Personalführung
Personalgespräche und Personalbeurteilung
1PEF
01-0621-001-3
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Verfasser
Prof. Dr. rer. pol. Erika Regnet
Prof. Dr. Regnet studierte Psychologie an der LMU München und Betriebswirt-
schaftslehre an der Universität Bayreuth und promovierte 1991 zum Dr. rer. pol. an
der Universität Bayreuth. Nach 10jähriger Berufserfahrung in leitenden Personal-
funktionen in verschiedenen Unternehmen war sie von 1997 bis 2008 als Professo-
rin für Personalmanagement und Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der FH
Würzburg-Schweinfurt tätig. Seit dem Sommersemester 2008 ist sie Professorin für
Personal und Organisation an der HS Augsburg. Arbeitsschwerpunkte: Lehre, For-
schung und Beratungs-/Trainingstätigkeit in den Bereichen Personalentwicklung,
Führungsverhalten, demographische Entwicklung und Midcareer Development,
neue Fortbildungsmethoden sowie weibliche Fach- und Führungskräfte. Prof. Dr.
Regnet ist Autorin mehrerer Fachbücher.
Lektorat
Diplom-Kauffrau (FH), Diplom-Pädagogin Manuela Holz
Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hamburger Fern-Hochschule
Diplom-Psychologe Oliver Ihne
Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hamburger Fern-Hochschule
Satz/Repro
Haussatz
Redaktionsschluss
Februar 2018
3. Auflage 2018
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sondere das Recht der Vervielfältigung und der Verbreitung sowie der Übersetzung
und des Nachdrucks, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehal-
ten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung
der Hamburger Fern-Hochschule reproduziert oder unter Verwendung elektroni-
scher Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis ...........................................................................................5
Einleitung .................................................................................................................6
1 Personalbeurteilung ...........................................................................................8
1.1 Ziele einer Personalbeurteilung ....................................................................9
1.2 Abgrenzung zur Potenzialbeurteilung ........................................................11
1.3 Wichtige Beurteilungskriterien ...................................................................14
1.4 Mitbestimmung des Betriebsrates...............................................................16
1.5 Chancen und Risiken einer Beurteilung .....................................................17
1.6 Durchführung einer Beurteilung .................................................................18
1.6.1 Summarische oder analytische Beurteilung .....................................18
1.6.2 Freie Eindrucksschilderung ..............................................................19
1.6.3 Rangordnungsverfahren ...................................................................19
1.6.4 Einstufungsverfahren........................................................................20
1.6.5 Verhaltensorientierte Beurteilungsskalen .........................................21
1.7 Beurteilungsfehler.......................................................................................22
1.7.1 Der Prozess der Eindrucksbildung –
wie kommen Menschen zu einem Urteil ..........................................23
1.7.2 Häufige Beurteilungsfehler ..............................................................24
1.7.2.1 Beobachtung eines nicht repräsentativen Verhaltens ..........24
1.7.2.2 Selektive Wahrnehmung......................................................25
1.7.2.3 Einfluss von Interaktionen:
Sich selbst erfüllende Prophezeiungen ................................25
1.7.2.4 Ebene der Eindrucksbildung ................................................28
1.7.2.5 Ebene der Aussagenbildung ................................................29
1.7.3 Möglichkeiten der Reduzierung von Beurteilungsfehlern................30
Übungsaufgaben .................................................................................................33
2 Personalgespräche ............................................................................................34
2.1 Arten von Personalgesprächen und ihre Zielsetzungen ..............................34
2.2 Mitarbeitergespräche auf der Basis von Zielvereinbarungen .....................35
2.2.1 Warum ein spezielles Zielvereinbarungsgespräch? ..........................35
2.2.2 Zentrale Elemente eines Mitarbeitergesprächs .................................36
2.2.2.1 Rückblick .............................................................................36
2.2.2.2 Stärken-Schwächen-Analyse ...............................................37
2.2.2.3 Zielvereinbarung und Fördermaßnahmen............................38
2.2.3 Hinweise zur Zielvereinbarung ........................................................39
2.2.4 Rückmeldung zum Führungsverhalten .............................................41
2.2.5 Organisatorische Aspekte .................................................................44
2.2.6 Erfahrungen mit einem institutionalisierten
Mitarbeitergespräch und Erfolgsfaktoren .........................................47
Übungsaufgaben .................................................................................................49
3 Die Gesprächsführung .....................................................................................50
3.1 Darstellung des Sender-Empfänger-Modells der Kommunikation.............51
3.2 Verbesserung der Kommunikation .............................................................52
3.2.1 Aktives Zuhören ...............................................................................53
3.2.2 Ich-Botschaften ................................................................................53
3.2.3 Fragetechnik .....................................................................................55
3.2.4 Metakommunikation ........................................................................56
3.3 Feedback geben und bekommen .................................................................56
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Hamburger Fern-Hochschule
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Hamburger Fern-Hochschule
Abkürzungsverzeichnis
AC Assessment Center
BetrVG Betriebsverfassungsgesetz
FDZ Forschungsdatenzentrum (der Bundesagentur für Arbeit)
HCM Human Capital Management
HR Human Resources
IAB Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
KSchG Kündigungsschutzgesetz
MbO Management by Objectives
MuSchG Gesetz zum Schutz der erwerbstätigen Mutter
SGB Sozialgesetzbuch
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Hamburger Fern-Hochschule
Einleitung
Der vorliegende Studienbrief behandelt die Beurteilung von und die Gesprächsfüh-
rung mit Mitarbeitern1 in Unternehmen.
Lernziele Zunächst werden die Grundlagen der Beurteilung thematisiert:
Wozu wird im Unternehmen und bei Erwachsenen eine routinemäßige Beurtei-
lung durchgeführt? Was soll damit erreicht werden? Wofür werden die Beurtei-
lungen verwendet?
Wie lässt sich eine Personalbeurteilung professionell durchführen?
Welche Beurteilungsfehler können auftreten? Worauf ist zu achten? Wie lassen
sich Beurteilungsfehler zumindest reduzieren?
Was sind die rechtlichen Rahmenbedingungen im Unternehmen?
Im Folgenden lernen Sie ein heute weit verbreitetes Instrument der Mitarbeiterfüh-
rung und -beurteilung kennen: das Mitarbeitergespräch auf der Basis von Zielver-
einbarungen, man spricht auch von MbO (Management by Objectives).
Doch aus vielen Mitarbeiterbefragungen wissen wir, dass ein Großteil der Mitar-
beitenden nach einer Beurteilung – vor allem nach einem kritischen Feedback –
nicht motiviert und voller Elan wieder an die Arbeit geht, sondern sich vielmehr
ungerecht behandelt fühlt und demotiviert ist. Dies liegt meistens nicht daran, dass
das Unternehmen das Mitarbeitergespräch grundsätzlich falsch geplant hätte, son-
dern dass es der Führungskraft nicht gelingt, konstruktive und hilfreich formulierte
Kritik zu äußern. Es wird deshalb in diesem Studienbrief nicht nur um das „Was?“
einer Beurteilung gehen, sondern auch um das „Wie!“. Das Sender-Empfänger-
Modell der Kommunikation wird aufgegriffen, Sie erfahren, worauf bei dem Ge-
spräch mit Mitarbeitenden zu achten ist und wie sich die Kommunikation verbes-
sern lässt.
Zum Abschluss werden ausgewählte Formen von Mitarbeitergesprächen behandelt,
zu deren Durchführung Sie jeweils spezielle Hinweise erhalten.
Reflexion Bitte denken Sie auch an Ihre eigenen Erfahrungen: Sie alle haben in Ihrem Leben
bereits häufig Berührung mit Beurteilungsverfahren gehabt: In der Schule wurden
Sie in regelmäßigen Abständen beurteilt – meist in Bezug auf Ihre Leistung, z. T.
auch bezogen auf Ihr Verhalten. In der Hochschule wird das Gelernte kontinuier-
lich abgeprüft. Auch die Führerscheinprüfung ist ein Test- wie Beurteilungsverfah-
ren. Doch damit ist es nicht getan: Jedes Auswahlverfahren für eine Arbeitsstelle
stellt eine Sonderform der Beurteilung dar. Man schätzt Sie und Ihr Leistungsver-
mögen ein, gibt eine Prognose zu Ihrem Potenzial bezogen auf eine bestimmte
Funktion und Organisation ab. Sie alle haben sicher schon mehrere Auswahlge-
spräche bzw. -verfahren durchlaufen – sei es bei der Bewerbung um einen Ausbil-
dungsplatz, ein Praktikum oder beim Berufseinstieg. Viele von Ihnen haben sicher
schon Zeugnisse – Arbeits- oder Praktikumszeugnisse – erhalten, auch diese wer-
den selbstverständlich auf der Basis von Beurteilungen erstellt.
––––––––––
1
Im Studienbrief wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit in der Regel die maskuline Schreibweise
verwendet. Gemeint sind selbstverständlich stets Personen beiderlei Geschlechts. Dies trifft auf
sämtliche personenbezogenen Termini zu (z.B. auch Bewerber, Kollege, Vorgesetzter, Arbeitgeber,
u. s. w.).
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Hamburger Fern-Hochschule
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Hamburger Fern-Hochschule
1 Personalbeurteilung
Lernziele Mit dem Durcharbeiten dieses Kapitels sollen Sie folgende Studienziele erreichen:
Sie
wissen, wozu Personalbeurteilungen im Unternehmen eingesetzt werden,
kennen zentrale Kriterien zur Beurteilung von Mitarbeitenden und Führungs-
kräften,
verstehen die möglichen Ängste von Mitarbeitenden und die Bedenken der Füh-
rungskräfte bei einer Beurteilung,
sind mit typischen Durchführungsvarianten von betrieblichen Personalbeurtei-
lungen vertraut. Sie verstehen deren Vor- und Nachteile sowie mögliche Ein-
satzfelder,
kennen die rechtlichen Rahmenbedingungen,
wissen, wie es dazu kommen kann, dass mehrere Beurteiler zu unterschiedli-
chen Wertungen gelangen,
und kennen Maßnahmen zur Reduzierung von solchen Beurteilungsfehlern.
Menschen beurteilen ständig Wenn Menschen zusammentreffen, dann fällen sie Urteile übereinander. Beurteilt
wird immer – im Berufs- wie im Privatleben. Dies geschieht auch ohne ein vorhe-
riges Beurteilungstraining, ohne ein Psychologiestudium, ohne vorher definierte
Beurteilungskriterien und sogar ohne bewussten Entschluss. Man spricht davon,
dass sich Menschen bereits innerhalb der ersten 30 Sekunden einer Begegnung ein
erstes Urteil über ihr Gegenüber bilden.
Gründe der Urteilsbildung Warum ist dies so? Ein schnelles Urteil hilft dem Menschen dabei, sich in seiner
Umgebung zu orientieren und zurechtzufinden. Wir sind vielen Eindrücken ausge-
setzt, begegnen jeden Tag zahlreichen Menschen.
Es gehört sozusagen zur „psychologischen Grundausstattung“ der Menschen, ande-
re einzuschätzen. Es sichert das Überleben, wenn Gefahren schnell erkannt werden
können. Diese Urteile haben weitreichende Konsequenzen. Erscheint uns jemand
als gefährlich, werden wir unser Verhalten ändern. Weckt jemand unser Interesse,
so werden wir uns ihm zuwenden und uns länger mit ihm beschäftigen. Erscheint
uns jemand dagegen gleich unsympathisch (worauf das auch immer zurückzufüh-
ren sein mag), so hat es diese Person schwer, den schlechten ersten Eindruck wie-
der wettzumachen. Wir werden ihre Aussagen und ihr Verhalten besonders kritisch
beobachten und vorsichtig einschätzen.
Urteile werden also immer und von allen gefällt. Doch für eine Personalbeurteilung
im Unternehmen ist dies zu wenig. Denn Mitarbeitende haben den Anspruch, ge-
recht und nicht auf Basis von Sympathie und Vorurteilen bewertet zu werden. Und
für Unternehmen ist es erfolgsentscheidend, die am besten geeigneten Mitarbeiten-
den zu finden und zu fördern – und nicht allein die, die das beste Verhältnis zu ih-
rem Vorgesetzten pflegen. Für betriebliche Beurteilungen heißt dies, dass sie sys-
tematisiert werden und bestimmten Anforderungen, auf die wir später noch
eingehen werden, entsprechen müssen.
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Hamburger Fern-Hochschule
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Hamburger Fern-Hochschule
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Hamburger Fern-Hochschule
mehr, etwas weniger oder sehr viel weniger ist als Ihnen gerechterweise zu-
steht?“ wurde folgendermaßen geantwortet:
Abb. 1.1: Gerechte Entlohnung – nur ein Wunsch? (N=2787, Daten sind online abrufbar unter
http://fdz.iab.de/de/FDZ_Individual_Data/blog/Working_Tools.aspx)
Eine Potenzialanalyse dient der Identifikation des bisher noch nicht ausge- Charakteristik
schöpften Potenzials der Mitarbeitenden eines Unternehmens. Potenzialanalyse
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Potenzialbeurteilung Leistungsbeurteilung
• zukunftsorientiert, prognostisch • vergangenheitsorientiert, an Ergebnissen,
erreichten Zielen ausgerichtet
• erfasst Fähigkeiten und Eignungen auf der Basis • erfasst Leistungen, ohne nach dem
eines Persönlichkeitsbildes Persönlichkeitshintergrund zu fragen
• zunächst ohne Wertung, Ziel ist die Erstellung • klare Wertung in der Aussage: Ziele wurden
eines Eignungsprofils erreicht, nicht erreicht, übertroffen
• dient der Positionsbesetzung, Nachfolgeplanung • dient der persönlichen Orientierung, der
und der richtigen Aufgabenzuordnung Vorbereitung von Einzelmaßnahmen und der
Bemessung von Gehalt/Zulagen
• alle 2 – 4 Jahre ausreichend • jährlich notwendig
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Hamburger Fern-Hochschule
Sonstiges
• Innovation
• Kreativität
• Kritisches Denken
• Wirtschaftliches Denken
• Lernfähigkeit
• Loyalität
Diese Kriterien reichen sicher nicht aus, hinzu kommen z. B. Sorgfalt, Einsatz, Zu- Sozialkompetenz
sammenarbeit mit Kollegen, die Bereitschaft, sich in Neues einzuarbeiten, oder In-
novationsfähigkeit. Die soziale Kompetenz beschreibt die Fähigkeiten im Umgang
mit anderen. Kann ich die Bedürfnisse anderer erkennen, deren Sichtweise nach-
vollziehen? Doch der andere soll nicht nur verstanden werden. Die eigene Meinung
muss so dargestellt werden, dass man den anderen überzeugen und gewinnen kann,
Kritik so geäußert werden, dass die weitere Zusammenarbeit besser wird, Grup-
penarbeit so gestaltet sein, dass deren Mitglieder zusammen und nicht gegeneinan-
der arbeiten. Dafür ist soziale Kompetenz unabdingbar. Ein Mindestmaß an sozia-
ler Kompetenz wird in jedem Job benötigt, da Teamarbeit – z. B. in Projekten zur
Problemlösung – zunehmend gefordert ist. Der hochqualifizierte Einzelkämpfer,
der nicht bereit oder in der Lage ist, sein Wissen mit anderen zu teilen, ist in Un-
ternehmen kaum mehr einsetzbar.
Persönlichkeit oder personale Kompetenz gilt heute gleichfalls als unverzichtba- Personale Kompetenz
re Schlüsselqualifikation. Wenn man Personalchefs fragt, was ihnen bei der Perso-
nalauswahl wichtig ist, so nehmen Persönlichkeit und Teamfähigkeit (also soziale
Kompetenz) die oberen Ränge ein. Was verbirgt sich hinter dem schwammigen
Begriff Persönlichkeit? Handelt es sich lediglich um den berüchtigten „Nasenfak-
tor“, also um Sympathie-Effekte?
Bei der personalen Kompetenz, manche Autoren sprechen auch von Selbstkontroll-
Kompetenz oder Ich-Kompetenz, geht es um die Fähigkeit, die eigene Arbeit zu
planen, sich eigenverantwortlich zu organisieren und immer wieder selbst zu moti-
vieren. Selbst-Motivation meint die Fähigkeit, seine eigene Leistungsbereitschaft
auch bei Widerständen oder Misserfolgen aufrechtzuerhalten. Hilfreich ist in die-
sem Zusammenhang eine optimistische Grundhaltung.
In die Arbeitsleistung gehen immer Fähigkeiten und Bereitschaft mit ein. Man Elemente der Arbeitsleistung
kann dies in folgender Funktion ausdrücken:
Jemand der hochbegabt ist, jedoch unmotiviert, wird dem Unternehmen nichts nüt-
zen. Und umgekehrt kann jemand fehlendes Fachwissen oder geringe Erfahrung
durch hohen Einsatz und Fleiß kompensieren. Deshalb wird in der Beurteilung ver-
sucht, nicht allein die Arbeitsergebnisse zu betrachten, sondern zusätzlich eine Ein-
schätzung der Leistungsbereitschaft, der Motivation vorzunehmen.
Allerdings reichen Können und Wollen nicht aus. Betrachten wir ein Beispiel aus
dem Hause Daimler: Selbst der begabteste und hochmotivierteste Verkäufer konnte
nach dem berühmt-berüchtigten „Elchtest“ zunächst keinen Wagen der A-Klasse
mehr verkaufen. Die Berichte waren zu verunsichernd. Oder man denke an die
Tankstelle mit den höheren Preisen: Sie wird weniger umsetzen als ihr billigerer
Konkurrent nebenan, da mögen die Angestellten noch so freundlich oder qualifi-
ziert sein. Hier wären Preis- und Produktpolitik und nicht das Verkaufstalent Ein-
zelner zu betrachten: vielleicht zieht man ja mit neuen Produkten wie einem Ge-
tränkemarkt mehr Käufer an, die dann auch gleich zum Tanken bleiben?
Deshalb gilt:
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Rechtliche Grundlagen Nach § 94 Abs. 2 BetrVG hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der Aufstellung
allgemeiner Beurteilungsgrundsätze. Beurteilungsgrundsätze wie beispielsweise ein Personal-
fragebogen können nicht einseitig festgelegt werden, sie bedürfen der Zustimmung des Be-
triebsrates. Darüber hinaus bedürfen die „Richtlinien über die personelle Auswahl bei Einstel-
lungen, Versetzungen, Umgruppierungen und Kündigungen“ der Zustimmung des
Betriebsrats (§ 95 Abs. 1 BetrVG). „In Betrieben mit mehr als 500 Arbeitnehmern kann der
Betriebsrat die Aufstellung von Richtlinien über die (…) zu beachtenden fachlichen und per-
sönlichen Voraussetzungen“ bei den genannten personalpolitischen Maßnahmen verlangen
(§ 95 Abs. 2 BetrVG).
Der Mitarbeiter selbst kann verlangen, dass ihm die Beurteilung seiner Leistung sowie die
Möglichkeiten seiner beruflichen Entwicklung erläutert werden (§ 82 Abs. 2 BetrVG). Mitar-
beitende können auch ein Mitglied des Betriebsrates zum Gespräch hinzuziehen.
Natürlich kann der Betriebsrat bei Personalveränderungen nicht selbst eigene Kan-
didaten durchsetzen. Doch er hat ein Mitspracherecht bei den Richtlinien des Vor-
gehens (§ 93 Abs. 1 BetrVG). Hierzu werden insbesondere die Festlegung von Be-
urteilungsmerkmalen, Beurteilungsstufen, Verfahrensregelungen, der Kreis der
Beurteiler und Beurteilten, der zeitliche Turnus, die Dokumentation und die Aufbe-
wahrung der Beurteilungsunterlagen gerechnet. Zudem kann der Betriebsrat verlan-
gen, dass freie Arbeitsplätze vor ihrer Besetzung zunächst innerhalb des Betriebes
ausgeschrieben werden (§ 93 BetrVG).
In der Vergangenheit haben sich Gewerkschaften häufig gegen Beurteilungsverfah-
ren gesträubt, mit der Begründung, es handle sich lediglich um eine „systematisier-
te Willkür“; statt Lohngerechtigkeit zu erhalten, werde nur die Machtausübung im
Unternehmen verstärkt. Diese Haltung hat sich inzwischen weitgehend verändert.
Beurteilungen und Personalentscheidungen können wohl niemals fehlerfrei sein
(vgl. die Ausführungen zu möglichen Beurteilungsfehlern). Doch auch die Alterna-
tive ist nicht sinnvoll: Ein weitgehender Verzicht auf Beurteilungen und die Bezah-
lung z. B. ausschließlich nach Dienstzugehörigkeit oder die Stellenbesetzungen
nach Zufallssystem würden den Mitarbeitenden auf keinen Fall gerecht werden.
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Hamburger Fern-Hochschule
Arbeitnehmervertretungen sind deshalb i.d.R. bereit, in dem Prozess der Entwick- Einbezug des Betriebsrates
lung bzw. Überarbeitung eines Personalbeurteilungsverfahrens mitzuarbeiten, die
Sorgen der Mitarbeitenden einzubringen und ihre Mitbestimmungsrechte konstruk-
tiv zu nutzen. Deshalb ist es sinnvoll, den Betriebsrat bei der Neueinführung oder
einer Überarbeitung des bestehenden Beurteilungssystems zu einem möglichst frü-
hen Zeitpunkt einzubeziehen. Dies kann z. B. im Rahmen einer Projektgruppe, in
der er mitarbeitet, geschehen. So wird der Betriebsrat nicht nur mit einem fertigen
Konzept konfrontiert, sondern hat die Chance, mitzugestalten und frühzeitig eigene
Vorstellungen einzubringen.
Worin liegen die Chancen und Risiken einer Beurteilung? Betrachten wir zunächst Aus Sicht des Mitarbeiters
die Sichtweise der Mitarbeitenden. Chancen für den Mitarbeiter liegen darin,
dass die erbrachte Leistung anerkannt und gelobt wird. Die Leistung wird dadurch
im Unternehmen transparent. Man erhält Feedback und ggf. auch Hinweise, wo
Änderungen sinnvoll sind. Leistungsgerechte Bezahlung wird – wie oben ausge-
führt – von den Mitarbeitenden gewünscht und als gerecht erlebt. Dies trägt zur
weiteren Motivation, zum Einsatz bei. Gleichzeitig hat der Mitarbeiter die Gele-
genheit, seine Sichtweise darzustellen und beispielsweise zu erläutern, warum ein-
zelne gesetzte Ziele nicht erreicht werden konnten.
Allerdings wird nicht jeder Mitarbeiter beschwingt in ein Beurteilungsgespräch ge- Gründe für Ängste
hen. Die Rückmeldung kann auch negativ ausfallen, dies kann das eigene Selbst-
bild verletzen und Gehaltszulagen sowie den weiteren beruflichen Weg beeinträch-
tigen. Möglicherweise ruft die Beurteilung Ängste hervor, man fühlt sich
überwacht und kontrolliert, vom Vorgesetzten abhängig und seinem Urteil ausge-
liefert.
Wird die Beurteilung stärker als eine Chance zur Rückmeldung, zum Gespräch
oder als eine Verurteilung von oben empfunden? In der Praxis wird beides vorzu-
finden sein, abhängig:
• vom Führungsstil des Vorgesetzten – ist er autoritär oder gesprächsbereit?
• vom Verhältnis zwischen der/dem Mitarbeitenden und der Führungskraft – of-
fen oder belastet?
• vom erreichten Ergebnis: Lob ist leichter auszusprechen als Kritik (s. u.).
• von den Konsequenzen – droht eine Kündigung, wird man Verbesserungsvor-
schläge wohl kaum also solche wahrnehmen können.
Es ist deshalb nicht davon auszugehen, dass alle Mitarbeitende der regelmäßigen
Personalbeurteilung positiv gegenüberstehen. Dies erklärt auch die zum Teil reser-
vierte Haltung des Betriebsrats gegenüber einer systematischen Beurteilung.
Führungskräfte dürften eine Leistungsbeurteilung zunächst einmal positiv be- Aus Sicht der Führungskräfte
trachten. Zum einen gehört es zu den ureigensten Führungsaufgaben, Mitarbeitende
anzuleiten und ihnen Rückmeldung zu geben (vgl. Rosenstiel et al. 2014: 125 f.).
Zum anderen haben sie so die Chance, der Leistungsbeurteilung Konsequenzen
folgen zu lassen – dies kann mehr Freiraum und Verantwortung, Förderung durch
Weiterbildung oder eine Bonuszahlung sein. Damit haben sie die Möglichkeit, her-
ausragende Leistungen anzuerkennen und die Motivation der Mitarbeitenden zu
fördern (Lebrenz 2014). Doch auch Führungskräfte haben durchaus Bedenken in
Bezug auf eine bevorstehende Beurteilung. Sie befürchten:
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Hamburger Fern-Hochschule
Summarische Beurteilung Bei einer summarischen Beurteilung wird aus der Vielzahl der Eindrücke und
Leistungsmerkmale ein ganzheitliches Bild gewonnen. Beispiele sind die Abi-
turnote, die dann entscheidend für die Zuteilung von Studienplätzen ist, oder ei-
ne Rangreihe der Verkäufer nach dem von ihnen erzielten Umsatz.
Auf den ersten Blick bietet ein solches Vorgehen Vorteile: man erhält einen ein-
heitlichen „Wert“ für jeden Mitarbeiter. Dieser wird entweder aus dem Durch-
schnitt einer Reihe von Kriterien ermittelt (wie bei der Abiturnote) oder es wird
von vornherein nur ein besonders relevantes Kriterium betrachtet – z. B. der Um-
satz pro Person im oben gewählten Beispiel. Damit lassen sich Mitarbeiter in der
Folge eindeutig in eine Rangreihe bringen, sind von daher klar miteinander zu ver-
gleichen. Die Suche nach „dem Starverkäufer“ oder nach „dem Mitarbeiter des
Monats“ geht in diese Richtung.
Doch bereits die Betrachtung einer schulischen Gesamtnote greift häufig zu kurz,
denn einzelne Ausprägungen, d. h. Stärken und Schwächen, werden nicht berück-
sichtigt. Dies gilt ebenso für die Mitarbeiterbeurteilung im Unternehmen: Nutzt
man die Beurteilung lediglich zur Gehaltsfestsetzung, so mag eine summarische
Beurteilung ausreichen. Für alle weitergehenden Personalmaßnahmen – Förderung
wie Versetzung etc. – ist eine differenzierte Betrachtung unverzichtbar.
Analytische Beurteilung Im Gegensatz dazu versucht man bei einem analytischen Verfahren, verschie-
dene Kriterien zu betrachten. Aus deren Ausprägung ergibt sich ein individuelles
Stärken- und Schwächenprofil.
In der Praxis ist in den letzten Jahren fast ausschließlich die analytische Bewertung
verbreitet, um ein differenziertes Bild von den Stärken und Schwächen der Mitar-
beitenden zu gewinnen.
Mit der im Folgenden beschriebenen freien Eindrucksschilderung (vgl. Kap. 1.6.2)
lassen sich beide Formen – analytisches wie summarisches Vorgehen – verbinden.
Rangreihen (vgl. Kap. 1.6.3) finden wir eher beim summarischen Ansatz, Einstu-
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Hamburger Fern-Hochschule
fungsverfahren (vgl. Kap. 1.6.4) werden vor allem mit analytischen Verfahren
kombiniert.
Bei diesem Vorgehen wird der Vorgesetzte gebeten, seinen Eindruck von dem Charakteristik
Mitarbeiter, der zu beurteilen ist, in eigenen Worten niederzulegen. Es handelt
sich dabei meist um ein unstandardisiertes Verfahren, wenn im Vorfeld darauf
verzichtet wurde, einheitliche Kriterien festzulegen und zu vereinbaren.
1.6.3 Rangordnungsverfahren
Bei diesem Ansatz bringen Führungskräfte ihre Mitarbeitenden anhand be- Charakteristik
stimmter Kriterien in eine Reihenfolge vom Erfolgreichsten bis zum Schlechtes-
ten. Dieses Vorgehen zwingt also bewusst zur Differenzierung. Doch dies setzt
voraus, dass die Leistung eindeutig und klar festgestellt werden kann.
Solche „Hit-Listen“ gibt es zum Beispiel im Vertrieb und selbst dort ist eine solche Kritik
Zuordnung nicht immer gerecht. Wird der Umsatz oder der Gewinn betrachtet? Die
Gewinnung von Neukunden? Hatten tatsächlich alle die gleichen Chancen, be-
treuen sie ein Gebiet mit den gleichen potenziellen Kunden? Ist die Kaufkraft, die
Wettbewerbssituation überall ähnlich? Wie viel schwerer ist es erst in anderen
Funktionsbereichen wie dem Marketing, dem Rechnungswesen, der Forschung und
Entwicklung, die Leistung von zwei Kollegen gerecht zu vergleichen! Diese Her-
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Hamburger Fern-Hochschule
1.6.4 Einstufungsverfahren
Beispiele
Verhandlungsgeschick ++ + – ––
20
Hamburger Fern-Hochschule
Die ungerade Zahl von Ausprägungsstufen ermöglicht das Ausweichen auf die
Mitte, wenn tatsächlich keine klaren Tendenzen erkennbar sind. Dies stellt
manchmal eine Vermeidungsstrategie dar, wenn Führungskräfte klare Aussagen
und für sie unangenehme Gespräche scheuen. In vielen Fragebögen und Beurtei-
lungsskalen wird eine solche fünffach gestufte Skala eingesetzt.
Beispiele
Kommunikationsverhalten ++ + 0 – ––
Dies soll auch helfen, Kriterien einheitlich zu definieren. Was wird beispielsweise
unter Belastbarkeit verstanden? Dass jemand bereit ist, viele Überstunden zu ma-
chen? Dass er mehrere Aufgaben zeitgleich erledigen kann? Dass er bei zornigen
Kunden ruhig bleibt? Dass er unter Stress den Überblick nicht verliert? Wenn jeder
Vorgesetzte ein anderes Bild zugrunde legt, dann können die Beurteilungen weder
einheitlich noch vergleichbar sein.
Ein Beispiel zeigt Tabelle 1.4. Allerdings verbleibt trotz der verhaltensorientierten Kritik
Verankerung weiterhin viel Beurteilungsspielraum bei der Führungskraft. Sie hat
beispielsweise zu entscheiden, ob ein Verhalten „ständig“, „häufig“, „regelmäßig“,
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Hamburger Fern-Hochschule
Übertrifft die Anforderungen Erkennt stets Ansatzpunkte für sinnvolle Änderungen, die den
ständig eigenen Funktionsbereich betreffen. Gibt Anstöße und
verwirklicht selbst neue Lösungswege. Auch schwierige
Probleme werden tatkräftig bewältigt.
Übertrifft häufig die Notwendige Änderungen, die den eigenen Funktionsbereich
Anforderungen betreffen, werden erkannt, tatkräftig angegangen und
zielstrebig bis zur Lösung verfolgt.
Erfüllt regelmäßig alle Ergreift bei Hindernissen im eigenen Funktionsbereich in der
Anforderungen Regel die Initiative und geht tatkräftig dabei vor. Erkennt im
Rahmen seiner Möglichkeiten Ansatzpunkte für
Veränderungen.
Erfüllt die Anforderungen Ist manchmal nicht in der Lage, Hindernisse bei der Arbeit aus
nicht immer eigenem Antrieb aufzugreifen und zu beseitigen. Lässt sich von
Problemen bei der Verfolgung von Lösungen entmutigen.
Ist von den Anforderungen Ist kaum in der Lage, Hindernisse bei der Arbeit zu bewältigen.
häufig überfordert Kümmert sich nicht um erforderliche Änderungen; muss von
anderen Mitarbeitenden mitgezogen werden.
1.7 Beurteilungsfehler
Mitarbeitende haben einen Anspruch auf eine gerechte und transparente Beurtei-
lung, hat diese doch eine Reihe von weitreichenden Konsequenzen auf das berufli-
che Leben. Doch können Beurteilungen anderer wirklich gerecht, möglichst objek-
tiv sein? Das Leistungsverhalten im Betrieb lässt sich nicht so eindeutig bewerten
wie im Hochsprung die Frage, ob die Latte gerissen wurde oder nicht. Psychologi-
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Hamburger Fern-Hochschule
sche Tests erfüllen die Anforderung nach Objektivität weitgehend, doch sie helfen
in Fragen der Leistungsbeurteilung nicht weiter.
Man muss immer wieder konstatieren, dass zwei Menschen, die einen dritten zu
beurteilen haben, zu verschiedenen Eindrücken gelangen. Gleichzeitig besteht im
betrieblichen Kontext die Forderung nach einer möglichst gerechten Beurteilung.
Betrachten wir deshalb zunächst typische Beurteilungsfehler und wenden uns an-
schließend der Frage zu, wie man Beurteilungsfehler reduzieren kann.
1.7.1 Der Prozess der Eindrucksbildung – wie kommen Menschen zu einem Urteil
Abbildung 1.3 zeigt den Ablauf vom Verhalten über die Beobachtung, den Ein-
druck bis hin zur Aussage über eine Person.
Beurteilungsfehler können liegen auf der Ebene Ebenen möglicher
Beurteilungsfehler
• des Verhaltens
Das wahrgenommene Verhalten, das immer nur ein Ausschnitt aus dem Ge-
samtverhalten der Person ist, war nicht repräsentativ für diese Person.
• der Wahrnehmung
Zwei Beobachter haben auf Unterschiedliches geachtet und deshalb andere
Verhaltensausschnitte wahrgenommen.
• des Eindrucks
Die beiden Beobachter haben zwar dasselbe gesehen, jedoch einen unterschied-
lichen Eindruck vom beobachteten Verhalten gewonnen, sie interpretieren die
Beobachtung unterschiedlich.
• der Aussage
Die Beobachter kommen zu verschiedenen Aussagen über das beobachtete Ver-
halten.
Jedoch ist bereits das gezeigte Verhalten nicht in einem „luftleeren“ Raum zu se- Einfluss von Situationsvariablen
hen, auf das nur die Person mit ihren Eigenschaften, Fähigkeiten und Motivationen
gestaltenden Einfluss hat. Auch die Situation – beispielsweise das Verhalten von
Kolleginnen und Kollegen – wird von Einfluss sein. So gibt es beispielsweise viele
Sportler, die in der Konkurrenzsituation wachsen und sich noch mehr anstrengen,
um einen gleichwertigen oder besseren Gegner zu übertrumpfen. Möglicherweise
verhalten sich Mitarbeitende im betrieblichen Kontext in Gegenwart von Vorge-
setzten anders als z. B. sonst gegenüber Kollegen.
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Hamburger Fern-Hochschule
Beurteilungsfehler auf der Auf der Ebene des Verhaltens können insbesondere folgende Faktoren dazu füh-
Ebene des Verhaltens ren, dass die Beobachtungssituation nicht repräsentativ für das Gesamtverhalten
des Mitarbeiters ist:
• Fehlschluss von einer Situation auf eine andere
Beobachtungen sind immer stichprobenartig. Wenn jemand im Kollegenkreis
zurückhaltend ist, heißt das noch nicht, dass er keinerlei Durchsetzungskraft be-
sitzt und im Kundengespräch nicht zielorientiert verhandeln könnte. Es mag
weitere Gründe für das Verhalten geben (z. B. Höflichkeit gegenüber den älte-
ren Kollegen).
• Einfluss sozialer Beziehungen
Viele Menschen verhalten sich in Gegenwart des Vorgesetzten anders, der hier
gezeigte Einsatz, die Freundlichkeit müssen nicht durchgängig sein.
• Einfluss von Rollenerwartungen
Der Beurteilte versucht, den vermuteten Erwartungen zu entsprechen und ver-
hält sich entsprechend. So erhält jemand beispielsweise eine erste Führungspo-
sition. Er geht davon aus, dass er nun Ziele vereinbaren und deren Erfüllung
kontrollieren muss. Und verhält sich in der Konsequenz autoritär, verteilt Auf-
gaben, ohne die Kollegen einzubeziehen.
• Probleme, z. B. aus dem Privatbereich
Menschen sind keine Maschinen. Jemand, der gerade in Scheidung lebt, wird
kaum als Stimmungskanone im Unternehmen auftreten. Hat er deshalb keinen
Humor? Konzentrationsstörungen aufgrund von persönlichen Problemen wer-
den nicht dauerhaft sein.
24
Hamburger Fern-Hochschule
Niemand kann all die Reize speichern und verarbeiten, die den ganzen Tag über Definition
auf ihn einströmen. Das heißt, selektive Wahrnehmung – der Ausschnitt aus einem
größeren Zusammenhang – ist immer notwendig, um in der Welt reaktionsfähig zu
bleiben. Man kann sich die Wahrnehmung anhand eines Konzertes verdeutlichen:
Der eine Zuhörer nimmt den Gesamteindruck wahr, der andere konzentriert sich
dagegen auf die Klarinetten. Beide erleben dasselbe Konzert und nehmen doch an-
dere Ausschnitte wahr.
Machen Sie einen kleinen Selbstversuch: Lassen Sie sich von einem Bekannten Beispiele
einen Film erzählen, den Sie selbst auch vor kurzem gesehen haben. Sie werden
erstaunt sein, was der andere wahrgenommen hat, was ihm wichtig war, was er an-
ders interpretiert hat. Neben der selektiven Wahrnehmung treten hier auch Effekte
der Eindrucksbildung (siehe Abschnitt 1.7.2.4) auf. Betrachten wir zunächst wieder
die Wahrnehmung:
Bekannt ist z. B., dass Lehrer bei Prüfungen eher Fehler übersehen, wenn sie den
Schüler für gut halten. Empirisch wurde auch schon untersucht, welche Fouls Zu-
schauer eines Fußballspiels wahrnehmen – die der favorisierten Partei oder die des
Gegners? Die Fouls des Gegners werden sehr genau wahrgenommen, die Fouls der
eigenen Mannschaft dagegen gerne übersehen. Bekannt ist auch, dass es selbst
ohne eigene Interessen Fehlurteile gibt: So nennen Zeugen eines Autounfalls häu-
fig die unterschiedlichsten Autofarben, wenn sie z. B. nach einem flüchtenden
Fahrzeug befragt werden. Sie sind nicht farbenblind, sie lügen nicht bewusst – die
Wahrnehmung war fehlerhaft, das Gedächtnis spielt einen Streich.
In allen diesen Fällen ist das beobachtete Verhalten kein gutes und ausreichendes
Kriterium, um ein zutreffendes Urteil zu fällen. Wir haben lediglich einen (relevan-
ten?) Ausschnitt der Wirklichkeit gespeichert.
Bezogen auf die Mitarbeiterbeurteilung besteht die Gefahr, dass ein nicht-
repräsentatives Verhalten beobachtet oder Wichtiges übersehen wird, und man zu
Fehlurteilen gelangt. Insbesondere, wenn der Beobachtungszeitraum kurz ist – bei-
spielsweise bei neuen Mitarbeitenden in der Probezeit oder bei seltenen Kontakten
mit jemandem aus einer anderen Abteilung – kann selektive Wahrnehmung zu Be-
urteilungsverfälschungen führen.
In den 1960er Jahren wurde von Rosenthal in den USA folgende Untersuchung Das Rosenthal-Experiment
durchgeführt: Schüler verschiedener Jahrgangsstufen unterzogen sich einem Intel-
ligenztest. Nun wurde aber ein Trick angewandt: Die Lehrer, die ja von den
IQ-Tests wussten, erhielten die Ergebnisse. Jedoch wurden diese z. T. bewusst ver-
fälscht (siehe Abbildung 1.4). Bei einem Teil der nach Testergebnissen überdurch-
schnittlich intelligenten Kinder erhielten die Lehrer die richtig Angabe, bei einem
Teil jedoch die Aussage, die Kinder hätten im Test unterdurchschnittlich abgeschnit-
ten und langfristig seien von ihnen keine besonders guten Ergebnisse zu erwarten.
Ebenso wurde bei den nach Test unterdurchschnittlich begabten Kindern verfahren:
Bei einem Teil wurden die Lehrer richtig informiert. Bei einem Teil dagegen glaub-
ten sie, es handle sich um besonders intelligente Kinder, die eben lediglich „Spätzün-
der“ seien oder besonderer Förderung bedürften, um ihr Potenzial zu zeigen.
25
Hamburger Fern-Hochschule
Effekte der Erwartungen Nach einem Jahr wurde überprüft, inwieweit sich aufgrund des vermeintlichen
Wissens der Lehrer über die Begabung ihrer Schüler die Noten verändert hatten.
An dieser Stelle soll nicht über die ethische Problematik dieses Versuches disku-
tiert werden, die offensichtlich ist. Eine derartige Versuchsanordnung könnte man
sich heute kaum mehr vorstellen. Betrachten wir vielmehr die Ergebnisse im Ver-
gleich der vier Gruppen:
Bei den Gruppen 1 und 4 änderten sich die Notendurchschnitte nicht signifikant.
Interessant sind nun die Gruppen, von denen die Lehrer die falschen Informationen
erhielten – also Gruppe 3 mit weniger intelligenten Kindern, die aber besonders gu-
te Werte haben sollten, und Gruppe 2, eigentlich hochbegabte Kinder, von denen
die Lehrer aber die Meinung haben mussten, sie wären weniger intelligent. Bei der
Gruppe 3 besserte sich innerhalb des Jahres der Notendurchschnitt, bei der Gruppe
2 sank er hingegen.
Die Noten wurden also so, wie die Lehrer glaubten, dass die Kinder begabt seien.
Man bezeichnet dieses Phänomen auch als eine sich selbst erfüllende Prophezei-
ung.
Wie ist das zu erklären? Bei den intelligenten Kindern, über die die Lehrer absicht-
lich falsch informiert wurden, glaubten sie, die bisherigen gute Ergebnisse sei eher
über besonderen Fleiß oder schlicht Glück erreicht worden. Diese Kinder wurden
im Folgenden durch die Lehrer eher entmutigt (z. B. durch Aussagen wie „Da hast
Du aber Glück gehabt“, „Hast Du abgeschrieben?“ bei guten Noten und durch we-
niger Berücksichtigung im Unterricht). Die eigentlich unterdurchschnittlich begab-
ten Schüler, die ja laut Test besondere Potenziale haben sollten, wurden dagegen
ermutigt („Du weißt das doch sicher“, „Überleg doch noch mal“), unterstützt und
anschließend gelobt.
Übertragung der Ergebnisse auf Inzwischen liegen Untersuchungen vor, dass ähnliche Mechanismen auch in der
Situationen in Unternehmen Führung und Zusammenarbeit im Unternehmen wirksam sind. Menschen werden
langfristig so, wie wir glauben, dass sie sind, weil wir sie entsprechend behandeln,
und das verstärkt wieder unsere Überzeugung, dass unsere Einschätzung richtig
war (vgl. Rosenstiel, Comelli 2009: 108).
Abbildung 1.5a verdeutlicht einen positiven Kreislauf, Abbildung 1.5b den negati-
ven Kreislauf der sich selbst erfüllenden Prophezeiung:
Positiver Kreislauf der sich Eine Vorgesetzte, die einen Mitarbeiter für qualifiziert, selbstständig und karriere-
selbst erfüllenden Prophezeiung ambitioniert hält, delegiert ihm anspruchsvolle Aufgaben und Verantwortung und
fördert ihn in Bezug auf sein weiteres berufliches Vorankommen. Klappt etwas
nicht sofort, so wird sie sagen, „kann mal vorkommen“ und sich mit dem Mitarbei-
ter zusammensetzen, um das Problem zu lösen. Der Mitarbeiter bekommt interes-
sante Aufgaben, sieht seine Chancen, strengt sich an, um gute Ergebnisse zu erzie-
26
Hamburger Fern-Hochschule
len und erhält dafür wiederum Anerkennung. Und die Vorgesetzte sieht sich in ih-
rer Personalauswahl und Förderpraxis bestärkt und wird diesen Mitarbeiter weiter
unterstützen.
Abbildung 1.5b veranschaulicht den allerdings auch möglichen negativen Kreislauf Negativer Kreislauf der sich
von Erwartungen, darauf aufbauendem Verhalten und einer Bestätigung der eige- selbst erfüllenden Prophezeiung
nen Vorurteile.
27
Hamburger Fern-Hochschule
Die Persönlichkeit des Beurteilers, seine Vorerfahrungen, seine Stimmung etc. tra-
gen maßgeblich zum Zustandekommen eines Urteils bei. Urteile sagen manchmal
mehr über den Urteilenden als über den beurteilten Sachverhalt. Aus der Beurtei-
lung von Führungskräften durch ihre Mitarbeiter weiß man, dass die Aussagen der
Untergebenen über einen Vorgesetzten zumeist weit streuen (vgl. Nerdinger 2014,
Nachreiner 1978). Manchmal wirkt es, als wären unterschiedliche Personen beur-
teilt worden, so weit gehen die Aussagen der beurteilenden Mitarbeiter auseinan-
der. Wie kann es dazu kommen, dass ein und dieselbe Person in der Bewertung
mehrerer Personen anders abschneidet?
Arten von Beurteilungsfehlern • Interpretationen
bei der Eindrucksbildung Der zu Beurteilende verhält sich in einer bestimmten Weise – die zu beschrei-
bende Wahrnehmung wäre, „Sie haben mich jetzt zum zweiten Mal unterbro-
chen“. Doch die Interpretation kann sehr unterschiedlich sein: Der andere ver-
hält sich flegelhaft, ist arrogant, oder er ist schlicht besonders am Thema
interessiert, engagiert, oder aber ich drücke mich langwierig aus oder wider-
sprüchlich oder komme nicht zur Kernaussage.
Zu den wichtigsten Hinweisen beim Feedback (siehe Abschnitt 3.3) gehört des-
halb, Beobachtung und Wertung klar voneinander zu trennen.
• Maßstab gebildet durch Vorerfahrungen
Jeder bezieht sich bei seinem Urteil auf seine Vorerfahrungen: Wer zunächst ei-
nen sehr partizipativen Vorgesetzten hatte, wird anschließend einen durch-
schnittlich mitwirkungsorientierten als „autoritären Knochen“ empfinden. Der
Kollege dagegen, der in den letzten Jahren unter einem wirklich autoritären
Vorgesetzten zu leiden hatte, wird den durchschnittlichen nun als hoch-
partizipativ empfinden.
• Sympathie und Ähnlichkeit
Ein uns sympathischer Kollege wird von uns besser beurteilt werden als ein uns
unsympathischer. Die einzelnen Merkmale werden nicht unabhängig voneinan-
der wahrgenommen. Menschen neigen dazu, generell andere, die ihnen ähnlich
erscheinen, als sympathischer wahrzunehmen und eigene (positive) Eigenschaf-
ten auf diese zu projizieren. Dabei kann sich die Ähnlichkeit auf Äußeres bezie-
hen (beide tragen als Einzige in der Firma moderne Kleidung oder Motorrad-
kluft), auf das Alter, Geschlecht, eine bestimmte Ausbildung, Hobbys, gleichen
Geburtsort etc.
28
Hamburger Fern-Hochschule
• Halo-Effekt
Manchmal ist ein Merkmal so stark, dass es andere überlagert und generalisiert
wird. Beispiel: Ein Kollege ist immer gut gelaunt, zu einem Scherz bereit und
freundlich. Dies macht ihn sympathisch, er wirkt positiv und offen. Doch es be-
deutet noch lange nicht, dass er deshalb auch fair und kooperativ sein wird.
• Eigene Betroffenheit
Die eigene Betroffenheit erschwert die objektive Urteilsbildung. So wird ein
Vorgesetzter eine Mitarbeiterin, von deren Arbeitseinsatz seine eigene Arbeits-
leistung abhängt, strenger als einen anderen Mitarbeiter beurteilen, bei dem dies
nicht der Fall ist. Besonders stark ist die eigene Betroffenheit in Konfliktsituati-
onen, wenn man auch emotional beteiligt ist. Dies beeinträchtigt häufig die
Wahrnehmung. Jeder hat dann etwas anderes gehört (s. o. die Ausführungen zur
selektiven Wahrnehmung)!
• Persönlichkeitstheorien und Stereotype des Beurteilers
Wir alle machen uns – ohne Psychologiestudium und ohne uns dessen immer
bewusst zu sein – Gedanken darüber, wie Dinge zusammenhängen und Men-
schen sich verhalten. Hat nun z. B. jemand die Theorie, dass eine Person, die
zweimal eine Klasse wiederholen musste, nur absolut faul sein kann, so wird es
diese Person sehr schwer haben, überhaupt eine Chance zur Bewährung zu erhal-
ten. Negative Stereotype – die nichts anderes als Vorurteile sind – finden wir häu-
fig gegenüber allem, was als Abweichung wahrgenommen wird, z. B. übergewich-
tigen Menschen, Ausländern, psychisch Kranken, Frauen in Männerdomänen etc.
Abweichende Beurteilungen einer Person können schließlich auch auf der Ebene
der Aussagenbildung begründet sein.
• Unklar definierte Kriterien Arten von Beurteilungsfehlern
Wenn die Urteilskriterien (wie bereits angeführt wurde – siehe Abschnitt 1.6.5) auf der Aussagenebene
nicht eindeutig sind, verwenden unterschiedliche Beurteiler zwar den gleichen
Begriff, verbinden damit aber anderes (z. B. Was ist mit „emotionaler Intelli-
genz“ gemeint?). Damit ist es auch nicht verwunderlich, wenn die Aussagen der
Beurteiler streuen werden.
• Individuelle Urteilstendenzen
– Tendenz zur Mitte: Hier geben die Beurteiler eher mittlere Werte an.
– Tendenz zur Strenge: Diese Beurteiler werten eher kritisch, bei ihnen ist die
Note 3 schon eine Auszeichnung; keine Arbeit erscheint wirklich perfekt.
Statt zu loben sagen viele gerade einmal „das war nicht schlecht“.
– Tendenz zur Milde: Diese Beurteiler vergeben großzügig gute Bewertungen.
Wenn z. B. ein Auszubildender von unterschiedlichen Abteilungen sehr differie-
rende Bewertungen erhält, so kann es sein, dass er sich unterschiedlich gut ein-
bringen konnte oder aber dass Urteilstendenzen mit hineinwirkten. Letzteres
lässt sich nur eindeutig bestimmen, wenn man systematisch (d. h. über einen
längeren Zeitraum und verschiedene Beurteilte hinweg) die Aussagen von ver-
schiedenen Führungskräften vergleicht.
29
Hamburger Fern-Hochschule
Beispiele:
Für einen sehr guten Mitarbeiter interessiert sich eine Nachbarabteilung und fragt bei der
Vorgesetzten nach dessen Arbeitsleistung. Die Vorgesetzte will den Mitarbeiter auf kei-
nen Fall verlieren – wird sie sich wirklich bereitwillig begeistert äußern und den guten
Mitarbeiter ziehen lassen? Oder eher einen anderen, einen leichter zu ersetzenden Mit-
arbeiter anpreisen?
Sie kennen vielleicht die Situation: Ein Verhaltenszug eines Freundes stört Sie ungemein.
Und doch sagen Sie nichts zu ihm, fressen Ihren Ärger in sich hinein und reagieren gele-
gentlich mal etwas aggressiver. Warum sagen Sie nicht offen, was Sie stört? Aus Rück-
sichtnahme? Weil Sie den anderen nicht verletzen wollen? Sowieso nicht an eine Än-
derung glauben? Nicht wissen, wie Sie es ohne Streit und Kränkung verdeutlichen können?
Auch Führungskräfte sind nur Menschen und hinsichtlich ihrer Offenheit und
Kommunikationsstärke manchmal noch entwicklungsfähig.
• Unklare Sprache, z. B. Zeugnissprache
Im Zeugnis wird selbst Negatives vermeintlich positiv ausgedrückt. Dies hat
verschiedene Gründe: Zum einen unterliegen Arbeitgeber einer Wohlwollens-
pflicht, sie sollen ausscheidenden Mitarbeitern deren berufliche Zukunft nicht
erschweren. Andererseits haben sie aber auch eine Wahrheitspflicht. Wer den
daraus resultierenden speziellen Zeugnis-Sprachcode nicht kennt, wird aufgrund
der eigentlich guten Aussagen („bemühte sich intensiv, den Anforderungen ge-
recht zu werden“, „war immer interessiert, viele Abteilungen kennen zu ler-
nen“) zu einem falschen Urteil gelangen.
30
Hamburger Fern-Hochschule
Wie sieht es bei einer Sekretärin aus? Natürlich lässt sich klar messen, wie viele
Briefe und Mails sie pro Tag schreibt und wie lange die Beantwortung dauert.
Doch sind das die relevanten Kriterien zur Einschätzung ihrer Arbeitsleistung? Wie
wird die Eigenständigkeit in der Aufgabenerledigung gemessen? Wie die Fehler-
freiheit? Wie die Freundlichkeit im Umgang mit Kollegen und Kunden?
Je komplexer die Tätigkeit ist, umso schwerer wird die eindeutige Beurteilung fal- Problem: Bewertung von
len. Dies erfordert von Führungskräften zum einen, dass sie vorab Ziele vereinba- komplexer Tätigkeit
ren (siehe Abschnitt 2.2), damit die Mitarbeitenden auch wissen, was von ihnen
erwartet wird, welche Prioritäten ihre Tätigkeiten haben. Zum anderen ist ein sys-
tematisches Beurteilungsverfahren mit klaren Definitionen der zu bewerten-
den Kriterien vonnöten. Was ist mit Teamorientierung gemeint? Was wird unter
Durchsetzungsvermögen verstanden? Was ist Kundenorientierung – Beratungsqua-
lität? Eingehen auf Sonderwünsche? Schnelles und kulantes Reagieren auf Be-
schwerden? Freundlichkeit? Häufige Mailingaktionen zur Information?
Je komplexer die Tätigkeit und je weniger klar das Ergebnis messbar bzw. zuord-
enbar ist, um so mehr gewinnen subjektive Bewertungen an Einfluss. Im Ski-
Abfahrtslauf geht es lediglich darum, die Zeit eindeutig zu messen und die Einhal-
tung der Regeln (Streckenverlauf) zu kontrollieren. Im Eiskunstlauf geht es nicht
nur um die reine Schwierigkeit der Übungen, sondern gerade auch um die Art der
Ausführung. Und hier schwanken bekannterweise die Meinungen.
Für die betriebliche Praxis wurde z. B. gezeigt (siehe Abbildung 1.1), dass viele
Menschen sich nicht gerecht bezahlt fühlen – sie empfinden ihre Gehaltsfestset-
zung entweder im Vergleich zu den Kollegen nicht als gerecht oder nicht als leis-
tungsgerecht. Dies kann an Differenzen zwischen Selbst- und Fremdbild, fehlender
Rückmeldung, schwieriger Leistungseinschätzung oder den genannten Beurteilungs-
fehlern liegen. In der betrieblichen Praxis zeigen sich auch deutliche Wahrneh-
mungsunterschiede, je nachdem, ob der Vorgesetzte oder aber ein Kollege ein Vo-
tum abgibt. Jochum (1987) belegte in seiner Dissertation, dass im so genannten Peer-
Rating, der Beurteilung durch gleichgestellte Kollegen, andere Wertungen zu Tage
treten als in der Beurteilung durch die Führungskräfte. Bereits die Einschätzungen
zur Kompetenzzuschreibung gehen auseinander. Jeder nimmt offensichtlich einen
anderen Verhaltensausschnitt wahr.
Was kann also getan werden, um Beurteilungsfehler wie die beschriebenen zu re- Möglichkeiten zur Reduzierung
duzieren und um für Mitarbeitende eine möglichst nachvollziehbare und gerechte von Beurteilungsfehlern
Beurteilung zu erreichen?
Zunächst einmal ist dafür zu sorgen, dass die Verhaltensbeobachtung in möglichst Repräsentative
vielen und auch unterschiedlichen Situationen ermöglicht wird. Nur so gelingt es, Verhaltensausschnitte wählen
einen Eindruck von repräsentativen Verhaltensausschnitten zu gewinnen und
„Vorführeffekte“ bzw. Fehler aufgrund von Lampenfieber zu reduzieren.
Selbstverständlich sind die Beurteiler – d. h. im Regelfall die Führungskräfte – zu Schulung der Beurteiler
schulen: Sie müssen sensibilisiert werden, welche Beurteilungsfehler auftreten und
dass ihr Urteil möglicherweise nicht unabhängig von ihrer eigenen Befindlichkeit
zu sehen ist. Dazu wird ein Begleiteffekt des Assessment Centers immer wieder
hervorgehoben: Im AC werden ja nicht nur mehrere Kandidaten bei mehreren
Übungen verglichen, sondern auch mehrere Führungskräfte beobachten sie und
müssen sich anschließend auf ein gemeinsames Urteil einigen. Es lassen sich also
die Eindrücke und Urteilstendenzen auch der Beobachter miteinander vergleichen.
Der Einzelne erhält sozusagen nebenbei Rückmeldung, ob er beispielsweise ausge-
sprochen kritisch oder milde auf andere reagiert. So können auch Urteile über Be-
31
Hamburger Fern-Hochschule
Praxistipps Insbesondere der Einsatz mehrerer Beobachter ist eine gute Möglichkeit, Urteile
eines Einzelnen zu hinterfragen. Voraussetzung ist allerdings, dass die unterschied-
lichen Beobachter unabhängig voneinander zu ihrem Urteil kommen und sich nicht
bereits in dieser Phase beeinflussen (vgl. Schuler 1978). Wichtig ist auch, gerade
bei unterschiedlichen Urteilen genau danach zu fragen, wie der andere zu dieser
Überzeugung kommt. Ein reiner Mittelwert der Beobachteraussagen mag beim Eis-
kunstlauf eine geeignete Methode sein. Bei der Mitarbeiterführung greift dies zu kurz,
eine wichtige Möglichkeit zum Hinterfragen des eigenen Urteils wäre vergeben.
Auf eines ist jedoch klar hinzuweisen: Viele subjektive Urteile ergeben noch
kein objektives Bild. Auch wenn mehrere Beurteiler mitwirken und sich deren
fehlerhafte Urteilstendenzen möglicherweise ausgleichen, heißt dies noch nicht,
dass dadurch ein gerechtes, objektives Urteil entsteht. Nerdinger (2014: 209 f.)
warnt nachdrücklich davor, viele subjektive Urteile mit der Wahrheit gleichzuset-
32
Hamburger Fern-Hochschule
zen: „Der Durchschnitt vieler subjektiver Urteile ist nicht die objektive Wahrheit!
Vielmehr besteht die Erkenntnis einer solchen Beurteilung darin, dass der Beurteil-
te erfährt, wie er von verschiedenen Bezugsgruppen wahrgenommen und einge-
schätzt wird.“
Eine 360-Grad-Beurteilung ist deshalb keine geeignete Basis für Gehaltsentschei- Grenzen einer
dungen. Aber sie vermittelt wichtige Eindrücke und kann helfen, durch die Rück- 360-Grad-Beurteilung
meldungen den eigenen „blinden Fleck“ zu reduzieren. Nerdinger (2014) plädiert
sogar dafür, die 360-Grad-Beurteilung ausschließlich mit dem Ziel des Feedbacks
und der persönlichen Entwicklung einzusetzen.
Übungsaufgaben
1.1) Welche zentralen Ziele verfolgen Unternehmen mit einer systematischen Personalbeurtei-
lung?
1.2) Warum sind Probezeitbeurteilungen in der Praxis wichtig? Was ist zu beachten?
1.3) Nennen Sie zentrale Beurteilungskriterien für Führungsnachwuchskräfte.
1.4) Erläutern Sie zentrale Unterschiede zwischen Beurteilung und Potenzialeinschätzung!
1.5) Diskutieren Sie kritisch den Einsatz eines Rangordnungsverfahrens zur Personalbeurteilung.
1.6) Beschreiben Sie anhand eines Beispiels kurz den so genannten Rosenthal-Effekt (Effekt der
sich selbst erfüllenden Prophezeiung).
1.7) Nennen Sie zwei weitere mögliche Beurteilungsfehler, die bei der Mitarbeiterbeurteilung auf-
treten können.
1.8) Welche Einflussmöglichkeiten hat der Betriebsrat bei der betrieblichen Personalbeurteilung?
1.9) Warum sind auch manche Führungskräfte gegen Beurteilungen eingestellt?
1.10) Erläutern Sie, was unter verhaltensorientierten Beurteilungsskalen zu verstehen ist!
1.11) Was ist unter einer 360-Grad-Beurteilung zu verstehen? Was spricht für ihren Einsatz in der
Unternehmenspraxis?
33
Hamburger Fern-Hochschule
2 Personalgespräche
Mit dem Durcharbeiten dieses Kapitels sollen Sie folgende Studienziele erreichen:
Lernziele Sie haben einen Überblick über verschiedene Arten von Personalgesprächen
und deren Einsatzmöglichkeiten;
verstehen die Entwicklung vom reinen Beurteilungsgespräch hin zum Zielver-
einbarungsverfahren;
kennen den typischen Aufbau eines Mitarbeitergesprächs auf der Basis von
Zielvereinbarungen;
verstehen, warum Zielvereinbarungen wichtig sind und was Ziele auszeichnet;
verstehen, dass ein solches Mitarbeitergespräch ein zentrales Personal-Füh-
rungsinstrument ist;
wissen, wie ein solches Verfahren organisatorisch eingebunden werden kann;
haben einen Eindruck von Erfahrungen mit MbO in der Unternehmenspraxis
gewonnen.
34
Hamburger Fern-Hochschule
Das Mitarbeitergespräch sollte regelmäßig in einem bestimmten Abstand – meist Relevanz von
jährlich – stattfinden. Ein solches institutionalisiertes Gespräch darf und kann die Mitarbeitergesprächen
vielen täglichen Gespräche in der Führungsdyade natürlich nicht ersetzen. Es geht
nicht darum, Strichlisten für später zu führen, in denen während des Jahres Fehler
und Erfolge festgehalten werden. Allerdings bleiben Gespräche im betrieblichen
Alltag – selbst bei einem intensiven Kontakt zwischen Führungskraft und Mitarbei-
tenden – meist auf die operativen, drängenden fachlichen Fragen beschränkt. Zu
kurz kommt das Feedback für die Mitarbeitenden, der Austausch über zukünftige
Planungen, Fördermaßnahmen etc. Umfragen zeigen, dass Mitarbeitende sich
35
Hamburger Fern-Hochschule
Ein Mitarbeitergespräch auf der Basis von Zielvereinbarungen besteht aus drei
zentralen Teilen, die in den folgenden Abschnitten erläutert werden:
• Rückblick (2.2.2.1),
• Stärken-Schwächen-Analyse (2.2.2.2),
• Zielvereinbarung und Fördermaßnahmen (2.2.2.3).
2.2.2.1 Rückblick
36
Hamburger Fern-Hochschule
die Eindrücke während des vergangenen Jahres systematisiert, verdichtet und im Kooperatives Vorgehen
Gesamtzusammenhang besprochen. Betont wird aber bereits hier das kooperative
Vorgehen: Wichtig ist das gemeinsame Fazit über den erreichten Stand. Denn be-
steht dazu keine Übereinstimmung, wird man sich kaum auf vernünftige Maßnah-
men einigen können. Nur so kann ein Einverständnis über Konsequenzen erzielt
werden, und nicht allein durch ein Urteil der höheren Ebene! Ein gemeinsames Re-
sümee ist beim erreichten Stand meist einfacher zu erzielen als beim nachfolgen-
den Punkt der Stärken- und Schwächenanalyse.
Empfehlenswert ist, zunächst die Mitarbeitenden deren Leistung und Arbeitsver- Hinweise zur Gesprächsführung
halten im letzten Jahr darstellen zu lassen. So können sie ihre Erfolge betonen und
werden anschließend auch eher bereit sein, eventuelle Schwächen einzugestehen.
Zudem wird die Beurteilung eher als Gespräch und Kooperation erlebt, denn als
reine Meinungsäußerung des Vorgesetzten. Dies heißt nicht, dass die Führungskraft
alles zu akzeptieren hat, was der Mitarbeiter anführt. Doch man sollte Mitarbeitende
zunächst einmal anhören, damit auch Akzeptanz signalisieren und erst anschließend
einzelne Aspekte hinterfragen, unterschiedliche Sichtweisen darstellen etc.
2.2.2.2 Stärken-Schwächen-Analyse
Beispiel:
Braucht der Mitarbeiter, der mit seinen Aufgaben in Verzug ist, ein Zeitmanagement-
Training, um sich besser organisieren zu lernen? Oder ist er schlicht und einfach überlastet?
Und was bedeutet dieses? Ist ein neuer Kollege einzustellen oder sind einige Aufgaben weg-
zulassen, also Prioritäten neu festzulegen? Oder liegt es schlicht an der veralteten technischen
Ausstattung, dass Zeit durch Computerabstürze, Reparaturen etc. verloren geht?
37
Hamburger Fern-Hochschule
38
Hamburger Fern-Hochschule
die Zusammenarbeit von dem Mitarbeiter erlebt? Reichen die Informationen aus?
Wo bestehen Unzufriedenheit und Veränderungswünsche?
Dahinter steckt nicht allein ein humanistisches Menschenverständnis oder der
Wunsch nach Egalität in Organisationen, sondern vielmehr die Erfahrung, dass mit
Druck auf Dauer kein positives und insbesondere kein kreatives Arbeitsergebnis
erreicht werden kann (vgl. Rosenstiel et al. 2014). Vorgesetzte und Mitarbeitende
sollen im Rahmen eines Mitarbeitergesprächs die qualitativen wie quantitativen
Arbeitsziele gemeinsam diskutieren und vereinbaren. Der Mitarbeiter ist damit ein
Partner, der zum Mitdenken und Mitwirken aufgefordert wird. Er kann konstruktiv
an der Gestaltung seiner Aufgabe mitwirken (vgl. Berkel, Lochner 2001).
Das kooperative Vorgehen steht im Mittelpunkt: Zielvereinbarung bedeutet Mit-
sprache des Mitarbeiters und das Einverständnis beider Betroffener.
Ein solches Mitarbeitergespräch greift tief in das Führungsverhalten hinein – Vo- Anforderungen an
raussetzung ist weniger die gute Technik, als vielmehr die Bereitschaft zu einem Führungskräfte
offenen und kooperativen Gespräch. Dies erfordert die Fähigkeit, auch heikle
Themen anzusprechen und generell eine Kritik- und Veränderungsbereitschaft auf
beiden Seiten.
Eine faire und verantwortungsbewusste Rückmeldung setzt zudem eine gründliche
und systematische Vorbereitung voraus sowie in Beurteilungsfragen wie Ge-
sprächsführung geschulte Führungskräfte.
Betrachten wir zunächst, was mit einer Zielvereinbarung erreicht werden soll: Zweck von Zielvereinbarungen
• Orientierung des Mitarbeiters – er soll wissen, was von ihm erwartet wird in
qualitativer, quantitativer Hinsicht, in Bezug auf die Zeitachse etc.
• Planung und Prioritätensetzung – es wird im gemeinsamen Gespräch geklärt,
was realistisch und erreichbar ist.
• Die individuellen Ziele des Mitarbeiters müssen in die Abteilungs- und Un-
ternehmensziele eingebunden werden.
• Angestrebt wird eine hohe Motivation des Mitarbeiters, indem die Ziele durch
ein gemeinsames Vorgehen entwickelt werden, indem der Mitarbeiter Einfluss
hat und indem eine Übereinstimmung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter
erreicht wird.
• Die Zielvereinbarung ist Grundlage für die Beurteilung im nächsten Jahr, sie
ermöglicht einen Ist-Soll-Vergleich, die Kontrolle von Teilzielen, dadurch
Transparenz und eine Vergleichbarkeit zwischen den Mitarbeitenden.
• Der Entwicklungs- und Lernprozess der Mitarbeitenden soll gefördert wer-
den.
• Durch die vereinbarten Ziele erhalten die Mitarbeitenden im Laufe des Jahres
Feedback, sie wissen, wo sie leistungsmäßig stehen.
39
Hamburger Fern-Hochschule
• umsetzbar, erreichbar
• widerspruchsfrei – dies ist natürlich nicht immer leicht zu erreichen, doch dann müssen Prioritäten
festgelegt werden
• messbar, nur so können Ziele später wieder zur Beurteilung herangezogen werden
• sinnvoll, relevant – Ziele werden nicht vereinbart, um die Personalabteilung glücklich zu machen, sondern
um ein geeignetes Steuerungsinstrument zu haben
• konkret, klar, eindeutig – um messbar zu sein und damit Mitarbeitende wirklich wissen, was von ihnen
erwartet wird
Festlegung von Kriterien Zur Zielvereinbarung gehört insbesondere die Festlegung der Kriterien, an deren
der Zielerreichung Erreichung der Einzelne gemessen wird. Dies kann mühsam sein, doch rächt sich
konfliktvermeidendes Vorgehen spätestens bei dem nächsten Gespräch. Woran soll
festgemacht werden, ob jemand „freundlicher zu Kunden war“, „mehr Engagement
in die Arbeit gesteckt hat“, „besser mit den Kollegen zusammengearbeitet hat“,
„seine Englischkenntnisse verbessert hat“?
Je klarer die Ziele und die Kriterien der Zielerreichung besprochen werden, um so
weniger Missverständnisse und enttäuschte Erwartungen gibt es in der Zukunft. Je
klarer Ziele formuliert werden, desto einfacher lassen sich die Ergebnisse planen,
kontrollieren und die Leistung eindeutig messen.
Natürlich ist dies bei qualitativ anspruchsvollen Aufgaben schwieriger. Es muss
trotzdem nach sinnvollen Kriterien gesucht werden, dies ist wichtiger als die reine
Messbarkeit.
Beispiele:
(1) Denken Sie an Ihr Studium. Woran ist die Arbeitsqualität eines Professors zu bewerten?
Die Durchfallzahlen bei der Prüfung sind leicht zu ermitteln, doch sagen sie wirklich etwas
über die Unterrichtsqualität aus? Sicher ist es notwendig, dass dieser Studienbrief für Sie ver-
ständlich gestaltet ist. Doch allein der Unterhaltungswert darf es sicher nicht sein, wenn dafür
wichtige Aussagen unterbleiben.
(2) Der Umsatz eines Vertriebsmitarbeiters ist eindeutig zu messen. Doch bereits in diesem
vermeintlich einfachen Fall muss es sich nicht um das relevante Kriterium handeln: Wie sieht
es mit der Rendite aus? Wurden Neu-Kunden hinzugewonnen? Schließen Altkunden grund-
sätzlich keinen weiteren Vertrag ab, weil sie unzufrieden sind? Werden auch neue Produkte
vermarktet?
Die dritte Gesprächsphase wird deshalb häufig relativ viel Gesprächszeit einneh-
men, da man sich mit dem Mitarbeiter über konkrete Ziele und Erfolgskriterien ei-
nigen muss.
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Hamburger Fern-Hochschule
Beispiel:
Eine Führungskraft reißt ihre Mitarbeitenden immer wieder aus der Arbeit heraus, indem sie
diese durch die Sekretärin kurzfristig zu sich bestellen lässt („Kommen Sie doch mal eben
kurz zum Chef“). Die Mitarbeitenden können sich auf das Gespräch nicht vorbereiten, haben
notwendige Unterlagen nicht parat. Zudem müssen sie ihre bisherige Arbeit kurzfristig unter-
brechen, sind damit aus der Konzentration gerissen. Der Führungskraft sind diese Konse-
quenzen nicht bewusst, sie macht es nicht aus bösem Willen, sondern weil sie selbst gerade
Zeit hat, an bestimmten Themen arbeitet, eine Rückfrage hat etc. Hier könnten sich Mitarbei-
tende und Führungskraft auf bestimmte Spielregeln verständigen, z. B. die e-Mail-Bearbeitung
innerhalb eines festgelegten Zeitfensters oder regelmäßige Treffen, bei denen dann alle offe-
nen Punkte gesammelt angesprochen werden.
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Hamburger Fern-Hochschule
Beispiele:
„Der Mitarbeiter sollte die Führung und Zusammenarbeit ansprechen (…), eigene Vor-
schläge machen.“ Oder „Jeder Gesprächspartner sollte seine Situation und seine Ein-
drücke klar darlegen und dem anderen Gelegenheit geben, dasselbe zu tun. Jeder sollte um
Verständnis des anderen bemüht und auch für Anregungen und Kritik empfänglich sein“.
Konkret können Vorgesetzte beispielsweise fragen:
„Wie schätzen Sie unsere Zusammenarbeit ein? Was wünschen Sie sich anders?“
„Wie kann ich Sie dabei unterstützen, Ihre Arbeit gut zu erledigen und Ihre Aufgaben zu
erfüllen?“
„Was funktioniert in der Abteilung aus Ihrer Sicht gut, was klappt weniger gut?“
„Was sollten wir beibehalten, was verändern?“
oder einfach:
„Was würden Sie anders machen, wenn Sie auf meinem Stuhl säßen?“
42
Hamburger Fern-Hochschule
Bemerkungen
Ihrer Aufgabe? ++ + – ––
der Information? ++ + – ––
der Anerkennung Ihrer
Leistung?
++ + – ––
der Delegation und Freiraum
für eigenes Handeln?
++ + – ––
Ihren beruflichen
Perspektiven? ++ + – ––
Bemerkungen
zwischen Ihnen und Ihrer
Führungskraft?
++ + – ––
Von der Führungskraft geplante Maßnahmen zur Veränderung (von der Führungskraft auszufüllen)
43
Hamburger Fern-Hochschule
• Vorbereitung
Schulungen Eine Information an die Belegschaft über das neue Verfahren reicht sicher nicht
aus, vielmehr sollten Schulungen für all diejenigen vorgesehen werden, die
zukünftig ein solches Gespräch zu leiten haben. Der Trainingsbedarf hängt
dabei davon ab, inwieweit schon auf frühere Führungs- und Kommunikations-
seminare aufgebaut werden kann und ob Beurteilungsprozesse bereits vertraut
sind. Schwerpunkte sollten in einem Training dann insbesondere die kooperati-
ve Gesprächsführung und die Zielvereinbarung sein, da gerade letztere in der
Praxis vielen Probleme bereitet.
Gute Erfahrungen werden auch damit berichtet, Schulungen ergänzend auf
freiwilliger Basis für die Mitarbeitenden anzubieten. Beurteilungsverfahren –
wie kooperativ sie auch immer durchgeführt werden – werden von den Mitar-
beitenden zunächst mit Misstrauen betrachtet. Sie fragen sich:
– „Handelt es sich um ein neues Verfahren, das mit besonders geschickten
Techniken noch mehr Leistung herauspressen soll?“
– „Kann man sich auf Zielvereinbarungen einlassen oder wird man hier später
,festgenagelt‘?“
– „Was geht in die Personalakte ein, wie ist der Bezug zum Gehalt?“
– „Ist es nur alter Wein in neuen Schläuchen?“.
Erfahrungsgemäß nehmen rund 10 – 15 % der Mitarbeitenden ein solches Schu-
lungsangebot wahr und werden später von ihren Vorgesetzten im Gespräch als
besonders gut vorbereitet und aktiv, d. h. mit eigenen Vorschlägen kommend,
erlebt.
• Erstes Gespräch
In einem ersten Gespräch – beispielsweise bei einer Neueinführung dieses Ver-
fahrens, einem neu eingestellten Mitarbeitende oder nach einem Stellenwechsel –
liegen noch keine früheren Zielvereinbarungen vor. Gesprächsbasis können hier
allgemein die Anforderungen der Stelle, die zentralen Aufgaben und die Erwar-
tungen/Wünsche des Mitarbeiters sein. Bereits vor dem Ablauf der Beurteilungs-
periode sind natürlich kontinuierlich Gespräche zur Rückmeldung zu suchen.
44
Hamburger Fern-Hochschule
• Gesprächsbogen
Wird in Organisationen ein Mitarbeitergespräch institutionalisiert, so wird auch Gesprächsleitfaden
ein Bogen verabschiedet, der zur Gesprächsvorbereitung genutzt werden soll
und in dem zentrale Gesprächsinhalte dokumentiert werden. Abbildung 2.4
zeigt ein Beispiel. Empfohlen wird, Zielvereinbarungen und Fördermaßnahmen
auf alle Fälle schriftlich festzuhalten, um Missverständnisse zu vermeiden und
die Verbindlichkeit zu erhöhen. Diese Unterlagen verbleiben i. d. R. bei den Ge-
sprächspartnern.
1. Rückblick
Erreichen der vereinbarten Ziele bzw. Abweichungen davon, sonstige Beobachtungen
(positiv wie negativ) hinsichtlich der Leistungsmenge, Leistungsgüte und sonstiger Sach-
verhalte:
2. Stärken-/Schwächen-Analyse
2.1 Ursachen, die die Mitarbeiterin/der Mitarbeiter nicht zu vertreten hat …
2.2 Ursachen, die mit den Stärken der Mitarbeiterin/des Mitarbeiters zusammen-
hängen …
2.3 Ursachen, die mit den Schwächen der Mitarbeiterin/des Mitarbeiters zusammenhän-
gen …
2.4 Veränderungen in den Stärken und Schwächen der Mitarbeiterin/des Mitarbeiters …
2.5 Zusammenfassung …
................................................................................................................................................
................................................................................................................................................
................................................................................................................................................
3.2 Fördermaßnahmen
Erörtern Sie hier, welche Fördermaßnahmen im Rahmen der Aufgabenstellung (z. B.
durch ihre Veränderung, Erweiterung der Kompetenzen etc.) bestehen und welche Maß-
nahmen außerhalb des Arbeitsplatzes hilfreich erscheinen.
................................................................................................................................................
................................................................................................................................................
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Unterschrift Mitarbeiter/in Unterschrift Vorgesetzte/r
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• Ältere Mitarbeitende
Bei älteren Mitarbeitenden wird das Gespräch dagegen manchmal auf einen
längeren Zeitraum bezogen (2 – 3 Jahre) und damit seltener geführt oder ganz
auf eine freiwillige Basis gestellt. Zu vermeiden ist allerdings, dass ein Mitar-
beiter das Gefühl gewinnt, dass man nur noch auf sein Ausscheiden warte und
sich der Aufwand für ihn nicht mehr lohne. Deshalb ist es meist besser, das Ge-
spräch grundsätzlich mit allen Mitarbeitenden zu führen. Sollte sich dann im
Einzelfall zeigen, dass sich wenig geändert hat – z. B. bei älteren Mitarbeiten-
den, die schon seit längerem denselben Aufgabenbereich erledigen –, so kann
das Gespräch mit ihnen kürzer gehalten werden.
Welche Erfahrungen wurden bisher mit dieser Form der Mitarbeiterbeurteilung ge-
sammelt, wie schätzen betroffene Mitarbeitende, wie schätzen Führungskräfte das
Verfahren ein?
Putz und Lehner (2002) konnten Effekte zielorientierter Mitarbeitergespräche Effekte von
nachweisen. Ein Haupteffekt liegt in der Verbesserung der Führungsbeziehung und Zielvereinbarungsgesprächen
Zusammenarbeit zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden. Gebert und Ulrich
(1990) belegten in einer detaillierten Analyse in Kreditinstituten die positive Wir-
kung (gemessen z. B. an Rendite oder Umsatz) von Zielen, aber auch von zielför-
derndem, unterstützendem und konsequentem Verhalten der Vorgesetzten.
Betrachtet man Evaluationsstudien in Unternehmen, so führen Mitarbeitende vor Kritik seitens der Mitarbeiter
allem folgende Kritikpunkte an:
• mangelnde Sensibilität des Vorgesetzten,
• keine Zielvereinbarung in schriftlicher Form,
• unsinnige Zielvereinbarungen,
• bei dem Vorgesetzten auf reine Routineübung reduziert,
• „es ändert sich doch nichts“,
• Personalpolitik steht von vornherein fest,
• viel Lob, aber keine gehaltliche Berücksichtigung,
• wenig relevant für die Arbeit,
• Aussagen über weitere Entwicklungsmöglichkeiten fehlen,
• dient lediglich weiterer Leistungssteigerung und -kontrolle.
Dieses Blitzlicht zeigt, dass sich die Menschen allein durch ein neues Verfahren
noch nicht ändern. Neben einer partiell aufscheinenden Resignation wird insbeson-
dere Kritik am Vorgesetztenverhalten laut. Das heißt, es kommt weniger auf die
eine oder andere Form des Gesprächsbogens an oder darauf, was und wie viel
letztendlich in der Personalakte dokumentiert wird. Vielmehr geht es darum, wie
die verantwortlichen Führungskräfte das Verfahren leben.
Dies müsste im Rahmen von Workshops und Schulungen in der Vorbereitung auf-
gegriffen und behandelt werden.
Von Seiten der Vorgesetzten werden häufig insbesondere der hohe Zeitaufwand, Kritik seitens der Vorgesetzten
die stärkere Bürokratie und hohe Erwartungs-/Anspruchshaltungen auf Seiten der
Mitarbeitenden beklagt.
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Übungsaufgaben
2.1) Was ist unter MbO zu verstehen?
2.2) Erläutern Sie die zentralen Elemente eines Mitarbeitergespräches auf der Basis von Zielver-
einbarungen!
2.3) Warum werden in Unternehmen Zielvereinbarungen mit den Mitarbeitenden getroffen?
2.4) Erscheint Ihnen ein zweijähriger Abstand für ein solches Mitarbeitergespräch geeignet? Be-
gründen Sie Ihre Meinung!
2.5) Diskutieren Sie kritisch, ob man ein solches Mitarbeitergespräch auf freiwilliger Basis (für
Mitarbeitende und/oder Führungskräfte) oder für alle verpflichtend installieren sollte!
2.6) Wie sollten Ziele formuliert sein? Warum?
2.7) Formulieren Sie für sich als Studentin oder Student Ziele – fachliche, bezogen auf Kooperati-
on/Verhalten und Entwicklungsziele.
2.8) Erläutern Sie, inwiefern sich ein Mitarbeitergespräch auch zum Vorgesetztenfeedback eignet.
2.9) Ist ein Mitarbeitergespräch auch für geringfügig Beschäftigte geeignet? Begründen Sie Ihre
Meinung!
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3 Die Gesprächsführung
Lernziele Die Bearbeitung dieses Kapitels vermittelt Ihnen
Wissen über das Sender-Empfänger-Modell der Kommunikation,
Verständnis für die Entstehung und Ursachen von Kommunikationsproblemen,
Ansatzpunkte zur Vermeidung von Kommunikationsblockaden,
Hinweise zur effizienten Gestaltung einer zwischenmenschlichen Gesprächssi-
tuation,
die Regeln zum Geben und zum Empfangen von Feedback,
eine Übersicht, wie Sie sich auf ein Personalgespräch vorbereiten können.
In diesem Kapitel sind wesentliche Grundlagen von Kommunikation und Ge-
sprächsführung übersichtlich zusammengestellt. Damit sollen Ihre vorhandenen
Kenntnisse aktiviert werden, um angemessen auf die Fortsetzung und Vertiefung in
den weiteren Studienbriefen dieses Moduls – bis hin zur Gesprächsführung im
Konfliktfall – vorzubereiten.
Miteinander arbeiten erfordert immer Kommunikation im zwischenmenschlichen
Umgang. Führen bedeutet in erster Linie miteinander zu sprechen – zum Austausch
von Informationen, zur Koordination, Aufgabenverteilung, Abstimmung, Lösung
von Sachproblemen und zur Entscheidung.
Mit steigender Hierarchieebene wächst der Anteil der Kommunikation an der
Gesamtarbeitszeit: Bei höheren Führungskräften nehmen face-to-face-Kontakte,
d. h. persönliche Treffen und Besprechungen, rund 70 % der Arbeitszeit ein (vgl.
Pribilla et al. 1996).
Doch trotz Informationsflut und hoher Informationsverfügbarkeit durch Internet/
Intranet wird von vielen Organisationsmitgliedern eine Diskrepanz zwischen
quantitativer Informationsüberflutung und qualitativem Informationsbedürf-
nis erlebt (vgl. z. B. Regnet 2014a: 214). Dies zeigen beispielsweise Ergebnisse
von Mitarbeiterbefragungen (vgl. Borg 2003): Mitarbeitende wünschen sich da-
nach in hohem Maße mehr Information über betriebliche Entwicklungen und Ab-
läufe in sowie zwischen den Abteilungen. Möglicherweise ist dies Folge des ge-
sellschaftlichen Wertewandels: Die Mitarbeitenden wollen nicht nur die zuge-
wiesene Aufgabe erfüllen, sie wollen eingebunden sein, Zusammenhänge
verstehen, erfahren, welche weiteren Entwicklungen geplant sind. Dagegen schei-
nen manche Führungskräfte noch immer dem tayloristischen arbeitsteiligen Modell
anzuhängen (überspitzt ausgedrückt: „Ihr sollt arbeiten und nicht denken“). Dies
führt auch dazu, dass auf allen Hierarchieebenen die Mitarbeitenden einem Ge-
spräch mit ihrem Vorgesetzten positiver gegenüber stehen und sich besser vorbe-
reiten, als dies im Gespräch mit einem Untergebenen der Fall ist.
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Abb. 3.1: Kommunikationsmodell nach Schulz von Thun (vgl. Schulz von Thun 2014)
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3.2.2 Ich-Botschaften
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Beispiel: Wenn Sie 20 Minuten zu spät zur Teamsitzung kommen (Anlass), ärgere ich mich
(Gefühl), weil wir alle dadurch Zeit verlieren (Grund) und ich möchte, dass Sie in Zukunft
pünktlich kommen (Wunsch).
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3.2.3 Fragetechnik
Eine Spezialform des aktiven Zuhörens stellt die non-direktive Gesprächs- non-direktive Gesprächsführung
führung dar (vgl. Neumann 2014: 255). Hier verzichtet der Empfänger weitgehend
darauf, seine Sichtweise darzustellen und den anderen von seinen
Argumenten zu überzeugen. Vielmehr geht der Zuhörer im Gespräch weitgehend
auf die Sichtweisen seines Gegenüber ein. Dies bedeutet nicht, dass alle Argumen-
te des Gesprächspartners übernommen werden – wohl aber, dass der Zuhörer ver-
sucht, diese zu verstehen.
Durch aufmerksames, aktives Zuhören und vor allem Nachhaken mit offenen Fra-
gen soll der Sprecher dazu bewegt werden, sich weiter zu öffnen. Ein solches non-
direktives Gespräch ist empfehlenswert, wenn Vorgesetzte weitere Informationen
von ihren Mitarbeitenden erhalten wollen sowie in Konfliktgesprächen. Auch in
bestimmten Phasen eines Interviews zur Auswahl eines neuen Mitarbeiters kann
die non-direktive Vorgehensweise helfen, ein besseres Bild von dem Bewerber zu
gewinnen.
Zum Öffnen des Gesprächspartners und Vertiefen der Kommunikation ist beim Hinweise zum
Stellen der Fragen folgendes zu beachten: Stellen von Fragen
• Offene Fragen, also möglichst „W-Fragen“ verwenden, beispielsweise „Wie
stellen Sie sich … vor?“, „Bis wann können Sie den Fall X fertig haben?“,
„Was spricht aus Ihrer Sicht dagegen?“
• Nachfragen, statt sich mit einer ersten Antwort zufrieden zu geben – „Was sonst
noch?“
• Nicht nur nach einem Grund fragen – Besser „Was sind die Gründe für …“ als
nur „Warum ist Kunde X unzufrieden?“
• Warum-Fragen bringen meist keine so guten Antworten, da eine vermeintlich
rationale Antwort möglicherweise erst produziert und der Befragte leicht in eine
Verteidigungshaltung gedrängt wird. Verwenden Sie stattdessen lieber: „Wie
kam es dazu, dass …“, „Was spricht dafür/dagegen, dass …“, „ Inwiefern sehen
Sie hier Probleme …“, „Was ist geschehen, dass …“
• Keine Doppel-, Mehrfachfragen, sonst wird sich der Befragte das aussuchen,
wozu er lieber etwas sagt. Das andere Thema gerät darüber in Vergessenheit.
• Keine Alternativfragen („Wollen Sie lieber in Pakistan oder in Vietnam arbei-
ten?“) verwenden, sonst engen Sie den Gesprächspartner ein und erhalten keine
zuverlässige Antwort. Bedenken Sie immer: Die non-direktive Gesprächsfüh-
rung setzen Sie ein, wenn Sie die Sichtweise des anderen erfahren wollen, und
nicht, wenn Sie etwas verkaufen wollen.
• Bewertende Fragen vermeiden – „Sind Sie eigentlich teamorientiert?“. Auf
solche Fragen erhalten Sie lediglich Antworten im Sinne der sozialen Er-
wünschtheit, also das, wovon der Mitarbeiter glaubt, dass Sie das hören wollen.
• Auch Suggestivfragen – „Sehen Sie das nicht genauso?“, „Glauben Sie eigent-
lich, dass Sie mit dieser Situation zurechtkommen?“ – tragen nicht zu einer
offenen Gesprächssituation bei.
• Konfrontative Fragen sollten Sie – wenn überhaupt – erst in einer späteren
Gesprächsphase einsetzen, der Mitarbeiter geht sonst sofort auf Distanz und in
Verteidigungshaltung.
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3.2.4 Metakommunikation
Feedback ist für eine gelungene Kommunikation unverzichtbar. Doch häufig un-
terbleibt Feedback, weil es den Betreffenden unangenehm ist, abweichende Mei-
nungen oder Kritik auszudrücken. Hauptziel bei einem Feedback ist aber nicht das
Kritisieren, sondern vielmehr:
Ziele von Feedback • Verkleinerung des blindes Flecks – der Betreffende soll erfahren, wie er auf
andere wirkt, was andere an seinem Verhalten stört.
• Jeder hat natürlich auch ein bestimmtes Bild von sich selbst. Feedback erweitert
diese Sicht, ein Abgleich zwischen Selbst- und Fremdbild wird möglich. Dies
bedeutet grundsätzlich nicht, dass das Fremdbild stimmiger ist oder das Selbst-
bild „falsch“.
• Doch wenn man sich selbst für freundlich hält, andere einen aber eher als lau-
nisch wahrnehmen, so bietet eine solche Rückmeldung eine Lernchance – nur
wenn ich weiß, was andere stört, warum sie bestimmte Annahmen über mich
haben, kann ich mein Verhalten erklären bzw. verändern.
• Bekräftigung – wenn ein Mitarbeiter immer hört, was er alles falsch macht, so
wird er zunehmend unsicherer werden. Unter Lerngesichtspunkten betrachtet ist
es wichtig, auch Gutes anzuerkennen. Der Mitarbeiter muss erfahren, was er
beibehalten soll, wo er auf dem richtigen Weg ist.
• Motivation – ein Mitarbeiter soll nicht demotiviert und entmutigt aus einem Ge-
spräch herausgehen, sondern eine positive Vorstellung davon haben, wie er zu-
künftig erfolgreicher arbeiten kann. Ein Theaterkritiker darf eine Aufführung ver-
reißen, er muss selbst keine bessere abliefern. Konrad Adenauer wird der Spruch
nachgesagt: „Maul nicht über die Leute. Du bekommst keine anderen.“ Dies
kennzeichnet die Situation für jede Führungskraft: Sie muss mit ihren Mitarbei-
tenden erfolgreich sein, deren Humankapital, also deren spezifische Fähigkeiten
und Stärken, gewinnbringend einsetzen. Zielführend wird es nicht sein, die Unter-
stellten zu entmutigen oder sich ständig andere Mitarbeitende zu wünschen.
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Tabelle 3.1 veranschaulicht im Überblick, worauf beim Geben sowie beim Emp-
fangen von Feedback zu achten ist.
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Übungsaufgaben
3.1) Erläutern Sie anhand des Sender-Empfänger-Modells der Kommunikation, wie es zu Proble-
men und Missverständnissen kommen kann.
3.2) Was meint Watzlawick mit seiner Aussage „Man kann nicht nicht kommunizieren?“
3.3) Wodurch ist aktives Zuhören gekennzeichnet? Warum ist es sinnvoll?
3.4) Sie haben den Eindruck, Ihr Gesprächspartner ist nicht ganz offen zu Ihnen. Welche Kommu-
nikationselemente können Sie einsetzen, um ihn zum Sprechen zu bringen und zu „öffnen“?
3.5) Erläutern Sie, was beim Empfangen von Feedback zu beachten ist!
3.6) Die nachfolgend beschriebene Übung („Der kontrollierte Dialog“) zum (achtsamen) aktiven
Zuhören ist Ihnen bekannt. Gesprächsführung ist eine Fähigkeit, die trainiert werden will.
Ihren Trainingserfolg können Sie verbessern, indem Sie Übungen zum Aktiven Zuhören gele-
gentlich wiederholen. Vielleicht frischen Sie Ihre Gesprächsführungsfähigkeiten anhand der
folgenden Übung im Rahmen einer individuellen Lerngruppe auf.
Der kontrollierte Dialog:
Zwei von Ihnen (A und B) einigen sich auf ein Thema (bei dem Sie möglichst nicht einer
Meinung sind) und führen darüber einen Dialog unter Beachtung der folgenden Spielregeln:
A beginnt mit einer Aussage. B fasst den gedanklichen Sinn dessen, was A gesagt hat, in
eigene Worte (nicht nur „nachplappern“). A bestätigt kurz sprachlich (stimmt/ja) oder non-
verbal (z. B. Kopfnicken), ob B die Aussage sinngemäß richtig wiedergegeben hat. Hat A mit
„stimmt“ bestätigt, darf B auf die Aussage antworten und den Dialog fortsetzen. Wenn B den
Sinn falsch erfasst hat, wiederholt A seine Aussage. B wiederholt diese solange sinngemäß,
bis A sie mit „richtig“ bestätigt. Der dritte Teilnehmer (C) beobachtet den Dialog und unter-
bricht, wenn die Spielregeln nicht eingehalten werden. Jeder Dialog dauert fünf Minuten. Da-
nach werden die Rollen gewechselt, so dass jeder einmal der Beobachter ist.
3.7) Vergegenwärtigen Sie sich zu Ihrer individuellen Vorbereitung auf die Komplexe Übung die-
ses Moduls folgende Aspekte:
• Inwieweit hat sich Ihre Wahrnehmung von kommunikativen Vorgängen verändert?
• Wie gehen Sie mit „aktivem Zuhören“ in Ihrem beruflichen Alltag um? Haben Sie Nutzen
oder Grenzen des Einsatzes erfahren?
• Hat sich Ihr Gesprächsverhalten verändert?
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Feedback Anerkennung und Kritik dienen zunächst zum Feedback. Der Mitarbeiter soll er-
fahren, wie seine Leistung und sein Verhalten vom Vorgesetzten gesehen und ein-
geschätzt werden. Ein weiteres Ziel des Feedbacks ist, dass der Mitarbeiter ein rea-
listisches Selbstbild entwickelt und seine Stärken weiter ausbauen kann. In Abschnitt
3.3 wurde bereits dargestellt, worauf beim Geben von Feedback zu achten ist.
Verhaltensstabilisierung bzw. Verhaltensstabilisierung bzw. -veränderung: Anerkennung und Kritik sollen
Verhaltensveränderung kein Selbstzweck sein. Wenn der Mitarbeiter durch das Feedback erfährt, was er
gut gemacht hat und welche Verbesserungen man sich aus Sicht der Organisation
von ihm wünscht, so geht es hierbei – wie bereits oben beim Mitarbeitergespräch
ausgeführt – nicht primär um eine reine Beurteilung oder gar um eine Abrechnung
mit der Vergangenheit. Vielmehr wird in Organisationen die zielorientierte Gestal-
tung der weiteren Zusammenarbeit im Fokus der Aufmerksamkeit stehen. Der Mit-
arbeiter soll in die Lage versetzt werden, Fehler zu erkennen und aus ihnen zu ler-
nen, damit eine Verhaltensveränderung erreicht wird. Allerdings sollte nicht
vergessen werden, dass ein Mitarbeiter auch wissen muss, was er gut gemacht hat –
denn dieses Verhalten soll beibehalten und von der Führungskraft verstärkt wer-
den. Wird ein Mitarbeiter im Extremfall lediglich auf Fehler hingewiesen, so weiß
er schließlich, was er alles nicht tun soll – ein positives Verhalten wird jedoch nicht
aufgebaut und unterstützt.
Motivation der Mitarbeitenden Schließlich soll die Motivation der Mitarbeitenden weiter verstärkt werden. Bei
der Anerkennung scheint dies offensichtlich zu sein: Jeder hört Lob gerne und wird
danach meist weiteren Ansporn zur Leistung verspüren. Doch selbst hier lässt sich
einiges falsch machen (s. u.). Besonders schwierig ist die Aufrechterhaltung der
Motivation bei und nach einem Kritikgespräch. Ziel ist es ja, dass der Mitarbeiter
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sein Verhalten im Sinne der Organisation verändert (vgl. dazu auch Rosenstiel
2014: 244). Jedoch ist aus Befragungen bekannt, dass viele Mitarbeiter nach einem
Kritikgespräch frustriert sind und sich ungerecht behandelt fühlen. Dies ist keine
gute Basis für die weitere Zusammenarbeit. Verhaltensänderungen sind in dieser
Konstellation nicht aufgrund von Einsicht, sondern allenfalls durch Machteinsatz,
Anweisungen etc. zu erreichen.
Betrachten wir zunächst die positive Seite, das Anerkennungsgespräch. Worauf ist
zu achten? Was sind typische Fehler? Zunächst einmal nicht, dass zu viel gelobt
wird. Diese Gefahr ist speziell in unserem Kulturkreis sehr gering einzuschätzen.
Gerade Deutsche gehen ausgesprochen sparsam mit Lob um.
Allerdings sollte das Lob authentisch sein, also das ausdrücken, was der Lobende Authentizität
wirklich meint. Authentisch sein bedeutet nicht, dass jeder dem anderen alles sagt,
was er denkt und gerade empfindet – eine solche bedingungslose Offenheit hält
keine Freundschaft, keine Beziehung und auch keine Arbeitsgruppe aus. Die For-
derung danach, im Umgang mit anderen authentisch zu sein, meint vielmehr, nicht
alles zu sagen, was man denkt, aber das, was man sagt, auch zu meinen.
Einige Hinweise zum Anerkennungsgespräch:
• Verantwortlich ist der direkte Vorgesetzte. Verantwortlichkeiten
Auch ein Lob sollte man nicht über einen Kollegen mitteilen lassen. Nehmen
Sie sich die Zeit für ein kurzes Gespräch oder zumindest einen Anruf oder eine
persönliche Mail.
Ein Lob des höheren Vorgesetzten hat besonderes Gewicht – allerdings muss
dieser darauf achten, dass er nicht in Widerspruch zum direkten Vorgesetzten
gerät. Wird ein häufig unzuverlässiger Mitarbeiter nach einer ausgezeichnet ge-
lungenen Kundenpräsentation vom Vorstand als „tüchtig und begabter Füh-
rungsnachwuchs“ ausgezeichnet, dann wird es für den direkten Vorgesetzten
schwer sein, mit seiner berechtigten Kritik an anderen Verhaltensweisen durch-
zudringen.
• Was sollte gelobt werden? Inhalt des Lobes
Generell gilt: ein beobachtetes Verhalten oder ein konkretes, dem Mitarbeiter
zuordenbares Leistungsergebnis. Es geht nicht um allgemeine Wesenszüge oder
Verallgemeinerungen („immer so engagiert“).
Denken Sie daran, auch konstant zuverlässige Dauerleistungen wertzuschätzen.
Nicht jeder Mitarbeiter kann in seiner Aufgabe besondere Erfolge – wie den
Gewinn eines neuen Kunden oder die Umsatzsteigerung – vorweisen. Doch das
fehlerfreie Arbeiten über längere Zeit oder unter besonderer Belastung wie
Zeitdruck ist gleichfalls anzuerkennen.
• Wie sollten Sie loben? Hinweise zum Formulieren
Wichtig ist hier vor allem, dass die Anerkennung explizit ausgesprochen wird. von Anerkennung
Ein „das ist nicht schlecht“ ist keine Wertschätzung. Führungskräfte, die sich
nach dem Motto verhalten: „Nicht getadelt ist genug gelobt“, frustrieren ihre
Mitarbeitenden. Ein zentrales Ergebnis von Mitarbeiterbefragungen (vgl. z. B.
Borg 2003) ist immer wieder, dass Mitarbeitende sich über fehlende Anerken-
nung ihrer Leistung beklagen.
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Das Kritikgespräch ist meist schwieriger als das Verteilen von Lob. Der Führungs-
kraft ist es häufig unangenehm, und viele Mitarbeitende haben ein anderes Selbst-
bild, wollen sich rechtfertigen und ihre Sichtweise erläutern. Deshalb im Folgenden
einige Hinweise zur Durchführung eines Kritikgespräches:
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Stufenmodell bei Das Krankenrückkehrgespräch wird nach einer krankheitsbedingten Fehlzeit einge-
Krankenrückkehrgesprächen setzt mit dem Ziel, Gründe für Fehlzeiten zu identifizieren und mittelfristig die
Fehlzeitenquote zu senken. Es ist dabei an ein Stufenmodell zu denken:
1. Stufe: Gespräch direkt bei 1. Gespräch mit dem zurückkehrenden Mitarbeiter unmittelbar nach Arbeits-
Rückkehr nach einer Krankheit beginn
Hier geht es darum, den Mitarbeiter zu begrüßen und ihm zu verdeutlichen, dass
man sich über seine Rückkehr freut und ihn in der Zwischenzeit – persönlich
wie fachlich – vermisst hat. Informieren Sie den Mitarbeiter über wichtige Vor-
kommnisse während seiner Abwesenheit. Zudem sollte man sich nach dem Be-
finden erkundigen („Wieder ganz gesund?“) und klären, ob die Arbeitsfähigkeit
bereits vollständig wiederhergestellt ist oder ob der Mitarbeiter noch der Scho-
nung bedarf. Dem Vorgesetzten obliegt auch eine Fürsorgepflicht für die Mitar-
beitenden. Wünschen Sie zum Gesprächsabschluss alles Gute und viel Erfolg
für die wieder aufgenommene Tätigkeit.
In vielen Unternehmen wird ein solches Gespräch routinemäßig nach jeder
Fehlzeit geführt. Dabei handelt es sich zumeist um ein kürzeres Gespräch von
ca. 10 Minuten Dauer.
2. Stufe: Gespräch nach 2. Nach Auffälligkeiten – z. B. häufige Kurzerkrankungen
Auffälligkeiten Vor dem Gespräch empfiehlt sich eine Abstimmung mit der Personalabteilung
über das Vorgehen.
Versuchen Sie im Gespräch zu klären, ob die häufigen Erkrankungen auf glei-
che oder ähnliche Ursachen zurückzuführen sind. Möglicherweise liegen Ursa-
chen im Betrieb (man kann dabei an viele Faktoren denken: von der Zugluft bis
zum schlechten Arbeitsklima oder Mobbing) – hier sollte nach Lösungen ge-
sucht werden. Gegebenenfalls sind Rehabilitationsmaßnahmen nötig, um die
Arbeitskraft vollständig wiederherzustellen. Wenn der Mitarbeiter den Belas-
tungen der Stelle dauerhaft wohl nicht mehr gewachsen ist, so sind die Mög-
lichkeiten einer (einvernehmlichen) Versetzung zu klären.
Der Mitarbeiter ist rechtlich nicht verpflichtet, die genaue Krankheitsursache zu
offenbaren. Auch eine ausweichende Antwort muss kein Zeichen für „Blauma-
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chen“ sein, denn man spricht beispielsweise leichter über einen gebrochenen
Fuß als über eine Fehlgeburt.
Generell gilt: Machen Sie dem Mitarbeiter keine Vorwürfe, werden Sie nicht
persönlich und vermeiden Sie negative Ausdrücke und Unterstellungen („blau
machen“).
Ziehen Sie zum Abschluss Bilanz und fassen Sie die wichtigsten Inhalte noch
einmal kurz zusammen. Vereinbaren Sie falls nötig einen weiteren Termin und
halten Sie geplante Maßnahmen schriftlich fest. Versuchen Sie, das Gespräch
positiv zu beenden.
3. Nach weiteren Auffälligkeiten 3. Stufe: Gespräch nach
weiteren Auffälligkeiten
Der Ablauf entspricht zunächst der Stufe 2. Allerdings sollten hier klare Ver-
einbarungen getroffen und das Gespräch schriftlich dokumentiert werden. Die
zentralen Aussagen sind vom Mitarbeiter gegenzuzeichnen. Zudem sind dem
Mitarbeiter die Konsequenzen bei weiteren Auffälligkeiten zu verdeutlichen.
Die Einführung eines systematischen Gesprächs mit einem bestimmten Ablauf Mitbestimmungsrecht
oder unter Einsatz eines vorgesehenen Gesprächsleitfadens, der von allen Vorge- des Betriebsrates
setzten umgesetzt wird, unterliegt der Mitbestimmung des Betriebsrates (gem. Be-
trVG § 87 Absatz 1 Nr. 1).
Nicht immer wird das Fehlverhalten eines Mitarbeiters mit einem Kritikgespräch Gründe für eine Abmahnung
zu klären sein. Bei schwerwiegenden Verfehlungen ist die Kritik mit einer schrift-
lichen Abmahnung zu dokumentieren. Diese ist gleichzeitig eine Voraussetzung,
um eine spätere verhaltensbedingte Kündigung vorzubereiten oder sich zumindest
offen zu halten. Die Abmahnung ist damit als ernste Verwarnung zu werten. Im
Folgenden wird nicht der Anspruch erhoben, einen vollständigen arbeitsrechtlichen
Überblick zu liefern. Der interessierte Leser sei hierzu auf das Werk von Schaub et
al. (2013) verwiesen. An dieser Stelle sollen vielmehr Hinweise für die Gesprächs-
führung vermittelt werden.
Voraussetzung für eine Abmahnung ist immer, dass der Mitarbeitende gegen
arbeitsvertragliche Pflichten – aus dem Leistungs- und/oder dem Vertrauensbereich
– verstoßen hat. Anlässe können im persönlichen Verhalten (private Telefonate
oder E-Mails oder Internetsurfen, wenn dies verboten ist, eigenmächtiges Überzie-
hen des Urlaubs, Beleidigung von Kollegen) oder in der Verletzung arbeitsvertrag-
licher Verpflichtungen (wie Zuspätkommen, wiederholte verspätete Krankmeldun-
gen, Anweisungen nicht beachten) liegen. Bei schwerwiegendem Fehlverhalten
wie sexueller Belästigung und vor allem einer Verletzung des Vertrauensverhält-
nisses, beispielsweise durch Betrug (auch falsche Spesenabrechnung!) oder Dieb-
stahl etc., ist i. d. R. eine der Kündigung vorausgehende Abmahnung nicht nötig.
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Übungsaufgaben
4.1) Was sind die zentralen Ziele bei einem Anerkennungsgespräch?
4.2) Worauf ist bei einem Kritikgespräch zu achten?
4.3) Sollten Anerkennung und Kritik öffentlich oder unter vier Augen stattfinden? Begründen Sie
Ihre Meinung!
4.4) Diskutieren Sie kritisch den Einsatz eines Kranken- bzw. Rückkehrgespräches.
4.5) Erläutern Sie ein mögliches Stufenmodell der Reaktion bei einem Krankenrückkehrgespräch.
4.6) Inwieweit ist der Betriebsrat bei Kranken-/Rückkehrgesprächen zu beteiligen?
4.7) Warum werden Abmahnungen eingesetzt?
4.8) Was ist beim Trennungsgespräch zu beachten?
4.9) Was spricht dafür, auch mit Mitarbeitenden, die von sich aus das Unternehmen verlassen,
noch ein Austrittsgespräch zu führen?
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Meinung zu bleiben). So soll Klarheit erreicht werden, was unter den einzelnen Kriterien tat-
sächlich zu verstehen ist.
1.11) Bei einer 360-Grad- oder Rundumbeurteilung wird der Einzelne nicht nur von der Führungs-
kraft, sondern auch von Kollegen auf derselben Ebene und – soweit vorhanden – von Mitar-
beitenden und von Externen (z. B. Kunden) beurteilt. Für den Einsatz spricht, dass es sich um
ganz verschiedene Rollen handelt, und das Auftreten durchaus jeweils anders sein kann. So
erhält der Einzelne Rückmeldung, wie er auf verschiedene Kooperationspartner wirkt. Er hat
dadurch die Möglichkeit, seinen „blinden Fleck“ zu reduzieren und sein Verhalten zu verbes-
sern.
Lösungen zu Kapitel 2 2.1) Unter Management by Objectives (MbO) ist gemeint, dass der Mitarbeiter nicht kleinlich
kontrolliert, sondern über gemeinsam vereinbarte Ziele gesteuert wird. Der Mitarbeiter weiß
so, was von ihm erwartet und woran er bei der Beurteilung seiner Leistung gemessen wird.
2.2) Zunächst soll in einem Rückblick auf die letzte Periode ein gemeinsames Fazit zwischen Mit-
arbeiter und Führungskraft über die erreichten Leistungen, das Verhalten des Mitarbeiters und
die Zusammenarbeit gefunden werden.
Danach schließt sich eine Stärken-Schwächen-Analyse an, bei der es insbesondere darum geht
herauszufinden, wo die Gründe für Abweichungen – z. B. Nicht-Erreichen von Zielen –
liegen: Ist es vom Mitarbeiter zu verantworten? Oder traten Umstände ein (beispielsweise ein
schlechter Bericht von Stiftung Warentest), auf die der Mitarbeiter keinen Einfluss hatte? Ge-
rade in dieser Phase wird es nicht immer einfach sein, zu einem Konsens zu kommen, wenn
der Mitarbeiter Gründe für sein schlechtes Abschneiden vor allem in äußeren Faktoren sieht.
Allerdings: werden nicht die wahren Ursachen gefunden und benannt, dann können auch die
resultierenden Maßnahmen nicht greifen!
Zum Abschluss geht es um einen Ausblick auf die neue Periode mit konkreten Zielvereinba-
rungen sowie der Vereinbarung von Förder- und Entwicklungsmaßnahmen.
2.3) Es handelt sich zum einen um ein partizipatives Führungsinstrument – Mitarbeiter und Füh-
rungskraft einigen sich auf Prioritäten und die vordringlichsten Aufgaben für das nächste Jahr.
Der Mitarbeiter erhält so Klarheit, er weiß, was von ihm erwartet wird. Zudem ist es ein In-
strument, das gerade bei qualifizierten Mitarbeitenden wichtig ist: bei qualifizierten und/oder
kreativen Arbeiten macht es keinen Sinn, mit Anweisung und Kontrolle zu führen. Der Mitar-
beiter kennt sich in seinem Spezialgebiet besser aus als der Vorgesetzte. Aber seine Tätigkeit
muss über Ziele in die Abteilungsaufgaben eingebunden sein. Zudem dient der Zielerrei-
chungsgrad zur Beurteilung der Leistung.
2.4) In der schnelllebigen Wirtschaftswelt ist es wohl kaum möglich, sinnvolle Ziele mit einem
Zeithorizont von 2 Jahren zu vereinbaren. Das heißt, bei einem Abstand von 2 Jahren kann
das Mitarbeitergespräch nicht mehr als sinnvolles Führungs- und Steuerungsinstrument ge-
nutzt werden. Deshalb ist ein mindestens jährlicher Abstand unverzichtbar.
2.5) Ein Mitarbeitergespräch setzt bei der Führungskraft kommunikative Kompetenz, Offenheit
und die Bereitschaft, sich auf den Mitarbeiter und seine Sicht bzw. Vorstellungen einzulassen,
voraus. Von daher kann diese positive Atmosphäre schwerlich verordnet werden. (Allerdings
sollten Führungskräfte entsprechend vorher geschult werden). Es wird also wohl immer Füh-
rungskräfte geben, die das Gespräch nicht wie vorgesehen durchführen. Die Alternative, das
Gespräch ganz freiwillig zu lassen, erscheint aber auch nicht sinnvoll: ein Vorgesetzter, der
nicht mit einem Mitarbeiter sprechen will, signalisiert diesem, dass er kein Interesse an ihm
hat, nicht an Veränderungen auf Seiten des Mitarbeiters glaubt bzw. schlicht über Arbeitsauf-
träge und Anweisungen führen will. Und ein Mitarbeiter, der nicht mit der Führungskraft
sprechen will? Auch dies ist keine Basis für eine vernünftige Kooperation, in dieser Situation
sind Konfliktlösungsgespräche sowieso dringend gefordert.
Fazit: Das Gespräch sollte verpflichtend sein, selbst dann, wenn man weiß, dass es nicht von
allen Führungskräften optimal geführt wird.
2.6) Realistisch – damit die Mitarbeitenden sich auch bemühen;
Positiv – wirkt motivierender, das Ziel ist klar benannt;
Herausfordernd – um anspornend zu wirken;
Messbar – damit sie später Basis für die Beurteilung sind;
Präzise, konkret – damit der Mitarbeiter wirklich weiß, was von ihm erwartet wird;
Sinnvoll, relevant – um ein geeignetes Steuerungsinstrument zu sein;
Widerspruchsfrei – damit die Prioritäten klar sind.
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2.7) Fachliches Ziel: Erfolgreiches Absolvieren aller vorgesehenen Prüfungen mit einer Durch-
schnittsnote von mindestens 2,3 und Erreichen der notwendigen Credit Points bis zum Ende
des 4. Semesters.
Kooperationsziel: Bildung einer gemeinsamen Prüfungsvorbereitungsgruppe mit drei Kommi-
litonen mit einem wöchentlichen Treffen zum wechselseitigen Stoffabfragen.
Entwicklungsziel: Verbesserung der englischen Sprachkenntnisse durch regelmäßige Teil-
nahme an einer wöchentlichen englischen Kommunikationsrunde mit dem Ziel, dann den
TOEFL-Test bis Ende des nächsten Jahres zu absolvieren.
2.8) Wie der Name schon sagt, sollte es sich um ein Gespräch handeln und nicht allein um die
Beurteilung von oben nach unten. Wenn die Zusammenarbeit zwischen Führungskraft und
Mitarbeiter thematisiert wird, dann ist bereits dieses eine indirekte Rückmeldung. Die Füh-
rungskraft kann aber konkret danach fragen, womit der Mitarbeiter zufrieden ist und was er
sich ggf. anders wünscht. So kann auch die Führungskraft ihren eigenen blinden Fleck redu-
zieren und versuchen, sich auf die Erwartungen der Mitarbeitenden einzustellen.
2.9) Selbstverständlich – auch ein Mitarbeiter auf einem so genannten Mini-Job soll schließlich
wissen, wie seine Leistung eingeschätzt wird. Und auch hier sind Zielvereinbarungen zur
Leistungssteuerung sinnvoll. Zudem kann ein Gespräch mit dem Mitarbeiter die Gelegenheit
geben, seine Sichtweise oder Wünsche zu erfahren. Allerdings wird es sich hierbei meist nicht
um stundenlange, sondern eher kürzere Gespräche handeln. Des Weiteren werden meist keine
Entwicklungsziele zu vereinbaren sein, da die geringfügig beschäftigten Mitarbeitenden übli-
cherweise auf weniger qualifizierten Arbeitsplätzen und für klar umschriebene Aufgaben ein-
gestellt sind.
3.1) Der Sender teilt eine Nachricht mit. Doch neben dem Inhalt der Nachricht, der Sachebene, Lösungen zu Kapitel 3
spielen noch weitere Aspekte eine Rolle: Sagt jemand z. B. „Sollten wir einmal eine Pause
machen?“, so teilt er auch etwas über sich mit, nämlich im konkreten Fall, dass er erschöpft
ist und sich eine Unterberechung wünscht. Gleichzeitig verdeutlicht dieser Satz auch den An-
spruch an den Empfänger, also den Appell, auf den indirekt geäußerten Wunsch zu reagieren.
Und schließlich spielt in jede Äußerung auch die Beziehung zwischen den Beteiligten mit hin-
ein. Reagiert jemand auf die dargestellte Frage nur auf der Sachebene „Nein, ich brauche noch
keine Pause“ – oder gar ausschließlich auf der Beziehungsebene mit „Du bist immer viel zu faul
und hast zu wenig Durchhaltevermögen“, so fühlt sich der Sender schnell missverstanden.
3.2) Auch wer nichts sagt oder auf eine Aussage nicht reagiert, teilt etwas mit – z. B. mangelndes
Interesse oder fehlende Aufmerksamkeit. Auch dieses „Nicht-Verhalten“ wird vom Gegen-
über bewertet.
3.3) Beim aktiven Zuhören konzentriert sich der Zuhörer ganz auf den Sender: durch nonverbales
Verhalten wie Blickkontakt oder Nicken signalisiert er Aufmerksamkeit und Interesse. Durch
Wiederholen und Zusammenfassen des Gesagten können Missverständnisse ausgeschaltet
werden. Erst dann werden weitere Fragen, weiterführende Ideen etc. geäußert.
Der Sender erfährt Aufmerksamkeit und dadurch Wertschätzung. Dies erleichtert es ihm, sich
im Gespräch zu öffnen. Missverständnisse werden reduziert. Und bei Konfliktsituationen ver-
hindert das Wiederholen von Aussagen ein schnelles „Hochschaukeln“.
3.4) Zum einen aktives Zuhören (s. o.). Zum anderen durch non-direktive Gesprächsführung: man
greift Äußerungen des Redners – z. B. durch kurze Wiederholungen – auf, fragt bei einzelnen
Punkten noch einmal nach, setzt offene Fragen ein und vor allem: hält Pausen aus, um dem ande-
ren Zeit zum Nachdenken zu geben und ihn zum Sprechen zu verleiten.
3.5) Man sollte genau zuhören und nachfragen, wenn einem etwas nicht nachvollziehbar ist. Man
kann die Aussage mit Beispielen unterlegen lassen, damit klar wird, was gemeint ist. Also
sich nicht mit schön klingenden Worthülsen („das war super“) abfertigen lassen. Rechtferti-
gungen sollten dagegen nicht sein. Und schließlich sollte man Rückmeldungen auch offensiv
einfordern, da wir sie meist sonst nicht erhalten.
3.6) Diese praktische Übung ist individuell (in Form einer Gruppenarbeit) durchzuführen.
Beim kontrollierten Dialog entsteht ein zeitverzögertes Gespräch, in dem der Ablauf jeweils
durch die zusammenfassenden sinngemäßen Wiederholungen unterbrochen wird. Man zeigt
sich damit gegenseitig das, was man verstanden hat. Dass man im Alltag nicht immer so kon-
trolliert diskutieren kann, versteht sich von selbst. Sie sollten aber in der Lage sein, jederzeit
einen Gesprächsablauf so kontrollieren zu können.
Der kontrollierte Dialog kann immer dann eingesetzt werden, wenn die Gefahr besteht, dass
sich Gesprächspartner nicht richtig verstehen. Er hilft bei sprachlichen, aber auch bei sachli-
chen oder persönlichen Missverständnissen. Das heißt, diese Form des Dialogs ist also nicht
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ständig zu gebrauchen, da sie Zeit kostet und z. T. den Gesprächsfluss behindert. Zudem kann
es sein, dass sich der Gesprächspartner nicht ernst genommen fühlt, wenn Banalitäten, die
leicht verständlich sind, wiederholt werden. Zu Übungszwecken sollten Sie allerdings wäh-
rend des gesamten Gesprächs „kontrolliert diskutieren“.
3.7) Es handelt sich um eine individuelle Reflexionsübung, zu der es keine Musterlösung gibt.
Lösungen zu Kapitel 4 4.1) Der Mitarbeiter soll Feedback erhalten, um zu wissen, was er gut gemacht hat, damit er dieses
Verhalten auch beibehält. Zudem wird der Mitarbeiter durch Lob zur weiteren Leistung moti-
viert und angespornt.
4.2) Auch nach einem Kritikgespräch sollte der Mitarbeiter motiviert und bereit zur Verhaltensän-
derung sein. Deshalb sollte konkret beschrieben werden, mit welchem Verhalten man nicht
zufrieden ist und welche Änderungen man sich wünscht. Es geht nicht um eine Generalab-
rechnung. Verantwortlich ist der direkte Vorgesetzte. Das Kritikgespräch sollte grundsätzlich
unter vier Augen erfolgen. Das zu rügende Verhalten sollte deutlich aber sachlich angespro-
chen werden. Für die Vorbereitung und die Durchführung ist genügend Zeit einzuplanen. Die
Kritik sollte zudem zeitnah erfolgen.
4.3) In der Regel unter vier Augen. Ausnahmen bei Lob: Besondere Herausstellung, soweit alle
die Chance dazu hatten (z. B. Übernahme einer besonders schwierigen Aufgabe, beste Um-
satzzahlen); Lob oder Kritik der gesamten Gruppe; bei Kritik grundsätzlich unter vier Augen,
außer das Fehlverhalten ist für alle offensichtlich (z. B. Missachtung von Schutzvorschriften
auf der Baustelle).
4.4) Pro: Der Mitarbeiter nimmt wahr, dass man ihn vermisst hat; man hat die Chance, (betriebs-
bedingte) Gründe für das Fehlen (z. B. Zugluft, Mobbing) herauszufinden und gegenzusteu-
ern. Insbesondere häufige Fehlzeiten sollten beobachtet werden.
Allerdings: Man sollte Mitarbeiter auch nicht als „Blaumacher“ behandeln. Zudem ist nie-
mand verpflichtet, den Grund seiner Erkrankung zu nennen.
4.5) Begrüßung, Information und kurzes Gespräch nach jeder Erkrankung. Bei Auffälligkeiten
(z. B. häufige oder mehrere Kurzerkrankungen) Gespräch zur Klärung der Ursachen (s. o.).
Die Inhalte sollten zum Abschluss zusammengefasst und schriftlich festgehalten werden, dies
gilt ebenso für notwendige Maßnahmen. Auch dieses Gespräch sollte möglichst positiv been-
det werden. Kommt es zu weiteren Auffälligkeiten, sollten klare Vereinbarungen getroffen
und das Gespräch auf alle Fälle schriftlich festgehalten werden. Eine vorherige Absprache mit
der Personalabteilung ist wichtig. Der Mitarbeiter muss wissen, zu welchen Konsequenzen
weitere Fehlzeiten führen werden.
4.6) Der Betriebsrat hat keinen Anspruch darauf, bei einem solchen Gespräch teilzunehmen. Wird
in einem Unternehmen ein systematisches Rückkehrgespräch geführt (anhand eines festgeleg-
ten Stufenmodells oder mit einem bestimmten Gesprächsleitfaden), so ist der Betriebsrat
diesbezüglich mitbestimmungsberechtigt.
4.7) Abmahnungen sollen dem Mitarbeiter verdeutlichen, dass sein Verhalten die Arbeitspflichten
verletzt und nicht akzeptiert wird. Die Abmahnung hat damit eine Warn- und Hinweisfunkti-
on. Da sie in die Personalakte kommt und i. d. R. Voraussetzung für eine verhaltensbedingte
Kündigung ist, hat sie auch die Funktion der Dokumentation des gerügten Verhaltens.
4.8) Die Entscheidung und die Gründe sollten klar und sachlich dargestellt werden. Der Mitarbei-
ter muss informiert werden über die konkrete Abwicklung (Fristen etc.), Meldung bei der
Bundesagentur. Die Kündigung selbst muss schriftlich erfolgen. Man sollte genug Zeit für das
Gespräch einplanen, mit emotionalen Reaktionen ist zu rechnen. Auch für Führungskräfte
sind Trennungsgespräche belastend – sie sollten deshalb dabei unterstützt werden (durch
Schulung, Beratung etc.).
4.9) Gerade in dieser Situation hat der Mitarbeiter nichts mehr zu befürchten oder zu verlieren
– er wird sich also wohl besonders offen äußern. Dies bietet die Chance zu erfahren, was den
Mitarbeiter motiviert und was ihn demotiviert hat. Dadurch kann bei anderen Mitarbeitern ge-
gengesteuert werden, so dass Demotivationen abgebaut werden.
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