert gewesen seien", hob die WEL zugleich in den Status einer Art Ahnen
überlieferung, die an Stelle vermeintlich nüchterner Betrachtung gewichtiger
sei und damit in den Rang zu erhaltender Forschungszweige kommen mußte.486
Im „Pyrmonter Protokoll" vom 18. Juli 1936 unterzeichneten Alfred Hörbiger,
der Verleger Dr. Herman von Hase, Dr. Hans Robert Scultetus, Dr. Voigt und
Philipp Fauth - der erste Wegbegleiter Hanns Hörbigers - die Verpflichtung,
die Welteislehre im Rahmen des Ahnenerbes zu verbreiten. Offiziell übernahm
Himmler damit die Schirmherrschaft über die Welteislehre und installierte im
Februar 1937 die Pflegestätte für Wetterkunde innerhalb des Ahnenerbe, die
„durch eine neuartige Beobachtung der Wetterkunde die Richtigkeit der Welt
eislehre beweisen sollte".487 Zum Vorsitzenden der Pflegestätte wurde entgegen
ursprünglicher Pläne, die Hörbigers ältesten Sohn Hans Robert vorsahen, Ro
bert Scultetus; einer der wichtigsten Mitarbeiter war der Schriftsteller und For
scher Edmund Kiss. Im März 1938 wurde parallel zur Pflegestätte für Wetter
kunde die Sternwarte Philip Fauths in München-Grünwald als Astronomische
Pflegestätte mit Fauth als Leiter ins Ahnenerbe übernommen - damit existierten
gleich zwei Abteilungen zur Unterstützung der Welteislehre.
485 Vgl. Nagel (2000), S. 57f.; allerdings muß berücksichtigt werden, daß die Ver
urteilung der Relativitätstheorie als „jüdische Wissenschaft" ungenau ist, denn
wesentliche Elemente plagiierte Einstein, der seinerzeit am Patentamt in Genf be
schäftigt war, vom Franzosen Jules Henri Poincare (1854-1912), der 1904 bereits
eine vorläufige Version der Theorie der speziellen Relativität skizziert hatte; vgl.
http://www.iep.utm.edu/poincare/; ähnlich Wikipedia: Henri Poincare, wobei der
Franzose hier lediglich zum „Mitbegründer“ wird, ohne daß er im dortigen Artikel
zur Relativitätstheorie auch nur genannt würde.
486 Vgl. Nagel (2000), S. 73.
487 Vgl. Kater (2006), S. 86.
161
Aufgrund anhaltender
Gegenstimmen auch er
wiesen pro-nationalsozia
listischer Wissenschaftler
suchte Himmler anerkannte
Forscher für eine mittelfristi
ge Zusammenarbeit zu bewe
gen. So wies Himmler Wüst
an, mit Heisenberg, einem
scharfen Kritiker der WEL,
Fühlung aufzunehmen, um
Edmund Kiss Philipp Fauth ihn zu einer Zusammenar
beit mit „unseren Leuten von
der Welteislehre" zu bringen.488 Dazu kam es allerdings nicht - im Gegenteil,
auch das Ahnenerbe rückte auch aufgrund ausbleibender Beweise für die
Lehre seit 1939 nach und nach von einer öffentlichen Propagierung der WEL
ab: Die WEL sei „ganz unter Windschutz zu halten ... und von ganz bestimmten
und begrenzten Arbeitsgebieten aus einer kritischen Nachprüfung zu unterziehen"
befahl Himmler 1938.4891942 erfolgte schließlich die Umbenennung der Pfle
gestätte in „Abteilung für Geophysik" - die Erforschung der Welteislehre
wurde aber - sofern es angesichts der Kriegslage überhaupt möglich war
- im Verborgenen weiter geführt: Noch 1942 sind Eingaben Himmlers an
das Ahnenerbe belegt, bestimmte Sachverhalte in Zusammenhang mit der
WEL zu prüfen - allerdings sollten diese erst nach Kriegsende bearbeitet
werden.490
Edmund Kiss
„Nehmt Euch zusammen, meine jungen Freundei Heute spricht ein Verführer der
Jugend zu Euch. Glaubt ihm nichts, kein Wort, was er in diesem Büchlein schreibt,
sondern prüft und forscht selbst. .. Auch die Welteislehre ist deutsche Revolution,
Revolution des Geistes. Ob sie Bestand hat, wird die Zukunft lehren."491 Der Ver
fasser dieser Worte war der 1886 geborene Kasseler Baurat (zeitweise Leiter
162
Steinskulptur in Tihuanaku: „Sternenweiser Godda Apacheta“ - Ruinenstadt
des Preußischen Hochbauamtes) und Autor Edmund Kiss. Als einer der Un
terzeichner des Pyrmonter Protokolls ist er eine der schillerndsten Figuren
des Ahnenerbe.
Mit einer Körpergröße von knapp 2,10 m bei einem Gewicht von 110 Kg,
war er die Art von Mann, „deren Gegenwart Himmler suchte", wie die US-
Autorin Heather Pringle bemerkte.492 Im ersten Weltkrieg wurde er als Sol
dat mehrfach verwundet und mit dem Eisernen Kreuz erster und zweiter
Klasse ausgezeichnet. Nach dem Krieg wurde er Architekt und ließ sich im
westfälischen Münster nieder, wo er sich für die Welteislehre Hörbigers zu
interessieren begann.493
Bereits zu Beginn der 30er Jahre war sein Name durch einen auflagenstarken
Weltentstehungsroman bekannt geworden („Das gläserne Meer", 1930), dem
ersten Teil einer Tetralogie über Atlantis („Die letzte Königin von Atlantis"
1931, „Frühling in Atlantis", 1933, „Die Singschzväne von Thule", 1937). Zu
diesem Zeitpunkt war Kiss bereits überzeugter Anhänger der Welteislehre,
die er in seinen Romanen durch die Beschreibung der durch Mondeinstürze
ausgelösten Naturkatastrophen plastisch verbildlichte, obgleich er in meh
reren Artikeln der Zeitschrift Germanien durchaus nüchterne wissenschaft
liche Abhandlungen über Themenkreise des germanischen Brauchtums ver
faßte - etwa einen Artikel über „Altgermanische Bodenvorratswirtschaft"494
- die keinerlei Bezug zur WEL aufweisen. Anders präsentierte sich Kiss in
seinen Büchern, in denen er die Mondeinsturzszenarien Hörbigers mit der
Atlantis-Überlieferung Platos und der Vorgeschichte der Germanen ver
band. Schon 1933 erschien seine Kampfschrift für die Welteislehre, in der er
163
die neue Lehre leiden
schaftlich verteidigte.
Im Jahre 1936, kurz
nach Unterzeichnung
des Pyrmonter Proto
kolls, erging eine An
weisung Himmlers, Kiss
inoffiziell durch das Ah
nenerbe in seinen For
schungen zu unterstüt
zen.495
Als dem damaligen
Reichsführer während
Deutscher Forscher (Posnansku?) in Tihuanaku, ca. 1930
eines Fluges über das ly-
bische Hochland Strandlinien auffielen, die für ihn ein möglicher Beweis der
Welteislehre waren, ersuchte er Kiss eine Forschungsreise nach Libyen zu un
ternehmen. Obgleich etwa Hans Behm bereits 1930 von zurückliegenden For
schungen von Kiss in Abessinien schreibt,496 fand die Reise erst Anfang 1939
statt. Im Februar 1939 erreichte der Forscher zusammen mit einem Assistenten
und einem Kameramann die unter italienischer Verwaltung stehende Haupt
stadt Libyens, Tripolis. Dort wurden ihm vom italienischen Gouverneur ein
LKW sowie ein Flugzeug zur Verfügung gestellt. Innerhalb von zwei Wochen
trug Kiss mit seinen Begleitern eine Reihe von Indizien für die einstmalige
Existenz von gewaltigen Wassermassen in der libyschen Sahara zusammen,
die für ihn nur mit der Hörbigerschen Theorie erklärt werden konnten.497
Kurz vor Antritt der Reise war der Abenteurer auf Anweisung Himmlers
und begleitet von einem positiven Gutachten des SD-Professors Franz Alf
red Six im Jahr 1938 offiziell in das Amt Ahnenerbe übernommen worden,498
obwohl seine publizierten Forschungsergebnisse umstritten waren und er
somit auch nicht zur angestrebten Steigerung des wissenschaftlichen An
spruchs des Ahnenerbes beitragen konnte. Vor seiner Übernahme in das
Ahnenerbe wurde Kiss jedoch ebenso wie Willigut bereits als Mitglied des
persönlichen Stabes Himmlers geführt.499
Neben der bedingungslosen Unterstützung der WEL trat Kiss ebenfalls
für die Echtheit der Ura-Linda-Chronik ein - überdies vertrat er in einem
495 Kater (2006), S. 52 zit. nach Denkschrift Kiss, T-580, 207/733 (alte Signatur!)
496 Behm, Nachwort in: Kiss (1930).
497 Siehe dazu Pringle (2006), S. 374; demgegenüber erweckte Kater (2006) den Ein
druck, daß es zu keiner Expedition kam, S. 69.
498 Kater (2006) ,S. 69.
499 Sünner (1999), S. 46.
164
kurz zuvor erschienendem Buch über das „Sonnentor von Tihuanaku"
(1937) die Ansicht einer Millionen Jahre alten Kultur in Südamerika was
auch nicht gerade auf Zustimmung der herrschenden Wissenschaft stoßen
konnte.
Der Versuch Himmlers, Kiss an der „Tibet-Forschungsreise Ernst Schä
fers 1938/39" zu beteiligen, um insbesondere Forschungen zur Welteislehre
durchführen zu können, scheiterte jedoch. Mit Verweis auf die schwindende
wissenschaftliche Reputation der Expedition lehnte Schäfer die Teilnahme
des Welteisforschers ab. In seinen unveröffentlichten Memoiren hielt Schä
fer über Kiss fest, daß dieser behauptet habe, am Titicaca-See „Welthäfen
von Außerirdischen" gefunden zu haben.500
Kiss Forschungserkenntnisse gingen auf einen längeren Aufenthalt in Bolivi
en im Jahr 1928 zurück. Dank des Gewinns eines Preisgeldes von 20.000 Reichs
mark in einem Autoren-Wettbewerb, verfügte er über die nötigen Mittel, um
einen längeren Aufenthalt in Südamerika zu finanzieren. Hier erforschte er auf
den Spuren Arthur Posnanskys die Ruinenstädte auf der Insel Marajo und am
Titicacasee, das Mausoleum Puma Punku sowie die Sternwarte Kalasaya.501
Während dieser Zeit, in der er nach unbestätigten Angaben auch als Leiter
eines Museums in La Paz tätig war,502 festigte sich seine Überzeugung einer
uralten arisch-atlantischen Kultur, die sich bis nach Südamerika erstreckte.
Veröffentlicht wurden die Erkenntnisse des Forschers, denen zufolge die
Südamerikanischen Frühkulturen von nordischen Menschen beeinflußt wa
ren, in einem Aufsatz, „Nordische Baukunst in Bolivien" in der Zeitschrift
„Germanien" sowie in seinem bereits erwähntem Buch „Das Sonnentor von
Tihuanaku und Hörbigers Welteislehre".
Für das Jahr 1940 war eine Expedition nach Südamerika geplant, die unter
Leitung von Kiss Grabungen in Bolivien, Peru und Kolumbien durchführen
und dabei Erkenntnisse aus Knochen- und Kalksegmenten, Fauna und Flora
sowie aus Strandlinien und kinematographischen Aufnahmen gewinnen soll
te. Für diese Expedition, die sich aus Archäologen, Zoologen, Botanikern, Ast
ronomen, Karthographen, Geologen sowie einem Filmteam zusammensetzen
sollte, waren bereits modernste Geräte bereitgestellt worden: Zur Durchfor
schung des Titicaca-Sees nach alten Ruinen stand ein Tiefsee- Photographie-
Gerät zur Verfügung und die Firma Zeiss stellte ein Luftbild-Aufnahmegerät
bei, mit dem prähistorische Strukturen aufgespürt werden sollten. Offiziell
abgesagt wurde sie nach Kater mit Hinweis auf die Kriegslage Anfang 1940.503
165
Entgegen der verbreiteten Annahme mangelnder Seriosität der geplanten
Expedition, belegt Mierau anhand einiger Teilnehmer und der zugesagten
Unterstützung durch das Münchener Volkskundemuseums den wissen
schaftlichen Charakter der Unternehmung. So sollte auch ein Karthograph
der Technischen Hochschule Hannover sowie der SS-Mann Schulz-Kampf
henkel teilnehmen, der zwischen 1935 und 1937 bereits die deutsche Ama
zonas/Jary Expedition als Geograph begleitet hatte.504
Trotz der Überlegung, die Expedition nach einem schnellen Sieg Deutsch
lands kurzfristig nachholen zu können, war die endgültige Absage Ende
1941 besiegelt. Kiß selbst war bereits im Oktober 1939 im Range eines Haupt
manns in den aktiven Wehrdienst berufen worden.505
Nach vierjährigem Kriegseinsatz und anschließendem Dienst im Wach
bataillon am Führerhauptquartier Wolfsschanze geriet Kiss 1945 in alliierte
Kriegsgefangenschaft und wurde ins Gefangenenlager Dachau bei München
überstellt. Von hier gelangte er in ein Internierungslager bei Darmstadt, aus
dem er aufgrund seines sich durch eine frühere Malariaerkrankung rapide
verschlechternden Gesundheitszustandes 1947 entlassen wurde.1948 wurde
er in einem Entnazifizierungsverfahren als „Mitläufer" eingestuft und gegen
die Zahlung einer Geldstraße von 501 DM frei gesprochen. Im Dezember
1960 starb Edmund Kiss.506
504 Vgl. Mierau (2006), S. 344; zu Schulz-Kampfhenkel siehe Kapitel 10 dieses Buches
505 Mierau (2006), S. 345.
506 Vgl. Pringle (2006), S. 310; vgl. auch Mund (2002), der von einer persönlichen
Begegnung mit Kiss im Gefangenenlager in Dachau berichtet.
507 Vgl. Körber (2003)
508 Blavatsky lokalisiert Atlantis dabei im Atlantik, schreibt aber bereits von einem
166
osophen übernah
men diesen Gedan
ken. Einer der frühen
Apologeten eines
arischen Atlantis ist
der völkische, dem
ariosophischen Ge
danken nahestehen
de Autor Karl Georg
Zschaetzsch, der 1920
im entsprechenden
„Arier-Verlag" seine
„Herkunft und Ge
schichte des arischen
Stammes" veröffent Hypothetische Lage von Atlantis bei Edmund Kiss
lichte.*509
510
Festland jenseits des Polarmeeres, „das immer grün" und „die Heimat der im fernen
Norden geborenen Arier" sei; vgl. Wegener (2003), S. 68.
509 Zschaetzsch (1920); die seit 1922 in mehreren Auflagen erschienende Zusam
menfassung „Atlantis- die Urheiamt der Arier" wurde sowohl von der Schrifttums
kammer 1935 als auch innerhalb einer Rezension des Ahnenerbe-Organs „Germani
en" verrissen; Germanien 2/1937; vgl. auch Wegener (2003), S. 63 f.
510 Wegener, S. 106, der an anderer Stelle (S. 114) hinzufügt, daß der „Atlantismy
thos die Geschichte des Rechtsradikalismus durchzieht wie ein roter Faden".
511 Wieland (1925), Gorsleben (1930), Schmid (1931).
167
Atlantis-Darstellung bei Albert Hermann
Doch wie kamen sowohl Politiker wie Alfred Rosenberg, der in seinem
Mythus des 20. Jahrhundert Atlantis als die Ausgangsstätte des Ariertums
darstellte, ebenso wie Forscher auf den Gedanken, Atlantis, das doch für
gewöhnlich irgendwo im Atlantischen Ozean lokalisiert wird, nach Nord
europa zu verlegen?
Ihren Anfang nahm die Suche nach einem nordischen Atlantis bereits im 17.
Jahrhundert. 1675 wähnte Olof Rudbeck Atlantis in Skandinavien, 1799 folgte
Jean Bailly Rudbecks Spuren und verlegte Atlantis nach Norwegen. Wieder
um fast 100 Jahre später behauptet der Geologe Eduard Süß, Spuren von At
lantis auf Grönland gefunden zu haben.512 1936 schließlich brachte erstmals
Heinrich Pudor den Gedanken auf, Helgoland wäre ein Rest der einstigen
Atlantis, die sich zwischen Schottland und Südnorwegen erstreckt hätte.513
Für frühgeschichtlich interessierte Politiker wie Rosenberg und Himmler
war Atlantis dabei auch stets Projektionsfläche einer urgermanischen Hoch
kultur, deren Spuren sich in Nordeuropa nur rudimentär nachweisen ließen.
Mit der Idee, daß sich Spuren einer frühgeschichtlichen ariogermanischen
Hochkultur auf dem Meeresboden, gar vor den deutschen Küsten finden
ließen, rannten Heimatforscher bei dem „ariophoben" Himmler offene Tü
ren ein. Auch er war geprägt von der Gleichsetzung der arischen Urheimat
mit Atlantis und besessen von der Idee, ebenso Belege für die Urheimat als
auch Spuren der weltweiten Verbreitung des Ariers ausfindig zu machen.514
1935 korrespondierte er mit Albert Hermann, Autor der auf die Ura-Lin-
512 Olof Rudbeck: Atland eller Mannheim. Uppsala 1675; Jean Bailly: Eettres sur
l Antide. 1799; Eduard Süß: Das Antlitz der Erde; vgl. dazu Wegener (2003), S. 17.
513 Pudor (1936); vgl. dazu Wegener (2003), S. 39 f.
514 Vgl. dazu Sünner (1999), S. 48 ff.; ebenso Mierau (2006), S. 337ff.
168
da-Chronik gestütz
ten Veröffentlichung
„Unsere Ahnen und
Atlantis", die das
atlantische Zent
rum in Nordafrika
lokalisierte, dem
allerdings eine Aus
wanderung aus
Nordeuropa voran-
gegangen wäre.515
1937 schrieb Himm Kivik-Grab Schweden,ca. 1400 v.Zw.
ler an Walther Wüst:
Er glaube, daß Chinesen und Japaner „einmal Kolonialvölker eines zentralen
Staates und Volkes - wie ich annehme - Atlantis gewesen sind, also aus Völkern be
standen haben, die Jahrhunderte oder Jahrtausende eine, nennen wir es einmal eine
atalantische Herrenschicht gehabt haben. Diese atalantische Herrenschicht hat wohl
der Kultur und Sprache dieser Völker ihren Stempel aufgedrückt.''516
Von Pudors Thesen angeregt, richtet Himmler seit 1938 sein Augenmerk
auf Helgoland.517 Schon vor dem Ersten Weltkrieg war der Helgoländer
„Steingrund" als untermeerische Erhebung bekannt. Damals hatten Taucher
in dieser Gegend zahlreiche behauene Steine vorgefunden, nachdem dort
ein deutsches Kriegsschiff auf Grund gelaufen war.518 Ebenso existierten
auch ältere Berichte von Helgoländer Fischern, die bei günstigen Sichtver
hältnissen von ihren Booten aus die Ethischen Strukturen am „Steingrund"
ausgemacht und dem Areal daher diesen Namen gegeben hatten.519
Es folgen mehrere Forschungsaufträge an das Ahnenerbe:520 In einem Sch
reiben vom September 1938 bemerkte der RF-SS: „Lieber Wüst! Bei meinem
letzten Besuch auf Helgoland stellte ich fest, daß über die Geschichte Helgolands fast
nichts bekannt ist. Die meisten Dinge über die Geschichte Helgolands befinden sich
wohl in dänischen Archiven. Ich bitte Sie, einmal alles, was in den Sagen über Helgo
land zu finden ist, zusammenzu tragen. Veranlassen Sie doch ferner, daß die Berech-
169
nungen des Ortungsnetzes, das dieser eine Mann in
Hamburg aufgestellt hat, auch auf Helgoland ausge
dehnt wird. Man kann vielleicht auf diese Art fest
stellen, wie groß die Insel war, wo sich der wirkliche
Mittelpunkt befand und wo die heilkräftigen Quellen
gewesen sind. Wasser gibt es heute auf Helgoland
nicht mehr. Ich nehme jedoch bestimmt an, daß auf
der Insel, die sicher einmal 5 bis 6 x so groß war wie
sie heute ist, ein Brunnen vorhanden war..."521
Im November 1938 wird der Fehmarner Hei
matforscher Peter Wiepert mit der Vorberei
tung von Tauchgängen beauftragt und erhält
zu diesem Zweck drei Seekarten der Kriegs
Jürgen Spanuth mit Elfen
marine, aus denen sowohl die Lotungen über
beinfund vom Steingrund
den unter Wasser liegenden Inselfuß, als auch
die Tiefenverhältnisse in der weiteren Umgebung hervorgehen.522 Im April
1939 folgt ein weiteres Schreiben Himmlers an den Reichsgeschäftsführer
des Ahnenerbe, Wolfram Sievers: „Es müßte dann unseren Ortungsleuten mög
lich sein, durch die Feststellung eines Ortungsnetzes, in das Haithabu Schleswig,
Hamburg, vielleicht englische Heiligtümer und noch viel weiter entferntere, wie
Thorshafen auf den Färöern einbezogen werden, mathematisch genau den früheren
Mittelpunkt und damit auch den vermutlichen Platz der früheren Quellen finden zu
können..... Hierzu wären letzten Endes auch noch geologische Fachleute, soweit sie
überhaupt etwas wissen, heranzuziehen."523
Zwischen 1938 und 1943 kommt es dann zu mehreren Tauchgängen, an
denen der Heimatforscher Peter Wiepert beteiligt ist.
Dieser berichtete später über die Forschungen, „daß man damals etwas von ei
nem sagenhaften, vor vielen Jahren in der Nordsee untergegangenen Land, auch einer
vorgeschichtlichen Burg, die zwischen Eiderstedt und Helgoland gelegen haben sollte,
erfahren hatte.“524 Im Frühjahr 1943 fand in Anwesenheit Wieperts am Stein
grund vor der Ostküste Helgolands ein letzter Tauchgang im Auftrag der SS
statt: „Die Taucher ... machten sich fertig. Zuerst wurde der jüngere herabgelassen,
doch er gab schon nach kurzer Zeit das Signal zum Hochfieren. Er behauptete, die
Strömung sei viel zu stark, er könne sich nicht halten. Dann ging der ältere Taucher,
der längere Zeit unten war. Als er - ziemlich mitgenommen - wieder an Deck war,
erzählte er uns, daß er eine Anzahl Steine und Steinplatten, die von Menschenhand
170
aufgesetzt sein müßten, gesehen habe und zuletzt in eine Art von Steingewölbe oder
Höhle hineingeraten sei, am Ende der Steinsetzung. Einen Stein an diesem Gewöl
beeingang könne er fast mit einer behauenen Steinsäule vergleichen. Die Strömung
hätte ihn aber immer wieder abgetrieben, auch hätte er den Sand aufgekratzt und das
Wasser getrübt und es zuletzt unten nicht mehr aushalten können."525
Von diesen Forschungen inspiriert wurde der studierte Althistoriker und
Heimatforscher Jürgen Spanuth, der 1953 die Gleichsetzung Atlantis mit
Helgoland erstmals einem größeren Publikum bekannt machte. Seitdem
tobte ein erbitterter Streit zwischen Spanuth und seiner stetig wachsenden
Anhängerschar und der akademischen Frühgeschichtsforschung, die starr
an den alten Lehrsätzen der nordischen Rückständigkeit festhielten und di
verse Indizien konsequent ignorierten.526
Dennoch scheinen wissenschaftliche Befunde heute zu bestätigen, daß am
Ende der Bronzezeit, etwa um 1220 v.Zw., ein großer Teil der Westküste
von Schleswig-Holstein und Dänemark sowie viele vorgelagerte Inseln in
einer verheerenden Sturmflut versanken. Diese Sturmflut könnte durch den
Einschlag eines Kometen, des Phaeton der griechischen Sage, verursacht
worden sein. Apollonios von Rhodos berichtet, daß der Phaeton in die Mün
dung des Eridanos stürzte. Der Eridanos wiederum, soll laut Jürgen Spanuth
identisch mit der holsteinischen Eider sein. Dadurch wurde die vermutliche
Königsinsel Basilea, nahe der Hauptbernsteininsel Althelgoland, verwüstet
und versank teilweise unter dem Meer. Vieles von Plato beschriebene deckt
sich mit der tatsächlich anzunehmenden Lage Helgolands:
- Die im Atlantisbericht erwähnte große Ebene mit einer Ausdehnung von 2000
mal 3000 Stadien (etwa 370 mal 560 km) läßt sich in das einstige Land-Gebiet
zwischen Helgoland (Steingrund), Sylt und Britannien einfügen
- Sie lag an der Mündung großer Ströme
- Auf der Insel gab es rotes, weißes und schwarzes Gestein
- An der Spitze der Insel befand sich ein aufragender Felsen (Helgoländer Kliff/
„Wittenklyppe" - die Reste des weißen Felsens versanken 1771)
- Vor der Insel befand sich nach dem Untergang unpassierbarer Schlamm (Wattenmeer)
- Die Insel bot alles was zum Leben benötigt wurde, auch Kupfererze - Der Geo
loge W. Witter und andere stellten zweifelsfrei eine bereits zu Beginn der Jung
steinzeit anzusetzende Kupfergewinnung fest,
- Die Insel trug noch in frühmittelalterlicher Zeit verschiedene Tempel, unter anderem
einen des Apollon und des Forseti, die ursprünglich ein - und dieselben Himmels -
und Schutzgott von Helgoland/Atlantis verkörperten ( Phol/Fosite/Poside)
- Die Insel (Silende - Sylt) trug in frühester Zeit eine Himmelssäule, welche als Ur-
Himmelssäule im äußersten Norden das Firmament trug (Atlas als Himmelsträger)
171
- Auf Helgoland wurde Bernstein gewonnen
(das Oreichalkos Platos?)
- Mit dem Bernsteinhandel gelangte die Kun
de von Atlantis nach Ägypten, dort finden
sich auch eindeutige nordische Schwerter
- Der Sonnenkult hat im Norden Europa eine
lange Tradition und scheint aus der Zeit eines
kalten Klimas zu stammen - in der Bronzezeit
entwickelte sich in Nordeuropa ein nie wieder
erreichtes Klimaoptimum, welches zur Entfal
tung der Kulturblüte im Norden beitrug.
- Pferdewagen und Rennbahnen haben eben
falls im megalithischen Europa eine lange
Tradition (Stonehenge/ Externsteine ?)
- Der Name Basilea läßt sich als germanische Freigelegte Steinsetzung
Stammform nachweisen: am Steingrund.
Ba = leuchten, erhaben - Sil = Säule - eyja = Insel; was Basilea als „strahlende/ obers
te Säuleninsel ausweist, woraus die Königsinsel wurde. Bis heute hat sich eine Reihe
von Forschem der Nordsee-Atlantis-Hypothese in vorsichtiger Form angeschlossen.527
Angesichts der Fülle der hier von den verschiedenen Autoren vorgetra
genen Argumente für ein Nordsee-Atlantis, ist es absurd, von bloßen Spin
nereien hinsichtlich der Lokalisierung der Atlantis in Nordeuropa oder gar
von einer „Widerlegung des Atlantismythos" überhaupt zu sprechen.528
Tauchfahrten zum Steingrund vor Helgoland 1911, 1943 und zwischen
1950 und 1953 (Spanuth) erbrachten dabei neben bearbeiteten Wegesteinen,
und mehreren Kupfer- und Bronzeobjekten auch Reste von Steinbauten, was
allerdings bis heute unbestätigt blieb. Zusätzlich erhärten aber Philister-und
Mykenische Funde im Wattenmeer die enge Kulturverbindung zwischen
Norddeutschland und Mittelmeerraum zur Bronzezeit.529
527 Vgl. hierzu Trojaburg Sonderausgabe Atlantis, S. 10; für Spanuths Thesen
bzw.für eine Nordsee-Lokalisierung: Erlingsson, Ulf: Atlantis from a Geographer's
Perspective: Mapping the Fairy Land, Miami/USA 2004; Kehnscherper, Günther:
Auf der Suche nach Atlantis, Leipzig 1978; Steuerwald, Hans: Der Untergang von
Atlantis, Berlin 1983; Strohmeyer (1997); Rathjen, Hans-Wilhelm: Atlantis war
Westeuropa - Die Einheit Westeuropas zur Bronzezeit, Diepenau 2004; Meier, G.
/Zschweigert, H: Die Hochkultur der Megalithzeit. Verschwiegene Zeugnisse aus
Europas großer Vergangenheit. Tübingen 1997; Helmut Tributsch: Die gläsernen
Türme von Atlantis - Erinnerungen an Megalith-Europa, Frankfiirt/Berlin 1986;
Harald Braem: Das Geheimnis der Pyramiden. Berg.-Gladbach 1989.
528 So etwa Kater (2006), S. 51.
529 Vgl. Duerr, in: Trojaburg Sonderausgabe Atlantis, S. 39 f.
172
7. Gegnerforschung, Hexen-Kartothek & Männerbünde
iese Sätze entstammen der Feder eines der wesentlichen Akteure der
173
Himmler, zu dessen Lek
türe viele der einschlägigen
Anti-Freimaurer Werke der
20er Jahre zählten, bemerk
te gegenüber seinem Leib
arzt Kersten diesbezüglich:
„Alles, was eine Loge ist, hat
geheime Obere, von denen die,
die nach außen hin sichtbar in
Erscheinung treten, gesteuert
werden."533 Um die Bekämp
fung der Freimaurerei zu
G. Schwartz-Bostunitsch Erich Ludendorff forcieren, scharte er inner
halb der SS einen Kreis von Autoren um sich, welche die agitatorische Un
termauerung der polizeilichen Maßnahmen gegen die Logen zum Auftrag
hatten.
Einer der bekannteren dieser Autoren war der Landwirt Friedrich Hassel-
bacher, der bereits eine Reihe von antifreimaurerischen Traktaten verfaßt hat
te. Hasseibacher bezog dabei auch die katholische Kirche in seine Kritik ein,
der er vorwarf, von Freimaurern unterwandert zu sein. Dies sorgte angesichts
des brüchigen Burgfriedens Hitlers mit dem Vatikan für einiges Aufsehen
und führte 1936 zu einem Verbot, weiterhin öffentliche Vorträge zu halten.
Doch gerade das aggressive Auftreten machte Hasseibacher für Himmler in
teressant. 1935 erhielt der Autor den Auftrag, eine Publikation über die Ar
beit der Feldlogen im Weltkrieg zu verfassen, für die er Material vom SD der
SS auswerten durfte, das seit 1933 in Logenhäusern beschlagnahmt worden
war.534 Nachdem der erste Entwurf der Schrift auf Kritik gestoßen war, ge
lobte Hasseibacher, der die schlechte Umsetzung dem Einfluß des Lektors
Wulf Sörensen zuschrieb, Besserung: In der neuen Fassung des Buches habe
er nunmehr „grundsätzliche Feststellungen und Untersuchungen über die Freimau
rerei getroffen, die bislang niemand fand und die daher auch noch niemals gezeigt
werden konnten. Sie sind für den Kampf gegen die Freimaurerei von geschichtlicher
Bedeutung und stellen", so Hasseibacher weiter, „den Beginn einer ganz neuen
Epoche dieses Kampfes dar."535
Bereits Erich Ludendorff hatte mehrere Schriften über freimaurerische
Aktivitäten vor und während des Weltkrieges verfaßt, an die Hasseibacher
nun hauptamtlich anknüpfen konnte.536
533 Zit. nach Wegener (2004), S. 54; zur Leseliste ebenda, S. 75.
534 Siehe dazu Heiber (1970), S. 53
535 Schreiben Hasseibacher an Gahlke v. 9.2.1937, Archiv Verfasser Nr. 34.
536Vgl. u.a. Ludendorff: „Vernichtung der Freimaurerei durch Enthüllung ihrer Ge-
174
Feldloge „Stern von Brabant" aus Hasseibacher „Hochverrat der Feldlogen"
Für Kritik aus den „eigenen Reihen" sorgte dagegen Hasseibachers „Ver
ächtlichmachung von Sinnbild-Gut" das im Rahmen der Publikation „Ha-
gal" der Edda-Gesellschaft vorgestellt worden war. Der Vorstand der Edda-
Gesellschaft wandte sich diesbezüglich an seinen alten Mentor Weisthor,
um dagegen aktiv zu werden.537 Neben Hasseibacher sparte auch Walther
Lienau trotz seiner guten Kontakte zu Weisthor,538 die völkischen Bünde bei
seiner Freimaurer-Kritik nicht aus: „So entstanden bereits vor dem Krieg Germa-
heimnisse" und „Wie der Weltkrieg 1914 gemacht wurde"; Ludendorff hatte sich als
einstiger NSDAPler bereits 1928 von Hitler entfernt und betätigte sich hauptsächlich als
Freimaurer-Kritiker, wobei er ebenfalls sämtliche Kirchen in die Kritik miteinbezog. Seine
zunehmend anti-Hitleristische Einstellung wurde auch auf den Einfluß der Frauenrecht
lerin Mathilde von Kemnitz, geb. Spieß zurückgeführt, eine einstige Verehrerin Hitlers.
Himmler veranlaßte eigenhändig die Feststellung, ob sich bei ihr ein jüdischer Blutein
schlag feststellen lasse, was jedoch negativ beschieden wurde: „Dagegen ist es auffällig,
daß... unter den Vorfahren nicht weniger als 16 Theologen erscheinen. Eine entsprechende
Schlußfolgerung ist damit ohne weiteres gegeben."Brief Sippenamt der SS an Darre, Hei
ber (1970), S. 55.
537 Siehe Lange (2010), S, 39.
538 Gabriele Winkler-Dechend nennt Lienau „aus dem Stabsamt Darre" als einen
der häufigen Besucher Weisthors in Berlin 1934; Lange (2010), S. 37.
175
Von Six zum Hauptquartier des SD umfunktioniertes Logen-Haus in Berlin,
nenlogen die sich übrigens genau so undurchsichtig nach Ziel und Aufbau tar
nen wie die Freimaurer selbst. Wälsungenorden, Eddagesellschaft, der Ordo Novi
Templi (Neuer Templerorden), später auch der Skaldenorden sind die bekanntesten
dieser germanischen Logen"539, schrieb Lienau 1934.
Besonderer Kritikpunkt an der Edda-Gesellschaft war dabei das „Festhal
ten an der Ellerbekschen Biorhythmik", wie Lienau in einem Brief an den
Edda-Vorsitzenden Werner von Bülow schreibt.540
Schließlich schließt aber Lienau - vermutlich ebenfalls auf Einfluß von
Weisthor, den von Bülow um Vermittlung gebeten hatte - in der 2. Auflage
die Edda-Gesellschaft ausdrücklich aus der Kritik aus:
„In der Behandlung der Germanenlogen erwies sich eine erhebliche Umarbei
tung als notwendig, da es nicht im Sinne der Schrift liegt, deren Mitglieder ohne
weiteres als Logenbrüder zu stempeln.... Die Edda-Gesellschaft paßt in diesen Zu
sammenhang nicht hinein. Sie ist ein offener Verein und arbeitet in rein völkischem
Sinne."541
Ein weiterer Autor von Rang war Gregor Schwartz-Bostunitsch (1883-
?).542 Der gebürtige Deutsch-Ukrainer studierte ursprünglich Jura und
176
wurde 1914 Professor für Thea
ter- und Literaturwissenschaften.
1917 war er als antikommunisti
scher Agitator tätig und schloß
sich den Weißgardisten an. Im
selben Jahr wurde er von den
Kommunisten in Abwesenheit
zum Tode verurteilt und floh zu
nächst nach Bulgarien und von
hier 1922 nach Deutschland. Hier
gelangte er in Kontakt mit völki Buchtitel Hasselbachers - Franz Alfred Six
schen Kreisen, unter anderem dem „Coburger Kreis" um den Baltendeut
schen Max Erwin von Scheubner-Richter und zeigte sich sowohl der Ario-
sophie als auch der Anthroposophie gegenüber aufgeschlossen. 1929 brach
er allerdings mit der Lehre Rudolf Steiners und bezeichnete seitdem die
Anthroposophie als „jüdisch indoktriniert".543 In München knüpfte er Kon
takt zu Alfred Rosenberg, der wie er deutsch-baltische Wurzeln hatte, und
lernte durch diesen auch Hitler kennen. Mit Vorträgen und Büchern über
okkultistische und freimaurerische Themen, in denen er insbesondere „die
jüdische Weltverschwörung" anprangerte, wurde er zu einem bekannten
Akteuer der völkischen Szene. Innerhalb Rosenbergs Monatsschrift „Welt
kampf" veröffentlichte Schwartz-Bostunitsch regelmäßig Artikel. Mitte der
30er Jahre näherte er sich Himmlers SS an, der er im April 1935 im Rang
eines SS-Hauptsturmführers beitrat. Hier wurde der Emigrant ehrenamtli
cher Mitarbeiter im Amt VII des SD, wo er die Gründung eines Institutes
für Verschwörungsfragen plante, für das er auch seine private Bibliothek zur
Verfügung stellen wollte. Daneben arbeitet er auch am Aufbau einer Frei
maurerkartei sowie im 1935 im SD-Hauptamt eingerichteten Museum für be
schlagnahmtes Freimaurer-Inventar mit, das unter Leitung von Hans Richter
(1901-?) stand.544 Trotz diagnostizierter Persönlichkeitsstörungen wurde er
543 Vgl. Werner (1999), S. 41; vgl. auch Carmin (2005), S. 623.
544 Vgl. Werner (1999), S. 45; oft wird fälschlich behauptet, Schwartz-Bostunitsch
sei Leiter des Museums gewesen, unter Wikipedia findet sich dagegen unter dem
Eintrag „Hans Richter" folgendes: „Im SD-Hauptamt leitete Richter zeitweise das
1935 eingerichtete Freimaurer-Museum, in dem unter anderem auch Adolf Eich
mann im Rahmen seiner SD-Ausbildung eine Zeitlang als Untergebener Richters
Dienst tun mußte. Eichmann erinnerte sich später: ,Ich wurde abgestellt an einen
Oberscharführer Richter, ein Berlin, der einige Semester Hochschule hinter sich hat
te, durch die politischen Ereignisse nicht weitermachte und dort gewissermaßen als
Museumsdirektor figurierte. Seine Aufgabe war es, das in verschiedenen Freimau
rerlogen in Deutschland sichergestellte Material [...] museumsartig aufzubauen.'"
177
1942 zum „SS-Ehrenprofessor" und 1944 zum SS-Standartenführer befördert.
1945 wurde die ca. 40 000 Bände fassende Bibliothek Schwartz-Bostunitschs
zum Schutz vor Fliegerangriffen in das Schloß Gneisenau in Erdmanndorf/
Schlesien ausgelagert.545
Im November 1944 traf sich der russische SS-Mann in Prag im Rahmen
der kurz zuvor gegründeten „Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung der bol
schewistischen Weltgefahr" mit Rosenberg. Man plante, ein großes „Hand
buch des Bolschewismus" zu erstellen. Ob auch Schwartz-Bostunitsch daran
beteiligt war, ist zwar nicht bekannt, kann aber vermutet werden. Die letzten
Briefe Schwartz-Bostunitschs stammen von 1945, danach verliert sich seine
Spur. Vermutlich floh er vor dem russischen Einmarsch in den Westen und
wurde dort von US-Truppen interniert, die ihn möglichweise an die Sowjets
auslieferten; jedenfalls taucht sein Name auf einer US-Gefangenenliste auf,
die in Moskau gefunden wurde.546
Was Schwartz-Bostunitsch für die Verfechter einer okkulten Fremdbe
stimmung gewisser Kreise des 3. Reiches und insbesondere der SS inte
ressant macht, sind seine okkulten Weltbilder und Kontakte. James Webb
zufolge, soll „dieser erleuchtete SS-Mann" 1918 in Bulgarien Schüler des be
rüchtigten Okkultisten Gurdjieff gewesen sein.547
Darüber hinaus interessierte sich das Amt aber auch für eine Reihe von
Astrologen und Okkultisten, die an der Auswertung der Freimaurer-Archive
beteiligt waren.548 Zu den eingesetzten Astrologen zählte der Sanskrit-kun
dige Lehrer Dr. Heinrich Fesel (1890-1958), der 1934 von Walther Schellen
berg, Leiter des Amtes VI (Auslandsgeheimdienst) rekrutiert worden war.
Über Fesel wurde 1939 auch der Astrologe Karl Ernst Krafft, ein Schweizer
Staatsbürger mit deutschen Wurzeln, für das Amt angeworben. Sein Auf
trag lag in der Erstellung frei zu wählender Berichte und Kommentare, die
mit Spekulationen und Bezügen zu planetarischen Konstellationen und an
deren astralen Phänomenen angereichert werden sollten.549 Angesichts der
wenig ergiebigen Arbeit Kraffts für einen Geheimdienst, könnte der wahre
Grund seiner Beschäftigung darin gelegen haben, den Schweizer Astrologen
für spätere Einsätze „warm zu halten", wie Ellic Howe spekuliert.550
Mit Six, einem intelligenten linientreuen SS-Mann, machte Himmler 1937
178
einen Fachmann für Freimaurerfragen zum defacto Leiter des SD-Inlands-
geheimdienstes. 1939 erfolgte dann die Einrichtung eines eigenen Amtes zur
Gegnerforschung - Amt II - zu dessen Leiter Six berufen wurde.551
Der 1935 als Chef des Presseamtes zum SD-Hauptquartier in Berlin ge
wechselte Six publizierte seit 1936 regelmäßige antifreimaurerische Artikel
in Ernst Kriecks Zeitschrift „Volk im Werden" und verfaßte 1938 sowie 1940
zwei Monographien zu dem Thema.552
Auch Six war durchdrungen von der jüdischen Unterwanderung der Lo
gen: „Wenn wir bereits zwischen der kirchlichen und jüdischen Überlagerung des
deutschen Volkstums Berührungspunkte, ja zum Teil gemeinsame Wurzeln fest
stellen mußten, so findet diese Erscheinung ihren kennzeichnenden Ausdruck in der
dritten großen Gegenbewegung völkischer Lebensordnung, der Freimaurerei", in
der sich „schon bei äußerlicher Betrachtung ihre vorderasiatisch-orientalischen, vor
allem aber ihre jüdischen Wurzeln" erwiesen. „In dem Widerspruch verschiedener
Entwicklungssysteme treten diese Quellen, ihre geistige und weltanschauliche Aus
richtung, ihre Symbole und ihre Rituale, vor allem die Grundzüge ihrer Lehre aus
dem judentum und den orientalischen Mysterien hervor“, bemerkte Six 1937.553
Mit Kriegsbeginn wurde der Kampf gegen die Freimaurerei fast vollstän
dig in das Vorgehen gegen Juden integriert. So wurde die mittlerweile als
Amt VII geführte Gegnerforschungsabteilung mit der Einstufung von zwei
Tartarenvölkern auf der Krim beauftragt. Auf Grundlage dieses Gutachtens
wurden die aus Persien stammenden Karaimen, trotzdem sie den jüdischen
Glauben angenommen hatten, von Verfolgung verschont, während die ta
tarischen Krimtschaken als „Nachfahren sephardischer Juden" wie Juden
behandelt wurden.554
1942 griff auch Six aktiv in die Gegnerverfolgung ein, nämlich als Leiter ei
ner Einsatzgruppe, die neben Partisanen auch Juden als vorgebliche Anstifter
des Widerstandes, im Visier hatte.555 Zugleich war Six auch mit der Beschlag-
nahung freimaurerischer Archive und Bibliotheken in Rußland befaßt.556
551 Vgl. Wildt (2009), S. 56; ab März 1941 firmierte dieses als Amt VII unter Franz
Six (Weltanschauliche Forschung und Auswertung - SD-Ausland), während Hein
rich Müller im Amt IV die Gegner-Erforschung und -Bekämpfung oblag.
552 Vgl. Rudolph (2000), S. 82; Franz Six: „Freimaurerei und Judenemanzipation"
(1938), „Freimaurerei und Christentum" (1940).
553 Six (1937).
554 Vgl. Wildt (2009), S. 56 f.
555 Dazu heißt es bei Wikipedia: Franz Alfred Six: Am 22. Juni 1941 übertrug ihm
Heydrich die Leitung des Vorkommandos Moskau (VK Moskau /SK 7c) in der von
Nebe geführten Einsatzgruppe B. Deren Aufgabe war es, „Partisanen, Saboteure,
kommunistische Funktionäre im rückwärtigen Heeresgebiet" zu erfassen.
556 Vgl. Behringer (2000), S. 116 f.
179
7.2. Der H-Sonderauftrag
557 Zit. nach Werner Best, Der Aufbau der Sipo und des SD ..., 29.01.1940. Bun
desarchiv Dahlwitz-Hoppegarten, ZR 592/10, Bl.38-50.
558 Vgl. zur ausführlichen Geschichte des H-Sonderauftrags: Rudolph (2000), S. 47 ff.
180
und schließlich ein Überblick über das bisherige
Schrifttum zu den Hexenprozessen sowie das Ver
fertigen einer thematischen Bibliographie". Hin
tergrund der Errichtung des Sonderauftrages
war indes Himmlers Bemühung, den Einfluß
der christlichen Kirchen, die er als „Stoßtrupp
des Weltjudentums" charakterisierte, auf die
deutsche Bevölkerung zurückzudrängen und
zugleich die politische Tätigkeit des RSHA
auf die geistige Durchdringung der Bevölke
rung mittels Aufsätzen und Publikationen zu
erweitern. Auf die Hexenproblematik gesto
ßen wurde Himmler dabei weniger - wie oft
behauptet - durch seine persönliche Betrof
fenheit aufgrund der Existenz eines Opfers in
seiner Ahnenreihe,559 sondern durch eine 1935 im Zuge der Kontroverse um
Rosenbergs im Mythus verkündete „9-Mio-Opfer" der Hexenverfolgung
aufkommende Auseinandersetzung mit der Kirche, bei der sich das Fehlen
handfester Beweise für die NS-These offenbarte. Daher sollten nun die Ver
brechen der Kirche anhand der Hexenverfolgung aufbereitet und akribisch
dokumentiert werden.560 Der H- Sonderauftrag sollte daher einerseits ver
wertbares Material gegen die katholische Kirche sammeln, andererseits je
doch auch vorchristliche Überlieferungen der sogenannten Hexen eruieren
und sichern; einerseits als Bestandteil der Aufarbeitung eigener Geschichte,
andererseits auch um dieses Wissen wo möglich für die auf lange Sicht das
Christentum zu ersetzende „Ersatzreligion" nutzbar zu machen.
Trotz der persönlichen Interessen Himmlers, wurde die offizielle Arbeit
der Sonderabteilung-H ihren Ansprüchen nicht in vollem Maße gerecht, die
Grundlage der wissenschaftlichen Erforschung der Hexenverfolgung zu lie
fern - vielmehr scheiterte sowohl die Erstellung eines Grundlagenwerkes, als
auch der persönliche Versuch Levins, sich mit diesem Thema zu habilitieren.561
Der Grund für dieses „Scheitern" lag jedoch auch in der sinkenden Bedeutung
der Hexenforschung seit Beginn des Krieges 1939. Neben der Hexenforschung
gewann die Aufklärung der „Freimaurer-Umtriebe" eine weiter wachsende
Bedeutung, da hier eine jüdische Einflußnahme leichter nachgewiesen werden
konnte als in Bezug auf die Hexenverfolgung. Seit 1942 trat jedoch auch die Frei
maurerforschung hinter die Aufklärung über das Judentum an sich zurück.
559 Margareth Himbler, die 1629 als Hexe ermordet wurde - die entsprechende Akte
der Kartothek wurde erst am 12.11.1938 erstellt; vgl. Rudolph (2000), S. 53.
560 Vgl. hierzu Behringer (Hexen), S. 12; ebenso Rudolph (2000), S. 53 ff.
561 Vgl. Matthäus (2000), S. 107.
181
Der „H-Sonderauftrag" war bis zum April 1936 gemeinsam mit der „SS-
Schrifttumsstelle Leipzig" in der bekannten Deutschen Bücherei unterge
bracht. Danach zog die Kartothek gemeinsam mit weiteren Abteilungen
des Amtes VII des RSHA in das von den Nationalsozialisten konfiszierte
Freimaurer-Logenhaus nach Berlin-Wilmersdorf, bis sie kriegsbedingt
1943 nach Niederschlesien, in das Schloß des Grafen Haugwitz, ausgela
gert wurde. Gegen Kriegsende bezog ein Teil des Amtes VII Quartier bei
Rudolstadt/ Thüringen. Der größte Teil der zuerst nach Posen verbrachten
Akten des Amtes VII befindet sich heute in den Beständen der Universitäts
bibliothek Posen; Teile wurden 1989/90 aber auch im „NS-Sonderarchiv"
der DDR-Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen entdeckt. Die neben
der Hexenkartothek in Posen aufgefundenen Logenbibliotheken und weite
re Freimaurerliteratur schienen aufgrund der zahlreichen mit okkulten oder
geheimen Riten und Praktiken gefüllten Bände einen Zusammenhang zur
Erforschung geheimer Wissenschaften offenbar zu machen, offiziell jedoch
beschränkte sich das Interesse der Abteilung auf die Verwertung der Schrif
ten gegen die Umtriebe der Freimaurerlogen, also der Auseinandersetzung
mit dem weltanschaulichen Gegner. Seit 1942 wurde entsprechend des
militärisch geführten Vernichtungskampfes gegen den jüdischen Bolsche
wismus als Hauptfeind der Jude angesehen, weshalb sich der Schwerpunkt
der Gegneraufklärung des Amts VII, welches ja erst aus dem Sonderauftrag
hervorgegangen war, nun von der Freimaurerei auf den Juden verlagerte,
obgleich Überschneidungen zwischen beiden Gruppierungen seit Beginn
hervorgehoben werden sollten. Damit trat die Erforschung der Hexenver
folgung weiter in den Hintergrund, wurde jedoch als untergeordnete Ab
teilung weitergeführt, obgleich sich mit Schriften zur Hexenfrage befaßte
Mitarbeiter nun „judenbezogenen" Projekten widmeten.
Folgende Schriften waren im Rahmen des H-Sonderauftrags vorgesehen,
kamen aber zumeist nicht zur Umsetzung:562
1. Murawski: Die geistesgeschichtlichen Grundlagen des H-Komplexes
2. Rudolf Levin: H-Prozesse in volksgeschichtlicher Sicht (Voraussichtliche
Beendigung Ende 1942)
3. Schmidt: Die zvirtschaftlichen Folgen der H-Prozesse (Voraussichtliche
Beendigung Ende 1942)
4. Merkel: Die volkskundlichen Grundlagen des H-Wahns (im Wesentlichen
fertig - Änderungen n. Rückkehr des Bearbeiters aus dem Wehrmachts
dienst)
5. v. Schrenck: Die Folter in den H-Prozessen
6. Jantra: Die vorgeschichtlichen Grundlagen des H-Wahns (nurgeplant auf
grund Wehrmachtsdienst Jantras)
182
7. Gemeinschaftsarbeit: Neubearbeitung Soldan/Heppe: Die Geschichte der
Hexenprozesse
8. Levin: Quellenwerk über den H-Komplex (geplant)
9. Richter: Kritische Neuausgabe des Malleus (Hexenhammer) (gepl.)
10. Patin: Die kirchengeschichtlichen Quellen für die H-Forschung (fertig -
Überarbeitung notwendig)
11. Prof. Eckardt: Die rechtsgeschichtlichen Grundlagen der H-Forschung (gepl.)
12. Reißmann: Grundbuch der H-Forschung (vorauss. Ende 1943)
13. Richter: Bibliographie des H-Schrifttums (als Kartothek fertig)
183
einer Abteilung „Politische Geistesgeschichte" an das Ahnenerbe, die eine ver
besserte Zusammenarbeit insbesondere in der politischen „Begutachtung" neu
er Ahnenerbe-Kandidaten durch Six zeitigten, jedoch entschied sich Himmler
schließlich gegen eine solche engere Zusammenarbeit.565
Stattdessen sollte die Hexenverfolgung als Aufklärung über weltanschau
liche Gegner Bestandteil des RSHA, bzw. des diesem untergeordneten H-
Sonderkommandos bleiben.
184
Nach Promotion im Fach Germanistik in Wien
1925 arbeitete Höfler kurzzeitig in Marburg und
folgte 1928 einem Lehrauftrag für Germanistik in
Schweden. Nach seiner Rückkehr nach Deutsch
land verfaßte er seine Habilitationsschrift „Die
kultischen Geheimbünde der Germanen" Dieses
Werk sorgte bald für erhebliche Diskussionen, in
deren Mittelpunkt er als Protege des Ahnenerbe
und der dem Reichsbund Rosenbergs naheste
hende Bernhard Kummer die Hauptrollen spiel
ten und der auch in die Betrachtung der Hexen
verfolgung hineinspielte. Höfler hatte nämlich
die Hexenverfolgung als mögliche Folge der seit
frühester Zeit existenten kultischen Männerbün
de charakterisiert. Der mit einer Vermittlung zwi Otto Höfler
schen den Kontrahenten beauftragte Eberhard von
Löw zu Steinfurth, Mitglied des Reichssicherheitshauptamt III B (Volkstum)
unter Hans Ehlich, faßte die Gegensätze folgendermaßen zusammen: „Die
Kummer-Reinerth-Günthersche Richtung sieht den nordischen Menschen als einen
bäuerlichen Menschen, dessen Lebenshaltung erschöpfend bestimmt wird durch die
Aufgaben der Erhaltung der Sippe und der Schaffung der Nahrung und eines beque
men Lebensstandards. Die Götter sind dazu da, die Erhaltung der Sippe zu überwa
chen und eine fruchtbare Ernte zu garantieren. ... Dagegen lehne diese Richtung das
Vorhandensein aller Kräfte im Germanentum ab, die nicht unmittelbar rationalistisch
als dem obenbezeichneten Trieb dienend erklärt werden könnten. So lehne sie insbe-
sonderejede Beschäftigung mit dem Tode, jeden Totenkult und jede Anerkennung des
Furchtbaren in der Natur als ungermanisch ab. Sie gehe sogar so weit, zu behaupten,
daß der Drang zur Staatsbildung, als einer Bildung von über den engeren Sippen
verbänden hinausgehenden Gemeinschaften, die das ganze Volk umfaßten, nicht ur
sprünglich germanisch, sondern erst von den Römern anerzogen sei. Deshalb werde
auch der diesen Staatsbildungen und der Verteidigung des Volkes dienende Hang zur
Bildung von kriegerischen Verbänden der jungen Mannschaft eines Volkes als nicht
ursprünglich germanisch abgetan.
Demgegenüber behaupten Höfler und die ihm nahestehende Gruppe, daß sich aus
der germanischen vorchristlichen Geschichte und der germanischen Sagenlitera
tur nachweisen lasse, daß die Germanen von Ursprung her staatsbildend gewesen
seien und damit aus ihrer rassischen nordischen Veranlagung heraus den Drang
gehabt hätten, sich über die engsten Sippengemeinschaften hinaus zu größeren Ge
meinschaften des Volkes zusammenzuschließen. Träger dieses Dranges seien die
germanischen Kriegermannschaften gewesen. Sie hätten im Totenkult, in dem die
unmittelbare Verbundenheit mit den Ahnen als Kraftquelle des völkischen Lebens
wirksam gemacht worden sei, und in der Bejahung des Kampfes und des Furcht
185
baren in der Natur (die letzten Endes nur der Stärkung für den Kampf um die
Erhaltung der Art und den Sieg über fremde Wesensart diente) einen Ausdruck
unnordischen Wesensdargestellt:
Höfler wirft der Gegenseite vor:
1. Sie mache aus dem Germanentum ein Schäferidyll im Stile des 18. Jahrhunderts,..
2. Sie erweise damit Deutschland gegenüber dem angelsächsischen Westen und dem
skandinavischen Norden einen sehr schlechten Dienst..., indem gerade auf Grund
dieses Germanenbildes der angelsächsische individualistische Händlergeist und der
skandinavische Pazifismus gegenüber dem in der Organisationen der Bewegung
und des Staates straff zusammengefaßten deutschen Volke sich als die Vertreter
echten nordischen Germanentums fühlen können.
3. Erweise diese Richtung auch im Kampfe gegen das Christentum und politisches
Kirchentum einen schlechten Dienst, indem sie einfach in jedem Falle nur sich auf
die absolute Negation der kirchlichen Thesen und Behauptungen beschränken und
sich damit die Frontziehung von der Kirche insbesondere vom Katholizismus her
vorschreiben lasse. ...In ihrer Ablehnung des Staatlichen und Kämpferischen als
nordische Eigenschaft sehe sie sich genötigt, den germanischen Gott, der Vertreter
dieser Eigenschaft sei, Wodan, den Königsgott der Germanen, ebenfalls bereits als
eine Entartungserscheinung des ursprünglichen Germanentums zu bezeichnen zu
dem kirchlicher und christlicher Propaganda durchaus entgegenarbeitenden Schluß,
daß die germanische Religiosität zu dem Zeitpunkt, als sie mit dem Christentum
zusammenstieß, bereits seit 1000 Jahren entartet gewesen sei.."569
186
„Modernisierung“ des nordischen Gedankens, als Ideologen! für die Militarisierung
und Aufrüstung Deutschlands nach 1935 zunehmend an Bedeutung gewann und
bis Ende des 2. Weltkrieges eine zentrale Stellung in der nationalsozialistischen
Weltanschauung behielt.“570
187
8. Auf der Suche nach dem heiligen Gral -
Otto Rahn & die Gralsmission der SS
an hat sich nur zu sehr daran gewöhnt, die Sage vom heiligen Gral als
188
Von der Kirche - inoffiziell - als Gral-
Reliquie anerkannt, ist ein zusammenge
setzter Kelch aus smaragdgrünem Achat,
der mit einer edelsteinbesetzten Halterung
auf einem Onyx-Fuß befestigt ist. Der heute
in der Kathedrale von Valencia befindliche
Kelch wurde im Mittelalter im berühmten
Höhlenkloster San Juan de la Pena aufbe
wahrt - das aus Achat bestehende Oberteil
stammt aus der Zeit der Zeitenwende und
soll der römischen Kirche zufolge tatsäch
lich die Schale des letzten Abendmahles
darstellen, während der wohl im 10. Jahr
hundert hinzugefügte Fuß erst kurz zuvor
hergestellt wurde. Daß der obere Teil tat
sächlich von Jesus verwendet wurde oder
sogar sein Blut auffing, ist jedoch mehr als
Gral-Bühnenbild Richard Wagners zweifelhaft - dennoch kann dieses Arte
fakt gegenüber weiteren als Gral bezeich
neten Gegenständen noch die größte Authentizität beanspruchen.
In der von fast allen Autoren berichteten magischen Sättigung durch den
Gral finden wir dagegen einen der deutlichsten Hinweise auf den vorchrist
lichen Charakter des Grals. Bereits in keltischen Mythen erscheint der Kessel
des Dagda vom Stamm der Tuatha de Danaan, der ebenfalls auf wundersa
me Weise nie leer wird und die Hüter des Kessels sättigt. Dieses Element
findet sich - noch weiter zurückliegend - sogar bei den indogermanischen
Völkern wie etwa im indoarischen Rigveda in Gestalt des kupfernen Kes
sels des Sonnengottes Vivasvant. Von dieser ältesten Zeit fand es Eingang in
die deutsche Märchenwelt, wo es als unerschöpfliches Breitöpfchen oder als
„Tischlein-Deck-dich" überlebt.577
Im Sanskrit heißt die Entsprechung dieses Tisches Mani, ein Speis und
Trank spendender Steintisch. Zugleich stehe Mani aber auch für die deutsche
Minne, dem „Gedenken in Liebe", dem sich sowohl deutsche Ritter („Minne
dienst") als auch die französischen Katharer („Manisola") verschrieben hatten
und das sich letztlich aus dem altgermanischen Maibrauch ableiten soll.578
Letztlich stehen diese Mythen in Zusammenhang mit der Sonnen- und
Mondverehrung der alten indogermanischen Kulturen, welche die Gestirne
als segen- und nahrungsspendende Gefäße ansahen.579
189
Eine weitere, und zuletzt wohl am meisten diskutierte These stammt von
den Autoren Baigent, Lincoln und Leigh: Nach diesen ist der Gral weniger
materieller Natur, denn die Umschreibung eines Geheimnisses, welches das
Potential birgt, die Grundfesten der kirchlichen Mauern einzureißen - zu
mindest wenn man Dan Brown glauben möchte, der mit seiner romanhaften
Umsetzung und Ausschmückung der Gralserben-Theorie des Autorentrios
zum erfolgreichsten Romanautoren jüngerer Zeiten wurde: Jesus war nicht
nur verheiratet mit Maria Magdalena sondern hatte auch einen Sohn mit
ihr: Also einen blutmäßig legitimierten Erbfolger, der durch seine möglichen
Nachkommen die Stellung der Päpste innerhalb der christliche Kirche nach
haltig in Frage stellen würde. Und tatsächlich soll sich die Blutlinie zum -
angeblich jüdisch dominierten - germanischen Geschlecht der Merowinger
und dem König Dagobert II. zurückverfolgen lassen, deren Ansprüche in
neuerer Zeit die mysteriöse Organisation „Prieure de Sion" weiterverfolgt
und nichts weniger als die Absetzung der Päpste zugunsten der noch exis
tenten Blutlinie verfolgt. Der Gral wäre dabei die direkte Umschreibung Ma
ria Magdalenas, deren Schoß den göttlichen Samen empfing, wie der Kelch
das göttliche Blut. Die Bezeichnung würde also nicht „san graal" (Heiliger
Gral) sondern „sang real" (Heiliges Blut) lauten.580
Pikanterweise betreiben die Autoren damit eine Einverleibung und diame
trale Entgegensetzung des bereits im letzten Jahrhundert im Zusammenhang
mit dem Gral geprägten Begriffes des heiligen Blutes. Jörg Lanz von Lieben
fels und den deutschen Ariosophen galt dieser Begriff in
Anlehnung an Eschenbach, der der „Gralsgemeinschaft"
eine gemeinsame Blutlinie zugrunde legt, als Bezeich
nung des „heiligen arischen Blutes", welches es galt ge
genüber den „minderwertigen Rassen" reinzuhalten.581
Auch die Symbolisierung des Grals als seit dem
Mittelalter bestehender Wunsch nach gesellschaftli
cher Neuorganisation, wie sie die Prieure verfolgen
würde, findet sich ebenfalls bereits in diesem Kon
text: Julius Evola zufolge zielte diese Symbolik auf
eine bestimmte Führungsschicht im Mittelalter,
die das Abendland auf spiritueller Grundlage neu
organisieren wollte.582
Mit der These Baigents und Browns wäre also
nicht mehr das „arische Blut" das heilige, sondern
das „jüdische". Der Dämon Asmoaeus als
Wächter in Saunieres Kirche
580 Lincoln (1984); Brown (2004).
581 Siehe Lanz v. Liebenfels (1930), S. 74 f.
582 Vgl. Lange, Vorwort zu Rahn (2000); S. XIV.
190
Doch welchen Wahrheitsgehalt birgt diese fan
tastische Geschichte?
Sicher ist, daß sich die Autoren hauptsächlich
auf Spekulationen stützen und bei dem Versuch,
ihre Thesen zu untermauern, verschiedentlich
andere Autoren falsch zitieren, um ihre Thesen
zu bestätigen. Was die „Prieure de Sion" anbe
langt, so scheint es sich hierbei lediglich um ein
Produkt der Neuzeit zu handeln, das durch den
französischen Adligen Pierre Plantard (seit 1975
„Plantard de Saint-Claire") in den 50er Jahren ins
Abbe (Pater) Sauniere
Leben gerufen wurde. Allerdings gibt es Hinwei
se auf eine mittelalterliche Verbindung die auf eine Augustiner-Abtei mit
dem Namen Notre Dame du Mont de Sion zurückgeht. Der Name dieser
Gesellschaft soll „Chevalier de l'ordre de Notre Dame de Sion", kurz „Ordre
de Mont Sion" gelautet haben.583
Eine wichtige Rolle in diesem Zusammenhang spielt auch der mysteriöse
Pater Berenger Sauniere, der Mitglied oder Beauftragter der Prieure de Sion
gewesen sein soll.584 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gelangte der Pfarrer in
dem kleinen Örtchen Rennes-le-Chäteau zu sagenhaftem Reichtum, dessen
Quelle bis heute ungeklärt ist. Einiges spricht dafür, daß er bei Umbauarbei
ten der kleinen Dorfkirche auf mysteriöse Schriften stieß, die offiziell eine
Abschrift eines Teils des Neuen Testamentes waren - ob sich hier jedoch ein
geheimnisvoller Hinweis auf einen versteckten Schatz verbarg, der Sauniere
zu Wohlstand, Ansehen und Verbindungen zu diversen Gesellschaften ver
half, ist bis heute Stoff für zahlreiche Veröffentlichungen.585
Zu den regelmäßigen Besuchern des Landpfarrers gehörten Johann
Salvator von Habsburg, Cousin des Österreichischen Kaisers, der Fran
zösische Kulturminister, die Okkultisten Joseph Peladan (Gründer der
Martinisten) und Papus sowie der Schriftsteller Jules Verne. Aus diesem
Personenkreis setzte sich auch der Kreis der Trauergemeinde nach Sau
nieres plötzlichem Tod am 22. Januar 1917 zusammen - scheinbar spielte
der Krieg für die Angehörigen der verschiedensten europäischen Nationen
dabei keine Rolle.586
583 So Ritter (2002), S. 92, der - ebenso wie die Schöpfer der Mythen um die Prieure
de Sion, Lincoln / Baigent/Leigh - auch ein kontinuierliches Bestehen dieses Ordens
für möglich hält und in den Fürstenhäusern Lothringen und Habsburg filhrende
Vertreter dieser Gesellschaft sieht; vgl. Wikipedia: Pierre Plantard.
584 So Lincoln (1984), S. 161.
585 Vgl. Lincoln (1984), S. 161 ff.; ebenso Ritter (2002), S. 65 ff.
586 Ritter (2002), S. 96/106; vgl. auch Carmin (2005), S. 366 f.
191
Otto Rahn - vor Katharer-Inschriften in den Höhlen des Sabarthez, 1931
192
Ebenso scheint die Ablehnung der Kreuzesverehrung als Todes- und
Martersymbol auf ein differenziertes Bild der christlichen Lehre bei den
Templern hinzuweisen, die sie mit den Katharern teilten.
Ungeklärt ist jedoch nach wie vor, was die Tempelritter in ihrer zugewie
senen Heimstätte am Tempelberg bei unterirdischen Grabungen fanden und
ob diese Funde die Grundlage für die Macht, das Ansehen und den Reich
tum des Ordens bildeten, der zu Beginn kaum seiner eigentlichen Aufgabe,
dem Schutz der Pilger, nachkam - oder angesichts seiner Stärke von sieben
Rittern und einer Handvoll Knechte, überhaupt nachkommen konnte.
Auch die besagten Katharer werden mit dem heiligen Gral in Verbindung
gebracht. Der gnostischen Sicht zufolge, waren die Katharer die Erben des
Geheimnisses des Grals, welches von eingeweihten Christen zu den Katha
rern und von diesen zu den Tempelrittern gelangte - als Indiz lassen sich
zumindest personelle Verflechtungen zwischen Katharern und Templern
vor allem in Südfrankreich anführen.588
Unweit der Festung Montsegur, in einer Kirche im nordspanischen Taüll,
findet sich auch die wohl älteste bildliche Darstellung des Grals in Gestalt ei
ner Marienabbildung mit einer Strahlen aussendenden Schale. Diese aus dem
12. Jahrhundert stammende Darstellung verweist erneut auf den engen Zu
sammenhang zwischen Gral und Marienverehrung, wobei hier Maria gleich
bedeutend mit Maria Magdalena als Synonym der Urmutter erscheint.589
Unzweifelhaft aber steht der Grals in Verbindung mit dem vorchristlichen
Bezug auf eine übernatürliche Quelle des Lebens, ein transzendentales Hei
ligtum, das die wundersame Entstehung des Lebens an sich symbolisiert.
So wurde auch seine Rolle bei der Mehrzahl der mittelalterlichen Autoren
interpretiert. Erst mit der christlichen Besetzung dieses Mythos wurde der
Gral materialisiert - wie alles, was das Christentum für seine Zwecke um
formt, seinen geistigen Verhalt verliert - es entstehen die Assoziationen mit
einer tatsächlich existierenden Schale oder eines Gefäßes.590
588 Vgl. Rahn (2000), S. 206, der auch ein Gründungsmitglied der Templer als
Katharer bezeichnet.
589 Vgl. Terhärt (2001), S. 51 f.
590 Vgl. Rahn (2004), S. 64, „die Kirche hat, ihrer Taktik entsprechend, den Mythus
vom Gral in jüdischem und christlichem Sinne umgedeutet.", S. 35 ebenso: „Die Kir
che, sich sehr wohl bewußt, mit dem Kreuzzug gegen die Albigenser einen Krieg des
Kreuzes gegen den Gral geführt zu haben, ließ die Gelegenheit nicht vorübergehen,
wieder einmal ein unkirchliches Glaubenssymbol sich aneignen und ihren Zwecken
dienstbar machen zu können. Aber nicht genug damit, daß sie den Gral für den Kelch
erklärte, darin Jesus seinen Jüngern das Abendmahl gereicht habe, und darin sein Blut
aufGolgotha aufgefangen worden sei. Sie ließ sogar das Benediktinerkloster Montser
rat, im Süden der Pyrenäen gelegen, den Tempel des Grals sein".
193
Doch unter dieser heute Oberhand haltenden „Lehrmeinung" hegt noch
immer das Geheimnis der heidnisch-arischen Wurzeln des Gralsmythus ver
borgen und harrt seiner Wiederentdeckung. Anfang der 30er Jahre machte
sich ein deutscher Forscher auf, diese Wurzeln frei zu legen.
194
von Polaires. Unsere Leser werden sich vielleicht an unseren Bericht im vergangenen
Sommer erinnern, in dem wir über den Aufenthalt einer Schar ausländischer Vertreter
einer theosophischen Gesellschaft mit Sitz in Paris in der oberen Ariege berichteten: die
Polaires. Es würde zu weit führen, wenn man den Ursprung und das Ziel dieser Gesell
schaft erklären würde, die im Ausland, vor allem in England, große Popularität genießt.
Was haben die Polaires nun im letzten Sommer in der Ariege gemacht?
Wie wir bereits damals genau beschrieben hatten, handelt es sich um Ausgra
bungen in der Burg Montsegur, deren Ziel ist es, die Schätze der Albigenser zu
Tage zu fördern, die im 13. Jahrhundert vermutlich in der Festung und den Höhlen
zurückgelassen wurden. Es ist ein Anliegen der Polaires, dort Hinweise auf eine ka-
tharische Reliquie zu finden, zu der auch das Evangelium des heiligen Bartholomäus
gehört, von dem angeblich Abschriften im Britischen Museum existieren. Insgesamt
gesehen verfolgen die Polaires mit ihren Nachforschungen dasselbe Ziel wie zur Zeit
der Ingenieur Arnaud, der gegenüber einem unserer Mitarbeiter vor einigen Wo
chen alles über zukünftige und sensationelle Entdeckungen ausposaunt hat. Wie es
scheint, hat er erklärt, daß er die von den Polaires im letzten Sommer in der Gegend
von Lordat unternommenen Recherchen ignoriere, und daß er in keiner Weise für
die Belange dieser Gesellschaft tätig sei, sondern vielmehr aus eigenem Interesse.
Nun sind die Polaires, die lange Zeit verschwunden waren, ganz überraschend in
die Ariege zurückgekehrt.... Zur Zeit halten sie sich in Ussat-le-Bains auf, um von
dort aus alle Höhlen der Gegend zu untersuchen. Der Leiter des Unternehmens ist
ein gewisser Rams, ein Ausländer, der nach eigenen Angaben Deutscher ist.... Au
ßerdem ist von Interesse zu erfahren, welcher der beiden Konkurrenten, Herr Arn
aud, der französische Ingenieur in Montsegur, oder der deutsche Polaire Herr Rams
in Ornolac, als erster die katharischen Schätze und Manuskripte finden wird...“595
In Reaktion auf diesen Artikel schreibt der als „Rams" im Artikel genannte
Rahn einen Leserbrief, in dem er sich über die Bezeichnung als deutschen Po
laire und seine angebliche Goldsuche beschwert, ohne die Zugehörigkeit aber
zu dementieren: „...um verstecktes Gold zu finden, braucht man Schaufeln, Pickel
und andere derartige Werkzeuge: Man muß „Forscher“ oder noch besser „ Theosoph“
sein... Ich bin ein simpler Schriftsteller., der seinen Lebensunterhalt mit Schreiben ver
dient! Aus diesem Grund bitte ich Sie... sich noch vierzehn Tage zu gedulden, bis sie
erfahren, was ich von dem „katharischen Schatz“und dem „Goldrausch“ denke, den
sie ankündigen und dem sie mir fälschlicherweise die Patenschaft anhängen."596
In „Luzifers Hofgesind" kommt Rahn auf diese Episode zurück: Der ge
nannte Ingenieur, der ein Haus im Weiler Montsegur neben der Dorfkirche
bewohnte, wäre mehr am Gold und Silber interessiert gewesen als am „un
verfälschten Evangelium Johannis", das ebenfalls Bestandteil des Katharer
schatzes gewesen sei.597
595 La Depeche, 6. März 1932, zit. nach Lange (1999), S. 36 f.
596 Rahn zit. nach Lange (1999), S. 38
597 Rahn (2004), S. 24; hier erwähnt Rahn auch die Aussage des Ingenieurs, wo
195
Rahn selbst steht dem nach eigener Aussage skeptisch gegenüber. Sei
ne Suche sei weniger materieller Natur als geistiger. Der Gral symbolisie
re das „Reich der paradiesischen Freuden", zugleich das reine, katharische
Christentum, das identisch mit der mittelalterlichen Minnekirche war. Seine
Vorstellung vom Heiligen Gral als transzendentem Geheimnis der Katharer
wurde von dem Ingenieur dagegen verspottet. Dennoch erfährt Rahn von
Einheimischen von einem zumindest der Sage nach tatsächlich existieren
den Schatz: Er befände sich in einer Höhle des Taborwaldes, „von einer über
aus schweren Steinplatte gegen Eindringlinge geschützt, und im inneren der Höhle
hielten Vipern Wacht". Er könne nur am Palmsonntag geborgen werden, doch
wenn ein Eindringling die Höhle nicht bis zum Ende der traditionellen Mes
se verlassen hätte, wäre sie wieder verschlossen und er würde Opfer der
wiedererwachten Vipern werden.598
1932 verläßt Rahn aufgrund des Verdachtes einer Spionagetätigkeit für die
Deutschen und persönlicher Schulden überstürzt das Languedoc - offiziell für
immer.599 Vor seiner Abreise hatte er jedoch das Manuskript zu seinem späte
ren Bestseller „Kreuzzug gegen den Gral" fertiggestellt, welcher 1933 erschei
nen sollte. In dieser Hommage an die Katharer, stellte Rahn die Theorie der
Identität der letzten Katharerfestung Montsegur mit der von Wolfram von
Eschenbach als Gralsburg bezeichneten Munsalvatsche (Moun = Berg, sauva-
ge= wild - Richard Wagner machte daraus den Mont Salvat = heiligen Berg
- beide können synonym für einen Berg der Ruhe, Sicherheit = Mont Segur
stehen) auf. Hier sollen wenige Tage vor der Erstürmung der Festung durch
die päpstlichen Kreuzzügler vier Männer das Geheimnis der Katharer - „den
Schatz der Kirche" - in Sicherheit gebracht und dem verbündeten Ritter Poins
Arnold, Graf vom Kastell Verdun im Sabarthes übergeben haben. Rahn zufol
ge, den Gral, das Mani, als „Wunsch nach dem Paradies".600
Doch war Rahns Vorstellung vom Gral wirklich nur rein geistiger Natur?
Der Deutsche orientierte sich an Wolfram von Eschenbachs Überlieferung:
Dieser beschreibt den Gral als Stein, der aus Luzifers Krone auf die Erde ge
fallen wäre, wo er von den Katharern gehütet worden sei - dies könnte für
Meteorgestein sprechen wie etwa das Kaaba-Heiligtum in Mekka. Doch da
rüber hinaus glaubt er auch an eine materielle Komponente des Grals, eben
jenen Katharerschatz, der aus Montsegur gerettet worden war. In diesem
Zusammenhang mutmaßt Rahn auch über die Möglichkeit, daß es sich bei
nach dieser einem Geheimbund angehöre, der Stillschweigen von seinen Mitgliedern
verlange; vgl. auch den Kommentar von Graddon (2008), S. 45.
598 So Rahn (2004) Zitat, S. 47.
599 So u.a. Lange (1999) - allerdings verbringt Rahn Pfingsten 1934 in Paris; Brief
Rahn an Gadal, in ebenda, S. 153.
600 Rahn (2000), S. 125 / 202 f.
196
diesem Schatz um einen Stein mit Inschriften gehandelt haben könnte, wo
möglich alten Runenschriften, die altes arisches Weistum vom nordischen
Ursprung enthalten? Bei seinen Erkundungen erforschte Rahn die Höhlen
des Sabarthes und fand zwei Grotten, die bereits bei Wolfram Erwähnung
finden: Eine birgt die Keule des Herkules, die andere den Altar: „Ein 107 m
hoher Saal war die eigentliche Ketzerkathedrale. Dort liegt ein riesiger Felsblock, auf
den das tropfende Wasser einen Stalagmiten in Form einer Keule gezaubert hat, und
den die Bauern von Ornolac das,Grabdenkmal des Herakles' nennen."601
So wurde gemäß Rahn, das „Hofgesind Luzifers", die Hüter des Grals,
durch einen blutigen Kreuzzug der Papisten vernichtet - doch ihr Geheim
nis überdauerte die Zeiten. Und einiges spricht dafür, daß dieses Geheimnis
mit jener von Lincoln, Baigent und Leigh behaupteten Blutlinie Jesu zusam
menhing - wenn auch nicht in deren genauem Sinn der Legitimation einer
jüdischen Erbfolge der römischen Kirche, sondern vielmehr einer heidni
schen Wurzel des Grals.
Neben einigen Katharer-Überresten die er an Antonin Gadals Privatmu
seum in Ornolac übergibt, liegen dem deutschen Gralsforscher insbesondere
Inschriften und Zeichnungen am Herzen, die er für sich auf Papier bringt.
Doch weitere Funde, gar ein Schatz, tauchen in seinen Aufzeichnungen
nicht auf - im Gegenteil: In „Luzifers Hofgesind" bekennt Rahn wehmütig
über den Schatz: „Ich hätte ihn gerne gefunden."602
„Herr Reichsführer, dieses Buch sollten sie sich näher anschauen" - mit die
sen Worten stellte der inoffizielle Berater des SS-Chefs Heinrich Himmler
die Weichen für eine bis heute von Mythen umrankte Zusammenarbeit.
Von seiner Sekretärin, Frau Winkler-Dechend, auf das Buch aufmerksam
geworden,603 sah der alte Oberst im Autoren des Werkes ein großes Poten
tial. Mit der von Rahn aufgestellten Traditionslinie die von den Katharern
über die Westgoten bis zu Kelten und Hyperboräern zurückreichte, griff er
genau auf die historischen Ansätze zurück, denen auch Weisthor als ver
meintlicher Nachfahre eines gotischen Königsgeschlechtes folgte. Himmler
lernte den Autoren Otto Rahn kurz darauf im Hause Gabriele Winkler-De-
chands kennen und war fasziniert von der Rekonstruktion der germanisch
inspirierten Religion eines alternativen Christentums.604 Er rekrutierte Rahn
197
Der „Keltische Kessel" als Gral-Ersatz vor der Krypta der Wewelsburg
1935 für die SS, wo er zu Beginn als Referent in der Abteilung Weisthor im Ru-
SHA tätig wurde bevor er im März 1936 in den Persönlichen Stab Himmlers
wechselte.605 Ohne feste Funktion stand er für verschiedene Sonderaufträge
Himmlers zur Verfügung , bekam aber in dieser Stellung auch jeden Spiel-
nung Rosenbergs als einen Irrtum Grebes annimmt; Graddon (2008), S. 64, spricht
dagegen davon, daß Rahn zu Rosenberg beordert worden sei, um über ein Geniein
schaftsprojekt zur Deutschen Religion zu sprechen. Unglaubwürdigen Spekulationen
zufolge, die auf Paul Ladame als Gewährsmann verweisen, habe Rahn bereits 1933
während eines Aufenthaltes in Paris 1000,- Mark monatlich für die Verfassung einer
Fortsetzung des Gralsbuches von Himmler versprochen bekommen, ebenda, S. 70 f.
605 Vgl. Lange (1999), S. 57.
198
raum, sich auf seine Forschungen zu
konzentrieren. Nach Recherchen
für die Erstellung des Stammbaums
Himmlers - mit dem er über viele
Ecken sogar verwandt war606 arbei
tete Rahn an verschiedenen Buchma
nuskripten und unternahm - oft mit
seinem Mentor Weisthor gemeinsam
- verschiedene Exkursionen zu deut
schen Gralsburgen.607
Eine besondere Bedeutung maß Die Burg Wildenberg / Amorbach
Rahn dabei der Burg Wildenberg
bei Amorbach im Odenwald zu, die er als deutsche Gralsburg bezeichnete.
Übersetzt hat ihr Name dieselbe Bedeutung wie Munsalvasche - Wilder Berg.
Nach Rahn soll Wolfram von Eschenbach die Grals- bzw. Parzifalsage aus
der Provence - wo sie ihm vom Dichter Guiot von Provence vermittelt wor
den wäre (Wolframs Kyot) - nach Deutschland gebracht haben. Auf der Burg
Wildenberg verfaßte Wolfram dann später einen Teil seines Parcival-Epos.608
Auch für das 3. Reich generell und Himmler im speziellen, spielte der My
thos des heiligen Grals eine große Rolle. Überliefert ist etwa Hitlers Begeiste
rung für die Gralsinszenierungen Richard Wagners, die ihn zum Ausspruch
animiert haben sollen, „aus dem Parsifal baue ich mir meine Religion".609
Auch die Ariosophen Guido von List und Lanz von Liebenfels lieferten in
ihren Werken Versatzstücke für die Gralsbegeisterung der Nationalsozialis
ten. Beide wiesen auf den ursprünglichen Zusammenhang des Grals mit der
indogermanisch-heidnischen Vorstellung vom magischen Gefäß aus dem
sich das Leben stets erneuert - ursprünglich in Zusammenhang mit der Son
ne gesehen, später symbolisiert als magischer Kessel bei den Kelten. Auch
der italienische Kulturphilosoph Evola griff den Gralsgedanken auf: Für
diesen ist der Gral symbolischer Ausdruck der Hoffnung und des Willens
einer adligen mittelalterlichen Führungsschicht, das Abendland in einem
auf heiligen spirituellen Grundsätzen basierenden Reich neu zu errichten.
Erste diesbezügliche Überlegungen werden dem deutschen Kaiser Friedrich
II. zugesprochen. Dieser soll die Schaffung eines von Rom unabhängigen
Staates mit Hilfe des Tempelordens und unter Einbeziehung westlicher und
östlicher Geistesströmungen angestrebt haben.610
199
Die Burg Montsegur - rechts: SS-Kommandoführer Otto Skorzeny
Praktisch umgesetzt wurden die Gralsvorstellungen Himmlers, der im
November 1935 das Ahnenerbe mit einer Darstellung der Entwicklung des
christlichen aus dem heidnischen Gralskelch beauftragte,611 innerhalb der
Wewelsburg: Ein Gral-Studierzimmer, eine ganze Reihe hier vorhandener
Bilder unter anderem Gustav Dores zur Gralssuche Parzifals, 12 Sockel in
der Gruft des Wewelsburg-Nordturms in Anlehnung an die Gralsritterschaft
des Königs Arthus, um nur die auffälligsten Adaptionen zu nennen. Dazu
kommt das Symbol der Longinus-Lanze, wie es architektonisch umgesetzt
werden sollte, nämlich als transzendentes Symbol des „arischen Blutes", das
sich von hier in die Welt ergießt.612
Noch im August 1938 kam Himmler auf die Gralssage zurück und for
derte seine Forscher auf, der Frage nach der Entwicklung des christlichen
Gralskelches in Zusammenhang mit den Herkunftssagen deutscher Herr
scher nachzugehen. In der entsprechenden Ausarbeitung heißt es, daß der
christliche Gral „zweifellos auf den Kelch des Melchisedek im Alten Testament
zurück" gehe. Doch zweifellos bestehe eine Verbindung zu vorchristlichen
Auffassungen. So dürften bei den Germanen Kelche „in späterer Zeit viel
fach an die Stelle des Lebenswasser-Gefäßes getreten sein, das man häufig, auch
unter dem Namen Tränenkrüglein, in germanischen Gräbern findet. Auch im
Grals-Mythos, der in seiner Urform vielleicht auf den germanischen Mythos des
Sippen- und Königsgrabes zurückgeht, hat der Kelch mindestens Züge davon an
genommen. Denkbar wäre es, daß der Kelch seiner Form wegen an die Stelle eines
früheren Sinnbildes getreten wäre; wie es zum Beispiel die Sanduhr des Todes zu
sein scheint, die wohl einfach eine Konkretisierung der Dag-Rune ist, deren Zu
611Vgl. Kater (2006), S. 71 - das Ergebnis ist nicht in den Akten enthalten.
612 Wobei zugleich die Richtung der Lanze nach Westfalen, zum Ort des Westfälischen
Friedens 1648, symbolisch als heilender Stich -für das die Longinus-Lanze synonym ist
- in die „schwärende Wunde, die es zu heilen galt", nach Helzel (2008) bestand, S. 32.
200
sammenhang mit dem Bilweiss-Reiter und dem damit nahe verwandten ,Gevatter
Tod' feststeht.“613
Auch an anderer Stelle erkannte Himmler eine Aneignung älteren Sa
genstoffes durch die christliche Kirche. So beauftragte er im Februar 1940
das Ahnenerbe festzustellen, woher die christliche Deutung der Herkunft
des Stammes Jesajas (bzw. Davids) herrührt, wie sie im Lied „Es ist ein Reis
(Ros) entsprungen" erscheint. Insbesondere wunderte sich der Reichsführer,
„daß die Überlieferung erzählt, daß Könige von Atlantis aus dem Stamm Jesse wä
ren, und daß der letzte dieser Könige Jesse Bokkika geheißen haben soll.“614
Seiner SS-Tätigkeit angemessen, wechselte auch Rahn in seinem zweiten
Werk „Luzifers Hofgesind" seinen Standpunkt: Während er noch im „Kreuz
zug" von der irdischen Welt als Werk Luzifers und von Luzifers Heerscha
ren schreibt, die den Montsegur belagern, erkennt er nunmehr die christlich
inspirierte Verdrehung der Geschichte. Luzifer, der Luzibel der Katharer,
war die Verkörperung des Göttlichen auf Erden - Gottes ursprünglicher
Sohn, der Lichtbringer, identisch mit dem katharischen Christus (zusam
mengesetzt aus Loki und Bel(enus) / Abellio / Apoll, der hier bereits von
den Kelten verehrt wurde). Die römischen Christen waren für ihn nunmehr
Anhänger Satans, El Schaddais, des jüdischen Gottes. Einige Autoren ge
hen von einer antijüdischen Inspiration durch das Umfeld der SS aus, der
Rahn damit gehuldigt habe. Erkennbar ist jedoch, wie Rahn aus eigener For
schung zu dieser Schlußfolgerung gelangt: „Ich habe die Bibel vorgenommen
und wieder einmal jene Verse im Buch vom Propheten Jesaja durchgelesen, die die
Verfluchung Luzifers und seiner Kinder durch Jahwe, den Gott der Juden verkün
den. Da habe ich mich entschlossen, diesem Buch, für das ich reise und schreibe, den
Titel „Luzifers Hofgesind“ zu geben. Darunter möchte ich jetzt schon diejenigen
verstanden wissen, ...welche eigenmächtig und stolz nicht vom Berg Sinai Hilfe
erwarten, sondern zu einem ,Berg der Versammlung in der fernsten Mitternacht',
wenn auch unbewußt, gegangen sind, um Hilfe zu holen und den Menschen ihres
Blutes zu bringen;... diejenigen, welche erkannt haben, daß Jahwe nie und nimmer
ihre Gottheit sein kann, Jesus von Nazareth nie und nimmer ihr Heiland."615
Doch inwieweit die SS direkt in eine wie auch immer geartete Gralssuche
verstrickt war, ist bis heute Gegenstand von Spekulationen.
Überliefert ist ein Besuch Himmlers im Benediktiner-Kloster Montserrat
1940, wo sich der inoffiziell anerkannte katholische Gral befand. Über den
Glauben des SS-Führers heißt es in einem Zeitungsartikel, der SS-Führer
613 Schreiben Wüst an Himmler BArch NS 21/224, zit. nach Koop (2012), S. 92.
614 Zit. bei Heiber (1970), S. 88; vgl. dazu Koop (2012), S. 90 f; das Lied wurde
übrigens 1943 „nationalsozialistisch" umgedichtet.
615 Rahn (2004), S. 44; Graddon (2008), S. 46, spekuliert dagegen über eine SS-
Beeinflußung.
201
„soll von der arischen Abstammung von Jesus Christus überzeugt gewesen sein
und in dem Kelch - wie treffend in „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug" be
schrieben - tatsächlich Kräfte vermutet haben, die zum Sieg des Weltkrieges führen
würden".616 Auch wenn Himmler wie dargelegt, zweifellos ein Interesse an
der Grals-Überlieferung hatte und auch das spanische Kloster in Montserrat,
in dem der christlichen Legende zufolge der Gral gehütet werde, besucht ha
ben dürfte, sind die weiteren Mutmaßungen weniger tatsächlichen Fakten
als einer allzu lebhaften Phantasie des Autoren geschuldet.
Was Otto Rahn betrifft, so ist dieser, seitdem er in Diensten der SS stand,
offiziell nicht mehr nach Südfrankreich gereist.
In französischen Veröffentlichungen ist dennoch die Rede von einem
weiteren Aufenthalt Rahns im Languedoc im Jahr 1937.617 618 Der deutsche
Autor Thomas Ritter spekuliert von einer gescheiterten Suchaktion der SS
1943 und 1944 und erwähnt sogar Pläne innerhalb des Persönlichen Stabes
Himmlers noch im April 1945, „eine erneute Expedition nach Südfrankreich zu
entsenden "6iS Allerdings ist diese Version angesichts der zu diesem Zeitpunkt
bereits laufenden Friedensverhandlungen mit den Westalliierten mehr als
unwahrscheinlich. Größere Glaubwürdigkeit können dagegen Ritters Schil
derungen der 1931 unternommenen Besuche Rahns bei Marie Dernaud, der
Haushälterin und Erbin des 1917 verstorbenen Saunieres beanspruchen, die
ihm durch Dorfbewohner bestätigt worden sein sollen. Doch auch 1943/44
sollen sich SS-Angehörige auf ihrem Anwesen aufgehalten haben.619
Carmin, der hier dem bereits erwähnten Autorentrio folgt, spricht eben
falls davon, daß „Anfang 1944 von Berlin aus eine Sondereinheit nach Gisors
mit dem Auftrag entsandt worden war, dort Ausgrabungen vorzunehmen."620 Zu
dieser Zeit wäre aufgrund Rahns Scheitern SS-Kommandoführer Otto Skor-
zeny von Himmler mit dem Auftrag betraut worden, den Katharerschatz bei
Montsegur aufzuspüren. Fünf Jahre nach Rahns offiziellem Ableben habe
dieser im Juni 1944 eine Operation geführt, die auf den Tag des 700-Jah-
re Gedenkens der ermordeten Katharer fiel. Auf den Spuren der vier vor
dem Tag der Erstürmung Montsegurs geflohenen Katharer hätte er diesen
Berichten zufolge eine Festung auf einer Bergspitze erreicht, die als tatsäch-
616 Nowak (2009); bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist eine Aussage eines frü
heren Freundes von Otto Rahn, Joachim Kohlhaas, der berichtet, Rahn habe im April
1935 die „vage Hoffnung" gehegt, „mit Hilfe eines katalanischen Adeligen weitere Nach
forschungen zum Gral in den Pyrenäen unternehmen zu können"; Lange (1999), S. 56.
617 Angebert (1974):, S. 46; ebenso Buchner (1991), S. 171 f; ebenso Graddon.
(2008), S. 119 ff.
618 Ritter (2002), S. 121.
619 Ritter (2002), S. 115.
620 Carmin (2005), S. 301; in Gisors soll sich ein Templer-Schatz befunden haben.
202
liche letzte Rückzugsort gedient hätte (vermutlich sind hier die Spulgas im
Sabarthes gemeint). Unweit dieser Festung soll Skorzeny den „Schatz" tat
sächlich geborgen und nach Deutschland verbracht haben.621
Weitere Mutmaßungen besagen, er wäre daraufhin eine gewisse Zeit auf
der Wewelsburg versteckt worden, von wo er bei Kriegsende nach Bayern,
in die „Alpenfestung" gelangt wäre. In Skorzenys Kriegserinnerungen sucht
man diese Episode allerdings vergeblich. Grundlage der Verbindung des
Katharer-Grals mit Bayern könnte allerdings der Fund eines keltisch anmu
tenden Gefäßes sein, das 2001 aus dem Chiemsee geborgen wurde. Hier hat
ten es vermutlich die Nationalsozialisten 1945 versenkt.622
US-Autoren ließen angesichts des Fundes ihrer Phantasie freien Lauf und
sprachen vom wahrhaftigen Gral, der gefunden worden sein soll.
Neue Nahrung erhalten die Spekulationen um den Gral aus dem Chiem-
seee durch einen Artikel, der kürzlich in einer populärwissenschaftlichen
Zeitung erschien. Demnach soll das 1945 versenkte und in den 80er Jahren
geborgene Gefäß, das an den keltischen Gundestrup-Kessel erinnert, von
NS-Kreisen als Ersatz für das nicht auffindbare tatsächliche Gralsgefäß an
gefertigt worden sein, um den Mittelpunkt der Krypta der Wewelsburg zu
schmücken.623
In dieser unterhalb des Obergruppenführersaals Hegenden Grotte findet
sich in der Tat eine gemauerte Rotunde, die in ihrem Zentrum eine Vertiefung
birgt. Doch Historiker gehen davon aus, daß hier eine Art „ewiger Flamme"
instaHiert werden sollte. Ein nachgemachter Keltenkessel dürfte jedenfalls
auch bei UntersteHung eines kitschigen Kunstverständnisses der NSDAP-
Führungsriege als Ersatz für einen echten Gral an diesem heüigen Ort regel
recht blasphemisch anmuten. Dagegen spricht auch die besondere Akustik,
die genau an dieser Eintiefung erzeugt wird und Geräusche - wie das Rau
schen einer Flamme - verstärkt und nach oben kanalisiert. Für einen goldenen
Kessel wäre ein solcher Effekt dagegen nutzlos. Wahrscheinlicher wäre die
Verwendung des Gefäßes als Schmuckstück für das Gral-Studierzimmer, al
lerdings wäre ein Goldkessel für diesen Zweck wohl überproportioniert, zu
mal für das Zimmer bereits ein anderer Gegenstand vorgesehen war.
Zu denken gibt allerdings ein von Hans-Jürgen Lange überlieferter Aus
spruch Weisthors: So äußerte dieser kurz vor seinem Tode, „Der Chiemsee
trägt und birgt den Gral".624 Hat Weisthor also von der Versenkung des Kes-
203
Kristallschädel und Auszug aus der Depositarliste aus „Mysteries"2/2011
sels an diesem Ort gewußt, oder handelt es sich hier um ein weiteres uner
klärliches Zusammentreffen von Weissagung und Realität? Auch hier bleibt
die Wissenschaft eine Antwort schuldig - sicher scheint nur, daß weder in
Südfrankreich noch anderswo ein tatsächlich als „Gral" bezeichnetes Gefäß
geborgen und nach Deutschland verbracht wurde.
Rudolf Mund Rahns Verleger Otto Vogelsang mit der Frage konfrontierte, ob Rahn
jemals irgendwelche Andeutungen zum Gral in Verbindung mit dem Chiemsee ge
macht habe; Graddon (2008), S. 69; Graddon vermutet daher eine gemeinsame dies
bezügliche Forschung zwischen Rahn und Weisthor.
204
„Wewelsburg, Otto Gahr" erscheint. Dieser dürfte - die Echtheit des Schrei
bens vorausgesetzt - mit dem Chiemsee-Kessel identisch sein und würde
demnach aus der Werkstätte Otto Gahrs stammen. Die vom im Januar 1932
verstorbenen Münchner Goldschmied - einem frühen Hitler-Vertrauten -
gegründete Werkstätte wurde von dessen Frau Karoline weitergeführt und
fertigte unter anderem den Totenkopfring der SS. Allerdings spricht einiges
gegen die Authentizität des Schreibens: So die in der Abschrift übernomme
ne Unterschrift, „gez. von dem Bach-Zelesky". Der Name des SS-Offiziers
lautete jedoch richtig „von dem Bach-Zelewsky". Dieser nannte sich aller
dings seit 1940 „von dem Bach", und wird in anderen Dokumenten stets
nur so angesprochen.625 Ferner ist die Bezeichnung „Depositarliste" ebenso
unüblich wie die Verwendung von „Pergamentpapier".
Desweiteren, wie Thomas Ritter zurecht bemerkte, sei die Verschickung
von Unterlagen Rammlers nach Böhmen Unsinn, da ja dort Rammlers Denk
fabrik ursprünglich angesiedelt war.626
Dem Artikel zufolge stammen sowohl Liste als auch Kristalltotenkopf aus
dem Nachlaß einer alten Dame, die beides von einem Rittmeister Ernst von
Alten, einem ehemaligen SS-Mann erhalten haben soll. Die Existenz dieses
Rittmeisters wird durch ein Interview, das die Zeitschrift „Quick" Anfang
der 50er Jahre mit diesem führte, verifiziert; jedenfalls existiert die Familie,
in deren Besitz sich das Gut Groß Golfern befindet. Über diese Merkwürdig
keiten hinaus, kursiert eine andere Herkunftsgeschichte über die vorgebli
che Depositarliste. Demnach soll sie sich im Besitz eines ehemaligen unga
rischen Waffen-SS Mannes befinden. Ingesamt scheint diese Befundlage in
Verbindung mit dem scheinbar guten Erhaltungszustand der Liste gegen
deren Echtheit zu sprechen - zumindest bis eine Untersuchung des Schrift
stückes das Gegenteil beweisen würde.
625 Zwischen 26. Januar und 11. Februar 1945 war von dem Bach-Zelewski (1899-
1972) Kommandant des X. SS-Armeekorps (Oderkorps), das wenige Wochen nach
Aufstellung nicht mehr existent war. Allerdings wurde der SS-General am 1. Au
gust 1945 beim Versuch der Absetzung ins Ausland durch US-Truppen festgenom
men; siehe Wikipedia.com: von dem Bach-Zelewsky; Was ihn verdächtig macht, mit
den Amerikanern zusammen zu arbeiten, war die Tatsache, daß er als Kronzeuge
gegen ehemalige Kameraden diente und zwar 1951 zu 10 Jahren Haft verurteilt
ivurde, diese aber nicht antreten mußte, da die Hälfte als bereits verbüßt betrachtet
und der Rest nie vollstreckt wurde. Von dem Bach war es auch, der nach eigenen
Angaben Göring die Zyankali-Kapsel zuspielte, mit der dieser sich vor der Voll
streckung des verhängten Todesurteils selbst richtete; siehe: http://www.spiegel.de/
spiegel/print/d-42624229.html.
626 So Ritter in einem Schreiben an den Verfasser; zu Kammler siehe Kap. 10.
205
„Indiana Jones" und die Spekulationen über
Rahns Weiterleben nach 1939
In der anglo-amerikanischen Verschwörungsliteratur wird die vorgebli
che Gralssuche der Nazis immer wieder mit der Bundeslade in Verbindung
gebracht, die sich bei dem Jerusalemer Tempelschatz befunden hätte, der
68 von den Römern erbeutet und in ihre Stadt verbracht worden sein soll.627
Von hier hätten ihn Alarichs Westgoten bei der Eroberung Roms 410 in ihre
neue Heimat, das Languedoc, mitgeführt. Legenden zufolge sei er hier ir
gendwo versteckt worden, bis ihn die Katharer, die Erben der Westgoten,
übernommen hätten. Spanischen Überlieferungen zufolge lag das Versteck
in der bereits erwähnten Grotte des Herkules. In dieser gigantischen Höhle
habe Rahn dann den „Schatz" geborgen. Ritter äußert dagegen die Vermu
tung, daß der Gotenkönig Roderich diesen bereits lange Zeit zuvor an sich
genommen und in der Nähe des Ortes Rhedae verborgen habe. Hier wäre er
schließlich Ende des 19. Jahrhunderts vom Abt Berenger Sauniere gefunden
worden, der dadurch nicht nur zu ungeheurem Reichtum sondern auch zu
einer gewissen Machtstellung gelangte.628
Eine besondere Popularität gewannen diese Mythen im Zuge der Indi-
ana-Jones-Filmreihe des Regisseurs Steven Spielberg. Hier verkörpert ein
gewisser Major Ernst Thot den skrupellosen deutschen Naziarchäologen,
der nicht nur äußerlich wenig mit der Person Otto Rahns gemein hat. Eine
besondere Anekdote hierbei ist, daß nach Aussage eines bekannten Gralsau
toren der damalige Indiana-Jones-Regisseur Steven Spielberg ein Haus im
Languedoc besitze. Auch Baron Edmonde de Rothschild interessiere sich im
übrigen für die Gegend und hätte gar eine aufwendige, jedoch ergebnislose
Suche nach dem vermeintlichen Schatz der Katharer finanziert.629 Das Pro
blem dieser durchaus spannenden Gerüchte: Es gibt keinerlei Dokumente,
die ihren Wahrheitsgehalt bestätigen könnten.
Ganz anders die französischen Autoren, denen sich in den letzten Jahren
immer mehr US-Forscher anschlossen, die ja Sensationsbüchern nie abge
neigt waren. Hier sind es vor allem Christian Bernadac und das Autorenduo
unter dem Pseudonym Jean-Michel Angebert, sowie der US-Amerikaner
Col. Howard Buchner welche die Gralssuche Rahns und der Nazis mit phan
tasiereichen Details anreicherten. Jüngste Veröffentlichung aus diesem Kreis
ist Nigel Graddons Otto Rahn-Biographie in dem vor allem Ungereimthei
ten zum Selbstmord Rahns aufgegriffen werden.
Neben der Ablehnung der These des durch die SS erzwungenen Selbst-
206
mordes Rahns nach Bekannt
werden seiner Homosexu
alität, unterstellt Bernardac
auch weitere Forschungsrei
sen Rahns ins Languedoc.
Dabei soll dieser in geheimer
Mission nach vorgetäusch
tem Selbstmord die bereits
oben erwähnte vorgebliche Der Rechauerhof in Söll/Stockach, Eiberg -
Gralsmission des SS-Kom- offizieller Todesort Rahns
mandoführers Otto Skorzeny
nach Frankreich begleitet haben.630
Doch was auf den ersten Blick als leicht durchschaubare Legende anmu
tet, wird durch verschiedene Merkwürdigkeiten geschürt. Auffällig beim
Tod Rahns sind die Umstände der Auffindung und Identifikation seiner
Leiche. Demnach soll die „stark verweste Leiche" am 11. Mai 1939 durch
die Kinder des ortsansässigen Bauern Josef Mayer aufgefunden und vom
örtlichen Gendarmen - fast zwei Monate nach seinem Tod - identifiziert
worden sein631 - und zwar anhand des Mantels und des darin befindlichen
Reisepasses, der auf Otto Rahn ausgestellt war. Dem Gendarmen war Rahn
weder persönlich bekannt noch stand ihm ein Foto des als vermißt gemelde
ten Rahn zur Verfügung.
Ferner ist die Vorgehensweise hinsichtlich der Todesmeldung und die
fehlende Mitteilung des Todes an Rahns Geburtsort durch den Vater un
gewöhnlich. Hinzu kommt, daß die angeblich nach Wörgl zur Beerdigung
überführte Leiche dort nicht unter dem Namen Rahn beerdigt worden sein
kann, wie Nachprüfungen bei der zuständigen Friedhofsverwaltung in
Wörgl ergaben. Dort war keine Beerdigung unter diesem Namen im frag
lichen Zeitrahmen erfaßt worden, so daß vermutet wird, der Leichnam sei
in Kirchbichl begraben worden.632 Schließlich ist das von Rahn selbst zitierte
Gebot der Katharer, denen nachzueifern er ja allen Anlaß hatte, demzufolge
Selbstmord nicht aus Angst oder Schmerz gestattet sei, für Graddon gewich
207
tiges Argument gegen Rahns Freitod-These.633 Mutmaßungen, Gerüchte, Le
genden - doch was ist die Wahrheit?
Für Hans-Jürgen Lange, den führenden deutschen Biographen Rahns,
ist die amtliche Version unzweifelhaft: „Er (Rahns Verleger Albert von Hal
ler) sei bei Eggers (SS-Dichter Kurt Eggers) gewesen, mit einem Male sei Rahn
heringetaumelt, in einem fürchterlichen Zustand, abgemagert, wahnsinnig nervös.
Rahn sagte: „Ich bin am Ende. Ich werde verfolgt von der SS. Ich bin angeklagt
wegen Homosexualität. .. Man hat mir die Wahl gelassen: entweder komme ich ins
KZ oder eben ich wähle den Freitod, Heldentod in den Bergen. Anderes ist nicht
möglich."634 Ebenso eindeutig sieht Lange den Todesort Rahns an einem Aus
siedlerhof am Eiberg. Anders die Autoren Kadmon und Katholing, die von
einer „hochalpinen Todestätte" am Totenkirchle beim „Wilden Kaiser" aus
gehen.635 Ersterer zitiert einen Einheimischen, der als Mitglied einer dama
ligen Suchmannschaft Rahns Leichnam ebendort mit geborgen haben will
- entgegen der amtlichen Version, in der es gar keine Suchmannschaft gab.
Ein Höhepunkt der Spekulation des weiteren Werdegangs des Totgesagten
ist dabei die Behauptung einer neuen Identität Otto Rahns als deutscher Bot
schafter in Italien, Rudolf Rahn.636 Abgesehen vom Namen (der angesichts
einer beabsichtigten neuen Identität Rahns nicht allzu intelligent ausgewählt
worden wäre!), einigen gemeinsamen biographischen Details und einer äu
ßerst geringen Ähnlichkeit, wird damit die Gutgläubigkeit der Leser doch
arg strapaziert.637
Dennoch verbleiben Zweifel. Was meinte etwa Rahns Verleger Albert
von Haller mit der Nutzung Rahns durch Himmler „bei irgendwelchen ver
deckten Geschäften" sowie der Eindruck seines ersten Verlegers Vogelsang,
demzufolge dieser kurz vor seinem Tod „zukunftsfreudig und heiter wirk
te". Dadurch beeinflußt, reiste der frühere Bekannte Rahns, Pehmöller, nach
Südfrankreich ohne jedoch auf Spuren späterer Besuche seines ehemaligen
Freundes zu stoßen.
Was eine während des Krieges durchgeführte Forschungsreise des Ah
nenerbes nach Südfrankreich betrifft, so kann diese jedenfalls mit hoher
Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Anläßlich eines Beitrages über
die Katharer und den Montsegur in der Zeitschrift „Koralle" vom 19. Okto
ber 1941 (Nr. 42), wird von der Ahnenerbe-Forschungsstätte für Karst- und
208
Höhlenkunde eine Richtigstellung verfaßt, in der auf die umfangreichen
Forschungsarbeiten Otto Rahns hingewiesen wird, der im Artikel nicht ge
nannt worden war. Am Ende heißt es, „für das Ahnenerbe wäre es eine dankbare
Aufgabe, wenn es nach dem Krieg die Arbeiten des 1939 in den Bergen verunglück
ten SS-Kameraden wieder aufnehmen und zu einem wertvollen Abschluflergebnis
bringen könnte“.638 Zwar wird damit nicht ausgeschlossen, daß sich Himmler
zwei Jahre später anders entschieden haben könnte, allerdings trägt dieses
Dokument nicht zur Erhärtung der Legenden bei.
Trotz aller scheinbar gesicherter Erkenntnisse über Rahn scheint doch
die Forschung über ihn und die Gralssuche der Nationalsozialisten noch
immer nicht endgültig abgeschlossen zu sein. Solange jedoch Akten unter
Verschluß gehalten werden, bleiben die alternativen Erklärungen Spekula
tion. Ein Schlüssel zur Lösung des Rätsels ohne weitere Aktenfunde dürfte
allerdings in den Erinnerungen der Einheimischen und dem Archiv der bis
heute mysteriös gebliebenen Geheimgesellschaft der Polaires zu finden sein
- dieses soll jedoch 1940 im Auftrag Alfred Rosenbergs oder - was ebenso
möglich wäre - durch die SS unter Franz Six konfisziert worden sein und ist
seitdem nicht wieder aufgetaucht.
209
9. Die verschwundene Akte -
SS-Okkultforschung & das Geheimnis Gaston de Mengeis
210
lung geheimer Orden und Sekten in Paris von einer Begegnung mit einem
Mitglied der Polaires, das ihm anvertraute, daß alle Polarier sich zu gewis
sen Zeiten des Tages, und zwar um 8,12 und 21 Uhr bestimmten Gedanken
konzentrationen zu widmen hatten, und daß diese Vereinigung der Gedan
kenströme aller Polarier eine bedeutende Rolle spielte. Die Erkennungskarte
der Ordensmitglieder trug den Schriftzug:
„HIC ADSUM FRATER TUUS SUB POLISIGNO. LUTETIAE MILLESIMO
NONGENTESIMO ET TRICESIMO ANNO POST J. CH." (Der dies vorweist,
ist dein Bruder unter dem Zeichen des Pols. Paris im Jahre 1930 n. J. Ch.).640
Zu den Mitgliedern der Polaires, deren Veröffentlichungen im Impressum
die Adresse der Theosophischen Gesellschaft in Paris aufwiesen und deren
Gründung um 1929 erfolgt sein dürfte, zählten einige bekannte Forscher
und Schriftsteller; darunter die Franzosen Jeanne Canudo, Victor Blanchard,
Maurice Magre, Jean Marques-Riviere sowie für eine gewisse Zeit auch Rene
Guenon.641 Während dieser sich bereits in den 30er Jahren ebenso wie Magre
gegen den Nationalsozialismus äußerte, sorgte die Tätigkeit von Marques-
Riviere und Jeanne Canudos für die SS im Vichy-Frankreich für den Vorwurf,
die Polaires verträten einen „germano-okzitanischen Synkretismus" für den
exemplarisch der Germanen-Orden und die Thule-Gesellschaft ständen.642
Im August 1940 hatte die Vichy-Regierung ein Verbot aller Geheimgesell
schaften in Frankreich erlassen und unter Aufsicht von Prof. Bernhard Fay
den Service des Societes Secretes - SSS - unter direkter Leitung Admiral Pla
tons gegründet, um dieses Verbot zu überwachen. Dem SSS unterstanden drei
weitere Abteilungen: Der „Service Speciale des Associations Dissoutes" (Spe
zialabteilung aufgelöster Gesellschaften - Inspector Moerschell), das „Cen
tre d'Action et de Documentation" (Aktions- und Dokumentationszentrum
- Henry Coston) und die „Service de Police" SPSS (Polizei-Abteilung - Jean
Marques-Rivieres). Die bekanntesten Aktivitäten Marques-Rivieres waren
in diesem Zusammenhang die Organisation der Ausstellung „Der Jude und
Frankreich" im September 1941 sowie der Dokumentarfilm „Okkulte Mäch
te". Pläne zum Aufbau eines „Museums der Geheimgesellschaften", aus dem
er womöglich auch eigenen Nutzen für seine okkulten Studien ziehen wollte,
wurden nicht umgesetzt.643 Bezüglich seiner Motivation schrieb Marques-Ri-
vieres: „Wenn wir eine Generation weiter sind, wird die Freimaurerei ohne Frei-
211
Polaires-Gefährten ? Otto Rahn - Maurice Magre - Rene Guenon
maurer zu einer Witwe ohne Kinder und ... es bleibt ihr Ideen- und Arbeitgeber, der
Jude... ohne die Freimaurerei verliert er viele seiner Mittel."644
Oberhaupt des Ordens der Polarier war der Italiener Cesar Accomani,
der das Pseudonym Zam Bhotiva führte. Bhotiva wohnte seit 1931 Seancen
bei, bei denen mit Hilfe des Londoner Mediums „Grace Cook" der kurz zu
vor verstorbene berühmte englische Kriminalautor Sir Arthur Conan Doyle
angerufen wurde, der ihm übermittelte, die Polaires seien dazu bestimmt,
„die Zukunft der Welt zu formen" Eine weitere Seance brachte Bhotiva in
angeblichen Kontakt mit einem Tibeter, der den verheißungsvollen Namen
„Weißer Adler" trug und verkündete, er selbst - Bhotiva - sei aus Tibet in
den Westen gesandt worden, um dort geistig tätig zu sein.645
Der Name der Polaires („Die Polaren") weist indes auf einen alten esoteri
schen Glauben über die Herkunft der Weisheit hin: Nämlich vom äußersten
Norden, der Arktis, die Schauplatz des ersten, des „goldenen" Zeitalters ge
wesen sein soll, wie später ausführlich erläutert.
In einem Bulletin vom 9.6.1930 haben die Polaren ihren Namen selbst so
erklärt: „Die Polaren führen ihren Namen darauf zurück, daß zu allen Zeiten der
Heilige Berg, das heißt der symbolische Platz der Initiatischen Zentren, von den ver
schiedenen Traditionen immer als,polar' qualifiziert worden ist. Und es kann wohl
sein, daß dieser Berg wirklich ,polar' im geographischen Sinn des Wortes gewesen
ist - wie dies von der borealen Tradition - oder Primordialen Tradition, Quelle aller
Traditionen - immer behauptet wurde, die zuallererst ihren Sitz in den hyperborä-
eischen Regionen hatte." Diese Erklärung klingt Martin Schwarz zufolge, wie
von Guenon geschrieben, allerdings sei sie uns „nur in einer Zitierung des
nicht immer glaubwürdigen Jean Parvulesco überliefert, der den ,polaren' Topos
212
auch in seinen phantastisch-esoterischen Romanen immer
wieder entfaltet hat."646
Der Führer der Polaires, Cesar Accomani alias Bho-
tiva, trat anläßlich einer weiteren Begebenheit in das
Licht der Geschichte: Im Juli 1931 war er im Langue
doc - gemeinsam mit weiteren Polaires - an der Suche
nach dem „Schatz der Katharer" beteiligt. Der deut
sche „Gralsforscher" Otto Rahn erwähnt zwar einen
„Ingenieur, dessen Bekanntschaft er gemacht habe",
jedoch trug dieser den Namen Arnaud. Wie der Inge
nieur suchte allerdings auch Accomani für seine Zwe Antonin Gadal
cke den Kontakt mit einer außergewöhnlichen Dame,
die Mitglied der Gnostischen Kirche und dem Blute nach ein Abkömmling
der berühmten albigensischen Ketzer-Päpstin Esclarmonde de Foix war. Die
se geheimnisvolle Dame, deren Namen streng geheim gehalten wurde, dürfte
gleichwohl identisch sein mit jener Gräfin Pujol-Murat, von der Otto Rahn
berichtet, daß „ihre Vorfahren bei der Verteidigung der Albigenser-Burg Montsegur
ihr Leben für die vom Feind überflutete Heimat ließen und welche Hugues de Payens,
den Gründer des Templer-Ordens und vor allem die große Esclarmonde de Foix zu
ihren Vorfahren zählen darf". Zam Bhotiva versuchte nun mit Hilfe dieser Dame
und seiner „Wünschelrute" im Ruinengebiet der Burg Montsegur den Schatz
der Katharer zu heben, den er mit dem Jerusalemer Tempelschatz identifi
zierte, den die Westgoten einst ins Languedoc gebracht haben sollen. „Nicht
um persönliche Vorteile daraus zu ziehen, sondern weil dieser Schatz zu den okkulten
Heilstümern der Menschheit zählte. Aber die Wünschelrute schlug nicht aus und so
dürfte die alte Tradition richtig sein, daß der Schatz noch vor Erstürmung der Burg
von waghalsigen Cathari in abenteuerlicher Kletterei nach den kilometerlangen gefah
renvollen Höhlen von Ornolac in den Pyrenäen geschafft und dort verborgen worden
sei", resümiert Binder diese Episode.647
In Reaktion auf seine erfolglose Suche im Languedoc soll jedenfalls Po
laires-Vorsitzender Accomani den Orden verlassen haben,648 der sich fort
an mehr esoterischen Fragen widmete - ausgenommen eines Zweiges, der
schon damals mit deutschen Institutionen zusammenarbeitete:
Wie zuvor geschildert, nannte die südfranzösische Zeitung „La Depeche"
Otto Rahn einen „deutschen Polaire der eine Gralssuche im Languedoc leiten
würde". Otto Rahn hatte sich über seine Nennung in diesem Zusammenhang
in einem Leserbrief verwahrt.
213
Doch war Rahn tatsächlich nicht bereits Mitglied der Polaires wie ver
schiedene Autoren mutmaßen? Ein im Juni 1934 verfaßter Brief Rahns an
einen alten Freund - den französischen Katharer-Forscher Antonin Gadal
- regt die Wiederaufnahme der gemeinsamen Arbeit an und ergänzt: „Sehr
ranghohe Mitarbeiter werden uns unterstützen. In erster Linie der Baron Evola....
In Deutschland, in der Schweiz und in Holland ebenso wie in Frankreich haben
wir Verbündete."649 Wen meinte Rahn mit „wir" bzw. „uns"? Bezieht sich der
deutsche Forscher damit bloß auf einen losen Verbund von Grals- bzw.
Katharerforschern oder hat er eine spezielle Gruppierung im Auge, der er
womöglich bereits angehört?650 Es scheint jedenfalls nicht ausgeschlossen,
daß Rahn doch engere Kontakte zu den Polaires unterhielt als nach außen
bekannt war und sich vielleicht als Bestandteil dieser Vereinigung begriff.651
Graddon mutmaßt ferner über eine Verbindung zwischen Rahn und dem
OKW-Abwehrchef Admiral Canaris (1887-1945), der im Widerstand gegen
Hitler eine undurchsichtige Rolle einnahm. Demnach soll Rahn in seiner
Funktion als „Agent" innerhalb des Persönlichen Stabes RF-SS einer unbe
stimmten Widerstandsgruppe, 15 jungen Juden zur Flucht verhülfen haben
und sei daher zum Selbstmord gezwungen worden, wie Graddon unter Ver
weis auf einen Brief des Rahn-Bekannten Albert Rausch spekuliert.652
Was die Vermutung eines Geheimbundes erhärtet, in dem sowohl Gadal als
auch Rahn tätig waren, ist die belegte Mitgliedschaft Antonine Gadals in ei
nem solchen. Der französische Forscher, der Rahn bei dessen Suche nach dem
214
Gral im Languedoc regelrecht instrumentalisiert haben soll, stand in enger Ver
bindung zum „Lectorium Rosicrucianum", einem 1924 in den Niederlanden
begründeten Zweig der „Rosicrucian Fellowship" des in die USA emigrierten
Max Heindls. 1935 trennte sich die Gruppe von ihrer US-Mutterloge und wurde
von Frau Henriette Stok-Huizer (alias Catharos de Petri -1902-1990) und den
Brüdern Leene geleitet.653 Zwei Jahre später -1937 - traf sich Gadal mit Walter
Birks, einem Angehörigen einer ungenannt bleibenden „Geheimgesellschaft",
wie dieser anläßlich eines Interviews für einen Dokumentarfilm über den Gral
verriet.654 Bei diesem Treffen habe Gadal 1937 als „das Jahr des Grals" bezeich
net und dem Gesandten der Geheimgesellschaft verraten, ein Katharergefäß
geborgen zu haben, das er als „Katharer-Gral" bezeichnete.
Dazu paßt auch die Unterstützung Evolas, der zwar nicht dem Bund di
rekt angehörte, sich geistig allerdings auf der Polaires-Linie befand, obgleich
er im dritten Band der „Einführung in die Magie" der römischen Gruppe
von UR unter dem Pseudonym „Arvo" das Orakelsystem der Polaires kri
tisierte: „Die absolute Mechanizität und Impersonalität der Methode, bei der die
Person des die Frage stellenden keinerlei Rolle spielt, führt nur zu einer unter- und
nicht überpersönlichen Ebene, insgesamt also ein Beispiel für die materialistische
Fehlauffassung des höheren Bewußtseins und der traditionellen Symbolik."
Evola bestätigte in einem kleinen Aufsatz nach dem Krieg die Kontakte
zu Rahn: „Nun nimmt man an, daß Rahn, mit dem wir seinerzeit in Briefwechsel
standen und dem wir die Unhaltbarkeit seiner Thesen beweisen wollten..." heißt es
in „Hitler und die Geheimgesellschaften" - erneut bleibt aber die Identität
der Gruppe, die hier „wir" genannt wird, offen.655
Just im Zeitraum der Verfassung des Briefes durch Otto Rahn - 1936 - be
ginnt sich auch die NS-Regierung näher für den italienischen Kulturphiloso
phen zu interessieren. Wenige Jahre später führt Evola mehrere Vortragsreisen
in Deutschland durch - unter Beobachtung der SS Heinrich Himmlers. Zwar
wird offiziell eine Unterstützung Evolas abgelehnt, dennoch sah Himmler ge
nügend Gemeinsamkeiten um den Kontakt aufrecht zu erhalten.656
War der von Rahn in seinem Brief suggerierte Bund vielleicht identisch
mit jenem „geheimen, überstaatlichen Orden", den Evola laut des ableh
nenden Gutachtens zu stiften plante und für den „keine konkrete Unter
stützung" empfohlen worden war? Eine solche Verbindung zwischen dem
Evola-Bund und Rahn scheint jedenfalls nicht ausgeschlossen.
215
Eine weitere Spur in diesem Zusammenhang stammt aus einer Quelle,
die mehr als zweifelhaft ist, aber dennoch Erwähnung verdient: Demnach
soll es 1943 Pläne zur Wiedererrichtung des venezianischen Ordens „Ordo
Imperio Nuovo", auch als „Ordo Bucintoro" bezeichnet, gegeben haben, die
vom italienischen Fürsten Junio Valerio Borghese 657 und von Otto Skorzeny
ausgegangen wären; also erneut eine Verbindung zwischen Italien und der
SS in Bezug auf eine Ordensgründung.658
Bereits 1919 hatte sich in Frankreich eine theosophisch inspirierte Grup
pe unter Leitung des Apothekers Rene Schwaller de Lubicz (1887-1961)
formiert, die eine Zeitschrift namens „L'Affranchi" herausgab. Neben ei
ner theosophisch ausgerichteten Strömung existierte innerhalb der Gruppe
auch eine „Mystische Gruppe Tala" („Die Verbindung"), die sich auch mit
dem Hakenkreuz befaßte und verschiedene Parallelen zu deutschen Bün
den aufwies: Einen stark ausgeprägten Antijudaismus, eine vorherrschen
de Kriegermentalität sowie dunkle Militäruniformen. Eine erstaunliche
Anekdote ist ferner, daß sich der Leiter der sich später in „Les Veilleurs"
(Die Wächter) umbenannten Gruppe, den Decknamen „Pytheas" (Pytheas
von Massilia war der Begründer des Thule-Mythos) zulegte.659 Einem an
deren Autoren zufolge - Werner Gerson, der einen „bisweilen sorglosen Um
gang mit Quellen" an den Tag legte, wie Godwin meint - soll der spätere
stellv. NSDAP-Vorsitzende Rudolf Hess ebenfalls der Gruppe angehört
haben.660
Schwaller ging jedoch bereits Anfang der 20er Jahre mit seiner Frau in die
Schweiz, wo er ein „Zentrum für wissenschaftliche und alchimistische Stu
dien" gründete. Mitte der 30er Jahre unternahm er eine Reise nach Ägypten,
die seine Vorliebe für Pyramiden-Mysterien bestärkte und seinen nachhalti
gen Ruf als Mystiker begründete.661
216
Ein Bezug zu den Polaires läßt sich auch über die Zeitschrift „Vancaires"
herstellen, die im Vichy Frankeich zwischen 1941 und 1943 erschien. Die
Inhalte der von Pierre Plantard nach dem Krieg euphemistisch als „Resis
tance-Blatt" verklärten Zeitschrift entsprachen den Themen, mit denen sich
die Polaires befaßten: Esoterik, Mythen und „Eingeweihte aus Tibet" sowie
verborgene Städte im Himalaya.662 Plantard, der spätere „Prieure de Sion"-
Gründer, hatte bereits seit 1937 Treffen mystisch orientierter Kreise von
Nationalisten veranstaltet, die sich antifreimaurerisch und antisemitisch
betätigten und als „Französische Union" firmierten. Nach der Etablierung
des Vichy-Regimes unter Marschall Petain empfahl er sich diesem als Mitar
beiter der Logenbekämpfungsbehörden, gründete aber selbst die „Franzö
sische Nationale Erneuerung" und den Bund Alpha Galates (1942), der ca.
40 Sympathisanten aufgewiesen haben soll.663 Aufgrund dieser nicht geneh
migten Betätigungen erhielt Plantard eine 4-monatige Haftstrafe, die er für
die Konstruktion einer Resistance-Karriere nach dem Krieg nutzte. Zuvor
allerdings habe er, eigenen Aussagen zufolge, das Angebot Heinrich Himm
lers ausgeschlagen, im Gegenzug für eine Treueerklärung zum 3. Reich bzw.
zur SS den Titel eines Herzogs der Bretagne anzunehmen.664
Die Ziele der Alpha Galates jedenfalls waren nach Selbstauskunft in
„Vaincre":
1. Die Einheit Frankreichs - 2. Die Mobilisierung aller französischen Ener
gien und Mittel für die Verteidigung der Nation - 3. Die Schaffung einer
neuen westlichen Ordnung eines jungen europäischen Rittertums, dessen
Hauptgedanke „Solidarität" sein solle. Diese Organisation - Solidarität -
müßte das erste Stadium der Vereinigten Staaten des Westens darstellen.665
Zu weiteren Autoren der Zeitschrift Vaincre zählten Robert Amadou, An
gehöriger der Martinisten und der Großloge Alpina sowie Autor diverser
Freimaurer-Literatur, Professor Louis le Für, Publizist und Kulturkommen
tator innerhalb des Vichy-Regimes, und Gabriel Trarieux d'Egmont, Verfas
ser esoterischer Schriften.
Eine weitere Verbindung zwischen Polaires, Martinisten und Alpha Ga
lates ergibt sich über einen sogenannten „Pakt der Synarchisten" bei dem
Polaires-Mitglied Jeanne Canudo eine wesentliche Rolle spielte. Aufgrund
dieser Verbindung hatten bereits andere Autoren gemutmaßt, die Polaires
seien ein „Deckmantel" der Prieure de Sion gewesen.666
217
Der Begründer des Synarchismus,667 Saint-Yves d'Alveydre (1842-1909),
gilt als wichtiger Wegbereiter diverser rosenkreuzlerischer Bünde in Frank
reich und beeinflußte vor allem Papus (Begründer des „Kabbalistischen
Ordens der Rosenkreuzer")668 und Josphin Peladan (Wiederbegründer der
Rosenkreuzer), soll anderen Quellen zufolge aber auch die Bruderschaft der
Polaires mitbegründet haben.669 An anderer Stelle wird dagegen Victor Blan-
chard als Begründer des „Ordre Martiniste et Synarchique" (OMS - 1921)
genannt, der auch bei der Entstehung der Polaires 1929 mitwirkte.670 Gemäß
Guy Patton, sei der Synarchismus als Herrschaftssystem einer intellektuel
len und spirituell erleuchteten Elite, ein vielen rechtsausgerichteten Bünden
vertrautes Element,671 jedoch gibt es auch Verbindungen zu freimaurerisch
internationalistischen Verbindungen, wie dem Pan-Europa-Bund bei dem
Otto von Habsburg eine wichtige Rolle spielte. Bemerkenswerterweise be
zieht Evola noch 1928 die Pan-Europa-Idee Richard Coudenhove-Calergis
in seine Überlegungen hinsichtlich eines neuen Europas ein, ohne auf den
freimaurerischen Hintergrund des Österreichischen Adeligen einzugehen.672
218
Ebenso bestanden direkte Verbindungen der Synarchisten zu Jean Monnet,
dem maßgeblichen Wegbereiter der Europäischen Gemeinschaft, und der
Alpha Galates zu vom Pan-Europa-Gedanken beeinflußten Protagonisten,
wie Robert Schuman, dem Vater des EU-Vorläufers „Europäische Gemein
schaft für Kohle und Stahl" (EGKS). Schuman war nämlich Mitglied des von
Vaincre-Autor Louis de Für gegründeten „Energie"-Bundes, der sich für
eine europäische Vereinigung einsetzte.673
Daß Alpha Galates mehr als nur ein loser Zusammenschluß gleichden
kender Europa-Freunde war, wird durch einen Kommentar Louis le Fürs
in Vaincre (Nr. 5) bestätigt, in dem dieser „einen deutschen Meister unseres
Ordens" mit der Würdigung des neuen Großmeisters des Bundes zitiert.674
Gerade im Vichy-Frankreich der damaligen Zeit offenbart sich somit ein
kaum zu durchschauendes Geflecht von Okkultisten und Politakteuren, die
verschiedensten Zielen entgegenarbeiteten - sicher scheint indes nur, daß
auch die Polaires Bestandteil dieses weitverzweigten okkulten Untergrun
des waren;675 ebenso sicher scheint aber auch, daß die rechtsgerichteten
Europa-Bünde systematisch von freimaurerisch beherrschten Gruppen in
filtriert wurden und dadurch ihr Wirken ins Gegenteil verkehrt wurde, wie
die Geschehnisse nach 1945 beweisen.
Bereits 1929 hatte das Ordenshaupt Bhotiva das Buch „Asia Mysterio-
sa" veröffentlicht, versehen mit einem Vorwort von Rene Guenon, Maurice
Magre und Marques-Riviere. Dieses enthielt die Ziele des Ordens, die Ge
schichte seiner Gründung und eine Sammlung von Orakelsprüchen. Der
bedeutendste dieser Sprüche war das „Orakel der Astralen Kraft" (auch
„Orakel Astraler Energie").
Dieses stammte von einem weiteren Italiener namens Mario Fille, der 1908
während eines Urlaubs in Bagnaia bei Rom einen Einsiedler mit dem Namen
„Vater Julian" kennenlernte, der ihm einige vergilbte Blätter schenkte, die
aus dem Buche der „Wissenschaft vom Leben und Tode" stammen sollten
und „eine sichere Methode der Zukunftserforschung auf arithmetischer
Grundlage" enthalten hätten. Nachdem Fille, anfangs ungläubig, einige
Jahre später das Orakel erfolgreich testete versuchte er den alten Einsiedler
aufzusuchen, dieser war jedoch verschwunden. Als der Italiener das Orakel
219
Alexandre Saint-Yves
dAlveydre (1842-1909)
Links: Der berühmte französische
Okkultist Gerard Encausse alias
Papus (1865-1916) in einer Mar-
tinisten-Loge
erneut befragte, diesmal nach dem Aufenthaltsort des „Vater Juhan", erfuhr
er, daß jener wieder in sein Kloster im Himalaya zurückgekehrt sei. „Dieser
einfache und bescheidene Einsiedler, der von den Menschen verlacht in einer pri
mitiven Holzhütte in der Umgebung von Rom gehaust hatte, schien also einer der
Großen Eingeweihten gewesen zu sein, die in der Verborgenheit das Geschick der
Menschheit lenken", faßt Binder die Geschehnisse zusammen.676
220
mit den ,Großen Initiierten' im Himalaya oder anderswo, ist, ist das äußerst kümmer
lich.“ „(...) die Regeln, diktiert von der ,Methode' beinhalten unglaubliche Kindereien.
(...) wir werden nicht überrascht sein, wenn all dies im Abstieg zu dem vulgärsten Spi
ritismus enden wird. Wir bedauern daß einige der traditionellen Ideen, die wir in ,Der
König der Welt' dargelegt haben, in diese Affaire gemengt worden sind (,..)"678
Neben Agarthi wird indes auch Shambhala im Buch genannt: „Shambhala
ist nach zentralasiatischer Tradition eine heilige Stadt, die in sehr alten Zeiten ver
schwand und dann unterirdisch weiterexistierte; einige nehmen an, daß es sich um
eine Stadt handelt, die unter der Wüste Gobi eingegraben wurde, während andere
wissen wollen, daß sie in Sibirien liegt. In Wirklichkeit soll Shambhala im Hohen
Norden zu suchen sein, und die Verbindung, die man unter diesem Aspekt mit ande
ren Traditionen machen kann, erlaubt es, Shambhala mit dem hyperboräischen Tula
(Thule) gleichzustellen, dem Ausgangspunkt der ursprünglichen Traditon unseres
Manvantara (Zeitalters).“679 Unter den „Drei kleinen Lichtern" (Les Petits Lu-
mieres) verstehen die Polarier jene verborgenen drei Meister, die von Asien
aus die Wiedererrichtung der Brüderschaft der Polarier angeordnet haben.
So unglaublich es westlichen Ohren auch klingen mag, genießt der Glau
be an höhere Eingeweihte in Indien, China, Tibet und weiten Teilen Asiens
große Beliebtheit. Und auch für die Polarier waren die Eingeweihten real:
„Die Meister existieren, sind aber keine Götter. Sie sind lediglich Men
schen, erfüllt mit Weisheit." In ihnen manifestieren sich drei Aspekte des
Königs der Welt, die hier als drei tibetisch-weiße Götter beschrieben wer
den, - Gouban, Zourghan und Bourkhan - die auf Erden die Funktion des
Panchen Lama, Dalai Lama und Bogdo Khans erfüllen, also die weltliche,
geistige und kriegerische Macht. Der Sitz dieser eingeweihten Meister oder
Magi wird als Agarthi oder Shambalah angegeben. Beide Orte sind, wie be
reits angesprochen, Synonyme für das ursprünglich polare Urzentrum.
Über den drei Meistern steht des Orakels zufolge jedoch ein Messias der
als „der, der da wartet" bezeichnet wird. Er ist der Gesandte der Asia Mys-
teriosa und gemäß Binders Angaben, „ein Europäer, der zugleich der oberste
Chef der Polarier ist.... Heute ist er unbekannt und weit fort, aber morgen wird er
ein großer sein nach dem Willen der Allerhöchsten. ... Es werden noch viele, viele
Monde vergehen, bis ihr den, der da wartet, treffen werdet. Dieser höchste spirituelle
Kommandant ist ein Avatar und der zukünftige Manu (Gesetzgeber), eine Inkarna
tion des Sonnen- und Lichtgottes und reitet auf einem weißen Pferd“680 - eine ge
naue Entsprechung des Kalki-Avatars der indischen Mythen, der auch von
Miguel Serrano in Bezug auf Adolf Hitler aufgegriffen wurde!681
221
Der Sitz dieser eingeweihten Meister oder Magi wird als Agarthi oder
Shamballah angegeben. Beides sind - je nach Autor - verborgene Städte
oder Reiche, die für gewöhnlich in Asien, zumeist im Himalaya oder in der
Wüste Gobi angesiedelt werden.
Bei Wilhelm Landig, dem Verfasser der den Neuschwabenland-Mythos
prägenden Thule-Trilogie, sind es die Wächter Agarthas, die den menschen
freundlichen Weg gegen den Widerstand der Shambalah-Menschenfeinde
beschreiten.682
Der Begriff Shambalah weist dabei eine größere Authentizität und ein
weitaus höheres Alter als der Begriff Agartha auf. Verschiedentlich wird er
auch mit dem Shangi-La gleichgesetzt. Gemäß des tibetisch-buddhistischen
Kalchakra-Tantra, einem Einweihungsritual zur Erlangung von Reinheit für
Geist und Körper, existiert in Asien ein Königreich Shambalah mit 96 Regi
onen und ebenso vielen Unterkönigen. Einer Erklärung des Dalai Lamas zu
folge, handelt es sich um „ein reines Land, das man nicht unmittelbar sehen oder
aufsuchen kann - es sei denn, Karma und Verdienst eines Menschen sind dement
sprechend gereift. ... Obgleich Shambalah ein wirkliches Land - ein wirklich reines
Land - ist, haben gewöhnliche Menschen keinen unmittelbaren Zugang zu Shamb-
hala....... " Hierzu ergänzt Godwin: „Dafür den Buddhisten jegliche Existenz,
sogar die der Götter in ihren Himmeln, Illusion ist, läßt sich eine wirkliche Stadt,
auf die man auf der Landkarte oder am Ende der Straße stößt, von einer „unwirk
lichen" wie Shambalha nicht so deutlich unterscheiden, wie es dem Materialisten
scheinen mag." Aber zugleich betont Godwin auch, daß dies nicht bedeutet,
daß dies schon immer so gewesen sei - mit anderen Worten, hält er ein einst
mals existentes Land unter der Bezeichnung durchaus für möglich.683
Eine frühe Apologetin des Agartha-Mythos war die Russin Helena Pet-
rovna Blavatsky. Zwischen 1848 und 1858 bereiste sie die Welt und besuchte
Südamerika, Ägypten, Syrien und auch Tibet. In Ägypten wurde sie durch
den alten koptischen Weisen Metamon in die Magie eingeführt und machte
Bekanntschaft mit der Hermetischen Bruderschaft von Luxor. In London traf
sie einen Meister Morya, der sie über die „Meister der Weisheit" aufklärte, die
auf dem spirituellen Pfad sehr weit fortgeschritten sind und die geistige Welt
zu beherrschen, zu meistern gelernt haben. Nach weiteren Begegnungen mit
Mystikern und Okkultisten an verschiedenen Orten der Welt gründet Blavats
ky angeregt von einem spirituellen Meister 1875 in New York gemeinsam mit
John Steel Elcott und weiteren Freunden die Theosophische Gesellschaft. 1888
erscheint ihr bedeutendstes Werk, Die Geheimlehre, in der die Grundlagen
der Theosophie festgehalten werden. Hier erwähnt Blavatsky auch die „Wei
ße Bruderschaft" als Orden der Eingeweihten von Shambalah:
222
„Die letzten Überlebenden des schönen Kindes der weißen Insel ( des ursprüng
lichen Sherva-dvipa) waren Zeitalter vorher zu Grunde gegangen. Ihre (Lemuriens)
Auserwählte hatten Zuflucht außer Heiligen Insel (jetzt dem fabelhaften Shambha-
lah in der Wüste Gobi gefunden, während einige von ihren verfluchten Rassen, die
sich von dem Hauptstamm trennten, jetzt in den Dickichten unter der Erde (,Höh
lenmenschen') lebten, als die goldig-gelbe Rasse (die vierte) ihrerseits „schwarz vor
Sünde" wurde..." Diese heilige Insel, soll Blavatsky zufolge „bis zur gegen
wärtigen Stunde als eine Oase, umgeben von der schrecklichen Wildnis der großen
Wüste Gobi" existieren.684
Innerhalb der Theosophischen Gesellschaft wurde der Shambalah-My-
thos weiter ausgeprägt. Im Buch „Man: Whence, How and Whither" (Der
Mensch: Woher, Wie und Wohin, 1913) heißt es, Shambalah sei um 70.000
v. Zw. durch den Manu (Priester-König-Gründer) der arischen Rasse an den
Ufern der Gobi-See gegenüber der Weißen Insel gegründet worden.
Ebenfalls inspiriert von der Theosphischen Gesellschaft bereiste Nicolas Ro-
erich mit seiner Familie zwischen 1925 und 1928 China und die Mongolei bis
zur Grenze Tibets und hielt seine Eindrücke in mehreren Büchern fest, deren
bekanntestes den Titel „Shambhala" trug. Hier schrieb er: „Shambhala ist der
Heilige Ort, an dem die irdische Welt sich mit den höchsten Zuständen des Bewußt
seins verbindet. Im Osten ist man sich bewußt, daß es zwei Shambhalas gibt - ein ir
disches und ein unsichtbares. Über die Lage des irdischen Shambhala ist viel spekuliert
worden. Nach gewissen Andeutungen liegt dieser Ort im äußersten Norden; demnach
sind die Strahlen des Nordlichts die Strahlen des unsichtbaren Shambhala."685
Mit dieser Aussage verweist Roerich auf die wahrscheinliche Herkunft
des Mythos aus dem äußersten Norden. Anders als Shambalah, ist der Be
griff Agarthi dabei überaus jungen Ursprungs und reicht lediglich bis ins 19.
Jahrhundert zurück.
Die mutmaßlich erste Erwähnung Agarthas findet sich bei Louis Jacol-
liot (1837-1890). In „Le Fils de Dieu" (Der Sohn Gottes, 1873) berichtet der
Franzose von indischen Brahmanen die ihn mit der Legende von Asgartha
vertraut gemacht hätten. Diese prähistorische Sonnenstadt war Sitz des
„Brahmatma", des obersten Priesters der Brahmanen, welche Indien seit
13.300 v.Zw. regiert hätten.686
Unterstützung fand die allzu phantastische Beschreibung Jacolliots in ei
nem Buch mit dem Titel „Mission de linde", dessen Manuskript sich unter
den Papieren des verstorbenen Schriftstellers von Saint-Yves d'Alveydre
befunden hatte. Ursprünglich hatte Saint-Yves das Buch bereits drucken
lassen, vernichtete vor der Erscheinung jedoch aus bislang ungeklärten
223
Bild des russischen Abenteurers Nicholas Roerich - Tibetischer König Gautsa
Gründen die gesamte Auflage bis auf zwei Exemplare, deren eines bei ihm
verblieb und das andere widerrechtlich vom Drucker selbst einbehalten
wurde. Spekulationen zufolge, soll Saint-Yves nach Bekanntwerden der
Veröffentlichungspläne mit dem Tod bedroht worden sein. Die posthum
veröffentlichte Auflage enthielt jedenfalls die Schilderung einer mystischen
Geheimgesellschaft, deren Namen „Agarta" [Agarttha] war. Neben allerlei
merkwürdigen Beschreibungen dieser angeblichen Reise durch Zentralasi
en mutet am unwahrscheinlichsten die tatsächliche Existenz einer unterir
dischen Welt an, deren Verzweigungen sich überallhin erstrecken, unter
Erdteile und Meere, und durch deren Kraft sich unsichtbare Fäden durch
alle Gegenden der Erde ziehen. Sein Wissen soll der Franzose von dem indi
schen Lehrer Haji Sharif bezogen haben, der sich selbst als „Guru Pandit der
großen Argathischen Schule" bezeichnete und dessen Sanskrit-Manuskripte
noch in der Bibliothek der Pariser Sorbonne liegen sollen.687
Der russische Abenteurer Ferdinand Ossendowski scheint verschiedene
Elemente aus „Mission de Finde" in seinem 1924 erschienendem Buch „Tie
re, Menschen und Götter" aufgegriffen zu haben. So berichtet er von mongo
lischen Erzählungen über ein geheimnisvolles unterirdisches Reich namens
Agarthi, die ihm während eines Aufenthaltes in Zentralasien erzählt wur
den. Dieses Reich soll der Legende zufolge unterhalb des Himalayas liegen
und von einem „König der Welt" regiert werden. Dieser König wiederum
stünde mit allen bedeutsamen Menschen (Könige, Priester usw.) in Verbin
dung und lenkt deren Geschicke abhängig davon, ob sie sich gottgefällig
verhalten oder nicht.688
687 Vgl. dazu Godwin (2007), S. 99 ff.
688 Ossendowski (1923), S. 345 f. weitere interessante Details, die Ossendowski
berichtet, beziehen sich auf den Ursprung der Zigeuner, die einst in „Agarta" gelebt
224
Rene Guenon, der bekannte französische Traditionalist und Mystiker
faßt die Mythen über Agartha in einer grundlegenden Veröffentlichung zu
sammen: „Agarta war, wie man sagt, nicht immer unterirdisch und wird es nicht
immer bleiben. Es wird eine Zeit kommen, in welcher nach den von Ossendowski
wiedergegebenen Worten „die Völker von Agarti ihre Höhlen verlassen und auf der
Oberfläche der Erde erscheinen werden". Ehe Agarta von der sichtbaren Erde ver
schwand, hatte dieses Zentrum einen anderen Namen, denn „Agarta", was „unzu
gänglich" bedeutet, wäre nicht passend gewesen. Ossendowski gibt an, daß Agarta
vor mehr als sechstausend Jahren unterirdisch geworden ist, und diese Zeitangabe
stimmt ziemlich genau mit dem Beginn des Kali-Yuga oder des „Schwarzen Zeital
ters“ der alten Völker des Abendlandes überein; ihr Wiedererscheinen muß mit dem
Ende derselben Periode zusammenfallen. Saint-Yves hätte zweifellos diese Symbolik
erklären können, aber er hat es nicht getan, und hierdurch erhalten gewisse Teile
seines Buches den Anschein von Trugbildern. Ossendowski war sicher unfähig, sich
vom Buchstaben zu lösen und in dem, was man ihm erzählte, etwas anderes zu se
hen als den einfachen Inhalt im unmittelbarsten Sinne."689
Obgleich Ossendowski in seinem Bericht panslawistische Tendenzen an
klingen ließ, fand sich das Buch auch in der Bibliothek Heinrich Himmlers
und dürfte diesen wie viele andere Leser der 300 000 Exemplare des Buches
in der Sicht auf das geheimnisvolle Tibet beeinflußt haben.690
Innerhalb der Polaires wird der Mythos vom König der Welt und den
eingeweihten Meistern ebenfalls reichlich rezipiert. In Maurice Magres „The
Return of the Magi" befaßt sich der Autor mit verschiedenen Eingeweihten
des Mittelalters, darunter Apollonios von Tyana und Christian Rosenkreutz,
dem Begründer der gleichnamigen Geheimgesellschaft. In einem Kapitel mit
der Überschrift „Der unbekannte Meister der Albigenser" geht Magre der
Frage nach, inwieweit die französischen Ketzer (Katharer, in Eigenbezeich
nung Albigenser) durch die bulgarischen Bogumilen-Bewegung beeinflußt
wurden. Dabei kommt er auch auf die Rolle der südfranzösischen Gräfin
Esklarmonde zu sprechen, von der die Gräfin Pujol abstammen soll - ein
vor der engen Verbindung der Gräfin mit den Polaires überaus interessanter
Aspekt, der nahelegt, daß die Polaires den direkten Kontakt mit der Gräfin
gesucht haben.691
225
Rene Guenon, der Marquäs-Riviöre zufolge in seinen Werken stets an die
westlichen Eliten appellierte, nach dem eigentlichen Sinn der wahren Tradition
zu suchen, der im Westen in Vergessenheit geraten ist, geht noch einen Schritt
weiter: „Nimmt man den Titel,König der Welt' in seiner höchsten, umfassendsten
und gleichzeitig strengsten Bedeutung, so bezeichnet man damit eigentlich ,Manu', den
Urgesetzgeber des Universums, dessen Name sich in verschiedener Form bei vielen alten
Völkern findet. Dieser Name ist übrigens der Ausdruck für ein Weltprinzip und nicht
für eine geschichtliche Persönlichkeit, aber dieses Prinzip kann sich durch ein geistiges
Zentrum auf Erden manifestieren, durch eine Organisation, deren Aufgabe darin be
steht, die heilige Tradition rein zu bewahren; und das Haupt einer solchen Organisati
on, welches in gewisser Weise Manu selbst verkörpert, wird zu Recht seinen Titel und
seine Kennzeichen tragen dürfen. Das ist wohl der Fall in „Agarta", falls jener Kreis,
wie Saint-Yves behauptet, die Erbschaft der alten Sonnen-Dynastie (Suryavanscha) an
getreten hat, die einst in Ayodha ihren Sitz hatte und in ihrem Ursprung wieder auf
Vaivaswata, den Manu des heutigen Kreises zurückgeht...... Im Mittelalter gab es eine
Erscheinung, in welcher diese beiden verschiedenen Machtsphären in einer Weise ver
einigt waren, die wohl der Erwähnung wert ist: man sprach zu jener Zeit oft von einer
geheimnisvollen Gegend, dem,Reich des Priesters Johannes'."692
Der auch Priesterkönig Johannes benannte mythische Herrscher soll ein
christliches Königreich in Asien regiert haben, das sich nie lokalisieren ließ.
Anläßlich eines Kreuzzuges des römischen Papstes war ein angeblicher
Brief publik geworden, in dem Johannes seine Hilfe bei dem bevorstehen
den Kreuzzug anbot. Seine Selbstbeschreibung als „König der Könige" rückt
ihn unzweifelhaft in die Nähe des Königs der Welt Agarthis.
Wenn man sich jedoch die wahrscheinliche etymologische Entstehung des
Begriffs Agartha aus Asgartha betrachtet, kommt man nicht umhin, die Lo
kalisierung in Asien in Frage zu stellen. Tatsächlich handelt es sich dabei um
Übernahme eines uralten Paradies-Mythos, der als Asgard, Hyperboräa, Thu
le, Atlantis usw. in den äußersten Norden weist: „Aber die schwarzen Zyklen der
Zeit haben den Meister des Westens verjagt und er ist in den Orient gewandert... das
Hakenkreuz ist alleine geblieben, Symbol der Zentralmacht des ,Himmelsjuwels'",
beschreibt Jean Marquäs-Rivieres die Legende.693
„Meister des Westens" oder „Nordischer Chakravartin (Himmelsdreher)"
- wo liegen nun die tatsächlichen Wurzeln des „Königs der Welt"?
226
Asgartha-Mythos auf eine Herkunft weit im Norden, genauer gesagt auf ein
Gebiet eingehüllt von Eis - die Arktis.
„Die Arktis soll", so Binder, „der Schauplatz des ersten, des „goldenen" Zeital
ters gewesen sein, so wie nach einem, möglicherweise durch kosmische Katastrophen
verursachten Klimawechsel dann das „silberne" zweite Zeitalter auf der Rieseninsel
Atlantis begonnen haben soll: dem Geheimnis des Nordens wäre also das Geheimnis
des Westens gefolgt. Die Sprache bewahrt solche Erinnerungen noch sehr lange.
Noch im lateinischen Kulturkreis hieß das äußerste nordische Meer, in welchem das
Land Thule lag, das „Mare Cronium", nach Kronos, dem Gott des goldenen Zeit
alters. Wer erinnert sich hiebei nicht auch des Landes der mythischen Hyperboräer
im äußersten Norden, des Landes, aus dem die archaischen Urstämme den delphi
schen Apollon mitbrachten? Viele Jahrhunderte später finden sich bei Jakob Böhme
verschiedene Hinweise auf das gleiche Thema und auch sein Schüler Postel sagt
ausdrücklich, und zwar in seinem „Compendium Cosmographicum", daß sich das
Paradies unter dem arktischen Pol befinde. Hierher gehört auch die alte theosophi
sche Behauptung, daß im Gegensatz dazu „unter der Fläche des südlichen Polarkon-
tinents (der Antarktis) sich die Schwarzmagier ein unerhörtes Reich gebaut hätten";
wie denn überhaupt die Lehre von der Welt als Hohlkugel, die aber nicht mit der
Hohlwelttheorie zu verwechseln ist, höchst überraschende Ausblicke gestattet."694
Guenon unterscheidet das „Tula der Atlantis-Zeit" - gleichbedeutend mit
dem Reich des Westens - vom ursprünglichen „Tula der Hyperboräer". Die
ses Tula, „das die Griechen in Thule umwandelten" war für Guenon gleichbe
deutend mit der heiligen oder weißen „Insel der vier Meister", jenem „ersten
und höchsten Zentrum des gesamten jetzigen Manvantara" (Weltentages bzw.
Zeitalter eines Manu). Die Bezeichnung „Tula" leitet Guenon dabei aus dem
Sanskrit („Waage") ab, was sich auf das Tierkreiszeichen bezöge, das einst
als „Großer Bär" bekannt war. Dieser - identisch mit dem großen Wagen - ist
das klassische Sternbild des Nordpols. In der Mitte der heiligen Insel erhebt
sich den Mythen zufolge der „weiße Berg", auch „Sonnenberg" genannt,
der dem Berg Meru der Indoarier, dem Berg Aztlan der Südamerikanischen
Indios sowie dem nordischen Mitternachtsberg entspricht und das Zentrum
bzw. den Nabel der Welt verkörpert.695
Auch das Hakenkreuz, als Heilszeichen der Hyperboräer, habe hier sei
nen Ursprung: Als Verkörperung der Drehung des kleinen Wagens um den
Großen über die Achse der Polarsterns entsteht sinnbildlich das Haken
kreuz. Von hier ging seine Verbreitung über die Welt aus.696
Wie der indische Forscher Balghangadar Tilak ausführte, existieren inner
halb ältester vedischer und avestischer, also alter indoarischer Überlieferun
227
gen, Berichte über das einstige Paradies „Airyana Vaejo", in dem ein König
Yima über ein sorgenfreies Land regierte. Durch den Einbruch eines harten
Winters mit seinen naturfeindlichen Elementen wäre das Land für den Men
schen unbewohnbar geworden und hätte so den Auszug der alten Arier aus
dem arktischen Paradies ausgelöst. Für Tilak war dies unzweifelhaft ein Phä
nomen, das in Zusammenhang mit dem Einbruch einer Eiszeit bzw. einer
Zwischeneiszeit oder eines Kältemaximums stehen mußte - ein Vorgang, der
uns bereits in der Lehre Herman Wirths begegnete, der ebenfalls von Tilak
inspiriert wurde.697
Gemäß Julius Evola wurde trotz der lange zurückliegenden Auswan
derung der polare Mythos und die Sehnsucht nach dem Polarstern in den
Nordmenschen bewahrt: „Die Lokalisierung des Urzentrums oder des Ursitzes
der olympischen' Kultur des goldenen Zyklus in einem borealen bzw. nordisch-bo
realen, heute verschwundenen Land ist ein Motiv, das in den alten Überlieferungen
immer wiederkehrt.... Unter seinen zahlreichen Namen ... hatte der hyperboräische
Mittelpunkt die Bezeichnungen Thule, weiße Insel bzw. Insel des Glanzes,, Ursamen
der arischen Rasse' (airyanem-vaejo), Sonnenland und Land Apollos, Avallon."698
Die Polarier scheinen sich der Herkunft des Mythos und der Verlegung
nach Asien gewahr gewesen zu sein und schufen eine geistige Brücke zwi
schen den magischen Landschaften Tibet und dem Pol. Innerhalb ihrer ok
kulten Praxis stand der Polarstern im Mittelpunkt. „Es ist eine uralte Lehre der
Brahmanen Indiens", wie Binder bemerkte, „daß jeder der großen Rishis, oder Wei
sen der Vorzeit, einen Stern des ,Großen Bären' bewohnt und daß der Polarstern
Sitz ihres Oberhauptes ist (Sedir)."699
Mit diesem Wissen ausgestattet, suchten die Polarier offenbar die geis
tige Wiederherstellung der Verbindung zwischen polarer Urheimat und
asiatischem Refugium. Noch 1951 berichtet die Zeitschrift „Neues Europa"
(Neujahrsnummer 1951) über eine merkwürdige Botschaft aus dem Reiche
der Polarier. „Wir werden uns", so heißt es in dieser durch ein Medium ver
mittelten Botschaft, „bald mit den Menschen des Westens in Verbindung setzen,
wenn sie die ihnen auferlegte letzte Prüfung bestanden haben. Dann hebt das neue
Zeitalter an, das erste des Wiederaufstiegs der gefallenen Menschheit."
Und über all der geheimnisvollen Aura der Gesellschaft steht der Grund
satz: „Wenn jemand aus bloßer Neugierde mit uns Zusammentreffen will, so wird
ihm dies niemals gelingen. Aber wenn ihn in der Tat der ehrliche Wille beseelt, sich
einzufügen in die Reihen unserer Brüderschaft, so werden wir, die wir seine Gedan
ken lesen, ihm die Wahrheit all unserer Versprechungen sehen lassen; und zwar,
ohne daß wir ihm den Sitz unseres Ordens weisen müßten, da schon allein seine
228
Gedanken, zusammen mit seinem ernsthaften Willen, genügen werden, ihn zu uns
zu führen und uns zu ihm."700
Einer der zu den Polaires geführt wurde, war zweifellos Gaston de Men
gel, der in unserem Kontext eine besondere Bedeutung einnimmt.
229
Annahme eines einstmals existenten Aktenbestandes durch die wenigen vor
handenen Dokumente, die mit der Okkultforschung in Verbindung stehen.
230
„Wie dem Reichsführer durch Herrn von Grönhagen bekannt geworden ist, hält
sich zur Zeit Herr de Menget in Berlin auf. Er kam auf Vorschlag und Veranlassung
des Herrn v. Grönhagen zu zwei Besprechungen, wobei dieser einen kurzen Über
blick über seine Forschungen, Studien und weiteren Absichten gab. Nach seiner
und den Angaben des Herrn v. Grönhagen verfügt er über eine ungewöhnlich reich
ausgesuchte Literatur, die in ihrer Art Seltenheit besitzen dürfte. ... Seine Studien
erstrecken sich auf vorchristliches, indisches, persisches und teilweise chinesisches
Schrifttum, behandeln die Entwicklung verschiedener Geistes- und Religionsfragen;
unter anderen interessiert er sich eingehend für die Edda, die Veden, die Kabala usw.
Sonderstudien befassen sich mit Berechnungen über den Pyramidenbau, über alte
Baugeheinmisse mittelalterlicher Bauhütten usw.... an einer dieser Besprechungen
nahm auf meine Veranlassung hin SS-Oberscharführer Otto Rahn teil, weil dieser
ein großes Interesse für die verschiedenen angegebenen Gebiete besitzt und fließend
französisch spricht. Soweit SS-Oberscharführer Rahn auf einer seiner früheren
Reisen über die von Herrn de Mengel berichteten Forschungen eigene Beobachten
machen konnte, bestätigte er deren Richtigkeit."708 Darauf reagiert Himmler mit
einem Schreiben seines Stabes, in dem Weisthor beauftragt wird, für die
Fotokopie und Übersetzung der Werke de Mengeis zu sorgen. Ferner wird
Weisthor das Einverständnis für weitere Besprechungen mit dem britischen
Autoren gegeben, denen sich Himmler gelegentlich anschließen würde.709
Dem Wunsch Weisthors entsprechend, werden Rahn und von Grönhagen
als Übersetzer der Werke De Mengeis nominiert, Dr. Fritz Bose, Abteilungs
leiter der Ahnenerbe-Stätte für Indogermanische Musik soll die musikwis
senschaftlichen Arbeiten, Frenzolf Schmid die mathematisch-astronomi
schen Ausführungen begutachten.710
In Schmids Stellungnahme vom 21. März 1937 werden die „magischen
Rechnungen" De Mengeis als „auf alten Erkenntnissen aufgebaut und richtig"
bewertet, wobei Schmid sicher ist, daß „die Feststellungen de Mengeis bewußt oder
unbewußt durch die bezogene Vorliteratur, sowie auch auf die Gedanklichkeit der
Attalantiner, .... damit auf den arischen Weltkreis zurückreichen, der nicht nur von
den Germanen, sondern auch von anderen arischen Völkern übernommen wurde."711
Zur gleichen Zeit erhält de Mengel den Auftrag einen Bericht über Ge
heimbünde für die SS zu erstellen - dieser Bericht fehlt jedoch in den sonst
erhaltenen Akten.712 Mit seinen bereits im Artikel von 1935 erfolgten Spe
kulationen über Geheimgesellschaften und selbst politische Bewegungen,
die nichts anderes seien als „Instrumente, manipuliert von Gruppen ausgestattet
231
mit einer ungeahnten Kraft,
die auf ein einzigartiges und
schreckliches Ziel abzielen“713
dürfte er jedoch bei dem
okkultgläubigen Himmler
offene Türen eingerannt
haben. Der SS-Chef jeden
falls verpflichtet den Bri
ten für die SS im Rahmen
nachrichtendienstlicher
Tätigkeiten.714 Am 22. Mai
1937 reist dieser, finanziert
von der SS, nach Finnland, Nicholas Roerich: „The Command ofRigden
wo sich bereits Yrjö von Djapo der „Herrscher Shambalahs
Grönhagen aufhält. Von
Helsinki aus sendet De Mengel am 23. Juni einen Bericht an Weisthor in Ber
lin, der überaus obskur anmutet: Demnach habe er ein „Schwarzzentrum"
in Sin-Kiang (Mongolei) lokalisiert, welches durch eine „Kraftachse" mit
Murm (Finnland) in Verbindung stehe.715 Überraschenderweise ist der Brief
mit der Unterschrift De Mengeis in deutsch verfaßt, obgleich ja Rahn offiziell
in Deutschland noch als Übersetzer fungierte. Den „Kraftlinien und -Zent
ren", die den Hintergrund dieser Forschung darstellten, liegen Annahmen
zugrunde, denen zufolge es auf unsichtbaren sogenannten Kraftlinien ver
bundene Orte gibt, die eine physikalisch nicht meßbare Kraft bergen. Diese
Kraft würde an einem Ort gebündelt und für bestimmte Zwecke nutzbar ge
macht. Dabei unterschieden sich die zwischen Weißen und Schwarzen Zen
tren, wobei erstere in Zusammenhang mit arischen, letztere mit judäischen
bzw inzwischen freimaurerischen Zirkeln stehen würden. Sowohl bei den
Alliierten als auch den Deutschen existierten jedoch Hellsichtige, welche
diese uralten Orte ausfindig machen könnten, die auch für Kriegszwecke
einsetzbar wären.
Spekulationen zufolge, soll sich auch Otto Rahn 1937 in Finnland aufgehal
ten haben. So erwähnte Arfst Wagner für dieses Jahr eine „Finnland-Expediti
on Rahns" für die allerdings keine Quellen vorliegen. Unbestritten war Rahn
jedoch im Jahr 1937- vor dem 1.9.1937, als er einen 4-monatigen Strafdienst im
KZ Dachau antrat716 - im Auftrag des Reichsführers Himmler mit einer For
713 De Mengel in „Mercure de France", Ausg. VII/1935, zit. nach Wegener (2004), S. 77.
714 So Wegener (2004), S. 81.
715 BArch NS 19 3974 Bl. 45.
716 Vgl. Lange (1999), S. 185; Lange hält nach wie vor eine von Wagner nahegelegte
Finnland-Reise Rahns für ausgeschlossen, so eine pers. Mitteilung an den Verfasser.
232
schung im Ausland betraut, was aus einer Mitteilung des Adjutanten Himm
lers an das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS, welches für die Überprü
fung des Ariernachweises von SS- Angehörigen zuständig war, deutlich wird.
Hier wird mit Hinweis auf die Forschungsreise Rahns dessen die bis dato aus
gebliebene Aushändigung seines Abstammungsnachweises entschuldigt.717
Aufgrund der vorherigen Beteiligung Rahns - gemeinsam mit dem sich nach
weislich in Finnland aufhaltenden von Grönhagen - an den Forschungen De
Mengeis scheint die Möglichkeit jedenfalls nicht ausgeschlossen und würde
auch dem Zitat Sinn verleihen, Rahn habe für Himmler irgendwelche gehei
men Aufträge ausgeführt718 - die naheliegenderweise nicht in irgendwelchen
Akten dokumentiert sind.
Weisthor berichtet Himmler über De Mengeis Mitteilungen und fügt hin
zu: „Ich bringe dieses Schreiben deshalb zur Kenntnis, weil Gaston de Mengel mich
fragt, was ich davon halte. - Ich halte diese Information für immerhin beachtenswert
und bitte ihr entsprechende Aufmerksamkeit zu schenken. Meiner Vermutung nach
werden dort von den Russen nach Übereinkunft mit Frankreich und England Flug
stützpunkte errichtet. Ob diese Vermutung zutrifft, könnte der SD zu ergründen
versuchen."719
Wenige Wochen nach seinem ersten Schreiben legt De Mengel nochmals
nach und schreibt: „Vor einigen Jahren erhielt mein russischer Freund (er half uns
1933 im Kampfe gegen Oung Mong und war so verwegen, uns unter falschen Vor
wänden zu schreiben) aus Cuba ein Paket mit von Oung Mong herrührenden Doku
menten, welche dazu dienen sollten, sogenannte,Buddhistische Zentren' in verschie
denen Ländern zu gründen. In der Anlage seines Briefes, der mich vor einigen Tagen
erreichte, schickte er mir eine Zusammenfassung eines dieser Dokumente.
Auszug einer von Oung Mong 1934 veröffentlichten Erklärung: Das geheime
Hauptzentrum der ganzen buddhistischen Welt, das unter dem Namen ,Einsied
lerreich der Welt' und buddhistisches Zentrum Ch'An Cheng Cob' bekannt ist,
ist, wie man behauptet, zerschlagen worden. Nicht ist falscher als dies. Es ist nur
an einen sichereren Ort verlegt worden, weil da, wo es früher lag, in Urumchi in
Sin-Kiang die politischen Konflikte und andere Unruhen das Führen unseres hei
ligen Sitzes ,Päpstlicher Stuhl' an diesem Ort unmöglich machten. Vor kurzem
ist das , Einsiedlerreich der Welt',Nomade' geworden und hat sich augenblicklich
am Thibet niedergelassen .... Man hat in der Welt sich widersprechende und irrige
Kommentare verbreitet, die von einer schlecht unterrichteten Presse sowie von Ge
sellschaften, die der Gegenwart des erwarteten Messias in dieser Welt, des neuen
Beiehrers der Welt, dem Herrn Maitreya, von dem man annimmt, er sei die letzte
717 Siehe Lange (1999), S. 183; dies erhärtet die Annahmen, daß er sich 1937 ent
weder in Südfrankreich oder aber in Finnland aufhielt.
718 Siehe Kap. 9.3.
719 Barch NS 19 3974 Bl. 48.
233
Reinkarnation des Buddha nicht freundlich gegenüberstehen, herrühren; man ver
sichert schließlich, daß er (Maitreya?) der Prior des buddhistischen Zentrums von
Ch'an Cheng Cob, das in Asien mehr unter dem Namen von Hutulktu Krang Hsi
und in der ganzen Welt bis vor kurzem unter ,Ehrwürdiger (Meister vom Stuhl)
Anagarik Chasshekankraknja alias Oung Mong, Cherenski usw., bekannt ist, sei.
Dieses Dokument bestätigt das Ergebnis meiner Erfahrungen und ebenso unsere
Ansicht, daß Oung Mong wenn nicht der oberste Chef des „Zentrum der Schwar
zen" so doch wenigstens einer seiner Hauptbeauftragten ist. Der Autor dieses Do
kuments hat das Geschick, den Eindruck zu erwecken, das dieses Zentrum das „Gro
ße Zentrum der Weißen", das „Aghartta" (mongolisch Agharti) sei, er gibt ihm
zu diesem Zweck den gleichen Namen und macht die, die evtl, die Angelegenheit
bezweifeln könnten, glauben, daß es sich nicht mehr an diesem Platz befinde (wäh
renddem es noch immer dort ist). Er kann jedoch die, die wissen, daß das Aghart
ta geheim ist, daß seine genaue Lage (im Umkreis von 1500 km vom schwarzen
Zentrum entfernt) und sein Eingang für alle, ausgenommen die, die das Recht des
Eintritts besitzen, unauffindbar ist, daß, wenn jemand durch Zufall hereingeriete, er
nie wiederkäme, nicht täuschen. Vor einigen Jahren haben die Engländer zu diesem
Versuch eine irrsinnige Summe ohne Erfolg ausgegeben.“
Die Existenz eines solchen Berichtes, offiziell verfaßt für den SD der SS bzw.
Himmler persönlich, ist natürlich Wasser auf die Mühlen jedes Okkultautoren.
Der Bericht vom 2. Juli 1937 wurde erst am 19.8. von Frau Schlarb, der
Sekretärin von Grönhagens, an Kurt Ruppmann, Sekretär im Persönlichen
Stab RF-SS, übermittelt - ein Hinweis darauf, daß die Übersetzung erst in
Berlin vorgenommen wurde und zugegebenermaßen gegen eine Anwesen
heit von Rahn in Finnland spricht. Frau Schlarb stellt darin keineswegs - wie
vielleicht zu erwarten gewesen wäre - den ganzen Inhalt in Frage, sondern
meint, „daß eine ganz große Portion Wichtigtuerei dies schreiben ließ, denn die Ge
genseite wird Reichsführer doch nicht ganz als Idioten werten und sich solcher un
geschickten Dummheiten bedienen, um ihn auf falsche Fährte zu locken.... Glauben
Sie, daß eine Organisation, die im Geheimen wirken will, sich einen so einsamen Ort
wie hier beschrieben, aussuchen wird, um bei jedem Kongreß von so und so vielen
Detektiven beobachtet zu werden? Ist dieses in einer Weltstadt nicht viel günstiger?
Außerdem sind die Berichte so, daß man nichts daraus entnehmen kann, was für den
SD von Bedeutung wäre."720
Mit anderen Worten glaubt auch Frau Schlarb und mit ihr von Grönhagen
und Himmler durchaus an eine okkulte schwarze Macht, bezweifelt lediglich
die dortige Lokalisierung.
Auch Günther Kirchhoff, ein auf Vermittlung Wiliguts mit dem Ahnenerbe
in Verbindung stehender Autor, befaßte sich mit den hier angesprochenen
„Kraftzentren". In einer nach dem Krieg veröffentlichten Schrift über „Das
234
politische Rätsel Asien aus
Ortung erschlossen" nann
te er „Lhassa mit dem Potala"
und „Urga, heute Ulan-Bator,
die Mongolen-Kirche", als
„wichtige Lama-Zentren“ und
„Hauptanhaltspunkte für das
Zusammenwirken von Europa
und Asien.“721
Von hier sei in der Ge
schichte immer wieder der
Vorstoß der Horden Asiens
nach Europa, vor allem mit Alexander Kerensky Karl-Maria Wiligut
Stoßrichtung Wien, inspiriert
worden.722
Sicher ist, daß derlei Okkultphantasien zur damaligen Zeit weit verbreitet
waren, denn just zur Zeit der Forschungen De Mengeis schreibt auch Her
mann Rehwaldt über okkulte Zentren in Ulan Bator:
„Ein unter dem Decknamen Iwan Narodny sich verbergender russische Emi
grant enthüllt in längeren Ausführungen in der Dezembernummer 1936 dieser
Zeitschrift [„Asia", New York] die geheimen Bewegungen, die sich in den Bergen,
Hochebenen und Wüsten des geheimnisvollen mittelasiatischen Landes regen. ...
Der heute berühmteste Wahrsager (Sung-Ma) in Mittelasien ist der in Urga, jetzt
Ulan Bator, lebende Priester Gaimar. ... Die Erinnerung an die ehemalige Größe in
den Tagen des Tschingis Chans .. lebt noch im Mongolenvolk.. . Daran knüpft ge
schickt der weissagende Agent des „Herrn der Welt" an und predigt die neue kom
mende Weltreligion als Erbe der verflossenen mongolischen Weltherrschaft:, Unsere
neuen galoppierenden Legionen werden das Banner der Brüderlichkeit und Liebe
tragen..... Lhassa wird nicht länger das heilige Heim unseres zukünftigen Prophe
ten und ein Dalai Lama wird nicht länger der hohe Magier unseres Lebens sein. Es
wird ein neuer Theos der Wüste erstehen, ein hoher Führer unserer sich erhebenden
goldenen Horde. Von jetzt an wird Gobi das heilige Land aller Pilger der Welt sein,
das Hauptquartier der künftigen lichtverbreitenden Legionen. ... Unsere Wüsten
zelte und die New Yorker Wolkenkratzer werden die letzten Endes entscheidenden
Tempel in den kommenden Wirren einer verrückten Welt sein'"723
235
Rehwaldt folgert daraus, daß der Zeitpunkt zu nahen scheint, „da der Herr
der Welt hinter dem ihn umgebendem Schleier des Geheimnisses hervortritt und
sich der staunenden Welt als neuer Führer und Gott vorstellt."
Ebenso berichtet der Autor von einem weiteren Propheten, „Tseiben-He-
gen", Abt eines Gobi-Klosters, der ähnliches wie Gaimar verkündet und eine
neue „Tibetische Bibel" niederschreiben wollte.724
Wie es scheint, gab es von verschiedenen Seiten Bestrebungen, die alten
Mythen und westlichen Adaptionen durch Theosophen und Neo-Rosenkreu
zer in eine bestimmte Richtung zu kanalisieren, die einen völligen Umsturz
der tibetisch-asiatischen Verhältnisse anstreben und so viele Asiaten ebenfalls
für eine „neue Weltordnung der Brüderlichkeit und Liebe", freilich unter Vor
spiegelung des Wiedererstehens der „Goldenen Horde", zu mobilisieren. Dies
war zumindest die Deutung De Mengeis, dem Himmler hier durchaus ge
folgt sein dürfte. Überliefert ist jedenfalls sein zustimmender Kommentar zu
den Thesen des Freimaurer-Autoren Karl Heise bezüglich des Zusammenspiels
zwischen russisch-bolschewistischen und anglo-amerikanischen Kreisen.725
Wegener identifiziert den von De Mengel Cherenski genannten Meister vom
Stuhl als den jüdisch-russischen Revolutionsminister Alexander Kerenski,726
der gemäß Heise, Mitglied des B'nai Brith Ordens war und als „Beschützer des
Bolschewismus" galt.727 Kerenski war im Oktober 1917 als Ministerpräsident
der Übergangsregierung von den Bolschewiki gestürzt worden und nach Paris
emigriert, von wo aus er nach der deutschen Besetzung 1940 in die USA floh.728
In die USA weist auch ein weiterer Akteur, ein US-Architekt, der als Ein
siedler unter dem Namen „Donaldo Lama" mit seinen Anhängern an der
Errichtung eines Tempels 300 Meilen südlich von Ulan Bator für den kom
menden Propheten arbeitete.729
Ungeachtet dieser Spekulationen und Mythen sind spätestens mit Kriegs
beginn, dem die Entlassung Weisthors kurz zuvor ging, keinerlei Aktivitäten
Himmlers in dieser Richtung mehr nachweisbar. Scheinbar stellte das Ahnen
erbe bezüglich der Eingaben de Mengeis keinerlei eigene Forschungen an. Aus
einem Schreiben Ruppmanns an Wolff geht hervor, daß das Ahnenerbe für
die (fotokopierten und übersetzten) Arbeiten de Mengels keine Verwendung
hatte, so daß diese schließlich sogar im Archiv der Wewelsburg gelandet sein
sollen, wo sie jedoch bei Kriegsende „verloren" gingen.730 Denkbar wäre aber,
236
daß in Reaktion auf das Desinteresse der beteiligten Ahnenerbe-Mitarbeiter
die Gründung jener Ahnenerbe-Forschungsstätte vorangetrieben wurde, die
1939 als existent bezeichnet wird, von der aber jede Spur in den Akten fehlt:
Die Abteilung zur „Überprüfung der sogenannten Geheim Wissenschaften"
Wie ist aber die Arbeit de Mengeis heute einzuschätzen?
Noch im Jahr 1947 bezeichnet Guenon den Briten als „den armen de Mengel,
der seinerseits beauftragt war, das Reich Karl des Großen wiederzuerrichten!"731
Damit spielt er auf den Zusammenhang de Mengels mit Monti und den
entsprechenden okkulten Kreisen an. Aufgrund dieser Bemerkung besteht
die Möglichkeit, daß De Mengel vielleicht noch andere Ziele außer der Auf
klärungsarbeit für die SS verfolgte. Bereits 1922 hatte der umtriebige Monti
versucht, Okkultisten für die „Erneuerung des Templerordens" zu gewin
nen, hinter dem sich tatsächlich der „Ordo Templis Orientis" (OTO) ver
barg, der von Theodor Reuß gegründet und vom berüchtigten Okkultisten
Aleister Crowley geleitet wurde, der wiederum ebenfalls im Verdacht der
Spionage für Deutschland stand.732 Die Gründung der esoterischen Studi
engruppe gemeinsam mit De Mengel 1924 dürfte in dieselbe Richtung ge
zielt haben. Auch wenn zwischen dieser Zusammenarbeit mit Monti und De
Mengeis Tätigkeit für die SS 13 Jahre vergangen waren und Monti ein Jahr
zuvor verstarb, wäre es nicht verwunderlich, wenn De Mengel im Auftrag
der Polaires oder einer anderen Gruppe Kontakte mit Deutschland und hier
speziell mit Himmler gesucht hätte.733 In Frage käme, da De Mengel trotz
seiner französischen Kontakte Brite war, die 1936 aus der 1934 in England
begründeten britischen Polaires-Gruppe hervorgegangene „White Eagle
Lodge"734, oder aber die hinter den Polaires wirkende Martinisten-Synar-
chisten-Gruppe (OMS) Blanchards, der seit 1933 Präsident der Polaires war
und 1934 in Belgien einen Zusammenschluß „initiatorischer Logen" (FUDO-
SI) gegründet hatte und sich selbst als „Universellen Großmeister der Rosen
kreuzer" bezeichnete.735 Die FUDOSI (Föderation Universelle des Ordres et
Societes Initiatiques) umfaßte diverse Rosenkreuzer- und Martinisten-Grup-
pen sowie die Bruderschaft der Polaires.736
Leitung der Akten an die Wewelsburg gemacht wird - ob sie tatsächlich dort eingin
gen ist allerdings ungewiß.
731 Brief an Rene Allar vom 31.12.1947, zitiert nach Schwarz (Rezension Wegener)
732 Pasi (2006), S. 124 Webb (2008), siehe S. 564ff. zur hier als abwegig erkannten
These, Crowley habe Hitler getroffen bzw. sogar beeinflußt.
733 Vgl. dazu Wegener (2004), 84 f.
734 Vgl. ebenda, S. 140.
735 Vgl. www.naderlibrary.com/cult.martinist.htm; ergänzend: http://www.her-
manubis.com.br/artigos/EN/ARENVictorBlanchard.htm.
736 Vgl. auch Wikipedia: FUDOSI.
237
Angesichts dieser Gemengelage verschiedenster „okkulter" Verbindun
gen und Gruppen bleibt festzuhalten, daß der Sachverhalt keineswegs so
klar ist, wie man nach Lektüre der Gralsbücher Baigents / Leighs oder der
Romane Dan Browns meinen könnte: Auf der einen Seite die katholische
Kirche, auf der anderen die in der Tradition des alten heidnischen Wissens
stehenden Geheimgruppen der Illuminaten oder der Prieure de Sion - viel
mehr verfolgen die vielen Gruppen allesamt individuelle Ziele, überschnei
den sich oft jedoch personell und gehen Bündnisse miteinander ein, um sich
im nächsten Moment wieder zu bekämpfen. Im Zenit dieser Machtkämpfe
standen in den 30er und 40er Jahren viele Protagonisten, die eng mit dem
Nationalsozialismus verwoben waren: Otto Rahn, Karl-Maria Wiligut und
Julius Evola, wobei der wichtigste Handlungsraum zu dieser Zeit unzwei
felhaft in Frankreich lag. Symbolisch für dieses Ringen steht das von der
französischen Exilregierung Charles de Gaulles zum Erkennungszeichen ge
wählte „Kreuz von Lothringen". Dieses auf das Fürstenhaus von Anjou zu
rückgehende Zeichen wurde von Plantard und der Prieure de Sion als Wap
pen Jesu angesehen, findet sich jedoch auch auf dem Titelumschlag zweier
Bücher, die im 3. Reich eine hohe Auflage hatten und auch bei Himmler in
hohem Ansehen standen: Den Büchern des Otto Rahn.737
Im Zentrum dieses Wirkens jedoch steht stets die auch mit dem Wirken
Jesu - ob als mythologische oder reale Person - verbundene Suche sowohl
nach Ursprung als auch nach dem „Urgrund" menschlichen Wirkens, das in
dieser Zeit mit dem Mythos des Ariers als erstem „Kulturbringer" verknüpft
war. Und auch wenn dieser Ursprung wie dargelegt im arktischen Norden zu
suchen ist, so weisen doch Indizien auf eine Erhaltung der in Europa nahezu
ausgetilgten Überlieferung in Asien und speziell in Tibet hin. Und eben dieses
Land lag auch im Fokus von Himmlers Ahnenerbe.
737 Gemäß Carmin (2005), S. 370ff., könnte die Prieure de Sion in ihrem Bestreben
der Wiedererrichtung eines merowingischen Königshauses vom „Stamm David“
gar Urheber der in den Protokollen der Weisen von Zion enthaltenenen Pläne zur
Erringung der „Weltherrschaft" sein.
238
10. Geheimnis Tibet - Rätsel Paraguay
Ernst Schäfer & die SS-Expeditionen
738 Emst Schäfer: Unveröffentlichte Memoiren, zit. nach Sünner (1999), S. 48 Sün-
ner gibt zwar den Namen des Verfassers der unveröffentlichten Memoiren nicht preis,
jedoch zitiert Hans-Jürgen Lange aus der gleichen Quelle mit Schäfers Namensangabe.
239
sen sei739 - eine Behauptung, die angesichts der zuvor genannten Fakten einer
Überprüfung überflüssig scheint. Tatsächlich stand das Interesse des 3. Rei
ches an Tibet primär in Zusammenhang mit dem Forscher Emst Schäfer.
240
Ernst Schäfer - Bruno Beger - Karl Krause - Edmund Geer
tibetischen Lebensraum zu bahnen“, wie es Schäfer selbst formulierte.743 Ob
gleich die Leitung dem Amerikaner Dolan oblag, fungierte Schäfer als wis
senschaftlicher Leiter. Schäfer war es auch, der zu Beginn der Reise Kontakte
zum Panchen-Lama, dem damaligen höchsten geistlichen Würdenträger Ti
bets knüpfte, und die Expedition nach der vorzeitigen Abreise der anderen
Teilnehmer alleine fortsetzte.744
Schäfers Expeditionspartner Brooke Dolan hingegen, sollte ebenfalls noch
eine Rolle spielen. 1943/44 soll er - einer unbestätigten Quelle zufolge - eine
gemeinsame Forschungsreise mit Ilja Tolstoi, Enkel von Leo Tolstoi, unter
dem Befehl des OSS - dem US-Geheimdienst und Vorläufer der CIA - nach
Tibet geführt haben, die Kontakt zum Dalai Lama aufnahm und vermutlich
die Tätigkeit der Ernst-Schäfer-Expedition 1939 eruieren sollte.745
241
Das „Treffen des westlichen und östlichen Hakenkreuzes" -Tibet 1939
Gebieten zu einer großen Idee, einer einheitlichen Blickrichtung und einer festen
Kampfeskameradschaft zusammenzuschweißen. "746
Himmler, der Schäfer nach dessen Rückkehr aus Tibet 1936 zum SS-
Obersturmführer ernannt hatte, suchte hingegen die Expedition offiziell
unter die Leitung des Ahnenerbes zu stellen, um so einerseits Einfluß auf
die Forschungen ausüben zu können und andererseits die Reputation des
Ahnenerbes zu verbessern. Zu diesem Zweck vermittelte Himmler Gesprä
che zwischen Schäfer und den Ahnenerbe-Leitern Wüst und Sievers, die je
doch scheinbar nicht den gewünschten Erfolg erbrachten: Schäfer beharrte
auf der Unabhängigkeit seiner Expedition und lehnte die von Himmler be
absichtigten Forschungsprojekte zumindest zum Großteil ab. Von der vom
Ahnenerbe für die Expedition vorgeschlagene Mannschaft, zu der neben je
einem Runenforscher, Urgeschichtlicher und Religionswissenschaftler auch
der renommierte Atlantis- und Welteisforscher Kiss zählen sollte - obgleich
dieser zur betreffenden Zeit noch nicht dem Ahnenerbe angehörte,747 nahm
schließlich kein Vertreter teil; ausdrücklich lehnte Schäfer die Mitnahme
von Kiss ab, da er den wissenschaftlichen Ruf der Expedition durch dessen
Welteis-Forschungen bedroht sah.748
746 Schäfer (1938), S. 3.
747 So Sünner (1999), S. 49; vor seinem Eintritt ins Ahnenerbe war Kiss allerdings
schon SS-Mitglied.
748 So Greve (1995), S.171.
242
Regent Reting Rimpoche - König von Gautsa - der englische Agent Yatung
Der Zoologe beharrte auf seinen ursprünglichen wissenschaftlichen For
schungszielen und nominierte den Geophysiker und Erdmagnetiker Karl
Wienert, den Anthropologen und Ethnologen Bruno Beger, den Entomolo
gen und Kameramann Ernst Krause sowie als technischen Leiter und Kara
wanenführer Edmund Geer als Teilnehmer der Expedition. Damit verzich
tete er zugleich auf eine Finanzierung der Forschungsreise durch Himmler
bzw. das Ahnenerbe, was allerdings auch dem Leiter Sievers entgegenkam,
der die Expedition für „zu teuer" befand.749 Himmler blieb lediglich die of
fizielle Schirmherrschaft und die Übernahme der Rückflugkosten der Ex
pedition, die dennoch offiziell als „Tibet Expedition Ernst Schäfer. Unter
der Schirmherrschaft des Reichsführers SS Himmler und in Verbindung mit
dem Ahnenerbe e.V. Berlin" firmierte.750 Obgleich der Reichsführer SS sich
genau wie Sievers durch Schäfer brüskiert hätte fühlen können, blieb er in
fast freundschaftlichem Kontakt zu Schäfer, während Sievers sich offiziell
von der Expedition distanzierte. Himmler dürfte dadurch zufrieden gestellt
worden sein, daß zumindest der Teilnehmer Bruno Beger, wie Schäfer ein
späteres Mitglied des Ahnenerbe, mit seinen rassekundlichen Untersuchun
gen von Tibetanern, die etwaige nordische Einwanderungen beweisen soll
ten, seinen Forschungsansprüchen entsprach.751 Andererseits bleibt die Fra
ge offen, warum Schäfer, der doch erst kürzlich von seinem Dienstherren
243
befördert wurde, eine Verärgerung Himmlers in Kauf nahm. Ging es ihm,
wie von Greve angenommen, allein um seine wissenschaftliche Reputati
on, die doch durch Forschungen anderer Teilnehmer in anderen Fachgebie
ten nur indirekt betroffen gewesen wäre? Anzunehmen ist vielmehr, daß
Schäfer zwar die Beistellung bestimmter Teilnehmer ablehnte, Beger jedoch
auf Anraten Himmlers mitnahm, da dieser Mitarbeiter des Rasse- und Sied
lungshauptamtes der SS war und erst durch Schäfers Gespräche mit dem
Ahnenerbe die Bekanntschaft mit Schäfer machte.752 Dazu kommt, daß das
Ahnenerbe zu dieser Zeit nach Angaben Katers durchaus finanzielle Prob
leme hatte und sich wohl deshalb offiziell von der Expedition distanzier
te.753 Doch war die Mitnahme Begers der einzige Grund für Himmler Schäfer
„jede Hilfe zu versprechen, die dieser benötigen" würde754 und außerdem
Schäfer nach dessen Rückkehr noch zum Leiter der Innerasien-Abteilung
des Ahnenerbes zu machen? In jedem Fall regen diese Vorgänge zu Speku
lationen an - wäre es möglich, daß Schäfer neben seinen offiziellen, rein wis
senschaftlichen, Forschungszielen, die durch die Ablehnung der Ahnenerbe
Mitarbeiter nach außen dokumentiert wird, geheime Aufträge Himmlers
durchführte, die diesen zur Vorzugsbehandlung Schäfers veranlaßten? Fest
steht, daß sowohl Schäfer als auch Beger vor ihrer Tibetreise Unterredungen
mit Himmler und Weisthor, dem seherische Veranlagung in Bezug auf die
Vorgeschichte zugesprochen werden, hatten. Himmler unterwies Schäfer
bezüglich einer weltumspannenden Atlantiskultur deren Reste u.a. in Tibet
zu finden seien.755 Auslöser für die Hoffnung Himmlers dort „arische Spu
ren" zu finden könnte auch eine wenige Jahre zuvor durchgeführte Expedi
tion Prof. Römers und des Naturwissenschaftlers Scheibe gewesen sein. Auf
dieser „Deutschen Hindukusch-Expedition 1935" hatte Scheibe von blau
äugigen Menschen berichtet, die er oft bei den entlegensten Bergstämmen
Zentralasiens angetroffen hatte, und die er als Reste von Ur-Ariern ansah.756
Während seines Besuches bei Weisthor hat Schäfer miterlebt, wie sein Gast
geber während der Unterredung in einen „tranceartigen Zustand" fiel, den
er schon bei seinen ersten Forschungsreisen bei „Botenläufern im tibetischen
Hochland" erlebt hatte. Während dieses Zustandes erwähnte Weisthor Na
men von tibetischen Klöstern und deren Äbten, die eigentlich nur ihm be
kannt gewesen sein konnten. Darüber hinaus sprach er von einem „Schlüs
sel eines Schöpfungsgesetzes, der beim Dalai Lama zu finden sei.757
752 Diese Annahme findet sich auch, allerdings versteckt, bei Greve (1995), S. 172 f.
753 Kater (2006), S. 80.
754 Zit. nach Greve (1995), S. 172.
755 Nach Sünner (1999), S. 48.
756 So Mierau (2006), S. 15.
757 Lange (2010), S. 68; ebenso Sünner (1999), S. 50.
244
Bereits einige Monate zuvor kam es zu den zuvor erörterten Gesprächen
zwischen Weisthor und dem französischen Okkultautor Gaston de Men
gel, in deren Verlauf auch Tibet thematisiert wurde. Unbestritten dürften
die Ansichten des britischen Okkultisten, denen zufolge Tibet als Teil der
„arisch-attalantischen Kraftachse" von Bedeutung sei, auf diesem Weg Ein
gang in Weisthors bzw. Himmlers Vorstellungen bezüglich der Forschung
in Tibet gefunden haben.758 Gegenüber Beger soll Weisthor dagegen konkre
te Forschungshinweise gegeben haben, die der Anthropologe jedoch nach
dem Krieg als „lachhaft und abstrus" bezeichnete.759 Zumindest untersuchte
Beger tatsächlich Bevölkerungsgruppen des Himalayas auf Hinweise nor
discher Rasse sowie die Einflüsse der nordischen Art auf die seinerzeitige
tibetische Bevölkerung, was auf eine Übereinstimmung mit den Thesen
Himmlers hinweist. Ebenso könnte der Erforschung der Tierwelt Tibets die
Frage nach der Widerlegung der Abstammungstheorie Darwins zugrunde
gelegen haben, die ja mit der Vorstellung eines uralten „arisch-atlantischen
Kulturkreises" insofern kollidiert, als daß Himmler das Hervorgehen dieser
aus einem in Afrika beheimateten „Affenmenschen" ablehnte.
Neben den anthropologischen Forschungen Begers, die klar im Anliegen
des Ahnenerbe bzw. Himmlers lagen, sind auf einem 1994 der Öffentlichkeit
wieder zugänglich gemachtem Dokumentarfilm („Geheimnis Tibet") über
diese Expedition auch tibetische Zeremonien und Rituale dargestellt, welche
die Vermutung eines okkulten Hintergrundes der Expedition gestützt haben
könnten, für die es im Ahnenerbe ja ebenfalls eine Abteilung gab.760 Die erste
öffentliche Aufführung des Filmes, der die drei höchsten Auszeichnungen er
hielt, die der NS-Staat für Filme zu vergeben hatte: „staatspolitisch wertvoll,
künstlerisch wertvoll und kultu
rell wertvoll", erfolgte, begleitet
von „Richtlinien für die Propa
ganda" erst am 16. Januar 1943 in
der Münchner Ludwig Maximili
an Universität zur Eröffnung des
Sven-Hedin-Institutes. Vormittags
wurde vom Institutsrektor Wal
ther Wüst die Ehrendoktorwürde
der Naturwissenschaftlichen Fa
kultät an den schwedischen Asi- Schäfer, Himmler und Beger nach
Rückkehr der Expedition aus Tibet
758 Siehe vorangehendes Kapitel 9.
759 Lange (2010), S. 68.
760 Auch das Autorenduo Röttgen („Victor & Victoria Trimondi'') verwies auf
den Tibet-Film zur Untermauerung seines Versuchs, okkulte Hintergründe der Be
ziehungen zwischen dem 3. Reich und Tibet aufzudecken.
245
enforscher Sven Hedin verliehen. Sven Hedin war völlig hingerissen. „Groß
artig, wunderbar, was wir hier gesehen haben!" - rief er aus und schüttelte dem
jungen SS-Untersturmführer Ernst Schäfer immer wieder die Hand: „Sie sind
der Mann, der meine Forschungen fortsetzen sollte und muß!" soll der schwedische
Forscher gemäß Trimondi gegenüber Schäfer geäußert haben.761
Spekulationen ranken sich auch um geheime tibetische Bücher, die Schä
fer eingesehen und womöglich mit nach Deutschland gebracht habe. Tat
sächlich jedoch ist aus Schäfers Reisebericht keinerlei Anhaltspunkt dafür
auffindbar. Allerdings lassen sich bei Schäfer Hinweise auf ein „108 seifiges
heiliges Dokument der Tibeter, den „Kangschur"" finden, der von der Expe
dition mitgebracht wurde.762
Belegt sind ferner direkte Kontakte der Schäfer-Expedition zur tibetischen
Regierung: In Lhasa kam es zu einem sogenanten „Treffen des westlichen
und östlichen Hakenkreuzes“, welches auf den Argwohn des dortigen briti
schen Gesandten, H.E. Richardson, stieß. Insbesondere sah Großbritannien
seine Vormachtstellung in Tibet gefährdet. Schäfer bemerkte dazu in sei
nen Aufzeichnungen, daß das Hakenkreuz ihnen in Tibet die Tore geöffnet
habe: „Wie mir ein einflußreicher Tibeter trefflich sagte, war es das erste mal in der
Geschichte Tibets, daß sich das westliche und östliche Hakenkreuz ... auf der Basis
kulturellen Austausches und wissenschaftlicher Erkenntnis treffen."763764
Auch ein offizielles Schreiben Reting Rinpoches an Hitler wurde den For
schungsteilnehmern mitgegeben. In diesem Schreiben erwidert der tibetische
Regent das Angebot der freundschaftlichen Beziehungen zwischen Deutsch
land und Tibet mit folgenden Worten: „....... Deshalb erstrebt jetzt der Leiter der deut
schen Tibetexpedition, der Sahib Schäfer, zumal keine Schwierigkeiten im Weg stehen,
bis zu einem unmittelbaren Verkehr mit Tibet nicht nur das Ziel der Festigung der
(persönlichen) freundschaftlichen Beziehungen, sondern hegt darüber hinaus auch den
Wunsch einer künftigen Ausdehnung des vorgenannten gegenseitigen freundschaft
lichen Verkehrs auf (unsere beiderseitigen) Regierungen. Nehmen Sie nun, Euer Ex
zellenz, Führer (wörtlich König) Herr Hitler, zu diesem Verlangen auch gegenseitiger
Freundschaft, wie sie von Ihrer Seite ausgesprochen wurde, unsere Zustimmung."76*
Dieses Schreiben beweist, daß auch Hitler mit der Expedition durchaus
politische Zwecke verknüpfte, die in der Anknüpfung freundschaftlicher
Kontakte zwischen Tibet und Deutschland lagen und auch den Aspekt „ge
heimdienstlicher Aktivitäten" insofern umfaßte, als daß Lageberichte über
246
Bruno Beger und der junge Reting Rimpoche -1939
Land und Leute auch an den SD weitergereicht wurden.
Daneben erwähnt Schäfer Geschenke des Regenten an Hitler, darunter
eine silberne Teekanne, einen weißen Kathag-Seidenschal sowie einen Lha
sa- Apso-Hund. Weitere Geschenke und ein Brief unbekannten Inhaltes wur
den Schäfer für Himmler übergeben.765
247
Nach Indiskretionen Schäfers in Bezug auf die geplante waffentechnische
Ausbildung seiner Gruppe gegenüber dem noch nicht genau in Kenntnis
gesetzten Abwehrchef Gehlen, bekam Rosenberg Wind von der Sache und
habe Hitler zur Absetzung des Plans bewogen, da er selber eine ähnliche
Operation mit Hilfe afghanischer Söldner vorbereitete.767
Nach eigener Aussage soll Schäfer bereits 1941 aufgrund vorgeworfener
„mangelnder Treue zur NS-Weltanschauung" ein Strafkommando an der
finnischen Front erhalten haben. Zu dieser Zeit plante sein Ahnenerbe-Kol
lege Beger für die Zeit nach dem Sieg gegen England, eine Expedition zur
Erforschung der nordischen Rasse in Zentralasien.768
Den Aussagen Schäfers bezüglich seiner schwindenden Anerkennung in
nerhalb der SS stehen jedoch Erörterungen bezüglich der Aussendung neuer
Expeditionen nach Tibet und die Frage der Tätigkeit der Innerasien-Abteilung
während der AbwesenheitSchäfers entgegen. Während Bruno Beger, dem auch
die wissenschaftliche Auswertung der „Erfahrungen während der SS-Tibetex
peditionen" angetragen wurde, offensichtlich größeren Einfluß innerhalb der
Abteilung erlangen sollte, ist eine Herabsetzung Schäfers - die auch aus wis
senschaftlicher Perspektive ungeraten schien - nicht zu bestätigen. Vielmehr
war ein Fronteinsatz auch verdienter und hohe Ränge bekleidender Forscher
innerhalb der SS gang und gäbe, nur in seltensten Fällen wurde eine Unab
kömmlichkeit für Angehörige der SS ausgesprochen, da gerade diese mit gutem
Beispiel vorangehen sollten. Dementsprechend ist auch Schäfers Einplanung in
das sogenannte „K-Projekt" zu verstehen, welches eine neue Expedition un
ter seiner und Begers Führung nach Zentralasien vorsah, bei der die Bereiche
„Erde, Pflanze, Tier und Mensch" wissenschaftlich und ganzheitlich erfaßt wer
den sollten. Wichtigstes Teilgebiet des Projektes, welches sich im August 1942
erst einmal auf den Kaukasus beschränken sollte, war die rassekundliche Erfas
sung der Kaukasus-Völker, um eine Entscheidung hinsichtlich der Behandlung
dieser Völker nach ihrer militärischen Unterwerfung zu erleichtern. Abgesagt
wurde das Projekt nach Greve aufgrund der Niederlage der deutschen Heere
im Osten, vor allem bei Stalingrad, obgleich sich dies erst einige Monate nach
dem ursprünglichen Termin im August ereignete.769
Ungeachtet dieser Fakten erscheinen in der Okkultliteratur Spekulatio
nen über weitere Tibet-Expedition, auch während der Kriegszeit. So läßt der
unter dem Pseudonym schreibende Autor Rüssel Mc Cloud in einem fiktiv
esoterischem Roman „Die Schwarze Sonne von Tashi Lhunpo", einen Karl
Steiner auftreten, der im Jahre 1942 mit 12 weiteren SS-Männern eine Reise
nach Tibet im Auftrag Himmlers und unter Mitwirkung Karl Haushofers an-
248
getreten habe. Die am 7. Juli 1942 begonnene Expedition
- die Steiner als „letzte mehrerer Expeditionen" bezeich
net, die „vor allem auf Veranlassung des Ahnenerbes"
durchgeführt wurden - hätte die Verbindungsaufnah
me zu einer buddhistischen Sekte namens „Gelbmüt
zen" zum Ziel gehabt.770
Die einzige tatsächliche Verbindung zwischen Karl
Haushofer und dem Ahnenerbe bestand dagegen in
der Übernahme der Präsidentschaft der von Hausho
fer mitgegründeten „Akademie zur wissenschaftlichen
Erforschung und Pflege des Deutschtums - Deutsche
Heinrich Harrer
Akademie" durch den Ahnenerbe-Vorsitzenden Prof.
Wüst.771 Eine Mitgliedschaft Haushofers im Ahnener
be oder auch in der Thule-Gesellschaft, die ebenfalls als geheime okkulte
Zentrale des dritten Reiches bezeichnet wird, läßt sich, wie bereits zuvor
dargestellt, trotz hartnäckiger Gerüchte nicht feststellen.772
Zwar hatte Himmler noch im Frühjahr 1942 angekündigt, daß „die Ti
bet- und die gesamte Asienforschung stärkstens ausgebaut werden soll",
jedoch sprechen die Akten gegen eine weitere Tibet-Expedition während
der Kriegszeit: Ein Aktenvermerk Sievers verlegt ausdrücklich weitere dies
bezügliche Forschungen auf die Zeit nach dem Krieg.773
Unabhängig von der Expedition Ernst Schäfers waren im Sommer 1939 vier
Deutsche Bergsteiger, darunter Heinrich Harrer, in den Himalaya aufgebro
chen, um den „Deutschen Schicksalsberg", den Nanga Parbat zu besteigen.774
Himmler hatte Harrer anläßlich einer Ehrenfeier zur Erstbesteigung der
Eiger-Nordwand durch den Österreichischen Bergsteiger, der seit 1938 SS-
Mitglied war, bereits eine Teilnahme an Schäfers Tibet-Expedition angeboten.
Allerdings plante Harrer seine eigene Bergtour, die dann schließlich aufgrund
des ausgebrochenen Krieges in britischer Gefangenschaft endete. 1944 gelang
Harrer die Flucht, die ihn nach Tibet führte, wo er 1946 zum Lehrer des inzwi
schen inthronisierten Dalai Lamas wurde.775
770 McCloud (1997), S. 150 ff.; der Name Karl Steiner erinnert sowohl an Rudolf
Steiner, den Begründer der anthroposophischen Lehre, mit dem gewisse esoterische
Spekulationen verbunden sind, die beispielsweise in dem Machwerk „Die heilige
Lanze- Der Speer von Golgotha" von Trevor Ravenscroft auftauchen.
771 Vgl. Kater,(2006) S. 281.
772 Siehe Pauwels/Bergier (1967), zur Richtigstellung Rose (2003), S. 173ff. (vgl.
Kapitel 1).
773 Sievers, S. 126.
774 Zu Harrer vgl. Mierau (2006), S. 179 ff.
775 Vgl. Trimondi (2002), S. 169; der Aufenthalt Harrers wurde 1997 unter dem
249
Obgleich Harrer, der in Tibet auch die Armee ausbildete, während seiner
Gefangenschaft kaum von weiterreichenden Plänen für SS-Unternehmun
gen im Himalaya wissen konnte, wird er desöfteren in einen solchen Zu
sammenhang gebracht. Auch Harrers Erlebnisberichte über „Geister und
Dämonen", mit denen er u.a. in Tibet Bekanntschaft machte, sorgten für
Spekulationen, die sich in das Themenfeld SS-Tibet-Okkultismus einfügen
ließen.776 Auch wenn Harrers spätere Beteuerungen, sich vom nationalsozi
alistischen Gedanken bereits während des Krieges entfernt zu haben, eine
Schutzbehauptung darstellen dürften, ist eine Tätigkeit Harrers in Tibet im
Sinne Himmlers oder gar im Auftrag der SS auszuschließen.
Neben Asien war Südamerika ein weiterer Kontinent, der auch nach 1939
eine nicht unbedeutende Rolle in den Planungen der SS-Forscher spielte.
Das Interesse deutscher Wissenschaftler an Südamerika reicht bis ins 19.
Jahrhundert zurück. Zwischen 1896 und 1924 unternahm der Völkerkund
ler Theodor Koch-Grünberg mehrere Reisen nach Brasilien, auf deren letzter
er auf der Suche nach der Quelle des Orinoco-Flußes an Malaria erkrankte
und verstarb.777
1935 folgte Otto Schulz-Kampfhenkel den Spuren Koch-Grünbergs: Das
Ziel der Expedition, an der auch der Pilot Gerd Kahle sowie der Flugzeug
mechaniker Gerhard Krause mitsamt eines von Heinkel zur Verfügung ge
stellten Wasserflugzeuges teilnahmen, war die Durchquerung des nördli-
chen Amazonasbeckens. Bei
ihrer Rückkehr im Mai 1937
führten die Forscher tau
sende Tierschädel, Indianer-
schmuck- und Werkzeuge
sowie umfangreiches Film
material mit sich. Die Er
lebnisse publizierte Schulz-
Kampfhenkel in dem Buch
„Rätsel der Urwaldhölle"
das 1938 fast zeitgleich mit
einem Ufa-Dokumentarfilm
Schulz-Kampfhenkel und sein Team in Paraguay „Großfilm deutscher For-
Titel „Sieben Jahre in Tibet" mit dem Hauptdarsteller Brad Pitt verfilmt.
776 Vgl. zu Harrers Erlebnissen dessen gleichnamige Veröffentlichung, Harrer
(1993), S. 156ff./183 ff.; vgl. auch Trimondi (2002), S. 170 ff.
777 Siehe Sternhoff (2010), S. 165.
250
Karte des von Schulz-Kampfhenkel untersuchten Gebietes
schung" erschien.778 Heinrich Himmler war dadurch auf den Forscher auf
merksam geworden und hatte ihn - vermutlich 1939 - in die SS übernom
men.779
Neben dem wissenschaftlichen Interesse Deutschlands an Südamerika
gab es seit dem sich abzeichnenden Kriegseintritt der USA in den Weltkrieg
auch ein militärisches. Bereits kurz vor Ausbruch des Krieges in Europa, be
suchte der Oberkommandierende der US-Streitkräfte George C. Marschall
im Juni 1939 Brasilien, um Gespräche über die „lebenswichtige Rolle Brasili
ens für die Verteidigung der USA" bei einem Kriegseintritt gegen Deutsch
land zu führen.780 In Übereinstimmung mit der brasilianischen Regierung
wurde auf der Konferenz von Panama 1939 die Errichtung amerikanischer
Stützpunkte in Brasilien beschlossen, die bis 1940 angelegt wurden.
Diese proamerikanische Haltung Brasiliens, die schließlich zur Kriegs
erklärung Brasiliens an Deutschland 1942 führte, gefährdete die deutschen
U-Boot Operationen vor dem amerikanischen Kontinent erheblich, so daß
sich das OKW mit Maßnahmen Brasilien betreffend auseinandersetzte. Ein
778 Vgl. Sternhoff (2010), S. 166; zur ausführlichen Expedition vgl. Glüsing
(2008), S. 158 ff.
779 So Glüsing (2008), dem gemäß der genaue Eintrittszeitpunkt unbekannt sei, S. 194.
780 So Brügger (2002), S. 230f.
251
Grabkreuz des verstorbenen Expeditionsmitglieds
Joseph Greiner. Oben: Expeditionsboote
von Keitel und Rosenberg befürworteter Plan soll sogar eine Landung in
Brasilien vorgesehen haben. Legenden zufolge, soll dies schließlich in Form
der Absetzung kleinerer Truppenkontingente tatsächlich umgesetzt wor
den sein.781 Aufgabe dieser wäre es demnach gewesen, in Zusammenar
beit mit Südamerikanischen Exildeutschen die Möglichkeiten einer größe
ren Landung zu sondieren. Auch die amerikanischen und brasilianischen
Dienststellen hielten ein solches Unternehmen für möglich und errichte
ten vorsorglich Verteidigungsstellungen, die von einem Heer von bis zu
65 000 Mann überwacht wurden. Dennoch soll es den Deutschen möglich
gewesen sein, bis Kriegsende 2000 Soldaten ins brasilianische Hinterland
einzuschleusen, wo sie in Verbindung mit einem indianischen Stamm die
Errichtung einer zweiten, inländischen Front im Fall einer deutschen Inva
sion vorbereitet hätten.782 Indes räumt der Verfasser dieser Spekulation den
Mangel an Fakten ein, die diese Version bestätigen könnten. Lediglich vage
Hinweise auf Augenzeugen, welche die Landung deutscher U-Boote vor der
Küste von Rio de Janeiro beobachtet haben wollen sowie ein nicht näher
bezeichneter Artikel über eine deutsche Waffen-SS Kolonie im Matto Grasso
in der brasilianischen Zeitschrift „Realidade" erhärten vorgeblich diese An
gaben. Allerdings büßt Brügger durch die als typisch für die Verfasser un
beweisbarer Angaben zu bezeichnende Zitierung nachweislich spekulativer
Autoren ebenso erheblich an Glaubwürdigkeit ein, wie durch die Präsenta
781 Brügger (2002), S. 231.
782 Ebenda, S. 168 ff.
252
tion eines mittlerweile entlarvten Betrügers als Nachfahr eines weißen In
dianerstammes. Neben dem „Dauerbrenner" der esoterischen NS-Literatur,
der Geschichte der toten Tibetaner in Berlin, die 1945 von der roten Armee
vorgefunden wurden, zitiert er Rauschnings Gespräche mit Hitler, die mitt
lerweile zum größten Teil als pure Fiktion entlarvt wurden.783
Daß es tatsächlich deutsche Pläne für eine Südamerika-Expedition gab -
über die bereits erwähnte Kiß-Expedition nach Bolivien hinaus -, beweisen
Akten im Zusammenhang mit eben jenem Schulz-Kampfhenkel, der mittler
weile SS-Mitglied war. Im Schlußteil seines Expeditionsberichtes schrieb der
deutsche Forscher: „Damit wird ein Grundstock zu einem weitgespannten Ar
beitsplan gelegt sein". Tatsächlich war Schulze-Kampfhenkel, der 1938 an der
Amerika-Abteilung des geographischen Institutes der Universität Würzburg
auch seine Dissertation abgeschossen hatte, ein unverzichtbarer Experte für
künftige SS-Unternehmungen in Südamerika.784 1939 schlug Sievers ihn da
her auf persönliche Empfehlung Himmlers, als Mitglied der Kiss-Expedition
vor.785 Kurz nach dem Scheitern der Paraguay-Expedition, traf im April 1940
im SS-Hauptamt ein Schreiben eines gewissen Heinrich Peskoller ein. Dieser
Österreichische Abenteurer empfahl dem Deutschen Reich die Eroberung
von Französisch- und Britisch-Guyana, da allein „der Gold- und Diamanten
reichtum dieser Länder genügen würde, um in wenigen Jahren Deutschlands Fi
nanzreserven zu sanieren". Als Empfehlung gab Peskoller an, „fünf Jahre lang
als Offizier in der mexikanischen Kavallerie und als persönlicher Adjutant eines
mexikanischen Kriegsministers mit geheimen Aufträgen betraut gewesen zu sein"
und dabei auch einen 21.000 Kilometerritt von Mexico nach Rio de Janeiro
durchgeführt zu haben.786
Himmler beauftragte den SS-Südamerika-Experten Schulz-Kampfhenkel
mit der Begutachtung dieses Plans. Dieser hielt zwar die Angaben über die
wirtschaftlichen Tatsachen für glaubwürdig, bezweifelte aber die Eignung
Peskollers als Führer einer solchen Expedition und legte nun seinerseits
Himmler einen Expeditionsentwurf unter dem Namen „Guyana-Projekt"
783 Brügger (2002), S. 235 f; vgl. zur Entlarvung des vermeintlichen „weißen
Häuptling der Ugha Mogulala Tatunca Nara", http://www.mysteria3000.de/
wp/2005/die-chronik-von-akakor/, wo dieser als der 1968 nach Südamerika ausge
wanderte Günther Hauck identifiziert wird.
784 So Glüsing (2008), S. 192 f.
785 Glüsing (2008), S. 194; Schulz-Kampfhenkel hatte seine Linientreue in einem
geheimen Positionspapier für die SS unter Beweis gestellt, in dem er in Bezug auf
China „vor der Gefahr der gelben Weltherrschaft eines 600 Mio Volkes" warnte,
die, „in ihren Anfängen zu bannen, Sendung des Führers der künftig in Europa
geeinten weißen Rasse sein" würde.
786 Zit. nach Glüsing (2008), S. 200.
253
vor, in dem er die Leitung einer solchen Expedition anbot.787 In diesem skiz
zierte er die Errichtung eines deutschen „Brückenkopfes" in Südamerika,
der sowohl politisch-strategische als auch kolonialwirtschaftliche Gründe
beinhaltete: „Hier kann nach Praxis unserer geheimen Hilfskreuzer in mehrfachen
nächtlichen Landungen ein unsichtbarer Stützpunkt geschaffen werden, von dem
aus eine mit leichten Schnellfeuerwaffen ausgerüstete Kolonialtruppe von 150-300
Mann im entscheidenden Augenblick über Land auf Cayenne vorstößt.... die Tatsa
che der Neutralitätsverletzung kann in diesem völlig unerschlossenen Urwaldregi
onen auch für die Zukunft geheim gehalten werden. ... Alle Einzelheiten eines der
artigen Planes wären im Einvernehmen mit taktischen Fachleuten auszuarbeiten."
Himmler reagierte jedoch reserviert auf die Vorschläge und empfahl, diese
Gedanken „zu gegebener Zeit" wieder vorzulegen.788
In den folgenden Jahren stieg der Südamerika-Experte zum Leiter der mit
Aufklärung beauftragten „Kampfgruppe Schulz-Kampfhenkel" innerhalb
der Luftwaffe auf und wurde 1943 dem Forschungsrat der SS unterstellt.789
Bis 1945 hatte er Aufklärungsmissionen in mehr als einem Dutzend Ländern
durchgeführt, vor allem im Baltikum, Rußland, Griechenland und Jugosla
wien.
Während er also für die weitere Südamerika-Planungen keine Rolle mehr
spielte, gibt es weitere Querverbindungen des Ahnenerbe nach Südameri
ka. Diese führen zu Philipp von Luetzelburg, einem angeheirateten Vetter
Himmlers. Der in Brasilien lebende deutsche Forscher hatte zwischen 1927
und 1930 ebenfalls mehrere Expedition durch das brasilianische Amazonien
durchgeführt und dabei auch indianische Heilkräuter gesammelt.790
Die letzte der Expeditionen „ging vom Kriegsministerium aus und hatte
in erster Linie militärische und strategische Ziele im Auge wie Grenzbesich
tigungen und französische Übergriffe".791 1938 war Luetzelburg auf Drän
gen Himmlers nach Deutschland zurückgekehrt, wo er 1939 zum Leiter der
Ahnenerbe-Forschungsstätte für Botanik ernannt wurde.792
Hier war der Botaniker mit der Züchtung von ölhaltigen Pflanzen, „die für
spätere deutsche Kolonien sehr wichtig sein können", und mit der Nutzbar
machung indianischer Kräuter und Naturheilmittel befaßt. In diesem Zu
sammenhang arbeitete er an einer Darstellung der botanischen Erforschung
Brasiliens und bemühte sich in diesem Zusammenhang um die Übersetzung
254
und Kommentierung des aus dem 17. Jahrhun
derts stammenden portugiesischen Atlas von Joao
Teixeira.793 Zu diesem Zweck führte der Forscher
zwischen Juni und Juli 1941 eine Dienstreise nach
Paris „zur Klärung der Atlantenfrage des portu
giesischen Kosmographen des 17. Jahrhunderts in
der Nationalbibliothek zu Paris" durch.794
1938 wurde sein Name erstmals in Zusammen
hang mit einer Südamerika-Expedition genannt,
der später abgesagten Kiss-Expedition. Ab 1940
war Luetzelburg an der Planung einer Paraguay-
Expedition beteiligt.
Philipp von Luetzelburg
1939 kam es zu gemeinsamen Erörterungen
zwischen von Lützelburg und Ahnenerbe-Vertretern der Welteislehre Scul-
tetus, Fauth sowie Josef Wimmer bezüglich der Frage des Einflusses des
Mondes und geomagnetischer Einwirkungen auf das Pflanzenwachstum.
Diesen Zusammenhang hatte Himmler persönlich ins Spiel gebracht; ent
sprechende Versuche verliefen jedoch ohne Erfolg.
Im Dezember 1941 traf sich von Lützelburg zu einem Gespräch über in
dianische Heilpflanzen mit Hauptmann Emmerich von Moers. Letzterer
hielt sich zwischen 1924 und 1932 in Bolivien und Paraguay und beteiligte
sich als Kavallerie-Kommandant für die paraguayanische Armee an einem
Konflikt mit Bolivien. Als Dank für seinen Einsatz erhielt von Moers damals
ein großes Stück Land. In den folgenden Jahren führte er mehrere Reisen
in unbekanntes Indianerland durch und konnte das Vertrauen der Stämme
gewinnen, bei denen er sich mehrere Jahre als Zauberer bzw. Medizinmann
aufhielt. Im Rahmen dieses Aufenthaltes lernte er von den Indianern Heil-
und Nutzpflanzen kennen, welche durch von Lützelburg später als wirt
schaftlich wichtig erkannt wurden: darunter Blättchen mit Süßkraft, die um
ein Vielfaches größer als Zucker war (Stevia?), malariaheilende Pflanzen,
Aphrodisiaka mit temporärer Verhütungswirkung, Heilmittel gegen Syphi
lis und mehrere Hautkrankheiten. Kurz darauf wurde von Moers ebenfalls
in die Expeditionspläne für Paraguay einbezogen, um die genannten Pflan
zen für das Ahnenerbe sicherzustellen.
Am 27. September teilte von Lützelburg von Moers jedoch mit, daß der
RFSS „großes Interesse an der Sache bekundete und den Befehl gab, ihn kurze Zeit
nach Kriegsbeendigung an die baldigste Expedition nach Paraguay zu erinnern."
Von Moers solle sich daher ebenso wie wie er selbst darauf vorbereiten.
Am 9.10.1942 informierte Himmler auch das Ahnenerbe offiziell über den
255
Stand der Paraguay-Expeditionspläne: „Die Expedition zu den Indianern Süd
amerikas ist eine der ersten Friedensexpeditionen des Ahnenerbes. Insbesondere hat
diese Expedition den Zweck, das Malaria-, das Syphilismittel, die Süß- und Öl
pflanzen zu studieren und mitzubringen.''795
796
Doch ist dies tatsächlich der letzte Stand - oder gab es nach 1942 weitere
Pläne, die womöglich auch umgesetzt wurden?
So spekuliert etwa Sternhoff mit Verweis auf ein Schreiben Luetzelburgs an
Sievers, in dem er „größere gemeinschaftliche Pläne" des Ahnenerbe erwähnt,
für die er seine volle Unterstützung ankündigt: „Wenn heute ein unanfechtbarer
Beweis auch noch nicht erbracht werden kann, so spricht nach meiner Meinung alles
dafür, daß Mitte 1942, auf dem Höhepunkt der deutschen militärischen Erfolge, von
Luetzelburg in die Planung und Durchführung eines Unternehmens einbezogen wer
den sollte, das nach den Vorarbeiten Schulz-Kampfhenkels die Errichtung eines mili
tärischen Stützpunktes in Brasilien zum Ziel hatte." Und tatsächlich seien Stern
hoff zufolge, „in der zweiten Hälfte des Jahres 1942 durch U-Boote erste Vortrupps
an der Küste Brasiliens abgesetzt worden.“795 Der Haken an diesen Spekulationen
ist jedoch, daß von Luetzelburg nach seinem Paris-Aufenthalt nicht an Expe
ditionsplanungen nach Südamerika, sondern an medizinischen Forschungen
beteiligt war, wie das folgende Kapitel zeigen wird.
Auch die Memoiren Walther Schellenbergs, des Chefs des deutschen
Geheimdienstes, lassen eine größere deutsche Militäroperation in Südame
rika unrealistisch erscheinen: Zwar stand in Südamerika, so Schellenberg,
„eine große Anzahl geschulter Mitarbeiter zur Verfügung“, die insbesondere im
deutsch-freundlichen Argentinien, aber auch anderen südamerikanischen
Ländern bis auf Brasilien, eine „reibungslose Arbeit bis Mitte 1944“ ermöglich
te, allerdings bezieht sich das lediglich auf geheimdienstliche Tätigkeiten.797
Sollte tatsächlich ein Kommandounternehmen in Südamerika durchgeführt
worden sein, so dürfte Schellenberg, der nach dem Krieg keine sonderlich
enge Bindung an ehemaligen Kameraden und damit kein Schweigemotiv
hatte, dies erwähnt haben.798
795 Himmler an das Ahnenerbe, zit. nach Heiber (1970), s. 195 f; hier verweist
Himmler auch auf die mangelnde Zuverlässigkeit v. Moers, gegen den ein Ermitt
lungsverfahren der Wehrmacht lief. Zwar sei er sehr versiert und als Kenner Süd
amerikas wertvoll, allerdings muß die Führung der Expedition, an der v. Moers
beteiligt werden sollte, ein Mann der SS haben.
796 Sternhoff (2010), S. 172.
797 Schellenberg (1981), S. 324.
798 Nach dem Krieg entging der 1952 verstorbene Schellenberg trotz seiner hohen
SS-Position einer längeren Haftstrafe durch Kooperation mit den Alliierten.
256
11. Kriegswichtige „Zweck"- und Waffenforschung -
Bruno Beger, Hans Rammler & das SS-Ahnenerbe
„Die Vorsehung stehe uns bei, daß diese Kriegs
treiber erfolglos bleiben, denn wir würden in der
Lage sein, uns dank neuen Waffenentwicklungen
so zu wehren, wie es in der bisherigen Geschich
te noch nie möglich war. In meiner Schreibtisch
schublade verfüge ich über Unterlagen zur Her
stellung neuester, modernster Waffen, wozu mich
nur ein Wunsch beseelt, sie nie zur Anwendung
bringen zu müssen, weil sie alles übersteigen, was
bisher als Kriegswaffe zur Verfügung stand."799
iese Sätze Hitlers noch vor dem Krieg wurden seinerzeit als reine
799 Adolf Hitler in einem Interview am 20.4.1939, zit. nach Georg (2009), S. 19.
800 Exemplarisch hierfür sei eine Antwort Himmlers an das Ahnenerbe vom 25.1.1943
zitiert, mit der er auf eine Anfrage Jankuhns nach Weiterführung archäologischer Ar
beiten in Rußland antwortet: „... denn in den kommenden Monaten haben weder wir
noch ... Rosenberg..die Zeit, Ausgrabungen zu machen. Jetzt sind alle Kräfte nur da
rauf zu konzentrieren, den Krieg zu gewinnen." Zit. nach Hufen (1998), S. 89.; hier
wurde der Text der früheren Auflage neueren Erkenntnissen angepaßt [d. Verf.J.
257
11.1. Das Ahnenerbe im Krieg
Mit Kriegsbeginn hatte sich das Ahnenerbe fortan ebenfalls mit kriegs
wichtigen Aufgaben zu befassen, wobei die Kriegswichtigkeit von Himm
ler relativ großzügig ausgelegt wurde.801 Unverkennbar war jedoch der
Ausbau des naturwissenschaftlichen Zweiges, dessen Grundlagen bereits
1937 gelegt wurden. Dieser stand faktisch unter dem Oberbefehl des Tibet-
Forschers Ernst Schäfer, während die eingeschränkte Tätigkeit des geistes
wissenschaftlichen Zweiges ebenso wie die gesamte offizielle Leitung der
Obhut von Walther Wüst unterlagen.
Nachdem das Unternehmen-K kriegsbedingt abgesagt werden mußte,
sah sich Schäfer vor allem mit drei Aufgabenschwerpunkten konfrontiert:
1. der Auswertung der Tibet-Artefakte, 2. dem Aufbau der Forschungsab
teilung Innerasien und Expeditionen, die fortan als Zentrale für sämtliche
Expeditionen nach Asien dienen sollte, 3. Überwachung des gesamten na
turwissenschaftlichen Bereiches um Walther Wüst zu entlasten.802
Ernst Schäfers Forschungsstätte für Innerasien und Expeditionen wurde
aufgrund einer sich zunehmend verschlechternden Kriegslage im August
1943 nach Schloß Mittersill verlegt. Himmler Primärziel der naturwissen
schaftlichen Arbeiten des Ahnenerbes lag seitdem auf der Erschließung neu
er Lebensmittel-, Bekleidungs- und Energiequellen, die allesamt zur Neige
gingen. Dabei verfiel Himmler immer wieder auf unorthodoxe Methoden:
Noch 1943 kam Himmler auf die aberwitzig anmutende Idee, einen Ahnen
erbe-Mitarbeiter nach Jütland zu schicken, um eine „kimbrische Stricktech
nik" zu erlernen und nutzbar zu machen.803 Daneben unterhielt Himmler an
den KL-Stätten 31 SS-eigene Zuchtstationen von Angora-Kaninchen, die zur
Herstellung von Angora-Wolle dienen sollten.804
Ernst Schäfer forschte derweil in Mittersill an wetterfesten Pferdearten,
die er auf seinen Expeditionen kennengelernt hatte und die im eroberten
Ostgebiet zum Einsatz kommen sollten.805
In enger Abstimmung mit Schäfer führte
Dr. Heinz Brücher in Graz Versuche mit
kälteresistenten Weizensorten und einer
Speiseölpflanze durch, die trotz der ihr
zugemessenen Bedeutung nicht vor 1945
Ergebnisse zeitigten.
Ernst Schäfer und das „winter
801 Vgl. Kater (2006), S. 191.
feste" Steppenpferd in Tibet, 1939
802 So Kater (2006), S. 215.
803 Heiber (1970), S. 243 f.
804 Vgl. Kater (2006), S. 216.
805 Kater (2006), S. 217.
258
Auch wenn viele Forschungsansätze keine Resultate erbrachten und viele
aberwitzig anmutende Forschungsaufträge im Sande verliefen so kann man
Himmler zumindest den Versuch nicht absprechen, durch unorthodoxe Mittel
Schwierigkeiten bekämpfen zu wollen. Dabei zeugen viele der damaligen An
sätze trotzdem sie heute oft als Spinnereien verlacht werden, von weit voraus
blickenden Einsichten, die gerade erst nach und nach wiederentdeckt werden.
So erließ Himmler aufgrund der im Kriege knapper werdenden Ressour
cen den Befehl, Konservendosen wiederzuverwenden, was ihn zu einem Pi
onier der seit einigen Jahren vornagetriebenen Recycling-Wirtschaft macht.
In einem Schreiben des seit 1939 den Persönlichen Stab des RF-SS leitenden
Dr. Rudolf Brandt vom 12.12.1944 heißt es:
„Der Reichsführer-SS schlägt zu der Anregung des SS-Kraftfahrers Matzka vor,
die unzähligen Konvervendosen in den Gefangenlagern so öffnen zu lassen, daß sie
später wieder verwertet werden können."™6
Auch der bereits beschriebene Einsatz der Wünschelrutengänger ist als
Antwort auf die Ressourcenknappheit zu begreifen. So schreibt wiederum
Dr. Brandt am 25.11.1944 in Reaktion auf einen Artikel über „Meteorspu
ren in Europa" an Ahnenerbe-Geschäftsführer Sievers: „Der Reichsführer-SS
wünscht, daß von Seiten des Ahnenerbe einmal in dieser Richtung nachgeforscht
wird, besonders sollen Meteorspuren in den Ötztaler Alpen sein. Es müßten dort
dann Wünschelrutengänger zur Untersuchung darüber eingesetzt werden, ob in
den Tiefen dieser Krater nicht Magneteisen zu finden ist."™7
In die gleiche Richtung zielen Nachfragen Himmlers bezüglich der mo
dernen Bronzegießtechnik eines ukrainischen Volksstammes sowie der in
Michael Prawdins Buch „Tschngis Chan" überlieferten Konservierungs
technik von Lebensmitteln.806
808
807 Letztere sollte den Truppen in Stalingrad er
möglichen, Fleisch von verstorbenen Pferden ebenso haltbar zu machen, wie
Milchprodukte. Auf die Nahrungsmittelversorgung zielte auch ein Vorstoß
ab, mittels eines neu entwickelten Bazillus aus der bei der zellulose-Herstel-
lung anfallenden Sulfitlauge das Eiweiß zu gewinnen und zu einer „unerhört
nahrhaften und wohlschmeckenden wurstartigen Paste" zu verarbeiten.809
Und selbst die Erforschung des Ahnenbrauchs zur Kinderzeugung, die
insbesondere der Frage nachgehen sollte, wie mehr männliche Nachkom
men gezeugt werden könnten, war trotz der Empörung heutiger Forscher
durchaus nachvollziehbar - nicht als „Kanonenfutter", sondern um den in
Kriegszeiten üblichen Frauenüberschuß auszugleichen.810
259
Archäologische Tätigkeit
Mit Kriegsbeginn 1939 und der zügigen Eroberung von Gebieten im Süd
osten Europas ergaben sich auch für die Archäologen des Dritten Reiches
zahlreiche neue Betätigungsfelder. Da im Vorfeld keine Pläne zur entspre
chenden Zuständigkeit der konkurrierenden archäologischen Ämter vorbe
reitet waren, ging es darum, möglichst frühzeitig Grabungskonzessionen
auszuhandeln und zu beantragen. Himmler erwies sich dabei als sehr er
folgreich, insbesondere in der Erringung von Grabungsbefugnissen in Län
dern befreundeter Regierungen.
Seit 1939 hatte Himmler mit der neugeschaffenen Slowakei ein exklusives
Grabungsrecht für die SS ausgehandelt, das den Prähistoriker Prof. Dr. Lo
thar Zotz in seiner Funktion als Dozent an der Deutschen Karls-Universität
in Prag im Auftrag des Ahnenerbes in die Lage versetzte, archäologische
Ausgrabungen im Bezirk Pystian durchzuführen, die der Erforschung ger
manischer Fürstengräber galten. Daneben befaßte er sich auch mit der Er
grabung von Aurignacien-Siedlungsplätzen von Mammutjägern in Straze.
Auch Kurt Wilvonseder beteiligte sich an den Ausgrabungen in der Slowa
kei, wie aus einem gemeinsamen Arbeitsbericht vom 12.3.1941 hervorgeht.
Auch in der seit 1939 (wieder) dem Reich zugehörigen Provinz Posen
wurden Grabungen durchgeführt: Hier war es Hans Schleif, der eine 1934
von polnischen Archäologen begonnene Grabung fortführte, die das früh
geschichtliche Verhältnis zwischen Germanen und Slawen aufdecken sollte,
woraus auch Rückschlüsse auf für Kriegszwecke wichtige historische An
sprüche gezogen werden konnten.
Ab 1940 wirkte Schleif dann auch an Spatenforschungen im norditalie
nischen Ravenna am Grab Theoderichs mit, bevor er im November 1941 zu
Ausgrabungen im griechischen Olympia aufbrach. 1941 wurde Schleif in
seiner F unktion als Leiter der Abteilung Grabungen innerhalb des Ahnen
erbes durch Herbert Jankuhn abgelöst, offiziell weil dieser für seine Arbeit
beurlaubt wurde, zugleich konnte aber dadurch der renommierte Jankuhn
in eine repräsentativere Funktion im Ahnenerbe eingebunden werden..811
Am 10. Juni 1941 erging eine Anfrage des Auswärtigen Amtes an Franz Alt-
811Hufen (1998), S. 76, sieht darin einen Erfolg Jankuhn gegenüber Schleif (hier fälsc
h
lich als „Heinrich" statt „Hans" firmierend), der „die pseudowissenschaftlichen Ambiti
onen Himmlers und ein Interesse Hitlers für Wikingerforschung in Frage gestellt hatte".
260
heim bezüglich der Durchführung einer Forschungsreise nach Afghanistan, die
aufgrund des bevorstehenden Rußland-Feldzuges nicht stattfinden konnte.
Am 8.9.1941 stellte Prof. Schmidt an das Ahnenerbe den Antrag auf die
Bewilligung von Grabungen im damaligen Jugoslawien, dem stattgegeben
wurde - am 7.10. erfolgte eine Besprechung zwischen Sievers und Schmidt
bezüglich der bisherigen und über künftige Grabungen.
Am 25.10. wurde dem Ahnenerbe eine alleinige Grabungskonzession für
Serbien zugesprochen. Weitere vorgeschichtliche Forschungen waren für
das befreundete Kroatien sowie weitere Gebiete des Donauraumes vorge
sehen. Neben Schmidt wurden 1941 auch Kurt Willvonseder und Wilhelm
Unverzagt für das Ahnenerbe in Kroatien und Serbien archäologisch tätig.
Weitere Grabungsziele lagen in der Bretagne und im Elsaß.
Mit der sich verschlechternden Kriegslage wurden die Ausgrabungstätig
keiten der SS vollständig eingestellt, Einsatzfelder ergaben sich fortan nur
noch vereinzelt in der denkmalpflegerischen Sicherung von durch Errich
tung von Verteidigungsstellungen bedrohten frühgeschichtlichen Stätten,
die Himmler, wie es Michael Kater nannte, in der „paradoxen Rolle als Feld
herr und Denkmalschützer zugleich" sahen.812
261
die SS. Da seine Haithabu-Grabung bereits seit 1934 unter Schirmherrschaft
der SS und Heinrich Himmlers stand, bevor sie 1938 offiziell vom Ahnener
be übernommen wurde,814 und ein Aufnahmegutachten positiv ausfiel, wur
de er im März 1937 in die SS aufgenommen und wenige Monate später zum
stellvertretenden Leiter der Forschungsstätte Ausgrabungen im Ahnenerbe
ernannt. 1938 wurde der Kieler Archäologe unter Mithilfe Himmlers zum
Direktor des Kieler Museums vorgeschichtlicher Altertümer erkoren und
organisierte die Kieler Pfingsttagung des Ahnenerbe 1939. Diese mit hochka
rätigen Vortragsrednern durchgeführte Veranstaltung gilt als Markstein des
Ahnenerbes auf dem Weg zu nationalem und internationalem Ansehen.815
Jankuhn, der bereits an diversem Grabungen des Archäologischen Ins
titutes des Deutschen Reiches auf dem Balkan, im Orient und in Ägypten
teilgenommen hatte, wurde somit zum Vorzeigearchäologen des Ahnener
be. Nachdem er 1940 Schleif als Abteilungsleiter der Forschungsstätte Aus
grabungen im Ahnenerbe abgelöst und zum ordentlichen Professor in Kiel
ernannt worden war, führte ihn sein nächster Auftrag nach Frankreich, wo
er die Untersuchung des Teppichs von Bayeux leitete.
Der in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts entstandene, ca. 52 cm
hohe und fast 69 m lange Stickteppich zeigt in 58 Einzelszenen die Erobe
rung Englands durch den Normannenherzog Wilhelm den Eroberer.
Die Bildfolge beginnt mit einem Zusammentreffen von Harald Godwin-
son, Earl of Wessex, mit dem englischen König Edward und endet mit der
Schlacht von Hastings am 14. Oktober 1066. Wegen seiner Fülle an detail
lierten Einzeldarstellungen, der durchdachten Ikonographie und der hand
werklichen Qualität gilt der Teppich von Bayeux als eines der bemerkens
wertesten Bilddenkmäler des frühen Mittelalters.816
Jankuhn ließ den Teppich zunächst in die Abtei von Juyae-Mondaye brin
gen, 1941 wurde der Teppich dann in ein Kunstdepot nahe Le Mans verlegt.
Dort blieb der Teppich bis 1944, dann wurde er vermutlich auf Befehl von
Heinrich Himmler nach Paris gebracht und in einem Keller des Louvre de
poniert, um ihn vor Kriegsschäden zu bewahren.
Jankuhn erhob den Teppich zum Gegenstand von zwei Vorträgen: Im
April 1941 vor dem Freundeskreis Himmler und im August 1943 vor der
Deutschen Akademie in Stettin.817
Am 21. August 1944 versuchten SS-Offiziere ebenfalls auf Befehls Himm
lers den Teppich noch aus dem Louvre zu holen und nach Berlin zu ver
bringen. Die Straßen rund um den Louvre waren jedoch zu dem Zeitpunkt
262
Veit-Stoß-Altar von Krakau Bild aus dem Nachlaß Jankuhns
schon in der Hand französischer Widerstandskämpfer, so daß die Evakuie
rung des Teppichs scheiterte.818
Im Januar 1943 hatte von Mühlhausen, Leiter der noch jungen Ahnener
be-Abteilung für Keltische Studien, eine Forschungsreise in die Bretagne ge
leitet, für die ursprünglich Herbert Jankuhn vorgesehen war.819 Dieser war
jedoch auf einem anderen Schauplatz voll und ganz eingespannt.
263
gebiet nicht absteckte. So gelangte
Jankuhn mit den Assistenten Dr.
Karl Kersten und Wolf von Seefeld
im Gefolge der 5. SS-PzDivison Wi
king nach Maikop, wo sie Bestände
aus dem örtlichen Museum, die in
einem Schuppen gelagert wurden,
sicherstellten. Dr. Kersten besuch
te die Bergstädte Eski-Kermen,
Tepe-Kermen und Katschi-Kalion,
um ostgotische Siedlungen archäo
Sonderkommando Jankuhn auf der Krim logisch zu erkunden. Ebenso wie
diese Forschungen blieb zwar auch
die weitere Suche nach ostgotischen Artefakten - so etwa im Juni 1943 im
Dnjeprbogen bei Kursk - weitgehend erfolglos, dennoch gelang die Bergung
zahlreicher Funde ostgermanischer und skythischer Provenienz - trotzdem
viele Artefakte zuvor von den Sowjets teils evakuiert und versteckt, teils von
marodierenden Rotarmisten geplündert worden waren.822
Trotz der dem Ahnenerbe im Allgemeinen und Jankuhn im Besonderen
vorgeworfenen Tatbestandes des „systematisch betriebenen Raubes von
Kunst- und Kulturgütern", kommen die so urteilenden Autoren nicht umhin
einzuräumen, daß insbesondere die musealen Sammlungen von Plünderun
gen und Zerstörungen bedroht waren, so daß Jankuhn und andere hier reinen
Gewissens eine Sicherstellung zum Schutz in Anspruch nehmen konnten.823
Bemerkenswert ist jedenfalls Jankuhns persönliche Einschätzung der Ost
völker, mit der er innerhalb des Ahnenerbes und der SS ingesamt eine Vor
reiterrolle einnahm:
„Wenn wir in Zukunft in stärkerem Maße die geistige Führung in Europa aus
üben wollen, so können wir nicht ausschließlich das germanische Element betonen
und dadurch von vornherein eine Scheidewand zwischen uns und den anderen Völ
kern errichten, sondern wir müssen in viel stärkerem Maße als das bisher geschah
die indogermanischen Wurzeln betonen, die uns mit den meisten europäischen Völ
kern gemeinsam sind. Wir müssen weiterhin nach meinem Dafürhalten betonen,
daß das deutsche Volk, bei dem das germanische Element überwiegt, doch auch an
dere Völker in sich aufgenommen hat, und daß wir dabei keineswegs die anderen
Völker als von vornherein zweitrangig betrachten."824
Neben dem Einsatzstab Jankuhn waren auch weitere SS-Männer an der
Sicherstellung von Kulturgut beteilt, etwa der Wewelsburg-Archäologe
264
Wilhelm Jordan. Dieser ver
mochte zwischen Dezember
1942 und Oktober 1943 im Ge
biet von Kiew, Dnjeprpetrowsk
und Poltawa überwiegend im
Tausch gegen Lebensmittel eine
ganze Reihe mehr oder wenige
eindrucksvolle Funde zu erste
hen, deren Wert bei der einhei
mischen Bevölkerung nicht allzu
hoch veranschlagt wurde.825 Eski Kermen - Skythenhelm von Maikop
Doch nicht nur das Ahnenerbe,
sondern auch das RSHA von Franz Six beteiligte sich für die SS an der Suche
nach Kulturwerten. Bereits 1939 sandte der Leiter den SS-Untersturmführer
Peter Paulsen auf eine Spezialmission. Paulsen sollte den berühmten, vom
deutschen Künstler Veit Stoß gebauten Altar sicherstellen, der sich in Kra
kau befunden hatte. Obgleich die Polen den Altar vorsorglich in 32 Teilen an
verschiedenen Orten versteckt hatten, war Paulsen erfolgreich und es gelang
ihm, den kompletten Altar nach Deutschland zu überführen, wo er in Nürn
berg eine vorübergehende Bleibe erhielt.826
Südtirol-Umsiedlung
1941 rückte aufgrund der Vereinbarung zwischen Deutschland und Itali
en auf Aussiedlung der Deutschen aus Südtirol das Gebiet in das Blickfeld
des Ahnenerbe.
Unter Führung von Wolfram Sievers sollte zwischen 1940 und 1943 das
„gesamte dingliche und geistige Kulturgut aller umzusiedelnden Volks
deutschen" registriert und ins Reich überführt werden.827 Dabei sollte zum
einen der durch die Aussiedlung entstehenden Gefahr des Vergessens alter
Volksbräuche vorgebeugt werden, was bereits seit 1937 zu den Aufgaben
bereichen des Ahnenerbe zählte. Zum anderen mußte neben der Erfassung
und Verschickung des deutschen Kulturgutes in Südtirol auch eine Einstu
fung der Bevölkerung auf deutsche Abstammung erfolgen, woran das Ah
nenerbe ebenfalls beteiligt war.
Am 3.1.1941 erfolgte ein die Arbeit vorbereitender Besuch des Geschäfts
führers Sievers in Bozen. Am 17.3. 1941 folgte eine gemeinsame Reise Sie
vers mit Dr. Posse, dem Sonderbeauftragten des Führers für alle ins Reich
verbrachten deutschen Kulturgüter nach Südtirol.
265
Im März 1941 vereinbarten Sievers und Franz Altheim, eine schon länger
geplante Forschungsreise nach Südtirol anzusetzen (siehe Kap. 5). Am 8.9.1941
brach Altheim gemeinsam mit seiner Begleiterin Erika Trautmann nach Kärn
ten mit nicht genau zu verifizierendem Auftrag auf. Bereits am 6.11.1941 war
die Forschungsreise abgeschlossen und es erfolgte ein Bericht an Sievers.828
Auch Bruno Schweitzer wurde in Südtirol aktiv. Ende 1940 fertigte er im Rah
men der dem Ahnenerbe unterstellten Kulturkommission Aufnahmen Südti
roler Dialekte an.829
Die für „Volksmusik" zuständige Arbeitsgruppe stand unter Leitung von
Alfred Quellmalz. Zwischen 1940 und 1942 engagierte sich ein Forscherteam
in den Bereichen Volkslied und Instrumentalmusik, Volkstanz, Kinderlied,
Kinderspiel und Musikgeschichte. Wie es der Zeitgeist heute innerhalb der
akademischen Forschung verlangt, wird auch auf diesem unpolitischen Feld
den Forschern heute vorgeworfen, „Ergebnisse von Befragungen öfter im Sin
ne der Ahnenerbe-Ideologie manipuliert" und „die Bevölkerung ideologisch
beeinflußt zu haben", um „die nationalsozialistische These von der rassischen
Kontinuität untermauern und propagandistisch verwerten" zu können.830
Doch auch in anderen Teilen Europas war das Ahnenerbe mit der Erfas
sung von Volksliedgut beschäftigt. So übernahm Richard Wolfram als Leiter
der Lehr- und Forschungsstätte für germanisch-deutsche Volkskunde in Salz
burg auch die Aufgabe, deutsche Sprachinseln in Südeuropa, u.a. den Karpa
ten, volkskundlich zu erforschen.831
Karstforschung
Ein weiterer mit Kriegsausbruch aufrecht erhaltener Forschungszweig war
die Höhlen- und Karstforschung, die im Oktober 1938 in Salzburg unter Lei
tung Robert Steinhäusers gegründet worden war. Hier ging es neben der ar
chäologischen Erschließung von steinzeitlichen Fundstätten auch um die Fra
ge der künftigen Nutzung von Höhlen als Lager- und Produktionstätten.832
Zu den untersuchten Karststrecken zählt die Höhle von Busau bei Olmütz /
Tschechei833
1942 ging aus der inzwischen unter Kommando Hans Brands stehenden
Karstforschung im Ahnenerbe ein SS-Karstwehrbataillon hervor, das vor al-
266
lern für die Partisanenbekämpfung in Stollensystemen Istriens Verwendung
finden sollte.834
Rassenkunde
Im Gegensatz zu anderen Forschungsfeldern gewann die Rassenkunde
innerhalb des Ahnenerbe mit Kriegsbeginn nicht weniger, sondern mehr Be
deutung. Nachdem der seit 1937 im Persönlichen Stab RF-SS tätige Anthro
pologe Bruno Beger bereits auf der Tibet-Expedition rassekundliche Unter
suchungen für das Ahnenerbe anstellte, avancierte er mit Kriegsbeginn zum
führenden Ahnenerbe-Anthropologen. 1941 erging ein Forschungsauftrag
Himmlers an das Ahnenerbe, mit dem Beger sich weitere Sporen verdienen
konnte: Es ging um den sogenannten Fettsteiß, der bereits Lanz von Lieben
fels bewegt hatte.835
836 Diese beim afrikanischen Volk der Hottentotten auftre
tende Fettlage am Gesäß der Frauen erinnerte Himmler an die Venusstatu
etten der Altsteinzeit, die in Österreich und Deutschland gefunden worden
waren. Himmler ordnete daher eine gemeinschaftliche Untersuchung zwi
schen Ahnenerbe und RuSHA an, um folgende Fragen zu eruieren:
1. Wo wurden, kartenmäßig aufgezeichnet, solche Venusfiguren überall gefunden?
2. Wie war das Klima an diesen Stellen zur Zeit, als das betreffende Volk lebte?
3. Gibt es Hinweise, daß entweder Völker ähnlich wie die Hottentotten damals in
den Fundgegenden lebten oder ist anzunehmen, daß eine gemeinsame Ahnenschicht
in den Fundgegenden und in den heutigen Hottentotten-Gegenden lebte, und daß
diese Art Menschen bei uns durch irgendwelche Umstände - sagen wir durch Kli
mawechsel - oder durch die Cromagnon und die späteren nordischen Menschen ver
trieben und vernichtet wurde?
4. Genauestens wäre in diesem Zusammenhang nachzuprüfen, wie lange man von
den Hottentotten und anderen Völkern, die solche Fettsteiße haben, diese Art des
Körperbaues bereits weiß, und weiterhin, woher die Hottentotten und diese anderen
Völker in jedem einzelnen Fall stammen. Insgesamt also, wie weit man sie zurück
verfolgen kann...."S36
267
Eine Motivation dieses Auftrages sieht Kater in dem rassekundlichen
Nachweis, der Überlagerung der ehemaligen Negerrasse in Europa durch
die Cro-Magnon-Rasse was die Überlegenheit der weißen gegenüber der
schwarzen Rasse erwiesen hätte.837
838
268
früheren Ordinarius Prof. Ludwig Clauss vor, der obzwar durch mehrere
Veröffentlichungen bekannt, in Parteikreisen in Ungnade gefallen war.842
Aufgrund der Negativentwicklung des Krieges seit Ende 1943 kam es indes
nicht mehr zur Umsetzung dieses Forschungsvorhabens.
Anders als gegenüber den Juden, erwies sich Himmler gegenüber einer
anderen verfolgten Gruppe wesentlich milder: So ordnete der Reichsfüher
nach Aussage Sievers im September 1942 die Aufnahme einer näheren und
sehr positiven Verbindung des Ahnenerbe zu den noch in Deutschland leben
den Zigeunern an.843 Hintergrund war die Zugehörigkeit der Zigeuner zur
indogermanischen Sprach- und nach Meinung verschiedener Forscher auch
Völkerfamilie. Bereits Weisthor hatte eine relativ wohlwollende Meinung ge
genüber den Zigeunern geäußert, als deren geheimer König er sich als letz
ter Sproß seines irministischen Familienzweiges wähnte.844 Weisthor zufolge
seien die Zigeuner aufgrund der Kreuzigung des Kristos verfluchte Wodans
anhänger, die einmal in ihrem Leben zur Klus nach Goslar - der vermeintli
chen Kreuzigungsstätte Baldur-Krestos - pilgern müßten. Walther Wüst be
scheinigte den Zigeunern hingegen weitaus wissenschaftlicher den Status als
„Nachfahren der indogermanischen Urvölker in direkter Linie."845 Allerdings
bezog sich Himmlers Milde lediglich auf die wenigen reinrassigen Zigeuner,
die seßhaft gemacht werden sollten, während die Mischlinge, also der Groß
teil der Zigeuner, nicht vor den Konzentrationslagern bewahrt blieb.846
Medizinische Forschung
In Bezug auf die durch Ahnenerbe-Mitarbeiter durchgeführten Men
schenversuche in den KL war es vor allem Sigmund Rascher, der in Koope
ration mit dem Ahnenerbe für die Luftwaffe Höhenexperimente mit Häftlin
gen durchführte, denen mehrere Probanden zum Opfer fielen.
269
Auch Himmlers Interesse an der Naturheilkunde
forderte ihren Tribut: So wurden Häftlinge unter
Aufsicht von SS-Arzt Prof. Robert Grawitz mit ver
schiedenen Krankheiten, darunter Sepsis infiziert,
um die Wirksamkeit diverser homöopathischer
Mittel zu testen. Zum Leidwesen der Opfer erfüll
ten die Arzneimittel nur in wenigen Fällen ihren
Zweck - mehrere Probanden verstarben während
der Tests.847
Entgegen der landläufigen Meinung finden sich je
doch innerhalb der Ahnenerbe-Akten zahlreiche Be
lege für Ziele Himmlers, die bislang kaum Eingang in
SS-Arzt Robert Grawitz
die akademische Literatur zum Ahnenerbe-Komplex
fanden. Dabei handelt es sich um wissenschaftliche
Einrichtungen, die mit der Schädlingsbekämpfung betraut waren. Auf den
ersten Blick handelt es sich dabei um ein typisches SS-Ansinnen, Juden und
andere Gruppen „auszumerzen". In diese Richtung zielt auch Franz Wege
ner, wenn er sich mit der Seuchenhexe Nasav befaßt, die in der Ahnenerbe-
Korrespondenz Erwähnung findet und als Verbreiter(in) von Seuchen galt.
Wegeners Fazit: „Eine Seuche, gegen die die eigene Bevölkerung rechtzeitig geimpft
würde, wäre in der Lage, große Gebiete im Osten vergleichsweise unauffällig zu ent
völkern, um so für die Kolonisatoren ,Raum im Osten' zu schaffen."848
Indes scheint die Sachlage bei genauerem Hinsehen diametral den Interpre
tationen Wegeners entgegenzustehen. So dominiert innerhalb der gesamten
Korrespondenz Himmlers mit den Seuchenbekämpfungsstellen der Wunsch,
die Häftlingssterblichkeit innerhalb der KL zu senken. Hintergrund war eine
große Sterblichkeit, die auch durch Seuchen ausgelöst wurde und insbesonde
re das Lager Auschwitz betraf, welches aufgrund eines hohen Grundwasser
spiegels von verschiedensten Mücken- und Fliegenarten heimgesucht wurde,
die tödliche Krankheiten verbreiteten, insbesondere Typhus. Dieses mit der
Seuchenhexe verbundene Anliegen Himmlers - nämlich die Bekämpfung der
Ausbreitung von Seuchen - wird auch deutlich anhand eines weiteren Schrei
bens des SS-Arztes Dr. Brand an Wolfram Sievers. In diesem wird Himmlers
Frage bezüglich der biologischen Bekämpfung der Stubenfliege (die Himmler
als Verbreiter von Seuchen identifiziert zu haben glaubte) erwähnt, ob „nicht
an eine Züchtung von Schlupfwespen oder ähnlichen Insekten herangegangen werden
könnte, die Mücken oder Fliegen vertilge".849 Es ging also nicht um eine Nutzung
oder gar Züchtung dieser „Seuchenfliege", sondern um deren Bekämpfung!
847 Vgl. Wegener (2006), S. 124 ff.; siehe hierzu auch Koop (2012), S. 207ff.
848 So Wegener (2004), S. 37.
849 Vgl. Heiber (1970), S.371.
270
Der Wunsch Himmlers spiegelt dabei keine Menschenfreundlichkeit wider,
sondern ist vielmehr dessen Ansinnen geschuldet, mehr Häftlinge für Arbei
ten zur Verfügung zu haben, die an verschiedenen SS-Großprojekten einge
setzt werden sollten: Ende 1944 waren etwa 400.000 KL-Häftlinge in rüstungs
wichtigen Betrieben beschäftigt.850 Die Auswertung der Akten läßt den Schluß
zu, daß das Ziel der Bemühungen Himmlers tatsächlich auf die Senkung der
Sterblichkeit ausgelegt war.851
Einen wichtigen Grund dafür dürfte der bei Auschwitz angesiedelte IG-Far-
ben-Industriekomplex spielen. Dieser produzierte nämlich keineswegs Buna,
wie offiziell angegeben, sondern könnte - wie der einer pro-nationalsozialisti
schen Tendenz unverdächtige US-Autor Joseph Farrell nahelegt - der deutschen
Atomwaffenforschung als Urananreicherungsstätte gedient haben. Auch wenn
tatsächliche Beweise fehlen, sprechen einige Indizien für diese Theorie: Die gro
ße Zahl von Arbeitskräften (Häftlingen), die strikte Geheimhaltung sowie die
infrastrukturell gute Lage nahe den Uranerzvorkommen des Sudetenlandes -
abgesehen von der Tatsache, daß während der gesamten Betriebszeit der ver
meintlichen Buna-Produktionsstätte kein einziges Gramm Buna erzeugt wurde.
Wobei letzteres Argument bislang jenen zupaß kam, die Auschwitz als reines
Vernichtungslager betrachteten. Allerdings wurden tatsächlich Häftlinge zu
Arbeiten herangezogen, was diese These zum Einsturz bringt.852 Überdies pro
duzierte die IG-Farben in den Leunawerken Merseburg auch das zur Isolation
des Uranoxids notwendige feste Kohlendioxid.
Im Jahre 1944 übernahm Kurt Plötner die Leitung des Instituts für wehr
wissenschaftliche Zweckforschung in Dachau. In seiner Abteilung „P"
(=Plötner) setzte er die Forschungsarbeiten des im März 1944 verhafteten
Sigmund Rascher fort.853 In dieser Funktion führte Plötner im KZ Sachsen
hausen eine Reihe von Menschenexperimenten durch, um die blutstillende
Wirkung des Medikaments Polygal zu untersuchen.
271
Zur Fortführung der Versuche und Produktion des Blutstillmittels auf der
Grundlage von Pektin ließ er sich ein Außenlager des Konzentrationslagers
Dachau einrichten und zu Forschungszwecken Dachauer KZ-Häftlinge zu
teilen, die ansonsten in der Produktion mitwirkten. Nach einem Jahr wurde
das Lager am 7. April 1945 aufgrund heranrückender französischen Trup
pen aufgelöst und von Plötner im benachbarten Vorarlberg als Außenlager
Lochau für knapp einen Monat wieder eröffnet.
Weitere Schwerpunkte lagen auf der Entwicklung medizinischer Arznei
en, vor allem von Blutgerinnungsmitteln wie Styptorol.
Auch der bereits erwähnte von Lützelburg war in die medizinische For
schung involviert, für die er auf seine in Südamerika gewonnenen Erkennt
nisse zurückgriff. Er stand in enger Verbindung mit Dr. Rascher bezüglich
der Erprobung eines von ihm entwickelten Krebsheilextraktes aus einer al
pinen Pflanze anhand von Menschenversuchen. Im September 1943 dank
te Himmler seinem Schwager in einem Brief: „Ich bin sehr froh, daß du jetzt
in Dachau bist, da u dort mit Rascher sowie mit unseren Heilkräuter-Instituten
in engster Fühlung lebst. Der Krebsforschung messe ich allergrößten Wert bei."85i
1944 wurde die Krebserforschung auf den Wirkstoff Colchizin ausgewei
tet und in Zusammenarbeit mit Eduard May, dem Leiter des entologischen
Ahnenerbe-Institut in Dachau, durchgeführt. Im Januar 1945 erstattete von
Luetzelburg der Reichsgeschäftsführung einen positiven Bericht, dessen De
tails jedoch nicht - zumindest offiziell - erhalten geblieben sind.
Während die medizinische Forschung bereits umfangreich wissenschaft
lich behandelt wurde, ist in einem anderen Bereich der Sonderforschung, in
die das Ahnenerbe involviert war, ein überraschender Mangel feststellbar:
Der Sonderwaffenforschung.
Wenn heute von deutschen Wunderwaffen die Rede ist, so denken die
Meisten an die VI und V2, die seit 1943 bzw. 1944 als „Vergeltungswaffen"
gegen England eingesetzt wurden. Während die unbemannte VI als erster
Marschflugkörper der Geschichte bei einer Maximalgeschwindigkeit von
650 Km/h noch relativ leicht abgefangen werden konnte, gab es gegen die
V2, die erste Rakete mit Sprengkopf, keine Abwehrmöglichkeit. Daß jedoch
die V2 nur den Anfang einer viel weiter fortgeschrittenen Geheimwaffen-
Forschung des Dritten Reiches darstellte, wurde zumeist übersehen. Unter
dem Projekttitel V3/ A9 firmierte eine Weiterentwicklung der V2, die in der
Lage sein sollte, selbst Amerika erreichen zu können. Daneben gab es eine *
854 Simon (ChrLuetzelburg), S. 23.
272
Real existierende Wunderwaffen: Focke Wulf Triebflügel - Strahlbomber Junkers 287
ganze Reihe von ferngesteuerten Raketen, Nurflügel- und Deltaflugzeugen
sowie andere Waffensysteme, die in den verschiedensten Entwicklungssta
dien standen - unter anderem mehrere Strahlflugzeuge, die als „Amerika-
Bomber" vorgesehen waren. In jüngster Zeit sickern dabei mehr und mehr
Informationen über bereits existente Flugzeugtypen an die Öffentlichkeit,
die bislang als lediglich geplant oder auf dem Reißbrett existent bezeich
net worden waren.855 Während die Ankündigung neuer Vergeltungswaffen
durch Propagandaminister Goebbels und auch Heinrich Himmler lange Zeit
als Bluff angesehen wurden, scheint nun sicher, daß zahlreiche Projekte kurz
vor dem Einsatz standen.856 Eines der erstaunlichsten ist dabei ein Deltaflug
zeug mit der Bezeichnung „P 13 A" des Konstrukteurs Alexander Lippisch,
das eine Geschwindigkeit von Mach 1,2 erreicht haben soll und ausweislich
einer US-Dokumentationsliste aus den sogenannten „Lusty-Akten" erbeutet
wurde.857
855 Bereits 1956 hatte der ehemalige Patentamtsmitarbeiter Rudolf Lusar ein Buch
veröffentlicht, das zahlreiche geheime Waffenprojekte vorstellte. Der Inhalt wurde
jedoch nicht sonderlich beachtet, bis sich 30 Jahre später herausstellte, daß die alliier
ten selbst das Buch so ernst nahmen, daß sie eine Expertenkommission einrichteten,
um die Angaben zu überprüfen; vgl. Georg (2009), S. 126.
856 Vgl. dazu insbesondere Georg (2009) sowie Witkowski (2008); exemplarisch
für den Optimismus selbst in engsten Parteikreisen ist der Brief Bormanns an seine
Frau vom 2. April 1945, in dem er seiner Hoffnung Ausdruck verleiht, „daß die
Produktion der Jäger, wie von Kammler noch geplant, groß genug sein werde und
daß die erhofften Erfolge nicht zu spät kämen", zit. nach Kater (2006), S. 220 ;
ebenso berichtet Kersten von einer Aussage Himmlers im Dezember 1944. in der er
davon spricht, daß man „bald die letzte Waffe zum Einsatz bringen werde, welche
die Kriegssituation dramatisch ändern wird; zit. nach Pringle (2006), S. 283 f.
857 Vgl. Farrell (2009), S. 21 - die „Lusty-Dokumente" umfassen Berichte zu deut
schen Geheimtechnologien und -Waffen, die anhand von Geheimdienst- und diver
273
Hintergrund dieser geheimen Waffenentwicklungen war die zunehmen
de Verlagerung deren Produktion im Verlauf des Krieges in die Hände der
SS. Im August 1943 beschloß Hitler auf Vorschlag Himmlers, Arbeiter für
die Rüstungsproduktion aus den Kl zu rekrutieren. Bereits im März 1942
hatte Himmler die Zusammenarbeit der Skoda-Werke bei Prag sowie der
Waffenwerke Brünn bei der Entwicklung neuer Waffensysteme mit der SS
angeordnet.858 1943 erfolgte die Einrichtung einer eigenen SS-Fliegertruppe.
Seit dieser Zeit war die SS dadurch faktisch unabhängig, nicht nur in der
Entwicklung, sondern auch im Einsatz neuer Waffen. Zugleich verfügte die
SS auch über die Mittel, ihre Forschungen und ihre Produktion unter stren
ger Geheimhaltung und abgeschottet von der Außenwelt durchzuführen.
Im Juli 1944 wurde Himmler zum Befehlshaber des Ersatzheeres ernannt
und im September erhielt SS-General Kammler das Kommando über die bis
her dem Heer unterstehenden VI und V2 Raketeneinheiten.859 Der promovier
te Ingenieur Hans Kammler hatte sich beim Aufbau der Wehrmacht Anfang
der 30er Jahre erste Sporen verdient und war Ende der 30er Jahre im Auftrag
der Luftwaffe als Militärberater bei den Sowjets tätig.860
861 1942 trat er als Baube
vollmächtigter in die SS ein und leitete den Aufbau des KL Auschwitz. In den
darauffolgenden Jahren erhielt er den Oberbefehl über die SS-Baudivision und
stieg bald zum Verwalter des SS-Wirtschaftsimperiums auf, das über mehrere
Millionen Zwangsarbeiter aus den Konzentrationslagern verfügte. 1944 unter
stand ihm der Einsatz der VI und V2 Waffen gleichzeitig der Ausbau der unter
irdischen Produktionsstätten in Nordhausen (Dora-Mittelbau) und im Jonastal
(Sonderbauvorhaben S-III) sowie die Entwicklung aller neuen Waffensysteme.
Am 27. März 1945 schließlich übertrug Hitler dem als äußerst akribisch und
durchsetzungsfähig geltenden SS-Bürokraten unbeschränkte Vollmachten für
das Strahljäger-Notprogramm. Hans Kammler wurde damit zu einem der ein
flußreichsten Männer des 3. Reiches, gar zum „mächtigsten Mann Deutschlands
außerhalb des Kabinetts", der sogar befugt war, „jedermann ohne Rücksicht auf Rang
und Stellung zu verhaften, der der Durchführung seiner Befehle im Wege stand."961
Albert Speer, der zugunsten von Kammlers Aufstieg an Macht einbüßte,
schrieb über seinen Rivalen:
„Gerüchteweise sollte Kammler als Himmlers Nachfolger aufgebaut werden. Ich
lernte Kammler als hervorragenden, jedoch eiskalt berechnenden und rücksichtslos
intrigierenden Fachmann kennen, der von seiner Aufgabe besessen und fanatisch in
274
der Durchführung seiner Ziele war.... Als Partner
in mancherlei Aufgabenbereichen, in seiner Vor
stellung vielleicht sogar mein Rivale, war er in sei
nem Werdegang wie auch in seiner Arbeitsweise
und manchem anderen Wesenszug mein Spiegel
bild. Auch er kam aus einer soliden Mittelklasse
familie, hatte die Universität besucht, wurde dann
durch seine Konstruktionen bekannt und fand sich
schnell und sicher auch auf Gebieten zurecht, für
die er überhaupt keine Ausbildung hatte."862
Der bürokratische Offizier schuf innerhalb
SS-Brigadeführer Hans der SS eine Organisation, die heute als Denkfab
Rammler (links außen) rik bezeichnet werden würde und sich aus einer
Vielzahl von Spezialisten und Forschem zusammensetzte, deren gemeinsames
Ziel in der Entwicklung neuartiger Waffensysteme bestand. Dazu zählten so
wohl raketen- und strahlgetriebene Flugzeuge als auch alternative und atomare
Antriebstechnologien und schließlich auch Laser- und optische Projekte.863
Bis heute konnten zahlreiche deutsche Forschungen eruiert werden, die
sich mit geheimen Waffenentwicklungen befaßten und vor allem innerhalb
der SS-Einrichtung „Forschung, Entwicklung, Patente“ (FEP) vorangetrieben
wurden. Aufgrund der Entwicklung innerhalb der SS und der damit verbun
denen hohen Geheimhaltungsstufe waren diese weder in Patentdokumenten
noch in irgendwelchen Aktenbeständen aufgeführt, so daß viele Details erst
im Laufe vieler Jahre durch Augenzeugenberichte und andere Indizien zu
sammen getragen werden konnten.864
Darüber hinaus wurden insgesamt über 750.000 Patente, mehr als 20.000 Wa
renzeichen, 50.000 Farbformeln und 146.000 Patentvorschläge von den Allüer-
ten geraubt, die als Grundlage vieler US-amerikanischer Nachkriegserfindun
gen dienten. Unter den sichergestellten Dokumenten befanden sich auch 204
Kubikmeter Akten des Reichsluftfahrtministeriums, die zahlreiche waffentech
nische Entwicklungen enthielten, die in vielen Fällen bis heute geheim gehalten
werden.865 Trotzdem auch die Engländer Sonderkommandos („T-Forces") ein
setzten, um deutsche Hochtechnologie sicherzustellen,866 hatten die US-Ameri
kaner, die bereits im Vorfeld über eine Vielzahl von Informationen verfügten,
stets die Nase vom, wenn es um die Sicherstellung dieser Güter ging.
276
Karl Schappeller
In diesem Zusammenhang ist die Erprobung der Theorien Karl Schappel-
lers (1875-1947) überliefert. Der in einem Armenhaus geborene Schappeller
war eigentlich Postmeister, ließ sich aber bereits mit 44 Jahren frühpensi-
onieren.874 Seitdem forschte Schappeller an einer freien Energieform, die er
„Raumkraft" nannte. In relativ kurzer Zeit gelang es ihm, einen Kreis von
Förderern in Wien und Umgebung zu mobilisieren, der sich aus Personen
verschiedenster Herkunft zusammensetzte. Dazu zählten etwa „der Führer
der Arbeitslosen in Wien", Schloßnagel, Fabrikanten wie Eduard Solderer,
aber auch Angehörige des Klerus, die vor allem durch den Neffen des Linzer
Bischofs, Ingenieur Louis Gföllner rekrutiert wurden, der Mitverfasser eines
„Gutachtens" über Schappellers Arbeit war.875 Aber auch in völkischen Krei
sen wurde der Erfinder bald bekannt und umgarnt. 1925 erwarb Schappeller
das Schloß Aurolzmünster nahe von Linz, welches zuvor im Besitz der ihn
unterstützenden Familie des Grafen zu Arco Valley war.876 Hier soll er auch
nach dem „Hunnen-Schatz König Attilas" gesucht haben, wobei der nähe
re Hintergrund dieser Suche offen bleiben muß.877 Zum Kreis der Anhänger
Schappellers zählten auch der ariosophische Verleger Herbert Reichstein und
dessen guter Bekannte Jörg Lanz von Liebenfels, der viel von Schappeller ge
halten zu haben schien, bezeichnete er diesen in der Zeitschrift „Ariosophie"
1930 doch als ,,Ein[en] Titanejn] auf technischen-physikalischem Gebiet".878
„Ein mehr als 30Jähriges Studium der Natur, unbeeinflußt von aller Schulwis
senschaft, und eine ganz ungewöhnliche Erkenntniskraft ließen ihntiefer als wohl
je einen Menschen vor ihm in das Wesen der Materie und der Energie eindringen.
Was die modernste Atomphysik und Elektrochemie allmählich in Teilergebnissen
gefaßt hat, war Schappeller schon vor mehr als zehn jähren geläufig. In Hunderten
von Experimenten erprobte er seine durch Studium gewonnenen Erkenntnisse auf
31.3.1945; Interessant in diesem Zusammenhang ist auch ein Eintrag Speers (1976),
S. 468, der von einem ähnlichen Waffenprojekt spricht, das Robert Ley vorantreiben
wollte - auch hier blieb ein Erfolg aus.
874 Gerüchten zufolge handelte es sich dabei um eine Zwangspensionierung auf
grund amtlich festgestellter Geisteskrankheit so etwa http://www.berlinonline.de/
berliner-kurier/politik/betrueger_teil4/; Bahn (1997) weist allerdings auf die geringe
Glaubwürdigkeit der Gerüchte hin, S. 120 f
875 Siehe Bahn (1997), S. 122 f.
876 Einer anderen Sichtweise zufolge, sei ihm das Schloß „überlassen" worden,
http://www.berlinonline.de/berliner-kurier/politik/betrueger_teil4/; Zur Familie
von Arco Valley gehörte auch der Eisner-Attentäter Anton Graf von Arco auf Val
ley, der selbst bis 1927 als Folge der Tat in Haft saß; vgl. Bahn (1997), S. 123 f.
877 So Bahn (1997), S. 129.
878 So Wikipedia: Karl Schappeller; zu Reichstein, Goodrick-Clarke: (2004), S. 153.
277
Karl Schap-
peller (re.)
Funktions
prinzip des
Meta-Mag-
neton (li.)
278
metall-isolierenden Kugelschale gegeneinander gerichtet waren wie die Kohlenstifte
einer elektrischen Bogenlampe. Zwischen diesen beiden introvertierten, metamagne
tischen Polen, entstand ein Kraftzentrum, von dem aus, wie von einem Leuchtturm,
Todesstrahlen ins Weite gesteuert werden konnten. Diese Todesstrahlen waren
nicht nur imstande, ganze feindliche Bataillons und Tankgeschwader von der Tafel
des Lebens hinwegzuschieben (...), sie konnten auch an allen deutschen Grenzen
eine unsichtbare, alle elektrischen Motorzündungen paralysierende und alle Ge-
schoßladungen zur Explosion bringende Wand bilden... ,"882
Obgleich bereits 1930 ein Gutachten des Wiener Profossors Hans Thiring
die Ansichten Schappellers als „grotesken Unsinn" bezeichneten,883 scheint
das Versprechen Schappellers, mit seinen „Urkraft-Stoffgewinnungsaggre
gaten" Silber oder Platin aus dem Erdinneren in reinster Form nach oben zu
fördern und durch „Stoffveredelungsmaschinen" „biomagnetisch" Blei oder
Eisen in Gold zu verwandeln, bei Himmler auf offene Ohren gestoßen zu
sein. Bereits 1933 soll sich der Reichsführer in München mit Schappeller ge
troffen haben.884 Nachdem ein 1935 bei Hitler vorgesehener Termin platzte,
setzte Himmler schließlich sein Ahnenerbe auf den Fall an.885
Allerdings vermochten auch die eingesetzten Ahnenerbe-Fachleute die For
schungen nicht nachzuvollziehen und gaben eine Negativbewertung ab.886
Wenige Jahre zuvor - 1932 - hatte sich auch die englische Marine für
Schappellers Arbeiten interessiert und soll einen auf Raumkraft basierenden
Schiffsmotor in Auftrag gegeben haben, der jedoch nie fertiggestellt wurde.
Etwa zur gleichen Zeit der Ahnenerbe-Prüfungen gründeten ebenfalls Bri
ten, ein gewisser Cyril Davson sowie ein Mr. Cooper, sogar ein „Syndikat
zur weiteren Finanzierung" der Arbeiten Schappellers. Dies konnte aller
dings den Niedergang des Raumkraft-Werkes nicht aufhalten - Schappeller
versank schon vor Kriegsbeginn in Bedeutungslosigkeit und verstarb 1947
auf Schloß Aurolzmünster.887
In jüngerer Zeit wurden Schappellers Forschungen allerdings wieder auf
gegriffen und zumindest ein Teil seiner theoretischen Erwägungen rehabili
tiert: So sei die Geschichte von Schappellers Raumkraft-Aggregaten die „Ge
schichte des ersten echten europäischen Energie-Konverters, der seinen Nachfolgern
von heute um mehr als ein halbes Jahrhundert voraus war."888
882 Adrian Turel: Bilanz eines erfolglosen Lebens, zit. nach Bahn (1997), S. 127.
883 So http://www.berlinonline.de/berliner-kurier/politik/betrueger_teil4/
884 Bahn (1997), S. 130.
885 Zu diesem Termin siehe Heiber/Longerich (1983), S. 121.
886 Vgl. BArch NS21/819.
887 Vgl. Bahn (1997), S. 131.
888 So der Euergieforscher Rolf Schafftanke, zit. nach Balm (1997), S. 119.
Viktor Schauberger
Bis heute spurlos verschwunden
sind dagegen offizielle Akten über den
Wissenschaftler Viktor Schauberger
(1885-1958), obgleich eine Zusammen
arbeit der SS mit dem Österreichischen
Ingenieur als gesichert gilt. Schauber
ger wurde als Erfinder einer Holz
schwemmanlage bekannt und forschte
an allerlei „an der Natur orientierten"
Dingen, darunter zentripetalen Wirbel
Viktor Schauberger
strömungen des Wassers. Die Beobach
tung der Natur und Ableitung von Erkenntnissen aus diesen Beobachtungen
führten ihn zur sogenannten „Implosionstechnik", die im Gegensatz zu den
herkömmlichen Explosions- bzw. Verbrennungsmotoren im Einklang mit der
Natur stände. Anfang der 30er Jahre wurde Hitler auf den Forscher aufmerk
sam und lud ihn 1933 zu einem Gespräch ein, an dem auch der Physiker Max
Planck teilnahm.889 Nach dem Anschluß Österreichs geriet Schauberger erneut
ins Blickfeld der Politik: Einige seiner Geräte wurden durch die Wehrmacht
beschlagnahmt, er selbst seit 1941 für die Flugzeugproduktionsfirma Messer-
schmidt verpflichtet, wo er an Kühlsystemen für Flugzeuge arbeitete. 1943 ar
beitete er im KL Mauthausen an einem U-Boot Antrieb. Unbestätigten Quellen
zufolge war Schauberger jedoch auch an der Forschung über fliegende Scheiben
beteiligt, auf die noch zurück zu kommen sein wird.
N-Stoff
Als N-Stoff („Normal-Stoff") wird ein chemisches Brand- und Zündmittel
auf Basis einer Chlortrifluorid-Verbindung genannt.890 Die 1929 an der Techni
schen Hochschule in Breslau zufällig entdeckte Verbindung hatte die Fähigkeit,
ebenso organische Stoffe wie auch Wasser und sogar Metalle explosionsartig
beim ersten Kontakt zu entzünden. Als Einsatzmöglichkeiten des von der IG-
Farben weiterentwickelten N-Stoffs wurde daher unter anderem vorgesehen:
- Inbrandsetzung der schwer entzündlichen Dieselbarrieren vor der Küste
Großbritanniens angesichts einer deutschen Invasion der Insel.
- Steigerung der Brandwirkung von V2-Raketen
- Entfachung von Bränden innerhalb von Panzern durch Koppelung des
N-Stoffes mit Projektilen
889 Cook (2006), S. 259.
890 Die Alliierten fürchteten, daß es sich beim N-Stoff, von dem sie über Spione erfahren
hatten, um eine Anthrax-Bakterienladung handelte, da im englischen „N" für Anthrax
steht, Georg (2009), S. 427f; zum N-Stoffsiehe insbesondere Schmaltz (2005), S. 143 ff.
280
Nachdem die Wehrmachtsstellen nach ausführlichen Prüfungen und
Gutachten die Verwendbarkeit des Stoffes nicht eruieren konnten, übertrug
Hitler im Juli 1944 die Entwicklungsarbeiten auf die SS.891 Hier erhielt der
bereits erwähnte Kurt Plötner im September 1944 über den Reichsarzt-SS
Ernst-Robert Grawitz den Auftrag, als einer von zwei Sachverständigen die
toxischen Wirkungen der Wunderwaffe zu untersuchen. Nach einem ersten
Versuch, über den keine Ergebnisse bekannt sind, wurden im KZ Sachsen
hausen fünf angeblich zum Tode verurteilte Häftlinge angefordert, um „zur
abschließenden Klärung der physiologischen Wirkung des N-Stoffes auf und durch
die menschliche Haut nunmehr einige Versuche am Menschen durchzuführen".892
Auch das Ahnenerbe war in die Forschungen eingebunden. So ersuchte
Sievers Oswald Pohl für ein N-Stoff Werk, das auf Befehl Albert Speers in
Falkenhagen eingerichtet wurde, Wachmannschaften zu stellen. In seinem
Schreiben an Pohl bezeichnete Sievers den N-Stoff als „kriegsentscheidend" ,893
Bevor im Oktober 1944 die Produktion beginnen konnte, bescheinigte ein
Prüfungsbericht der Waffen-SS trotz eines angeblich erfolgreichen Tests die
Untauglichkeit des N-Stoffes als Brandmittel - lediglich als Zündmittel sei
ein Einsatz in Erwägung zu ziehen.894
Neben dem N-Stoff wurden in Falkenhagen auch die Nervengase Ta-
bun und Sarin durch die IG Farben produziert, deren Einsatz aufgrund
fehlender Gegenmittel allerdings nicht in Erwägung gezogen wurde.
Auch hier war die SS vermutlich aus eigenem Antrieb mit dem Ziel tätig
geworden, chemische Waffen als Gefechtsköpfe der V-Raketen zu ver
wenden.895
Mathematische Abteilung
Um das geistige Potential innerhalb der Konzentrationslager für Deutsch
land zu nutzen, wurde im Mai 1944 Oswald Pohl beauftragt, in den Lagern
wissenschaftliche Häftlingsgruppen zusammenzustellen. Diese wurden im
KL Sachsenhausen unter Oberbefehl des SS-Untersturmführers K.H. Boseck
im Rahmen des Ahnenerbe als mathematische Abteilung eingesetzt, in die
auch jüdische Häftlinge aufgenommen wurden. Der Einsatzschwerpunkt
der ab 1944 als „Sonderabteilung M" firmierenden Einheit, lag auf der Be
rechnung komplexer mathematischer Formeln sowie der Ausarbeitung von
Einzelkonstruktionen, wie des EO2-Gerätes.896
281
Akten belegen, daß die Angehörigen der mathematischen Abteilung so
gar Geldbeträge erhielten, um die Arbeitsmoral zu steigern.897
Darüber wurden aus Häftlingsgruppen auch eine chemische, eine physika
lische, eine eklektrotechnische sowie eine Kunstruktionsabteilung eingerichtet,
die im Kl Plaszow (Krakau) und im Kl Flossenbürg untergebracht waren.898
Elektrostopp-Forschungen
Eine weitere der von Himmler erträumten Wunderwaffen basierte auf der
Idee, mittels starker elektrischer Strahlung Motorzündungen außer Kraft zu set
zen. Anfang 1944 wurden im Rahmen des Heeres Versuche mit Flüssigkeiten
durchgeführt, welche Motoren von Fahrzeugen außer Kraft setzen sollten:
„Bei den Versuchen zur Entwicklung eines Motorstoppmittels sind jetzt Stoffe
gefunden worden, die, durch thermische Schwelverfahren ausgebracht, in der Lage
sind, Motoren bis zu 2,5 l innerhalb weniger Minuten zum Stillstand zu bringen.
Die Störungen sind derartig tiefgreifend, daß die gestoppten Motoren zum Teil völ
lig überholt werden mußten. Bei der Übertragung der Ergebnisse auf Großmotoren
(12 l) waren die Ergebnisse noch nicht befriedigend. Es traten zwar erhebliche Leis
tungsminderungen ein, die jedoch noch nicht zum Motor stopp führten. Die Versu
che werden fortgesetzt."899
Da sich die Versuche nicht erfolgversprechend entwickelten, kam es im
Juni 1944 zu Tests mit chemischen Mitteln:
„Bei der Besprechung am 15. 6. 1944 in der Forschungsführung wurde festge
stellt, daß sich aus Konzentrationsgründen lediglich diejenigen chemischen Stoffe
zum Einsatz gegen feindliche Flugzeuge befinden, die ein Klopfen im Motor durch
Herabsetzung der Oktanzahl der Brennstoffe zur Folge haben. Vorversuche, die die
Lebensdauer eines Motors beim Zuführen von Brennstoffen mit niedriger Oktan
zahl feststellen, sollen vom Erprobungskommando 25 in Verbindung mit der K.d.E.
durchgeführt werden.“900
Im November 1944 wandte sich diesbezüglich die Firma Elemag mit einem
Plan eines elektronischen Motorstoppmittels an die Wehrmacht. Himmler,
„beeinflußt von den alten nordischen Sagen über den magischen Hammer
des Thor",901 wies noch im gleichen Monat seine Fachleute an, eine solche
Waffe zu entwickeln.
897 Vgl. Schreiben aus dem Pers. Stab RF-SS an Boseck vom 6.12.1944, Archiv Verfas
ser Nr. 42; vgl. auch Kater (2006), S. 255f, der dieses Detail bezeichnenderweise ebenso
unerwähnt läßt wie Koop (2012), S. 58 ff.
898 Vgl. Koop (2012), S. 59.
899 „Arbeitsnachrichten“ Wfl Prüf (B. u. M.) Nr. 50/45 g.Kdos. vorri 31.12.1944;
zit. nach Waffenrevue Nr. 48.
900 Ebenda.
901 So spekuliert Pringle (2006) über Himmlers Motivation, S. 282.
282
Himmler selbst glaubte aus den Überlieferungen über germanische Götter,
insbesondere aus Darstellungen des Thorshammer, aus dem Blitze zucken, die
damalige Kenntnis der Elektrizität ableiten zu können. So glaubte Himmler,
daß es sich bei dem Dargestellten „nicht um natürlichen Donner und Blitz han
delt, sondern daß es sich um ein früheres, hoch entwickeltes Kriegswerkzeug unserer
Vorfahren, das selbstverständlich nur im Besitz weniger, nämlich der Asen, der Göt
ter, war und das eine unerhörte Kenntnis der Elektrizität voraussetzte, handelte."902
Die Versuche an der eigenen elektrischen Wunderwaffe indes sollen den
Angaben Speers zufolge im Sande verlaufen sein: Dr. Werner Osenberg, Lei
ter der Rüstungsforschung, habe demnach geäußert, daß die von der Ele-
mag vorgeschlagene Wirkungsweise derzeit technisch nicht durchführbar
sei und Verständnismängel seitens der Firma selbst erkennen lasse.903 Offizi
ell bedeutete dies das Ende der elektromagnetischen Forschung. Es sei denn,
Speer hätte gelogen. Dafür sprechen Berichte, die der britische Wissenschafts
autor Nick Cook in einem Feldbericht über deutsche Lenkwaffentechnologi
en ausfindig machte: So wird unter der Bezeichnung „Windhund" über eine
Aufspürvorrichtung feindlicher Flugzeuge berichtet, die einen unbemann
ten Flugkörper in Richtung dieser Flugzeuge lenken konnte. Weiterhin wird
eine Drohne erwähnt, die mittels eines Infrarot-Systems Flugzeugabgase
ortete und anpeilte. Über den Standort Wien heißt es: „ Versuche mit Strahlen
waffen zur Flugabwehr", und über Daimler-Benz, Untertürkheim: „Aktivität:
Geheimwaffe. .. Setzt angeblich das Zündsystem eines Otto-Motors außer Kraft...
(nicht aber eines mit Batteriezündung)." Schließlich in Bezug auf das Hermann-
Göring-Institut für Elektrophysik in Landsberg: „Aktivitäten: Forschungen in
den Bereichen Treibstoff, Flugzeuge, unbemannte Flugzeuge, Fernsteuerung."
Alle diese Einträge weisen auf den Einsatz elektrischer Motorstoppwaffen
hin, die auch von der Firma Elemag angeregt worden waren, aber offiziell
nie weiter verfolgt wurden.904
Daß Speer es mit der Wahrheit nach dem Kriegsende nicht allzu genau
nahm, bemerkte bereits Matthias Schmidt.905 Daß er jedoch gute Gründe für
seine partielle Amnesie haben könnte, wird verständlich, wenn man sich eine
kürzlich präsentierte Version der letzten Kriegswochen näher betrachtet, die
mit der deutschen Atombombe in Zusammenhang steht.
902 Brief Himmler an Wüst, Mai 1940, zit. nach Koop (2012), S. 110.
903 Vgl. Speer (1967), S. 146; vgl auch Pringle (2006), S. 282.
904 Zitate nach Cook (2006), S. 95 ff.
905 Schmidt (1982).
283
Name des Forschers - herausfand, stellte die bisherige Ansicht, derzufolge
Deutschland die Entwicklung einer Atombombe nicht vorangetrieben habe,
in Frage: Seinen Erkenntnissen zufolge wurde an einer V-2 Nachfolgerrakete
gearbeitet, die einen nuklearen Gefechtskopf nach Amerika transportieren
sollte.906 Jahrzehntelang hieß es, daß die Entwicklung einer deutschen Atom
bombe während des Krieges eingestellt wurde, da die Ausgangsstoffe , u.a.
Schweres Wasser durch die Sprengung einer norwegischen Produktionsfab
rik am 28. Februar 1943, nicht mehr zugänglich waren.907 Überdies gab Wer
ner Heisenberg an, daß das deutsche Atomprogramm bereits 1941 offiziell
eingestellt wurde. Daß jedoch neben der offiziell bekannten Forschergruppe
um Werner Heisenberg, Carl Friedrich von Weizsäcker und Otto Hahn am
Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin noch weitere Wissenschaftlergruppen exis
tierten, die sich mit der Kernforschung befaßten, war zwar bekannt, wurde
aber aufgrund offenkundiger Bedeutungslosigkeit vernachlässigt: Neben
einer von Kurt Diebner geleiteten Einrichtung des Heereswaffenamtes in
Kummersdorf, später Stadtilm, arbeitete auch Paul Harteck an der Universi
tät Hamburg am Bau eines Uran-Versuchsreaktors.908 Thomas Mehner und
Edgar Meyer fanden angeregt von Fäth in jahrelangen Recherchen nunmehr
heraus, daß daneben noch eine Forschergruppe unter Befehl der SS existiert
haben muß, die in ihrer Arbeit weiter fortgeschritten war, als die offiziell
präsentierte Expertengruppe. Bereits seit 1939 hatte die SS demzufolge im
Köln-Bonner Raum eine „Denkfabrik" zur Entwicklung atomarer Waffen
eingerichtet, die während des Krieges mit anderen geheimen Einrichtungen
in Ohrdruf / Thüringen und Böhmen - vielleicht auch bei Auschwitz - zu
sammenarbeitete, um bereits 1943/44 erste „einsatzbereite Waffensysteme
liefern zu können."909
Auch das Ahnenerbe war an der Kernforschung beteiligt. In Anbindung
an das Amt sollte an der Reichsuniversität Straßburg 1942 ein Lehrstuhl für
Kernphysik eingerichtet werden, dem auch ein Cyclotron zur Verfügung ge
stellt werden sollte. Ergänzend sollte die Karstwehr-Abteilung des Almenerbe
das in Höhlen entstehende Neueis auf die Anreicherung mit schwerem Was
ser untersuchen, was allerdings verneint wurde.910
Bestätigt wurden die Forschungen durch den Berliner Historiker Rainer
Karlsch: In den beiden letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs sollen bei „nu
klearen Versuchsexplosionen" in Thüringen und auf Rügen mehrere hundert
284
Kriegsgefangene und Häftlinge ums Leben gekommen sein, wie er seinem Buch
„Hitlers Bombe" unter Berufung auf bisher unbekannte Quellen in russischen
Archiven und auf Ergebnisse von DDR-Amateurforschem angibt.911 Laut Zeit-
Online sollen insgesamt fünf Physikprofessoren durch Messungen bestätigt ha
ben, daß „in Ohrdruf Spuren eines nuklearen Ereignisses vorhanden" seien.912
Trotz aller Zweifel an einem erfolgreichen deutschen Atomwaffen-Pro-
gramm - erfolgreich zumindest was die Herstellung von Atombomben be
trifft - ist die dafür sprechende Beweislast zu erdrückend: Neben Augenzeu
genberichten über deutsche Atomwaffen-Tests und Kleinstatomwaffen, die in
Stadtilm sichergestellt worden sein sollen, sind es vor allem alliierte Militärbe
richte, die für den erfolgreichen Abschluß des Atombombenbaus sprechen.913
Allerdings verbleibt die Frage, warum diese Waffe nicht eingesetzt wurde?
911 Karlsch (2005); allerdings fanden sich die Hinweise darauf bereits bei Mayer/
Mehner, die allerdings nur in Fußnoten erwähnt werden; ein weiterer Test soll bei
Auschwitz stattgefunden haben, siehe Fn.778.
912 Kettenreaktion der Geschichte? http://www.zeit.de/2005/12/A-Bombe_Pro; allerdings
hat sich auch hier Widerstand formiert: So hätten von der Physikalisch-Technischen Bun
desanstaltentnommene und untersuchte Bodenproben aus Jonastal keinen Hinweis auf Nu
klearexplosionen, sondern lediglich auf Kontamination durch den Tschernobyl-Störfall er
geben, stehe: http://wunu.ptb.de/de/aktuelles/arcluv/presseinfos/pi2006/pitext/pi060215.htni
913 Hier insbesondere Aussage Major Alexander de Seversky, wonach das Flächen
bombardement der Alliierten auch dem Zweck diente, eine Fertigstellung der Atom
bombe durch die „Nazis" zu verhindern (Chicago Daily Tribüne 28.09.1945), sowie
Bericht des US-Generalstabschef George C. Marshall, demzufolge die Landung in
der Normandie erforderlich wurde aufgrund der deutschen Entwicklung atomarer
Sprengstoffe (Daily Mail 10.10.1945, ebenso Biennal Report ofthe Chief of Staff of
the US-Army -1945); Mayer/Mehner (2007), S. 110 ff.
914 Mayer/Mehner (2004), S. 236 f.
915 Indizien für Kammlers Überleben bei Agoston (1997), S. 113 ff.; für Bormann
siehe Farell (2010), S. 269 ff.; ebenso - wenn auch als Quelle ungeeignet - Serrano
(1987), S. 7 ff.; dagegen soll ein DNA-Test eine in Berlin aufgefundene Leiche als
285
Bildmontage: Atomexplosion in New York - Atombombe vom Typ „Little Boy" mit
Heckflossen deutscher Produktion
Das von den Autoren unter dem Decknamen „Operation Avalon" skizzierte
Szenario umfaßt die Existenz einer einsatzfähigen Atombombe in den letzten
Kriegswochen. Dies würde sowohl Hitlers Enthusiasmus als auch den seiner
Vertrauten Himmler und Goebbels erklären. Denn die lang angekündigten
„kriegsentscheidenden" Wunderwaffen erschöpften sich nicht in konventio
nell bestückten V2- oder ähnlichen Raketen, sondern bezogen sich auf ato
mare Waffen, entweder als Sprengkopf einer A-10 Amerika-Rakete oder als
atomar bestückter Langstreckenbomber. Doch anstatt die Waffe gegen die Al
liierten einzusetzen, sollen sich die drei genannten Protagonisten zusammen
getan haben, um die Waffe als Pfand gegenüber dem Feind zu verwenden - im
Austausch für die eigene Immunität. Dies könnte wiederum den plötzlichen
Stimmungswechsel Hitlers nach Speers letztem Besuch in Berlin am 20. März
1945 erklären. Der These zufolge habe Speer Hitler entweder reinen Wein ein
geschenkt, zumindest aber dem Reichskanzler die Mitteilung überbracht, daß
die Atomwaffe definitiv nicht mehr zum Einsatz kommen werde. Speer selbst
verbüßte zwar 20 Jahre Haft, konnte aber sowohl seine Identität als auch sein
bisheriges Leben in seiner Heimat beibehalten.
Die Freiheitsstrafe wäre ihm wohl erspart geblieben, wenn er sich wie
Kammler und Bormann entschieden hätte - beide verschwanden von der Bild
fläche, ohne Spuren zu hinterlassen. Doch nicht nur das: Für beide wurden im
Vorfeld Legenden ihres Todes konstruiert, die von zurückbleibenden Kamera
den erzählt werden sollten.916 Im Falle des vorgeblichen Todes Bormanns - auf
der Flucht aus dem Bunker in Berlin - hat dies besser funktioniert, als im Falle
Kammlers, denn über Letzteren kursierten bald drei verschiedene Todeslegen
den. Haben hier einige Beauftragte etwas durcheinander gebracht? Sei es wie
es sei, Fakt ist, daß Kammler trotz seiner gewichtigen Rolle bei der Leitung des
Sonderwaffeneinsatzes und seiner Verantwortung für den Tod vieler Zwangs
arbeiter bei keinem der Nachkriegs-Tribunale nähere Beachtung fand. Statt
dessen gibt es merkwürdige Indizien, die auf eine deutsche Herkunft des ame
Bormann identifiziert haben, vgl. Wikipedia: Martin Bormann.
916 Auffällig ist auch, daß die USA Jahrelang Gerüchte streuten, beide Akteure
seien zu den Sowjets übergelaufen, vgl. Knaack (2010),S. 63.
286
rikanischen Plutoniums der beiden eingesetzten US-Atombomben sprechen:
Demnach soll das Uranium (spaltbares Uran 235) von Bord des U-Bootes U-234
stammen, das sich im April 1945 auf dem Weg nach Japan befand.917
Eine in der Tat abwegig scheinende Geschichte - wenn es nicht eine ganze
Reihe heute unbestrittener Friedensverhandlungen seitens verschiedenster
deutscher Kreise mit den Alliierten gegeben hätte. Sicher ist, daß es in den
letzten Kriegsmonaten auch Kreise der SS eine rege diplomatische Tätigkeit
entfalteten: Sowohl Gottlob Berger, Chef des SS-Hauptamtes, als auch Hein
rich Himmler selbst streckten Fühler für einen Seperat-Waffenstillstand mit
den westlichen Allierten aus.918 Berger hatte bereits in einem vertraulichen
Brief an Himmler vom 26.9.1944 vorsichtig Verhandlungen mit der sowje
tischen Seite vorgeschlagen, „um im Osten den Rücken frei zu bekommen".
Er spekulierte als Reaktion auf einen englischen Kriegsaustritt.919
Als dieser Vorschlag ohne Reaktion blieb, richtete Berger sein Augenmerk
auf die Westalliierten und schickte Anfang 1945 Emissäre in die Schweiz,
um dort Verhandlungen mit US-Vertretern zu führen. Im April 1945 einigte
er sich mit Eisenhower auf die Übergabe von prominenten Gefangenen, die
angeblich auf Befehl Hitlers erschossen werden sollten.920
Im „Wilhelmstraßen-Prozeß" 1949 wurde er zwar zu 25 Jahren Haft ver
urteilt, kam aber bereits 1951 wieder auf freien Fuß - zusätzlich stifteten ihm
die Amerikaner als Dank für die Rettung der Gefangenen eine bronzene
Dankestafel auf seinem Grab in Gerstätten.
Ebenso wie Berger zählten auch Richard Hildebrandt, letzter Chef des
RuSHA, und Georg Erbrecht, SS- und Polizeichef in Königsberg, zum Kreis
der Verschwörer. Letzterer hatte sich allerdings an die Sowjets gewandt
und diesen scheinbar einen Dienst erwiesen, wurde er doch später in den
Stasi-Akten als „Friedenskämpfer" geführt.921
Die wichtigsten Verhandlungsobjekte, um den Alliierten Zugeständnis
se abzupressen, waren entweder Gefangene, vor allem jüdischer Herkunft,
Hochtechnologie und Waffen sowie Kunstschätze, die im Osten sicherge
stellt worden waren. Hierzu zählten etwa eine Ikonensammlung aus Kiew
und vielleicht sogar das sagenumwobende Bernsteinzimmer, das seit seiner
287
Evakuierung aus Ostpreußen
als verschollen gilt.922
Eine weitere Spur im Zusam
menhang mit Kunstschätzen als
Pfand bei geheimen Friedens
verhandlungen mit den Alliier
ten führt zu Martin Bormann.
Dieser deckte den Gauleiter
von Ostpreußen Erich Koch
bei der Sicherstellung der be
Martin Bormann (Bildmitte) sagten Ikonen-Sammlung vor
Alfred Rosenberg. Und auch
Hans Kammler war involviert: Gemeinsam mit Himmler und dessen Aus
landsspionage-Chef Walter Schellenberg traf er sich im Oktober 1944 in der
Schweiz mit einem Vertreter orthodoxer amerikanischer Rabbiner, um über
die Auslieferung von 600 000 Juden gegen 5 Mio Schweizer Franken oder
Traktoren und Landwirtschaftsgeräte zu verhandeln.923
Was eine Zusammenarbeit zwischen Kammler und Bormann darüber hi
naus nachvollziehbar erscheinen läßt, ist die Tatsache, daß sich beide aus
ihrer gemeinsamen Kampfzeit Anfang der 20er Jahre im Freikorps Roßbach
kannten.924 Kammler war - noch bevor die Allierten das tatsächliche Ausmaß
der Forschungen des Kammler-Stabes überblicken konnten - aufgrund sei
ner Bedeutung für die V-Waffen Produktion in den letzten Kriegsmonaten
tatsächlich ein Angebot von US-Seite unterbreitet worden, in den USA am
Aufbau der Raketenindustrie mitzuarbeiten, wie Kammlers Frau nach dem
Krieg angab!925 Um sich abzusichern, habe Kammler aber von sich aus zeit
gleich Kontakt zu den Sowjets aufgenommen, um Verhandlungen über die
Auslieferung von Waffenmaterial zu führen. Dies sei, so Georg, auch der
Grund, warum nach dem Krieg beide Seiten die jeweils andere verdächtig
ten, Kammler aufgenommen zu haben.926 Sicher ist jedenfalls, daß eine gan
288
ze Reihe von Forschern aus dem Kammler-Stab bei der Besetzung Pilsens
Anfang Mai 1945 durch Kräfte unter dem Befehl General Pattons gefangen
gesetzt und später in amerikanische Dienste übernommen wurde.927
Ein anderer Teil hatte sich ebenso wie die Raketentechniker um Wernher
von Braun nach Bayern abgesetzt. Auch Kammler, der am 3. April seinen
Abschiedsbesuch bei Hitler antrat, hatte bereits ein Quartier bei München
eingerichtet und teilte Albert Speer mit, warum es besser für diesen sei, sich
ihm anzuschließen.928 Tatsächlich liefen bereits seit einiger Zeit Bestrebun
gen, in Südbayern ein letztes Verteidigungsbollwerk gegen die Alliierten
aufzubauen, die sogenannte Alpenfestung. Heute wird diese - ebenso wie
die tatsächlichen Vergeltungswaffen - als Mythos bezeichnet. Dennoch gibt
es Hinweise, daß erst Vorkommnisse in den letzten Kriegstagen eine Akti
vierung der Alpenfestung verhinderten.929
Abzug der Alliierten, diesen „in den Rücken zu fallen". Im Juni 2014 enthüllte der
Filmemacher Andreas Sulzer, daß Kammler am 9. Mai vom US-Geheimdienst CIC
arrestiert und später in die USA verbracht wurde, wo sich seine Spur verliert, vgl.
R. Karlsch, in „Zeitschrift f. Geschichtswissenschaft", 6/2014.
927 So Agoston (1997), S. 7.
928 So Speer (1976).
929 Bei Wikipedia: Alpenfestung, findet sich folgender aufschlußreicher Eintrag:
„Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges entwickelte Deutschland den vom Gaulei
ter Franz Hofer entworfenen und maßgeblich von Heinrich Himmler sowie Joseph
Goebbels getragenen Alpenfestungsplan, sich angesichts der unmittelbar bevorste
henden militärischen Niederlage in den letzten Wochen des Krieges, insbesonde
re nach der Teilung des deutschen Staatsgebiets durch Berührung der von Osten
und Westen anrückenden alliierten Truppen, in befestigte Anlagen in den Bergen
der bayerischen, österreichischen und italienischen Alpen zurückzuziehen. Von
dort aus wollte das Deutsche Reich der unausweichlichen, so die eigene ideologi
sche These, militärischen Konfrontation zwischen der Sowjetunion und den USA
auf deutschem Boden widerstehen und der Siegerseite als Verhandlungspartner zur
Verfügung zu stehen, um die absehbare totale militärische Niederlage doch noch in
einen Teilsieg umzuwandeln beziehungsweise die Niederlage abzumildern. Unter
anderem Ernst Kaltenbrunner als Chef des Reichssicherheitshauptamts hatte bereits
in diesem Sinne Kontakte zu den Amerikanern aufgenommen. Vom Widerstand,
darunter auch Fritz Molden, wurde jedoch laufend an die Amerikaner über die Bau
fortschritte berichtet. Die Amerikaner führten zu keinem Zeitpunkt Verhandlungen
mit Kaltenbrunner in dem von den Nationalsozialisten gewünschten Sinn. Obwohl
Adolf Hitler am 24. April 1945 in einem Führerbefehl sämtlichen noch verfügbaren
Kräften den Rückzug in die Alpenfestung anordnete, hatte er sich jedoch darauf fest
gelegt, bis zur endgültigen Niederlage in Berlin zu bleiben. Die Pläne zur Errich
tung einer Alpenfestung waren ihm als im Wesentlichen fiktiv bekannt, da er selbst
289
Ebenjene gegen Hitler gerichtete Verschwörung durch drei der mächtigs
ten Männer dieser letzten Kriegstage? Unabhängig von Mehner und Mayer
bestätigt auch Nick Cook genau diese Verschwörung: „Dann aber teilte Kamm-
ler dem Reichsminister für Bewaffnung und Munition mit, es seien Bestrebungen
im Gange, den Führer zu beseitigen.
Er habe vor, Kontakt mit den Ame
rikanern aufzunehmen und ihnen im
Austausch für seine persönliche Frei
heit alles anzubieten - Strahlflugzeu
ge, die A4-Rakete und andere bedeut
same Entwicklungen."930
Speer selbst habe - wie er nach
dem Krieg beteuerte - dieses An
gebot abgelehnt. Jedenfalls ge
hörte er nicht zu den Akteuren,
die sich absetzten - indes scheint
angesichts der vorliegenden Fak
ten seine ursprüngliche Beteili
gung an dem Komplott durchaus
glaubhaft zu sein. Vielleicht stieg
er erst aus als klar war, daß die
Amerikaner nicht über ein wei
terbestehendes Reich mit ihm als
wichtigem Akteur verhandelten,
sondern lediglich um die persön
liche Freiheit im Gegenzug für die
geheimen Waffentechnologien.
es war, der alle mobilen und verfügbaren Einheiten nach dem Ruhrgebiet und in die
Schlacht um Berlin befohlen hatte. Die Alpenfestung umfaßte nach den Planungen
mehrere Teile: Wehrmachts- und SS-Einheiten, Waffen- & Falschgeldproduktionen,
Festhalten von sogenannten Sonderhäftlingen; Georg (2009), S. 682 f, verweist
auch auf den britischen Air-Force-Gesandten Roy Fedden, der über einen geplanten
Einsatz von Nuklearwaffen aus der Alpenfestung ab Oktober 1945 spekulierte.
930 Cook (2006), S. 207f.
290
12. Von Neuschwabenland nach Aldebaran:
Spekulationen um SS-Geheimprojekte
291
aufgrund der Flugeigenschaften wie er etwa beim Frisbee oder dem ange
drehten Bierdeckel zu beobachten ist, vermutlich unabhängig voneinander,
auf die Möglichkeit eines diskusförmigen Fluggerätes, einer Flugscheibe,
stießen. Während es eigentlich weltweit theoretische Befassungen mit diesem
Problem gab, wurden die ersten praktischen Versuche in Deutschland un
ternommen. 1939 wurde anläßlich des 1. nationalen Wettbewerbes für Flug
modelle der sogenannte Nurflügler A.S. 1 des Konstrukteurs Arthur Sack
vorgestellt, der jedoch sehr schlechte Flugeigenschaften aufwies und nicht
selbständig starten konnte. Auf Ermunterung des damaligen Luftwaffen-
Generalluftzeugmeisters Ernst Udet entwickelte Sack den Prototypen AS
6/ VI (letzteres als Bezeichnung des 1. Prototypen), der als konventionelles
Flugzeug lediglich runde Flügelformen aufwies und bei Flug-Versuchen im
April 1944 aufgrund des zu schwachen Propeller-Triebwerkes nicht von der
Startbahn abzuheben vermochte. Dieses von der Luftwaffe selbst geförderte
Projekt dürfte aufgrund der schlechten Erfahrung dann eingestellt worden
sein, beweist aber, daß sogar die Luftwaffe selbst mit diskusförmigen Flug
geräten experimentierte.932 Auch der Konstrukteur Andreas Epp, der selbst
an solchen Fluggeräten arbeitete, übergab Ernst Udet eigenen Angaben zu
folge 1941 ein Modell eines Flugdiskus, das nach Peenemünde gelangt sein
soll, ohne daß Epp offiziell mit weitergehenden Plänen beauftragt wurde.933
Ein Forscherteam, bestehend aus Dr. Richard Miethe, Projektleiter und
Fachmann für Aerodynamik, Dr. Ing. Otto Habermohl, Experte für Senk
rechtstart und Autogyro, Dipl. Ing. Guiseppe Belluzo, Spezialist für wärme
beständige Legierungen und Dipl. Ing. Rudolf Schriever, Chef-Testpilot, soll
schließlich einen Durchbruch mit einem „Flügelrad-Konzept" erzielt haben.
Zwischen 1939 und 1945 wurden verschiedene Prototypen des sogenannten
BMW-Flügelrades entwickelt, das mit Strahltriebwerken ausgestattet war
und aus einem Rotor mit 16 trapezförmigen Blättern, die sich um einen zent
ralen Cockpit-Körper drehten, bestand. Der Jungfernflug des letzten Protoy-
pen, BMW Flügelrad II VI soll am 14. Februar in Prag stattgefunden haben,
bei dem aber lediglich eine geringe Flughöhe erreicht worden wäre.934
Allerdings ist diese Geschichte - zumindest was die beteiligten Forscher
anbelangt - kaum glaubhafter als noch abstruser erscheinendere. Denn der
1952 verstorbene Belluzo hatte zwar genau wie Epp an Flugscheibenentwür
fen gearbeitet, leitete jedoch von 1939 bis 1943 die Kommission für nationale
Erziehung und Volkskultur im faschistischen Italien. Auch Rudolf Schriever,
der zwar durch die Veröffentlichung von Berichten über die Flugscheiben
projekte einige Bekanntheit in Deutschland erlangte, spielte nach eigenen
292
Aussagen für die Konstruktion der Fluggeräte keine größere Rolle.935
Lediglich der Konstrukteur Miethe, der in den 50er Jahren in die USA
ging, könnte tatsächlich am Bau der Flügelräder mitgewirkt haben. In Ame
rika jedenfalls war er an der Entwicklung des Avro-VZ 9 Flugdiskus betei
ligt, der jedoch nach negativen Testreihen offiziell eingestellt wurde.936 Ha-
bermohl soll dagegen im April 1945 von den Sowjets gefangen genommen
worden sein, jedenfalls fehlt von ihm seither jede Spur. Damit endet eigent
lich die herkömmliche Darstellung der Flugscheibentechnologie, soweit sie
aus verschiedenen Quellen rekonstruierbar ist.
293
- vor allem vor dem Hintergrund, daß es in Deutschland im Raum Jonastal
ein S-III Programm gab, während Vorläufer des S-4 in den USA fehlen?937
Auf die erste Frage gibt es eine klare Antwort So wie in anderen Bereichen
der Militärtechnologie gab es auch im Bereich der Luftfahrt gleichzeitig laufende
Erprobungen verschiedener Typen, jedoch weist die Forschung der Luftwaffe an
einem Propeller-betriebenen Typ bis 1944 darauf hin, daß die Erprobungen des
düsengetriebenen Flugkörpers im Auftrag einer anderen Organisation durch
geführt wurden. Dabei kennt man aus der heutigen militärtechnologischen For
schung etwa der USA genau dieselbe Vorgehens weise, nach der ein vielverspre
chendes neues System, das so lange wie möglich geheim gehalten werden soll,
offiziell eingestellt wird, um dann im Geheimen die Forschung voranzutreiben.938
In diesem Fall hätte man der Öffentlichkeit und der alliierten Aufklärung das
Sack-Modell und die mangelnde Zukunftsträchtigkeit offen präsentiert, während
andere Projekte im Geheimen weiter entwickelt worden wären.
Die weiteren offenen Fragen könnten erhellt werden, wenn man einen vor
sichtigen Blick auf die alternative Darstellung der Flugscheibenforschung des
3. Reiches wirft. Demnach hätte im Februar 1945 nicht ein Prototyp des BMW-
Flügelrades, sondern eine funktionsfähiger Flugdiskus vom Typ V7 abgehoben,
der eine Flughöhe von 12 400 Metern und eine Geschwindigkeit von 2000 Km/h
erreicht haben soll.939 Weitere Flugscheiben mit Bezeichnungen Vril I-II und Hau-
nebu I-III wären zudem in Planung gewesen. Zur Unterstreichung dieser Ver
mutung werden oftmals eine Reihe von Konstruktionszeichnungen und Plänen
präsentiert, die insbesondere im Internet kursieren, deren Herkunft jedoch nicht
zweifelsfrei geklärt werden kann. In vielen Publikationen wird dessen ungeach
tet munter spekuliert, so etwa, daß Andreas Epp „von Zeit zu Zeit auch der Wis
senschaftlergruppe" angehört hätte, welche diese Typen entwickelt haben soll.940
Glaubwürdiger sind dagegen Vermutungen, die von getrennten For
schergruppen, eine um Otto Habermohl, und eine um Dr. Miethe ausge
hen, die zeitweise zusammen gearbeitet haben könnten. So soll Habermohl
(allerdings gemeinsam mit Schriever, was jedoch ausgeschlossen werden
kann) das Modell Epps, das Ernst Udet übergeben worden war, in Prag er
probt und einen darauf basierenden Prototypen eines Flugkreisels gebaut
haben, der dann nach Aussage eines ehemaligen Testfliegers in Peene
münde getestet wurde, bevor die Erprobung nach Wien verlagert worden
sei.941 Darauf bezieht sich auch ein Artikel in der schwedischen Zeitung
„Aftonbladet" vom 10. 10. 1952, in dem der Probeflug unter Kommando
294
Links: Angebliche Haunebu-Flugscheibe. Rechts: BMW-Flügelrad VI im Flug.
von Wernher von Braun 1944 stattgefunden hätte. Im Sommer 1944 seien
Epps Erinnerungen zufolge, zwei Prototypen, geflogen von den Piloten
Heinz Dittmar und Otto Lange gegen einen amerikanischen Bomberan
griff bei Leuna / Merseburg eingesetzt worden, was angeblich durch eine
amerikanische Zeugenaussage bestätigt wird.942 Mit der Ernennung SS-
Brigadefühers Hans Kammlers zum Sonderbevollmächtigten für die Pro
duktion aller Strahlflugzeuge im März 1945 soll eine Serienproduktion des
Flugkreisels Habermohls und eines von Miethe entwickelten Flugdiskus in
Prag befohlen worden sein.
Nach Aussage des beteiligten Technikers Heinrich Fleißner hätten am 24.
April 1945 vier Flugscheiben unter schwerem Beschuß von Berlin mit unbe
kanntem Ziel abgehoben - dies bringt uns dann in die Nähe der Spekulation,
nach der Hitler mit Hilfe von Flugscheiben geflüchtet sei, wie sie etwa von
Mattern vertreten wurde.943
Während also die Identität von Forschern, die letztendlich tatsächlich an
Flugscheiben gearbeitet haben unklar ist, weisen doch Zeitzeugenberichte
auf tatsächlich existente derartige Fluggeräte hin:
Mit dem Testflieger Hans-Joachim Röhlke benennt etwa der Autor Roth-
kugel einen Augenzeugen für den fortgeschrittenen Stand der Flugschei
bentechnik. So soll Röhlke seiner Tochter nach dem Krieg anvertraut haben,
„die Erde von oben gesehen zu haben" - womit wohl ein Flug jenseits der
Hemisphäre gemeint ist.944 Daneben gibt es eine ganze Reihe von Zeugen
aussagen, die für eine tatsächliche Existenz flugfähiger und auch eingesetzter
Flugscheiben sprechen: Neben ehemaligen deutschen Soldaten auch alliierte
Kriegsgefangene.945 So etwa die Aussage Georg Kleins, die jedoch als fehler-
295
„Flugscheiben-Pioniere"? Andreas Epp - Belluzo - Richard Miethe - Rudolf Schriever
haft entlarvt wurde, zumindest was den Zeitraum anbelangt946: „Am 14. Feb
ruar 1945, morgens um 6.30 Uhr, war auf dem Messegelände von Holice der Start
erfolgt. Gespannt blickte der Sonderbeauftragte Klein auf Habermohl, der sich von
seinen Mitarbeitern Mühlens und Schreiber sowie sechs Werksangehörigen, die die
erforderlichen Vorbereitungen zu treffen hatten, abwendete und mit dem Einflieger
Röhlke auf den Flugring zuging. ...Habermohl und seine Mitarbeiter starrten auf ihre
Armbanduhren, Röhlke winkte mit der Hand, und schon setzte sich der Flugring mit
einem ohrenbetäubenden Rauschen in Bewegung. Er schwang sich senkrecht in die
Luft und schnellte dann im Steilflug kerzengerade weiter nach oben...."
Nachvollziehbarer erscheinen allerdings die von Rothkugel präsentierten
Aussagen in einem Brief von Herrn Prof. Phys.-Ing. Friedrich Lachner an ei
nen befreundeten Wissenschaftler:
„Besten Dank für Ihren Brief mit den Flugkreiselablichtungen. Im Krieg hörte ich
davon in Fachkreisen. In der Wiener-Neustädter Flugzeugfabrik, die ein Filialbetrieb
der Messerschmitt-Werke war, wurde ein Versuchsmodell von 5 m Durchmesser her
gestellt, das vermutlich auch Versuchsflüge bis nach Wien gemacht hat."
Es wird außerdem geschildert, daß seine Ehefrau den Flug eines solchen
Gerätes beobachten konnte. Ihr war aufgefallen, daß das Flugverhalten die
ses Objektes ganz anders war als sonst üblich, es konnte nämlich unvermittelt
plötzliche Richtungsänderungen durchführen. Sie erkannte auch, daß bei dem
Flugkörper in der „Mitte noch etwas dran war". Prof. Lachner schreibt weiter:
„Gleich nach dem schweren Bombenangriff auf die Flugzeugfabrik, den ich vom
Berg bei Fischau aus sah, war mein Vetter der Medizinalrat Oskar L. drinnen, um
Verletzten zu helfen. Dabei sah er ein solches arg beschädigte Modell und wußte
damals aber nicht was es war."
Eine ehemalige Konstruktionsberechnerin, die bei WNF (Wiener Neustäd
ter Flugzeugwerke) arbeitete, konnte ebenfalls bestätigen, daß sich im Werk
eine Flugscheibe befand, heißt es in dem Schreiben. Prof. Lachner erwähnt
946 Aus Aufzeichnungen des Kriegstagebuchs der 8. Luftflotte ergibt sich für den
14.02.1945 im angeblichen Erprobungsraum eine sehr niedrige Wolkendecke, was
die Ersterprobung einer solch revolutionären Waffe unwahrscheinlich macht, vgl.
http://www.reichsflugscheiben.de/einleit.htm.
296
weiterhin, daß ein Ing. Kühnelt, der
Flugzeugtechniker war, ein solches
Gerät mit 15 m Durchmesser gese
hen habe. Er hörte auch von einem 30
m Durchmesser großen Gerät. Lach-
ner schreibt, daß er einen Fluginge-
nieur Klein kennen gelernt hatte, der
in die Erprobung von Flugscheiben
verwickelt war: „Einmal ist er (Klein,
Anm. d. A.) wenige Meter vor mir abge
stürzt. Obwohl das Flugzeug zerbrach,
ist ihm nicht viel geschehen. Ich führte Schauberger-Repulsine
ihn damals gleich zum Flugchef."947
Unkonventionelle Antriebsarten
Andere Quellen sprechen von einem weiteren Forscher, der sich mit der
Frage alternativer Energiegewinnung und neuer Antriebsarten beschäftigte:
dem bereits erwähnten Viktor Schauberger. Demnach habe Schauberger 1939
einen Energiegenerator gebaut, der mit einem Sog- statt eines Druckprinzips
arbeitete. Dieses 1940 beim Reichspatentamt angemeldete Antriebssystem
hätte sowohl in U-Booten als auch Flugzeugen Anwendung finden können.948
1940 habe der Ingenieur dann in Wien ein Flugscheiben-Modell aus Kupfer
angefertigt, um verschiedene Energieeinwirkungen zu testen. Auf Grundla
ge seiner bisherigen Arbeiten, habe Schauberger seit 1940 an einer Maschine
gearbeitet, die auf einem „Anti-Gravitations-Prinzip" basiere. Diese „Umkeh
rung" der Schwerkraft, die physikalisch eigentlich gar nicht möglich ist, soll
gemäß den Forschungen des englischen Autoren Cook inzwischen durch ver
schiedene Forscher nachgewiesen worden sein - zwar nur mit einer Aufhe
bung von 1-5 % des Gewichtes, jedoch wäre dies zu steigern, wenn erst einmal
das richtige Prinzip gefunden ist. 1941 sei Schauberger dann der Durchbruch
gelungen und eine von ihm bei der Firma Kertl in Wien angefertigte Scheibe
sei in der Lage gewesen, auf Grundlage dieses Prinzips tatsächlich abzuhe
ben, dabei aber gegen die Decke des Labors gestoßen und beschädigt worden.
Daraufhin verpflichtete die Gestapo bzw. die SS Schauberger für geheime Ar
beiten an einem Standort im tschechischen Gablonz (heute Jablonec), der sich
Cook zufolge, „im Herzen von Kammlers High-Tech-Reich befand."949
297
Parallel hätten aber auch die Heinkel-Werke Schaubergers Patent - das nur
auf die Anwendung als Wasserkraftwerk patentrechtlich geschützt war - auf
genommen und in Rostock weiterentwickelt, bis auch dieses Heinkel-Projekt
1943 in das Gebiet Tschechiens verlegt wurde. Aufgrund von Schwierigkeiten
bei der Entwicklung wurde Schauberger beauftragt, mit den Heinkel-Wissen-
schaftlern an einem Antriebssystem auf Grundlage seines Patentes zusammen
zu arbeiten, was Schauberger aber aufgrund der heimlichen Verwendung sei
ner Arbeit durch Heinkel ablehnte. Im Juni 1944 wurde Schauberger dann
nach Breslau beordert - offiziell um in einer Volkssturmeinheit Dienst zu tun,
tatsächlich jedoch - so Cook - hatte die SS unter Leitung Rammlers bereits
Fortschritte bei der Nutzbarmachung von Schaubergers Antriebstechnologie
erzielt und zog nun den Ingenieur selbst hinzu, um die abschließenden Ar
beiten an mindestens vier Maschinen zu koordinieren, die auf Schaubergers
Plänen basierten: Einem Gerät zur Wasserreinigung, einer Energiemaschine
zur Erzeugung von Starkstrom, einer Maschine zur Herstellung von Kraft
stoff auf Wasserstoffbasis und schließlich einer Repulsine bzw. „Fliegenden
Scheibe".950 Von August 1944 bis zum Ende des Krieges arbeitete Schauberger
nun in Wien mit Hilfe eines Mitarbeiterstabes, den er im KL Mauthausen
rekrutiert hatte. Hier wurde bis zum 6. Mai ein flugfähiger Prototyp einer Re
pulsine hergestellt, deren Jungfernflug aufgrund der Flucht des SS-Wachkom
mandos nicht mehr zustande kam951
In diesem Zusammenhang von Bedeutung ist ebenso der auch bei Schau
berger erzielte „Coanda-Effekt", der auf Versuche des in Frankreich leben
den Rumänischen Luftfahrtingenieurs M. Coanda zurückgeht und die Be
schleunigung eines Luftstroms über die Peripherie einer konkaven Scheibe
beinhaltet, was bereits 1938 als Patent angemeldet wurde. Tatsächlich soll
Coanda nach der deutschen Besetzung Frankreichs für die deutsche Luft
fahrtforschung verpflichtet worden sein, ohne daß sich jedoch hier verläßli
che Quellen finden lassen würden.952
Unbestritten wurde indes an sogenannten „Absaugeprinzipien" mit Flüs
siggas oder Nuklearantrieb gearbeitet, die Flugscheiben in die Lage versetzt
hätten, auch außerhalb des Luftraumes der Erde zu operieren.953 Hierzu ist
ein Forschungsauftrag des OKHs an die Forschungsgruppe der Deutschen
Reichspost nachweisbar, der auf den 15. Oktober 1942 datiert.
in dem dieser von der geheimen Arbeit für die Gestapo erzählt, „bei der es sich auf
grund von Schaubergers Ausdrucksweise ebensogut um eine andere SS-Abteilung
gehandelt haben könnte".
950 Cook (2006), S. 266ff.
951 Cook (2006), S. 268.
952 Miranda / Mercado (1991), S. 32.
953 Vgl. Rothkugel (2001).
298
Zeichenstudien des Orbital-Gleiters von Eugen Sänger und einer Haunebu-Flugscheibe
299
Die Projekte „Feuerball" und „Kugelblitz"
Eine weitere Forschungsrichtung in Zusammenhang mit Flugscheiben
bestand in der Erprobung speziell zur Abwehr von Bombern entwickelter
Waffen mit den Bezeichnungen „Feuerball" und Kugelblitz", im englischen
auch als „Foo-Fighter" benannt. Zumeist wird in Verbindung mit dem „Ku
gelblitz" von einem unbemannten runden Fluggerät ausgegangen, das die
Elektronik feindlicher Flugzeuge stören sollte. Darauf verwiesen insbeson
dere Aussagen von US-Piloten, die von derartigen Erfahrungen berichteten.
Dagegen ist in der Zeitschrift „Flugzeug-Profile" ein Kapitel „Flugschnittei-
Konzept" enthalten, in dem der Kugelblitz als Flakmine bezeichnet wird. Die
erstmals gebaute Flakmine V7 „Feuerball" bestand aus einem Zentralkörper
mit Treibstoff, Vergaser und Sprengstoff (250 - 500 Kg) mit umlaufenden Ro
torblättern und wurde funkgesteuert. Der Kugelblitz soll als Weiterentwick
lung bis zu 10 000 Kg. Sprengstoff getragen haben, der zudem in Form einer
mit Wasserstoff und anderen Elementen angereicherten Wolke erst nach
Passage durch ein Flugzeug zur Explosion gebracht wurde. Hierauf bezie
hen sich auch verschiedene alliierte Reporte, u.a. über „Flugabwehrbomben
aus Feuerdampf" über dem Gardaseee 1945.959 Dagegen sollen die als zur
Störung der Elektronik eingesetzten Systeme weitaus kleiner und eventuell
sogar immaterieller Natur - in Form etwa von Lasersignalen o.ä. - gewesen
sein. Indes verweisen Dokumente auf tatsächliche Forschungen an Geräten
zur Beeinträchtigung der Elektronik feindlicher Flugzeuge.
300
deur war Kapitän Alfred Ritscher. Als Zweck der Reise wurde die Erschlie
ßung von Walfanggebieten angegeben, zugleich sollten jedoch völkerrecht
liche Ansprüche auf Teile der Antarktis erhoben werden, da hier eine große
Konzentration von Edelmetallen und Rohstoffen festgestellt worden war.
Während der Expedition wurden 200 000 km2 karthographiert und weite
Gebiete durch die Begleitflugzeuge „Boreas" und „Passat" erkundet, wobei
auch eisfreie Seen und Gebirge entdeckt wurden, die im antarktischen Som
mer unterirdisch erhitzt werden („Schirrmacher-Oase" u.a.)
In der offiziellen Dokumentation der Reise „Deutsche Antarktische Expe
dition 1938/39", herausgegeben von Kapitän Alfred Ritscher, heißt es dem
entsprechend, daß die Expedition „mit ihren Erfolgen die Voraussetzungen für
eine Beteiligung Deutschlands bei künftigen internationalen Auseinandersetzungen
über Hoheitsfragen in der Antarktis geschaffen (habe)". Es folgt eine akribische
Auflistung der Ergebnisse der Luftbildauswertung, der fliegerischen Erkun
dung sowie der verfaßten geographischen Arbeiten.960
Insbesondere letztere Aufnahmen weisen auf einen der Expedition oft un
terstellten Zweck hin, nämlich Forschungen bezüglich der Welteislehre bzw.
zur Frage nach der Existenz einer hohlen Erde, deren Eingänge an den Polen zu
finden seien. Mit dieser Fragestellung verbunden, erschien eine Mitwirkung des
Ahnenerbes nicht ausgeschlossen, da diese Organisation ja die Untersuchung
der Welteislehre seit 1937 zu einer ihrer wichtigsten Aufgaben zählte. Daneben
gibt es Gerüchte, nach denen auch eine Untersuchung zur Frage der Möglich
keit der Existenz alter Kulturspuren unter dem antarktischen Eis Bestandteil
der Expedition gewesen sein könnte, was ebenfalls in den Einflußbereich des
Ahnenerbes fallen würde. Insbesondere soll es sich bei möglichen archäologi
schen Untersuchungen um die Suche nach Atlantis und Spuren der nordischen
Rasse gehandelt haben. Hierzu fehlt allerdings jeder Hinweis in den erhaltenen
Akten; auch dessen ungeachtet dürften derartige Untersuchungen reine Speku
lation sein, da es zwar Thesen zur Herkunft der „Nordischen Rasse" und der
einstigen Existenz eines „Atlantischen Reiches" in der Arktis gegeben hat, für
die Antarktis eine solche These allerdings nicht ernsthaft diskutiert wurde. Da
neben fehlen im Bericht der Expedition Hinweise und Namen entsprechender
Forscher auf der offiziellen Teilnehmerliste - eine diesbezügliche Geheimhal
tung von archäologischen Forschungen durch Nichtaufführen verantwortlicher
Forscher ist dabei nahezu ausgeschlossen, insbesondere unter Berücksichtigung
des Anspruches des Ahnenerbes, die eigene Reputation durch öffentlichkeits
wirksame Forschungen zu steigern.961
Darüber hinaus halten sich bis heute hartnäckig Gerüchte, denen zufolge es
über die Antarktis-Expedition von 1938/39 hinaus noch weitere, geheime For
301
schungsfahrten zum Südpol gegeben hätte. Im Verlauf dieser Expedition(en)
sollen auch unterirdische Basen angelegt worden sein. Diese seien wiederum
während des Krieges in unglaubliche Dimensionen ausgebaut worden und dien
ten der Legende zufolge am Ende des Krieges als Auffangbasis verschiedener
Marine- und Lufteinheiten der SS, darunter den sagenumwobenen Flugschei
ben. Diese ganze Basis hätte unter dem Kommando ehemaliger SS-Einheiten
und Offiziere gestanden und als 3. Macht den Kampf inoffiziell fortgeführt.962
302
pedobooten und Flugzeugen, in drei Gruppen unterteilt, näherten sich aus
südlicher Richtung dem Eiskontinent und stießen an den Küsten bis zum
Queen-Maud-Land vor, in dem sich auch das deutsche Neuschwabenland
befindet.964
Während einigen Autoren zufolge die Expedition nach dem Verlust meh
rerer Flugzeuge und eines Torpedobootes „überhastet" abgebrochen werden
mußte, schreibt Byrd in einem großen Bericht im „National Geographie" vom
Oktober 1947 lediglich über einen Flugzeugunfall. Tatsächlich gab es jedoch
weitere Unfälle, u.a. einen Hubschrauberabsturz, die Byrd offensichtlich ver
schwieg. Während es ungewöhnlicherweise nach der Expedition keine sonst
übliche Pressekonferenz gab, wurde stets eine angebliche Aussage Byrds wie
dergegeben, derzufolge er von zukünftigen Flugzeugen warnte, die von einem
Pol zum anderen fliegen könnten, und ferner die Antarktis eine Bedrohung
für den Frieden darstelle. In Schöns Dokumentation ist dagegen lediglich die
Rede davon, daß „die kürzeste Entfernung zwischen der Neuen und der Alten
Welt quer über den Arktischen Ozean und die Nordpolarzone" verlaufe und
daß vorherzusehen sei, „daß die hier in der Antarktis gewonnen Erkenntnisse
auch für kriegerische Auseinandersetzungen in der Artkis von großem Nut
zen seien."965 Diese glaubwürdigere Aussage bezieht sich offensichtlich auf
die bevorstehende Auseinandersetzung mit der Sowjetunion und nicht auf
eine Auseinandersetzung mit einer „Dritten Macht", wie die reichsdeutschen
Verteidiger einer angeblichen Basis auch genannt werden. Auch die angebli
che Aussage Dönitz stellte sich als Märchen heraus, zumindest stritt Dönitz
diese selbst nach dem Krieg ab.966
303
Deutsche Expeditionsteilnehmer Die eisfreie Schirrmacher-Oase
in der Antarktis
behauptete, sie wäre nach 1939 angelegt und erst Mitte der 50er Jahre zuguns
ten einer weiteren Basis in Südamerika aufgegeben worden.968
Inwieweit Landig hier glaubwürdig ist, muß dahingestellt bleiben, jeden
falls scheint er tatsächlich seit 1943 in deutsche Geheimwaffenforschungen
in Wien involviert gewesen zu sein.
Verschiedene Autoren schließen generell die Möglichkeit der Anlage un
terirdischer Festungen in der Antarktis angesichts des den Küsten vorgela
gerten Packeises aus,969 andererseits könnten U-Boote durchaus mit dem
Pazifik verbundene, eisfreie Seen angesteuert haben, die im Inneren des ant
arktischen Kontinentes lagen. Auch das Ankern von U-Booten während der
US-Expedition „Highjump" direkt an der antarktischen Küste scheint diesen
Einspruch zu widerlegen (siehe Bild oben). Gerade für eine Absatzbewegung
gegen Kriegsende kommen indes eine ganze Reihe von U-Booten in Betracht.
Sternhoff listet etwa 10 verschiedene U-Boote auf, die gemäß diverser Zeu
genaussagen gegen Kriegsende mit verschiedenen Zielen von Kiel und vom
Norwegischen Kristiansand ausliefen.970 Das bekannteste dieser Boote war
U-234, welches mit verschiedenen Plänen und Mustern fortschrittlicher Waf
fensysteme in Begleitung zweier japanischer Offiziere Kurs auf Japan nahm,
sich jedoch nach Erklärung der Nichtigkeit der deutsch-japanischen Abkom
men nach der deutschen Kapitulation am 19. Mai in Portsmouth selbst stellte.
Nach verschiedentlich geäußerter Meinung soll die ebenfalls an Bord befindli
che Uranium-Verbindung für die ersten US-Atomwaffen Verwendung gefun-
304
Operation „Highjump"1947: Admiral Richard Byrd - US-U-Boot an der Küste
den haben.971 Zwei weitere zu Bekanntheit gelangte Boote waren U-530 und
U-977, die sich im Juli und August in Argentinien stellten, und Gegenstand
von Spekulationen über Zwischenstopps in Neuschwabenland oder der vor
angehenden Absetzung hochrangiger NS-Persönlichkeiten wurden; mancher
nahm sogar Hitler selbst als Passagier an. Dazu paßten auch Berichte von Be
gegnungen ziviler Schiffe mit deutschen U-Booten, lange nach Kriegsende,
die eine Absatzbewegung - eher jedoch nach Südamerika, denn zu einer Ba
sis in Neuschwabenland - durchaus plausibel erscheinen ließen; zumal der
seit 1946 amtierende Argentinische Ministerpräsident Peron als ehemaliger
Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes der SD wirkte und viele deutsche Emig
ranten ganz offiziell einreisen ließ.972 An Flugzeugen standen für eine Flucht
neben den konventionellen, als „Amerika-Bomber" konzipierten Fernflug
zeugen Me-264 und Junkers Ju 390, deren einer Prototyp tatsächlich spurlos
verschwand,973 auch düsengetriebene Prototypen der Baureihen Ju 287 zur
Verfügung. Zumindest spricht einiges dafür, daß gegen Kriegsende Kammler
eine Evakuierung geheimer Waffenprojekte mittels der Führerbegleitstaffel
durchführen ließ, der eine Ju 390 zugeteilt war.974
305
von Hitlers Tod und ließ eine umfangreiche Untersuchung durchführen.
Genährt wurden die Gerüchte eines lebendigen Hitlers vor allem durch wi
dersprüchliche Zeugenaussagen, die sowohl über den genauen Ort als auch
die Ursache dessen Todes variierten.
Presseberichte über Augenzeugen, die Hitler nach 1945 an den verschie
densten Orten begegnet sein wollten, taten ihr Übriges zur Untermauerung
dieser Legende. Nachdem aber Sowjetrußland bekannt gab, die sterblichen
Überreste Hitlers und seiner Frau Eva Braun 1945 aufgefunden zu haben,
verstummten die Gerüchte nach und nach. Tatsächlich ergab auch eine
2006 durchgeführte Untersuchung des in Moskau aufbewahrten Gebisses,
das Hitler zugeschrieben wird, eine Übereinstimmung mit dem Zahnbild
des Reichskanzlers, wie es vor dem Krieg angefertigt worden war. 2010 gab
es jedoch erneut Anlaß für Zweifel: Eine durchgeführte anthropologische
Untersuchung von in Moskau aufbewahrten Fragmenten des vorgeblichen
Hitler-Schädels ergaben, daß sie weiblichen Ursprunges waren !975
Dieses Ergebnis läßt zwei Schlußfolgerungen zu: Entweder wurden Ske
lettreste vertauscht, so daß eventuell Eva Brauns Schädel als der Hitlers
registriert wurde. Oder aber, die aufbewahrten Reste stammen tatsächlich
nicht von Hitler, so daß damit der einzige physische Beweis der damaligen
Todesumstände des Reichskanzlers entfallen würde.
In einem kürzlich publizierten Artikel stellt der australische Autor Gi-
ordan Smith die Theorie auf, Hitler sei von Hanna Reitsch, der Testpilotin,
die den Reichskanzler noch am 26. April gemeinsam mit General Ritter von
Greim in Berlin besuchte, ausgeflogen worden.976 Reitsch berichtet in ihrer
Biographie zwar von diesem Angebot an Hitler, dieser habe aber entschie
den, in Berlin zu sterben. Allerdings führt Smith als Zeugen den damaligen
Volkssturm-Angehörigen D. Protsch an, der miterlebt haben will, wie ein
Waffen-SS Funker die Flucht Hitlers bestätigte.977
975 Der US-Forscher Nick Bellantoni, Professor für Anthropologie und. Staatsar
chäologe des US-Bundesstaates Connecticut, hatte nach Untersuchung von DNA-
Resten, die er aus einem Stück Hitlers vorgeblichen Schädels gewinnen konnte, bi
lanziert: „Der Knochen umschloß einst ein weibliches Gehirn"; http://www.spiegel.
de/wissenschaft/mensch/0,1518,652024,00.html; im Dezember 2009 wies der Mos
kauer Archivleiter Christoforow dies zurück. „An uns haben sich diese Forscher
nicht gewandt und womit hätten sie die DNA auch vergleichen sollen?" Außer in
Moskau gebe es keine sterblichen Überreste des Nazi-Diktators; http://www.azon-
line.de/aktuelles/aus_aller_welt/aus_aller_welt/1230409_Allgemeine_Zeitung_
Aus_Aller_Welt.html; scheinbar übersieht Christoforow aber die Tatsache, daß zur
Geschlechtsbestimmung keine Vergleichs-DNA notwendig ist.
976 Smith (2008), S. 55.
977 Ebenda, S. 55.
306
Ungeachtet des Wahrheits
gehaltes dieser Spekulationen,
erinnern sie stark an eine Sage,
die sich kontinuierlich durch
die vergangenen Jahrhunderte
hindurch verfolgen läßt: Die
Sage vom „Kaiser im Berg" -
oder, wie Julius Evola sie be
zeichnet: „Die Sage von dem gi-
bellinischen Kaiser, der im, Berg' Wilhelm Landig - (Phantasie?(Emblem DHvSS
der Wiedererweckung harrt, um
mit seinen Getreuen die letzte Schlacht zu schlagen."978
Die bekannteste Variante dieser Sage steht in Zusammenhang mit Kaiser
Friedrich I. „Barbarossa": Dieser soll in einem unterirdischen Schloß - der
Barbarossa-Höhle im Kyffhäuser-Gebirge - solange schlafen, bis Zwietracht
und Unglück seiner Heimat ein Ende gefunden haben - oder einer anderen
Deutung zufolge, bis Deutschland geeint ist. Sein Bart wächst um einen run
den Tisch. Bis jetzt reicht er zweimal herum, doch wenn er die dritte Runde
beendet hat, beginnt das Ende der Welt oder Barbarossa wacht auf und be
ginnt seine Herrschaft erneut. Und es heißt, bis dahin wird kein guter Kaiser
mehr kommen. Alle 100 Jahre beauftragt er einen Zwerg - in anderer Vari
ante einen Hirten, der sich in die Höhle verirrt hat - nachzuschauen, ob die
zwei Raben noch um den Berg kreisen. Ist dies der Fall, so schließt der Kaiser
seufzend die Augen, schläft und träumt abermals 100 Jahre. Erst, wenn der
Bart ganz um den runden Marmortisch gewachsen ist und ein mächtiger
Adler in stolzem Flug sich aufschwingt, den Berg umkreist und den Raben
schwarm verscheucht, erst dann wird der Kaiser mit seinen gleichfalls ver
zauberten Getreuen erwachen.979
Neben Barbarossa wurde die Sage auch auf dessen Enkel, Kaiser Fried
rich II. - aufgrund seiner vielseitigen wissenschaftlichen Interessen auch
„das Staunen der Welt" genannt - bezogen. Während diese Sage im deutschen
Sprachraum von Beginn an das Kyffhäuser-Gebirge als Ruheort ansah, war
es in Italien der Vulkanberg Ätna, in dem Friedrich II. als König von Sizili
en ruhe.980 Hintergrund dieser Variante war Friedrichs Auseinandersetzung
mit dem damaligen Papst, die zur Folge hatte, daß noch zu Lebzeiten der
Klerus eine Lehre vom Antichrist verbreitete und die Erwartung eines ge
waltigen Strafgerichtes hegte. Da das erwartete Unheil aber ausblieb, glaub
ten Anhänger des Papstes nicht an ein plötzliches Verschwinden Friedrichs.
307
Sie vermuteten, der König lebe in geheimnisvoller Weise weiter. Der Chro
nist Johann von Winterthur berichtete 1348: „Er (Friedrich) wird mit der Herr
lichkeit des Reiches zurückkehren... und alle Gerechtigkeit erfüllen. Die Pfaffen aber
wird er furchtbar verfolgen und die Mönche ... von der Erde vertilgen."981
Eine andere Variante bezieht sich auf den Untersberg bei Salzburg, in
dem Kaiser Karl der Große in gleicher Weise ruhe.982
Indes reicht die Sage noch weiter zurück und ist verwandt mit dem
Gralsmythos sowie der Arthus-Sage. Gemäß dieser sei Arthus bei seinem
nahenden Tod auf die Elbeninsel Avallon gebracht worden, wo er seiner
Gesundung harrt. Ebenso wartet der dahinsiechende Gralskönig Amfortas
auf einen Recken, der ihm die richtige Frage stellt und ihn somit erlöst. Eine
Verwandtschaft besteht auch zum Odin-Mythos, der am Baum hängt und
Nachrichten von seinen beiden Raben erhält. Dahinter steht stets die alte
indogermanische Mythe der im Winter schlafenden bzw. gefangenen Sonne
und dem sie befreienden Sonnen- bzw. Lichtbringergott, der im Winter in
die Unterwelt hinabsteigt, um diese zu befreien.983
In diese uralte Tradition wird nun Hitler gerückt, wenn er als in einer
unterirdischen Basis in der Antarktis ausharrend beschrieben wird, bis er mit
seinen Flugscheiben erscheint, um Deutschland aufs neue zu erretten. Zur
Anwendung dieses Mythos ist es aber unverzichtbar, daß sein Schicksal un
geklärt bleibt, sein Selbstmord also nicht tatsächlich nachweisbar ist.
Miguel Serrano, der Begründer des sogenannten „esoterischen Hitleris-
mus" schreibt dazu: „Seit beinahe 40 Jahren wiederhole ich, daß Adolf Hitler nicht
im Bunker in Berlin gestorben ist. Die geheimen Führer des esoterischen Hitleris-
nius sind mit ihm in Richtung der polaren Zufluchtsstätten der Weißen Götter auf
gebrochen, genauso wie es früher die unbekannten Führer der wahren Rosenkreu
zer, der Wikinger, der Westgoten, der Trojaner und der hyperboräischen Siddhas
getan haben." Doch der chilenische Autor, der den neben Hitler wirkenden
unbekannten Eingeweihten die Einweihung gewisser Kreise der SS auf der
Wewelsburg zuschreibt, geht noch einen Schritt weiter: Für ihn ist Hitler der
10. Avatar Vishnus, der gemäß der indoarischen Überlieferung als „Kalki
Avatar" erscheinen und das dunkle Zeitalter seinem Ende zuführen wird :
„Und so wird es kommen, denn sein Sieg (des Demiurgen Yahwe) hat schon begon
nen sich zu neigen, weil sich am Mittag des längsten Tages die Mitternacht bereits
ankündigt.... Im Synchronismus der Hitlerschen Einweihung, wenn der Virä sich
in einen Divya verwandelt hat, öffnet sich das Fenster der Venus, die kreisende Tür
der Schwarzen Sonne, des „Schwarzen Lochs" in der Mitte des Swastika Levogria
und der Divya oder Siddha verschwindet für immer aus der Sicht der Sterblichen....
308
Er ist zur Region des Tulku übergegangen, zu dem,
„der dort ist" und auch hierher zurückkehren kann.
Der auf einem weißen Roß, auf seinem Schwan, in
einem Vimana zurückkehrt, die Feinde zu richten
und die Seinen zu befreien."984
Einige Indizien sprechen sogar dafür, daß
Hitler selbst dieser Legende den Boden berei
tet hat. Dafür sorgte seine - freilich umstrittene
Äußerung, „Ein Volk, das einen solchen Wider
stand hat leisten können wie das Deutsche, bereitet
den Boden für ein neues Aufblühen der Menschheit.
Am Ende dieses Krieges wird das letzte Bataillon
ein deutsches sein."985 Und auf die Frage seines Barbarossa-Denkmal am
Dieners Heinz Linge, für wen sie dann, nach
Kyffhäuser
Hitlers nahendem Tod kämpfen würden, soll
dieser geantwortet haben: „Für den, der da kommen wird.“
Das deutet gemäß Serrano darauf hin, „daß er wußte, daß der Krieg damals
dort nicht zu Ende war, und daß die letzten Bataillone sich bereits in der anderen
Erde, im Inneren befanden, und daß er sich dort mit ihnen vereinigen würde. Wie der
Prophet Enoch in der Sage, entschwindet Hitler in einem Feuerwagen, ohne... irgend
welche Spuren zu hinterlassen".986
Die hier von Serrano erwähnte Schwarze Sonne ist ebenso wie die Exis
tenz eines geheimen Zirkels innerhalb der SS, der sich selbst als „Schwarze
Sonne" oder die „Herren vom Schwarzen Stein" (DHvSS) bezeichnet haben
soll, ein besonderes Detail der Neuschwabenland-Mythen. Diese Herren
vom Schwarzen Stein sahen sich demnach in der Traditionsfolge eines vor
geblichen Geheimbundes des 13. Jahrhunderts gleichen Namens.987
309
Das Erkennungszeichen dieser Gesellschaft sei dem Bodenmosaik des
Nordturms der Wewelsburg entlehnt, das auch von Weisthor inspiriert
worden sein soll. Trotz fehlender Quellen über dieses Bodenornament und
insbesondere über den tatsächlichen Zusammenhang mit der Schwarzen
Sonne findet sich diese Gleichsetzung heute in vielen Veröffentlichungen.
Hintergrund des Mythos der Schwarzen Sonne sind Ausführungen von
Weisthor und dessen Schüler Emil Rüdiger über eine verloschene Sonne,
genannt Santur. Diese wechsele mit der weißen, also der aktiven, ihre Pola
rität, so daß die beiden Sonnen abwechselnd als schwarze und weiße fungie
ren.988 Im erloschenen Zustand sei die Strahlung der Schwarzen Sonne „eine
gänzlich andere": Sie versorge „völlig unterschiedliche Bereiche (Dimensionen)
des Makro- sowie des Mikrokosmos mit ihrer Energie", wie Haasler den Mythos
ergänzt.989 Und weiter heißt es: „Im wesentlichen kann man von drei in sich über
greifenden Zuständen (im Hinblick auf das Auftauchen in verschiedenen Kulturen)
der Schwarzen Sonne sprechen. Da wäre zum einen die Schwarze Sonne als reine
Materie, sprich als ein im Universum existierender Körper, und zum anderen als
eine (in einer anderen Dimension), im metaphysischen Sinn, vorhandene Energie.
Der dritte Zustand liegt genau zwischen diesen beiden Formen. Im Wesentlichen ist
sie jedoch immer gleich; sie sendet eine Strahlung aus, welche auf die innerste Kraft
im Menschen, eines Volkes oder auch eines Zeitalters wie ein Katalysator wirkt. So
hat die Schwarze Sonne in den Mythologien der Völker zwar verschiedene Erschei
nungsformen, aber ihr Prinzip ist immer das Selbe."990
Der Ursprung der Vorstellung einer Schwarzen Sonne liegt dabei im Dun
keln. Es wird spekuliert, daß das Wissen über die Schwarze Sonne „vor 10
000 Jahren aus dem Norden nach Mesopotamien gelangte". Hier, genauer im per
sischen Susa, findet sich jedenfalls der älteste Bildbeleg: Auf der Siegesstele
des Babylonischen Königs Naram-Sin (ca. 2200 v.Zw.) findet sich neben der
war die Verehrung der „Göttin Isais" ... Wir haben also wohl davon auszugehen,
daß die Bezeichnung, „Die Herren vom Schwarzen Stein", bzw. „The Lords of the
Black Stone", sich zwar auf die Isais-Gemeinschaft um den Ritter Hubertus beziehen,
die Namensgebung aber durchaus von neuzeitlicherer Prägung sein könnte. Die mit
dieser Bezeichnung gemeinte Gemeinschaft hat es aber natürlich dennoch gegeben,
und das im wesentlichen sicherlich auch so, wie es überliefert ist - die Anfänge dürften
um 1220 liegen. Im Jahre 1438 sind die letzten konkreten Spuren der Gemeinschaft
erkennbar. Im Jahre 1925 gründete sich in Salzburg die ,Archivgenieinschaft DH-
vSS', welche vermutlich durch Dr. Reiterich inspiriert war, im Gegensatz zu diesem
jedoch auch und besonders an der esoterischen Seite des Ganzen interessiert war. Im
Frühjahr 1945 beendete diese Archivgemeinschaft ihre Tätigkeit und löste sich auf“.
988 Vgl. Feistle (2010), S. 78.
989 Hasler (2002), S. 2.
990 Ebenda, S.2ff.
310
Sonne eine weitere als Sonne gedeutete Darstellung, die der Schwarzen Son
ne entsprechen soll.991
Dieser König sah sich in der Nachfolge des alten Reiches der Sumerer,
deren Herkunft bis heute ungeklärt ist.992 „Somit kann man von der Annahme
ausgehen, daß sich das Wissen um die Schwarze Sonne aus der Hochkultur Altsu
mers in die akkadische Besatzerzeit gerettet hat", resümiert Haasler und zitiert
eine Inschrift aus Bab-Ilu („Pforte Gottes"), einer im 18. Jahrhundert v.Zw.
gegründeten Stadt im Norden des alten Sumererreiches:
Am Oben der Welt steht der Mitternachtsberg
Ewiglich wirkt sein Licht.
Des Menschen Auge kann Ihn nicht sehen -
Und doch ist er da. Über dem Mitternachtsberg strahlt die
Schwarze Sonne. Des Menschen Auge kann sie nicht sehen -
Und doch ist sie da: Im Inneren leuchtet Ihr Licht.
Einsam sind die Tapferen und die Gerechten;
Doch mit Ihnen ist die Gottheit.993
„Wie aus diesem Text deutlich zu erkennen ist, wird die Schwarze Sonne als
ein göttlich durchwobenes Objekt aufgefaßt, welche ihre Kraft im Innersten
der Menschen freisetzt. Ihre Strahlen erreichen nur die seelischen Werte der
Menschen - im Innern von uns leuchtend. Ihre Strahlen kommen vom Mit
ternachtsberg (Kharsak Kurra), aus dem hohen Norden der Hyperboreer,
welche im Menschen das selbe Bewußtsein wachrufen, wie einst bei den
Atlantern, den Söhnen des Mitternachtsberges. Die Schriften der Babylonier
zeigen uns die gleichen Vorstellungen auf, die auch schon 1000 Jahre zuvor,
auf der bereits angesprochenen Naram Sin - Stele, behandelt wurden."994
Eine andere Inschrift lautet:
Weiße Sonne, über der Welt Erde strahlend -
du gibst des Tages Licht.
Schwarze Sonne, im Inneren von uns leuchtend -
du schenkst die Kraft der Erkenntnis. -
Besinnend des Reiches von Atland,
das hoch bei der Himmelssäule lag
ehe des Meeres Wut es verschlang.
Besinnend der klugen Riesen,
die jenseits von Thule kamen und lehrten
991 Vgl. Hasler (2002), S. 8.
992 U.a. hält Dieter Braasch (1997) diese für nordische Einwanderer.
993 Hasler (2002), S. 6 ff.
994 Hasler (2002), S.. Zur tatsächlichen Relevanz des Mitternachtsberges und seiner
Lokalisierung im Norden (Nordeuropa oder Grönland) siehe Landig (1971),S. 228.
311
Die „Schwarze Sonne" ist also eine „esoterische Metapher für das Licht des
eigenen Inneren, der Seele der Menschen von Atlantis, den Ariern, welche die Weis
heit alles Wissens von Anfang und Ende der Zeit in sich birgt und anderen davon
kündet" und „gilt somit als die arische Gotterkenntnis, die Erleuchtung und das
absolute Wissen über die Zusammenhänge des gesamten Lebens aus einem arteige
nen, germanischen Denken und Gefühlslebens heraus. Die ursprüngliche Farbe der
,Schwarzen Sonne' ist ein tiefes Dunkelrot oder ein tiefdunkles Purpur, sie wurde
jedoch - um sie als Kontrast zur ,Weißen Sonne' des Tageslichtes gegenüberzu
stellen, als eine schwarze Sonne dargestellt, was ihr auch letztendlich den Namen
gab."995
Doch wie authentisch ist diese Prophezeiung? In „Sajaha - die Prophezei
ungen für ein neues Jahrtausend" erfahren wir über deren unklare Herkunft.
Sajaha soll jedenfalls eine Priesterin zur Zeit Nebukadnezars II. (18. Jh) ge
wesen sein. Die Prophezeiung sei eine von insgesamt 19 erhaltenen Keil
schriften dieser Art gewesen und soll über Isais-Bünde, zumeist von Frauen
dominierte Geheimbünde der Gnosis-Ära, zu den Tempelrittern gelangt
sein. Ein Ableger der Templer, die „Herren vom Schwarzen Stein" (DHvSS)
habe im 13. Jahrhundert in Bayern die Überlieferungen bewahrt, von wo sie
zum venezianischen Ordo Bucintoro (auch Ordo Imperio Nuovo) gelangten
und schließlich den Weg zur „Panbabylonischen Gesellschaft" und von hier
zur „Vril-Gesellschaft" fanden.996
Die Bezeichnung Vril findet sich dabei in der Moderne erstmals in dem
1871 erschienenen utopischen Roman „The coming Race" des englischen
Schriftstellers Edward Bulwer-Lytton (1803-1873). In diesem Roman be
gegnet der Erzähler einer unter der Erde lebenden Überrasse, den Vril-ya,
die über eine geheimnisvolle Kraft namens Vril verfügten. Diese verleiht
ihnen Macht über jede Form belebter oder unbelebter Materie und kann
zur Heilung, zur Erweckung Toter oder zur Zerstörung eingesetzt werden.
Ursprünglich ein Volk, das an der Erdoberfläche lebte, wurden die Vril-ya
durch eine Naturkatastrophe vom Rest der Menschheit abgeschnitten und
312
zogen in ein unterirdisches Höhlensystem, in dem sie eine neue Heimat fan
den. Dort entwickelten sie sich in einer von Kriegen und gesellschaftlichen
Umbrüchen gezeichneten Geschichte schließlich durch die Entdeckung ei
ner neuen Naturkraft - der Vril-Kraft - zu einer egalitären, Eugenik prak
tizierenden Gesellschaft, die allen anderen Rassen überlegen ist. Durch den
Kontakt mit dem Erzähler des Romans erfahren die Vril-ya von den Men
schen, die an der Erdoberfläche leben und befragen ihn eingehend über die
menschliche Gesellschaft. Dem Erzähler gelingt die Flucht aus dem Reich
der Vril-ya und er warnt seine Leser am Ende des Romans vor der Gefahr,
die von den Vril-ya für die Menschheit ausginge, sollten sie jemals an die
Oberfläche zurückkehren.997
Helena Blavatsky griff die Vril-Kraft in ihrem 1888 veröffentlichten zwei
ten Buch „Die Geheimlehre" auf und brachte sie mit Atlantis in Verbindung:
Die Einwohner von Atlantis hätten diese Kraft zum Bau kolossaler Bauwer
ke eingesetzt, doch mit dem Untergang von Atlantis sei das Wissen um ihre
Nutzung verloren gegangen. Nur eine kleine Gruppe überlebender Priester
bewahre dieses Wissen noch und gebe es von Generation zu Generation an
Auserwählte weiter. Diese psychische Energie soll demnach die Beherr
schung der gesamten Natur erlauben.998
Im Jahre 1904 wurde in London eine Gesellschaft gegründet (der Vril-ya-
Club), die sich mit derartigen Themen beschäftigt zu haben scheint und es
erschienen in der Folge auch mehrere Bücher über diese Thematik.999
Willy Ley, der nach Amerika emigrierte deutsche Raketenwissenschaft
ler, brachte nach dem Krieg erstmals die Legende einer deutschen Vril-Ge-
selschaft auf und identifizierte sie als eine „Wahrheitsgesellschaft", die nach
dem VRIL suche. Daneben verbreitete Ley eine Reihe weiterer Legenden,
wie etwa über die Pendelexperimente des OKM, oder die angeblichen Hohl
welt-Versuche von Fischer auf Rügen:
„Die nächste Gruppe gründete sich buchstäblich auf einen Roman. Diese Gruppe,
die sich, glaube ich, selber Wahrheitsgesellschaft nannte, und die mehr oder weniger
ihren Sitz in Berlin hatte, widmete ihre freie Zeit der Suche nach dem Vril. Ja, ihre
Überzeugungen gründeten sich auf Bulwer-Lyttons „Das kommende Geschlecht",
„The Coming Race." Sie wußten, daß dieses Buch Fiktion war, .... Bulwer-Lytton
hätte dieses Mittel gewählt, um die Wahrheit über diese „Kraft" erzählen zu kön
nen. Die unterirdische Menschheit sei Unsinn, Vril sei es nicht, und es habe mögli
cherweise die Briten befähigt, welche dies als Staatsgeheimnis behandelten, ihr Ko
lonialimperium zusammenzutragen. Mit Sicherheit hätten es die Römer in kleine
metallene Bälle eingeschlossen, welche ihre Häuser bewachten und die sie Laren
313
nannten, gehabt. Aus einem Grund, der sich mir nicht
erschließen mochte, könne das Geheimnis des Vril ge
funden werden, indem man über die Struktur eines
Apfels kontempliere, der in zwei Hälften geschnitten
sei. Nein, ich mache hier keine Witze, dies wurde mit
großer Feierlichkeit und unter Geheimhaltung erzählt.
Solch eine Gruppe existierte tatsächlich, sie brachten
sogar eine erste Ausgabe eines Magazins heraus, in
dem ihr Glaubensbekenntnis proklamiert wurde. (Ich
wünschte ich hätte einige dieser Dinge behalten, doch
ergab es sich, daß ich genug Bücher herusschmuggeln
mußte.)"1000
1960 weiteten die französischen Autoren Lou
is Pauwels und Jacques Bergier die Thesen Leys Buchcover von
zur Legende aus, die NS-Führungsriege habe Norbert-Jürgen Ratthofer
versucht, Allianzen mit übernatürlichen Mächten
einzugehen. In diesen Bestrebungen habe die okkulte Geheimgesellschaft
„Vril-Gesellschaft" oder auch „Die Loge der Brüder vom Licht" eine zen
trale Rolle gespielt. Die „Vril-Gesellschaft" habe enge Kontakte zur Theo
sophischen Gesellschaft, den Rosenkreuzern und insbesondere zur Thule-
Gesellschaft unterhalten und sei eine wichtige NS-Organisation gewesen.1001
Norbert Jürgen Ratthofer, einer der Pioniere der Flugscheiben-Aldeba-
ran-Legenden, verband in Anlehnung an Wilhelm Landig den Mythos der
Schwarzen Sonne mit dem Ursprung der Flugscheibentechnologie.
Die eigentliche Inspiration zum Bau einer Flugscheibe stamme demnach
ebenso wie die Vorstellung der Schwarzen Sonne aus dem Altertum. So sol
len die in sumerischen und indischen Texten beschriebenen Luftschiffe der
Götter tatsächlich Raumfahrzeuge der Aldebaraner - Bewohnern eines an
deren Sternensystems - gewesen sein, deren Kunde sich in den esoterischen
Gesellschaften erhalten hätte. Über eine deutsche Sektion der Tempelritter
sei dieses Wissen schließlich bei einer Okkultgruppe gelandet, die sich spä
ter Vril-Gesellschaft nannte.1002 Diese wäre ursprünglich eine Unterorganisa
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tion der Thule-Gesell
schaft gewesen bevor
sie sich abgetrennt
hätte. Bereits seit den
20er Jahren habe sie
sich mit der Konstruk
tion von Flugscheiben
befaßt und erstma