GEORG STEER
unter Mitarbeit von
VVolfgang Klimanek und Freimut Löser
VERLAG W. KOHLHAMMER
MEISTER ECKHARTS
PREDIGTEN
von
GEORG STEER
unter Mitarbeit von
Wolfgang Klimanek und Freimut Löser
VIERTER BAND
TEILBAND IV, 1
VERLAG W. KOHLHAMMER
Alle Rechte vorbehalten
© 2003 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlharnmer Druckerei GmbH + Co.. Stuttgart
Printed in Germany · ISBN 3-17-007593-4
KARL STACKMANN
gewidmet
VORWORT
Es ist das Ziel der Herausgeber und des Verlages, alle erhaltenen lateinischen und deut-
schen Schriften Meister Eckharts in einer Editio critica maior zu vermitteln. Für die deut-
schen Werke hat Josef Quint einen Editionsplan entworfen, dem zufolge die deutschen Pre-
digten in vier Bänden (DW I - IV) und die deutschen Traktate ('Daz buoch der götl'i:chen
trrestunge', 'Von dem edeln menschen', 'Die rede der underscheidunge', 'Von abegescheiden-
heit') in einem Band (DW V) ediert werden sollten. Es war Josef Quint vergönnt, 1963 die
Traktate und 1958 (DW I), 1971 (DW II) und 1976 (DW III) 86 Predigten herauszugeben.
Die Predigten teilte er nach dem Grade ihrer erweisbaren Echtheit in vier Gruppen (,,Abtei-
lungen") ein. In die „erste Abteilung" stellte er 16 Predigten, die als „durch die 'Rechtferti-
gungsschrift' als echt bezeugte Predigten" gewertet werden durften. Acht Predigten (Prr.
17-24), in der „zweiten Abteilung" untergebracht, erachtete er als „durch Übereinstim-
mung mit Predigten des 'Opus sermonum' als echt erwiesene Predigten". Diese 24 Predigten
der ersten beiden Abteilungen gelten für Quint als die sichersten deutschen Predigten Eck-
harts. Sie sind im ersten Band der deutschen Werke Eckharts (DW I) vereint. Die Predigten
der „dritten Abteilung" (Prr. 25-59) haben bereits einen geringeren Echtheitsgrad, denn sie
können nur als „auf Grund der Verbindung durch Rückverweise und beachtliche Textparal-
lelen mit DW 1, DW 5 und den lateinischen Werken als echt erwiesene Predigten" gelten.
Sie füllen den Band II der Gesamtausgabe der deutschen Werke. Die Predigten des dritten
Bandes ( Prr. 60~86) gehören der „vierten Abteilung" an, die nur noch als „durch Rückver-
weise auf Textparallelen in DW 2 und auf Grund beachtlicher Übereinstimmungen mit
DW 1, DW 2, DW 5 und den lateinischen Werken als echt erweisbare Predigten" angesehen
werden können. Eine fünfte Abteilung hat Quint nicht mehr kreiert, so daß zunächst ange-
nommen werden mußte, Quint wolle in der letzten Abteilung alle jene Predigten zusam-
menfassen, die als Dubia gelten müssen, als Predigten also, deren Echtheit mit den Kriterien
der Abteilungen 1-4 nicht zu sichern ist, und Predigten, deren Echtheit prinzipiell bezwei-
felt werden muß.
Als ich im Jahre 1982 von der Eckbart-Kommission der Deutschen Forschungsgemein-
schaft beauftragt wurde, die Fortführung der Ausgabe der deutschen Werke Meister Eckharts
zu übernehmen, bestand bei den Mitgliedern der Kommission die Vorstellung, es könnten
von Quint vielleicht noch nicht alle echten Predigten Eckharts erfaßt worden sein. Aus der
Predigtsammlung 'Paradisus anime intelligentis' hat Quint in die Stuttgarter Ausgabe nur 18
Predigten übernommen. Sind die übrigen 13 Predigten, die in der Oxforder (0) und Ham-
burger Handschrift (H2) ebenfalls Eckhart zugeschrieben werden, unecht 1? Die Stuttgarter
1 Kurt Ruh, Deutsche Predigtbücher des Mittelalters, in: Beiträge zur Geschichte der Predigt, herausgegeben von Hei-
mo Reinitzer, Hamburg 1981, S. 11-30, hier S. 26 f.; Wiederabdruck: Kurt Ruh, Kleine Schriften Bd. II: Scholastik und
VII
Vorwort
Handschrift Brev. 4° 88 (St2) überliefert einen Zyklus von vier Predigten, den sie Meister
Eckhart zuschreibt, und den deswegen Franz Pfeiffer in seine Eckhartausgabe von 1857 als
Predigten I-IV aufgenommen hat. Quint hingegen verhält sich diesen Predigten gegenüber
zwiespältig. Er bietet zwar für die Predigten I, II und IV in seiner Sammlung 'Meister
Eckehart, Deutsche Predigten und Traktate' (1963) eine deutsche Übersetzung, die Predigt
III läßt er sogar beiseite, weil er sie „für der Unechtheit verdächtig (hält)" 2 ; ihre Aufnahme
in die Stuttgarter Ausgabe hat er ihnen, zumindest für die Bände I - III, verwehrt. Auch der
Überlieferung der Melker Eckhart-Handschriften vermag Quint kein Vertrauen entgegen-
zubringen. Franz Pfeiffer hatte immerhin sechs Predigten (Pf. Prr. CV-CX) aus der Hand-
schrift 1865 (Me1) mitgeteilt 3 • Quint kannte die Überlieferung der deutschen Predigten Eck-
harts sehr genau, auch die der Oxforder, Hamburger, Stuttgarter und Melker Handschriften.
Gerade deswegen war er in der Frage der Echtheit besonders kritisch und neigte zu extremer
Vorsicht. Außerdem zwang ihn die Überfülle des zu bearbeitenden Textmaterials zu einem
pragmatischen Vorgehen bei der Herausgabe der deutschen Predigten. Er hielt es für nötig,
zuerst die absolut sicheren Predigten zu edieren. Alle jene Predigten, die wegen ihrer dispa-
raten Überlieferung oder wegen der Schwierigkeit des Nachweises ihrer Echtheit großen
Arbeitsaufwand erfordert hätten, ließ er zunächst beiseite. So sammelte sich im Laufe der
Jahrzehnte ein Restbestand von ca. 50 Predigten an, die Quint zwar einer provisorischen Son-
dierung unterzog4, die er aber nie gründlich auf ihre Echtheit hin untersuchte. Dazu wären,
was Quint durchaus gesehen hatte, umfängliche überlieferungs- und textgeschichtliche Stu-
dien vonnöten gewesen, die er nicht leisten konnte und wollte 5•
Mystik im Spätmittelalter. Hrsg. von Volker Mertens, Berlin-New York 1984, S. 296-317, hier S. 316f.: ,,Von den 31
Meister Eckhart im 'Paradisus' zugesprochenen Predigten hat Josef Quint nur 13 [richtig: 18] in seine kritische Aus-
gabe aufgenommen, die verbleibenden 18 [richtig: 13] muß er als unecht eingestuft haben. Auf der andern Seite schei-
nen die Forscher, die sich näher mit der Sammlung befaßt haben, Sievers, Preger, Strauch, Seppänen, nie an der Echt-
heit aller Predigten des Corpus ernsthaft gezweifelt zu haben. Ein Echtheitsbeweis ist im einzelnen nie geführt
worden"; ders., Geschichte der abendländischen Mystik. Dritter Band: Die Mystik des deutschen Predigerordens und
ihre Grundlegung durch die Hochscholastik, München 1996, S. 223-227: Überlieferungs- und textgeschichtliche
Probleme.
2 Meister Eckehart, Deutsche Predigten und Traktate. Herausgegeben und übersetzt von Josef Quint, München 1963
(Nachdruck: Diogenes Taschenbuch 20642, Zürich 1979), S. 525. Zur Echtheit der Predigten Pf. I- IV siehe Georg
S~eer, Meister Eckharts Predigtzyklus von der ewigen gehurt. Mutmaßungen über die Zeit seiner Entstehung, in: Deut-
sche Mystik im abendländischen Zusammenhang. Neu erschlossene Texte, neue methodische Ansätze, neue theoreti-
sche Konzepte. Kolloquium Kloster Fischingen 1998. Hrsg. von Walter Haug und Wolfram Schneider-Lastin, Tübin-
gen 2000, S. 253-281.
3 Deutsche Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts. Hrsg. von Franz Pfeiffer, Bd. 2: Meister Eckhart, Leipzig 1857 (Neu-
druck: Aalen 1962), S. XI: ,,Zu den frühesten, vielleicht während seines generalvicariats in Böhmen (um 1307) gehal-
tenen predigten rechne ich die unter nro. 105-110 aus der Melker handschrift L. 5. [ = Me 1J mitgetheilten. In den
überschriften wird nämlich Eckhart hier stets meister Eckhart von Paris genannt, eine bezeichnung, welche auf die
zeit hindeutet, wo die erinnerung an seine in Paris zugebrachten studienjahre noch lebendig war. Ich habe sie nur aus
dem grunde ans ende gestellt, weil sie mir, wie alles aus österreichischen handschriften enmommene, stark überar-
beitet scheinen; im äussern, in der sprache sind sie es gewiss, ich glaube aber, dass auch ihre innere gestalt änderun-
gen erlitten hat".
4 Die Überlieferung der Deutschen Predigten Meister Eckeharts. Textkritisch untersucht von Josef Quint, Bonn 1932.
5 Josef Quint, Die Überlieferung (Anm. 4) S. 935f.: ,,Man wird ohne weiteres einsehen, daß diese Untersuchungen ...
eine gewaltige Arbeit erfordern, die vielleicht nur von einem Stab von Forschern im Auftrage einer Akademie bewäl-
VIII
Vorwort
tigt werden kann. Daß diese Arbeit unumgänglich notwendig ist, versteht sich fast von selbst, eine andere Frage ist
allerdings, wieweit ihre nicht vorauszusehenden Ergebnisse wesentlich über die Ergebnisse der bloßen Textverglei-
chung der einzelnen Predigten hinausführen werden".
0 Siehe den Cntertitel von Josef Quints Arbeit „Die Überlieferung der Deutschen Predigten Meister Eckeharts", Bonn
1932: ,,Textkritisch untersucht". Als Ergebnis seiner Untersuchung kann Quint „2300 Textbesserungen" (DW I,
S. XXIII) zu den Pfeifferschen PredigttexLen vermelden.
7 Vgl. Georg Steer, Hugo Ripelin von Straßburg. Zur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte des ,Compendium theologi-
cae veritatis< im deutschen Spätmittelalter (Texte und Textgeschichte 2), Tübingen 1981, S. 33-40; ders., Textge-
schichLliche Edition, in: Überlieferungsgeschichtliche Prosaforschung. Beiträge der Würzburger Forschergruppe zur
Methode und Auswertung. Hrsg. von Kurt Ruh (Texte und Textgeschichte 19), Tübingen 1985, S. 37-52. Den über-
lieferungsgeschichtlichen Ansatz faßt prägnant zusammen Karin Schneider, Paläographie und Handschriftenkunde
für Germanisten. Eine Einführung, Tübingen 1999, S. 5: ,,Die Handschrift rückt mit dieser neuen Betrachtungswei-
se vom blassen Überlieferungsträger eines ursprünglichen Autorentextes auf zu einem ,historischen Objekt< einrnali-
ger Art, das eine bestimmte Ausformung eines Textes durch einen bestimmten Schreiber für ein spezielles Publikum
überliefert. Es wird daher wichtig, den geographischen und zeitlichen Entstehungsraum einer Handschrift genau zu
erfassen, mit Hilfe aller Besitzer-, Leser- und Benutzerspuren das Publikum dieses speziellen Buchs soziologisch aus-
zuwerten, die Textfassung in dieser Handschrift auf ihre Eigenart, ihre Veränderungen und ihre J\1itüberlieferung zu
überprüfen und damit ihre Gebrauchsfunktion zu erkennen". Siehe auch Werner Williams-Krapp, Die überliefe-
rungsgeschichtliche MeLhode. Rückblick und Ausblick, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen
Literatur 25 (2000), 2. Heft, S. 1-21.
8 Georg Steer, Die Schriften Meister Eckharts in den Handschriften des MittelalLers, in: Die Präsenz des Mittelalters in
seinen Handschriften. Ergebnisse der Berliner Tagung in der Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz,
6.-8. April 2000. Hrsg. von Hans-Jochen Schiewer und Karl Stackmann, Tübingen 2002, S. 209-302.
9 Georg Steer, Eckhart der meister, in: Literarische Leben. Rollenentwürfe in der Literatur des Hoch- und Spätmittel-
alters. Festschrift für Volker Mertens zum 65. Geburtstag. Herausgegeben von Matthias Meyer und Hans-Jochen
Schiewer, Tübingen 2002, S. 713-753.
IX
Vorwort
10 Georg Steer, Echtheit und Authentizität der Predigten Meister Eckharts. Schwierigkeiten und Möglichkeiten einer
kritischen Edition, in: Germanistik - Forschungsstand und Perspektiven. Vorträge des Deutschen Germanistentages
1984 herausgegeben von Georg Stötzel, g, Teil: Ältere Deutsche Literatur. Neuere Deutsche Literatur, Berlin-New
York 1985, S. 41-50.
11 Franz Pfeiffer (Anm. 3), S. 16-g4,
12 Paradisus anime intelligentis (Paradis der fornuftigen sele). Aus der Oxforder Handschrift Cod. Laud. Mise. 4 79 nach
E. Sievers' Abschrift herausgegeben von Philipp Strauch (DTM XXX), Berlin 1919; zweite Auflage herausgegeben
und mit einem Nachwort versehen von Niklaus Largier und Gilbert Fournier, Hildesheim 1998, Nr. 46, S. 104-106.
13 Franz Pfeiffer (Anm. 3), S. 354-357.
14 Siehe Freimut Löser, Als ich me gesprochen hfin. Bekannte und bisher unbekannte Predigten.Meister Eckharts im
Lichte eines Handschriftenfundes, in: Zeitschrift für deutsches Altertum 115 ( 1986), S. go5-gg7,
15 Siehe Josef Koch in LW rv, S. XIXf.
X
Vorwort
16 Siehe Kurt Ruh, Meister Eckhart. Theologe, Prediger, Mystiker, 2. Aufl. München 1989, S. 60-71; ders., Paradisus
anime intelligentis (Paradis der fornuftigen sele), in: VL 7 (1989), Sp. 298-303; Burkhard Hasebrink, Studies on
Redaction and Use of the 'Paradisus anime intelligentis', in: De l'homelie au sermon. Histoire de la·predication
medievale, hg. von J. Hamesse und X. Hermand, Louvain-la-Neuve 1993, S. 143-158; Georg Steer, Geistliche Prosa,
in: Die deutsche Literatur im späten Mittelalter, 1250-1370. 2. Teil: Reimpaargedichte, Drama, Prosa, hg. von Inge-
borg Glier, München 1987, S. 306-370, hier S. 329-332; ders., Die Vorlagen der Oxforder Handschrift Cod. Laud.
Mise. 479 und der 'Paradisus' -Sammlung (im Druck); Burkhard Hasebrink, Die Bearbeitung der Eckhartpredigten im
'Paradisus anime intelligentis' (im Druck).
17 Siehe Freimut Löser, Meister Eckhart in Melk. Studien zum Redaktor Lienhart Peuger. Mit einer Edition des Trak-
tats >Von der sel wirdichait vnd aigenschafft< (Texte und Textgeschichte 48), Tübingen 1999; ders., Nachlese. Unbe-
kannte Texte Meister Eckharts in bekannten Handschriften, in: V. Mertens / H.-J. Schiewer (Hgg. ), Die deutsche Pre-
digt im Mittelalter (Internationales Symposium 1989), Tübingen 1992, S. 125-149; ders., Einzelpredigt und
Gesamtwerk. Autor- und Redaktortext bei Meister Eckhart, in: editio 6 (1992), S. 43-63; ders., Pahncke versus Quint.
Zu einem Streitfall der Eckhart-Philologie, in: Zeitschrift für deutsches Altertum 123 (1994), S. 173-200.
18 Siehe Freimut Löser, ,,Der niht enwil und niht enweiz und niht enhat". Drei übersehene Texte Meister Eckharts zur
Armutslehre, in: Contemplata aliis tradere. Studien zum Verhältnis von Literatur und Spiritualität (Festschrift für
Alois M. Raas). Herausgegeben von Claudia Brinker, Urs Herzog, Niklaus Largier und Paul Michel, Bern u.a.1995,
S. 391-439, hier S. 399-412.
19 Meister Eckhart und seine Jünger. Ungedruckte Texte zur Geschichte der deutschen Mystik herausgegeben von Franz
Jostes. Mit einem Wörterverzeichnis von Peter Schmitt und einem Nachwort von Kurt Ruh, Berlin-New York 1972.
Bemerkenswert ist die Äußerung Kurt Ruhs S. 205: ,,Um die Vorlagen näher zu fassen, gälte es den Textbestand in
Redaktion und Reihung mit der gesamten Parallelüberlieferung zu vergleichen. Diese Aufgabe der Textgeschichte
scheint heute, bei weitgehender Erschließung des Materials und fortgeschrittener Ausgabe des Predigtwerks durch
Quint, nicht mehr aussichtslos oder verfrüht zu sein. Der Neudruck möge dazu anregen!".
XI
Vorwort
Aus überlieferungs- und textgeschichtlicher Sicht sind auch die Kölner Anklagelisten
der Denunzianten Hermann von Summo und Wilhelm von Nidecke mit ihren 49 und 59 arti-
culi (Rotulus I und II) nichts anderes als Exzerpte aus Einzelhandschriften und damit den
Dicta-Sammlungen in zahlreichen Handschriften vergleichbar. Zusammen mit dem avigno-
nesischen Gutachten und der Verurteilungsbulle vorn 29. März 1329 bezeugen sie ebenfalls
die literarische Wirkung Eckharts, freilich in einem besonderen Maße, weil Eckhart in sei-
ner 'Verteidigungsschrift' zu diesen articuli nach Aufforderung des kirchlichen Gerichtes
Stellung genommen und sie dadurch als Sätze, die von ihm selbst geschrieben wurden,
bestätigt hat. Er apostrophiert diese Sätze ausdrücklich als „Sätze, die ich gepredigt, gelehrt
und geschrieben habe ... die Wahrheit dessen, was ich gesagt und geschrieben habe" 20 . Im
einzelnen hat Eckhart in seiner 'Verteidigungsschrift' 16 Predigten als von ihm selbst stam-
mend bezeugt. Dieses Zeugnis hinderte jedoch die Forschung nicht anzunehmen, Eckharts
deutsche Predigten seien bis auf die Predigt 'Von dem edeln menschen' alle durch Hörer-
nachschriften entstanden und deshalb auch in ihrer Echtheit unsicher. Rine fatale Annahme,
die Quints Editionsarbeit stark belastet hat 21 • Zur konkurrenzlosen Echtheitssonde konnte die
sog. 'Rechtfertigungsschrift' Eckharts deswegen avancieren, weil in ihr die Herausgeber
Thery und Daniels ein „Aktenstück" aus dem Inquisitionsprozeß Eckharts gesehen haben,
die Echtheit jener Predigten also, ,,aus denen nachgewiesenermaßen Sätze oder Abschnitte
in lateinischer Übersetzung in die Akten des Kölner Inquisitionsprozesses aufgenommen
worden sind" 22 , in höchstem Maße juristisch verbürgt sein mußte. Freilich konnte diese no-
tarielle Echtheit nur jenen Predigten zugesprochen werden, in denen die Denunzianten nach
ihrer Ansicht häretische, häresieverdächtige und anstößige Äußerungen Eckharts entdeck-
ten. Das waren lediglich 16 Predigten von weit über hundert Predigten Eckharts. Hermann
von Sumrno und Wilhelm von Nidecke hatten mit Sicherheit mehr als diese 16 Predigten und
20 Vgl. Responsio Proc. Col. II n. 146, LW V, S. 353,2-5: Postremo notandum quod, licet in quolibet articulorum, quos ego
praedicavi, docui et scripsi, appareat ruditas et brevitas intellectus illorum qui talia vitiare contendunt, appareat etiam
ex declarationibus praemissis veritas dictorum a me et scriptorum; siehe auch Georg Steer, Predigten und Predigt-
sammlungen Meister Eckharts in Handschriften des 11,, Jahrhunderts, in: Volker Honemann/Nigel F. Palmer (Hgg.),
Deutsche Handschriften 1100-1400, Tübingen 1988, S. 399-407, hier S. 406f.; ausführlicher in: Zur Authentizität
c.J_er deutschen Predigten Meister Eckharts, in: Eckardus Theutonicus, homo doctus et sanctus: Nachweise und Berich-
te zum Prozess gegen Meister Eckhart, Hrsg, von Heinrich Stirnimann in Zusammenarbeit mit Ruedi Imbach, Frei-
burg/Schweiz 1992, S. 127-168, hier S, 149 und S.154-165,
21 Quint hat Anfang der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts selbst die These der Hörernachschriften vertreten, sich aber von
ihr im Zuge der Herausgabe der Texte immer mehr distanziert, So schrieb er in Überlieferung, S, 942: ,,Es gilt als aus-
gemacht, daß wir es in den überlieferten Predigten des großen Mystikers lediglich mit Nachschriften seiner Hörer zu
tun haben"; wenig später jedoch S, 943: ,,Es ist indessen die andere Frage, ob ein Prediger vom Range Meister
Eckeharts die Verbreitung und Sammlung seiner Predigten völlig unbekümmert den Nachschreibern überließ, ohne
irgend eine Kontrolle über diese Publizistik auszuüben, [.,, J Man darf es als ausgeschlossen ansehen, daß es sich bei
den meisten der Predigten, die sich geradezu als oratorische l\1eisterstücke in bezug auf ihren architektonischen Auf-
bau erweisen und eine lückenlos zwingende Gedankenentwicklung erkennen lassen, um Stegreifprodukte handelt".
Zu der Hörernachschrift innerhalb der t:"berlieferung der Predigten Eckharls vgl. Paul-Gerhard Völker, Die Überlie-
ferungsformen mittelalterlicher deutscher Predigten, in: Zeitschrift für deutsches Altertum 92 (1963), S, 212-227
und DW IV,1, Pr. 99; DW IV,2, Pr. 106,
22 Josef Quint, DVV I S. XIX.
1
XII
Vorwort
mit Sicherheit nicht alle deutschen Predigten Eckharts eingesehen. Für die Frage nach der
Echtheit der Predigten Eckharts ist an der Suchaktion der beiden Denunzianten besonders
wichtig, daß sie für den Prozeß nur autorisiertes Beweismaterial sammeln durften. Daß sie in
solchem Umfange fündig werden konnten, beweist: Eckhart hat alle seine Predigten, die er
aus der Hand gab, autorisiert. Eine nochmalige und damit zusätzliche Autorisierung durch
ihn erfahren die in den Rotuli indizierten Predigten dadurch, daß er sie bis auf die ver-
fälschten Auszüge aus Predigt 2 als von ihm geschrieben in seiner 'Verteidigungsschrift' aner-
kannte. Zu der „gesichertesten Gruppe" 23 der deutschen Predigten Eckharts werden die arti-
culi-Predigten nicht durch die Autorität des kirchlichen Gerichtes, das Textstücke aus ihnen
im Häresie-Prozeß gegen Eckhart verwendete, sondern einzig durch die Autorität Eckharts
selbst, der durch den Publizierungsmodus seiner Predigten gewährleistete, daß nur er als ihr
Autor gelten darf und niemand sonst. Nur weil sie als Predigten Eckharts kenntlich waren,
konnten sie von den Denunzianten aufgefunden und für ihre Zwecke ausgewertet werden.
Daß es Eckhart selbst ist, der uns die Echtheit seiner deutschen Predigten verbürgt, und nicht
ein vermeintliches „Aktenstück aus dem Prozeß" (,,pieces relatives au proces d'Eckhart")24,
wird umso einleuchtender, wenn man die aufsehenerregende überlieferungsgeschichtliche
Studie Loris Sturleses zur 'Verteidigungsschrift' Eckharts berücksichtigt. Nach dieser ist die
'Responsio' Eckharts keine „amtliche Protokollaufnahme der Geri~htsverhandlung vom
26. September 1326" 25 , sondern eine private Schrift. Ihre Entstehung darf man sich so
erklären, daß Eckhart aufgrund der ihm überreichten Listen seine Einlassungen vorbereite-
te, und diese auf der entscheidenden Gerichtsverhandlung vom 26. September 1326 vorlas
und wortwörtlich protokollieren ließ. Diese Protokolle des Kölner Gerichtes sind nicht erhal-
ten, sie sind verlorengegangen. Erhalten geblieben sind die privaten Aufzeichnungen Eck-
harts in der Abschrift des Soester Codex 33: ,,die Soester Materialien (gewiß über eine Vorla-
ge vermittelt) stammen aus seiner [Eckharts] Zelle. Und dies kann nichts anderes bedeuten,
als daß er selbst nach der Gerichtsverhandlung die Entscheidung traf, sie in die Öffentlich-
keit zu bringen" 26 • Das Zeugnis der 'Verteidigungsschrift' Eckharts läßt annehmen, daß am
Beginn der Überlieferung der deutschen Predigten Eckharts das vom Prediger selbst autori-
sierte Original stand. Eine andere Frage ist es, inwieweit die Kenntlichmachung der Autor-
schaft Eckharts in den Handschriften im Lauf der Texttradierung bewahrt wurde oder aus
welchen Gründen auch illilier beseitigt oder unterdrückt worden ist. Die Konsequenz aus
dieser Sicht der Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte der deutschen Predigten Eck-
harts ist, daß wir zwar verschiedene Arten der Sicherheit bezüglich der Echtheit einer
Predigt unterscheiden können (Selbstbezeugung durch Eckhart, Zuschreibung in den Hand-
schriften an Eckhart, Zuschreibung durch andere Autoren an Eckhart, der Überlieferungs-
zusammenhang einer anonym überlieferten Predigt), die Echtheit einer Predigt selbst jedoch
nicht in Grade eingeteilt werden kann.
XIII
Vorwort
Ein besonderes Kriterium für die Echtheit einer Predigt ist ihr inhaltlicher, stilistischer
und sprachlicher Zusammenhang mit allen übrigen von Eckhart verfaßten Werken. Dieses
Kriterium ist in Einzelfällen so stark, daß es sogar allein die Echtheit einer Predigt verbür-
gen kann. Quint hat es extensiv genutzt. Es braucht nicht näher begründet zu werden, daß
Predigten, die nur mit schwachen Argumenten aus der Überlieferung für Eckhart reklamiert
werden können, in besonderem Maße durch bestehende Übereinstimmungen mit den deut-
schen und den lateinischen Schriften abgesichert werden müssen. Die Anmerkungen zu den
edierten Texten dienen einzig diesem Zweck. Sie wollen nicht die Predigten kommentieren,
weder als ganze noch in Einzelheiten. Sie vermögen allerdings punktuell ihr Verständnis zu
fördern. Auf eine Analyse der stilistischen Besonderheiten der Predigten wurde in DW IV
verzichtet. Quint hielt sie für nötig, weil bei der Annahme der Predigtnachschrift durch
Hörer nachgewiesen werden sollte, daß in diesen Nachschriften wenigstens die Hauptge-
danken und die Stileigenheiten des Predigers Eckhart erhalten geblieben sind.
Bei dem Bemühen, die Echtheit von Predigten Eckharts nachzuweisen, ist es unerläß-
lich, zwischen der Autorschaftsechtheit, der Wortlautechtheit und der Formecht-
heit eines Textes zu unterscheiden. Redaktionell zersetzte Texte mö.gen ohne jeden Zweifel
echt sein, weil sie ursprünglich Eckhart zum Verfasser haben, ihr Wortlaut aber, in dem sie
uns in der Überlieferung begegnen, kann alle Merkmale der Unursprünglichkeit an sich
haben. Ein bereits erwähntes Beispiel dafür ist die Predigt 95 'Os suum aperuit sapientiae',
die wir in einer autornahen Fassung und in einer redigierten Fassung mit dem neuen Titel-
vers 'Beatus homo qui invenit sapientiam' kennen. Quint hatte nur einen Blick für den origi-
nalen Text. Die Ursprünglichkeit seines Wortlautes wollte er aus den Textzeugen gewinnen,
aus einer gewählten Leithandschrift und aus ausgewählten Lesarten. Dabei ließ er sich von
dem editorischen Grundprinzip der divinatio leiten, das er für die neue Eckhartausgabe
bereits 1932 in Überlieferung, S. 950 formulierte: ,,wer sich nicht sehr intensiv in die Mystik
Meister Eckeharts und ihre ungemein schwierigen Gedankengänge eingelesen hat, wer nicht
auf Grund dessen ein divinatorisches Gefühl, einen mehr oder weniger untrüglichen
Instinkt für die echte Eckehartische Diktion besitzt, [wird] mit den hsl. überlieferten Texten
nichts oder nicht viel anzufangen wissen". Dieses sein editorisches Credo bestätigte er
nochmals 1976 in DW III, S. VIIf.: ,,Ich bin denn auch der Überzeugung, daß die Echtheit
der in den vorliegenden Band aufgenommenen Predigttexte gewährleistet ist. Ja, wenn ich es
auch nicht in jedem einzelnen Falle besonders betont habe, so bin ich doch überzeugt, daß in
der großen Mehrzahl aller in die bisher erschienenen Bände aufgenommenen Predigten
auch die Ursprünglichkeit des Wortlautes weithin durch divinationsgeleitete Textkritik
unter weitgehendem Ausschluß freier Konjekturen zurückgewonnen werden konnte". Quint
hat damit keineswegs der subjektiven Textkritik das Wort geredet. Divinatio in Verbindung
mit der herkö=lichen Textkritik konnte er erfolgreich anwenden und verläßliche Texte
erstellen, weil er sich auf die Herausgabe jener Predigten beschränkte, die in ihrer Textge-
stalt die Autorisierung durch Eckhart selbst erkennen ließen, auch wenn die theoretische
Annahme der Hörernachschrift entgegenstand. Erkennbar redigierte Texte, auch wenn sie
durch Zuschreibungen für Eckhart verbürgt waren, wie die Eckhartpredigten der 'Paradi-
sus' -Sammlung, scheute er zu edieren. Das Prinzip der divinatio mußte bei solch prekärer
Überlieferungskonstellation versagen. Es zeigt aber auch bei guter Textüberlieferung wie
XIV
Vorwort
etwa bei der Armutspredigt (Quint 52) seine Grenzen. Ihre Neuedition 27 nach überliefe-
rungsgeschichtlicher Methode hat gezeigt, daß sich aus der Kenntnis des Weges der Text-
weitergabe innerhalb der bekannten 13 Handschriften wie der redaktionellen Veränderun-
gen auf diesem Wege sicherere Kriterien für die Konstituierung des Textes gewinnen lassen
als durch das intuitive Prinzip der divinatio. Die Geschichte der Überlieferung des Satzes
Alhie ist got ein in dem geiste28 läßt erkennen, daß er die frühen Abschreibestufen (X, Y, Z)
alle unverändert passieren konnte und erst auf der späten Stufe Zl, der vierten innerhalb der
aufgedeckten Textgenealogie, von dem unbekannten Schreiber Zl in Alhie ist got einz mit
dem geiste abgewandelt wurde. Von drei Schreibern (Wül, Eb, Gö1) wird diese Neuformu-
lierung des Satzes übernommen. Daß dieser Satz als Neuformulierung erkannt werden konn-
te, verdankt sich der Einsicht in die Tradierungssukzession des Textes, die aus der Kollatio-
nierung der Handschriften29 erschließbar ist. Quint hat sich für seinen kritischen Text der
Lesart der Z1-Handschriften (Wü1, Eb, Gö1) anvertraut, im Glauben, sie entspreche der
Diktion Eckharts. Die überlieferungsgeschichtlich analysierten Handschriften bestätigen
dies nicht. Die Ausgabe der Predigten des vierten Bandes will ganz auf divinatorische Text-
entscheidungen verzichten und den kritischen Text nach jener Textform gestalten, die sich
aus der Analyse der Textgenealogie als die autornächste erschließen läßt. Diese Textform
wird in den allermeisten Fällen von einer Handschrift vertreten, die wegen der Güte und
Ursprungsnähe ihres Textes als Leithandschrift fungiert. Die Lesarten, die im Apparat mit-
geteilt werden, geben Einblick in die Überlieferungskonstellation einer bestimmten Stelle
des Textes. Sie lassen durch die Art ihrer Mitteilung erkennen, wie der Text der Predigt an
dieser Stelle von den Einzelhandschriften und von den sekundären Textformen, die allesamt
erschlossen sind (erkennbar durch die Sigle X, Y, Z verbunden mit einer Zahl), gelesen wur-
de. Sie lassen auch erkennen, wie wahrscheinlich es ist, daß die Lesart des Edierten Textes die
ursprüngliche ist.
Die Mitteilung der überlieferungsgeschichtlich gedeuteten Varianten basiert auf den
Ergebnissen, die die Analyse der Texttradierung - Quint hat sie „Filiation der Handschrif-
ten" genannt - erbracht hat. Sie legt vor allem frei, erstens, welche Handschriften eine
bestimmte Textform repräsentieren und wie diese erschlossenen Textformen überliefe-
rungsgenealogisch zusammenhängen. Optisch werden die aufgedeckten Textabhängigkeiten
in einem Stemma anschaulich gemacht. Dieses kann dazu beitragen, die im Apparat mitge-
teilten Varianten überlieferungsgeschichtlich schnell und, wie ich glaube, auch mühelos
'lesen' zu können. Von den Fragmenten hat Quint „im allgemeinen nur inhaltlich beachtli-
che Lesarten verzeichnet" 30 . Sie verdienen indes die gleiche Beachtung wie die Vollhand-
schriften, denn sie tragen wesentlich dazu bei, hinter die Vorgänge der historischen Textver-
mittlung zu blicken. Ihr Text wird in DW IV, 1 immer vollständig diplomatisch unter der
Rubrik „Handschriftliche Überlieferung" abgedruckt und in die Diagramme der quantitati-
27 Georg Steer in: Lectura Eckhardi I. Predigten Meister Eckharts von Fachgelehrten gelesen und gedeutet, herausge-
geben von Georg Steer und Loris Sturlese, Stuttgart-Berlin-Köln 1998, S.164-181.
28 Vgl. Lectura Eckhardi I (Anm. 27), S. 180,3f.
29 Ein Beispiel einer solchen Kollationspartitur findet sich in DVV IV,1, S. 10-13.
30 DW I, S. XXVI.
XV
Vorwort
XVI
Vorwort
dringendsten, wenn nicht die dringendste Forderung, die alle Eckhartforscher seit Jahrzehn-
ten an die Germanistik gestellt haben, endlich ihre Erfüllung finden. Denn dieser Apparat
setzt jeden Forscher in den Stand, den kritischen Text an der handschriftlichen Überlieferung
genau zu prüfen und sich ein eigenes 1-:-rteil zu bilden " 33 . Durch die überlieferungs- und tcxt-
genealogische Deutung des erhaltenen Textmaterials glaubt die Ausgabe der Predigten des
vierten Bandes dem kritischen Leser anstelle der puren Variantenmitteilung ein nicht weni-
ger geeignetes Instrument zur eigenständigen Urteilsbildung über die historische Situiert-
heit und die Verläßlichkeit der edierten Predigten an die Hand gegeben zu haben.
Die überlieferungsgeschichtlich ausgerichtete Textforschung hat zunächst zu wichtigen
Einsichten in die Überlieferungsvorgänge einzelner Predigten geführt. Diese Einsichten
haben sich von Untersuchung zu Untersuchung verfestigt und allmählich die wahren
Zustände der überlieferten Eckharttexte ins Licht gesetzt: Viele alte Handschriften, vor
allem des 14. Jahrhunderts, sind verlorengegangen. Unter den wenigen, die erhalten geblie-
ben sind, haben wenige einwandfreie Texte. Vor allem aber: früh schon haben sich unter-
schiedliche Textformen der Predigten Eckharts ausgebildet, Textformen, die alle Merkmale
der Redigierung tragen. Rein überliefert sind diese redigierten Texte ebenfalls nur von weni-
gen Handschriften. In einer nicht geringen Zahl von Handschriften zeigen sich diese Texte
weiterhin für Bearbeitungen anfällig. Es sind diese redigierten Texte, die für Quint ein Pro-
blem waren und die für die Eckhartausgabe ein Problem sind: als ihr Autor kann Eckhart
gesichert werden, ihr Wortlaut aber stammt zur Gänze nicht mehr von Eckhart, er ist mit
dem späterer Redaktoren untermischt; das ist so bei den Predigten der 'Paradisus' -Sammlung
und bei den Melker Eckharthandschriften, aber auch bei Predigten anderer Handschriften,
wie etwa der Salzburger (Si) und der Nürnberger (Ni) Handschrift. Soll man sie aus der Eck-
hartausgabe verbannen? Wenn das Kriterium für die Aufnahme einer Predigt in die Stutt-
garter Ausgabe die Autorschaftsechtheit ist, dann dürfen sie nicht ausgeschlossen werden. Im
Band IV werden zu den Ursprungsfassungen immer auch die Sekundärfassungen mitgeteilt,
grundsätzlich in Synopse; bei Predigten, die nicht in ihrer Originalfassung bekannt sind,
wird allein die Sekundärfassung geboten. Sie muß in Stellvertreterfunktion für die Original-
fassung stehen, die später einmal durch einen glücklichen Handschriftenfund, vielleicht,
bekannt werden kann. Am weitesten werden sich die Predigten des Redaktors Lienhart Peu-
ger in den Melker Handschriften Mel und Me2 vom Wortlaut Eckharts entfernen, denn sie
wurden auch durch ihn in ihrer „inneren gestalt" verändert 34 . Doch: trotz eingeschränkter
Authentizität im Wortlaut sind sie echte Predigten Eckharts.
Die Frage nach der Echtheit der deutschen Predigten Eckharts ist nicht bloß im Hin-
blick auf den Autor und den Wortlaut der Predigten zu stellen, sondern auch im Hinblick auf
ihre Form und Gestalt, ihren Aufbau und ihre Struktur. Die Überlieferungsanalysen
haben sehen lassen, daß eine Reihe von Predigten nur noch in Teilen überliefert ist, als Ein-
zelstücke oder als Bestandteile anderer Predigten und Traktate. Vor allem wurden aus Eck-
bart-Predigten Exzerpte gezogen und meist zusammen mit Dicta anderer Autoren zu eige-
33 DW I, S. XXVI.
34 Siehe oben Anm. 3.
XVII
Vorwort
nen Sammlungen oder Komposittexten arrangiert35 . Auch in Werke anderer Autoren sind
Textabschnitte aus echten Predigten inseriert worden. Quint und seine Vorgänger haben vie-
le dieser Stücke verifiziert, doch noch keineswegs alle. Oftmals unbeachtet geblieben ist ihre
Mitüberlieferung. Wie ist editorisch mit diesen Restbeständen zu verfahren? Das von
Priebsch in der Handschrift des British Museum Egerton 2188, 104v (= Lo3) entdeckte
,,Textstück" aus einer sicher echten Predigt Eckharts edierte Quint als Predigt 16a. Dem Bei-
spiel Quints ist auch für die Predigten des Bandes IV zu folgen. Predigttexte, die in ihrer
ursprünglichen Anordnung durcheinandergeraten oder die nur noch in Teilen erhalten sind,
sollten von der Publizierung in der Kritischen Ausgabe nicht ausgeschlossen werden. Sie sind
echte Texte Eckharts, auch wenn ihnen die Authentizität der ursprünglichen Gestalt fehlt.
Ob auch die aus Predigten exzerpierten Textstücke, die von anonymen Redaktoren zu Samm-
lungen und Komposittraktaten neuer Form zusammengestellt wurden, vermischt oftmals
mit Texten anderer Autoren, als Fragmenttexte ediert werden sollten, bleibt zunächst unent-
schieden und muß von den künftigen Ergebnissen der im Gang befindlichen überlieferungs-
geschichtlichen Arbeiten abhängig gemacht werden. Quint jedenfalls hat nach dem Vorbild
Franz Pfeiffers neben der Edition der „Predigten" und „Traktate" auch an eine Edition der
,,Sprüche" in der Stuttgarter Ausgabe gedacht36 .
An dem Zustandekommen des vorliegenden Teilbandes IV,1 haben viele mitgewirkt.
Vorab denke ich an die studentischen und wissenschaftlichen Hilfskräfte, die sich hauptsäch-
lich für Kollationsarbeiten kurz- oder längerfristig haben verpflichten lassen. Unter ihnen
nenne ich stellvertretend für alle Frau Ulrike Bausewein, Frau Jutta Stäblein, Frau
Barbara Küper und Frau Dr. Dagmar Gottschall. Ihnen gilt mein großer Dank. Ein
besonderer Dank gebührt meinen beiden wissenschaftlichen Mitarbeitern Herrn Studienrat
Wolfgang Klimanek und Herrn Dr. Freimut Löser. Beide waren gleichermaßen an
den Arbeiten zur Klärung der Überlieferungsverhältnisse, der Texterstellung und der Kom-
mentierung beteiligt. Freimut Löser hat sich in seiner Dissertation „Meister Eckhart in
Melk" mit dem Gesamtkomplex der Melker Eckhartüberlieferung beschäftigt und wertvol-
le Vorarbeiten für die Edition einer Reihe von Predigten erbracht. Er hat auch nach der Zeit
seiner aktiven Mitarbeit, die bis zum Jahr 1988 reichte, die Eckhartforschung mit großem
persönlichen Engagement durch wissenschaftliche Beiträge zur handschriftlichen Überliefe-
rung der Werke Eckharts gefördert; insbesondere gelang ihm die Entdeckung neuer, bisher
unbekannter oder übersehener echter Predigten Eckharts. Dafür verdient er den Dank der
ganzen Eckhartforschung. Die Hauptleistung bei der Ausarbeitung des Bandes IV,1 ist frei-
lich von Wolfgang Klimanek geko=en, der über 16 Jahre in wechselnden Funktionen für
Kontinuität und Konsequenz bei der Entwicklung der hier vorgelegten Texte gesorgt hat.
Ihm ist es auch zu verdanken, daß ein großer Teil der in den Predigten enthaltenen Auto-
ritätenzitate identifiziert werden konnte. Rat, Hilfe und erfreulicherweise auch Kritik ist mir
35 Siehe Burkhard Hasebrink, Zersetzung? Eine Neubewertung der Eckhartkompilation in Spamers Mosaiktraktaten, in:
Contemplata aliis tradere. Studien zum Verhältnis von Literatur und Spiritualität. Hrsg. von Claudia Brinker, Urs Her-
zog, Niklaus Largier und Paul Michel, Bern u.a. 1995, S.353-369.
36 Josef Quint, DW I, S. XIX.
XVIII
Vorwort
von Prof. Loris Stur lese (Lecce), dem Mitherausgeber der Lateinischen Werke Meister
Eckharts, zuteil geworden. In jahrelanger freundschaftlicher Verbindung mit ihm war es ein
großes Glück für mich, ihn als Philosophiehistoriker und als einen der exzellentesten Kenner
Meister Eckharts an meiner Seite zu haben und mit ihm die Dinge um Eckhart und die Edi-
tion seiner Werke besprechen zu können. Es ist mir ein großes Bedürfnis, ihm dafür freund-
schaftlich zu danken. Auch Herrn Prof. Dr. Ruedi Imbach (Paris) bin ich zu persönli-
chem Dank verpflichtet. Er hat während der Zeit seiner Forschungsprofessur am
Sonderforschungsbereich 226 Würzburg/Eichstätt (,,Wissensorganisierende und wissensver-
mittelnde Literatur im Mittelalter") in Eichstätt viele förderliche Gespräche mit mir geführt
und mir wichtige Anregungen gegeben. Eine besondere Hilfe hat Prof. Dr. Kurt Gärtner
(Trier) der Eckhartausgabe angedeihen lassen. Mit akribischem Engagement hat er als Lin-
guist die edierten Texte des Bandes IV,1 auf sprachliche Korrektheit hin überprüft. Dafür
verdient er nicht nur meinen Dank, sondern auch den aller Leser und Benützer von DW IV.
Als Nachfolger Josef Quints in der Herausgabe der deutschen Werke Meister Eckharts
darf ich auch denjenigen Instanzen meinen Dank abstatten, die durch finanzielle Förderung
und strukturelle Maßnahmen die Arbeit zur Weiterführung der Eckhartedition ermöglicht
und letztlich auch drucktechnisch realisiert haben. Zuallererst ist die Deutsche Forschungs-
gemeinschaft zu nennen, die seit den Anfängen die Edition der Gesamtausgabe der Werke
Meister Eckharts in ihrer Obhut hatte und durch eine eigene Kommission unterstützte. Sie
hat die Weiterführung der Edition seit 1982 fünf Jahre lang großzügig finanziert, dann aber
leider die Förderung eingestellt. Die Katholische Cniversität Eichstätt-Ingolstadt hat in den
Folgejahren durch die kontinuierliche Bereitstellung von außerplanmäßigen Personal- und
Sachmitteln die Editionsarbeit in verläßlicher Weise unterstützt. Mein ausdrücklicher Dank
gilt weiterhin dem Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus, das stets Ver-
ständnis für die Belange meiner wissenschaftlichen Arbeit zeigte und durch die Beurlaubung
von Wolfgang Klimanek vom Schuldienst am Gabrieli-Gymnasium Eichstätt die Fertigstel-
lung dieses Bandes entscheidend gefördert hat. Bereitwillige Hilfe und großes Entgegen-
kommen gegenüber meinen keineswegs immer bescheidenen Anforderungen an die Druck-
legung des \1anuskripts habe ich durch den Verlag Kohlhammer in Stuttgart erfahren. Herr
Jürgen Schneider hat die Edition über die Jahre hin mit hohem Sachverstand betreut, in
nie schwankender Langmut und Geduld, und vor allem in herzlicher Aufgeschlossenheit, die
mich immer mit großer Freude und Dankbarkeit erfüllt. Auch die Damen und Herren in der
Verlagsherstellung und in der Druckerei verdienen ausdrücklich meinen Dank.
XIX
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort VII
Fünfte Abteilung
Durch Untersuchungen der Überlieferungs- und Textgeschichte
und auf Grund inhaltlicher Übereinstimmungen mit den deutschen
und lateinischen Werken als echt erweisbare Predigten
87 Ecce, dies veniunt, dicit dominus ... Disiu wort sprichet Jeremias: 'nemet war, die tage
koment, sprichet der herre, und ich wil erwecken die gerehten wurzeln Davides' . . . . . . . . . 1
88 Post dies octo vocatum est nomen eius Iesus ... An dem ahten tage wart im der name Jesus.
'Den namen Jesus ensprichet nieman, der heilige geist enwürke ez dan' . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
89 Angelus domini apparuit ... 'Der engel offenbarte sich Joseph in dem slafe und sprach ze
im: nim daz kint' etc. Ein meister sprichet, daz diu schrift ist an irm sinne als ein vliezende
wazzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
90 Sedebat Iesus docens in templo ... Daz ewangelium sprichet, daz 'Kristus saz in dem tem-
pel und lerte'. Daz er saz, daz meinet ruowe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
91 Voca operarios, et redde illis mercedem suam ... Ruof den werkliuten und gip in ir Ion. Bi
disem herren, der die werkliute ladet in sirren wingarten, ist bezeichent unser herre . . . . . . 72
92 Cum sero factum esset ... D6 der abent intrat und der tac viel und die jünger gesament wa-
ren, d6 trat got in. Als der tac liplicher vröude vellet und der abent vergenclicher dinge in
die sele tritet 99
93 Quae est ista, quae ascendit quasi aurora . . . Disiu wort starrt geschriben in der minne
buoche: 'wer ist disiu, diu da üfstiget als ein morgenr6t, schrene als der mane, Üzerwelt als
diu sunne?' An disen worten suln wir merken drie wirdicheit unser vrouwen . . . . . . . . . . . . 106
94 Non sunt condignae passiones huius temporis ... Sant Paulus sprichet: 'alle lidunge dirre zit
ensint niht wirdic ze der zuokünftigen ere, diu in uns entdaht sol werden' . . . . . . . . . . . . . . . 138
95 Os suum aperuit sapientiae . . . Ein meister sprichet: 'ein guot vrouwe hat üfgetan irn
munt der wisheit' und 'hat gesmecket und gesehen, wie guot der kouf ist' . . . . . . . . . . . . . . . 150
96 Elisabeth pariet tibi filium ... Elizabet sol gewinnen einen sun und der sol heizen Johannes.
Disiu wort 'sprach der enge!', d6 'er sich offenbarte Zacharias'. Zweierhande wise offenbaret
sich der engel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
97 Qui manet in me ... Kristus sprichet: 'swer da blibet in mir und ich in im, der bringet gr6ze
vruht'. Disiu wort teilent sich in driu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
98 Nisi granum frumenti cadens in terram mortuum fuerit ... Die meister sprechent, daz
diz weizenkorn also gar sterbe, daz ez verliese sin gestaltnisse, sine varwe und sin wesen . . . 230
XXI
Inhalt
99 Laetare sterilis, quae non paris ... Diz wart sprichet: diu 'verlazen ist'. Ez meinet erne
sclc, diu vcrlazen ist und diu verlazen hat alle creaturen, als ich me gesprochen han . . . . . . 246
100 Et quaerebat videre Iesum, quis esset. Sant Lukas schribet uns: 'do unser herre wan-
delte uf ertriche in menschlicher nature, do was ein richer man, der begerte Jesum ze
sehenne 262
101 Dum medium silentium tenerent omnia. Wir began hie in der zit von der ewigen geburt,
die got der vater hat geborn und gebirt ane underlaz in ewicheit, daz diu selbe geburt nu ist
geborn in der z'it in menschlicher nature . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
102 Gbi est, qui natus est rex Iudaeorum? 'Wa ist, der geborn ist der juden künic?' Nu merket
hie von dirre geburt, wa si geschehe. 'vVa ist, der geborn ist?' Ich spriche aber, als ich me
gesprochen han, daz disiu ewige geburt geschihet in der sele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368
103 Cum factus esset Iesus annorum duodecim. Man liset in dem ewangelio: 'do unser herre
zwelf jar alt wart, do giene er mit sinen ehern ze Jerusalem in den tempel ... Also in der
warheit: solt du dise cdele geburt vinden, so muost du alle menige lazen . . . . . . . . . . . . . . . . 426
104 In his, quae patris mei sunt, oportet me esse. 'Ez ist not, daz ich si in den dingen, diu mines
vaters sint'. Diz wart kumet uns gar ebene ze unser rede, die wir ze sprcchenne han von
der ewigen geburt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493
105 Ich han gesprochen in einer predige, daz ich walte leren den menschen, der guotiu
werk hete getan, die wile er in totsünden was, wie diu lebende wider uf mügen stan . . . . . . 611
XXII
Fünfte Abteilung
Handschriftliche Überlieferung:
Brei Bremen, Stadtbibl. Ms. c. 18, 47v_
Textbestand: ( 62-65) Eyn meister sprichet daz dy einvnge der sele mit gote ist edelre danne dy ei-
nvnge ist menschelicher natur mit gotlicher natur Wan dy einunge menschelicher natur mit gotliche
natur dy ist hirumbe daz dy sele mit gote vor eynigit werde och menscheliche natur dy hat etwaz gro-
bis an vrvoreinunge, aber dy sele dy ist ein luter geist vnd got der ist ouch ein luter geist. Amen.
H2 Hamburg, Staats- u. Univ.-Bibl. Cod. theol. 2057, 5v_sv.
Textbestand: vollständig.
K2 Kassel, Landesbibl. u. Murhardsche Bibl. Cod. theol. 94, 298v-30W.
Textbestand: vollständig.
Textabdruck: Philipp Strauch, Par. an. Nr.1, S. 7,16-9,17; Eduard Sievers, Predigten von
Meister Eckart, in: ZfdA 15 (1872), S. 373-439, hier Nr. I, S. 373-376 (nach der Hs. 0 mit Va-
rianten von K2).
K1a Kassel, Landesbibl. u. Murhardsche Bibl. Cod. theol. 11, IIIIrb-vb_ XVIvb_XVIIra_ XVIIvb_
Textbestand: ( 1) Ecce dies ueniunt dicit dominus et suscitabo dauit germen iustum etc. (3) Jeremie
prophete. Nement war die dage komment in den ich vsze deme abpetgrunde miner [IIIIva] craft
gebere den almehtegen sfin der do eyne wisheit ist vnd gereht vnd gerehtekeit wirket efertriche. (4)
N{i sprichet Salomon Ein glit bode von eyme verren lande ist an (Zuchhold: als) ein kfile waszer.
daz ist gnade des heylegen geystes eynre durstigen sele. die da von der sfinden bant verre ist von
dem hymelichschen riche. (6) Wande nach der ahte der sfinden so ist der mensche verre von gode.
Darvmme ist ime daz hymmelriche als ein verrefremede lant. (7) Alse sanctus augustinus sprach
von ime selber do er noch vnberet (Zuchhold: unbekeret) was. daz er sich verre vant von gode in
eyme fremeden lande der vnglicheit. In regione dissimilitudinis. ( 10) Ez ist ein iemerlich ding. daz
der mensche von deme ist ane den er nit gesin mag. der die aller schonesten creaturen die (die
[unterpunktet J der die K1a) got geschaffen hat in dem hymel neme. vz dem gotlichen liehte. vnder
deme sie stent. ( 12) Wande alse nahe als sie vnder deme gotlichen liehte sten. also vil sint sie wonnec-
lich vnd lustlich. ( 13) Vnde were ez godes wille vnd gestedete er daz sie genlimmen worden vz deme
gotlichen liehte vnd gewiset einre selen. sie en mohte keine wollust dar ane haben. dan.ne ir gruwe-
te do vone vnde erschreke. Dar vmme sprach der prophete dauidAdhere[IIII"h]re deo bonum est etc.
Daz obirste glit. daz der mensche gewirken mag daz ist. daz er sich halte zfi gode. vnd in gotdis wil-
len blibe. ane den er kein gfit mag gedlin. vnd auch nit sin (Zuchhold: sin nit) en mag. (16) So ist
noch iemerlicher daz der mensche ist von deme ane den er kein wesen gehaben mag daz ist got. daz
obirste gfit. daz da wesen gibet von deme sprichet plato in thymeo: Deus est summum bonum ultra
omnem substantiam. omnem naturam quem cuncta expetunt cum ipse sit plene peifectionis et nul-
lius societatis indignus (Zuchhold: indigens). Er sprichet got ist daz obirste gfit daz da ist Sber alles
wesen. vnde vberalle nature die (Zuchhold: den) alle ding begerintvnde er niemannes bedaif. (18)
So ist ez aller iemerlichste daz der mensche ist ane den. der sine ewege selekeit ist. (39)
[XVI"h] wande do der mensche vszer dem paradyse gestoszen wart da satzete got da vor drierleye
hfide. Die eyne was engelsche nature. Die andere was ein swert daz da zfl beden siten sneit. Die drit-
te was. daz daz swertfilreg was. (41) Engelsehe nature bezeichent luterkeit godes. wande da der
1
Predigt 87
ware gotdes sßn ihesus Christus quam efdaz ertriche. der ein luter spiegel ist ane flecken. Da brah-
te (Zuchhold: brach) er die erste hllde lf vnde brahte .ßnschfilt vnd luterkeit in mensliche nature. ef
daz ertriche. (45) dazf/1rege swert bezeichent die gotlichef/1rege minne. ane die der mensche nit
mag zfl hymmel kommen die brahte der gotdes sfln mit ime vnd [XVIIra]brach die dritte hllde vf
wande er hatde mit der selben minnen den menschen lieb e dan er geboren wart vnde Jeremias:
Caritate perpetua dilexi te etc. (49) Die andere hfide was d= snidende swert daz was mensliche
iamerkeit die nam vnser herre vfsich an deme hohesten. Darvmme sprichet Ysaias: Vere languores
nostros ipse tulit etc. Er sprichet got der hat durch .ßns werlichen geliden. vnd hat vnser sßnde vor
dileget. vnd hat mit sime menslicheme lidene .ßnser ewegez liden abe genomen. Dar vmme so ist nfl
der hymmel lf.fen ane allerleye hfide. daz der mensche kßntlichen mag gen zfl gotde. mit gotlicher
minnen. (55) [XVIIvb] Wir lesen in dem ewangelio. daz der engel rflne in einre stßnde daz waszer.
do von gewan ez so grosze craft. daz ez die lllde gesflnt mahte. von allerleye sfichte. vnde daz waz
ein grosz ding. vil groszer ist daz gotdes sfln rflrte mensliche nature in Snservrauwen libe. da von ist
alle menslich nature seleg worde. (59) Noch groszer selekeyt ist d=. daz got mit sime libe rflrte daz
waszer in deme Jordane. da er geteujet wart da mide hat er craft gegeben allen waszeren. also der
(Zuchhold: also [d=J der) getaufte mensche gereineget wirt von allen sfinden. (62) Aber noch
groszer selekeit ist d=. daz got den sßndere efertriche alle zit rflret mit sinre gotlichen gnaden vnd
manet en zfl beszerflnge (Zuchhold: bekerunge) sinre sunden. vnd vorbaz me die sunde lasze vnd
daz gllde dfi. daz er deylhefteg werde des hymmelchen (Zuchhold: hymmelschen) riches daz ist die
obirste selekeit.
Abdruck der beiden Textstücke: Hans Zuchhold, Des Nikolaus von Landau Sermone als Quelle
für die Predigt Meister Eckharts und seines Kreises (Hermaea II), Halle/Saale 1905, Nr.19,
S.84,37-85,29; Nr.21, S.94,8-14. 20-24. 15-19. 24-25; Nr.21, S.96,26-97,4.
Lo4 London, Victoria and Albert Museum Cod. L 1810-1955, 134ro-135rb
Textbestand: vollständig.
Me2 Melk, Bibl. d. Benediktinerstifts Cod. 705 (olim 371/G 33), 314rb_315ra.
Textbestand: (3) Dar vmb spricht got durch den weissagen Jeremiam Nembt war dy tag sind chö-
men das ich den sam Dauits wil erwekchen vnd dyJrucht sol weis sein vnd sol vrtail vinden vnd awff
erden grechtichait machen. (4) Der Salomon spricht der guet pot von eim verren lannt ist als ein
chalts wazzer eim durstigen menschen. pey dem verren lannt ist ein yeder sünter pedewt der gar
verr vom himel ist zw dem sein guete potschaffi tagleich chömen solt stater rew vnd andacht gueter
werch (7) Vnd also spricht auch sandAugenstin von im selber da er noch nicht pechert was da vand
er sich vongot in eim verren lannt dervngleichait (10) Darvmb ist es ein parmchleich ding. so ein
mensch an das guet ist an das er got nicht gevallen mag. ( 12) Wann als verr als alle ding vnter dem
götleichen liecht stenn als vil sind sy lustig vnd gevelchleich wann so ettwer wider einn andern tuet
so nymbt er einn gueten frewnt zw im der im das hilf.ft verrichten. So aber ein mensch wider got tuet
der so vnmesleich hach ist das man chainn menschen vinden mag der es pessern müg. Wann nach
des herren wirdichait wider den man tuet mues dy pessrung sein. (19) Dar vmb ist das ein guete
potschajft gwesen da [314va] von ieremias spricht Nembt war dy tag sind chömen das Christus wil
mensch wern von dem geslacht Dauits. Wann es ist mügleicher das himel vnd erden vergenn dan dy
wart gots. (20) Wann da dy alten vater das ellend erchannten dar inn sy warn da schriern sy mit
grazzer pegier zw got das er cham vnd sy erlöst (24) Dar vmb was dy guet potschaffi als ein chalts
wazzer einer dürsting sel dy grazze pegier nach got hat (29) Dar vmb spricht sand pauls. der sun
gots istvns geben zw eim vorsprechen der des vaters weisheit ist. (31) Er ist vns auch geben zw eim
vorvechter des sigs in allen vnsern nöten. Dar vmb sol sich der mensch legen in dy wunten vnsers
herren ihesu Christi vnd enphelich sich seiner marter das er in oppher seim himlischen vater wann
in dem mag er den sünter nicht aws slahen an den sun. (35) Vnd mag auch nicht wider in tzürnen
seit er den selben gwalt vnd weishait hat den der vater hat Wann der sun hat vns so tewer mit seim
pittern tod erarnt vnd chawffi mit seim heiligen pluet das in der vater vmb vns nicht vertzeihen mag.
2
Handschriftliche Überlieferung
(36) Vnd vmb das mag der sünter altzeit sicher zw got lawjfen vnd mag mit rew in seim sun pitten
vergebung seiner schuld. Aber wer das versmlicht ze tuen, der get gein hell Wann der tod ihesu
Christi chümbt nyemt zw staten an guete fleissige vnd vermügunde werch. (39) Wann da der
mensch am anvang [314vb] aws dem paradeis verstözzen ward da setzt got einn engel da für mit eim
Jewreinn tzwisneidunden swert zw einer huet. ( 41) Pey des engels huet sol man versten dy lawtri-
chait vnd rainchait dy der mensch nicht het. Vnd da der sun gots awjferden cham der ein spiegel an
mail ist vnd ein pild des himlischen vaters an dem man den willen gots gantz erchennen mag der
zw stört dy erst huet vnd prackt vns vnschuld awferden in menschleicher natur. (45) Pey demJewri-
gen swert sol man versten dyfewrig lieb gots an dy chain mensch zwm himel chömen mag. (49) Vnd
pey dem tzwisneidunden swert sol man versten vnser armuet dar in wir gevallen warn. Dy selb
vnser armuet mit vnsern sünten nam der herr Christus awjfsich (52) vnd vertiligt dy vnd pehielt
vns. Vnd mit dem ward das reich der himel awjftan also das ein yeder mensch mit rew vnd puezz
da hin chömen mag. (55) Wann seit das wazzer so chreftig ward das der engel zw gesatzter tzeit
rüert welker mensch der erst dar in cham das er von seiner chrankchait gesunt wart. So ist vns vil
grösserr gesunt chömen da vns der sun gots perüert hat mit dem an sich nemen menschleicher natur
aws dem rainn leichnam marie der iunchfrawn durch das menschle ich natur ist hail vnd salig warn.
( 59) Nach grözzer salig ist das [315ra] ihesus Christus vnser herr mit seiner aigen natur hat perüert
das wazzer im iordan da er tawjft wart da mit er allen wazzern hat chrajft geben wer dar inn tawjft
wirt nach rechter arnung der wirt erledigt von den anparn sünten. (62) Vnd dy aller grözzt sälich-
ait ist so got geef.fent vnd in der sel parn wirt an einer geistleichen ainung. Wann da von wirt dy sel
saliger dann der leichnam Christi. (64) Wann ein salige sel ist edler dann sein tödleicher leichnam
(66) Vnd dar vmb ist dy inwendig purd gots an der sel ein volpringen aller irr salichait. Vnd dy
salichaitJrumbt ir mer dan das Christus mensch wart vnd das wazzer in der tawjfan rüert. Wann
dy ding möchten der sel nichtjrumen an dy verainung gots.
Me3a Melk, Bibl. d. Benediktinerstifts Cod. 1569 (olim 615/L 27), 9r.
Textbestand: (62) Dy lerer sprechen das der sel sälichait an dem grösser sey so got in ir sich selber
pert an leipleiche ainung dann der leichnam Christi an sein gothait vnd an sein sel (64) Wann ein
yede salige sel ist edler dann der tödleich leichnam Christi. (66) Wann dy inwendig gepurd gots in
der sel ist ein volpringung aller irer salichait. Wann dy salichaitfrumbt ir mer dann das Christus
mensch ward Vnd das hiet der sel nicht mügen nutz sein an dy verainung gots. Das Textstück wur-
de von Leonhard Pewger dem Traktat III Von der sele werdikeit und eigenschaft' (Pf. II,
S. 396,39-397,4) eingefügt.
Me3b Melk, Bibl. d. Benediktinerstifts Cod. 1569 (olim 615/L 27), 171 v_172r.
Textbestand: (59) Auch ist das ein grasse salichait das der herr ihesus Christus mit seiner aigen
natur das wazzer im iordan perüert hat da er tawjft wart da mit er allen wassern hat chrajft geben.
Wer dar inn tawjft wirt nach rechter arnung der wirt erledigt von den anparn sünten. ( 62) Aber das
aller grösst ist so sich got offenbart vnd in der sel parn wirt in geistleicher ainung. Wann da von wirt
dy sel saliger dann der leichnam Christi. Wann ein salige sel ist edler dan sein tödleicher leichnam.
(66) Vnd dar vmb ist dy inwendig purd gots an der sel ein volpringung aller irer salichait. Vnd dy
salichaitJrumt ir mer [ 172rJ dann das Christus mensch wart vnd das wasser in der tawjfanrüert.
Wann dy ding möchten der sel nichtsJrumen an dy ainung gots.
Me8 Melk, Bibl. d. Benediktinerstifts Cod. 856, 179r_ 18W.
Textbestand: (59) Vnddas istaucheingrasse salichaitdas derherrihesus Christus mit seineraigen
natur das wasser im iordan perüert hat da er tawjft wart da mit er allen wassern hat chrajft geben.
Wer dar inn tawjft wirt nach rechter arnung der wirt erledigt von den anparn sünten. (62) Aber das
aller grözzt ist so sich got ef.fenbart vnd in der sel parn wirt in geistleicher ainung. Wann da von wirt
dy sel saliger dann der leichnam Christi. Wann ein salige sel ist edler dann sein tödleicher leich-
nam (66) Vnd dar vmb ist dy inwendig purd gots an der sel ein volpringen aller irer salicheit. Vnd
3
Predigt 87
dy salichaitfrumbt ir mer dann das Christus mensch wart vnd das wazzer in der tawffan rüert.
Wann dy ding möchten der sel nichtsJrumen an die ainung gots.
0 Oxford, Bodleian Library Cod. Laud. Mise. 479, 5r_5v_
Textbestand: vollständig.
Textabdruck: Philipp Strauch, Paradisus anime intelligentis (Paradis der fornuftigen sele). Aus
der Oxforder Handschrift Cod. Laud. Mise. 479 nach E. Sievers' Abschrift (DTM 30), Berlin
1919, Nr.1, S. 7,16-9,17; Eduard Sievers, Predigten von Meister Eckart, in: ZfdA 15 (1872),
S. 373-439, hier Nr.I, S. 373-376.
St6 Stuttgart, Württembergische Landesbibl. Cod. theol. et philos. 4° 88, 5r_5v_
Textbestand: [5r] ... vnd sprach niement war. die tag komment in den ich vsser dem ab grunt
miner kraffi geber den almechtigen sun der da die war wiszheit ist vnd ist gerecht vnd wurcket
gerechtikait 1?lferdrich. (4) Nun spricht SalomonAin gllter bot von ainem verren lant ist by dem k1I
Zen wasser. das ist die gnad des hailigen gaistes ainer durstigen sel. die da von der sund wegen verre
ist von dem hymelschlichen rich. ( 6) wann nach der acht der sunden so ist der mensch verre von gott
in ainemfremden land darvmb istjm das hymmelrich als ainfremdesverres land (7) Als sanctus
Augustinus sprach von jm selber do er noch vnberayt was do vand er sich verre von gott in aynem
fremden lant der vngelicheit. (10) Es ist ain jamerlich ding das der mensch von dem ist an den er
nit gesin mag. der die aller schonste creatur die gott geschef.fen [5"] haut in dem hymel nem vsz dem
liecht vnder dem sie stend wann ye necher sie stend vnder dem gotlichen liecht so vil synt sie
wunniglicher vnd lustiger. (13) Wer es denn gottes wille vnd verhengt es den daz sie genommen
wurden vsz dem gotlichen liecht vnd gewiset ainer sel. sie enmocht kainen wollust dar an gehaben
denn ir grawet da von vnd erscreck. Darvmb sprach der prophet dauid Das obrost gilt das der
mensch gewurken mag das das er sich halt zu gott vnd in gottes willen belibe on den er kain gilt
mag getun vnd auch on jn nit mag gesin. (16) So ist es noch iamerlicher das der mensch ist von
dem on den er kain weszen gehaben mag das ist gott das obrost gutt das da wesen git. Von dem
spricht plato in thymeo. got ist das obrost gut das da ist uber alles wesen vnd uber alle natur die alle
ding begerend vnd er beda,ffniemans. ( 18) So ist das noch das aller jamerlichost das der mensch ist
on den der sin ewige sdlikait zu dem der mensch wol vnd gar lichtenglichen kommen mag mit guten
werken.
Filiation der Handschriften: Den Text der Predigt 'Ecce dies veniunt' überliefern fünf
Handschriften (H2, K2, Lo4, Me2 und 0) aufs Ganze gesehen vollständig oder annähernd
vollständig (Me2). Fünf weitere Handschriften (Bre1, K1a, Me3a, Me3b, Me8, St6) sind
mittelbare Textzeugen von Komposit-Texten, die Stücke aus der Predigt 'Ecce dies veniunt'
entweder unverändert oder in redigierter Gestalt entlehnt haben. Nikolaus von Landau, der
Zisterziensermönch von Otterberg, hat 1341 in zwei Predigten seiner 'Sermones novi' drei
Textstücke der Predigt 87 übernommen; in 'Sermo primus: de adventu domini. Novum
faciet dominus' (Zuchhold Nr.19, S. 80-88; Schneyer, Repertorium IV, Nr. 2 Tl, S. 332) die
Absätze DW IV, Pr.87, Z.39-53 = Zuchhold S.94,8-25 und DW IV, Pr.87, Z.1-18 =
Zuchhold S.84,37-85,29 und in der Predigt 'Dominica II de adventu. Quecunque scripta
surrt ad nostram doctrinam scripta sunt'(Zuchhold Nr. 21, S.93-97; Schneyer, Repertorium
IV, Nr. 6 T2, S. 332) den Absatz DW IV, Pr. 87, Z. 55-65 = Zuchhold S. 96,26-97,4. Überlie-
fert ist das Predigtwerk des Nikolaus von Landau in K1a und Kib sowie in St6. Die drei
Abschnitte (DW IV, Pr.87, Z.39-53 = Zuchhold S.94,8-25; DW IV, Pr.87, Z.1-18 =
Zuchhold S. 84,37-85,29; DW IV, Pr. 87, Z. 55-65 = Zuchhold S.96,26-97,4) stehen in der
Handschrift K1a fol. IIIFb-IIIIvb, XVIvb_xvnra, XVIIvb_ Die Handschrift St6 bewahrt fol.
4
Filiation der Handschriften
5r-v nur ein Textstück, den Beginn der Predigt: DW IV, Pr. 87, Z.1-18 = Zuchhold S. 84,
37-85,29. In die Predigtkompilation 'Von sechs nutzen dingen dy vns der herr Ihesus
Christus verdient hat', erhalten in den Handschriften Me3b und Me8, ist nur das kurze Text-
stück DW IV, Pr. 87, Z. 62-69 übernommen worden. Die Traktatkompilation 'Von der sele
werdekeit und eigenschaft' der Handschrift Me3a (Traktat III, Pf. II, S. 394,6-416,3) kennt
nur den kurzen Abschnitt DW IV, Pr.87, Z.62-69. Schließlich ist auch noch das gleiche
Stück DW IV, Pr. 87, Z. 62-65 in die Dicta-Reihe 'Wan ir sult wißen, daß vil stvke ist, dy
eynem cristen menschen billich wißen sal vnd kvnne' der Handschrift Bre 1 eingegangen.
Die disparate Textüberlieferung spiegelt sich im Textbestand der Predigt, den die ein-
zelnen Textzeugen bewahren. Es fehlt folgender Text in
Brei: 1 Ecce dies ... 61 kint gotes; 66 Diu inwendige ... 72 Amen.
K1a: 19 Dar umbe ... 38 gote gan; 51 Dar umbe ... 52 genomen hat; 54 Ein wort ... 55 oder die vruht;
66 Diu inwendige ... 72 Amen.
Me2 11 Nr:eme ... 12 under stant; 13 und wr:ere ... 18 sr:elicheit ist; 21 in den himel ... 23 werden; 24
Wan daz ist ... 29 herren got; 30 der sol wtslfche ... 31 sprichet auch; 32 Wir suln ... 34 f. vor-
vehtr:ere; 36 Er enmac ... kraft ist; 43 uf daz ertrtche ... 44 vlecken; 46 Die brahte ... 48 geminnet;
50 an dem hcehsten ... 52 genomen hat; 54 Ein wart ... 55 die vruht; 68f. das enhülje ...
72Amen.
Me3a: 1 Ecce dies ... 61 kint gotes; 66 Diu inwendige ... 72 Amen.
Me3b: 1 Ecce dies ... 58 sr:elic worden; 70 da got geborn ... 72 Amen.
Me8: 1 Ecce dies ... 58 sr:elic worden; 70 da got geborn ... 72 Amen.
St6: 19Darumbe ... 72.Amen.
Das nachstehende Diagramm zeigt den Umfang des erhaltenen Textes in den einzelnen
Handschriften:
0 2 3 4 5 ~ 7
0
72
H2
72
Lo4 72
K2
72
K1a 18 39 65
St6 3 18
Me3b 59 69
Me8 69
59
Me3a
er-79
Bre1
5
Predigt 87
Die zehn Textzeugen der Predigt 87 zeigen sehr auffällige Differenzen: Sie weichen in
der Länge des Predigttextes stark voneinander ab, und sie geben die Predigt selbst in stark
voneinander abweichenden Ausformungen. Das verwandtschaftliche Verhältnis der Text-
zeugen wie der Textformen veranschaulicht das nachstehende Stemma:
XV
x•
/ · ~•v
X!~l ~t Me2 . / 1
/\ 1 1 ···'//~
• • • Me3b • • • •
9 H2 St6 . 1 Lo4 Me3a K2
•
Me8
Es ist leicht zu erkennen, daß sich die zehn Handschriften zwei verschiedenen Textfor-
men zuordnen. Die Handschriften 0, H2, K1a und St6 haben gemeinsame Lesarten, die sie
an eine Textform X binden; die übrigen Handschriften zeichnen sich durch Eigenheiten
des Textes aus, die sie zu der Textform Y zusammenschließen.
X-Lesarten, die von allen vier X-Handschriften 0, H2, K1a und St6 bezeugt werden, sind
selten, da St6 bereits Z. 18 abbricht:
J di dage kumint 0, H2, Kia, St6 (= X) / dy tage sint kamen Lo4, K2, Me2 (= Y)
10 on den her niht selic (selic fehlt Kia, St6) gesin inmac 0, H2, Kia, St6 / an den er nicht behegelich
mag gesin (sin K2) Lo4, K2; an das er got nicht gevallen mag Me2.
Ein Vergleich der Handschriften O und H2 einerseits mit den Handschriften Lo4, K2
und gelegentlich auch mit Me2 über die Länge der ganzen Predigt hin läßt die Unterschie-
de zwischen X und Y sehr deutlich zutage treten. Vor allem ist die Y-Fassung der Predigt län-
ger als die der X-Fassung. Die Zusätze erscheinen als Ergänzungen oder als Verdeutlichun-
gen des X-Textes. Die auffälligsten Zusätze von Y sind:
18 nach ewige sodicheit ist: Vnnd so krang ist (ich K2) worden (worde K2) das er von siner (aller siner
K2) eygen craft nummer (nicht K2) wedir czü gote kamen mag Vnd oüch nicht weis (enweisz K2) wy
(wo K2) er wider czü öm kamen sal daz clait (claget K2) er dauid vnd spricht Jch ben verre von gote
wan ich in den sünden geborn ben vnd ben so krang worden das ich von myner craft nicht (von ...
nicht/ nicht von miner kraffi K2) wider czü gote kamen mag (kamen mag /kan kommen K2) vnd
habe dy oügen vorlorn das ich nicht weis ( enweysz K2) wo ich wedir czü öm kamen mag. Ein gut man
der spricht ( der spricht/ sprach K2) in hern ( hern K2, er Lo4) Jacobs (Johans K2) buch Bricht (spri-
chet K2) ein mensche wider den andern da (da god K2) mag er eyn menschen (eyn menschen / ey-
nen K2) czü vinden der öm das heljfe (hiljfet K2) bessern. Bricht aber der mensche wider den (den/
god K2) der ist so hö (hoch K2) vnd so vn messig (vnmeszlich K2) das man kein menschen (keynen
menschen K2) darczü vinden (binden K2) kan der das gebessern moge wan noch (nach K2) der wer-
dikeit (edelkeit K2) des hern an dem man (me K2) missetüt (messehelt K2) so (dasz K2) müs sin dy
besserunge Y (wann so ettwer wider einn andern tuet so n:Jmbt er einn guetenfrewnt zw im der im
das hiljft verrichten. So aber ein mensch wider got tuet, der so vnmesleich hach ist das man chainen
6
Filiation der Handschriften
menschen vinden mag der es pessern müg. wann nach des herren wirdichait wider den man tuet mues
dy pessrung sein Me2)
20 nach Davides: Daz ist dasz (Daz ist dasz K2 / das es Lo4) got selbir gesprochen hat das ist ein groz
ding mogelicher ist, das daz (das daz Lo4 / dasz sich die K2) hymel vnd erde sich wandele dan dy
wart vnsers hern gewandelt werden (mogen werden Lo4) Y (wann es ist mügleicher das himel vnd
erden vergenn dan dy wart gots Me2)
.23 nach werden: in (in fehlt K2) menschlicher natur der vns losen solde von aller (alle K2) vnser iamer-
keit (jemerlichkeit K2) Y (das er cham vnd sy erlöst Me2)
32 vor enphahen oder niht: Er sal (sal fehlt K2) vor sich vnd vor wen er beten (bidden K2) wel mit allen
sin (sinen K2) sünden vnd gebrechen legen in dy wunden vnsers hern ihesu Christi vnd sal sich vnwir-
dig dünken vnd sal sich beveln der wirdigen martir vnsers hern ihesu Christi vnd sal sich opphern
(opphern K2, oppher Lo4) deme hymlische (hummelschen K2) vatervnd (vnd K2, an Lo4) sine hey-
lige sune (syme heiligen son K2) Y (Dar vmb sol sich der mensch legen in dy wunten vnsers herren
ihesu Christi vnd enphelich sich seiner marter das er in oppher seim himlischen vater, wann in dem
mag er den sünter nicht aws slahen an den sun Me2)
42 nach vlecken: vnd ein antlitcze vnd ein bilde des hymmilischen vaters an dem man genczlich gotes
willen bekennen mag Y ( vnd ein pild des himlischen vaters an dem man den willen gots gantz erchen-
nen mag Me2).
Y ist eine bearbeitende, durch erklärende Zusätze vermehrte Fassung des X-Textes. Wie die
folgende so sind viele Textstellen in Y im Vergleich zu X verändert:
32 Wir sullin beiden der himmillische vadir musz vnse (vnser H2) gebeit (gebet H2) inphain odir nicht
X (0) / antwedir der hymmelische vater der müsz sy beide enphan adir nicht Y (Lo4).
Die Textform von X ist freilich keineswegs in sich gesichert. Insbesondere überliefern die
Handschriften O und H2 einen unzuverlässigen Text. Josef Quint hat in den Predigten DW
I Nr.7 (S.116-124), Nr.9 (S.138-158), Nr.19 (S.308-321), Nr.20b (S.340-352), DW II,
Nr.32 (S.126-147), Nr.33 (S.148-155), Nr.37 (S.205-223), Nr.38 (S.224-245), Nr.43
(S.310-330), Nr.56 (S.586-590), Nr.57 (S.591-606), DW III, Nr.60 (S.3-29), Nr.70
(S.181-203), Nr. 72 (S. 232-254), Nr. 82 (S.417-433), Nr. 84 (S. 450-465), Nr. 85
(S. 466-471) an vielen Hunderten von Textstellen nachgewiesen, daß „H2 und O viele Ver-
derbnisse, insbesondere Lücken (auf)weisen" (DW I, S.116) und „insbesondere Kürzungen
vorgenommen (haben), durch die z.B. Subjektivismen getilgt und Einführung von Zitaten
und Zitate selbst auf den knappsten Wortlaut reduziert wurden" (DW I, S. 341). Da keine
der beiden Handschriften wegen ihrer individuellen Fehler und der zahlreichen Homoiote-
leuta-Lücken voneinander abgeschrieben sein kann, vermochte Quint leicht nachzuweisen,
daß H2 und 0, die beide die Predigtsammlung 'Paradisus anime intelligentis'von insgesamt
64 Predigten überliefern, ,,auf dieselbe Quelle zurück(gehen)" (DW I, S.116). Ich benenne
die Vorlage von H2 und O mit der Sigle X1.
In der vorliegenden Predigt 87 fallen an Eigenheiten von X 1 auf:
5 ein fehlt X1; 8 unbekeret / vnbekart Xi; 10 der/ ein Xi; 14 si / so Xi; 16 der/ ein Xi; 22 ge-
zogen/ gegozzin X1; 24 ein fehlt X1; 29 der [2] / di X1; 47 Et in/ vn id X 1.
7
Predigt 87
Das Verhältnis von Xi (0, H2) zum Text der 'Sermones novi' des Nikolaus von Landau
(Kia, Kib, St6) hat Quint nicht mit letzter Eindeutigkeit zu klären versucht. Er erkannte,
daß sich „NvL (= Nikolaus von Landau) in bekannt enger Bindung" zu den Handschriften
0 und H2 „gesellt" und daß sich OH2 + NvL von anderen Handschriften „durch eine Rei-
he von meist sekundären oder deutlich.fehlerhaften Übereinstimmungen (absetzen)" (DW
II, S.129), aber den Nachweis, daß die 'Paradisus'-Sammlung Xi von jener Vorlage X
stammt, von der sich auch die Vorlage der 'Paradisus'-Predigten des Nikolaus herleitet, woll-
te er nicht führen. Die Predigten DW I, Nr. 20b, DW II, Nr. 37, Nr. 43, Nr. 56 und DW III,
Nr. 82 bieten aber hinreichend Vergleichsstellen, die das Abhängigkeitsverhältnis der Vorla-
ge Xi und der Handschrift K1a/K1b (St6) von einer gemeinsamen Quellen-Handschrift X
als sicher erscheinen lassen, z.B. die folgenden:
DW I, Nr. 20b, S. 344,11f. als ichnu spriche von dem boume:dersunnen kraft/ alse der sonnen craft
Xi [O], K1a
DW I, Nr. 20b, S. 347,9-348,1 Ich spriche von einem andern knehte, daz istderengeL Noch sprechen
wir von einem knehte, von dem ich me gesprochen han, daz ist vernünfticheit / Jch spreche fon eime ande-
rin knechte daz ist der engiL Jch spreche ez ist ein licht obine in der sele da di sele fon nature rurit engli-
sche nature vndfluzit sich in englische nature. daz istfon gode vnd guzit sich obine in di sele pobin der natu-
re. Etliche sprechin ez si ein craft des in ist nicht. Noch spreche wirfon eime knechte daz istjornuftikeit Xi
[O]; Ez ist zweier hande lieht in der selen. Daz eine ist ein lieht obene in der selen. do diesele von naturen
ruret engelsche naturen. Daz andere [XIIIvb] lieht ist von deme ich die rede anefi,eng. Daz lieht gilszet sich
obene in die selen vber die naturen. Etliche sprechent ez si ein crajt(t) in der selen. daz enist nit. ez heiszet
synderesis. Ez ist die vernu.nftekeit Kia
DW II, Nr. 37, S. 211,2-3 ein vünkelin götlicher nature, ein götlich lieht, ein zein und ein ingedrücket
bilde götlfcher nature/ einfankelin (ftmcke K1a,funcke fehlt St6) gotlichis lichtis ein in gedruckit bilde
gotlicher nature Xi [O], K1a, St6.
Leicht zu durchschauen ist das Verhältnis von St6 und Kia/Kib: St6 ist unmittelbar von
dem zweibändigen Kassler Predigtexemplar abgeschrieben, jedoch nicht sklavisch und rein
textreproduzierend, sondern mit Verstand und eigenem Stilempfinden:
4 nach Davides: der do eyne wisheit ist vnd gereht vnd gerehtekeit wirket K1a / der da die war wisz-
hait ist vnd ist gerecht und wu,rcket gerechtikait St6
5 an ein kule waszer. daz ist gnade K1a / by dem k-tilen wasser. das ist die gnad St6
5 die da von der su.nden bant verre ist von dem hymelichschen riche K1a / die da von der sund wegen
verre ist von dem hymelschlichen rich St6
6 verre von gode K 1a / verre von gott in ainem fremden land St6
7 als ein verrefremede lant Kia / als ainfremdes verres land St6
8 do er noch vnberet (= vnbekart Xi; nicht pechert Me2; vnbekant Y1) was. daz er sich verre vant
K1a / do er noch vnberayt was do vand er sich verre St6
11 vz dem gotlichen liehte Kia / vsz dem liecht St6
12 Wande alse nahe als sie vnder deme gotlichen liehte sten K1a / wann ye necher sie stend vnder dem
gotlichen liecht St6
8
Filiation der Handschriften
Ganz generell verzichtet der St6-Schreiber auf die Abschrift der lateinischen Textpar-
tien der 'Sermones' des Nikolaus von Landau.
Die Überlieferungsvorgänge der Y-Version sind der der X-Version der Predigt 87
nicht unähnlich; zumindest stehen Lo4 und K2 im gleichen Verwandtschaftsverhältnis wie
0 und H2: sie sind unabhängig voneinander von der verlorengegangenen Vorlage Y1
abhängig, der die folgenden Textabänderungen zur Last gelegt werden rniissen:
3 Nemit war X [OJ, Me2 / Set Yi [Lo4]
4 digerechtinworzelin Xi [O]; den almehtegensun K1a, St6; den sam Me2 / dyfrüchtadirden samen
Yi [Lo4]
4 Salomon (DerSalomon Me2) sprichit X [OJ (NusprichetSalomon Kia, St6), Me2 / Oüchspricht her
(K2, er Lo4) salomon das Y 1 [Lo4 J
7 und was diser bote: vnd disir bade Jeremias was X1 [O], fehlt K1a, St6, Me2 / vnd was desir bote Yi
[Lo4]
8 vnbekart Xi [O]; vnberet K1a; vnberayt St6; nicht pechert Me2 / vnbekant Yi [Lo4]
9 vnglichheit X [OJ, Me2 / vnglichnisse Yi [Lo4]
14 einersele X [OJ, fehlt Me2 / eynerder mynsten sele Yi [Lo4]
29 der son (sun gots Me2) ist vns gegebin (geben Me2) X1 [OJ, Me2, Lücke K1a, St6 / das vns der son
ist gegeben (geben ist K2) Y 1 [Lo4]
31 her ist vns (vns auch Me2) gegebin (geben Me2) Xi [O], Me2, Lücke K1a, St6 / das ervns gegeben
ist (ist gegeben K2) Y1 [Lo4 J
39 nach huote: vor das paradisz Y 1 [Lo4 J
41 bezeichent als vil als luterkeit: bezeichint lutirkeit (luterkeit godes Kia) X [O]; sol man versten dy
lawtrichait vnd rainchait Me2 / beczeichent also vel also luttirkeit Y 1 [Lo4J
64f. dan der tcetliche lip unsers herren Jesu Kristi: wan der totliche lip vnsis herrin ihesu Christi X1 [O];
dann sein tödleicher leichnam Me2; I ,ücke K 1a, St6 / dan der tätliche lib vnsers hem ihesu Christi
was Y1 [Lo4]
68f. daz enhülfe im nihtals umbe eine honen, erenwürde vereinet mit gote: wann dyding möchten der sel
nicht (nichts Me3b, Me8).frumen an dyverainung (ainung Mc3 b, Mc8) gots Me2, Me3b, Me8; Vnd
das hiet der sel nicht mügen nutz sein an dy verainung gots Me3a / alle deze (die K2) ding mochten
ör (er K2) nichtgefromen sy worden dann (wurden dann/ en wurde K2) vor eint mit gote Y1 [Lo4].
Auch wenn die Textzeugen Me2, Me3a, Me3b und Me8 nur wenige Sätze vorn Schluß der
Predigt überliefern, läßt sich für die vier Melker Textzeugen (Me2, Me3 a, Me3 b, Me8) mit
einiger Sicherheit eine Vorlage Y2 erschließen, von der Me2, Me8, Me3b und Me3a unab-
hängig voneinander ihren Text bezogen haben. Eine Kollation aller Textzeugen gibt Ein-
sicht in die Überlieferungszusarnrnenhänge:
9
Predigt 87
0 mit siner eigenen nature rurte daz wazzir in deme (60) iordane
H2 mit siner eygen nature rurte daz waszer in deme iordane.
K1a mit sime libe rurte daz waszer in deme Jordane.
Lo4 mit syner eynigen natur rürte das wasser in dem iordan
K2 mit eygen nature rürte dasz waszer in Jordane
Me2 mit seiner aigen natur hat perüert das wazzer im iordan
Me3b mit seiner aigen natur das wazzer im iordan perüert hat
Me8 mit seiner aigen natur das wasser im iordan perüert hat
Me3a
0 wazzinn alse wan der (61) mensche getauft wirt. daz her
H2 wasseren also wan der mensche getauft wirt. daz her
K1a waszeren. also der getaufte mensche
Lo4 wassern wan der mensche getauft wirt das er
K2 wassern wan der mensche getoufft wirt Dasz her
Me2 geben wer dar inn tawfft wirt nach rechter arnung der
Me3b geben. Wer dar inn tawfft wirt nach rechter arnung der
Me8 geben. Wer dar inn tawfft wirt nach rechter arnung der
Me3a
0 ge reinegit wirt fon allin sinen sunden vnd wirt eyn kint
H2 gereiniget wirt von allen sinen sünden. vnd wirt ein kint
K1a gereineget wirt. von allen sunden.
Lo4 gereyniget wirt von allen syn sünden vnd wirt ein kind vnsers hern
K2 gereiniget wirt von alle sinen sunden vnd wirt eyn kint vnsers hern
Me2 wirt erledigt von den anparn sünten.
Me3b wirt erledigt von den anparn sünten.
Me8 wirt erledigt von den anparn sünten.
Me3a
10
Filiation der Handschriften
0 einnunge da fon werdit der mensche seliger dan der lip VIlSiS
H2 einunge. da von wirt der mensche seliger. dan der lip vnsers
Lo4 eynünge da von wirt dy sele seliger dan der lib vnsers
K2 eynunge da von wirt die sele heiliger wan der lip vnszers
Me2 ainung. Wann da von wirt dy sel sfiliger dann der leichnam
Me3b ainung. Wann da von wirt dy sel säliger dann der leichnam
Me8 ainung. VVann da von wirt dy sel säliger dann der leichnam
Me3a ainung dann der leichnam
0 herrin ihesu Christi one sine sele (64) vnd one sine gotheit wan ein iclich heilige
H2 herren ihesu Christi ane sirre sele vnd ane sine gotheit. wan ein ieclich heilge
Lo4 herrn ihesu Christi. Vnnd an sine sele wan ein selige
K2 herrn ihesu Christi an sin godheit vnd an sin sele wan eyn selich
Me2 Christi. wann ein sälige
Me3b Christi. Wannein sälige
Me8 Christi. Wannein sälige
Me3a Christi an sein gothait vnd an sein sel. Wann ein yede sfilige
0 sele ist edelir wan der totliche lip VnS1S (65) herrin ihesu Christi. (66)
H2 sele ist edeler wan der totliche lip vnsers herren ihesu Christi.
Lo4 sele ist edeler dan der tötliche lib vnsers hern ihesu Christi was
K2 sele ist edeler dan der toitlich lip vns herrn ihesu Christi was
Me2 sel ist edler dann sein tödleicher leichnam.
Me3b sel ist edler dan sein tödleicher leichnam.
Me8 sel ist edler dann sein tödleicher leichnam.
Me3a sel ist edler dann der tödleich leichnam Christi.
11
Predigt 87
0 follinhrengunge allir ire selikeit vnd di ( 67) selikeit frumit Ir me dan daz
H2 vollenhrengunge allir erer selikeit. vnd die selekeit frömit Ir me. dan daz
Lo4 volhrengen aller orer selikeit vnd dy selikeit fromet ör mer dann das
K2 uollenhrengen alle ere selicheit vnd die selikeit frommet er me dan daz daz
Me2 volpringen aller irer sälichait. vnd dy sälichait frumbt Ir mer dan das
Me3b volpringung aller irer sälichait. Vnd dy sälichait frumt Ir mer dann das
Me8 volpringen aller irer sälichait. Vnd dy sälichait frumbt Ir mer dann das
Me3a volpringung aller irer sälichait. Wanndy sälichait frumbt Ir mer dann das
0 vnsir herre mensche wart in vnsir frowin sente menen lihe (68) vnd
H2 vnser herre mensche wart in vnser vrouwen sente marien lyhe. vnd
Lo4 vnser herre mensche wart in vnser frowen sente marien lihe vnd
K2 vnser herre mensch wart in vnser frauwen sant marrnn lihe Vnd
Me2 Christus mensch wart vnd
Me3b Christus mensch wart vnd
Me8 Christus mensch wart vnd
Me3a Christus mensch ward. Vnd
0 oder geteit durch den menschin daz (69)in hulfin nicht alse vmme eine
H2 ober geteit durch den menschen daz in holfe en nicht alse vmme eine
Lo4 ör nicht gefromen sy worden dann vor eint mit gote
K2 er nicht gefrommen sie en wurde vor eynet mit gode
Me2 der sel nicht frumen an dy verainung gots.
Me3h der sel nichts frumen an dy ainung gots.
MeB der sel nichts frumen an die ainung gots.
Me3a der sel nicht mügen nutz sein an dy verainung gots.
12
Filiation der Handschriften
0 got ge bornin werdit m der sele vnd di sele ge borin wirdit in gode vnd hir vmme
H2 got geboren werdit m gode. vnd h:l'r vmme
Lo4
K2
Me2
Me3b
Me8
Me3a
0 hait got alle (71) sme werc ge worcht. (72) Daz vns daz
H2 hat got alle sme werg geworcht. Daz vns daz
Lo4 Daz alle deze ding an vns
K2 dasz alle dinge an vns
Me2
Me3b
Me8
Me3a
13
Predigt 87
Sehr klar läßt sich die Textform Me2 erkennen, die mit leichten Veränderungen von Me8
und Me3b übernommen wurde.
62f. an eyner (der K2) liblichen (geistlichen Xi) eynünge Yi [Lo4], X1; an leipleiche ainung Me3a /
an einer (an einer Me2 / in Me8, Me3b) geistleichen (geistleicher Me8, Me3b) ainung Me2, Me8,
Me3b
63 dafon Xi [O], Y1; Lücke Me3a / Wann da von Me2, Me8, Me3b
63 f. one sine sele vnd one sine gotheit X1 [O], an sin godheit (an sin godheit K2, fehlt Lo4) vnd an sine
sele Y1 [K2], Me3a, fehlt Me2, Me8, Me3b
64 der X1 [O], Y1, Me3a / sein Me2, Me8, Me3b
64f. vnsis (vnsers H2, Lo4, vns K2) herrin ihesu Christi Xi [OJ, Y1; Christi Me3a, fehlt Me2, Me8,
Me3b
66 Di (Wann dy Me3a) inne wendige gehurt godis an (in Me3a) der sele ist X1 [OJ, Y1, Me3a / vnd
dar vmb ist dy inwendig purd gots an der sel Me2, Me8, Me3b
68 daz (daz fehlt K2) wazzir rurte X1 [O], Yi; Lücke Me3a / das wazzer in der tawjf an rüert Me2,
Me8,Me3b
68 wazX1 [O]; alle deze (die K2) dingY1 [Lo4]; Lücke Me3a / Wanndyding Me2, Me8, Me3b.
Sehr deutlich hebt sich das Textstück 'Dy lerer sprechen, das der sel sälichait' der Hand-
schrift Me3a, das dem Traktat 'Von der sele werdikeit und eigenschaft' (Pf., Tr. 3,
S. 396,39-397,4) inseriert ist, von dem Kompilationsstück 'Von sechs nutzen dingen dy vns
der herr Ihesus Christus verdient hat', das die Handschriften Me3b und Me8 überliefern, ab.
Sein Schreiber Lienhart Peuger hat es der Y2-Vorlage entnommen und nicht der Hand-
schrift Me2.
Für die kurze Textpassage der Handschrift Bre 1 gibt es keine überzeugenden Indi-
zien, die sie einer bestimmten Textform zuordnen ließen. Wegen geringfügiger Überein-
stimmungen mit Y1 und Y2 ist jedoch ihre Zugehörigkeit zu Y wahrscheinlich:
68[. waz got ie geworchte oder geteit durch den menschin daz in hulfin nicht alse vmme eine bonen X1
[OJ / alle deze (die K2) ding mochten (en mochte K2) ör nicht gefromen sy worden dann (worden
dann/ en wurde K2) vor eint mit gote Y1 [Lo4]; Wann dy ding möchten (hiet Me3a) der sel nicht
(nichts Me8, Me3b)frumen (mügen nutz sein Me3a) an dy verainung (ainung Me8, Me3b) gots
Y2 [Me2]; daz dy sele mit gote vor eynigit werde Brei.
Textkonstituierung: Vier Handschriften (0, H2, K1a, St6) stützen den Text der Version X,
se~hs (K2, Lo4, Me2, Me3b, Me8, Me3a) den der Version Y. Der genaue Vergleich der bei-
den Fassungen macht offenbar, daß Y an einigen Stellen den Text der Vorlage X/Y sowohl
erweitert als auch bearbeitet. Die Spuren der Umgestaltung finden sich bereits in der Über-
setzung des Leitzitates am Beginn der Predigt. Während X dem lateinischen Text korrekt
folgt, entfernt sich Yvon ihm wie von der X-Übertragung offensichtlich bewußt. Statt nemet
war, die tage koment (dies veniunt), sprichet der herre (dominus), und ich wil erwecken die
gerehten wurzeln (germen iustum) Davzdes heißt es in Y (Text nach Lo4): Set, dy tage sint
kamen, spricht got. Jch wel irwecken dy frücht adir den samen dauid (dauides K2). Der Voll-
ständigkeit halber wird noch der weitere Wortlaut des Verses Ier. 23,5, allerdings wiederum
in einer ungenauen Übersetzung, hinzugefügt: Vnd dy Jrucht sal wise sin (et regnabit rex et
sapiens erit) vnd sal vinden orteil vnd machen gerechtikeit in ertriche (etfaciet iudicium et
iustitiam in terra). Eine schlichte Interpolation ist die Textpassage nach dem Satz Z.18 Aller
14
Textkonstituierung
jcemerUchest ist daz, daz er von dem ist, der sin ewige scelicheit ist: Vnnd so krang ist worden,
das er von siner (aller siner K2) eygen craft nummer wedir czü gote kamen mag. Vnd oüch nicht
weis, wy er wider czü öm kamen sal. das [134vh] clait er dauid vnd spricht: Jch ben verre von
gote, wan ich in den sünden geborn ben vnd ben so krang worden, das ich von myner crajt nicht
wider czü gote kamen mag. V nd habe dy oügen vorlorn, das ich nicht weis, wo ich wedir czü öm
kamen mag. Eingut man der spricht in hern (er Lo4) Jacobs buch (der spricht ... buch/ sprach
in hern Johans buche K2): Bricht (sprichet K2) ein mensche wider den andern, da mag er eyn
menschen czü vinden (da ... vinden / da god mag her eynen czu binden K2), der öm das helffe
bessern. Bricht aber der mensche wider den (den/ god K2) der ist so hö vnnd so vn messig, das
man kein menschen darczü vinden kan, der das gebessern moge, wan noch der werdikeit (edel-
keit K2) des hern an dem man missetüt (messehelt K2), so müs sin dy besserunge. Nach der
Wiederholung des Leitzitates (Set, dy tage sind kamen, sprichtgot, das got geborn wel [wolde
K2] werden von dem samen dauidis) wird vom Y-Bearbeiter eine zusätzliche Berufung auf
die Schrift für nötig befunden (Z. 20 nach Davides): das es (es/ ist dasz K2) got selbir gespro-
chen hat, das ist ein groz ding: mogelicher ist das daz hymel vnd erde [ 135ra] sich wandele dan
dy wart vnsers hern gewandelt mogen werden (Lo4). Den Satz Z. 32 Wir suln beiten, der hime-
lische vater muoz unser gebet enpfahen oder niht glaubt der Y-Redaktor überhaupt durch
eine Paraphrase über die Haltung der Gottergebenheit des Menschen ersetzen zu müssen:
Wiszt ir wy der mensche ettiswan gedenken vnd beten sal Er sal vor sich vnd vor wen er beten
wel mit allen sin sünden vnd gebrechen legen in dy wunden vnsers hern ihesu Christi vnd sal
sich vnwirdig dünken vnd sal sich beveln der wirdigen martir vnsers hern ihesu Christi vnd sal
sich opphern (oppher Lo4) deme hymmilische vater vnd (an Lo4) sine heylige sune. antwedir
der hymmilische vater der müsz sy beide enphan adir nicht. Eine massive Umdeutung nimmt
der Y-Redaktor an der Exegese von Matth. 10,42 vor. Die annähernd wörtlichen Textparal-
lelen zu Pr. 93, Z. 13 f. (Aber nu genüeget unserm herren lfhticliche: Umbe einen trunk kaltes
wazzers gibet er sin himelriche an einem reinen herzen) und In Gen. I n. 157, LW I,
S. 306,1-4 (et est sensus quod deus quiescit in quolibet apere bono quantumvis minimo, puta
in calice aquae frigidae, si tamen deus et amor ipsius operatur in nobis opus. Non enim
censum attendit deus, sed ajfectum, secundum Gregorium) machen deutlich, daß einzig in der
X-Version der Text der Predigt in der ursprünglichen Gestalt bewahrt ist und nicht in der
Y-Version:
X y
Z.24-27: Lo4, 135m:
Wan daz ist war, daz got gibet sin auch ist das war. Wer eyn trünk kaldes
himelriche umbe einen kalten trunk wassers gebit sime eben cristen
wazzers und an einem guoten in der ewigen libe da got mensche ynne
herzen. Da mite ist ez genuoc. worde ist, dem werden alle sine
Und ich nime ez uf min sele: Wer sünde vor geben. Vnd ich nemes ujf
einen guoten gedank opfert in der myne sele. Wer eynen guten gedanken
ewigen minne, da got inne mensche vnserm hern gote opphert in der ewigen
ist worden, der wirt behalten. libe der wirt behalden.
15
Predigt 87
Die entschiedene Redigierungsabsicht des Y-Bearbeiters tritt vollends zum Schluß der Pre-
digt zutage: Die Ausführung des X-Textes über die Vereinigung des Menschen mit Gott,
gedeutet als Gottesgeburt im Menschen, wird schlichtweg getilgt:
X y
Bei der Konstituierung des Textes muß wegen der starken Bearbeitungseingriffe des Y-
Redaktors der X-Version der Vorzug gegeben werden. Diese wird allerdings nur von den Hss.
0, H2 und K1a tradiert, die bekanntermaßen „mehr oder weniger systematisch durchge-
führte Kürzungen aufweis(en)" (J. Quint, DW III, S. 452) und punktuell fehlerhaft abge-
schriebene Texte haben. Die hinter den erschließbaren Überlieferungsstufen X und Y lie-
gende Textform X/Y läßt sich deshalb nicht auf der ganzen Ebene des Textes editorisch
sichern. Der Edierte Text folgt X1 (0 und H2) als Leittext. Er weicht von ihm ab, wenn sich
Lesarten aus inneren Kriterien und aufgrund von Überlieferungsmängeln als sekundär
erweisen.
Übersetzungen: keine
Echtheit: Die Predigt ist durch H2, 0 und Me2 (siehe Zuschreibungen S. 20) für Meister
Eckhart gesichert, indirekt auch durch Nikolaus von Landau, der die Predigt durch seine
Exzerpte als eine Predigt Eckharts behandelt und offensichtlich in seiner X-Vorlage den
N~en Eckhart als Autor der Predigt vorgefunden hat. Weil die Handschriften K2 und Lo4
generell alle Predigten anonym überliefern, spricht ihr Schweigen nicht gegen Eckhart als
Verfasser der Predigt. Und wenn der Redaktor des Traktats 'Von der sele werdicheit und
eigenschaft' es für wert hielt, ein Stück aus der Predigt 87 in seine Kompilation einzufügen,
deren Thematik ausschließlich aus dem Textrepertoire Eckharts schöpft, ist auch dieser Vor-
gang ein mittelbarer Hinweis auf Eckhart.
Eine Reihe von textlichen und inhaltlichen Parallelen zu echten deutschen und lateini-
schen Texten bezeugen weiterhin die Authentizität der Predigt. Von hohem Zeugniswert ist
die Parallele zur Pr. 58. Die unterschiedlichen Ausformulierungen zeigen, daß sie von
einem einzigen Autor herrühren; die Annahme, ein zweiter Verfasser könnte die Auslegung
von zwei hande huote erweitert haben, ist abwegig, liest man beide Textpassagen nebenein-
ander:
16
Echtheit
Franz Pfeiffer hat die Predigt 87 nicht in seine Sammlung 'Deutsche Mystiker des 14. Jahr-
hunderts, Bd. 2: Meister Eckhart, Leipzig 1857' aufgenommen, und dies aus einem sehr ein-
sichtigen Grunde: Er kannte sie nicht. In seinem „kurze(n) verzeichniss der benützten
handschriften und drucke" (S.VII; S.VIII-X) führt er außer Me3, aus der er den Traktat
'Von der sele werdikeit und eigenschaft' entno=en hat, keine einzige Handschrift auf, die
die Predigt enthält, auch Me2 nicht. Josef Quint kannte die Predigt 87; sie ist die Nr. 1 der
'Paradisus anime intelligentis'-Sammlung, aus der er unter den 31 Meister Eckhartzuge-
schriebenen Predigten 18 (DW I, Nr. 7; Nr.9; Nr.19; Nr. 20b; DW II, Nr.32; Nr. 33; Nr. 37;
17
Predigt 87
Nr. 38; Nr. 43; Nr. 56; Nr. 57; DW III, Nr. 60; Nr. 70; Nr. 72; Nr. 80; Nr. 82; Nr. 84; Nr. 85) für
seine kritische Ausgabe ausgewählt hat, zwei (DW II, Nr. 56; DW III, Nr. 85) sogar, die nur
in O und H2 überliefert sind. Er hat sich nirgendwo darüber geäußert, daß er die übrigen 13
Predigten der Sammlung, die auch unter Eckharts Namen stehen, ,,als unecht eingestuft"
(Kurt Ruh, Kl. Sehr. II, S. 316) hat.
Wohl bleibt die Annahme berechtigt, daß bei den von Quint ausgesparten 13 Predigten
der Echtheitsnachweis besonders schwer zu führen ist. Für die Predigt 87 trifft dies nach
dem handschriftlichen Kenntnisstand bestimmt zu. Quint wußte noch nichts von der Lon-
doner Handschrift Lo4, durch die die Kasseler Handschrift K2 in ihrem stemmatischen
Wert genau taxiert werden kann; beide (Lo4, K2 =Y 1) weisen sie gegenüber O und H2 über-
schüssige Textstellen auf, für die Eckhart als Autor nicht in Anspruch genommen werden
durfte. Auch konnte die textgeschichtliche Position von Me2 und letztlich auch die Existenz
einer 'Paradisus'-Sammlung X noch nicht so sicher angenommen werden, wie dies dank der
zehn Textzeugen, die heute zur Verfügung stehen, angenommen werden darf.
Der Aufbau der Predigt, dem das Schriftwort Ier. 23,5 in Verbindung mit dem Schriftwort
Prov. 25,25 zugrunde liegt, ist viergeteilt. Die Hauptaussagen der Schriftworte 'Ecce dies
veniunt', 'nuntius bonus de terra longinqua' und 'suscitabo David germen iustum' werden auf
Christus bezogen, der der guot bote (4) ist, der vom Himmel, ein verre vremde lant (7),
kommt, und mit dessen Erscheinen (Advent) die Heilszeit (ecce dies veniunt) anbricht.
Der erste (Z.10-23) der vier Teile, die nur durch ihren Inhalt als solche zu erkennen
sind, stellt den jamer des Menschen verre von gote (8) dar. Der erste jamer: Der Mensch ist
von dem (von gote) getrennt, ohne den er nicht selig (sr,elic) sein kann. Ein Beispiel: Nähme
man die schönste Kreatur, die Gott geschaffen hat, uz dem götlfchen liehte ( 11 ), sofern dies
überhaupt möglich wäre, sie könnte nicht die geringste Freude haben. Der zweite jamer,
noch größer als der erste: Der Mensch ist von dem ( von gote) getrennt, ohne den er kein Sein
haben kann. Der dritte, der größte jamer: Der Mensch ist von dem (von gote) getrennt, der
seine ewige srelicheit ( 18) ist. Schon die alten veter haben diesen jamer des Menschen erkannt.
In ihrer Erlösungssehnsucht (begerunge) schrfeten sie in den himel und sie lasen schließlich
in der göttlichen Weisheit, daß Gott geboren werden sollte.
Der zweite Teil (Z.24-38) faßt in aller Kürze die guote botscheft des 'nuntius bonus'
zu~ammen: a) Gott schenkt sfn himelrfche beispielsweise einem Menschen, der einem ande-
ren Menschen in Liebe einen Trunk frischen Wassers reicht; b) gerettet wird, wer einen gu-
ten Gedanken in jener Liebe aufopfert, in der Gott Mensch geworden ist; c) aus diesem
Grunde braucht sich der Mensch nicht zu fürchten vor Teufel, Welt, 'seinem eigenen Fleisch'
und auch nicht vor Gott. Die theologische Begründung wird der Bibel entnommen: Der
Vater hat uns, den Menschen, seinen Sohn, der seine Weisheit und seine Kraft ist, als vor-
spreche, als vorvehtrere in aller unser not gegeben. Gott will gegen seinen Sohn, der uns so
teuer erkauft hat (so tiure erarnet hat) und der selbst seine gewalt und seine wfsheit ist, nicht
Krieg führen (urliugen). Die tröstliche Folge für den Menschen ist: Der Mensch braucht -
Eckhart wiederholt sich - Gott nicht zu fürchten; er darf die Kühnheit haben, mit allen sfnen
sacken zu ihm zu gehen.
Der dritte Teil (Z. 39- 53) stellt die Erlösungstat Christi dar. Christus hat die dreifache
18
Aufbau
Bewachung (drierleie huote) des Paradieses gesprengt: die engelische Natur, das feurige
Schwert, die beidseitige schneidende Schärfe des Schwertes. Er brachte a) unschult und luter-
keit in menschliche nature und b) göttliche feurige Liebe und nahm c) menschlfche jamerkeit.
Christus hat a) die Sünde des Menschen auf sich genommen, er hat sieb) getilgt und er hat
c) den Menschen erlöst (behalten). Und noch einmal wiederholt Eckhart seine Wiederholung
und schließt damit den dritten Teil ab: Weil jetzt durch Christi Tat daz himelriche offen ist,
darf der Mensch küenlfche ze gote gan.
Der vierte Teil (Z. 54-72), der an den Schlußteil des Jeremias-Verses 23,5 anknüpft,
korrespondiert mit dem dreifachen jamer des ersten Teils der Predigt und stellt diesem eine
dreifache scelicheit gegenüber: a) weil gotes sun in Maria menschlfche nature rüerte, ist alliu
menschliche nature sadic worden; b) durch die Taufe wurde der Mensch von allen seinen Sün-
den gereinigt und wurde ein kint gotes; c) in einer geistlfchen einunge (vereinunge) wird got
geborn und geef.fenbaret in der sele. Diese einunge deutet Eckhart als inwendige gehurt (66)
Gottes in der Seele und als die Vollendung ihrer Seligkeit. Ihretwegen hat Gott alliu sfniu
werk geworht.
19
Ecce, dies veniunt, dicit dominus, et suscitabo David Par. 7, 17
germen i ustum.
Disiu wort sprichet J eremias: 1 'nemet war, die tage koment, sprichet der herre, und ich
wil erwecken die gerehten wurzeln Davides'. Salomon 2 sprichet: 'ein guot bote von einem 20
5 verren lande ist als ein kalt wazzer einer durstigen sele'.
Nach der ahte der sünde so ist der mensche verre von gote 3 • Dar umbe ist im daz himel-
ri:che als ein verre vremde lant, und was diser botevon demhimele. SantAugustinus 4 spri-
Zuschreibungen: .j. (am linken Rand O;fehltH2) Ecce diesveniunt. Jn disirpredigade wisit (bewiset
H2) mester eckart (Echard H2) der alde der grozin mh der zukunft vnsis (vnsers H2) herren wan for
der zit muystin alle lude zu der helle. aber nu gnugit gode lichtliche (lichtecliche. H2) wan mit eyme
reinen herzin ist ez gnuc 0, H2 (Inhaltsverzeichnis: 0 fol ra [Par. an. S. 1], H2 fol. 1'); Ein predig vom
advent Maister Ekcharts von paris Me2 ( Überschrift zu der als eine einzige Predigt ausgewiesenen Text-
kompilation fol 313ra_ }19"b, in der sichjol. 314:b- }1Ya die Predigt 87 gekürzt aufgenommen.findet).
Überschriften: .j. (am rechten Rand 0, am linken Rand H2) De aduentu domini 0, H2; Die
Überschrift Ein predig vom advent Maister Ekcharts von paris in Me2 ist auch auf Predigt 87 zu bezie-
hen; Von dauidis samen irweckunge Lo4 (am rechten Rand).
1 Ecce ... 2 iustum X/ Ecce dies veniunt etc. K2,jehlt Lo4, Me2, St6 3 Dise wort sprichit Jere-
mias X1 / Jerernie prophete K1a; Der prophet spricht K2; DEr prophete Jeremias schribet Lo4; Dar
vmb spricht got durch den weissagen Jeremiam Me2 3 Nemit war X, Me2 / Set Y1 3 kumint
X/ sirrt komen Y 3 sprichit der herre X1 / spricht got Y,jehlt K1a, St6 3 vnd X1 / in den K1a,
St6; das Me2,fehlt Y1 4 wil ir weckin di gerechtin worzelin dauidis X1 / wel irwecken dy frücht
adir den samen dauid Y1; den sam Dauits wil erwekchen Me2; vsze <lerne abpetgrunde miner craft
gebere den almehtegen surr K1a, St6 4 nach Davides: Vnd dy frucht sal wise sin vnd sal vinden
orteil (vrtail vinden Me2) vnd machen gerechtikeit in ertriche (machen ... ertriche / awff erden
grechtichait machen Me2) Y1, Me2; der do eyne (eyne / die war St6) wisheit ist vnd gereht vnd gereh-
tekeit wirket (würcket gerechtikait St6) vf ertriche K1a, St6 4 Salomon sprichit X1 / Nu sprichet
Salomon K1a, St6; Oüch spricht her (K2, er Lo4) salomon das Y1; Der Salomon spricht Me2 5 also
ein Y / also X1; an ein K1a; by dem St6 7 also ein Y1, K1a, St6/ alse X1; pey dem Me2 7 vnd
was deser bote von (vom K2) hymmele Y1 / vnd disir bode Jeremias was fon <lerne himmile X1,jehlt
K1a, St6, Me2
1 Vgl. Ier. 23,5: Ecce dies veniunt, ait Dominus, et suscitabo David germen iustum; et regnabit rex,
et sapiens erit, et faciet iudicium et iustitiam in terra. Der Schrifttext ist nach dem alten Dominikaner-
Missale der Lectio der Messe des 25. Sonntags nach Trinitatis entnommen. Er liegt auch dem Sermo LI n.
517-520, LWW, S.432-435 zugrunde. 2 Prov. 25,25: Aqua frigida animae sitienti, et nuntius bonus
de terra longinqua. Strauch, Par. an. S. 7 gibt statt Prov. 25,25 fälschlich Prov. 25,1} an. 3 Vgl Pr. 57,
DW II, S. 597,6: Got ist iht und ein luter wesen, und diu sünde ist niht und verret von gote; vgl. auch Ser-
mo XVII,4 n. 172, LW IV, S.163,14-164,1: Nota prima, quia peccatum separat a deo qui est vita animae,
sicut anima vita corporis. Secundo, quia peccatum, utpote recessus ab esse ad nihil, verissima mors est;
vgl weiter Thomas S. theol II-II q. 10 a. } : Respondeo dicendum quod omne peccatum formaliter con-
sistit in aversione a Deo; vgl dazu SermoXLVII,J n. 495, LWW, S.410,4-6: Signanter autem Salomon ait:
'universa delicta', quia peccatum formaliter consistit in aversione, vel quia peccando homo ab uno, quod
est deus, vertitur in multa et dividitur... 4 Vgl. Augustinus Confess. VII c. 10 n.16, CCSL XXVII,
ed. Verheijen, S.103,12-104,20: 0 aeterna ueritas et uera caritas et cara aeternitas! Tu es deus meus, tibi
20
Ecce, dies veniunt, dicit dominus
chet von im selber, dö er noch unbekeret was, daz er sich verre vant von gote in einem vremden
lande der unglicheit.
25 Ez ist ein jremerlich dinc, daz der mensche von dem ist, ane den er niht srelic gesin enmac. 10
N reme man die allerschamsten creaturen, die got geschaffen hat, uz dem götlichen liehte,
da sie under stant - wan als verre als alliu dinc under dem götlichen liehte stant, als
verre sint sie lustlich und behegelich5, - und wrere ez gotes wille und gestatete er ez, daz sie
30 wurden genomen uz dem götlichen liehte und wurden gewiset einer sele, si enmohte deheine
wollust noch behagunge an in gehaben 6, sunder ir müeste da vor gruwen. 15
8 vnbekart Xi/ nicht pechert Me2; vnbekant Yi; vnberet Kia; vnberayt St6 8 daz her sich
verre vant Xi, Kia / das er sich vand (vandfehltK2) verre Yi; da vand er sich Me2; do vand er sich ver-
re St6 9 vnglichheit X, Me2 / vnglichnisse Yi 10 der Kia, St6, Yi / ein Xi, Me2 10 von
deme ist X, Lo4 / van gode ist K2; an das guet ist Me2 10 selic ge sin in mac Xi / behegelich mag
gesin (sin K2) Y (gevallen mag Me2); gesin mag Kia, St6 13 lustlich (lusteclich Lo4) vnd behege-
lich Xi, Y1 / lustig vnd gevelchleich Me2; wonneclich vnd lustlich Kia, St6 13 vnd [3] X/ adir Yi;
Lücke Me2 14 einer sele X/ eyner der mynsten sele Yi; Lücke Me2 14 sy Lo4, Kia, St6 / so
Xi, K2; Lücke Me2 14 f. keyne wollust noch behagunge an ön (an önfehlt K2) Yi / keine wolust
dar ane X; Lücke Me2 15 gehaben Xi, St6 / haben Yi, K1a; Lücke Me2
suspiro die ac nocte. Et cum te primum cognoui, tu assumpsisti me, ut uiderem esse, quod uiderem, et
nondum me esse, qui uiderem. Et reuerberasti infirmitatem aspectus mei radians in me uehementer, et
contremui amore et horrore: et inueni longe me esse a te in regione dissimilitudinis, tamquam audirem
uocem tuam de excelso: »Cibus sum grandium: cresce et manducabis me. Nec tu meinte mutabis sicut
cibum carnis tuae, sed tu mutaberis in me«. Vgl auch In Sap. n. 166, LW II, S. 500,10/: Et Augustinus
invenit se longe esse a deo. Quid enim tarn longe quam esse et nihil, simile et dissimile?; Sermo die b.
Augustini Parisius habitus n. 5, LWV, S. 94,6-10: Ecce qualiter dicit quod assumptus fuerit, ut videret esse
quod viderat, »et nudum me esse qui videram; et reverberasti infirmitatem meam radians in me vehe-
menter, et contremui amore et horrore et inveni me longe esse a te in regione dissimilitudinis«; Sermo
IX n. 102, LWW, S. 96,8-97,2: Deus omnis gratiae. Nota, si tantum bonum est gratia unius hominis, quan-
tum bonum omnis hominis, omnium angelorum tot specierum, quantum bonum ibi vivere, immo in
ipso deo omnis gratiae, ubi iam gratia non gratia formaliter, sed virtualiter sicut calor in caelo, ubi iam
nec bonum nec suave nec esse, sed supra »in regione et regno dissimilitudinis« infinitae; vgl weiter
Pr. 44, DW II, S. 338,5 -7: Da von sprichet Augustin us : herre, do ich mich verre von dir vant, daz
enkam niht von der verre der stat, mer: ez kam von der unglicheit, da ich mich inne vant; Pr. 93, DW IV,
S.133, 78-81: Ez sprichet ouch sant August'i:nus: ich suochte dich und vant mich verre von dir in
einem lande des unglichnisses, niht also verre, wan du allenthalben bist, und niht daz ich dir verborgen
wrere, wan du alliu dinc weist, sunder ich hate mich verborgen in dem unglichnisse, daz ich dich niht
enbekante. Über die Verwendung des Begriffsregio dissimilitudinis vgl Loris Sturlese, Historisches Wör-
terbuch der Philosophie 8, Basel1992, Sp. 479.481. 5 Vgl Pr.112, DW IV, Z. 66-73:A.ne daz lieht enist
kein dinc behegelich noch enmac sich offenbaren ... Da alle die schrenesten und edelsten creaturen, die
got geschaffen hat, zemale zuogiengen und wiseten sich mit al ir schrene und edelkeit, sie enmohten mit
al ir schrene und edelkeit die snredesten creaturen niht entsliezen noch erwermen, daz glichnisse göt-
liches liehtes enwrere an in, so enmohte siez alzemale niht geahten. 6 Vgl Pr. 60, DW III, S.16,2- 3:
Ich han ez ouch me gesprochen, daz der mensche niemer ze keiner creature liebe noch wollust enmöhte
gehaben, gotes glichnisse enwrere dar ane.
21
Predigt 87
Noch jcemerlicher ist daz, daz der mensche von dem ist, ane den er kein wesen gehaben
mac 7 .
Aller jcemerlichest ist daz, daz er von dem ist, der sin ewige scelicheit ist.
Dar umbe was daz ein guot botschaft, daz der prophete sprichet: 'sehet, die tage
20 koment, sprichet der herre, und ich wil erwecken die gerehten wurzeln Davides'. D6 die alten
veter bekanten daz jamer, da sie inne waren 8 , d6 schdeten sie mit ir begerunge in den himel 35
und wurden in got gezogen mit irm geiste und lasen in götlicher wisheit, daz got geborn solte
werden.
16 daz daz Xi, Lo4 / daz K2, Kla, St6; Lücke i\1e2 16 der Y1, K1a, St6 / ein Xi; Lücke Me2
18 daz daz Xi, Lo4 / dasz K2, K1a, St6; Lücke Me2 18 nach der sin ewige smlieheit ist: Vnnd so
krang ist (ich K2) worden (worde K2) das er von siner (aller siner K2) eygen craft nummer (nicht K2)
wedir czü gote kamen mag Vnd oüch nicht weis (enweisz K2) wy (wo K2) er wider czü öm kamen sal.
das clait (claget K2) er dauid vnd spricht Jch ben verre von gote wan ich in den sünden geborn ben vnd
ben so krang worden das ich von myner craft nicht (von ... nicht/ nicht von miner krafft K2) wider
czü gote kamen mag (kamen mag/ kan kommen K2) Vnd habe dy oügen vorlorn das ich nicht weis (en
weysz K2) wo ich wedir czü öm kamen mag. Ein gut man der spricht (der spricht/ sprach K2) in hern
(hern K2, er Lo4) Jacobs (Johans K2) buch Ilricht (sprichet K2) ein mensche wider den andern da (da
god K2) mag er eyn menschen ( eyn menschen / eynen K2) czü vinden der öm das helffe (hilffet K2)
bessern. Bricht aber der mensche wider den (den / god K2) der ist so hö (hoch K2) vnnd so vn messig
( vnmeszlich K2) das man kein menschen darczü vinden (binden K2) kan der das gebessern moge wan
noch (nach K2) der werdikeit (edelkeit K2) des hern an dem man (an dame me K2) missetüt so (mis-
setüt so/ messehelt dasz K2) müs sin dy besserunge Y1; von Vnnd so krang ist bis Jacobs buch Lücke
Me2; dann: wann so ettwer wider einn andern tuet so nymbt er einn gueten frewnt zw im der im das
hilfft verrichten. So aber ein mensch wider got tuet der so vnmesleich hach ist das man chainn men-
schen vinden mag der cs pessern müg. Wann nach des herren wirdichait wider den man tuet mues dy
pessrung sein Me2, fehlt X 19 Sehit Xi, Y1 / Nembt war Me2; Lücke K1a, St6 20 cumint
Xi / sind kamen Y; Lücke Kla, St6 20 nach cumint: etc. Xi 20 sprichet der herre, und ich wil
erwecken die gerehten wurzeln David es (vgl. Z. 3j) / spricht got das got geborn wel (wolde K2) werden
von dem samen dauidis Y1; das Christus wil mensch wcrn von dem geslächt Dauits Me2; etc. Xi
20 nach Davides: Daz ist dasz (Daz ist dasz K2 / das es Lo4) got selbir gesprochen hat das ist ein groz
di~g mogclicher ist das daz (das daz Lo4 / dasz sich die K2) hymel vnd erde sich wandele dan dy wart
vnsers hern gewandelt morgen (fehlt K2) werden Y1; Wann es ist rnügleicher das himel vnd erden ver-
genn dan dy wart gots }y[e2, fehlt X 21 si inne Xi / inn sy ivle2; sy an Y1; Lücke Kla, St6
21 begerunge Xi, K2 / gerünge Lo4; pegier Me2; Lücke K1a, St6 21 in den hirnmil Xi/ in das
hymmilrich Y1,jehlt Me2; Lücke K1a, St6 22 geczogen Y1 / ge gozzin Xi; Lücke Me2, Kta, St6
22 solde Xi/ wolde Y1; Lücke Me2, K1a, St6 23 nach werden: in (in.fehlt K2) menschlicher natur
der vns losen solde von aller (alle K2) vnser iarnerkeit (jemerlichkeit K2) Y1; das er cham vnd sy erlöst
Me2
7 Vgl. Pr: XVI, Pf, S. 75, 15-17: Sant Augustinus sprichet, daz daz ein wunder si, daz der mensche
anc den ist, ane den er doch ni ht gesin mac; Pr: 93, DW IV, S.132, 66-68: Saut Augustin us sprichet: ez
ist ein gr6z t6rheit, daz diu sele ane den ist, der allenthalben ist, und daz si mit dem niht enist, ane den
si niht wesen enmac, daz si den niht enminnet, ane den si niht geminnen enmac. 8 Vgl. Ps. 50,7: Ecce
22
Ecce, dies veniunt, dicit dominus
Dar umbe was diu guote botschaft als 'ein kalt wazzer einer durstigen sele'. Wan daz ist
war, daz got gibet s'i:n himelr'i:che umbe einen kalten trunk wazzers und an einem guoten 25
herzen9 • Da mite ist ez genuoc. Und ich nime ez uf min sele: Wer einen guoten gedank
opfert in der ewigen minne, da got inne mensche ist worden, der wirt behalten 10. Dar umbe
8,5 endarf der mensche niht vorhten den tiuvel noch die werlt noch s'i:n eigen vleisch noch unsern
herren got. Wan santPaul us sprichet: dersun ist uns gegeben ze einem vorsprechen, der ein
w'i:sheit ist des vaters, der sol w'i:sli:che rede geben vür alle unser törheit und missetat. Sant 30
Paulus 11 sprich et ouch: er ist uns gegeben ze einem vorvehtrere, der vür uns sigevehten sol in
24 ein Y,fehltX 24 wan daz ist Xi/ ouch ist das Y1; Lücke Me2, K1a, St6 25-27 daz got
gibit sin himmilriche vmme einen kalden drunc wazzers vnd an eime gudin herzin da mide ist ez gnuc
vnd wer einen guden gedanc opperit in der ewigin minne da got inne mensche ist worden der wirt
behaldin Xi / Wer eyn trünk kaldes wassers gebit sime eben cristen in der ewigen libe da got mensche
ynne worde ist dem werden alle sine sünde vor geben Vnd ich nemes (nemes / meyn ez ouch K2) uff
myne sele Wer eynen guten gedanken vnserm hern gote (eynen ... gote / eyn guden gedancken gode
K2) opphert in der ewigen libe der wirt behalden Y1; Lücke Me2, K1a, St6 26 Vnd ich nemes
(nemes / meyn ez ouch K2) uff myne sele Y1,jehlt Xi; Lücke K1a, Me2 28 f. noch vnsin herrin got
Xi/ noch (noch K2, Joch Lo4) vnsern hern (hern K2,jehlt Lo4) got darff er (endarff he K2) nicht
vorchten Y1; Lücke Me2, K1a, St6 29 wan sente Pauwel spricht Y1 / S't paulus sprichit Xi; Dar
vmb spricht sant pauls Me2; Lücke K1a, St6 29 der son (son / sun gots Me2) ist vns gegebin (geben
Me2) Xi, Me2 / das vns der son ist gegeben (geben ist K2) Y1; Lücke K1a, St6 29 der [2] Y / di Xi;
Lücke K1a, St6 30 des Y / sines Xi; Lücke K1a, St6 30 f. Sente (S'O; sente Strauch) paulus spri-
chit ouch Xi/ Andirs wo spricht dy schrift Y1,jehlt Me2; Lücke K1a, St6 31 her ist vns (vns auch
Me2) gegebin (geben Me2) Xi, Me2 / das er vns gegeben ist (ist gegeben K2) Y1; Lücke Kta, St6
9 Vgl Matth 10,42: Et quicumque potum dederit uni ex minimis istis calicem aquae frigidae tan-
tum in nomine discipuli: amen dico vobis, non perdet mercedem suam; vgl. auch Marc. 9,40 und Matih
25,34: Tune dicet rex his qui a dextris eius erunt: Venite benedicti Patris mei, possidete paratum vobis
regnum a constitutione mundi. 10 Vgl Pr.93, DW Iv, S.125,15f: Aber nu genüeget unserm herren
lihticliche: umbe einen trunk kaltes wazzers gibet er sin himelriche an einem reinen herzen. Vgl auch
In Gen.In. 157, LW I, S. 306,1-4 (Rec. L, LW I,2, S.193,2-4): Octava ratio moralis est accipiendo li uni-
versa divisive, et est sensus quod deus quiescit in quolibet opere bono quantumvis minimo, puta in cali-
ce aquae frigidae, si tarnen deus et amor ipsius operatur in nobis opus. Non enim censum attendit deus,
sed affectum, secundum Gregorium. Vgl weiter Pr.91, DW IV, S.95,96-98: Ob alliu diu kraft aller
selen und aller engel und aller creaturen zemale geahtet waire Af eine sele, si enmöhte daz minste 16n
eines guoten gedanken niht enpfahen, der in der ewigen liebe gedaht wirt, si müeste zergliten und zer-
vliezen und sterben; Pr.41, DWII, S.293,2-6: Origines der schribet gar ein edel wort, und spraiche ich
ez, ez diuhteiuch unglouplich: »niht aleine werden wir ingeborn in dem sune; wir werden uzgeborn
und wider ingeborn und werden niuwe geborn und ane mittel geborn in dem sune. Ich spriche - und ez
ist war - : in einem ieglichen guoten gedanke oder guoter meinunge oder guoten werke werden wir alle
zit niuwe geborn in gote«. 11 Vgl. Rom 8,33-34: Quis accusabit adversus electos Dei? Deus qui iusti-
ficat, (34) quis est qui condemnet? Christus Iesus, qui mortuus est, immo qui resurrexit, qui et est ad dex-
teram Dei, qui etiam interpellat pro nobis. Vgl auchHebr. 7,25: Unde et salvare in perpetuo potest acce-
dentes per semet ipsum ad Deum: semper vivens ad interpellandum pro eis; 1 Ioh 2,1-2: Filioli mei,
haec scribo vobis, ut non peccetis. Sed et si quis peccaverit, advocatum habemus apud Patrem, Iesum
Christum iustum: (2) et ipse est propitiatio pro peccatis nostris: non pro nostris autem tantum, sed etiam
pro totius mundi; 1 Cor. 15,57: Deo autem gratias, qui dedit nobis victoriam per Dominum nostrum
23
Predigt 87
aller unser not. Wir suln beiten, der himelische vater muoz unser gebet enpfähen oder niht. 10
Wolte der vater gegen uns urliugen, er envermohte ez niht, wan diu selbe gewalt und w'i:sheit,
die der vater hat, die hat der sun glich mit im, der uns genzl'i:che gegeben ist ze einem vorveh-
35 trere, und hat uns so tiure erarnet, daz er uns niht verlazen enwil 12 • Und der vater enmac im niht
versagen, wan er sin w'i:sheit ist. Er enmac ouch gegen im niht gevehten, wan er s'i:n kraft ist. Dar 15
umbe endarf der mensche niht vorhten got, er enmüge mit allen s'i:nen sachen küenl'i:che 13 ze
gote gan.
Do dermensche uz dem parad'i:se gestozen wart, da vür saste got dri:erleie huote 14. Daz eine
40 was engelische nature, daz ander ein viuric swert, daz dritte: daz ez ze beiden enden sneit. 20
32 Wir sullin beiden (beide H2, beid'e 0) der himmillische vadir muisz vnse (vnser H2) gebeit
(gebet H2) inphain odir nicht X1 / Wiszt ir wy der mensche ettiswan gedenken (gedencket K2) vnd
beten (biden K2) sal Er sal (saljehltK2) vor (über der Zeile Lo4;jehltK2) sich vnd vor wen er beten (bid-
den K2) wel mit allen sin (sinen K.2) sünden vnd gebrechen legen in dy wunden vnsers hern ihesu Chri-
sti vnd sal sich vnwirdig dünken vnd sal sich beveln der wirdigen martir vnsers hern ihesu Christi vnd
sal sich opphern (opphern K2, oppher Lo4) <lerne hymmilische (hummelschen K2) vater vnd (vnd K2,
an Lo4) sirre heylige surre (syme heiligen son K2). antwedir der hymmilische vater der müsz sy beide
enphan adir nicht Y1; Dar vmb sol sich der mensch legen in dy wunten vnsers herren ihesu Christi vnd
enphelich sich seiner marter das er in oppher seim himlischen vater wann in dem mag er den sünter
nicht aws slahen an den sun Me2; Lücke K1a, St6 33 keyn vns vrlegen Lo4 / legenvnd en lengen
K2; gegin vns vechtin X1; Lücke Me2, K1a, St6 33 wan di selbe ge walt X1, Lo4 / wol der selbe
gewalt K.2; seit er den selben gwalt Me2; Lücke K1a, St6 36 auch gegin eme (en K2) nit H2, K2 /
ouch nicht gegin ime O; keyn (key über der Zeile) vns ouch nichtLo4; Lücke Me2, K1a, St6 37 nicht
forten (fürchten H2) got X1 / got nicht vorchten Lo4-, nicht fochten K2; Lücke Me2, K1a, St6 39 da
for sazte got (da satzete got dar vor K1a) drigerleige hude X1, K1a / da satczte got drjerley hute
(Do sante god drier hantle lude K2) vor das paradisz Y1; da setzt got einn engel da für Me2 40 drit-
te Y1 / dritte ist X1; dritte was K1a; Lücke Me2, St6
Iesum Christum. Vgl auch Sermo XLV n. 461, LW Iv, S.382,6-9: Vel tertio: 'post me' animando nos ad
sequendum dicit, cum ipse nos praecedat pro nobis pugnando. Cyprianus in quodam Sermone dicit
quod Christus, qui semel vicit pro nobis, semper vincit in nobis. Vgl Pseudo-Cyprianus De duplici
martyrio c. 7, CSEL III,], ed. H arte l, S. 225,11: Vita Domini, qui summus fuit martyr quique et hodie
puß"nat et uincit inmartyribus... 12 Vgl Pr.49, DWII, S. 443,14-444,2: allez daz vruhtbrerliche liden
siner heiligen menscheit, daz er geliten hate in disem lebene an hunger, an durste, an kelte, an hitze, an
winde, an regene, an hagel, an snewe, an allerleie pine und dar zuo den bittern tot, daz opferte er
alzemale dem himelischen vater ze einer ere; vgl auch Pr.31, DW II, S.114,6-115,1: Diu sele sol sich
opfern mit allem dem, daz si ist und daz si hat, gebresten und tugende: daz sol si allez mit einander uftra-
gen und opfern mit dem surre in den himelischen vater. 13 Zu Z. 37 und 53 küenliche vgl. Pr. 54a,
DW II, S. 558,4j: Du bite in selber und sprich küenliche üf minen lip; Pr.104, DW Iv,Z.484-492: Wen-
ne sich aber der mensche vindet wol geordent ze warer innerkeit, so laze küenliche abe alle uzwendicheit
und w.eren ez joch solche üebunge, ze den du dich mit gelübede verbunden h.etest, die dir weder bähest
noch bischof abenemen möhten; Pr.104, DW Iv, Z. 535- 543: Vindet er in im, daz ez in hindert und daz
in daz nreher ze gote setzet, daz er ledic si, so si küenliche ledic, wan swaz dich n.eher ze gote bringet und
dich n.eher ze gote setzet, daz ist daz aller beste. 14 Der 'Liber parabolarum Genesis' (In Gen. II n.
159, LW I, S. 629,11-12) nennt als Wache vor dem Paradies den Engel (cherubim) und das.flammende
Schwert (flammeus gladius). Auch die Predigt 58 kennt nur zweier hantle huote, enoähnt aber eine zusätz-
liche Eigenschaft des feurigen Schwertes: seine beidseitige Schärfe (daz sneit ze beiden enden). Seine
24
Ecce, dies veniunt, dicit dominus
Engelische nature bezeichent als vil als luterkeit 15 • Dö gotes sun kam uf daz ertr'i:che, der
'ein luter spiegel ist ane vlecken', der brach die ersten huote uf und brahte unschult und luter-
keit in menschl'i:che nature uf daz ertriche. Salomön 16 sprichet von Kristö: 'er ist ein luter
spiegel ane vlecken'.
41 beczeichent also vel also Yi / bezeichint Xi, Kia; sol man versten Me2; Lücke St6 41 lutir-
keit Xi, Yi / luterkeit godes Kia; dy lawtrichait vnd rainchait Me2; Lücke St6 41 nach luterkeit:
des hat (enhait K2) der mensche nicht Yi; dy der mensch nicht het Me2,jehlt Xi, Kia; Lücke St6
41 daz Xi, Kia,fehlt Y; Lücke St6 42 lutir Xi, Kia,fehlt Y; Lücke St6 42 ist ane (eyn K2)
flecken (blecken K2) Y1, Kia / waz ane allin fleckin Xi; an mail ist Me2; Lücke St6 42 nach
vlecken: vnnd ein antlitcze vnd ein bilde des hymmilischen vaters an dem man genczlich gotes willen
bekennen mag Yi; vnd ein pild des hirnlischen vaters an dem man den willen gots gantz erchennen mag
Me2 43 f. Salomon sprichit von Christo. her ist ein lutir spigil ane fleckin Xi, fehlt Y; Lücke
Kia, St6
Erklärung entfällt jedoch am Schllf:13 der Predigt Das snMende swert erfährt in der Predigt 87 eine eige-
ne Auslegung und wird deshalb als dritte huote angeführt Daß in der vorliegenden Predigt die Darlegung
über die dreifache h uote „ im einzelnen auiführlicher" gestaltet ist als in der Predigt 58, die nur von zweier
hantle huote spricht, hat bereits Spamer PBB 34, S. 362 Anm 1 vermerkt. Vgl. Pr. 58, DW II,
S. 616,4-617,4: Do her Adam daz gebot brach, dö wart er uz dem paradise gestözen. Dö saste unser her-
re zweier hantle huote vür daz paradis: einen engel und ein viuric swert, daz sneit ze beiden enden. Daz
bediutet zwei dinc, durch diu der mensche wider ze dem himel komen sol, als er da von gevallen ist. Daz
erste: durch engelische nature. Sant Dionysi us sprichet, »daz engelischiu nature ist als vil als die offe-
nunge götliches liehtes«. An den engeln durch die engel und an dem liehte sol diu sele widerkriegen ze
gote, biz daz si wider kumet an den ersten ursprunc. - Daz ander: durch daz viuric swert, daz ist, daz diu
sele (wider) komen sol durch guotiu und götlichiu werk, diu in viuriger minne getan werdent durch got
und den ebenkristen. Vgl auch In Gen. II n.159, LWI, S. 629,11-12: ... item septimo de eiectione homi-
nis de paradiso et collocatione cherubim et flammei gladii ad custodiendam viam ligni vitae ...
15 Vgl. Pr. 77, DWIII, S.334,5-335,3: Einmeister sprichet, der engel si ein bilde gotes. Der ander saget,
er si nach gote gebildet. Der dritte sprichet, er si ein luter spiegel, der in im habe und in im trage glicheit
götlicher guotheit und götlkher luterkeit des stilnisses und der verborgenheit gotes, als vil ez mügelich
ist; Pr. 78, DW III, S.353,1-354,5: Waz ist ein engel? Ez sprechent drie meister drierleie rede, waz ein
engel si. Dionysi us sprichet: ein engel ist ein spiegel äne vlecken, geliutert uf daz hrehste, der in sich
enpfrehet den widerslak götliches liehtes. Augustinus sprichet: der engel ist nähe bi gote, und diu
materie ist nähe bi nihte. Johannes Damascenus sprichet: der engel ist ein bilde gotes und ist durch-
brehende allez, daz sin ist, mit dem bilde gotes ... Dar nach sprichet er, daz der engel si ein durchsni-
dendiu scherpfe, inviuric von götlicher begirde, und sprichet, daz der engel vri si von materie und so vri,
daz er vient ist der materie. Sehet, diz ist ein engel. Vgl auch Sermo XXVII,} n. 275, LW IV, S.250,Jj:
angelus, ut ait Dionysi us, est imago dei, manifestatio occulti luminis, speculum etc. Vgl. dazuDiony-
sius Areopagita De di'v. nom c. 4§ 22, PG 3,723; Dionysiaca I, S.269,1-270,3 (S): Si enim enuntiat
bonitatem divinam boniformis angelus, illud exsistens secundum participationem secundario quod est
secundum causam enuntiatum primo, imago Dei est angelus, manifestatio occulti luminis, speculum
purum, clarissimum, incontaminatum, incoinquinatum, immaculatum, suscipiens totam (si est conve-
niens dicere) pulchritudinem boniformis Deiformitatis, et munde resplendere faciens in se ipso (que-
madmodum possibile est) bonitatem silentii quod est in adytis. 16 Vgl. Sap. 7,25-26: Vapor est enim
virtutis Dei, et emanatio quaedam est claritatis omnipotentis Dei sincera, et ideo nihil inquinatum in
illa incurrit. (26) Candor est enim lucis aeternae, et speculum sirre macula Dei maiestatis, et imago boni-
tatis illius.
25
Predigt 87
45 Daz viurige swert bezeichent die götliche viurige minne, ane die der mensche niht enmac 25
ze himelr'i:che komen. Die brahte Kristus mit im und brach die andern huote uf. Wan er hate
mit der selben minne den menschen liep, e denne er in geschuof. 'Et in caritate perpetua dilexi
te'. Jeremias 17 sprichet: 'mit ewiger minne hat dich got geminnet'.
Diu dritte huote was daz snidende swert, daz was menschliche jamerkeit. Die nam unser 30
50 herre uf sich an dem hoohsten, als J esaias 18 sprichet: 'vere languores nostros ipse tulit. W rer-
liche er sol tragen unser serde'. Dar umbe ist er komen uf daz ertriche, daz er des menschen
sünde uf sich genomen hat, daz er sie vertilgete und den menschen behielte. Aber nu ist daz
himelriche offen ane allerleie huote; dar umbe mac der mensche küenliche ze gote gan. 35
Einwort suln wir noch merken, daz er ouch sprichet 19 : 'ich wil erwecken den samen Davi-
55 des oder die vruht'. Daz mac man prüeven20 , daz der engel rüerte in einer stunde des tages
daz wazzer. Da von gewan ez so groze kraft, daz ez die liute gesunt machete von allerleie suhte.
45 minne X (Lücke St6) / libe Y 46 zu X (Lücke St6) / czü dem Yi; zwm Me2 46 f. di
brachte Christus (der gotdes sun Kia) mit vme vnd brach di anderin (dritte Kia) hude (hude vf Kia)
wan (wande Kia) her hatte mit der selbin minne (minnen Kia) den menschen lib er (lib er 0, lieber
H2, liebe Kia) dan her in geschuf (in geschuf / geboren wart Kia) X/ Da gotes son quam da brach
(bracht K2) er (her K2) die ander hute ouch (die andern hüd ouch K2) uff der den (den der K2) men-
sche lib hat gehat (lib hat gehat / geliebet hait K2) mit ewiger libe e er (her K2) y (ye K2) geschaffen
wart Dy götliche (godlichen K2) libe brachte er mit öm (öm / sich K2) uff dis (dit K2) ertrich Yi;fehlt
Me2; Lücke St6 47 Et in/ vn i d Xi; vfJ. Je' Kta,Jehlt Yi; Lücke Me2, St6 (vgl Jer. 31,}: Et in carita-
te perpetua dilexi te) 48 Jeremias (Je'm O) sprichit mit ewigir minne hait dich got ge minnet Xi,
fehlt Kia, St6, Y 50 als Jesaias sprichet / alse Je'mias (H2; alse vns [vns durchgestrichen, am rechten
Rand ersetzt durch: xpc] 0) sprichit Xi; Dar umme sprichet ysa. Kia; Dy schrift spricht von öm Yi;
Lücke Me2, St6 50 vere languores nostros ipse tulit / v'e läguo'es (H2; läguor. 0) nros (H2; m. 0)
etc. Xi; Vere languores nros ipse tulit etc. Er sprichet Kta,jehlt Yi; Lücke Me2, St6 50 f. werliche
her sal tragin vnse (vnser H2) serde Xi/ got der hat durch vns werlichen geliden Kia,fehlt Yi; Lücke
Me2, St6 51 dar ummeisther cumenXi / das er darvmme komen ist Yt,jehltKia; Lücke Me2, St6
52 Abir Xi/ vnd Y; Dar vmme Kia; Lücke St6 54 Einwort sulle wir noch merken Yt,jehltX; Lücke
Me2, St6 54 ouch sprichit Xi / spricht Yi; Lücke Me2, Kta, St6 54 f. den samen Davides oder
die vruht / den samin dauidis oder di frucht Xi; dy frucht dauidis Yi; Lücke Me2, Kta, St6
55· das mag man prüfen das Yi / Wir lesen in dem ew 0 • daz Kta,Jehlt Xi; Lücke Me2, St6 55 f. Der
engil rurte in einer stunde des dagis (in ... dagis / eines tages in einer stunde H2; des dagisfehlt Kia)
daz wazzir Xi, Kia / der engel in eyner stünde des tages das wasser rürte Yi; Wann seit das wazzer so
chreftig ward das der engel zw gesatzter tzeit rüert Me2; Lücke St6 56 da von Yt, Kia / da von so
Xi; Lücke Me2, St6 56 ez [1] X/ das wasser Yt, Me2; Lücke St6
17 ler. 31,3: et in caritate perpetua dilexi te. 18 ls. 53,4: Vere languores nostros ipse tulit, et dolo-
res nostros ipse portavit; vgl. auch Matth 8,17: Ipse, infirmitates nostras accepit: et aegrotationes porta-
vit; vgl auch loh 1,29; 1 Petr. 2,24; 1 loh 3,5. 19 Vgl ler. 23,5: et suscitabo David germen iustum; vgl
Anm 1. 20 Vgl. loh 5,4: Angelus autem Domini descendebat secundum tempus in piscinam, et
movebatur aqua. Et qui prior descendisset in piscinam post motionem aquae, sanus fiebat a quacumque
detinebatur infirmitate.
26
Ecce, dies veniunt, dicit dominus
Vil grrezer ist daz, daz gotes sun rüerte menschliche nature in unser vrouwen libe. Da von ist
alliu menschliche nature srelic worden21 .
Noch grrezer srelicheit ist daz, daz got mit s'i:ner eigenen nature rüerte daz wazzer in dem
9,5 Jordane, dö er getoufet wart22 . Da mite hat er kraft gegeben allen wazzern: also wenne der 60
mensche getoufet wirt, daz er gereiniget wirt von allen sinen sünden und wirt ein kint gotes23 .
Diu allergrreste srelicheit ist daz, daz got geborn und geoffenbaret wirt in der sele an einer
geistlichen einunge. Da von wirt diu sele sreliger dan der lip unsers herren Jesu Kristi ane s'lne
10 sele und ane s'lne gotheit, wan ein ieglichiu sreligiu sele 24 ist edeler dan der tretliche lip unsers
herren Jesu Krist'l. 65
Diu inwendige gehurt gotes an der sele ist ein volbringunge aller irer srelicheit, und diu
srelicheit vrumet ir me, dan daz unser herre mensche wart in unser vrouwen sant Marien l'lbe,
und dan daz er daz wazzer rüerte. Waz got ie geworhte oder getete durch den menschen, daz
57 daz daz Xi, K2 / das Lo4, K1a; da Me2; Lücke St6 59 daz. daz X, Lo4 / dasz K2, Me2; Lücke
St6 60 also H2, K1a; alse O,jehlt Y 61 godis Xi/ vnsers hern gotes Y1; Lücke K1a, St6, Me2,
Me3b,Me8 62 dazdazX / das Y1; soMe2,Me3a,Me3b,Me8 62 ge borin vnd geoffinbaritwirt
Xi/ geborn wart vnd geuffenbaret wirt K2; geoffenbart vnnd geborn wirt Lo4-, geoffent (offenbart
Me3b, Me8) vnd ... parn wirt Me2, Me3b, Me8; sich selber pert Me3a; Lücke K1a, St6 62 f. an ei-
ner geistlichen Xi, Me2 / in geistleicher Me8, Me3b; an eyner (der K2,jehlt Me3a) liblichen Oeipleiche
Me3a) Y1, Me3a; Lücke K1a, St6 63 dy sele Y / der mensche Xi; Lücke Me3a, Me3b, K1a, St6
63 f. one sirre sele vnd one sine gotheit Xi/ an sin godheit (an sin godheitfehlt Lo4) vnnd an sine sele
Y1, Me3a,jehlt Me2, Me8, Me3b; Lücke K1a, St6 64 ein iclich Xi / ein yede Me3a; ein Y1, Me2,
Me8, Me3b; Lücke K1a, St6 64 selige Y / heilege Xi; Lücke K1a, St6 64 dan Y1, Y2, Bre 1 / wan
Xi; Lücke K1a, St6 66 Di [1] Xi, Y1 / wann dy Me3a, Brei; vnd dar vmb ... dy Me2, Me8, Me3b;
Lücke K1a, St6 68 f. waz got ie geworchte (geworte H2) oder (ober H2) geteit durch den menschin
daz in hulfin (in holfe en H2) nicht alse vmme eine bonen her inworde forenit (vor eynet H2) mit gode
Xi/ Wann (alle Y1) dy (deze Lo4) ding möchten (en mochte K2; Wann dy ding möchten/ Vnd das hiet
Me3a) der sel (der sel / ör Lo4, er K2) nicht (nichtsMe8, Me3b) frumen (gefromen Y1) an dy verainung
(ainung Me8, Me3b) gots (an ... gots / sy worden [en wurde K2] dann [dannfehltK2] vor eint mit gote
Y1) Y[Me2]; Lücke K1a, St6
21 Vgl Inioh n. 286,LW III, S.239,8-13: Sciendum ergo quod nuptiae distinguuntur triplices: pri-
mo corporales, et istae habent patrem et matrem in hoc mundo ... Secundo sunt nuptiae inter deum et
nostram naturam, et istae habent patrem in caelo, sed matrem in hoc mundo. De quibus scribitur: 'ver-
bum caro factum est' aoh 1,14). Tertio sunt nuptiae inter deum et animam, de quibus scribitur: 'et habi-
tavit in nobis'; Inioh n. 288, LWIII, S.240,12-241,2: Circa secundas nuptias notandum primo quod deus
verbum, filius, assumpsit naturam humanam, ut doceret nos passe fieri filios dei, supra prima: 'dedit eis
potestatem filios dei fieri'; et post ibidem: 'verbum caro factum est et habitavit in nobis'. Augustinus
De trinitate 1. XIII c. 14 de his nuptiis ait: »in rebus per tempus ortis illa summa gratia est quod homo
in unitate personae coniunctus est deo«, secundum illud supra primo: 'gratia et veritas per Iesum Chri-
stum facta est' aoh 1,17). 22 Vgl Matth 3,13-17; Marc. 1,9-11; Luc. 3,21-22; Ioh 1,29-34.
23 Vgl Pr. 60, DWIII, S.23,1-24,1:Da. wirt diusele ertoufet in gote und getoufet in götlicher nature und
enpfrehet dar inne ein götlich leben und ziuhet götliche ordenunge an sich, daz si geordent wirt nach
gote. 24 Vgl Pr. 32, DW II, S.146,2/: Dise stlge sol ouch besehen ein ieglichiu sreligiu sele. Auch an
dieser Stelle liest Xi heilec (heilege 0, heilge H2) statt srelec; heilec nennt Eckhart die Seele nur einmal in
27
Predigt 87
enhülfe im niht als umbe eine honen, er enwürde vereinet mit gote an einer geistlichen verei- 15
70 nunge, da got geborn wirt in der sele und diu sele geborn wirt in gote, und her umbe hat got alliu
siniu werk geworht25 •
Daz uns daz geschehe, des helfe uns got . .Amen.
69 enhülfe im/ in hulfin 0, in holfe en H2; Lücke Y, Kia, St6 70 der sele vnd di sele ge borin
wirdit in O,jehlt H2 (Hom); Lücke Y, Kta, St6 72 Daz vns daz ge sehe (geschehe H2) des helfe
vns got amen Xi / Das alle deze ( deze fehlt K2) ding an vns gesehen des helfe vns got Amen (vns got
Amen/ uch vnd mir der uatter der son etc. Amen K.2) Y1,jehlt Me2; Lücke Kia, St6
Pr:16b, DW I, S.263,2-4: Ich han ein wörtelln gesprochen in dem latine ... , daz mac man sprechen von
sant Augustinus und von einer ieglichen guoten, heiligen sele. 25 Vgl. Inioh n. 117, LW III, S.101,
12-102,2: Secundo notandum quod, sicut supra dictum est, primus fructus incarnationis verbi, quod est
filius dei naturaliter, est ut nos simus filii dei per adoptionem. Parum enim mihi esset verbum carofac-
tum pro homine in Christo, supposito illo a me distincto, nisi et in me personaliter, ut et ego essem fili-
us dei; Pr: 5b, DW I, S. 85,8-86,7: Nu sprichet ein meister: got ist mensche worden, da von ist erhrehet
und gewirdiget allez menschlich künne. Des mügen wir uns wol vröuwen, daz Kristus, unser bruoder,
ist gevarn von eigener kraft über alle krere der engel und sitzet ze der rehten hant des vaters. Dirre mei-
ster hat wol gesprochen; aber wrerliche, ich grebe niht vil dar umbe. Waz hülfe mich, hrete ich einen
bruoder, der da wrere ein rlcher man und wrere ich da bi ein armer man? Waz hülfe mich, hrete ich einen
bruoder, der da wrere ein wiser man, und wrere ich da bi ein tore? Vgl. weiter Pr: 22, DW I, S. J 76, J- 5:
Daz ist gote werder, daz er geistliche geborn werde von einer jeglichen juncvrouwen oder von einer
ieglichen guoten sele, dan daz er von Maria lipliche geborn wart; Pr: 38, DW II, S. 227,6-228,J: Der mich
vragete: war umbe beten wir, war umbe vasten wir, war umbe tuon wir alliu unseriu werk, war umbe
sin wir getoufet, war umbe ist got mensche worden, daz daz hrehste was? - ich sprreche: dar umbe, daz
got geborn werde in der sele und diu sele in gote geborn werde. Dar umbe ist alliu diu schrift geschri-
ben, dar umbe hat got die werlt geschaffen und alle engelische nature, daz got geborn werde in der sele
und diu sele in gote geborn werde; RdU, DWV, S.279,1-:--5: Mit disen gaben allen wil er uns bereiten ze
der gabe, diu er selber ist; und alliu diu werk, diu got ie geworhte in himel und in erden, diu worhte er
durch eines werkes willen, daz er daz möhte gewürken: daz ist in sreligen, daz er uns möhte sreligen.
28
PREDIGT 88 (Strauch Par. an. Nr.8 S.23)
Handschriftliche Überlieferung:
H2 Hamburg, Staats- u. Univ.-Bibl. Cod. theol. 2057, 24r-24v_
Textbestand: vollständig.
0 Oxford, Bodleian Library Cod. Laud. Mise. 479, i r- i 7v_
Textbestand: vollständig.
Textabdruck: Philipp Strauch, Par. an. Nr. 8, S. 23,2-15; Eduard Sievers, Predigten von Meister
Eckart, in: Zfd.A 15 (1872), S. 373-439, hier Nr. III, S. 381-382.
Ni Nürnberg, Stadtbibl. Cod. Cent. IV 40, 54va_54vb_
Textbestand: In dem ahten tag wart vnserm herren der nam gegeben ihesus. Nieman mak den
namen ihesus gesprechen spricht ein heilig er enwerd im zem ersten gegeben [64vb] in dem heilgen
geist Ein meister spricht in welkes sele der nam ihesus gesprochen wird daz sol geschehen an dem
ahten. (5) Der erst ist daz er seinen willen-geb in gotes willen. vnd dem leben williklich Derander
daz ist ein beglimme in ende beglimunde. Der dritte der ist ein vmbeluf vnd ein zumseben noch got
(8) Der vierd tag der ist daz alle die kreft dez menschen vfsei gerihtet zu got Dizz spricht ein mei-
ster. Wann daz di sele wirt berurt von ewigen dingen so wirt si beweget vnd von der bewegung so
wirt si erhitzet vnd von der hitzenungen so wirt si erwidit daz si vil gotes mak enphahen. ( 12) Der
junjt tag daz ist ein in sten in got. Der sehst tag daz ist daz got die sele zv lezet Der sibend tag daz
ist daz di sele vereint wirt mit got. (15) Der aht tag daz ist ein gebruchilng gotes. Al do so wirt dei-
ne (1) kint der namen gegeben ihesus.
Aus den übrigen Predigten der 'Paradisus anime intelligentis' -Sammlung ist bekannt, daß
H2 und O von einer gemeinsamen Vorlage Xi abgehen. In welchem Verhältnis diese zum
Text von Ni steht, ist nicht sicher zu bestimmen. Im Vergleich zu Xi erscheint Ni stark redi-
giert; zumindest stehen Xi und Ni in häufiger textlicher Opposition:
1 Post ... Iesus fehlt N 1
1 yme Xi/ vnserm herren Ni
1 name Xi/ namgegeben NL
2 Den namen ihesus in sprichit niman der heilegeist in wirkes dan Xi / Nieman mak den namen ihe-
sus gesprechen spricht ein heilig er enwerd im zem ersten gegeben [64vb] in dem heilgen geist NL
29
Predigt 88
x,/\
/\ J,
•
0
•
H2
Textkonstituierung: Die Texterstellung zwingt dazu, bei jeder Differenz von Xi und Ni
abzuwägen, welche Überlieferungstradition (Xi oder Ni) die als ursprünglich anzuneh-
mende Textgestalt bewahrt hat. In der Reihenfolge des sechsten und siebenten Tages, die Xi
abgeändert hat, schließt sich der Edierte Text aus inneren Gründen Ni an. Ansonsten folgt
der Edierte Text bei überzeugender Sinnrichtigkeit XL Immer aber auch wurden die Ni-
Varianten bedacht und die Möglichkeit in Erwägung gezogen, in ihnen den Text des Autors
zu sehen. Es ist zu bedenken: Ni zeigt im Gegensatz zu Xi nur geringe Spuren der Bearbei-
tung; außerdem ist der Textabschrift die thüringische Schreibsprache, die Schreibsprache
Eckharts, nicht fremd. In ihr schi=ert die md. Vorlage durch, vgl. Z. 10 erwidit (ir widit
H2, irwidit O); Z. 10 gotes (godis 0, gades H2; zu uo > o vgl. Strauch, Par. an S. XIV). Gera-
de in der Predigt 88 kommt die Funktion des Alternativstrichs / in besonderer Weise zur
Geltung: er will anders als das Le=a-Zeichen J die dem Alternativstrich nachgestellte
Lesart nicht generell als sekundär oder gar als verderbt degradieren. Wer will entscheiden,
ob der Ausgangstext hieß: Der ahte tac ist ein gebruchen gotes Xi oder Der ahte tac ist ein
gebruchunge gotes Ni?
Ül?ersetzungen: keine
Echtheit: Die Zuschreibung der Predigt an Meister Eckhart durch die Handschriften O und
H2 bietet die Gewähr, daß die kurze Skizze für eine Predigt zum Fest der Beschneidung des
Herrn tatsächlich von Meister Eckhart stammt. Auch seine Aufnahme in die Predigt- und
Expositionssammlung Ni, deren Redaktoren über mehrere Vorlagen mit Eckhart-Predigten
verfügten, deutet auf die Autorschaft Eckharts. Hinzu kommt, daß die inhaltlichen Aussa-
gen der Predigt der Lehre Eckharts in seinen deutschen wie lateinischen Werken nicht
widersprechen.
Der Aufbau der Predigtskizze ist denkbar einfach. Den Wochentagen wird jeweils eine Sen-
tenz unterlegt, die den Prediger anregen soll, diese näher auszuführen. Die stufenhafte
Anlage widerspricht nicht der Gepflogenheit Meister Eckharts. In der Predigt 'Vom edlen
30
Aufbau
Menschen' ist Eckhart den geistlichen Altersstufen (spiritales aetates) aus 'De vera religione'
(c. 26 n. 49) Augustins gefolgt. In der Predigt 89 verschmäht er es nicht, die sieben Gaben
des Hl. Geistes dem Aufbau der Predigt zugrunde zu legen. Obwohl die aufgezählten Stufen
(Erfüllung des Willens Gottes, Glühen im göttlichen Feuer, quälendes Suchen Gottes, Aus-
richtung aller Kräfte auf Gott, unentwegt in Gott stehen, mit Gott vereint sein, Zerschmel-
zen der Seele in Gott, der Genuß Gottes) aufsteigende Richtung anzeigen, ist das Thema
eines jeden Tages auf das des anderen bezogen, und jedes einzelne enthält alle übrigen in
sich.
31
Post dies octo vocatum est nomen e1us Iesus.
'Post dies octo vocatum est nomen eius Jesus. An dem ahten tage wart im der name Jesus' 1. 23,2
'Den namen Jesus ensprichet nieman, der heilige geist enwürke ez dan' 2 .
Ein meister 3 sprichet: in swelcher sele der name Jesus gesprochen sol werden, daz muoz 5
geschehen an dem ahten tage.
5 Der erste tac ist, daz er sirren willen gebe in gotes willen und dem lebe 4.
Der ander tac ist ein beglimende beglimunge 5 götliches viures.
Zuschrei bungen: viij (am rechten Rand O; am linken Rand H2) Post dies octo. Hy lerit meister eck-
art (Echard H2) der alde in wilicher sele der name ihesus gesprochin sal werdin daz muz ge schehen
an dem achtin dage. 0, H2 (Inhaltsverzeichnis: 0 fol. Jrb [Par. an. S.1], H2 fol 1v)
1 Luc. 2,21: Et postquam consummati sunt dies octo, ut circumcideretur, vocatum est nomen eius
Iesus. Der Schrifttext ist dem Evangelium zur Beschneidung des Herrn (In circumcisione Domin~ 1. Janu-
ar) entnommen. 2 1 Cor. 12,3.- Et nemo potest dicere: Dominus Iesus, nisi in Spiritu Sancto. Zu die-
sem Schriftwort vgl Sermo XXIII n. 217-225, LWIv, S. 204,1-210,12. 3 Dieses Meister-Zitat liefJ sich
im vorliegenden Wortlaut nicht nachweisen. Da jedoch die Aussage, das Sprechen des Namens Jesu in die
Seele geschehe ausschliefJlich unter der Einwirkung des m. Geistes entsprechend der Klimax der Wochen-
tage am achten Tage (das muoz geschehen an dem ahten tage Jf; Der ahte tac ist ein gebruchen gotes.
Da so wirt dem kinde der name Jesus gegeben 15-16), und derSermoXXIII'Nemo potest dicere: domi-
nu.? Iesus, nisi in spiritu sancto' mit eben dieser conclusio, die auf Johannes Damascenus verweist, schliefJt
(Sie ergo patet quomodo nemo potest dicere: dominus Jesus, nisi in spiritu sancto ), ist es nicht ausgeschlos-
sen, defJ der in Z. J erwähnte meister der Damaszener ist. Vgl. Sermo XXIII n. 225, LWIV, S. 210,6-12.- Sie
ergo patet quomodo nemo potest dicere: dominus Jesus, nisi in spiritu sancto. Et quia non dixit apostolus
'nisi in deo' vel 'nisi in patre' aut 'nisi in filio', nota quod nec quidquam potest quis dicere, nisi in spiritu
sancto, nec hoc nec illud. Act. 1: 'repleti sunt omnes spiritu sancto et coeperunt loqui' (Act 2,4). 'Coepe-
runt', inquid. Damascen us dicit- et docet ipsa rerum evidentia -quod nullus potest loqui aut verbum
formare sine spiritu et sine sui ipsius spiritu, igitur nec verbum dei sine spiritu dei, sine spiritu sancto.
Siehe Johannes Damascenus Defide orthodoxa I c. 7 Burgundionis Versio c. 7 n. 1 (ed. Buytaert
S. 25,1-27,JO). 4 Vgl. Pr. 25, DWII, S. 8,9-9,1: Daz ist ein gewissiu warheit und ein nötwarheit: swer
s'lnen willen genzl'lche gibet gote, der v;:ehet got und bindet got, daz got niht enmac, dan daz der men-
sche wil. Swer gote s'lnen willen genzl'lche gibet, dem gibet got s'lnen willen wider als genzl'lche und als
eigenl'lche, daz gotes wille des menschen eigen wirt, und hat s'ln gesworn b'l im selben, daz er niht en-
vermac, dan daz der mensche wil. 5 Im 'Sermo die b. Augustini Parisius habitus n. 11, LW V,
S. 97,15 - 98,14 unterscheidet Eckhart septem i:rtodos gratiae adventus in vas taliter ornatum; vgl S. 98,6- 7:
32
Post dies octo vocatum est nomen eius Iesus
Der dritte tac daz ist ein umbeloufende 6 und ein quelnde sele 7 nach gote.
Der viertle tac ist, daz alle die krefte des menschen sint ufgerihtet ze gote 8 . Ein meister 9
10 sprichet: swenne diu sele berüeret wirt von ewigen dingen, so wirt si beweget. Und von der
Quarto venit per modum olei subiectum penetrantis, et sie relinquitur eius effectus in anima, scilicet
illuminatio dei et inflammatio. Das Verbum beglimen (mit dem Substantiv begl'i'munge) wird im 'Finde-
buch zum mhd. Wortschatz' S.29 in der Predigt 88 (Strauch, Par. an. S.23,7) nachgewiesen. Es begegnet
auch (Lex.I, 146) in der 'Rede vom Heiligen Glauben', Str. 11 (ed Fr.Maurer, Die religiösen Dichtungen
des 11. und 12. Jahrhunderts, Bd II, Tübingen 1965, S. 575): alliz daz der himel hat bebreit unde diz mere
umbegeit unde di sunne bescinet unde di mamin beglimet, daz hat er alliz ubirmezzen mit siner
gewalt besezzen, alliz umbevangin mit sines selbis handin, in sich beslozzen: daz ist im alliz offen.
6 Vgl Cant. 3,2: Surgam, et circuibo civitatem; per vicos et plateas quaeram quem diligit anima mea,
quaesivi illum, et non inveni; vgl dazu Pr. 69, DW III, S.162,5-163,5: Dar umbe sprichet diu sele in der
minne buoche: 'ich han umbegeloufen und han gesuochet, den min sele da minnet, und ich envant sm
niht'. Si vant engel und vil dinges, aber si envant niht, den ir sele da minnete. Si sprach: 'dar nach, do
ich ein wenic oder ein lützel überspranc, do vant ich, den min sele da minnet', rehte, als ob si sprreche:
,do ich überhüpfete alle creaturen, daz 'ein wenic oder ein lützel' ist, 'do vant ich, den min sele minnet''.
Diu sele, diu got vinden sol, diu muoz überhüpfen und überspringen alle creaturen; vgl. weiter Pr. 108,
DW rv, Z. 22-27: Ze dem ersten prüeven wir die liebe. Ein heilige sprichet: diu sele, diu got liep hat
und enbrant ist an heizer gerunge, daz si got mit vlize suochet, der ist bitter und unmrere und alzemale
eislich allez, daz got niht enist, und loufet umbe in allen creaturen und enkan keine ruowe vinden. Und
als verre si sich selber vindet in der creature, also vil ist si ir selber eislich. Und diu heize gerunge der
sele diu muoz gote von not volgen als daz viure sin selbes nature volgen muoz, daz ez verzert und ver-
wandelt allez, daz ez begrifet. 7 Vgl Pr. 97, DW rv, S.228,50/: Daz dritte zeichen ist, daz diu wurzel
götlicher dinge tritet in daz herze mit kraft, als daz der mensche entsebet, daz im niht ensmecket noch
wollust engibet dan götlich dinc. Vgl auch Tauler, Pr. 60b (ed Vetter S.290,16-17. 28-30): Von disem
lebenden wasser sprach ein meister, heisset Richardus, ein grosser meister der heiligen geschrift, das die
minne hat vier grete ... Die dritte minne das ist ein qwellende minne. Von der sprach die brut in der
minne buche: 'ir tdchteren von Jerusalem, vindent ir minen geminten, sagent im das ich von minne
qwele'; vgl Richard v. St. Viktor De IV gradibusviolentae caritatis c. 10 (ed Dumeige S.135,21-25):
In hoc itaque tertio violente caritatis gradu, nichil animo satisfacere potest preter unum, sicut et nichil
sapere nisi propter unum. Unum amat, unum diligit, unum sitit, unum concupiscit. Ad ipsum anhelat,
in ipsum suspirat, ex ipso inardescit, in ipso requiescit. 8 Vgl Pr. 19, DW I, S. 313,1-2: Swer da stat,
des lide sint geordent. Er wil sprechen, daz daz oberste teil der sele sol starr ufgerihtet streticliche; vgl
RdU, DWV, S.265,1-9: So spriche ich: deste baz bedarft du, daz duze dinem gote gangest; wan von im
wirst du enzündet und hitzic und in im wirst du geheiliget und im aleine zuogevüeget und geeiniget,
wan die gnade vindest du in dem sacramente und niendert anders als eigenlichen, daz dine liplichen
krefte da werdent geeiniget und gesament von der wirdigen kraft der liplichen gegenwerticheit unsers
herren lichamen also, daz alle zerströute sinne des menschen und gemüete diu werdent hier inne
gesament und geeiniget, und die sunderliche waren ze sere geneiget, die werdent hie ufgerihtet und
gote ordenlichen erboten. 9 Vgl. Pr. 68, DW III, S.151,4-7: Die meister harrt groze vragen in der
schuole, wie daz mügelich werde der sele, daz si got bekennen müge? Ez enist niht von gotes gerehticheit
noch strengicheit, daz er vil heischet von dem menschen; ez ist von s'i:ner grozen milticheit, daz er wil,
33
Predigt 88
10 bewegunge so wirt si erhitzet. Und von der erhitzunge so wirt si erwi:tet, daz si vil guotes mac
enpfähen.
Der sibende tac ist, daz diu sele vereinet wirt mit gote 13 .
daz sich diu sele wite, daz si vil enpfähen müge, daz er ir vil geben müge; vgl. auch Pr. 57, DW II,
S. 604,3- 5: Die vierden enpfähent sin noch me; aber bi wilen entziuhet er sich durch niht, wan daz er
sie reize und wit mache an der begerunge. Ez ist gewis: der unser ieglichem sinen schöz wolte vüllen,
unser ieglich machete sirren schöz wit, daz er vil enpfähen mähte. Vgl. Augustinus En. in Ps. 83 n. 3,
CCSL XXXIX, ed. Dekkers / Fraipont S.1148,31-35: Desiderium eorum differtur, ut crescat; crescit,
ut capiat ... Ad capiendum Deum exercere. 10 Nach dem 'Findebuch zum mhd. Wortschatz' S.188
findet sich einzig in der Predigt 88 das Verbum instarren (0, H2) belegt. Es darf vermutet werden, daß Nt
(in sten) die ursprüngliche Lesart bewahrt hat. 11 Vgl. Pr. 3, DW I, S. 56,4-11: Da. von sprichet Pau-
lus: 'got wonet in einem liehte, da niht zuoganges enist'. Er ist ein inhangen in sin selbes luter wese-
licheit, da niht zuohangendes enist. Swaz zuoval hat, daz muoz abe. Er ist ein luter instan in im selber,
da noch diz noch daz enist; wan swaz in gote ist, daz ist got. Einheiden meister sprichet: die krefte, die
under gote swebent, die harrt ein inhangen in gote, und swie sie harrt ein luter instan in in selber, sö hant
sie doch ein inhangen in dem, der weder begin noch ende hat; wan in got mac niht vremdes gevallen;
zu instan vgl. auchPr.13a, DW I, S.225,8-15: Got ist ein einvaltig instan, ein insiczen in sich selber. Ein
ieklich creature nach der edelkeit ir nature, so si me insiczet in sich selber, so si sich me vs butet. Ein
enveltig stein als ein dupstein der bewiset nut me, denne das er ein stein ist. aber ein edel-stein, der gros-
se kraft hat, in dem das er hat ein instan, Ein insiczen in sich selber, in dem selben reket er ieczet das
hopt vf vnd luget vs. die meister sprechent, Das kein creature so gros insiczen in sich selber habe alse lip
vnd sele, Vnd hat öch enkein so gros vs gen so diesele nach irme obersten teil. 19 Strauch, Par. an.
deµtet zu leisit 0, zu lesit H2, zv lezet N 1 im Wortverzeichnis seiner Ausgabe 'Paradisus anime intelligen-
tis' S.169 als zuolazen (Par. an. S. 23,13). Der Kontext der Predigt spricht gegen die Bedeutung des Verbums
im Sinne Strauchs. Zu leisit miif/ die Bedeutung von liquefacere haben, wenn der sehste tac als vorletzte
Stufe im Aufstieg der Seele zu Gott verstanden werden soll. Die Vergleiche mit dem 'Liber parabolarum
Genesis' legen dieses Verständnis nahe: In Gen. II n. 147, LW I, S. 617,1-5: Iustitia loquendo iustificat,
iustus audiendo iustitiam iustificatur, gignitur iustus, fit filius iustitiae amisso omni quod non iustum
est in se ipso et liquefacto, transformatur in iustitiam et conformatur, Cant. 5: 'anima mea liquefacta est,
ut dilectus locutus est'. 13 Vgl. Pr. 32, DW II, S.142,2- 3: und swenne sich daz götliche lieht giuzet in
diesele, sö wirt diu sele mit gote vereinet als ein lieht mit liehte; Pr. 58, DW II, S. 615,11-13: Swanne
diu sele mit gote vereinet wirt, sö hat si an im allez, daz iht ist, an aller volkomenheit. Diu sele vergiz-
zet da ir selbes und aller dinge, als si an ir selben ist, und bekennet sich an gote götlich, als vil als got in
ir ist; Pr. 82, DW III, S.429,8-430,4: Sant Dionysius sprichet, daz diu obersten dinc ergiezent sich uf
diu nidersten und diu nidersten in diu obersten und vereinent sich in den obersten. Also wirt diu sele
vereinet in gote und beslozzen, und da entglitet ir diu gnade, daz si mit der gnade niht me enwürket,
sunder in gote götliche.
34
Post dies octo vocatum est nomen eius Iesus
14 Vgl. RdU, DW V, S.270,11-271,1: Sich, da solt du zwei dinc merken an dir, diu ouch unser herre
an im hate. Er hate die obersten und die nidersten krefte; die haten ouch zwei werk: si:ne obersten kref-
te die haten eine besitzunge und eine gebrochunge ewiger scelicheit; Pr. 52, DW II, S. 493,7-494,1: Her
umbe ,so biten wir got, daz wir gotes ledic werden und daz wir nemen die warheit und gebrochen der
ewicli:che, da die obersten engel und diu vliege und diu sele glich sint in dem, da ich stuont und wolte,
daz ich was, und was, daz ich wolte; Pr. 80, DW III, S. 388,5j: Daz uns daz guot müeze werden, daz got
selber ist und daz wir si:n ewicHche gebrochen müezen, des helfe uns got. Amen; Pr. 84, DWIII, S. 465,5f:
Daz wir hie schri:ten und sterben müezen, daz wir si:n gebrochen mügen in der ewicheit, des helfe uns
got.Amen.
35
PREDIGT 89 (Strauch Par. an. Nr.10 S. 26-27)
Handschriftliche Überlieferung:
H2 Hamburg, Staats- u. Univ.-Bibl. Cod. theol. 2057, 28v-g9v_
Textbestand: vollständig.
0 Oxford, Bodleian Library Cod. Laud. Mise. 479, 2or-2ov.
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Textabdruck: Philipp Strauch, Par. an. Nr.10, S. 26,22-27,27; Eduard Sievers, Predigten von
Meister Eckart, in: ZfdA 15 (1872), S. 373-439, hier Nr. IV, S. 382-383.
Filiation der Handschriften: Die beiden Handschriften H2 und O unterscheiden sich nur
in wenigen Wörtern voneinander. Die registrierenswerten Differenzen verzeichnet der
Variantenapparat. Auch für die Predigt 89 besteht kein Zweifel, daß beide Textzeugen von
der einen gemeinsamen Vorlage Xi unabhängig voneinander abgeschrieben sind.
Textkonstituierung: Die Erstellung des Edierten Textes muß sich vollständig auf den Wort-
laut von H2 und O verlassen. An welchen Stellen die Schreiber von Xi und X den Text ihrer
Vorlagen verlassen haben und wie vertrauenswürdig der Text von X und wiederum dessen
Vorlage einzuschätzen ist, entzieht sich völlig unserer Kenntnis. Trotzdem ist der Xi-Text,
den der Edierte Text bietet, kein Konstrukttext: er ist jener Text, den zumindest der Xi-
Schreiber für den Text Eckharts gehalten hat.
Übersetzungen: keine
Echtheit: Die Echtheit der Predigt ist sowohl durch das Zeugnis der Handschriften H2 und
0 als auch durch die zahlreichen inhaltlichen und textlichen Übereinstimmungen mit den
deutschen Predigten und lateinischen Werken Eckharts erwiesen.
Der Aufbau der Predigt, die in der überlieferten Gestalt nicht vollständig zu sein scheint,
läßt vier verschiedene Abschnitte erkennen.
Der 1. Abschnitt (1-2) gibt verkürzt das Schriftwort Matth. 2,19-20, ohne jedoch
irgendein Wort nach dem Muster der Homilie näher auszulegen. Hier muß man eine Lücke
in der Predigt vermuten.
Der 2. Abschnitt (3-8) bringt unvermittelt Ausführungen über den Bedeutungsreich-
tum der Heiligen Schriften, die sich weitgehend mit denen aus dem 'Prologus in libro Para-
bolarum Genesis' decken.
Der 3. Abschnitt (9-26) beantwortet die Frage, warum Gott den Menschen zuletzt und
als aller creature vollwmenheit ( 11) erschaffen habe. Als Gründe gibt Eckhart an, daz diz bil-
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Aufbau
de der heiligen drivalticheit geschaffen sei, an der sele (13f.), daß die Seele Gemeinschaft mit
der engelischen nature habe und daß sie aller creaturen glfchnisse und volkomenheit ( 15) besit-
ze. Infolgedessen kann Gott im Menschen dessen volkomenheit und aller creature beschouwen
(16 f.) und wie in einem Spiegel betrachten (bespiegeln). Zum Beweis, daß der Mensch daz
beste under allen creaturen ( 17) sei, obwohl er zuletzt geschaffen wurde, führt Eckhart Moses
und Augustinus als Beispiele an, die als Schriftsteller ihr jeweils letztes Buch als höchstes
schätzten: Moses habe vier buoch gemachet, das vünfte, das minste, sei das beste gewesen: er
hiez ez die warheit von aller der schrift ( 19 ). Viele Bücher hätte auch Augustinus geschrieben,
als letztes auch ein kleinez buochelfn (20 f.), das ihm daz liebeste (22) war: in ihm was geschri-
ben allez daz man in den andern nihtverstan enkunde (21). Wie Moses und Augustinus jeweils
ein Buch als ihr Lieblingsbuch schufen, so hat Gott den Menschen gemachet als ein hant-
buoch, dar er fn sihet und da er mite spilet und lust ane hat (23f.). Es ist deshalb große Sünde,
wenn der Mensch dise heilige ordenunge (24) zerstört.
Der 4. Abschnitt (27-37) knüpft unmittelbar an das Schriftwort der Predigt an und exe-
gesiert die Rückkehr Josefs aus Ägypten ins Hl. Land, in dem nach dem Tode des Herodes alle
Feinde Jesu (gotes) beseitigt sind: a) Wie gote daz lant von denen geräumt wurde, die in hin-
derten (28), so muß auch die Seele frei gemacht werden t1on sünden, damit sie gereht sei und
Gott mit ir wonen (29) könne. b) Wie das Land, da got inne geborn was (34), befriedet wurde,
indem es einem Kaiser untertan war, so soll auch ganzervride (36) in der Seele sein, wenn das
Niedere dem Oberen gehorcht.
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Angelus domini apparuit.
'Angelus domini apparuit' etc. 'Der engel offenbarte sich Joseph in dem-slafe und sprach ze 26, 23
im: nim daz kint' 1 etc. ·
Ein meister 2 sprichet, daz diu schrift ist an irm sinne als ein vliezende wazzer, daz bi siten 25
uzbrichet und machet tiefe und tiche nützliche und vliuzet doch vür sich. Sant Augustin us 3
5 sprichet: diu schrift ist nützlrche verborgen an irm sinne, daz man die ersten warheit zehant
Zuschrei bungen: x. (am rechten Rand O) Angelus domini apparuit. Hi (jehltH2) an disir [fol. 1va O]
predigade be wisit meister eckart (echart H2) wan gode gerumit wirt vnd da vride ist so kumit got zu
der sele 0, H2 (Inhaltsverzeichnis: Ofol rb-va [Par. an. S.2], H2fol.1")
1 Matth 2,19-20: Defuncto autem Herode, ecce apparuit angclus Domini in somnis Ioseph in
Aegypto, (20) dicens: Surge, et accipe puerum, et matrem eius, et vade in terram Israhel: defuncti surrt
enim, qui quaerebant animam pueri. Der Schrifttext steht im Evangelium der Vigil zum Fest der Erschei-
nung des Herrn. Die Auslegung des Schrifttextes läj]t erkennen, daß der Predigt ausschließlich Matth
2,19-20 und nicht etwa 1\llatth 2,13 zugrunde liegt. 2 Vgl. Prol in Gen. II n. 2, LW I, S 449,4-450,10:
Ratio praemissorum videtur. Nam 'spiritu sancto locuti surrt sancti dei homines', 2 Petri 1 (2 Petri 1,21);
spiritus autem sanctus docet omnem vcritatcm, loh. 16 (Ioh 16,13). Cum ergo sit »sensus« etiam »lit-
teralis, quem auctor scripturae intendit, deus autem sit auctor sacrae scripturae«, ut dictum est, omnis
scnsus qui verus est sensus litteralis est. Constat enim quod omne verum ab ipsa veritate est, in ipsa inclu-
ditur, ab ipsa derivatur et intcnditur. Exemplum ponit Augustin us XII Confessionum de fonte et rivis
ab ipso deductis seu defluentibus. Unde prius in eodem libro deo loquens sie ait: »dum quisque conatur
id sentire in scripturis sanctis, quod in eis sensit ille qui scripsit, quid mali est, si hoc sentiat, quod tu, lux
omnium vcridicarum mentium, ostendis verum esse, etiamsi non hoc sensit ille quem legit, cum et ille
verum, neque tarnen hoc sensit?« Et parum prius ibidem: »quid mihi obest, cum diversa in eisdem ver-
bis intelligi possunt, quae tarnen vera sunt« et in una lucis veritate vera surrt? »Deus« cnirn, veritas ipsa,
»auctor scripturae, omne« quod verum est »simul suo intellectu comprehendit«, inspirat et intendit.
Propter quod, ut ait Augustin us, ipsam seripturarn sie fecundavit, ut in ipsa sparserit et impressum
sigillaverit omne quod intellectus omnium elicere potest. Der meister darf mit A ugustinus identifiziert
werden, da sein erwähnter Ausspruch inhaltlich mit dem exemplum des Prologs zum 'Liber parabolarum
Genesis' übereinstimmt, das aus Augustins Confess. XII c. 27 n. 37, CCSL XXVII, ed. Verheijen
S. 236,1-237,7 stammt: Sicut enim fons in paruo loco ubcrior cst pluribusque riuis in ampliora spatia flu-
xum ministrat quam quilibet eorum riuorum, qui per multa locorum ab eodem fonte deducitur, ita nar-
ratio dispensatoris tui sermocinaturis pluribus profutura paruo sermonis modulo scatet fluenta liquidae
ueritatis, unde sibi quisque uerum, quod de his rebus potcst, hie illud, ille illud, per longiores loquella-
rum anfractus trahat; vgl. auch Augustinus Confess. XII c. 18 n. 27, CCSL XXVII, ed. Verheijen
S.229,10-230,18: Omnes quidem, qui legimus, nitimur hoc indagare atque comprehendere, quod uoluit
ille quem legimus, et cum eum ueridicum credimus, nihil, quod falsum esse uel nouimus uel putamus,
audemus eum existimare dixisse. Dum ergo quisque conatur id sentire in scripturis sanctis, quod in eis
sensit ille qui scripsit, quid mali est, si hoc sentiat, quod tu, lux omnium ueridicarum mentium, osten-
dis uerum esse, ctiamsi non hoc sensit ille, quem legit, cum et ille uerum nec tarnen hoc senserit?
3 Vgl. Pr.22, DW I, S.381,3-5: Ein vrage was gester in der schuole under gr6zen pfaffen. »Mich wun-
dert«, sprach ich, »daz diu geschrift also vol ist, daz nieman daz allerminste wort ergründen cnkan«;
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Angelus domini apparuit
niht vinden enkan. Dar umbe vindet man manige nützliche und lustliche rede, diu wol bi der
30 ersten warheit bestat, als Moyses 4 sprichet, daz wazzer boben uns und b'i: nidere uns sint. Wer
kan daz bevinden 5?
Die heiligen 6 vragent, warumbe unser herre got denmenschen zeleste schuof, do er alle
creaturen geschaffen hate. Daz mac diu heimlichste sache sin und ein warhaftigiu sin, daz er 10
aller creaturen volkomenheit zemale hat geschaffen an dem menschen. Dar umbe giene diu
35 heilige drivalticheit ze rate 7, do si den menschen schepfen wolte und sprach: 'machen wir den
6 und lustliche rede / rede vnd lustliche X1 9 schuof / schuffe O; schuffe H2 12 wir
den / w' etc den X1
Pr. 51, DWII, S. 465,4 und S. 466,3- 5: Es spricht mein herr sant Augustin, Das die geschrifft sey ein
tieffes mor ... Mich wundert, das die heilig geschrifft so voll ist, vnnd die meyster sprechenL, das man
sey nit bedeütten mog also bloß, als sy ist, Vnnd sprechent, ob icht grobes darinne sey, das soll man auff
thvn; aber man bedarff dar zv gleichnuß. Vgl Ambrosius Ep. 2 n. 3, PL 16, 918A: Mare est Scriptura
divina, habens in se sensus profundos ... ; Gregorius 1\/I. Hom in Ez. I hom. 6 n. 13, PL 76, 834C: :Nec
immerito mari simi1is Scriptura sacra dicitur, ... ; vgl. auch Sermo XXTV) n. 227, LW IV, S.213,1-2:
Augustin us Super Genesim ad litteram 1. II: »maior est scripturae huius auctoritas quam omnis huma-
ni ingenii capacitas«; vgl. weiter In loh. n. 745, LW III, S. 649,9-650,3: Divinorum etiam est excellentia
nobis ea non nude praeponi, sed sub figuris rerum sensibilium occultari, secundum illud Rom. 1 (Rom.
1,20): 'invisibilia dei per ea quae facta sunt a creatura mundi intellecta conspiciuntur', et Cor. (1 Cm:
13,12): 'videmus nunc per speculum in aenigrrrnte'. »Mentis enim humanae acies invalida in tarn excel-
lenti luce non figitur, nisi per iustitiam fidei nutrita vigorctm«, ut ait A ugustinus De trinitate 1. I c. 2.
Et Dionysi us dicit: »impossibile est nobis aliter lucere divinum radium nisi velaminum varietate cir-
cumvelatum«, primo capitulo Caelestis hierarchiae. 4 Gen. 1, 7: Et fecit Deus firmamentum, divisit-
que aquas, quae erant sub firmamento, ab his, quac erant super firmamenLum. 5 Vgl. In Gen.In. 88,
LW I, S. 246,4-6 (Rec. L, LW I,2, S. 129,10-12): Et quamvis de hoc, sicut et de aquis super caelos, pluri-
ma sint scripta ab aliis, quae dimitto nunc et alias propter brevitatem, sicut in Prologo promissum
est ... Eckhart hat auch im 'Liber parabolarum Genesis' Gen.1,7 nicht ausgelegt. Vgl. noch In Gen.In. 92,
LW I, S.250,9-10 (Rec. L, LW I,2, S.133,19-21): ... vel quia de re occulta et incognita sive latente non
debet dici quod sit bona, quia non esse scitur. Tales autem sunt aquae 'super firmamentum' (Gen. 1,7).
6 Vgl. Petrus Lombardus Sent. II d.15 c. 5 (Ed. Grouaferrata lib. I et II, S.402,2-4): Quare post omnia
factus est homo. Omnibus autem creatis atque dispositis, novissime factus est homo, tanquam dominus
et possessor; qui et omnibus praeferendus erat. Vgl. auch In Gen.In. 131, LW I, S.284,9-285,3 (Rec. L,
LW I,2, S.169,3-9): Ultimo notandum circa opus sextae diei quod ultimo omnium formatus est homo.
Ubi duo sunt notanda. Primo, quod universaliter perfectiora et praestantiora sunt prima in intentione et
ultima in exsecutione. Et quanto aliquid est longius sive posterius ab intentione et finc et per consequens
minus bonum, tanto est prius in exsecutione, posterius in intentione. Exemplum in domo et quolibet
opere artis et naturae. Sie ergo homo, utpote perfectior omni creatura huius mundi, ultimo omnium
formatus est; In Gen.In. 133, LW I, S.286,6-287,1 (Rec. L, LW I,2, S. 169,23-25): Tertio notandum quod
propter hanc perfectionem homo est et dicitur minor mundus. Hanc etiam perfectionem hominis ipsa
sua statura indicat, sicutdicuntsancti et Glossae. 7 Vgl In Gen. In.120,LWI, S.275,5-9 (Rec. L,
LWI,2, S.159,6-1 O): Rursus faciamus. Dicunt expositorcs ex hoc verbo faciamus significari hominem pro
sui dignitate prae aliis creaturis factum quasi ex consilio divino. Quod quidem verum est, si intelligamus
hominem factum de consilio, quia fecit ipsum consiliativum, secundum illud Eccli. 15 (Eccli. 15,14):
'deus ab initio constituit hominem et reliquit eum in manu consilii sui'; vgl. auch Pr.109, DW IV,
Z. 13-18: Aber daz ich mache, daz mache ich selber und mit mir selber und in mir selber und drücke
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Predigt 89
menschen ze unserm bilde'8 • Dar ane ist bew1set, daz diz bilde der heiligen dr1valticheit
geschaffen ist an der sele 9. Ze dem andern male: engelische nature, die si gemeine hat mit den
15 engeln 10 und aller creaturen gllchnisse und volkomenheit zemfile, ist geschaffen an dem men-
schen, daz got s1ne volkomenheit und aller creaturen beschouwen und bespiegeln müge an dem
menschen 11 . Und hat bew1set, daz der mensche s1 daz beste under allen creaturen 12 . Moyses 27,5
hate gemachet vier buoch 15 , diu nütze wii.ren. Dar nach mahte er daz vünfte 14 . Daz was daz
min bilde dar in. 'Wir machen einen glichen': niht du, vater, noch du, sun, noch du, heiliger geist, wir in
dem rate der heiligen drivalticheit, wir machen einen glichen. Do got den menschen gemachte, do
worhte er in der sele sin 'glichez' werk und sin würkendez werk und sin iemerwerndez werk. Daz werk
was groz. Und daz werk was niht anders dan diu sele. Und diu sele was niht anders dan daz werk gotes.
8 Gen. 1,26: Faciamus hominem ad imaginem et similitudinem nostram; vgl. Pr.1, DW I, S. 5,5 -6,1: Dir-
re tempel, da got inne hersehen wil gewalticliche nach sinem willen, daz ist des menschen sele, die er
so rehte glich nach im selber gebildet und geschaffen hat, als wir lesen, daz unser herre sprach: 'machen
wir den menschen nach unserm bilde und ze unser glichnisse'. Und daz hat er ouch getan. Als glich hat
er des menschen sele gemachet im selber, daz in himelriche noch in ertriche von allen herliehen
creaturen, diu got so wünniclich geschaffen hat, keiniu ist, diu im als glich ist als des menschen sele alei-
ne. 9 Vgl SermoII,1 n. 3,LWIV, S. 5,10-6,5: Sie et ipsa trinitas beata, deus unps, in mundo veniens,
immo mundum creans elegit sibi, quin potius construxit melius hospitium, meliörem creaturam huius
mundi, hominem scilicet, Gen.1 (Gen. 1,26): 'faciamus hominem' etc. 'Faciamus' et 'nostram': ecce per-
sonarum pluralitas. 'Ad imaginem': ecce essentiae unitas. »Eo autem imago est, quo capax dei est«, deum
suscipit in se. loh. 14 (Ioh 14,23): 'pater meus diliget eum': ecce trinitas. Sequitur: 'ad eum veniemus et
mansionem apud eum faciemus'. Aptum profecto hospitium, ubi nobile triclinium, memoria, intellec-
tiva et voluntas, tria haec, una substantia, una mens, una vita; vgl auchPr.14, DW I, S. 230,6-231,4: Stant
vp iherusalem ind verheiff dich ind werde verluchtet. De myster inde de heylgen sprechent gemeynli-
chen, dat de sele haue dri creften, dar an sy gelich sy der dryueildicheit. De eirsten craft is gehochnys-
se, de ment eyne heymeliche, verborgen konst; de nennet den vader. De ander craft heyscht inteligen-
cia, dat is eyne intgegenwordicheit, eyn bekennen, eyne wysheit. Dey dirde crafte de heysset wylle, eyn
vloit des heylgen geistes. hey by in wylen wir neit bleuen, want it in is neyt nuwe materie. 10 Vgl
Pr.43, DW II, S.317,7-318,2: Vernünfticheit ist daz oberste teil der sele, da si hat ein mitesin und ein
ingeslozzenheit mit den engeln in engelischer nature. Diu engelische nature enrüeret keine zit; also
entuot vernünfticheit, diu der 'man' ist in der sele: diu enrüeret keine zit; vgl auch Pr.20b, DW I,
S. 347,9-348,4: Ich spriche von einem andern knehte, daz ist der engel. Noch sprechen wir von einem
knehte, von dem ich me gesprochen han, daz ist vernünfticheit in dem umbekreize der sele, da si rüe-
ret ·engelische nature und ist ein bilde gotes. In disem liehte hat diu sele mit den engeln gemeinschaft
und ouch mit den engeln, die in der helle vervallen sint und hant doch behalten den adel ir nature.
11 Vgl Pr.96, DW Iv, S.216,36-39: Wan ein heidenisch meister sprichet: alliu volkomenheit der sele
liget dar ane, daz si habe glichnisse gotes, engel und aller creaturen, als ich ouch me gesprochen han, daz
glichnisse und volkomenheit aller creaturen ist geschaffen an den engeln geistliche, e sie geschaffen
wurden an den creatüren. Nach dem 'Findebuch zum mhd. Wortschatz' S. 39findet sich in der Predigt 89
noch ein Beleg des Verbums bespiegeln. 12 Vgl In Gen.In. 132, LW I, S. 285,10-12 (Rec. L, LW I,2,
S.169,15-17): ... sie eodem modo homo, utpote perfectius animal omnium, se habet ad alia animalia ita,
ut omne animal sit imperfectum quoddam et aegritudo hominis; In Gen.In. 183, LWI, S. 326,5f (Rec. L,
LW I,2, S.211,15/): Adhuc autem quarto perfectiori modo et praestantiori gradu invenitur spiritus vitae
in homine, nobilissimo animalium ... ; vgl weiter In Gen. II n. 153.155-158, LW I, S. 623,6-624,2.
S. 625,11-629,2; vgl auch Anm 8, 9 und 17. 13 Gemeint sind die Bücher des Pentateuchs:Liber Gene-
sis, Liber Exod~ Liber Levitic~ Liber Numerorum und Liber Deuteronomii. 14 Vgl. Isidorus
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Angelus domini apparuit
minste und daz beste, und hiez ez die warheit von aller der schrift. Daz gebot got und Moyses ze
legenne in die arche 15 • Sant Augustin us machete ouch vil büecher. Ze leste machete er ouch 20
ein kleinez buochel1n, in dem was geschriben allez, daz man in den andern niht verstan enkun-
10 de 16 . Daz hate er alle z'i:t mit im und b'i: im und was im daz liebeste. Also ist ez zemale umbe den
menschen 17 : den hat got gemachet als ein hantbuoch, da er 1n sihet und da er mite spilet und
lust ane hat 18 . Dar umbe tuot der mensche groze sünde, swenne er dise heilige ordenunge
zerstreret 19 . Wan an dem jüngesten tage suln alle creaturen 'wafen' schrien über den, der daz 25
tuot.
1s Nu suln wir prüeven, daz nach dem tode Herodes Joseph wider solte komen in daz lant, da
gote gerumet20 was von den, die in hinderten 21 • Also muoz gote gerumet werden von sünden,
daz diusele gereht s'i:, ob got mitir wonen sol. Sant Johannes sprichet: 'daz ware lieht kam in
quod Latine interpretatur secunda lex, id est repetitio et evangelicae legis praefiguratio; quae sie ea
habet quae priora surrt, ut tarnen nova sirrt omnia quae in eo replicantur. 15 Vgl. Deut. 31,26: Tollite
librum istum, et ponite eum in latere arcae foederis Domini Dei vestri: ut sit ibi contra te in testimonio.
16 Ph. Strauch, Par. an. S. XXX vermerkt mit Recht: ,,Gemeint sind die Retractationum libri duo (ed
Knöll, Sancti Aureli Augustini Retractationum libri duo [CSEL XXXVI], Wien-Leipzig 1902) ".
17 Vgl In Gen.In. 121, LW I, S.277,2-278,2 (Rec. L, LW I,2, S.159,26-161,11): Notandum quod homo a
principio creationis accepit praestantiam naturae excellentiorem prae aliis creaturis mundi inferioris: et
praesit ait. Secundo accepit consequenter dominium super illa, cum dicitur: 'et dominamini piscibus
maris'. Circa quod notandum quod naturaliter in ordine naturae superiora dominantur et regulant infe-
riora, inferiora vero naturaliter oboediunt et subiciuntur superioribus suis. Ratio huius est, quia ordo re-
.. rum creatarum est nexus et unitas ipsarum et unitas universi. Unde omne quod est nititur conservare
suam unitatem sicut suum esse, ut dicit Boethius III De consolatione. Et omne quod est ordinem ser-
vare naturaliter conatur. »Est enim quod ordinem retinet servatque naturam; quod vero ab hac deficit,
esse, quod in sua natura situm est, derelinquit«, ut ait B o eth i us IV De consolatione. Quia igitur homo
praeest et praecellit in ordine rerum creatarum corporalium, consequenter ipsi debetur dominium super
illa. 18 Vgl. Prov. 8,30-31: Cum eo eram, cuncta conponens. Et delectabar per singulos dies, ludens
coram eo omni tempore, ludens in orbe terrarum; et deliciae meae esse cum filiis hominum. 19 Vgl.
RdU, DW V, S.289,7-10: Also enist niht in gote, daz dehein dinc zerstrere, daz iht wesens hat, sunder er
ist ein volbringer aller dinge. Also ensuln wir kein kleine guot in uns zerstreren noch kleine wise durch
eine groze, sunder wir suln sie volbringen in daz aller hreste; Pr. 57, DW II, S. 595,4-6: Sant Dionysi us
sprichet: »der götliche vride durchvert und ordent und endet alliu dinc; und entrete der vride des niht,
so zervlüzzen alliu dinc und enhreten keine ordenunge«. 20 Zum Gebrauch von rumen swv. c. dat vgl.
Pr.19, DW I, S.312,5 - 9: Daz wort liget in der sele verborgenliche, daz man ez niht enweiz noch niht
enhreret, im enwerde denne gerumet in dem grunde des hrerennes, e enwirt ez niht gehreret; mer, alle
stimme und alle lute die müezen abe und muoz ein luter stilnisse dä sin, ein stilleswigen; vgl auch Pr.
LXXV, Pf S.235,26: Als diu siule oder äle rumet dem dräte, daz der drät bindet den schuoch ... ; vgl.
weiterhin Tauler, Pr. 6 (ed Vetter S.26,26-29):Aber die diseme (= grunt) rument und sich ime müssi-
gent und bilde abelegent ... , den ist daz joch Gottes uber honig und uber allen den smag süsse ... ; abso-
lut gebraucht wirdrumen in Pr.96, DW Iv, S.218,52-54: Also lange würket diu gnade mit der sele, daz
si selber rumen muoz, wan si ein creatfue ist, daz da niht enblibet dan got und diu sele sunder mittel.
21 Vgl Matth 2,19-20. Siehe oben Anm. 1.
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Predigt 89
30 die werlt und diu werlt enpfienc sin niht' 22 • Er wil sprechen: ez envant keine stat, da ez
behaftenmohte. Darumbe enwart ez niht enpfangen. Ein meister 23 sprichet: wilt du gotmit 20
einem lutern herzen enpfähen und bekennen, so vertrip von dir vröude, vorhte, hoffenunge.
Daz ist von dem ersten, wie man gote rumen sol.
Daz an der ist der vride, der in dem lande was, da got inne geborn was. Daz prüevet man da
35 bi, daz alliu diu werlt einem keiser zuo gehrerte und undertamic was 24 . Ouch prüeve ich ez bi 25
den drin künigen, die so verre landes kamen 25 • Also sol ganzer vride sin in der sele. Da ist rehter
vride, wa daz niderste dem obersten undert.:enic ist26 .
35 nach undertamic was: Hie nota historiam Xi 37 nach undertamic ist: Bide wir etc. Xi
22 Ioh. 1,9-11: Erat lux vera, quae illuminat omnem hominem venientem in mundum. (10) In
mundo erat, et mundus per ipsum factus est, et mundus eum non cognovit. (11) In propria venit, et
sui eum non receperunt. 23 Vgl. Pr. 69, DW III, S.166,2-4: Boethi us sprichet: »wilt du die wärheit
luterliche bekennen, so lege abe vröude und pine, vorhte und zuoversiht oder hoffenunge«; In Exod n.
12, LW II, S.17,9-18,3: B oeth i us I Consolationis capitulo ultimo sie ait: »tu quoque si vis lumine cla-
ro cernere verum«, »gaudia pelle, pelle timorem spemque fugato nec dolor assit. Nubila
mens est vinctaque frenis, haec ubi regnant«; vgl. weiterhin Pr. 94, DW IV, S.149,70- 72: Suln wir hie
zuo kamen, daz in uns entdaht werde disiu 'klarheit', so muoz diu sele entblcezet werden hoffenunge,
vorhte, vröude, jämer, alles des, daz anegevallen mac. 24 Vgl. Luc. 2,1: Factum est autem in diebus
illis, exiit edictum a Caesare Augusto ut describeretur universus orbis. 25 Vgl. Matth. 2,1-2: Cum
ergo natus esset lesus in Bethleem Iudaeae in diebus Herodis regis, ecce magi ab oriente venerunt Hiero-
solymam, (2) dicentes: Ubi est qui natus est rex Iudaeorum? vidimus enim stellam eius in oriente, et
venimus adorare eum. 26 Vgl. Pr.} 1, DW II, S.121,3 -123,1: Nu sprechen wir von der ordenunge der
sele. Ez sprichet ein heidenischer meister: daz überswebende natiurlich lieht der sele daz ist so luter
und so klär und so hoch, daz ez rüeret engelische nature; daz ist so getriuwe und so ungetriuwe und so
gram den nidersten kreften, daz ez sich niemer in sie gegiuzet noch der sele niemer engeliuhtet, die
nidersten krefte ensin denne geordent under die obersten krefte und die obersten krefte under die ober-
ste wärheit. Als ein her ist geordent, der kneht ist geordent under den riter und der riter under den
gräven und der gräve under den herzogen. Sie wellcnt alle vride harr; dar umbe hilfet ieglicher dem
andern. Also sol ein ieglichiu kraft der andern undertamic sin und helfen striten, daz ein luter vride in
der sele si und ein ruowe; Pr.113, DW IV, Z. 20.f: Und daz ist reht vride, daz daz niderste dem obersten
uridertamic si, also man prüeven mac bi den elementcn.
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PREDIGT 90 (Strauch Par. an. Nr.15 S. 37-39)
Handschriftliche Überlieferung:
1. Fassung A
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Predigt 90
er vns. wie wir wider keren sul,len. vnde orden alle ding. in iren ersten vrsprilng. daz geschiehet in
deme menschen in deme gesamet wirt alle manegfeltekeit die also ifgetragen wirt in got in iren
ersten orsprung. sprichet ein Meyster. vnd wanne der mensche dar zu kommet. daz er sich ein mit
gode vindet. danne alrest keret er alle ding. zu iren ersten sacken. (145) hie [Cxiijrb] von sprichet
Sanctus Bernhardus herre was ist der mensche. daz du in so sere geminnet hast. Er ist ein gut in
deme gesament werdent alle manegfeltege ding. in eine einekeit. daz lerete er vns. mit der kunst die
got ist. er selber. (152) Was leret er vns danne mit der vbirnaturlichen kunst sinre selen. da, mide
leret er vns. daz wir vbir gen. allez daz naturlich ist. ( 155) daz wir vbir gen vnsir eigene sinne. vnd
dunken vnde wenen. vnd daz die sele an sich cleide minne vnd verstentnusse vnd do mide schribe.
vbir die werg ire crefte. vnd vbir eigene vernunfi vnd vbir die dri Jerarchien. ( 164) vnd springe in
die virborgene heimlichekeit godes. da inne sie verborgen ist allen irdinschen creaturen. daz leret er
vns mit der vbir naturlichen kunst. ( 168) Dar vmme sprichet Sanctus Paulus. Mortui enim estis. et
vita vestra abscondita est cum Cristo in deo. Ir sint dot abir vwer leben ist verborgen mit Cristo in
gode. (171) Was leretervns mit der naturlichen kunst. die er hat mit den engeln. die aller dinge bil-
de hant an in damide leret ervns. daz die sele auch also hat eine mugelichekeit von godes willen alle
ding zu begriffene. sprichet ein Meyster. (176) Darvmme solte sie wonen in [Cxiijva] ir selber. wan-
ne die warheit ist von innekeide. (179) Do von sprichetSanctus (S'K1a) Augustinus. 0 herre wie vil
ist der. die vz in selber sintgegangen. zusuchene die warheit. die doch nie zuin selbirquamen. (183)
hervmme en hant sie die warheit nit vonden. wanne got ist die warheit vnde ist der seien innerste
innekeit. daz leret er vns mit der naturlichen (186) kunst (Homoioteleuton-Lücke, 188) Da mide
leret er vns. wie wir vnsir mensheit vnd vnser leben ordenen sullen vnd rfchten ifertriche. ( 191) vnd
die riehtliche ordenunge vnsers Lebens wirt vollebraht mit pruuene vnd mit bekentnusse sin selbes.
wanne ez sprichet ein lerere. daz sich der mensche selber bekennet. daz ist bezzer. dan daz er allez
daz bekente daz Got ie geschiif in hymmelriche vnd if ertriche. Dise kunst hat Got den menschen
geleret in deme tempel. daz ist in der reynen seien. die ein tempel vnde ein wonende godes ist.
Textabdruck der Predigt 90A: Zuchhold Nr.22, S.100,10-101,10.102,1-105,17.
0 Oxford, Bodleian Library Cod. Laud. Mise. 4 79, 28v- 30v.
Textbestand: vollständig.
Textabdruck der Predigt 90A: Philipp Strauch, Par. an. Nr.15, S. 37,8-39,7; Eduard Sievers, Pre-
digten von Meister Eckart, in: ZfdA 15 (1872), S. 373-439, hier Nr.V, S. 383-386.
2. Fassung B
B10 Berlin, Staatsbibl. zu Berlin - Preuß. Kulturbesitz Ms. germ. 4° 1079, 196r-197v_
Textbestand: 2 CRistus sat .... 22 neder; 24 soe wort die memorie licht ende vorstendich; '27 Dat
ander ... 47 f. na den reden; 49 Dit is god ... 128 een toe nemen (Homoioteleuton-Lücke); 130 f.
had an den erachten ... 157 kennen wyset; 169 Dar om sprycket ... 177 een moeghelicheit in oer
al dinck.
Bra1 Heidelberg, Sammlung Eis Hs. 106 (olim Braunau, Langersche Bibl. Cod. 702), 67v.
Textbestand: (145) Sant Bernhart sprichet herre wc ist der mensch de du in so reht Ziep gehaben
hest dis bewiset er selbe vnd sprichet Er ist ain gut in dem gesamnot werdent allu manigualtigen
dink in ain ainualtikait. (180) SantAugustinus tprichet herre wie vil der ist die vs in selben gegan-
gen sint ze suchenne die warhait die noch me zu in selben kamen vnd dar vmb hant si die warhait
nitfanden won got ist der sele inrostu inrkait.
Bra3 Genf-Cologny, Bibl. Bodmeriana Cod. Bodmer 59 (olim Braunau, Langersche Bibl.
Cod. 467), 13F-135r.
Textbestand: vollständig.
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Filiation der Handschriften
Filiation der Handschriften: Die erhaltenen Textzeugen der Handschriften B10, Bra1,
Bra3, Brei, Goi, H2, K1a, N1 und O ordnen sich zwei eigenständigen Textfassungen zu: A
und B, die von den Überlieferungen X und Y bezeugt sind. Den X-Text überliefern die bei-
den Schwesternhandschriften H2 und 0, die Haupttextzeugen der Predigtsammlung 'Para-
disus anime intelligentis', und K1a, der einzige Textzeuge der 'Sermones novi' des Nikolaus
von Landau (in St6 fehlt die Predigt 90). Den Y-Text überliefern die Handschriften B10,
Bra1, Bra3, Brei, Goi und NL
Y hat gegenüber X besondere Textmerkmale, durch welche der Y-Text als eine von X
selbständige Fassung der Predigt erscheint (Auswahl):
3 nach lerte: an (jn Bra3) disen warten sint bedutet dru dinc (dril ding betutet Goi) Y [Brei],
fehlt X
B 33-79 f. Eya, nu merket ... die er hate an ieglicher kunst Y, fehlt in dieser Textordnung der vier kün-
ste Christi in X
A 83-85 nicht alleine daz da ist vnd werdin saL Mer (fehlt K1a) ouch alliz daz (fehlt K1a) daz got
B 83-87 (got / er selbir Kia)formochte (vermag K1a) ob he wolde (ob he wolde / in sinre grilndelosen
gotheide K1a) X [OJ / alles daz (fehlt Brei) geschechen istvnd nun istvnd (fehlt Brei) iemer
me werden (gewerden Y2) sol vnd noch (noch/ bch dz nach Go 1, fehlt B 10) geschechen m6cht
ob er (god B10) wolt vnd (dat B10) doch niemer (nimmer mer Ni, B10) ze liecht kompt daz
(daz selb Bra3) hat doch (dennocht Bra3; doch ein Goi) wesen an (in Bra3) sinem wesen vnd
nit an (jn Bra3) jm selber (fehlt Ni) Y [Bra3]
94-96 di kunst di sinir sele in ge gozzin wart du si geschaffen wart X [OJ / gesprochen von der sele
dy vr ingegozzen wart an (jn Bra3) vr geschef.fede (geschaffenhait Bra3, B10) Y [Brei]
98f. An dirre cunst X [OJ (Lücke Kia) / dar ane Y [Brei] (hie an N1, B10)
100f. daz got ie (ie durch in K1a) geschij.f X [H2] / daz ie geschach Y [Bra3]
A 115f. vnd doch ein (fehlt Xi) mit ime nit en ist (en ist/ in ist H2, ein ist 0) X [K1a] / vnd es (ist
B 74f. Brei) doch mit im nicht (mit im nicht/ nit mit jm Bra3) vermenget (verainiget Bra3) wirt Y
[Ni] (vnd ... wirt / ende bliuetdatet is B10)
116 An dirre kunst X [OJ / hir ane Y [Brei] (dar an Bra3, Goi)
117 f. daz si (daz si fehlt K1a)fornam (vnd vernam K1a) alle geschehine dinc X [O] / daz si bechant
alle gegenwertige dinch vnd di nu werdent (geschien B 10; sint Go 1) Y [N 1J
128 f. Meister oder bruder (Meister oder bruder / Sanctus K1a) thomas sprichit X [O] / Daz (Diez
Ni; als wie daz Bra3) spricht ein (der Bra3) hoe (hoher Ni, Goi) meister Thomas (fehlt Goi)
Y [Brei] (Lücke B10)
131 Nu sal man (silllen wir K1a) mirkin X [O] / Nu merchent (merk Bra3) mitfleiz Y [Ni]
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Predigt 90
X1 und K1a apostrophieren Z.128 Thomas von Aquin als Meister oder bruder bzw.
Sanctus (Heiligsprechung im Jahre 1323), Y hingegen hebt hervor, er sei ein hoher meister
gewesen. Es bleibt zweifelhaft, ob diese ehrende Nennung darauf hindeutet, daß der Bear-
beiter der Predigt nicht dem Dominikanerorden angehörte. Mit weniger Zweifel behaftet
ist sie eine Stütze für die Annahme, daß Eckhart nicht selbst die Fassung B redigiert hat. In
den deutschen Werken Eckharts findet sich Thomas von Aquin nur in den beiden Predigten
90A und 104 erwähnt, jedes Mal als Meister ,Thomas (Meister Thomas sprichet Pr. 90A, Z.
128 f.; Meister Thomas sprichet Pr.104, Z. 153 f.) genannt. Nur ein einziges Mal greift Eck-
hart zur Apostrophe hoher meister, in der Predigt 18, DW I, S. 300,3. Mit ihr meint er aber
nicht Thomas von Aquin, sondern Avicenna. In seinen lateinischen Werken führt Eckhart
den Aquinaten in der Regel nur mit seinem Namen Thomas (88mal) ein. Fünfmal nennt er
ihn frater Thomas (Pro1. Gen. n. 5, LW I [Rec. L ], S. 23,20 f.: in Summa doctoris egregii vene-
rabilis fratris Thomae deAquino; Prol. in Gen.In. 1, LW I [Rec. L], S. 59,8 f.: quae vel sanc-
ti vel venerabiles doctores, praecipuefrater Thomas scripsit; In Gen.In. 204, LW I [Rec. L],
S.235,5:.frater Thomas dicit; In Exod. n. 230, LW II, S.191,6; n. 269, S.216,14); zweimal
sanctus Thomas (In loh. n. 343, LW III, S. 292,10 f.: ut ait sanctus Thomas; Sermo V,2 n. 34,
LW IV, S. 3 7,3: Ex postilla sancti Thomae ), nie magister Thomas. Die Formulierung Da+ spri-
chet ein hoher meister Thomas (Z. 130 f.), zumal er in der A-Fassung schlicht meister Thomas
heißt, erscheint für Eckhart fremd. Die Predigt 90 in der Fassung B geht also aller Wahr-
scheinlichkeit nach auf einen anonymen Bearbeiter zurück, der die Lehre von der scientia
Christi des Thomas von Aquin kannte, dem aber auch deutsche Predigten Eckharts gegen-
wärtig sein mußten, wie die Anspielung auf Predigt 18 (vgl. Pr. 90, Anm. 12) beweist.
Auch wenn im Text der X-Tradierung ein höherer Grad der Authentizität als in Y
vorliegen dürfte, in einer einheitlichen Textform überliefert ist X keineswegs. Obwohl Niko-
laus von Landau (Kia) die Predigt 90 glücklicherweise ganz und im Zusammenhang aus sei-
ner Vorlage übernommen hat, konnte er doch nicht an sich halten, die Predigt, wie auch alle
übrigen aus X entlehnten Predigten sonst, an einigen Stellen zu kürzen, zu redigieren und
mit erklärenden und gelehrten Zitaten zu ergänzen (Auswahl):
5 meinit X1 [OJ / bedildet Kia
10 Hirumme sal di sele sitzin daz ist X1 [O], Y / Darvmme sal diesele sitzen. Wanne Bz sprichet
Aristoteles in quinto physicorum Quod anima sedendo et quiescendo erit prudens etc. Wanne
diesele in einre stillen rüwe sitzet. so wirt sie wyse. so sie ist Kia
12 f. ge rastiten X1 [OJ / gerüwegen K1a
25 Hirumme X1 [OJ / darvmme Kia
35 hatte X1 [O] / lerete Kia
93 Di ander cunst Cristi di ist creature X1 [O], Y / Die andere künst Cristi vnsers herren, die ist
geschaffen K1a
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Filiation der Handschriften
108 bilde allir dinge X1 [O], Y / bilde aller dinge. id est species concreatas Kla
125f. geistliche ge tragin in di bilderinnen (bilderinne Y [Brei]) Xl [OJ, Y / geistlichen getragen in
die fanthasie. daz ist in die bilderinnen. bilderinnen (Dittographie). Alse Aristoteles sprichet
In Zibro de anima. Oportet intelligentemfantasma speculari. Eine craft der selen in deme Zibe
heiszetfanthasia in der craft sament K 1a
128-130 Meister oder bruder thomas sprichit. he hatte ein zu nemenfon den creftin der sinne X1 [OJ,
Daz (Diez Ni; als wie daz Bra3) spricht ein (der Bra3) hoe (hoher Ni, Gol) meister Thomas
(fehlt Goi) daz her ein (fehlt Ni) zv nemen (zu nemen kunst Bra3) hatte (het Bra3, hat Goi,
hab N1) Y [Brei]/ Sanctus thomas sprichet. Quod puer ihesus crescebat uirtutibus sensitiuis.
Jhesus Cristus vnser herre. der wusch in sinre mensheit an den creften der sinne Kia
132 mit Xi [O], Y / an Kia
157 f. Nu schrit edile sele. zuch ane dine schritschuwe Xi [O] / vnd daz diesele an sich cleide Kia
162-166 vnd vber daz licht daz dich creftigit vnd sprinc in daz herze godis daz ist in sine forborginkeit.
da salt du inne for borgin werdin allen creaturen Xi [OJ, Y / vnd springe in die virborgene
heimlichekeit godes. da inne sie verborgen ist allen irdinschen creaturen Kia
168 vor Ir: Mortui enim estis. et vita vestra abscondita est cum Cristo in deo Kia, fehlt Xi, Y
169 vnd Xi [OJ / abir Kia
176 Hirumme Xi [O] / Darvmme Kia
177 von binnen Xi [OJ / von innekeide Kia
179 Hir umme Xi [OJ Da von K1a
182 noch Xi [O] / doch Kia
193-197 daz ist bezzir (vme bezzer Brei) dan bekentnisse (bekentnisse / daz her bekente Brei) allir
geschalfiner (fehlt Y) dinge. Cristus Zarte si wi (wer Y) sint di he lerit. daz sint di ein valdigin
X1 [O], Y / daz ist beszer. dan daz erallez daz bekente daz Got ie geschlf in hymmelriche vnd
vf ertriche. Dise kunst hat Got den menschen geleret in deme tempel. daz ist in der reynen selen.
die ein tempel vnde ein wonende godes ist Kia.
Ganz überliefern die Predigt auch H2 und 0, ebenso wie ihre Vorlage Xi. Trotz der Voll-
ständigkeit des Textes ist seine Güte nicht an allen Stellen verbürgt. Der Vergleich zwischen
Y und Kla einerseits und Xl andererseits zeigt, daß die Vorlage Xi(= 0, H2) vom Text der
Vorlage X (0, H2, Kla) öfter mutwillig abgewichen ist (Auswahl):
13 erkrieget Y [Bra3], Kia / in wirbit Xi [OJ
14f. stilhait Y [Bra3], Kia / stillekeit X1 [OJ
16 Hie vjfspricht bischojfalbrecht Y [Bra3]; Ez sprichet auch ein Meyster Kia / Albertus Xi [OJ
100 bekante K1a; bekant Y [Bra3] / ir kante Xi [OJ
104 unendelicheit / vnedelichkeit Xi [OJ
112 an ir Kla, fehlt X1; Lücke Y
135 wider keren sullen K1a, Y / widir kerin soldin vnd sullin Xi [O]
139 vnd Kla, Y, fehlt X1 [OJ
143 erK1a, Y / dermenscheX1 [O]
153 da mide leret er vns K1a, Y, fehlt X1
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Predigt 90
H2: 11 verdruckten/ vordrück (= Zeilenende) H2; 23 die fehlt H2; 99 oder/ aher H2; 171 f.
der natiurlfchen / naturlicher H2; 183f. Hie umbe enhant sie die warheit nihtvunden /
Hirumme in hant sie nit die warheitfünden H2
0: 23 sich fehlt O; 27 er fehlt O; 90 diu fehlt O; 155 wir fehlt O; 161 dfn / dinc 0.
Die Abschriften H2, 0, Xi und Kla verändern den X-Text durch Redigierungen und
verunstalten ihn durch Unachtsamkeiten beim Abschreiben. In welcher Qualität stand er
Xi und Kla zur Verfügung? Auch X war nicht makellos. Es fällt vor allem eine Auslassung
im Textbereich der Z. 137-140 auf: an (in Bre1, Bra3) dem (den Goi) menschen (dem men-
schen / des menschen sel ganczlichen Bra3) in dem (den Go1) gesament werden alle maniifel-
dikeit (manigvaltigi ding Y3 [Bra3]) vnd alle (Bra3, fehlt Bre1) lipliche dinc (fehlt Bra3) Y
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Filiation der Handschriften
[Bre 1J(manicfeldikeit vnd alle lipliche fehlt Go 1) / in deme menschin in deme gesamenet wer-
din (wirt K1a) alle manicualdikaitvnd alle (vnd alle/ die also K1a) vf ge tragin werdin (wirt
K1a) in got X [O]. In X fehlt Z. 139 lfpltchiu dinc.
Der Text der Y-Fassung mußte sich auf dem Weg seiner Überlieferung in den Hand-
schriften B10, Brei, Go 1, Bra3 und N1 zwar auch einige Veränderungen gefallen lassen, diese
erreichen aber nicht das Ausmaß von K1a und X1. Mühelos lassen sich zwei Textgruppierun-
gen erkennen: Y1 und Y2. Lesarten binden Go 1, Bra3 und N1 (und auch Bra1) zur Textstufe
Y1 zusammen. Ihr steht die Textstufe Y2 mit den Handschriften B10 und Brei gegenüber.
Nur wenige Lesarten sind es, die den Y1-Text bezeugen:
29 waz X (Lücke Kia) [OJ, Y2 / was do Y1 [Goi]
139 manicualdikeit X [OJ, Y2 / manigueltig dinch Y3 [Ni]; ding Goi
147 sere ge minnit X [O], Y2 / reht Ziep Y1 [Goi]
168 Darumme X [O], Y2 / HarvjfY1 [Goi]
169 Hir umme Xi [O], Y2 (Lücke B10); Do von K1a / harvjf Y1 [Goi].
Größer ist die Zahl der Lesarten, die die Handschriften Bra3 und N 1 zu einer Gruppe
Y3, abhängig von Y1, zusammenschließen:
40 noch Y2, Goi, fehlt Y3
56 geschafen Y2 [Bre 1]; geschajfent Go 1 / geschehen Y3 [N 1J
60 alleine got (got / der gotheit B10) Y2 [Brei]/ got alein Y3 [Ni]
63 ane Y2 [Brei], an Goi, fehlt Y3
64 Dy dritte kunst ist (fehlt Go 1) Y2 [Bre 1], Go 1 / Di ander chunst ist N 1; Nun ist aber ain kunst Bra3
123 di was (lit Goi) X [O], Y2, Goi/ daz was Y3 [Ni]
143 zu X [O], Y2, Goi/ in Y3 [Bra3]
157[. zuck an X1 [O], Brei, Goi; Lücke B10; an sich cleide K1a / Tue an Y3 [Ni]
162 dri X [O], Brei, Goi; Lücke B10, fehlt Y3
163f. daz dich creftigit X [O] (Lücke K1a), Brei, Goi; Lücke B10 / deinercreft N1; diner beschaiden-
hait oder diner kniffte Bra3
188 vnse X [O] (vnsir K1a), Brei; vnsern Goi; Lücke B10 / den Y3.
Der zweite Weg der Textweitergabe innerhalb der Y-Überliefening verläuft über die
Textstufe Y2 zu den Einzelhandschriften B10 und Brei. Y2 ist durch die folgenden Lesar-
ten gekennzeichnet:
11 demudekeit (othmudikeit Xi [O]) X [Kia], Y1 / Otmutikeit Y2 [Brei]
40 tun Y1 [Bra3] / noch tvn Y2 [Brei]
47f. Diez hat er von dergotheit wan es moht in chein creatur Y1 [Ni], fehlt Y2
57 geschehen sullen Y1 [Goi]/ gesehen svllen werden Y2 [Brei]
88 Mit disir (derre K 1a, dir N 1) kunst X [0], Y 1 / mit diser craft Y2 [Bre 1J
96 vber naturlich X [OJ, Y1 (vber natur N1) / poben nature Y2 [Brei]
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Predigt 90
Keine der 5 Y- Handschriften beläßt den Text der Predigt in der Gestalt, in der sie ihn
in ihrer Vorlage vorgefunden hat. Am freiesten geht der B10-Schreiber mit dem Y2-Text
um. Er vereinfacht die Sätze, verdeutlicht die Aussagen im theologisch unverfänglichen
Sinn und kürzt nach Gutdünken. Auf den Schluß der Predigt (Z. 176-203 Her umbe solte
si wonen ... In dise einvalticheit helfe uns got. Amen) verzichtet er ganz. Eine einzige zusam-
menhängende Textpassage mit dem B-Text zu vergleichen genügt, um das Schreibverhal-
ten von B10 hinreichend zu veranschaulichen:
Predigt 90 B Handschrift B 10
Z. 10- 26: Her umbe sol diu sele sitzen, Die ziel die nu gade rusten wil die sal sitten
daz ist in einer verdruckten demüeti- in eenre gedructer oytmoedi-
cheit under allen creaturen. Dar umbe cheit ouder allen creaturen. Daer af
kumet si in einen geruoweten vride. comet si in een stede rust ende in vreden.
Den vride erkrieget si in Die vrede brenghet si tot
einem liehte. Daz lieht wirt enen lichte. Daz licht wart
ir gegeben in einer stilheit, oer gegheuen in der stilheit,
da si inne sitzet und wonet. daer si in sit ende rust.
Her uf sprichet bischof A lbreht, Hier om sprecket byschop aelbrecht,
diz si diu sacke, daz man die dat die
meister setzet, die da leren suln rneyster sullen sitten, die die konst
die kunst. Wan swer da liget, leren sullen. Want wie voele leghet,
dem gant die groben geiste, dengheet
daz ist daz grobe bluot, uf dat bluet
in daz kirne vnd verdunsternt in die heernen ende verduystert
daz verstantnisse. Swenne dat verstentenis.
aber der mensche sitzet, mer als die mensche sit,
so sinket daz grobe bluot soe sincket dat graue bluet
nider und die lichten geiste neder.
tragent sich uf ze dem kirne.
So wirt diu memorie soe wart die memorie
erliuhtet. licht ende verstendich.
Her umbe saz Kristus in
dem tempel, daz ist in der sele.
Predigt 90 B Goi
Z. 123-126: Diu vierde kunst, die er Die vierde kunst so er
hat, diu was an der sinne- hat. die lit an der sinne-
licheit. Wan swaz die sinne licheit wenne was sinnelicheit
begrifent von buzen, daz wirt begriffet von influssen, daz wirt
50
Textkonstituierung
Die in Bra1 überlieferten beiden Textstücke, das Bernhard- und das Augustinuszitat
(Z.145-i49 f.; 179-i84f.), zeigen Textgemeinsamkeiten mit Goi, Ni und Bra3, lassen sich
aber wegen der Spärlichkeit des zu vergleichenden Textes keiner der Y-Handschriften oder
der erschlossenen Textstufe Y3 mit Sicherheit zuordnen. Da ihnen jedoch die Merkmale von
Y2 fehlen, liegt es nahe, ihre Verwandtschaft mit dem Text von Y1 (siehe 147 sere geminnet
Y2 / reht Ziep Y1 [Brat]) in Erwägung zu ziehen.
./·~v
/ \ X1 v,./·~. Y2
..
N1 Bra3
Textkonstituierung: Die Texterstellung muß berücksichtigen, daß die Predigt in zwei Fas-
sungen überliefert ist, auch wenn diese so nahe verwandt sind, daß sie auf weite Strecken
hin identischen Text bieten. Um die Fassung A, die der ursprünglichen Gestalt der Predigt
51
Predigt 90
am nächsten stehen dürfte, und um den Redigierungscharakter der Fassung B ins rechte
Licht rücken zu können, werden beide Versionen synoptisch geboten. Diese Darstellung
erlaubt einen genauen Vergleich der beiden Predigtfassungen, einzelner Abschnitte und
Sätze, ja sogar den Vergleich von Wort zu Wort. Die Interpolationen und Redigierungen von
B werden sichtbar, und auch jene Stellen des A-Textes werden aufgedeckt, deren Authenti-
zität wegen der Mißlichkeit der Überlieferung zweifelhaft bleibt.
Die Erstellung des A-Textes orientiert sich an O und H2 (= Xi). Wo Textmängel von X1
durch den Vergleich mit K1a und Y aufgedeckt werden können, werden diese aus dem Xi-
Text genommen. Der Edierte Text strebt die Textform an, die mittels des Vergleichs der
erhaltenen Textabschriften und deren erschließbaren Vorstufen eruiert werden kann. Da die
Kontextstimmigkeit und die Überlieferungslage in Y nahelegen, daß aller Wahrscheinlich-
keit nach bereits auf der Textstufe X Z.139 lfplfchiu dinc verlorengegangen ist, dieser Text-
bestandteil aber ursprünglich zur Fassung A gehörte, wird er dem Edierten Text inseriert.
Über die Überlieferungskonstellation gibt der Apparat Rechenschaft.
Die Textfassung Y kann sich an den drei Handschriften N1, Bra3 und Goi (= Y1) aus-
richten. An all den Stellen, an denen der Y 1-Text versagt, also nicht mit Y identisch ist, wird
er, wenn Textgleichheit von Y2 und X vorliegt, zugunsten der Textform Y2 abgeändert. Ziel
der Texterstellung ist also die Wiedergabe von Y. Die Überlieferungskonstellation erlaubt es
nicht, im Rekonstruierungsverfahren hinter X und Y zu greifen und den Autortext zu erstel-
len. Man wird sich mit X als dem autornächsten Text zufriedengeben müssen.
Übersetzungen: keine
Der Aufbau der Predigt folgt dem Muster der Homilie. Im Anschluß an den zugrunde
gelegten Schrifttext werden im ersten Abschnitt 'sedebat' ( 1- 26) gedeutet, im zweiten
'docens' (27-195) und im dritten 'eos' (vgl. Joh. 8,2: sedens docebat eos): Wer sint die er leret
(196). Den Hauptteil der Predigt bildet die Exegese von 'docens': Christus als das verstant-
nisse (des Vaters) mit seiner vierfachen kunst und wfsheit (35f.), der göttlichen, der über-
natürlichen, der den Engeln gleichen und der durch die Sinne erworbenen, mit der er unser
verstantnisse (32) lehrt.
1. Abschnitt (1-26): Eckhart erklärt zuerst, daß sitzen ruowe (8) bedeutet, Stehen hin-
gegen Anstrengung und Gehen Unbeständigkeit. Christus saß deshalb, als er im Tempel
lehrte; denn wer sitzt ist fähiger, lflterdinc (6f.) hervorzubringen. Deshalb soll auch die See-
le sitzen, in Demut gebeugt unter alle Kreaturen. So gewinnt sie vride, der ihr in einem lieht,
52
Aufbau
in einer stilheit (14f.) gegeben wird. Beweis dafür ist die naturwissenschaftliche Erklärung
Alberts des Großen, daß im Sitzen das dicke Blut absinkt und die hellen Geister zum Hirn
aufsteigen, wodurch das Gedächtnis erleuchtet wird (16-24). Der Tempel, in dem Christus
saß und lehrte, bedeutet die Seele.
2. Abschnitt (27-195): Er ist zweigeteilt. Im ersten Teil (27-130) werden die verschie-
denen Arten des Wissens Christi aufgezählt, im zweiten (131-195) wird dargelegt, wie er
uns mit diesem Wissen belehrt. a) Christus belehrt unserverstantnisse (28), weil er selbst ein
verstantnisse (31) ist, weil ein Lehrer (immer) das lehrt, was er selbst ist. Ein vierfaches Wis-
sen besaß Christus: erstens (81-92) ein göttliches Wissen, in dem er in ewiger Vorsehung
(82) schaut was ist, was werden soll und was Gott vermöchte, wenn er wollte. Mit diesem
Wissen sah er aber auch in die Herzen der Menschen und wirkte alles, was Gott zugehört
(88-91); zweitens (93-106) ein eingegossenes Wissen (scientia indita), das übernatürlich
ist. In ihm schaut die Seele Christi Gott in seinem Wesen, erkennt auch was Gott je schuf
und noch schaffen wird, vermag dies aber nicht hinsichtlich der Unendlichkeit. Es ist dieses
Licht (Wissen) geschöpflich und doch der Seele Christi übernatürlich; drittens (107-122)
hat er ein Wissen, das er mit den Engeln besitzt: diese haben die Bilder aller Dinge in sich.
Er ist aber dieses Bild nicht, genauso wenig wie das Siegel, das dem Wachs seine Form gibt,
mit diesem gleich ist. Mit diesem Wissen konnte die Seele Christi alle Dinge erkennen, die
geschehen sind, jedoch nicht die, die (noch) geschehen sollen. Es erkennt ja auch der Engel
die zukünftigen Dinge nicht, wenn sie ihm nicht geoffenbart werden; viertens (123-130)
hat er ein menschliches Erfahrungswissen, vermittelt durch Sinneswahrnehmung und Ver-
standestätigkeit, das zunimmt und sich weitet. b) Der zweite Teil (131-195) des 2.
Abschnitts legt dar, wie uns Christus mit seinen verschiedenen Wissensarten belehrt. Mit
der göttlichen kunst (scientia divina) belehrt er uns, wie wir zu Gott zurückkehren und alle
Dinge in ihren ersten ursprunc (136) bringen sollen. Durch den Menschen vollzieht sich die-
se Rückführung, da in ihm alle Kreaturen in ihrer Manigfaltigkeit vereinigt sind. Findet der
Mensch sich eins mit Gott, hat er alliu dinc (143) in ihren ersten Ursprung gekehrt. Mit der
übernatürlichen kunst (152f.) lehrt er uns, über alles Natürliche hinauszuschreiten, über
unser eigenes Denken, Trachten, Dünken und Wähnen. Die edle Seele soll in das Herz Got-
tes springen, in die Verborgenheit Gottes, und soll dadurch allen Kreaturen verborgen sein.
Verstantnisse und minne (159f.) verhelfen dazu. Mit dem Wissen, das er mit den Engeln
gemein hat, wird der Mensch dahin geführt, in sich selbst zu wohnen, denn die Wahrheit ist
innen und nicht außen. Die Seele hat die Fähigkeit, alle Dinge zu erfassen. Mit der zuneh-
menden Kunst (scientia acquisita) bringt er uns schließlich dahin, den äußeren Menschen
zu ordnen (189).
3. Abschnitt (196-203): Im Schlußteil der Predigt spricht Eckhart noch jene an, die
Christus lehrt. Es sind die einvaltigen (201). Es sind Menschen, die niemand betrügen, aber
auch von niemandem betrogen werden können.
53
Sedebat Jesus docens 1n templo.
A B
Zu schrei bungen: xv (am linken Rand 0) Sedebat ihesus docens in templo [fol. 1vb O] Hi lerit meister
eckart (Echard H2) waz Cristus vns lerit mit den vier kunstin 0, H2 (Inhaltsverzeichnis: 0 fol. 1va-vb [Par.
an. S. 2], H2 fol. 2r)
Überschriften: xv (am linken Rand) Sermo de tempore O; de tempore (in der Zeile) de tempore xv.
(am linken Rand) H2
1- 3 Sedebat ihesus docens in templo. Daz ewangelium sprichit daz Cristus saiz in deme temple
vnd larte Xt [ OJ /Davon sprach Ewangelista. Jhesus sedebat in templo [ Cxif"] docens. Er sprichet da
Jhesus Cristus vnser herre wolte die werlet bekeren. da saz er in deme tempel vnd lerete cristenen glau-
ben Kta 5 meinit Xt / bedudet Kta 6-8 wer da sitzit der ist bereitir lutir dinc fore zu brengine
dan der da geit oder steit. Sitzen be dudit ruwe X1,fehlt Kta
Überschriften: Een orberlic sermoen B10 2 nach saz: in dem tempel Bra3 5 ist er Goi, Nt,
Y2 / daz er Bra3 5 ein Goi, Nt, Bre1,jehltBra3, B10 6 Swcr N1; wer Brei, Goi/ wan wer Bra3;
Wqnt wye B10 7f. stet oder get Y3, Brei/ got oder stot Goi, B10
1 Luc. 2,46: Et factum est, post triduum invenerunt illum in templo sedentem in medio doctorum,
audientem illos, et interrogantem eos. An weiteren Stellen sind zu berücksichtigen: Ioh 8,1-2: Iesus
autem perrexit in montem Oliveti: (2) et diluculo iterum venit in templum, et omnis populus venit ad
eum, et sedens docebat eos; Matth 26,55: cotidie apud vos sedebam docens in templo, et non rne tenui-
stis; Luc. 19,47: Et erat docens cotidie in ternplo; Luc. 21,37: Erat autern diebus docens in ternplo; Ioh
8,20: Haec verba locutus est in gazofilacio docens in templo; Ioh 18,20: Ego sernper docui in synagoga et
in ternplo. Der Schrifttext, der sich in diesem Wortlaut nicht in der Vulgata findet, ist dem Evangelium des
ersten Sonntags nach Epiphanie (Dominica infra Octavam Epiphaniae) entnommen; Strauch, Par. an.
Nr.1S, 8.37 gibtfälschlichLuc.19,17 an.
54
Sedebat Iesus docens in templo
stat. Sitzen bediutet ruowe 2 , starr arbeit, gat. Sitzen bediutet ruowe 2 , starr arbeit,
gan unst.:eticheit 3 • gan unst.:eticheit 3 .
Her umbe sol diu sele sitzen, daz ist in 10 Her umbe sol diu sele sitzen, daz ist in
einer verdrücketer demüeticheit under alle einer verdrücketer demüeticheit under allen
8f. stein erbeit gein vnstedekeit Xi/ sten daz bedudet arbeit. vnd gen bedudet vnstedekeit Kia
10 Hirumme Xi / Dar vmme Kia 10 daz Xi, Y / so sie Kia 11 for druckiter O; verdruckter
Brei/ gedructer B10; verdrucketen Kia, Y; verdruck H2 11 demüdekeit Kia, Yi / othmudikeit Xi,
Y2
8 nach starr: bedeutet Y3; beduyt B10 8 nach gan: beduyt B10 11 verdruckter Brei /
gedructer R10; verdruckten Yi 11 demlitikeit Y1 / Otmutikeit Y2
2 Vgl. Pr. 35, DW II, S.180,1-3: Die meister sprechent: sitzen bediutet ruowe und meinet, da kein
zit enist. Swaz sich keret und wandelt, daz enhat niht ruowe; daz ander: ruowe enleget niht zuo; Sermo
XXXVI,1 n. 365, LW IV, S.314,1-3: 'Similiter requievi', quia in his, qui in deo quiescunt, deus pari modo
requiescit; si multum, multum, et e contrario. Nota: »quies privatio motus est«. Item: »anima sedendo
et quiescendo fit prudens«; Pr. 31, DW II, S.122,7-123,3: Also sol ein ieglichiu kraft der andern under-
tamic sin und helfen striten, daz ein luter vride in der sele si und ein ruowe. Unser meister sprechent:
»ganziu ruowe ist vriheit aller bewegunge«. In disem sol sich diu sele ufheben über sich selben ze der
götlichen ordenunge; In Sap. n. 280, LW II, S. 613,1- 3: Hoc est ergo quod dicitur: cum quietum silentium
contineret omnia. Et philosoph us dicit quod anima sedendo et quiescendo fit prudens; In loh n. 685,
LW III, S. 600,5-9: Chrysostomus vero aliam ponit causam, quare Pilatus non cxspectaverit audire,
quid esset veritas. Docere enim et discere veritatem, sive quid sit veritas, et tempus requirit longius et
quietum; tune autem et tcmpus erat breve et inquietum, Eccli. 38 (Eccli. 38,25): 'sapientiam scribe in
tempere vacuitatis, et qui minoratur actu, percipiet sapientiam'. Et philosophus dicit quod anima
sedendo et quiescendo fit prudens. Nikolaus von Landau.fügt nach Z.10 Dar vmme sal diesele sit-
zen ein: Wanne cz sprichet Aristoteles in quinto physicorum. Quod anima sedendo et quiescendo erit
prudens etc. Wanne diesele in einre stillen ruwe sitzet. so wirt sie wyse (Zuchhold S.100,18-23). Vgl.
auch Pr. XCII, Pf, S. 301,36-302,9: Dö Kristus sprach ze den jungern 'ich han iuch gesetzet, daz ir gänt',
dö mcinde er, daz wir erhaben werden in daz lieht der gnaden. Hie über sprichet der prophete 'ich saz
und er huop mich über in selber.' In dem sitzende ruowet der mensche aller bekorunge unde schouwet
in dem liebte, war er gan sol. Daz ist der wec der tugenden. Diz meinde Kristus dö er sprach 'ich hän
iuch gesetzet, daz ir gänt.' Sitzen unde gän ist unglich. Nieman kan den rehten wec gegän, er habe e
gesezzen in dem liehte der beschouwede, daz er dar inne habe gelernet schöpfen die rehten wege; want
elliu unseriu werc sülent lieht sin unde sülent liuhten in der vinsternisse unserm nehsten; vgl. weiter
Tauler Pr.26 (ed. Vetter S.105,24-26): Su sassent ouch do der heilge geist kam. Also müst du in der
worheit sitzen und in Gottes willen setzen alle creaturen, liep und leit, wille und unwille: daz ist ein not
rede allen geistlichen menschen. 3 Vgl. Pr.23, DW 1, S.393,3-6: Wie heizet daz mer ein 'wuot'?
Umbe daz, daz ez wüetet und unruowic ist. Er 'hiez sirre jüngern ufgan'. vVer daz wort hmren wil und
Kristi jüngern wesen wil, der muoz ufgan und sirre Vernunft erheben über alliu liplichiu dinc und muoz
varn über 'die wuot' der unstffiticheit der zergenclichen dinge; RdU, DW V, S. 286,2-4: Wan, daz der
mensche wölte allez tuon und diz und daz und von siner wise läzen und nemen eines andern wise,
diu im nu vil baz geviele, in der wärheit, daz machete gröze unstffiticheit; RdU, DW V, S. 252,10/:
Wandelunge der wise daz machet ein unstffite wise und gemüete; Sermo XXVII,2 n. 275, LW IV, S. 249,14:
'Ambulans' contra otiosos.
55
Predigt 90
creaturen4. Darme kumet si in einen geraste- creaturen4. Dar umbe kumet Sl lil emen
ten vride 5• Den vride erkrieget si in einem geruoweten vride 5• Den vride erkrieget si in
liehte. Daz lieht wirt ir gegeben in einer stil- einem liehte. Daz lieht wirt ir gegeben in 15
heit, da si inne sitzet und wonet 6• 15 einer stilheit, da si inne sitzet und wonet 6•
12 Dan Xi/ so K1a 12f. gerastetin H2; ge rastiten O / geruwegen K1a 13 her krieget
K1a, Y1; vrkrigit Brei/ in werbit Xi; brenghet B10 14 f. stilheit K1a / stillekeit Xi 16 Ez spri-
chet auch K1a / har vff sprichet (fehlt Ni) Y,fehlt Xi 16 Albertus Xi/ bischoff albrecht Y; ein
Meyster K1a
12 Dar vmb Goi, Ni / Daer af B10; da Bra3, Brei 13 geruweten friden (vride Brei) Goi,
Brei/ gerasten frid Y3; stete rust ende in vreden B10 15 einer Y3 / der Goi, Y2 16f. Diez (Daz
iz Brei) si die (Bra3 ,fehlt Ni) sach Y3, Brei ,fehlt Goi, Bi O 17 daz man dy meistere setzet (sezze N 1)
Brei, Y3 / daz man har vber siezet die meister Goi; dat die meyster sullen sitten B10
4 Vgl. Pr. 54b, DW II, S. 564,8-9: 'Er huop siniu ougen von unden uf'. Hie mite leret er uns, swen-
ne wir biten wellen, daz wir e under süln gan in einer gewarer verworfener demüeticheit under alle
creaturen; Pr. 55, DW II, S. 581,2-6: Ich han etwanne gesprochen: swelch mensche stüende, daz er
enpfenclicher wcere gotes. Aber ich spriche nu ein anderz: daz man sitzende me enpfcehet dan stände mit
rehter demüeticheit, als ich egester sprach, daz der himel niendert würken enmüge dan in dem grunde
der erde. Also enmac got niht würken dan in dem grunde der demuot; wan ie tiefer in der demuot, ie
enpfenclicher gotes; Pr. 4, DWI, S. 73,6-8: Nu seite ich iu gar eben vor: swer von oben wil enphahen, der
muoz von not unden sin in rehter demüeticheit. 5 Vgl. VeM, DW V, S.112,17-18: Der fünfte grat ist,
so er (= der mensche) lebet allenthalben sin selbes in vride, stille ruowende in richeit und in übernutze
der obersten unsprechelicher wisheit; Pr. 97, DW Iv, S. 226,32-36: Ein gewis zeichen ist daz, daz got in
der sele alsus wone, daz diu sele geruowic si. Ich spriche, daz got in allen sirren werken niht ensuochet
dan ruowe; also enmac im ouch diu sele an nihte so liebe getuon so an ruowe. Diu sele enmac ouch im
an nihte so glich werden so an ruowe, daz si sich geruowelichen halte; Sermo XLVIII,2 n. 503, LW Iv,
S. 418,5 -6: Sie ordina litteram: qui terrena sapiunt, ambulant multi. Ambulant, non surrt in quiete et pace,
sed"in motu. Deus autem non in motu, sed in pace. 6 Vgl. Sermo XXXVI,1 n. 365, LWIv, S. 314,9-12:
Nobis autem datum est in lumine gratiae et duce spiritu sancto accensis desideriis sursum agi usque ad
angelorum quorumlibet aequalitatem. In nobis igitur sie sursum actis quiescit deus, ut similis manens,
par scilicet, in abundantia divini luminis; Pr.92, DWIv, S.103,13f: Mir(= Kristus) ist verhenget ze wür-
kenne in der sele, diu in dem vride wonet; Pr.19, DW I, S.317,4-6: In der stille und in der ruowe ... da
sprichet got in diesele und sprichet sich alzemale in diesele; Pr.102, DWIv, Z. 123-124: Ez muoz sin in
einer stille und in einem swigenden, da diz wort sol gehreret werden. Man mac disem worte mit nihte
baz gedienen dan mit stilheit und mit swigenne. 7 A lbertus M. Super Matth 5,1 (Ed Colon. XXI,1
S.102,26-52): Primum notatur in hoc quod dicit: cum sedisset; sedere enim quiescentis est; stans enim
laborat, et vadens instabilis est. Et cum laborat corpus, non potest in perfecta quiete esse animus, sed
abstrahitur, et tune non bene concipit et confert et ordinat dicenda et causas dicendorum et differentias
et accidentia co=unia et propria et alia, quae in dicendo considerantur. Iacens autem est inordinatus,
quia caput non sursum porrigitur. Et ideo grossi fumi et grossi spiritus et sanguis in eo multiplicantur.
Quae non adeo multiplicantur in eo, quando sursum porrigitur, quia grossa non facile elevantur, subtilia
56
Sedebat Iesus docens in templo
leren suln die künste. Wan swer da liget, dem leren suln die kunst. Wan swer da liget, dem
gant die groben geiste, daz ist daz grobe gant die groben geiste, daz ist daz grobe
bluot, uf in daz hirne und verdunstert daz 20 bluot, uf in daz hirne und verdunsternt daz
verstantnisse. Swenne aber der mensche verstantnisse. Swenne aber der mensche
sitzet, so sinket daz grobe bluot und sitzet, so sinket daz grobe bluot nider und
die liehten geiste dringent sich uf ze dem die liehten geiste tragent sich uf ze dem
hirne. So wirt diu memoria erliuhtet. hirne. So wirt diu memorie erliuhtet.
20 Her umbe saz Kristus in dem tempel, 25 Her umbe saz Kristus in dem tempel,
daz ist in der sele8• daz ist in der sele 8.
Daz ander stücke ist, daz er lerte. Waz Daz ander ist, daz er lerte. Waz
leret er? Er lerte unser verstantnisse, wie lerte er? Er lerte unser verstantnisse, wie
18 kunste Xl / kunst Kia 20-24 in daz hirne. vnd fordinsterit daz forstentnisse. wan aber der
mensche sitzit so sinkit daz grobe bluit. vnd di (difehlt H2) lichtin geiste dringent (H2, dringit 0) sich
(H2, sich fehlt 0) uf X1,fehlt Kia (Hom.) 23 di 0, Y (Lücke B10),jehlt H2; Lücke Kia 24 di
memoria Xi; di memorie Ni, Y2 / das gehugnusse Kia; die gehugriuss Bra}; die gehugde Goi 25
Hirumme Xi/ vnde dar vmme Kia 25 saz Xi, Y(Lücke B10),jehlt Kia 27-29 Daz andere
stucke ist daz he (H2, hefehlt 0) larte. waz lerit he he larte vnse forstentnisse wi daz wirkin solde. wan
X1,fehlt Kia
18 lern sullen di chunst Ni, Brei/ kunst (die konst B10) leren sullen BraJ, B10; sullen leren die
kunst Goi 18 do Goi, Brei/ voele BJO,jehlt YJ 20 das hirn Y1 / dy hirne Y2 20 verdun-
stern Ni; vordinsteren Brei / vermustent Goi; verduystert B10; verdunklet Bra} 22 nider Y2 /
nider sich Goi, fehlt YJ 23 tragen (tregent Goi) sich Brei, Goi / tragent si YJ; Lücke B10
24 memorie Ni, Y2 / gehugnuss BraJ; gehugde Goi 25 hirvme Brei; her vmb Ni/ dar vmb BraJ,
Goi; Lücke B10 27 lerte Goi; leerden B10 / leret YJ, Brei 28 lerte [1] Goi/ lert Bra}, Brei;
Lücke Ni, B10
autem et levia et clara in calore et sanguine et spiritu ad ipsum tune, quando elevatur, deveniunt. Et haec
faciunt bonos intellectus et memorias. Haec est causa, quod cathedra ponitur doctoribus et thronus vel
tribunal iudicibus, quia cathedra dicitur aedes catechizantis, hoc est docentis. Aristoteles etiam in VII
physicorum dicit, quod 'in sedendo et quiescendo fit anima sciens et prudens'. Ps.(CVI,32): 'Exaltent
eum in ecclesia plebis et in cathedra seniorum laudent eum'. Eccli. XI (1): 'Sapientia humiliati exaltabit
caput et in medio magnatorum consedere illum facit'. Hinc est, quod Matth XXIII (2) dicitur: 'Super
cathedram Moysi sederunt scribae et pharisaei'. Nachgewresen durch Bernhard Geyer, Albertus
Magnus und Meister Eckhart, in: Festschrift Josef Quint anläßlich seines 65. Geburtstages überreicht.
Hrsg. von Hugo Moser, Rudolf Schützeichel und Karl Stackmann, Bonn 1964-, S.121-126, hier 123/
8 Vgl. Pr: 1, DW I, S. 5,5 -6: Dirre tempel, da got inne hersehen wil gewalticliche nach sinem willen, daz
ist des menschen sele ... ; S.15,3-9: Sehet, d6 was da nieman me dan Jesus aleine und begunde ze spre-
chenne in dem tempel. Sehet, daz wizzet vür war: wil ieman anders reden in dem tempel, daz ist in der
sele, dan Jesus aleine, s6 swiget Jesus, als er da heime niht ensi, und er ist ouch da heime niht in der sele,
wan si hat vremde geste, mit den si redet. Sol aber Jesus reden in der sele, s6 muöz si aleine sin und muoz
selber swigen, sol si Jesum hreren reden.
57
Predigt 90
daz würken solte. Wan swaz leren sol, daz daz würken solte. Wan swaz leren sol, daz
leret nach dem, daz ez selber ist. Her umbe, 30 leret nach dem, daz ez selber ist. Her umbe,
wan Kristus ein verstantnisse ist, s6 leret er wan Kristus ein verstantnisse ist, s6 leret er
unser verstantnisse 9 • unser verstantnisse 9•
Eya, m1 merket disiu wort mit vHze. Diz
sprichet ein hoher meister von den kün-
Kristus hate vierleie kunst 35 sten 11• Kristus hate zweier hantle kunst in im. 25
und w1sheit .10 Diu eine kunst, die er nach der gotheit hat,
29 wan waz Xi/ Waz nu.K1a 30f. Ilirumme wan Xi/ Von nu.K1a
29 daz [1] Y2 / die Y1 29 sold Ni, B10 / sol Goi, Bra3, Brei 29 waz Y2 / was do Yi
30 hirvme Y2 / Dar vmb Y1 33 Diez Ni; Iz Brei / daz Bra3; want hier B10; dise wart Goi
34 hoher Y1 / hohe Y2 34 den YJ / disen Y2; Lücke Goi . 35 zweiger Goi, Bra3, Y2 / vier Ni
36 nach der gotheit hat (hatte Brei) Ni, Y2 / het die het er noch der gotheit Goi, BraJ
9 Vgl. Pr.12, DW I, S.193,8-194,2: Allez daz, daz der ewige vater leret, daz ist sin wesen und sin
nature und alliu sin gothcit, daz offenbaret er uns alzemale in sinem eingebornen sune und leret uns,
daz wir der selbe surr sin. Der mensche, der da wcere uzgegangen also, daz er wcere der eingeborne sun,
dem wcere eigen, daz da eigen ist dem eingebornen surre. Swaz got würket und swaz er leret, daz würket
und leret er allez in sinem eingebornen sune. Got würket alliu siniu werk dar umbe, daz wir der einge-
borne sun sin; Pr. 4, DW I, S. 72,8-11: Der vater gcbirt sinen surr in dem ewigen verstantnisse, und also
gebirt der vater sirren sun in der sele als in siner eigenen nature und gebirt in der sele zc eigen, und sin
wescn hanget dar an, daz er in der sele gebere sirren surr, ez si im liep oder leit; Pr.101, DW IV, Z. 87-89:
Sehet, got der vater hat ein volkomcn insehcn in sich selber und ein abgründic durchkennen sin selbes
mit im selber, niht mit keinem bilde. Und also gebirt der vater sirren sun in warer einunge götlicher
nature; Pr. 75, DW III, S. 299,4-9: Disiu gehurt ist sin verstantnisse, diu ewicliche ursprungen ist von
sinem veterlichen herzen, in dem er alle sirre wunne hat. Und allez, daz er geleisten mac, daz verzert er
in der verstantnisse, diu sin gehurt ist, und er ensuochet niht uzer im. Alle sine wunne hat er in sinem
sune, und er enminnet niht wan sirren sun und allez, daz er in im vindet; wan der sun ist ein lieht, daz
da ewicliche geliuhtet hat in dem veterlichen herzen; Pr. 80, DW III, S. 379,3-7: Sant Gregori US spri-
ch~t: wcere an gote iht edeler einez dan daz ander, ob man daz gesprechen möhte, daz wcere verstant-
nisse; wan an verstantnisse ist got im selben offenbcere, an verstantnisse vervliuzet got in sich selber, an
verstantnisse vliuzet got uz in alliu dinc, an verstantnisse schuof got alliu dinc. Und enwcere an gote niht
verstantnisse, so enmöhte diu drivalticheit niht gesin; so enwcere auch nie creature uzgevlozzen.
10 Vgl. Col. 2,3: in quo surrt omnes thesauri sapientiae et scientiae absconditi. In Anlehnung an die 'sum-
ma theologiae' und das 'Compendium theologiae 'des Thomas vonAquin lassen sich vier verschiedene Arten
des Wissens Christi unterscheiden. f/gl. Thomas Camp. theol. I c. 216 n. 439 (Ed Marietti S.104):Et quia
nulla perfectio creaturis exhibita, animae Christi, quae est creaturarum excellentissima, deneganda est,
convenienter praeter cognitionem qua Dei essentiam videt et omnia in ipsa, triplex alia cognitio est ei
attribuenda. Thomas S. theol. III q. 10: Sed quia de scientia divina dictum est in Prima Parte [S. theol. I
q. 14), restat nunc videre de aliis: primo, de scientia beata; secundo, de scientia indita; tertio, de scientia
acqms1ta. 11 Vgl. Petrus Lombardus Sent III d13 n. 8 (Ed Grottaferrata lib. III et IV, S. 87, 20-
22): Neque ideo unitas et singularitas personae dividitur, sed iuxta duas naturas, duas habet sapientias:
unam non creatam, sed genitam, quae ipse est; alteram non genitam, sed creatam, et per gratiam ei
collatam; Sent III d 14 c.1 n. 3 (Ed. Grottaferrata lib. III et IV, S.90,14-21): Quibus respondentes, dici-
58
Sedebat Iesus docens in templo
37 bekennet Goi, Nt, Brei/ bekant Bra}; bekande B10 38 bekennet Brei / bechant Y3;
bekande B10; Lücke Goi 40 noch Goi, Y2,fehlt Y3 40 tun [2] Yt / noch tvn Y2 46 vnder-
scheit Brei, Y3 / ein vnderscheit Goi, BtO 47 der redene Brei; der (den BtO) reden Nt, BtO /
reden Bra}; redende Goi 47f. Diez hat er von der gotheit wan es moht in chein creatur Y} / Dise
kunst hat Cristus vor der gotheit. wenne es en möhte enkeine creature gehaben Goi, fehlt Y2
48f. Diez (daz Brei) ist got vnd ist (in ist Brei) chein creature Nt, Brei, B10, fehlt Goi, Bra}
51 mugelicheit Goi, B10 / mvgeliche Brei; mugentheit Ni; menschait Bra} 52 wirt Nt, Brei /
ist Goi; mag werden Bra}, B10
mus animam Christi per sapientiam gratis datam, in Verbo Dei cui unita est, quod perfecte intelligit,
omnia scire quae Deus seit, sed non omnia posse quae potest Deus; nec ita clare ac perspicue omnia capit
ut Deus; et ideo non aequatur Creatori suo in scientia, etsi omnia sciat quae et ipse. Nec eius sapientia
aequalis est sapientiae Dei, quia illa multo est dignior, digniusque et perfectius omnia capit quam illius
animae sapientia; vgl auch Thomas Camp. theoL I c. 216 n. 434 (Ed Marietti S.102-103): Oportet
autem consequenter dicere de plenitudine sapientiae Christi. Ubi primo considerandum occurrit, quod,
cum in Christo sint duae naturae, divina scilicet et humana, quidquid ad utramque naturam pertinet,
necesse est quod geminetur in Christo, ut supra dictum est (c. 212). Sapientia autem et divinae naturae
convenit et humanae. 12 Zur Bezeichnung der zweiten göttlichen Person als mittelste persone Z. 43f
und Z. 54 vgl Pr.16 b, DW I, S.267,1-4: Wan die meister enlegent niht daz bilde in den heiligen geist,
mer: sie legent ez in die mittelste persone, wan der sun hat den ersten uzbruch uz der nature; dar umbe
heizet er eigenl'tche ein bilde, des vaters, und daz entuot niht der heilige geist.
59
Predigt 90
55 es Goi, Bra] / alse iz Brei; alz Ni, BiO 56 geschafen Y2; geschaffent Goi/ geschehen YJ
57 daz Goi, Y2 / di YJ 59 en bekennet Brei, BiO / bekantent Goi; bekant BraJ; enchant Ni 60
alleine got (got / der gotheit BiO) Goi, Y2 / got alein YJ 61 creaturlich BraJ, BiO / creatur Ni, Brei;
Lücke Goi 63 an Goi, Y2,jehlt YJ 63 des Y2 / dis Yi 64 Die dritte Goi, Y2 / Di ander Ni;
aber ain Bra] 64 sv Brei, BiO / die sel Christi BraJ; er Goi,jehlt Ni 66 sanctus Brei, YJ,jehlt
Goi, BiO 69 an ir Goi, Y2 / in ir Ni,jehlt Bra] 70 daz (Diz Brei; da BraJ) ist Goi, BraJ, Y2,jehlt'
Ni 70f. vernemende Goi, Brei; vernemen Ni/ verstan BraJ, BiO 71 sin Yi / sines Y2 71 vr Y2 /
in Yi 73f. sin (seiner Ni) forme dem wahsz Goi, Brei, Ni/ dem wachs sin form BraJ, BiO 76 Daz
virde daz Cristus (diesele Cristi Ba]) hat Bri, YJ / Die viertle kunst die Cristus hat Goi; Die virde konst
die Cristus leerde heeft nae der menscheit BiO 78 bescheiden Goi, BiO / beweisen YJ; Lücke Brei
60
Sedebat Iesus docens in templo
Diu erste was götlich 13 . Da mite Diu erste kunst diu got ist 13, da mite
bekante er, daz da ist an der ewigen vürsihti- bekante er, daz da ist an der ewigen vürsihti-
cheit: niht aleine daz da ist und cheit: allez daz geschehen ist und m1 ist und
werden sol, mer: ouch allez daz, daz got iemer me werden sol und noch geschehen
vermohte, ob er wolde. mohte, ob er wolde und doch niemer ze
85
liehte enkumet. Daz hat doch wesen an
sinem wesene und niht an im selber.
Mit dirre kunst sach er in der liute Mit dirre kunst sach er in der liute
herzen, und alliu diu werk, diu gote herzen, und alliu diu werk, diu der gotheit
zuohrerent, diu worhte er mit dirre kunst 14. 90 zuogehrerent, diu worhte er mit dirre kraft 14 .
Daz vermohte Kristus mit der kunst, diu got Diz vermohte Kristus an der kunst, diu got
ist. ist.
81 erste Xi, Brei/ erste kü.nst Kia, Y1,Jehlt Bra3 82 bekante Kia, Y / kante Xi 84 Mer
X1,Jehlt Kia 84 daz [1] X1,Jehlt Kia 84 f. daz got formochte ob he wolde Xi/ daz er selbir ver-
mag in sinre grundelosen gotheide Kia 89f. vnd alle di werc di gode zu horin dy (H2,jehlt O)
worchte he mit dirre kunst Xi / vnd worhte mit dirre kunst wondir vnde zeychen. vnd waz er wolte Kia
91f. Daz formochte Cristus mit der kunst di got ist X1,Jehlt Kia
81 kunst Goi, Ni, BJO, fehlt Brei, Bra3 84 werden Y3 / gewerden Y2; geschehen Goi
84 noch Brei, Y3 / och Go1,jehlt B10 85 doch niemer Goi, Bra3; nvmmer doch Brei/ doch nim-
mer rner Nt, BJO 88 kunst YJ / craft Y2 91 Dis Y1 / Daz Brei; die BJO
13 Vgl. Thomas S. theol III q. 9 a. 1: Utrum in Christo fuerit aliqua scientia praeter divinam ...
Sed Christus per scientiam divinam cognoscebat omnia; Thomas Comp. theol I c. 216 n. 434 (Ed.
Marietti S.103): Ergo oportet confiteri duas esse in Christo sapientias secundum duas naturas, sapien-
tiam scilicet increatam, quae ei competit secundum quod est Deus, et sapientiam creatam, quae ei com-
petit secundum quod est homo; vgl. auch S. theol I q. 22 a. 1: Cum autem Deus sit causa rerum per suum
intellectum, et sie cuiuslibet sui effectus oportet rationem in ipso praeexistere, ut ex superioribus patet;
necesse est quod ratio ordinis rerum in finem in mente divina praeexistat. Ratio autem ordinandorum
in finem, proprie providentia est. Est enim principalis pars prudentiae, ad quam aliae duae partes ordi-
nantur, scilicet memoria praeteritorum, et intelligentia praesentium; prout ex praeteritis memoratis, et
praesentibus intellectis, coniectamus de futuris providendis; vgl weiter Thomas Comp. theol I c. 216 n.
438 (Ed. Marietti S.104): Sed quia Christus etiam secundum quod homo, omni creaturae a Deo Patre
praepositus est, conveniens est ut omnium quae a Deo qualitercumque facta sunt, in ipsius divinae essen-
tiae visione plenam cognitionem percipiat: et secundum hoc anima Christi omnisciens dicitur, quia ple-
nam notitiam habet omnium quae sunt, erunt, vel fuerunt; vgl auch Pr. 75, DW III, S. 293,5-7: Diu erste
minne, die got hat, da suln wir ane lernen, wie in s'i:n natiurHchiu güete dar zuo twanc, daz er alle
creaturen geschuof, der er ewicliche swanger was worden in dem bilde smer vürsihticheit, u:f daz sie
smer güete niezen mit im. 14 Vgl Thomas S. theol III q.10a. 2:Ad Christumautem, et ad eius dig-
nitatem, spectant quodammodo omnia: inquantum ei subiecta sunt omnia [1 Cor. 15,27]. Ipse est etiam
omnium iudex constitutus a Deo, quia Filius Hominis est, ut dicitur Ioan. 5 [loh 5,27]. Et ideo anima Chri-
sti in Verbo cognoscit omnia existentia secundum quodcumque tempus, et etiam hominum cogitatus,
quorum est iudex: ita quod de eo dicitur, Ioan. 2 [loh 2,25}: Ipse enim sciebat quid esset in homine; quod
potest intelligi non solum quantum ad scientiam divinam, sed etiam quantum ad scientiam animae eius
quam habet in Verbo.
61
Predigt 90
Diu ander kunst Kristi, diu ist creatu- Diu ander kunst Kristi, diu ist crea- 30
re15, daz ist diu kunst, diu ture 15 , daz ist gesprochen von der sele, diu
siner sele ingegozzen wart, dö si geschaffen 95 ir ingegozzen wart an ir geschepfede,
wart, und diu ist übernatiurlich. diu ist über nature.
Dar umbe gebruchete si gotes und Dar umbe gebruchete si und
schouwete got an sinem wesene. An dirre schouwete got an sinem wesene. Dar ane
kunst engienc im nie zuo oder abe. Mit dirre engienc im nie zuo noch abe. Mit dirre
kunst vermohte er, daz er bekante allez, daz 100 kunst vermohte er, daz er bekante allez, daz
got ie geschuof und daz er noch schaffen ie geschach und nu ist und iemer me
wil; aber niht daz s'ine geschehen sol; sunder daz daz gotes vermü-
unendelicheit ane tritet, daz enkennet si gentheit vermohte, ob er wolde, daz sine 35
niht. Diz lieht ist creature und ist doch siner unendelicheit ane gat, daz was ir verbor-
sele übernatiurlich 16 . 105 gen 16 .
93 Cristi X1, Y(die Christus hat Goi)/ Cristi vnsers herren Kla 93 f. creature X1, Y(creatur-
lich Bra3) / geschaffen Kla 96 di XJ / die künst Kta 96 ist X1, Y(was Bra3),fehlt Kla 97
godis X1 / godes sün Kla 98-100 An dirre cunst in girre vme ni zu oder (aber H2) abe. Mit disir
cunst for mochte he daz [1] X1,Jehlt Kla 100 er [2] X1, Y / vnd Kla 100 bekante Kla, Y / ir
kante X1 101-104 vnd daz he noch schaffin wil. aber nicht daz (daz he O) sine vn[29"]edelichkeit
ane tridit daz in kennit si niht X1,jehlt Kla 103 unendelicheit / vnedelichkeit O; vnedelikeit H2;
Lücke Kla 104f. Diz licht ist creature vnd ist doch siner sele vbir naturlich X1 / daz bekante er in
deme vbirnaturlichen liehte sinre selen. Wande er was Got vnde mensche Kla
95 geschöphede Goi, Brei; geschephe Nt/ geschaffenheit Bra3, BJO 96 die Goi, Y2 / daz Y3
96 vbernaturlich Goi, Bra3 / vber natur Nt; poben nature Y2 98 dar an Goi, Brei, Bra3 / hie an
Nt, BJO 99 en ginch Y1 (in ging Goi)/ en gett Y2 103f. sin vnendelicheit Brei/ si nicht Y3;
Lücke Goi, B10
15 Thomas Camp. theol. I c. 216 n. 435. 436 (Ed. Marietti S.103-104): Hominis autem Christi est
duplex cognitio. Una quidem deiformis, secundum quod Deum per essentiam videt, et alia videt in Deo,
sicut et ipse Deus intelligendo seipsum, intelligit omnia alia, per quam visionem et ipse Deus beatus est,
et omnis creatura rationalis perfecte Deo fruens ... Non tarnen anima Christi ad comprehensionem
Divinitatis pertingere potest. Nam, ut supra dictum est [c.106), illud cognoscendo comprehenditur quod
tantum cognoscitur quantum cognoscibile est. Unumquodque enim cognoscibile est inquantum est ens
et verum, esse autem divinum est infinitum, similiter et veritas eius. Infinite igitur Deus cognoscibilis
est. Nulla autem creatura infinite cognoscere potest, etsi infinitum sit quod cognoscit. Nulla igitur crea-
tura Deum videndo comprehendere potest. Est autem anima Christi creatura, et quidquid in Christo ad
humanam naturam tantum pertinet, creatum est. 16 Vgl. Thomas S. theol. III q. 10 a. 1: Est autem
impossibile quod aliqua creatura comprehendat divinam essentiam, sicut in Prima Parte [S. theol. I q. 12
a. 7] dictum est: eo quod infinitum non comprehenditur a finito. Et ideo dicendum quod anima Christi
nullo modo comprehendit divinam essentiam; vgl. auch S. theol. I q. 12 a. 7: Nullus autem intellectus crea-
62
Sedebat Iesus docens in templo
38,1 Diu dritte kunst ist, die er hat mit den Diu dritte kunst ist, die er hat mit den
engeln, die in in hant bilde aller dinge 17• engeln, die in in hant bilde aller dinge 17 .
Sant Dionysi us 18 der sprichet: do got
die engel geschuof, do gap er in bilde aller
dinge, daz hant sie natiurliche. Also hat 110 Also hat
Kristi sele natiurliche aller dinge bilde, Kristi sele. Diu ist ir natiurliche.
106 ist di he hait X1 / die hade er K1a 107 in vn X1,Jehlt K1a 108 S' Dyonisius der spri-
ehet K1a / Dyonisius X1 111 sele X1 / sele an ir K1a
106 ist N1,fehlt Goi, Bra}, Y2 107 in en hant Brei/ habent jn in Bra}; in hebben B10; h~bent
N1; do hant Goi 111 Krisd s~le / die sel Cristi Bra}; Cristus sele Goi, Y2; Cristus N1
111 die ist ir Goi, N1 / daz ist vr Brei; die had si B10; jn jr Bra}
tus pertingere potest ad illum perfeetum modum eognitionis divinae essentiae, quo eognoseibilis est.
Quod sie patet. Unumquodque enim sie cognoseibile est, secundum quod est ens actu. Deus igitur, cuius
esse est infinitum, ut supra ostensum est [S. theol I q. 7 a. 1], infinite eognoseibilis est. Nullus autem
intellectus creatus potest Deum infinite eognoscere. Intantum enim intellectus creatus divinam essen-
tiam perfectius vel minus perfecte cognoscit, inquantum maiori vel minori lumine gloriae perfunditur.
Cum igitur lumen gloriae creatum, in quocumque intellectu creato receptum, non possit esse infinitum,
impossibile est quod aliquis intellectus ereatus Deum infinite eognoseat. Unde impossibile est quod
Deum comprehendat. 17 Mit dem 'Compendium theologiae' des Thomas vonAquin unterscheidet die
Predigt 90 eine zweifache scientia infusa, eine scientia infusa supernaturalis und eine eingegossene
Erkenntnis nach dem Muster der Erkenntnis, welche die Engel hahen. Auch diese Art der Erkenntnis war
in Christus vorhanden. Vgl. Thomas Camp. theolI c.216n. 4}8 (Ed Marietti S.104):Praeter hancautem
rerum cognitionem, qua res ab intellectu creato cognoscuntur ipsius divinae essentiae visione, sunt alii
modi cognitionis, quibus a creaturis habetur rerum cognitio. Nam Angeli praeter cognitionem matu-
tinam, qua res in Verbo cognoscunt, habent cognitionem vespertinam, qua cognoscunt res in propriis
naturis. Huiusmodi autem cognitio aliter competit hominibus secundum naturam suam, atque aliter
Angelis. Nam homines seeundum naturae ordinem intelligibilem rerum veritatem a sensibus colligunt,
ut Dionysius dicit [De div. nom. c. 7,2], ita scilicet quod species intelligibiles in eorum intellectibus actio-
ne intellectus agentis a phantasmatibus abstrahuntur; Angeli vero per influxum divini luminis rerum
seientiam acquirunt, ut scilicet sicut a Deo res in esse prodeunt, ita etiam in intellectu angelieo a Deo
rerum rationes sive similitudines imprimantur. In utrisque autem, tarn hominibus quam Angelis, supra
rerum cognitionem quae competit eis secundum naturam, invenitur quaedam supernaturalis cognitio
mysteriorum divinorum, de quibus et Angeli illuminantur ab Angelis, et homines etiam de his prophe-
tica revelatione instruuntur. Nach Thomas vonAquin und nach Meister Eckhart macht es die Vollkom-
menheit der Erkenntnis Christi eiförderlich, defJ Christus auch die Erkenntnisart der Engel besefJ: die
Erkenntnis unter dem EinfiiifJ des göttlichen Lichtes. Die Engel bekommen die Erkenntnisbilder einge-
gossen, eingedrückt. Der Empfang der Erkenntnis der Dinge von oben ist für die Engel natürlich, nicht
jedoch für den Menschen;far diesen ist der Erkenntniserwerb aus eigener Kraft natürlich Die seientia
acquisita als natürliche Erkenntnisweise wird deshalb von der scientia infusa supernaturalis ahgehoben.
18 Vgl Dionysius Areopagita De div. nom. c. 7,2 (PG }, 868B), Dionysiaca I,S.}88-}90 (S),Alber-
tus M. Super Dionysium de div. nom. c. 7 (Ed Colon. XXXVII,1 S. }4}, 79-84): Ex ipsa intelligibiles et
intellectuales angelicarum mentium virtutes simplices et beatos habent intellectus, non in divisibilibus
aut a divisibilibus aut sensibus aut sermonibus diffusis congregantes divinam cognitionem neque ab ali-
quo communi ad ista simul actae; ab omni autem materiali et multitudine mundae.existentes intellee-
tualiter, immaterialiter, uniformiter intelligibilia divinorum intelligunt. Et est ipsis intellectualis virtus
63
Predigt 90
Diu viertle kunst, die er häte, diu was an Diu viertle kunst, die er hat, diu was an
der sinnelicheit. Wan swaz die sinne begri- der sinnelicheit. Wan swaz die sinne begri-
fent von buzen, daz wirt geistliche getragen fent von buzen, daz wirt geistliche getragen 10
113 bilde X1,jehltK1a 114f. ein mit ime nit en istK1a / mit vme (eme H2) nicht ein (inH2)
ist X1 115 ennam K1a / nam X1 , 115 nicht X1 / weder K1a 116 hi mide for mochte si daz
si X1 / vnd K1a 117 - 121 vnd nicht di ge schehin sullin. Alse der engil nicht be kennit zukunftige
dinc. ez in werde vme danne ge offinbarit. fon nature in hait he ez nicht X1,fehlt K1a 124 fon buzin
X1,jehlt K1a
115 her an Nt, Y2 / dar an Goi, BraJ 115 noch Bra}, Brei / me Goi, fehlt Nt, B10
118 werdent YJ, Brei / geschien B10; sint Goi 119 aber Y1 / Mer Y2 119 werden YJ,
Brei/ geschehen Goi, B10 119 zukunfftiger Goi; ze chunftig Nt/ kunftig BraJ, Brei; Lücke B10
121 er hat es (iz doch Brei) niht von natur YJ, Brei/ mer si en hebbens van naturen niet B10; so enweis
er es niht von nature Goi 122 die [J] Goi, Y2 / daz YJ 124 von buzzen Y2; von vssen Bra] /
von in flussen Goi, Nt
Mit den obersten kreften rüeret diu sele got; da von wirt si gebildet nach gote. Got ist gebildet nach im
selben und hat s'ln bilde von im selben und von niemanne me. S'ln bilde ist, daz er sich durchkennet und
al ein lieht ist. Swenne in diu sele rüeret mit rehter bekantnisse, so ist si im gl'lch an dem bilde. Drücket
man ein ingesigel an ein grüene wahs oder an ein rot oder in ein tuoch, daz ist alles ein bilde. Wirt daz
ingesigel gedrücket genzl'lche durch daz wahs, daz des wahses niht überbl'tbet, ez ens'l zemale gedrücket
in daz ingesigel, so ist ez ein mit dem ingesigel ane underscheit. Also wirt diu sele genzl'lche mit gote
vereinet an dem bilde und an der gl'lchnisse, als si in rüeret an rehter bekantnisse. Zur Verwendung des
Bildes Wachs und Siegel vgl auch Pr. 61, DW III, S. 46,4f: Hie von sprichet diu sele in der minne buo-
che: 'drücke mich in dich als ein wahs in ein ingesigel'; vgl Aristoteles De an. II c. 12 (B c. 12 424a
18-20): ... sine materia, ut cera anuli sirre ferro et auro recipit figuram.
64
Sedebat Iesus docens in templo
in die bildcerinne20 und da so vazzet ez daz 125 in die bildrerinne 20 und daz verstantnisse
inblicken des verstantnisses. Also hate er ein schouwet ez ane. Also hat er ein zuonemen
zuonemen als wir. Meister Thomas spri- als wir. Daz sprichet ein höher meister,
chet: er hate ein zuonemen von den kreften Thomas, daz er ein zuonemen hate von
der sinne 21 . den kreften der sinne 21 .
125 bilderinne / bilderinnen Xi; fanthasie. daz ist in die bilderinnen K1a 125f. vnd da so vaz-
zit ez daz in blickin des forstentnisses Xi / vnde vaszet sich daz. daz da von den vszern sinnen. wirt ver-
nomen vnd wirt also braht in daz virstentnusse Kia 126f. Also hatte he ein zu nemen alse wir Xi/
do von der mensche mag zu nemen an wisheyde. An der kunst hade auch Cristus ein zu nemen K1a
127 f. Meister Thomas sprichet / Meister oder bruder thomas sprichit Xi; alse Sanctus thomas sprichet
Kia; daz (als wie daz Bra3; Diez Ni) sprichet ein (der Bra}) hoher (hoe Brei, Bra}) meister Thomas
(Thomas fehlt Goi) Y 128 he hatte ein zu nemen Xi/ Jhesus Cristus vnser herre. der wusch in sin-
re mensheit K1a 128 fon Xi, Y(an B10) / an K1a
125 bilderinne Ni, Brei/ bilder Goi; bilde Bra}; beeldinghe B10 126 es Goi, Bra}, B10 / vnz
N1,fehlt Brei 127 als wir Goi, N1,Jehlt Bra}, Y2 127 daz Goi, Brei / Diez Ni; als wie daz
Bra3; Lücke B10 128 ein hoher (hoe Brei) meister Goi, Ni, Brei/ der hochmaister Bra3; Lücke B10
128 Thomas YJ, Bre1,fehlt Goi; Lücke BJO 128 hatte Brei/ het Bra3; hat Goi, B10; hab Ni
20 Vgl Pr.70Anhang, DW III, S200,28-201,1: Sol min ouge das bilde bekennen, daz an der want
gemalet ist, daz muoz kleinlich in dem lufte gebiutelt werden, noch kleinlicher muoz ez getragen wer-
den in min bilderin; in mime bekentnisse wirt ez ein; vgl auch Tauler, Pr.37 (ed. Vetter S.144,8-14):
Diser grunt mus gesucht und funden werden. In dis hus mus der mensche gon und enpfallen allen den
sinnen und das sinnelich ist, und allem dem das mit den sinnen zu getragen wirt und in getragen ist von
bilden und von formen, und von allem dem das die fantasie und die bilderinne und alle sinneliche bil-
de ie in getrilgen in eigener wise, ja och uber die vernunftigen bilde und die wirkunge der vernunft nach
vernunftiger wise und irre wurkunge. 21 Vgl. Thomas S. theol III q. 9 a. 4: Sie igitur necesse est
dicere quod in Christo fuerunt aliquae species intelligibiles per actionem intellectus agentis in intellec-
tu possibili eius receptae. Quod est esse in ipso scientiam acquisitam, quam quidam experimentalem
nominant; Thomas Comp. theol. I c.216 n. 440 (Ed. Marietti S.105): Patet igitur ex praedictis, quod ani-
ma Christi summum cognitionis gradum inter ceteras creaturas obtinuit quantum ad Dei visionem, qua
Dei essentia videtur, et alia in ipsa; etiam similiter quantum ad cognitionem mysteriorum gratiae, nec
non quantum ad cognitionem naturalium scibilium: unde in nulla harum trium cognitionum Christus
proficere potuit. Sed manifestum est quod res sensibiles per temporis successionem magis ac magis sen-
sibus corporis experiendo cognovit, et ideo solum quantum ad cognitionem experimentalem Christus
potuit proficere, secundum illud Luc. 2 (Luc. 2,52): Puer proficiebat sapientia et aetate; Thomas III
Sent. d. 14 a. 3 q. 6 sol. 5 (ed. Moos III, S 461): Alio modo ex sensu, sicut cum aliquis est certus de his quae
videt sensibiliter. Et talis certitudo acquiritur alicui, etiam quantumcumque per certissimam demon-
strationem aliquid sciat, quando videt sensibiliter quod prius non viderat - unde anima delectatur in
visis etiam quae scivit - et haec vocatur certitudo experimentalis. - Et quantum ad hanc crevit scientia
Christi inquantum quotidie aliqua videbat sensibiliter quae prius non viderat; non autem crevit quan-
tum ad essentiam. Das Thomas-Zitat Z.129f setzt Nikolaus von Landau ins Lateinische um und über-
setzt dieses ins Deutsche: alse Sanctus thomas sprichet. Quod puer ihesus crescebat uirtutibus sensitiuis.
Jhesus Cristus vnser herre. der wusch in sinre mensheit an den creften der sinne (Zuchhold
S.103,18-22).
65
Predigt 90
Nu sol man merken, waz er uns leret 130 Nu merket mit vlize, waz er uns lerte
mit disen künsten. mit disen künsten.
Diu erste kunst, diu got ist, uz der ge- Diu erste kunst, diu got ist, uz der ge-
vlozzen sint alliu dinc, mit der lerte er vlozzen sint alliu dinc, mit der kunst lerte
uns, wie wir widerkeren suln und ordenen er uns, wie wir widerkeren suln und ordenen 15
alliu dinc in irn ersten ursprunc: Daz 135 alliu dinc in irn ersten ursprunc: Daz
geschihet in dem men - geschihet genzliche in der sele an dem men-
sehen, in dem gesament werdcnt alliu schen, in dem gesament werdent alliu
manicvelticheit und alliu liplichiu dinc manicvelticheit und alliu liplichiu dinc
ufgetragen werdent in got in irn ersten in irm ersten
ursprunc, daz got ist. Und swenne der men- 140 ursprunge, daz got ist. Und swenne der men-
sche dar zuo kumet, daz er sich ein mit gote sche dar zuo kumet, daz er sich ein mit gote
vindet, denne aller erste keret er alli u dinc ze vindet, denne aller erste keret er alliu dinc ze
irn ersten sachen 22 • irn ersten sachen22 .
130 sal man Xi/ sullen wir Kla 130 waz he vns lerit Xi, Y, fehlt Kla 131 mit Xi, Y / an
Kla 133 larte Xi/ lereL Kla 134 sullen Kla, Y / soldin vnd sullin Xi 137 werdin Xi, Y /
wirt Kla 138 leiplich dinch Y (Ni; Lücke Go1),Jehlt Xi, Kla 138f. vnd alle vf getragin wer-
din Xi/ die [bezogen aufmanicvelticheit] also vf getragen wirt Kla 140 daz got ist Xi, Y2, YJ,jehlt
Kla, Goi 140 vnd Kla, Y (fehlt B10, Goi), fehlt Xi 142 er Kla, Y / der mensche XJ
130 lerte Goi, Y2 / lert Y3 133 lerete Y2 / lert Y3; Lücke Goi 136 genczlichen Y3,
Bre1 / geistliche Goi; warlicken B10 136I. in der selen an (in Brei) dem menschen Ni, Y2 /indes
menschen sel Bra3; an den menschen Goi 138 manicfeldikeit Y2 / manigueltig (fehlt Goi) dinch
Y1 138 lipliche dinc (fehlt Bra}) Y (Lücke Goi) 139 ersten Y1,jehlt Y2 140 vnd YJ, Brei,
fehlt Goi, B10 142 zu Goi, Y2 / in YJ
• 22 Vgl.Pr. 5 b,DWI, S.94,10-95,3: Aber ich spriche: swenne sich dirre wille keret von im selber und
von aller geschaffenheit einen ougenblik wider in sinen ersten ursprung, da stät der wille in siner reh-
ten vrien art und ist vri, und in disem ougenblicke wirt alliu verlorne z1t widerbräht; Pr. 20b, DW I,
S. 345,1-3: Also wirt alle wis daz vünkelin in der sele ufgetragen in dem liehte und in dem heiligen gei-
ste und also ufgetragen in den ersten ursprunc und wirt so gar ein mit gote ... ; Pr. 57, DW II, S. 595,10/:
Ze dem vierden male machet er (= vride) sie (= sele) widerböugic in irn ersten ursprunc, daz ist: in got;
Pr: 58, DW II, S. 617,Jf An den engeln durch die engel und an dem liehte sol diu sele widerkriegen ze
gote, biz daz si wider kumet an den ersten ursprunc; Pr. 60, DW III, S.13,5 -14,1: Niht aleine suochet der
schepfer sirre eigene ruowe, daz er sie uz im entworfen hat und gebildet an allen creaturen, sunder, daz
er alle creaturen mit im ziehe wider in irn ersten ursprunc, daz ist: ruowe; Pr. 80, DW III, S. 385,1- 5: Hie
von sprichet bischof Al breh t: drierhande wis vliuzet er uz in alliu dinc gemeinliche: mit wesene und
mit lebene und mit liehte und sunderli'chc in die vernünftigen sele an mügentheit aller dinge und an
einem widerrucke der creaturen in irn ersten ursprunc: diz ist lieht der liehte ... ; Pr.109, DW IV,
Z. 41f: Alle creaturen die tragent sich in min vernunft, daz sie in mir vernünftic sien. Ich aleine bereite
alle creaturen wider ze gote . . . Z. 64j: lch aleine bringe alle creatfuen uz ir vernunft in min ver-
66
Sedebat Iesus docens in templo
Hie von sprichet sant Bernhart 23: Her uf sprichet sant Bernardus: 23
20 herre, waz ist der mensche, daz du in sö 145 herre, waz ist der mensche, daz du in sö
sere geminnet hast? sere geminnet hast? Diz bescheidet er
Er ist ein guot, in dem gesament wer- selber: er ist ein guot, in dem gesament wer-
dent alliu manicvaltigiu dinc in eine eini- dent alliu manicvaltigiu dinc in eine eini-
cheit. Diz lerte er uns mit der kunst, diu got cheit. Diz lerte er uns mit der kunst, diu got
ist. 150 ist.
Waz leret er uns mit der kunst, Nu merket, waz er uns lerte mit der
diu übernatiurlich ist? Da mite leret er uns, kunst, diu übernatiurlich ist. Da mite leret
daz wir übergan allez daz natiurlich ist24 . er uns, daz wir übergan alle natiurlicheit24 .
Ze dem ersten suln wir übergan Ze dem ersten male suln wir übergan
unsere eigene sinne und dar nach dünken 155 unsere eigene sinne und dar nach dünken
150 nach ist: er selber Kia 151 nach uns: danne Kia 152 da mide leret er vns Kia, Y,fehlt
Xi
146 sere geminnet Y2 / reht liep Yi, Brai 146f. diz bescheidet her selbir Y2 / Diez (daz BraJ)
beschid (bericht Bra3) er vnz (selber Bra3) vnd sprach (spricht Bra3) Y3; Lücke Goi 148 ein (een-
re B10) Y2,jehlt YJ; Lücke Goi 149 lerte Brei; leerden B10 / leret Goi; lert YJ 151 lerte Goi;
leerden B10 / leret Y3; lere Brei 154 Zu dem (Zu dem/ zvme Brei) ersten mal Ni, Brei/ Des
ersten Bra3; Lücke Goi, B10
393,14-24): Quid est homo, quia magnificas eum, ait fidelis et devota confessio, aut quid apponis erga
eum eor tuum? ... Nee mirabere in humanis qualitatibus tarn dissimilia reperiri, si sollerter advertas
quanta et in ipsa substantia eonvenisse videtur diversitas naturarum. Quid enim spiritu vitae sublimius?
Quid vero humilius limo terrae? Quam profecto tarn diseohaerentium in homine eohaerentiarn rerum
ipsos quoque sapientes saeeuli huius arbitror non latuisse, cum hominem diffinirent animal rationale
mortale. Mirabilis siquidem eopula rationis et mortis, mira soeietas diseretionis et eorruptionis. Sie
nimirum, sie in moribus, sie in affectibus, sie in studiis hominum non minor, forte et amplior eontra-
rietas invenitur: ut si totarn pravitatem seorsum intuearis, ae rursum quidquid boni videtur inesse eon-
sideres singillatim, plenum censeas esse miraculo, quod tarn adversa eonvenerint. 24 Vgl. In Ioh n.
292, LWIII, S. 244,13f: Debet enim homo transire omne mutabile et creatum contemnendo, ut dignus sit
istarum nuptiarum; Pr.42, DW II, S.309,3-5: Nu wizzet: alliu unser volkomenheit und alliu unser
srelicheit liget dar ane, daz der mensehe durehgange und übergange alle geschaffenheit und alle zit-
licheit und allez wesen und gange in den grunt, der gruntlos ist; Pr. 69, DW III, S.163,4/: Diu sele, diu
got vinden sol, diu muoz überhüpfen und überspringen alle creatfuen; Pr.10, DW I, S.164,16-18: War
umbe enwerden wir denne niht wis? Da gehreret vil dar zuo. Diu meiste sache ist, daz der mensche muoz
durehgan und übergan alliu dine und aller dinge ursache, und dis beginnet den mensehen verdriezen;
Pr: 12, DWI, S.193,1- 5: Driu dinc sint, diu uns hindernt, daz wir niht enhceren daz ewige wort. Daz erste
ist ltplieheit, daz ander manicvalticheit, daz dritte ist zitlieheit. Hrete der mensche disiu driu dinc über-
gangen, so wonete er in ewicheit und wonete in dem geiste und wonete in einicheit und in der wüe-
stunge, und da horte er daz ewige wort; Pr.11, DW I, S.178,4-6: Ein gesehrift sprichet: driu dinc hin-
dernt den menschen, daz er got enkeine wis bekennen kan. Daz erste ist zit, dan ander ,ltplicheit, daz
67
Predigt 90
und wrenen 25 . Nu schrit, edeliu sele, ziuch und wrenen25 . Nu schrit, edeliu sele, ziuch 25
ane dine schritschuohe ,26 ane dine schritschuohe 26 ! Welchez sint der
daz ist verstantnisse sele schritschuohe? Daz ist verstantnisse
und minne. Da mite schrit über diu werk und minne. Da mite schrit über diu werk
diner krefte und über din eigen ver- 160 diner krefte und sehnt über din eigen ver-
stantnisse und über die drie ierar- stantnisse und sehnt über die drie ierar-
chien und über daz lieht, daz dich chien und sehnt über daz lieht, daz dich
kreftiget, und sprinc in daz herze gotes, kreftiget, und sprinc in daz herze gotes,
daz ist in sine verborgenheit:' da solt du daz ist in sine verborgenheit: da solt du
inne verborgen werden allen creatureng7 . 165 inne verborgen werden allen creaturen27 •
Diz leret er uns mit der übernatiurlichen Diz leret er uns mit der übernatiurlichen
kunst. kunst.
Dar umbe sprichet sant Paulus: 'ir sit Dar umbe sprichet sant Paulus: 'ir sit 30
tot und iuwer leben ist verborgen mit Kristo tot und iuwer leben ist verborgen mit Kristo
in gote' 28 • 170 in gote' 28 •
156-158 · Nu schrit edile sele zuch ane dine schritschuwe daz ist Xi/ vnd daz diesele an sich clei-
de Kia 160 dinir Xi/ ire Kia 160 vnd Kia, Y,fehlt Xi 160 din H2, Y2 / dinc O,jehlt Kia
160 eigene Kia, Y,jehltXi 161 vnd Kia, Y,jehltXi 161f. nach ierarchien: di dri himmele Xi
156 zu.eh Goi, Brei / Tue Y3; Lücke B10 157f. weles sint der sele (seln Ni) schritschuhe
Goi, Ni/ welich sirrt dy Brei,fehlt Bra3; Lücke BiO 161 dri Brei; drige Goi,jehlt Y3; Lücke BiO
161f. ierachie (vetach ie der engel Bra3) Y3 / irrunge Goi; ecken Brei; Lücke B10 162 schrite Goi,
Brei,jehlt Y3; Lücke B10 162f. daz dich krefftiget Goi, Brei/ deiner creft Ni; diner beschaiden-
hait oder diner kreffte Bra3; Lücke BiO 166 dis Goi, Ni/ Daz Brei, Bra3; Lücke BiO 168 Dar-
vme Y2 / har vff Yi; Lücke BiO
dritte manicvalticheit.
25 Vgl Pr. 72, DW III, S.240,1-8: 'und lerte'. Sant Augustinus sprichet: »swer da leret, der hat
gesetzet sinen stuol in den himel«. Swer gotes lere enpfähen wil, der muoz u:fgan und übergan über allez,
da~ uzgespreitet ist: des muoz er sich verzihen. Swer gotes lere enpfähen wil, der muoz sich samenen und
insliezen in sich selber und sich keren von allen sorgen und kumbernissen und von dem gewerbe niderr
dinge. Die krefte der sele, der also vil ist und sich also wite teilent, die sol er übergan dannoch, da sie
sint in den gedenken, swie doch der gedank wunder würket, da er in im selber ist. Disen gedank sol man
übergan, sol got sprechen in die krefte, die niht geteilet ensint. 26 Nach dem 'Findebuch zum mhd
Wortschatz' S. 307 ist schritschuöch stm. in der Pr.90 und in Der Saelden Hort. Alemannisches Gedicht
vom Leben Jesu, Johannes des Täufers und der Magdalena. Aus der Wiener und Karlsruher Handschrift
hrsg. von HeinrichAdrian (DTM 26), Berlin 1927, S. 78, V. 4371 belegt 27 Vgl Pr. 84, DWIII, S. 464,2-
465,4: Diu sele schritet in got mit vier schriten. Der erste schrit ist, daz diu vorhte und diu hoffenunge
und diu begerunge in ir wahsent. Ze dem andern male so schritet si vort; so wirt diu vorhte und hoffe-
nunge und begerunge alzemale abegebrochen. Ze dem dritten male kumet si in eine vergezzenheit aller
zitHchen sachen. Ze dem vierden male schritet si in got, da si ewicliche bliben sol, regnierende mit gote
in der ewicheit; und danne engedenket si niemerme nach zitlichen dingen noch uf sich selber, mer: si
ist vervlozzen in gote und got in ir. 28 Vgl. Col. 3,3: Mortui enim estis, et vita vestra abscondita est
68
Sedebat Iesus docens in templo
Waz leret er uns mit der Nu merket, waz er uns leret mit der
natiurlichen kunst, die er hat mit den natiurlichen kunst, die er hat mit den
engeln, die aller dinge bilde in in harrt? Also engeln, die aller dinge bilde in in harrt. Also
hat diu sele eine mügelicheit, alliu dinc hat diu sele eine mügelicheit in ir, alliu dinc
ze begr'i:fenne29 . 175 ze begr'i:fenne 29 •
Her umbe solte si wonen in ir selber, Her umbe solte si wonen in ir selber,
wan diu warheit ist von binnen und niht wan diu warheit ist von binnen und niht
von buzen. von buzen.
Her umbe sprichet santAugust'i:n us 30 : HerumbesprichetsantAugust'i:n us :50
35 o herre, wie vil ist der, die uz in selber 180 o herre, wie vil ist der, die uz in selber
171 nach uns: dan Xi 176 Hir umme Xi, Brei; her vmb Ni/ Dar vrnme Kia, Goi, Bra}
177 binnen Xi / in binnen Brei; innekeide Kia; innen YJ; Lücke Goi 178 busin Xi, Brei/ auzen
YJ [Ni]; Lücke Goi, Kia 179 Hir umme Xi, Brei / Do von Kia; Her auf Yi 179 sprichet
Kia, Y / sprach Xi
176 Hirvme Brei, Ni/ dar vmb Goi, Bra}; Lücke BiO 176 sy Brei/ diesele Goi, BraJ,jehlt
Ni; Lücke BiO 177 binnen / in binnen Brei; innen YJ; Lücke Goi, BiO 178 bussen Brei /
auzen YJ; Lücke Goi, BiO 179 Hirvme Brei / har vff Yi; Lücke BiO 180 ist der Brei, BraJ /
der ist Goi, Ni; Lücke BiO 180 vssBraJ / vsser Goi,Brei; auzer Ni; LückeBiO 180 selbir Brei,
Bra} / selben Goi, Ni; Lücke BiO
gen, wan si eine mügelicheit hat alliu dinc ze verstanne; Pr.17, DW I, S.291,if Ein meister sprichet:
diu sele hat eine mügelicheit in ir, daz aller dinge bilde in sie gedrücket wirt; vgl nach DWI, S. 291 A ri-
stote les De an. III t. 18 (r c. 5 430a 14): ... intellectus potentia quidem sit quodammodo intelligibilia
ipsa ... Atque quidam intellectus talis est qualis est eo quod omnia fit, quidam vero eo quod omnia
facit... 30 Vgl SermoXIV,2 n.152,LWW, S.144,4-16: Igitur relictis omnibussecutisunteum. »Intra-
vi«, inquit, quia »intus eras et foras eram«. Ergo »noli foras ire« etc. Deus enim ut deus non est nec sapit
nec invenitur nisi in intellectuali natura, ubi imago dei capax dei, cuius totum est esse ad aliud: 'innixa
super dilectum suum' (Cant. 8,5). »Et vidi super oculum animae meae«. Esto ibi et videbis, Psalmus (Ps.
4,6-7): 'multi dicunt: quis ostendit nobis bona?' Sequitur: 'signatum est super nos' etc. 'Multi dicunt' etc.
Augustin us: »homines temporalia sectantes, qui certe multi sunt, nihil aliud noverunt dicere nisi:
'quis ostendet nobis bona', cum vera et certa bona intra semet ipsos videre non possunt«. Nam 'signatum
est in nobis lumen vultus tui, domine'. Augustinus: ,,hoc lumen est totum hominis et verum bonum,
quod non oculis, sed mente conspicitur". Bene ergo relictis omnibus secuti sun,t eum. Siehe A ugustinus
En. inPs. 4n. 9, CCSL XXXVIII, ed. Dekkers / Fraipont, S.18,1-3: Sed homines temporalia sectantes,
qui certe multi sunt, nihil aliud nouerunt dicere, nisi Quis ostendit nobis bona, cum uera et certa bona
intra semetipsos uidere non possint. Vgl Pr.102, DWW, Z. 57-60: Dar umbe sprichet sant Augustin us
'vil ist der, die lieht und warheit hant gesuochet, und aber allez uzwendic, da si niht enwas. Des koment
sieze jungeste alsö verre uz, daz sie niemer wider heim noch wider in enkoment. Und des enhant sie die
warheit niht vunden, wan warheit ist inwendic in dem grunde und niht uzwendic'; vgl. weiter A ugu-
s tinus De vera rel c. 49 n. 94, CCSL XXXII, ed. Daur, S.249,16-18: Ita ornnis palma cognitioni datur et
artificio et comprehensioni ueritatis, ad quam nullo modo perueniunt, qui foris eam quaerunt.
69
Predigt 90
gegangen sirrt ze suochenne die warheit, die gegangen sint ze suochenne die warheit, die
noch nie ze in selber enkamen? noch nie ze in selber enkamen?
Hie umbe enhant sie die warheit niht Dar umbe enhant sie der warheit niht
vunden, wan got ist der sele innerste inni- vunden, wan got ist der sele innerste inni-
cheit. Diz leret er uns mit der natiurlichen 185 cheit. Diz leret er uns mit der natiurlichen
kunst. kunst.
Waz leret er uns mit der Nu merket, waz er uns lerte mit der
zuonemenden kunst? Daz ist, wie wir unsern zuonemenden kunst. Daz ist, wie wir unsern 39,1
181 sint K1a, Y / habin X1 182 selbir K1a, Brei, Bra3 / selbin X1, Goi, Nt 185 naturli-
chen K1a, Y / vbernaturlichin X1 187 nach uns: aber X1 189 nach suln: vnd richten vf ertri-
che K1a 191 ordenunge X1, Y / riehtliche ordenunge vnsers lebensK1a 193 bekenne X1, Bra3
/ bekennet K1a, Brei; erkenne Goi; erchennet Nt 196-197f. Cristus larte si wi [30"J sint di he
lerit. daz sint di ein valdigin. wer ist recht ein valdic X1 / Dise künst hat Got den menschen geleret in
<lerne tempel. daz ist in der reynen selen. die ein tempel vnde ein wonende godes ist K1a 196 wer
Ni, Brei; wir Bra3 / wi X1; Lücke K1a, Goi 198 f. betrubit noch betrugit X1 / betreuget Y3, Brei;
Lücke K1a, Goi
181 gegangen sint (haben Brei) Nt, Brei/ sint gegangen Goi, Bra3; Lücke BJO 182 nach nie:
wi.der Goi; nach selber: wider YJ; Lücke B10 182 selbir Brei; selber Bra3 / selben Goi, N1; Lücke
B10 183 Darvme Brei, YJ / do von Gof; T,ücke BiO 183 der Goi, Brei / di YJ; Lücke B10
184 funden YJ / gewunnen Brei; enphunden Goi; Lücke B10 185 lert Goi, YJ / lerte Brei; Lücke
R10 187 lerte Goi/ geleret hat Brei; lert YJ; Lücke B10 188 vnsern Goi; vnse Brei/ den YJ;
Lücke B10 190 gesaget Nt, Brei / gesagen Goi; gesprechen Bra3; Lücke B10 191 pruvene
Brei/ bruffung BraJ; bruuen N1; brunnende Goi; Lücke B10 192 sines selbes Brei/ sich selber
Goi, BraJ,.fehlt N1; Lücke B10 193 bekennet Brei/ bekennen BraJ; erchennet N1; erkenne Goi;
Lücke B10 196 larte [1] Brei/ lert YJ; Lücke B10, Goi 196 larte [2] Brei/ lert YJ; Lücke B10,
Goi 199 mit nichte Bre1,fehlt YJ; Lücke B10, Goi 199 vnd der ouch Brei / noch YJ; Lücke
B10, Goi 199 f. von nimant Brei, BraJ / nicht Ni; Lücke B10, Goi 200 betrogen mach Nt/
31 Siehe Anm. 1. 32 Vgl. Prov. 12,21: Non contristabit iustum quicquid ei acciderit. Vgl. auch
BgT, DWV, S.12,21-13,4: Herumbe sol der mensche gar vlizic sin, daz er sich entbilde sin selbes und aller
creaturen, noch vater wizze dan got aleine; so enmac in niht leidic gemachen noch betrüeben, weder got
70
Sedebat Iesus docens in templo
mag betrogen Bra3; betrogen inwart noch inmach Brei; Lücke BiO, Goi 200-202 daz sint dy rech-
ten eiveldigen. Jn dise eiveldikeit helfe vns got Amen Brei,jehlt Y3, Goi; Taücke RIO
noch creat11re, noch geschaffenez noch ungeschaffenez, und allez sin wesen, leben, bekennen, wizzen
und minnen ist 11z gote und in gote und got = Proc. Col. T n. 10, LW//, S. 202,9-18: Quintus. »Homo debet
esse multum diligens, ut spoliet vel denudet se ipsum a propria imagine et cuiuscumquc creaturac et
ignoret patrem nisi solum deum; tune nihil est quod possit ipsum contristare vel conturbare, nec deus
nec creatura nec aliquod creatum nec incrcatum. 1otum suum esse, vivere, nasse, scire et arnare est ex
deo et in deo et deus«.
71
PREDIGT 91 (Strauch Par. an. Nr.16 S. 39-42)
Handschriftliche Überlieferung:
Me2 Melk, Bibl. d. Benediktinerstifts Cod. 705 (olim 371/G 33), 31ra-31sra.
Textbestand: vollständig (mit Lücken). An Text fehlt: 1 Voca operarios ... suam, 5 Ze dem an-
dern ... 6 Ein meister sprichet, 10 Und ist ... 13 geziehen müge, 16 oder glfchnisse ... 21 an die
creatilre, 25 da sluoc in got ... 26 sinem liehte, 35 Dar umbe hat ... 42 ere welle geben; 61 Ein lerer
sprichet ... 62 dem menschen, 64 Wan die meister ... 65 ir allermeist sin, 67 und also ob ... ver-
gezzen habe, 70 Diz ist von ... creatilre, 75f. Und tuot einen ... guote mensche, 77 Weste ieman
ein ... 80 keine sünde, 82 Hie vor ensol ... 83 sol geben, 88 Got hat uns ... 89 da zuo tuon, 101 ver-
mac siez ... 102 verdrozlich werden, 111 Hie von enmac ... 112 got. Amen.
Me2a Melk, Bibl. d. Benediktinerstifts Cod. 705 (olim 371 / G 33), 438va_
Textbestand: Fragment. An Text vorhanden: (27-29) wan an dem tag da santAugenstin pechert
wart da chund er nicht ersatt wem in dem wunnsamen lust den er het von der huet df got der sel
legt da mit er sf zw im pechert (86- 87) vnd got lokcht vns zw im mit seim lan als ein lamp mit eim
grüenen laub von ainer stat zw der andern gelokcht wirt.
Me3 Melk, Bibl. d. Benediktinerstifts Cod. 1569 (olim 615/L 27), 10rlv.
Textbestand: Fragment. An Text vorhanden: (8-10) wann dy lieb dy gotzw dersel hatdy hat in
vberwuntten das er alle creatur peschajfen hat das er ir da mit sein er ef.lenbaret (15f) vnd wie
lustig er dy creatur gemacht hat so hat er doch ettwas leidens da neben gelegt (21-26) wer seiner
ern lust nicht achtten wil das er dann mit leiden gedrungen vnd geslagen werd wann als wunder-
leich der menschen muet ist als wunderleich ist der weg zw got da mit er ainn mit lust zw im tzewcht
vnd den andern mit vngemach vnd slegen. Als sand pauls wunderleich pechert wart da er am
weg was dy christen ze slahen vnd das er dannach nach seiner sel in den dritten himel tzukcht wart.
(27-29) Auch an dem tag dar an sand Augenstin pechert wart da chund er nicht ersatt wern von
dem wunderleichen lust den er het an der huet dy got der sel legt da mit er sy zw im chert (43-44)
Es sind drew ding dar vmb dy sel an der creatur chain genüegen hat Das ain das sy tailt sind
(47-48) Das ander das sy leipleich sind vnd genn awjf verderben vnd verdrossenhait dar vmb an
in chain zw nemen gesein mag. (53-55) Das dritt das dy gab der creatur nicht geschenkcht wirt
von [1 O?] dem vnd sy am ersten gefl,ozzen sind das ist von got dar vmb sy der awjf getzogen sel in
lust nicht smekchen mügen. (86-87) wan got der herr lokcht dy sel zw im als ein sch&jfel mit eim
grüenen lawb von ainer stat an dy ander gelokcht wirt. (91- 94) Vnd ob aller sel chrafft an ainer sel
lag so möcht sy hie das mynnist lan nicht enphahen das von dem mynnisten werch chümbt das got
72
Filiation der Handschriften
in ewiger lieb poten hat oder dy sel milest da von tzeifliezzen vnd am leichnam sterben. (99-101)
Was geschach dann nicht ob sy als das lan enphahen solt das got selber ist. Sol es aber dy sel ver-
milgen so mues sy vber sich selber erhaben wern vnd vber alle creatur vnd mues in ein götleich wesen
gesetzt wer:n vnd in dy gleichnus götleicher natur. Das Textstück wurde von Lienhart Peuger dem
Traktat Pf. III 'Von der sele werdikeit und eigenschaft' (Pf., Tr. III, S. 405,39-406,28) eingefügt.
Me5 Melk, Bibl. d. Benediktinerstifts Cod. 235 (olim 639/L 67), 333va.
Textbestand: Fragment. An Text vorhanden: (83-84) Wer vor alter vnd chrankchait nicht ver-
mag awssre werch tuender halt sich an dy inwendigen geistleichen werch dy grösservnd edler sind
dann dy awssern. (91- 94) wann möcht dy sel got als gantz erchennen als dy engel sy wlir inn leich-
nam nye chömen. (96- 98) Wann ob aller engel vnd sel chrajft in ain sel gelegt wlir so möcht sy das
mynnist lan eins gueten gedankchen von natur nicht enphahen das in der ewigen lieb gedacht ,',virt
oder sy müesst da von am leichnam sterben. Das Textstück ist Bestandteil einer Sammlung von
Dicta, die inl}-1e5, 331'h-335rh ausdrücklich Meister Eckhart zugeschrieben werden: Notum Dy
hernach geschriben sprüch sind genomen aws der Zer Maister Ekcharts von paris (f. 331'h).
Me8 Melk, Bibl. d. Benediktinerstifts Cod. 856 (olim 881/Q 10), 213'.
Textbestand: Fragment. An Text vorhanden: (27-29) wann an dem tag da sand Augenstin
pechert wart da chund er nicht ersatt wern von dem wunderleichen lust den er het an der huet dy
got der sel legt da mit er sy zw im chert. (86-87) wann er lokcht sy zw im als ein lamp mit eim
grüenn lawb von ainer stat zw der andern gelokcht wirt. (91- 94) vnd ob aller sel chrajft an ainer
sel llig so möcht sy hie das mynnist lan nicht enphahen das von dem mynnisten werch chümbt das
g~t in ewiger lieb poten hat oder dy sel müest tzeifliezzen vnd am leichnam sterben (99-101) was
geschlich dann nicht ob sy als das lan enphahen solt das got selber ist. Sol es aber dy sel vermügen
so mues sy vber sich selber erhaben wern vnd iJber alle creaturvnd mues in ein götleich wesen gesetzt
wem vnd in dy gleichnus götleicher natur. Lienhart Peuger hat das Textstück in den Traktat
Pf. III 'Von der sele werdikeit und eigenschaft' (Pf. S. 405,39-406,28) aufgenommen.
0 Oxford, Bodleian Library Cod. Laud. Mise. 479, 30v-33'.
Textbestand: vollständig (mit wenigen Lücken). An Text fehlt: 7 Ich wil ez ... 8 durch den men-
schen, 30 Und ein lerer ... 33 f. Ziep gehabet werde, 89 W (Ere iht an gote ... 90 ungesprochen, 91
Also müeste ... sprechen daz lon, 95 Ich setze mine sele ... 96 sprechen wil, 104f. ist geschehen an
dem sune, wan.
Textabdruck: Philipp Strauch, Par. an. Nr. 16, S. 39, 7 -42,3; Eduard Sievers, Predigten von Mei-
ster Eckart, in: ZfdA 15 (1872), S. 373-439, hier Nr.VI, S. 386-389.
Filiation der Handschriften: Am vollständigsten bewahrt den Text der Predigt 91 die
Handschrift Lo4. Mit wenigen Lücken geben ihn H2 und O wieder. Stark gekürzt und redi-
giert erscheint er in Me2. Nur Textreste überliefern Me2a, Me3, Me5 und Me8.
Auf die genealogische Zusammengehörigkeit der 8 Textzeugen weisen grob die in
ihnen unterschiedlichen erhaltenen Textbestände: Isoliert steht Lo4, isoliert stehen auch
die Handschriften H2 und 0. Einen eigenständigen Überlieferungsblock bilden ebenfalls
die fünf Melker Fragmente Me2, Me2a, Me3, Me5 und Me8. Dies zeigt die nachstehende
Zeichnung:
73
Predigt 91
0 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Lo4~,---------------------------------.. . .- 113
o, 7 9 30 36 113
H2 1 7 9 30 36 113
Die Gruppe der Melker Handschriften (Me2, Me3, Me5, Me8), für die Me2 repräsen-
tativ ist, und die beiden mitteldeutschen Handschriften H2, 0 gehen in einem Text X
zusammen, von dem sich der Text der Handschrift Lo4 durch eine Reihe eigener Lesarten
unterscheidet:
7-8 Ich wel es öm abir neher legen das er sich hat gemacht durch sich vnd den menschen durch sich
und sich durch den menschen Lo4, fehlt 0, H2, Me2; Lücke Me3, Me5, Me8
9 so sere vorblendit vnd ertrenkt Lo4 / so gar vbir wflndin 0, H2; vberwunten Me2, Me3; Lücke
Me5, Me8
15 pin Lo4 / etwatz pinlichis 0, H2; ettwas leidens Me2, Me3; Lücke Me5, Me8
17 vnd wenken den menschen czll gote Lo4, fehlt 0, II2; Lücke Me2, Me3, Me5, Me8
19f. Wan der gute mensche wirt gelokt mit wollust vnd mit gemache Lo4, fehlt 0, H2; Lücke Me2,
Me3,Me5,Me8
30-34f. Vnd eyn lerer spricht Das vnser herre got also gelezeg als ab er aller creaturn vergessen habe vnd
synnet mit allemflisze da nach in welchen wege er dy sele czü sich geczy moge vnd wy er der
sele geojfenbart vnd lib gehat werde. Vnd gelezeg also ab öm sins lebens vnd siner natur czü gen
sulde. Wan sin leben vnd sin natur ist das das er geof/enbart vnd lib gehat werde Lo4, fehlt 0,
H2,Me2,Me3,11e5,Me8
63 vnmeszlich Lo4 / vn maze 0, H2; an massen Me2; Lücke Me3, Me5, Me8
86-87 Vnser here got hat vns gelockt mit deme Zone also das schaf mit dem ryse wan man es andirs wo
hen habe wel so wist man öm eyn grüne rysz Lo4 / Vnse herre got hat vns gelockit mit deme Zone
alse daz schof mit deme grunen rise wan man ez andirs wo habin wil gelockit wert 0, H2; wann
(vnd Me2a, Me3) got der herr (got der herr / got Me2a, er Mc8) lokcht vns (vns / dy sel Me3;
~y Me8) zw im mit seim lan (mit seim lon fehlt Me3, Me8) als das (ein Me2a, Me3, Me8) schaff
(sch&Jfel Mc3, lamp Me2a, Me8) mit eim grüenen lawb von ainer stat an (zw Me2a, Me8) dy
ander (dy ander / der andern Me2a, Me8) gelokcht wirt Me2, Me2a, Me3, Me8; Lücke Me5
89f. were icht an gote das da swege vnd nicht schryete das lon so blehis ungesprochen Lo4, fehlt 0,
H2, Me2, Me3, Me5, Me8
91 Also müste alle sin wesen vnd macht sprechen das lon Lo4, fehlt 0, H2, Me2, Me3, Me5, Me8
74
Filiation der Handschriften
91 f. Vnd ab alle dy crajt dy an allen seln ist geleit were an eyne sele Lo4 / Ich spreche daz alle sele
mit allin vrin ({ren H2) creftin werin ein sele 0, H2; Vnd (Vnd darvmb Me2) ob aller sel chrajft
in (an Me3, Me8) ainer sel wär (lag Me3, Me8) Me2, Me3, Me8; Lücke Me2a, Me5
95 f. Jch setze myne sele czü phande an dem iungisten tage czü der helle czü geben das dis war sy daz
ich nü spreche wel Lo4, fehlt 0, H2, Me2, Me3, Me5, Me8
111 got mag oüch nicht me gespreche Lo4, fehlt 0, H2, Me2, Me3, Me5, Me8.
Wenn man nicht annehmen will, daß Lo4 unmittelbar aus der Originalvorlage geflos-
sen ist, kann man eine Vermittlungsstufe Y postulieren. Ihr und dem Lo4-Schreiber muß
man die wenigen Reproduktionsschwächen zurechnen, die sich in Y (Lo4) finden:
2 in sinen win gartin ist 0, H2 / in syn garten adir in syn win garten Hy by ist Lo4; Lücke Me2,
Me3, Me5, Me8
3 zu vme (eme H2) 0, H2, zw im Me2, fehlt Lo4; Lücke Me3, Me5, Me8
16 zu gode 0, H2 / czü vnserm hern gote Lo4; Lücke Me2, Me3, Me5, Me8
17 godis 0, H2 / vnsers hern gotis Lo4; Lücke Me2, Me3, Me5, Me8
21 godis 0, H2 / vnsers hern gotis Lo4, fehlt Me2, Me3; Lücke Me5, Me8
35 der einvaldic ist 0, H2 / der [ 159r"] einwaldig ist. vnd eynvaldig Lo4; Lücke Me2, Me3, Me5,
Me8
35 di sele 0, H2 / sele Lo4; Lücke Me2, Me3, Me5, Me8
40 got sprichit 0, H2 / vnser herre der sprecht selbir Lo4; Lücke Me2, Me3, Me5, Me8
41 sin ere 0, H2 / syne sele Lo4; Lücke Me2, Me3, Me5, Me8
50 so lange ane sehin 0, H2 / czü lenge an sen adir so lenge an Lo4; luegt ... lang an Me2; Lücke
Me3, Me5, Me8
61 lerere 0, H2 / lere Lo4; Lücke Me2, Me3, Me5, Me8
66 got Me2 / vnserm hern gote Lo4; vn 0, eme H2; Lücke Me3, Me5, Me8
68 got 0, H2 / got selbir Lo4, er Me2; Lücke Me3, Me5, Me8
83 liphaftiger werke 0, II2; lei[317vb]pleiche werch Me2 / liphafter dinge Lo4; Lücke Me3, Mc5,
Me8
88f. wan solde got sprechin waz daz lon were 0, H2, fehlt Lo4; Lücke Me2, Me3, Me5, Me8
98 zuglidin vndforwerdin vnd zujlizin 0, H2; lzafiiezzen vnd am leichnam sterben Me2, Me3,
Me8 / czü gliten vnd czü jliszen vnd sterben Lo4; Lücke Me5
103 sich 0, H2, Me2, fehlt Lo4; Lücke Me3, Me5, Me8
106 der 0, H2, Me2, fehlt Lo4; Lücke Me3, Me5, Me8.
Die X-Überlieferung der Predigt 91 teilt sich in den Zweig der mitteldeutschen Hand-
schriften 0, H2 (= Xi) und in den der Melker Handschriften(= X2).
Die Sonderstellung von Xi (O, H2) belegen viele Eigenvarianten (Auswahl):
5 vnd an dem iungisten tage Lo4 / der da bittirliche vf des sunderis herze vellit X1 [OJ (vgl. 71f.
der da bittirliche vnd surliche vellit vf des sunderis herzin X1 [O]); Lücke X2
6 Ein meister spricht Das got dy Werlt vnd alle ding hat gemacht Lo4; wan er hat dy welt vnd alle
ding ... peschajfen Me2 / Fon dem erstin ein meistir. Got hait di werlintvnd alle di dinc df (df
H2, fehlt 0) in der werlinde sint ge machit X1 [O J; Lücke Me3, Me5, Me8
75
Predigt 91
15 vol komelich Lo4, volchömen Me2, lustig Me3, fehlt Xi; Lücke Me5, Me8
23 ist der weg Lo4, Me2, Me3 / sint di wege X1 [O]; Lücke Me5, Me8
46 keine rüwe Lo4, chain rue Me2 / kein gnugide X1 [O]; Lücke Me3, Me5, Me8
47f. Vnnd vordrossenheit Lo4, Me2, Me3 / vnd if einefordrossinheit X1 [O]; Lücke Me5, Me8
49f. so schone nach so edel Lo4, Me2 / so edile oder so schone X1 [O]; Lücke Me3, Me5, Me8
51 lutter Lo4, Me2 / behendir X1 [O]; Lücke Me3, Me5, Me8
55 got ist Lo4, Me2, Me3 / got selber ist Xi [O]; Lücke Me5, Me8
57 das Lo4, Me2 / wan X1 [O]; Lücke Me3, Me5, Me8
68 libe Lo4, Me2 / minne X1 [O]; Lücke Me3, Me5, Me8
69 lib hat Lo4, Me2 / nimit 0, nemit H2; Lücke Me3, Me5, Me8
71 an dem Lo4, am Me2 / mit deme X1 [O]; Lücke Me3, Me5, Me8
71 swerlich Lo4, Me2 / surliche X1 [O]; Lücke Me3, Me5, Me8
73 gedechtenisz Lo4, Me2 / gehucnisse Xi [O]; Lücke Me3, Me5, Me8
73f. dy sich gebreit haben uf deze werlt mit allir libe Lo4; dy sich awff der welt lieb praitt haben
Me2 / di der werlinde wollust volgint X1 [O]; Lücke Me3, Me5, Me8
74 süze vndfrolich Lo4, Me2 / frolich vnd suze X1 [O]; Lücke Me3, Me5, Me8
85 libe Lo4, Me2 / minne X1 [O]; Lücke Me3, Me5, Me8
92f. nicht enphan Lo4, Me2, Me3, Me8 / nicht inphahin noch ir lidin X1 [O]; Lücke Me5
93 kamt Lo4, Me2, Me3, Me8 / gevellit X1 [O]; Lücke Me5
98 vnd sterben Lo4; vnd am leichnam sterben Me2, Me3, Me8 / vndforwerdin X1 [O]; Lücke Me5
99 ab sy alle das lon enphan suln Lo4; ob sy als das lan enphahen solt Me2, Me3, Me8 / daz si ez
al zu male inphahe X1 [O]; Lücke Me8
100 abir Lo4; vber Me2, Me3, Me8 / pobin X1 [O]; Lücke Me5
100 abir Lo4; vber Me2, Me3, Me8 / pobin Xi [O]; Lücke Me5
102 von dem andern Lo4, Me2 / fon deme aldere X1 [O]; Lücke Me3, Me5, Me8
104 das ist gesehen an dem sone. wann da sich der sön entgosz in dy ewikeitt Lo4; das an Cristo
geschehen ist. wann da sich der sun in der ewichait ergas Me2 / daz du (do H2) sich der son int-
goiz in di ewikeit X1; Lücke Me3, Me5, Me8
105 mit entgoszen Lo4, Me2 / an vme (eme H2) intgozzin X1 [O]; Lücke Me3, Me5, Me8
108 hüte Lo4, Me2 / hude dissis tagis X1 [O]; Lücke Me3, Me5, Me8
109 vnd ör lon also Lo4; awff das er Me2 / vnd ez ir also X1 [O]; Lücke Me3, Me5, Me8
109f. lustig vnd vnvordroszlich (vnverdrozzen Me2) Lo4, Me2 / lustlich vnd vollincumen X1 [O];
Lücke Me3, Me5, Me8.
76
Filiation der Handschriften
54 alles das Lo4, Me2, 0 / allis daz. daz H2; Lücke Me3, Me5, Me8
56 wan 0, Me2, vnd hat Lo4 / dan H2; Lücke Me3, Me5, Me8
76 wan der güte mensche gibet an dem tode pin Lo4; wan ein guit mensche tuit an dem tode einen
seligin cöuf he gibit pine O; vnd ist ein geben des tods pein Me2 / he gibit pine H2; Lücke Me3,
Me5, Me8
99 wan das Lo4, 0, Sol es aber Me2, Me3, Me8 / daz H2; Lücke Me5
102f. darczü hat got eyn heymlichen rat fanden Lo4, O; Vnd dar vmb hat got ... einen haimleichen
rat fanden Me2 / da hat got zufanden einen heimelichen rat H2; Lücke Me3, Me5, Me8.
Daß alle Melker Handschriften einer einzigen Textform (X2) zugehören, die dadurch
gekennzeichnet ist, daß die Predigt im ganzen gekürzt und im einzelnen neu ausformuliert
erscheint, beweisen jene schmalen Textabschnitte, die Me2, Me2a, Me3 und Me8 gemein-
sam überliefern, freilich in unterschiedlicher Vergleichbarkeit:
77
Predigt 91
Alle vier Melker Handschriften Me2, Me3, Me5 und Me8 haben einen Schreiber: Lien-
hard Peuger; alle Texte dieser Handschriften zeigen Spuren individueller Bearbeitung. Da
bisher nicht mit Sicherheit eruiert werden konnte, welche unmittelbaren Vorlagen Peuger
bei seiner Schreib- und Kompilierungstätigkeit verwendet hat, ist das Verhältnis der vier
Handschriften im Textbereich der Predigt 91 nicht klar erkennbar. Ausschließen läßt sich,
daß die Handschrift Me3 jene Textstücke, die sie mit Me2 gemeinsam hat, auch dieser
Handschrift unmittelbar verdankt. Sie ist schließlich älter (geschrieben nach 1440) als die
H~ndschrift Me2, die zusammen mit Mel erst „in den 50er Jahren" (Löser S. 227) des 15.
Jahrhunderts entstanden ist. In Me3 ist an einigen Stellen der ursprüngliche Wortlaut von
X2, Xi und Lo4 erhalten, der in Me2 aufgegeben wurde:
21 ab er (der mensche X1 [OJ) der ere vnd (oder X1 [OJ) der wollu.stvnsers hern (u.nsers hern fehlt
X1 [OJ) gotis nicht acht (in achte X1 [O]) Lo4, X1; wer seiner ern lu.st nicht achtten wil Me3 /
wer seins lusts nicht achtten wil Me2; Lücke Me5, Me8
22 wunderlich Lo4, X1, Me3 / seltzam Me2; Lücke Me5, Me8
23 wunderlich Lo4, X1, Me3 / seltzam Me2; Lücke Me5, Me8
91f. Ich spreche daz alle sele mit allin vrin creftin werin ein sele X1 [O J; Vnd ab alle dy crajt dy an
allen seln ist geleit were an eyne seLe Lo4; vnd ob aller sel chraffi an ainer sel lag Me3, Me8 /
Vnd dar vmb ob aller sel chraffi in einer sel w!ir Mc2; Lücke Me5
92 daz lon X1 [O]; das mynste lon Lo4, Me3, Me8 / den mynnisten lan Me2; Lücke Me5.
78
Textkonstituierung
Andererseits kann Me2 nicht von Me3 abhängig sein, weil Me3 aus der Predigt 91
lediglich 10 kurze Exzerptstücke übernommen hat, Me2 aber die ganze Predigt, wenn auch
in verkürzter Gestalt, kennt.
Es darf angenommen werden, daß die beiden Textstücke Z. 27-29 (wan an dem tag ...
zw im pechert) und Z. 86-87 (vnd got lokcht ... zw der andern gelokcht wirt), die Me2 fol.
438va abschreibt(= Me2a), Wiederholungen des Predigttextes aus fol. 31 ra-318ra (= Me2)
sind. Die gemeinsame Textvariante in Z. 86 bestätigt diese Annahme:
86 Vnserherregot hatvnsgelocktmitdeme Zone Lo4, Xi/ wann (vndMe2a) gotderherr(derherr
fehlt Me2a) lokcht vns zw im mit seim lan Me2, Me2a.
Die gleiche Textstelle enthält auch einen entschiedenen Hinweis darauf, daß die
Exzerpte von Me8 (vom Jahre 1455) unmittelbar aus Me3 stammen:
86 wann (vnd Me2a) got der herr (der herr fehlt Me2a) lokcht vns zw im mit seim lan Me2,
Me2a / wan got der herr lokcht dy sel zw im Me3; wann er lokcht sy zw im Me8. 3
Es muß also angenommen werden, daß die Handschrift Me8 ihren Text aus der glei-
chen Vorlage X3 bezogen hat, von der Me2 und Me3 abhängen.
X3 kann aber nicht auch die Vorlage von Me5 gewesen sein, denn die Handschrift Me5
überliefert ein auffällig markantes Textstück der Predigt 91 - Z. 97- 99 Wann ob aller engel
vnd sel chrajft in ain sel gelegt whr so möcht sy das mynnist lan eins gueten gedankchen von
natur nicht enphahen das in der ewigen lieb gedacht wirt oder sy milesst da von am leichnam
sterben-, das Me2, Me3 und Me8 (= X3) nicht kennen und das folglich unmittelbar aus X2
stammen muß.
Den genealogischen Zusammenhang aller bisher bekannten Textzeugen veranschau-
licht das folgende Stemma:
XV
./~V
../·~.,
~
.,/·~
. . .i~. ~
.
Me2i
/""
i Me3
Me5 0 H2
•
Me3a
•
Me8
Textkonstituierung: Die Predigt 91 ist nur in einer einzigen Handschrift, in Lo4, vollstän-
dig erhalten. Relativ vollständig, d.h. mit partiellen Kürzungen und Redigierungen, bewah-
79
Predigt 91
ren sie die Handschriften 0, H2 und Me2. Nur wenige Textteile sind in Me3, Me5 und Me8
erhalten. Die Texterstellung muß sich auf Lo4 als Leithandschrift stützen. Die Melker
(X2 = Me2, Me3, Me5, Me8) und die mitteldeutsche (Xi= 0, H2) Texttradition helfen im
Vergleich untereinander und im Vergleich mitLo4 jene Textstellen der Predigt 91 zu erken-
nen, die in Lo4, aber auch in Xi und in X2 sekundär sind. Stehen Xi und X2 (= X) gegen
Lo4 zusammen, ist zu vermuten, daß der Schreiber von Lo4 eine individuelle Änderung
gegenüber dem Text seiner Vorlage durchgeführt hat (z.B. 83 liphaftiger werke 0, H2 [=Xi];
leipleiche werch Me2 [= X2] / liphafter dinge Lo4; Lücke Me3, Me5, Me8). Aber auch mit
Sondervarianten von X ist zu rechnen; denn X kann ebenfalls den Text von XY (Lo4) eigen-
mächtig umgestaltet haben. Die Kenntnis des usus scribendi sowohl von Lo4 als auch von X
hilft zu entscheiden, welche Lesart zu präferieren ist. Die Kenntnis der Schreib- und Bear-
beitungsintention unterstützt ganz generell das Bemühen, die sekundären Lesarten und
Textpassagen zu verifizieren. Dies gilt in besonderem Maße auch für die Textstufen Xi und
X2. Wenn Xi von Lo4 + X2 und X2 von Lo4 + Xi abweichen, darf vermutet werden, daß
ihre Abschriften an den Divergenzstellen nicht die Textgestalt ihrer Vorlage bieten. Überall
dort, wo durch Textausfall und Redigierung einzelner Handschriften die Überlieferungs-
vorgänge verschleiert sind und keinerlei Kriterien für die Lesartenwahl zur Verfügung
stehen, vertraut sich der Edierte Text der Textführung der Leithandschrift an.
Übersetzungen: keine
Echtheit: Die Predigt 91 wird in der Vorlage (Xi) von O und H2 Meister Eckhart zugewie-
sen. Jn disir predig (Jn disir predigade / Hye H2) lerit meistir eckart (Echard H2) wi got di
sele ladit zu eme mit deme geschepnusse allir creature vnd von deme Zone 0, H2. Nach J. Quint,
DW III, S. 376 ist der „Zeugniswert des Inhaltsverzeichnisses des 'Paradisus anime', dessen
Verfasser über eine 'sehr genaue Personalkenntnis in Thüringen' (Par. an. S. X) und damit
der einzelnen Prediger der Sammlung verfügte, sehr beachtlich, um nicht zu sagen verläß-
lich". Hinzu kommt, daß auch die Melker Handschrift Cod. 235 (= Me5), ein unmittelbarer
Abkömmling von X2, die Predigt 91 für Meister Eckhart bezeugt, allerdings nur mittelbar:
In der Dicta-Reihe fol. 331rb_335rh, die eine Spruchsammlung aus Predigten Eckharts ist
und die als solche ausdrücklich ausgewiesen wird (Dy hernach geschriben sprüch sind geno-
m~n aws der Zer Maister Ekcharts von paris [fol. 331rb]), sind auch drei Textstücke (siehe oben
S. 73) aus der Predigt 91 aufgenommen worden. Es kann vermutet werden, daß die
Zuschreibung der Predigt 91 an Meister Eckhart bis an den Anfang der Textüberlieferung
zurückreicht: Wenn Xi und X2 Eckhart als Autor der Predigt nennen, dürfte in X der Name
Eckhart nicht gefehlt haben und wohl auch nicht in XY Wenn er sich nicht in Lo4 findet,
heißt dies nicht, daß er nicht in XY gestanden hat, denn Lo4 überliefert alle Predigten
grundsätzlich anonym.
Ein entferntes Zeugnis für Eckhart als Autor der Predigt 91 darf in der Umarbeitung
von Valentin Weigels 'Gebetbüchlein' aus dem Jahre 1610 gesehen werden, in der ein Spruch
Eckharts zu lesen ist, der sowohl auf die Predigt 79 wie auf die Predigt 91 bezogen werden
kann, da Eckhart in beiden Predigten von der 'vernarrten' Liebe Gottes zu dem Menschen
spricht: ,,Es Saget D Eccardus, Es ist Gott also noth, das er dir gebe, das er nit warten mag, das
80
Echtheit
er dir gebe. Er gibt sich selber dir von erst, also verthoeret ist gott mit seiner lieb gegen v,yJ"
(Winfried Zeller, Eckhartiana V. Meister Eckhart bei Valentin Weigel, in: Zeitschr. f. Kir-
chengesch. 57 [1938], S. 309-355, hier S. 353).
Die Echtheit der Predigt erscheint über die unmittelbaren Zuschreibungszeugnisse hin-
aus auch durch inhaltliche und formale Übereinsti=ungen mit anderen echten deutschen
Predigten Eckharts und mit Stellen aus seinem lateinischen Werk gesichert. 1. In annähernd
gleichlautenden Formulierungen ist in den Predigten 79 und 91 von der selbstvergessenen
Liebe Gottes die Rede:
2. Die Aussage, daß Gott sich in seiner Liebe zu den Menschen so verhalte, als ob er aller
creature vergezzen habe (Z. 30), wird in der Predigt einem anonymen lererzugesprochen. Sie
findet sich auch im gleichen thematischen Zusammenhang im Sermo VI,1, in dem sie als
Zitat aus Hugos von St. Viktor 'Soliloquium de arrha animae' ausgewiesen wird (vgl. Anm.
14). Der deutsche Nebensatz als ob er aller creature vergezzen habe übersetzt unmittelbar
quasi oblitus omnium aliorum. 3. In den Predigten 58 und 60 versichert Eckhart, er habe wie-
derholt davon gesprochen (Ich han ez auch me gesprochen DW II, S. 612, 10 f.; DW III,
S.16,2), der Mensch könne niemals Lust und Freude an der Kreatur haben, wenn nicht gotes
glichnisse in ihr wäre. Die Predigt 91 darf als weiterer Beleg dafür angesehen werden, daß
Eckhart tatsächlich diesen Gedanken öfter in seinen Predigten ausgeführt hat. Sie betont
ausdrücklich, daß sich sogar auch die wollust des Sünders an den sünden von gotes glichnisse
herleitet (Z. 36-38). 4. Die Ausführungen über den zweiten Grund, weshalb die Seele letzt-
lich kein Genügen an der Kreatur haben kann (Z. 47-52 und Anm. 24), entsprechen genau
der Beweisführung Eckharts bezüglich der dif.ferentia carnalis (Ziphaftic Z. 47) et spiritualis
(geistlich Z. 51) in seiner 'Expositio s. evangelii sec. Iohannem' (n. 372, LW III,
S. 316,10-317,8) und in den 'Sermones et Lectiones super Ecclesiastici' c. 24,23-31 (n. 51,
LW II, S. 279,7-280,4). Selbst die Reihenfolge der Argumente ist die gleiche: a) commensu-
ratio determinata = kein zuonemen, delectatio mundana ... molestat = verdrozzenheit; b) Bei-
spiel (sensus): excellentia visibilis non delectat visum, sed corrumpit = Je ich lenger uf ein wiz
tuoch sehe oder in daz lieht der sunnen, ie mir daz ouge stumpfer und vinsterr wirt (Z. 48 f.); c)
spiritualia ... non superexcrescunt naturalem habitudinem suorum inferiorum, sed ipsam per-
81
Predigt 91
ficiunt = geistlich bekantnisse hat ein zuonemen ane ende (50 f.); d) Beispiel (intellectus): Hinc
est quod intellectus ex frequenti intelligere subtilia non debilitatur, sed convalescit ad intellige-
re = Ie ich geistlichiu dinc baz bekenne, ie min sin luterre und gevüeger wirt vürbaz ze beken-
nenne (Z. 51f.). Trotz der Gleichheit der inhaltlichen Aussage in allen drei Texten ist die
Unterschiedlichkeit in der sprachlichen Ausformung bemerkenswert. Sie läßt sich am ehe-
sten aus der Ingeniosität ein und desselben Autors erklären.
Der Aufbau der Predigt folgt dem Modell der Homilie. Eckhart interpretiert allerdings
nicht jedes einzelne Wort des zugrunde gelegten Schrifttextes (Matth. 20,8: voca operarios, et
redde illis mercedem), sondern nur das erste und letzte. Dadurch erscheint die Predigt the-
matisch in zwei Teile geteilt. Formal aber besteht sie aus drei, denn die Auslegung von 'voca'
wird in zwei getrennte Punkte untergliedert. Die drei Abschnitte werden auch einzeln
gezählt: Ze dem ersten (Z. 4.6-70) lädt unser Herr in seinen Weingarten mit der Beschaf-
fenheit (geschepfnisse Z. 4. 70) der Kreaturen - sie sind schrene und edel-, ze dem andern male
(Z. 71-80) mit dem Tod und an dem jüngsten tage (Z. 5), ze dem dritten male (Z. 81-112) mit
seinem lon.
Der erste Abschnitt (Z. 6-70) der 'voca'-Exegese begründet, warum Gott die Kreaturen
geschaffen hat, und erläutert, von welcher Beschaffenheit (geschepfnisse Z. 4) sie sind. a) 1.
Dem Ausspruch eines Meisters, Gott habe die Welt um des Menschen willen und den Men-
schen um seinetwillen gemachet, gibt Eckhart einen neuen Sinn: Gott hat sich um seiner
selbst willen, den Menschen um seiner selbst willen und sich selbst um des Menschen willen
gemachet (7). Seine liebe hat Gott so sehr verblendet (9), daß er alle Kreaturen deshalb
geschaffen hat, seine Herrlichkeit (ere Z. 10) der Seele zu offenbaren. Er ist so sehr darauf
verstarret (10), sie zu sich zu ziehen, daß es den Anschein hat, er habe auf alles andere im
Himmel und auf Erden vergezzen ( 11) und er achte allein darauf, wie er jede einzelne Seele
zu sich ziehen könne. 2. Gott hat vielerlei Kreaturen geschaffen, um auf vielfältige Weise sei-
ne Herrlichkeit zu offenbaren. Sie verkünden alle die Herrlichkeit Gottes, und sie sind Boten
und winken (16) zu Gott. Sie sind nicht vollkommen geschaffen. An ihnen findet sich sowohl
pin wie glichnisse (15 f.). Mit wollustund gemach (18) wird der gute Mensch zur vollkomme-
nen Freude Gottes gelockt. Mit pfne (20) und ungemache (24) wird der unedle Mensch
geschlagen und zu Gott getrieben. Dafür sind der Hl. Paulus und der Hl. Augustinus ein Bei-
spiel. Unter Berufung auf einen lerer (Hugo von St. Viktor) wiederholt Eckhart seine Bot-
schaft von der 'verblendeten' Liebe Gottes zum Menschen: Gott verhält sich so zur sele, als ob
er alle anderen Kreaturen vergezzen (30) hätte. Er sinnet (31) mit solchem Fleiß dar nach, sie
an sich zu ziehen, sich ihr zu offenbaren, sie zu lieben und von ihr geliebt zu werden, als ob
sein Leben und seine Natur zergan (33) sollte. 3. Gott hat sich in alle Kreaturen geteilet (35),
damit die Seele keinen Anlaß hat, sich von Gott weg und der Kreatur zuzuwenden. Sie soll in
jeder Kreatur glfchnisse (36) Gottes finden. Kein Sünder könnte Freude an der Sünde haben,
wenn in ihr nicht auf irgendeine Weise ein glfchnisse Gottes wäre, wie dieses in der ere, im
gemach und in der wollust (38) ist. Das größte 'Gleichnis' zu Gott hat die ere. Deshalb kann
der Mensch auf sie nicht verzichten. b) Die Seele findet an der Kreatur aus drei Gründen kein
Genügen. 1. In der Kreatur herrscht Unterschiedenheit (teilunge 44). So ist Genügen an
Trank nicht auch Genügen an Essen oder Kleidung. 2. Die Kreaturen sind körperlich und
82
Aufbau
bereiten Überdruß. Die sinnliche Erkenntnis ist im Vergleich zu geistigen beengt. 3. Die gabe
(53), die Gott der Seele schenkt, 'schmeckt' der Seele nur, wenn sie aus dem Gefäß fließt, das
Gott ist. Die Kreatur ist ein anderes Gefäß. Wie der edle Trank, den man in ein snredez vaz
(58) gießt, unedel wird, so wird auch die gabe und ere (59) Gottes, wird sie nicht unmittelbar
von Gott geschenkt, unwert. Denn: Gott ist reines Sein, die Kreatur ist von nihte (56) und hat
nur Sein von ihm. Durch einen lerer (61) wird bestätigt, daß sich Gott als Vater wegen des
Sohnes und des Hl. Geistes den Menschen zuneigt. c) Es ist auch daran zu denken, daß im
Himmel mehr Engel sind als Menschen auf der Erde, wie denn auch der Himmel größer als
die Erde ist. Nach der Lehre der Meister offenbaren die Engel Gott am allernächsten; des-
halb müssen sie auch am allermeisten sein. Daniel (66) spricht davon, daß eine Unzahl von
Engeln bei Gott ist. Gott verhält sich nun wiederum so: Er kehrt sich dem einzelnen Men-
schen in einer Weise zu und stellt seiner Liebe nach, als wenn er die Heerscharen der Engel
alle vergessen hätte.
Der zweite Abschnitt (71-80) ist kurz. Gott lädt auch noch durch den Tod zu sich. Der
Tod ist nichts anderes als eine übervart (75) vom Tod zum Leben. Auf das Heer der Sünder
fällt er schwer; den guten Menschen jedoch ist er süeze und vrrelich (74). Letztere tun einen
glücklichen Tausch: Sie geben im Tod pin (76) um ewige vröude (76). Der Tod ist ein Heil-
kraut.
Der dritte und letzte Abschnitt (81-112) beschäftigt sich mit dem Lohn, den Gott gibt.
Die Menschen lockt er damit, wie man ein Schaf mit einem grünen Zweig anlockt. Der Lohn
ist Gott selbst. Den Lohn aber kann die Seele nicht empfangen, auch wenn sie über alle Kräf-
te aller Seelen verfügte. Sie müßte sogar bei dem kleinsten Lohn, der vom geringsten Werk
käme, das Gott in ewiger Liebe zu tun geboten hat, sterben (94). Eckhart will sogar seine See-
le zum Pfande (95) für die Wahrheit geben, daß die Se~le nicht den kleinsten Lohn für einen
guten Gedanken empfangen kann ohne zu sterben. Eck'hart fragt, wie denn geholfen werden
könne, daß die Seele den Lohn empfangen könne, der Gott ist. Die Antwort ist: Die Seele muß
über sich und alle Kreaturen hinausgehoben und in göttliches Sein und in das 'Gleichnis'
göttlicher Natur (101) gesetzt werden. Der Lohn könnte die Seele sodann auch verdrießen,
weil er ewig ist. Gott hat Abhilfe geschaffen: Er hat sich selbst 'neu gemacht' (verniuwet
103) und hat die Ewigkeit in die Zeit und in seiner Menschwerdung (mit sich 104) die
Zeit in die Ewigkeit gebracht. In seinem Sohn ist dies geschehen; als er sich in die Ewigkeit
ergoß, wurden mit ihm alle Kreaturen mite entgozzen (105). Der Sohn wird ohne Unterlaß
ewig geboren, und alle Freude und Vollkommenheit der Kreatur ist in ihm gesammelt. Sie
wird der Seele ohne Unterlaß und neu geschenkt. Deshalb ist die Geburt immer neu wie zum
ersten Beginn ( 108), damit der Seele der Lohn aus dem neuen Gefäß geschenkt werden kann,
frisch und vollkommen, und der Lohn lustic und unverdrozlich (109f.) ohne Ende bleibe.
83
Voca operanos, et redde illis mercedem suam.
'Voca operarios, et redde illis mercedem suam. Ruof den werkliuten und gip in ir lon' 1. 39,8
Bi disem herren, der die werkliute ladet in sinen wingarten, ist bezeichent unser herre, der
alle liute ze im hat geladen zweierleie wis.
Ze dem ersten mit dem geschepfnisse aller creaturen2 , die er sö schrene und sö edel hat
5 gemachet. Ze dem andern male mit dem töde und an dem jüngesten tage.
Ein meister sprichet, daz got die werlt und alliu dinc hat gemachet durch den menschen 15
und den menschen durch sich3. Ich wil ez im aber meher legen, daz er sich hat gemachet durch
sich, und den menschen durch sich, und sich durch den menschen4. Und diu liebe diu hat got
Zuschrei bungen: xvj (am rechten Rand O; xvij in der Zeile H2) Voca operarios et redde illis merce-
dem suam. Jn disir predigade (Jn disir predigade / Hye H2) lerit meistir eckart (Echard H2) wi got di
sele ladit zu eme mit deme geschepnusse allir creature vnd von deme lone 0, H2 (Inhaltsverzeichnis: 0
jol t•b [Par. an. S.2], H2jol 2r)
Überschriften: xvj (am linken Rand) Sermo de tempore (am rechten Rand) O; de tempore xvj
(xvj am rechten Rand) H2; Von dem huszvater Lo4 (am linken Rand)
1 suam Xt,Jehlt Lo4; Lücke X2 1 vor Ruof: Dise wort be schribit Sant (S' 0, S. H2) ma-
theus Xi; So mag dann der herr wol sprechen als schriben stet Mathey xx0 Me2,Jehlt Me3 1 ör Lo4
/ iren H2; irn Me2; Lücke Me3 2 win gartin ist X (Lücke X2) / garten adir in syn win garten Hy
by ist Lo4 3 zu vme X (Lücke Me3), fehlt Lo4 3 zveigirlege X (Lücke Me3) / czweyer Lo4
4 so [1] X (Lücke Me3),Jehlt Lo4 4f. hat gemacht Lo4 / ge machit hait Xi; tziert hat Me2; Lücke
Me3 5 vnd an dem iungisten tage Lo4 / der da bittirliche vf des sunderis herze vellit Xi (vgl. Z.
71/); Lücke X2 6 Ein meister spricht Das got dy werlt vnd alle ding hat gemacht Lo4 / Fon dem
erstin sprichit ein meistir. Got hait di werlint vnd alle di dinc dy (H2,jehlt 0) in der werlinde sint gema-
chit Xi; wan er hat dy welt vnd alle ding ... peschaffen Me2; Lücke Me3 7 f. Jch wel es öm abir
neher legen das er sich hat gemacht durch sich vnd den menschen durch sich vnd sich durch den men-
schen Lo4,Jehlt X 8 dy [1] Lo4, X2,Jehlt Xi
1 Vgl. Matth 20,8: Voca operarios, et redde illis mercedem. Der Schrifttext ist dem Evangelium zum
creaturen vgl Pr. 60, DW III, S. 24,3-25,3: Swenne aber diu sele gegozzen wirt in den Hchamen, so vergat
im diu gestaltnisse und diu varwe, die ez von erste häte, und wirt ein einvaltic dinc - daz ist von der sele
kraft-und enpfrehet einander geschepfnisse (,,und empfängt eine andere Gestalt", Quint, DWIII, S. 24,
Anm 2) von der sele und eine ander varwe nach dem lebene der sele. 3 Vgl Petrus Lombardus
Sent. II d 1 c. 4 n. 6 (Ed Grottaferrata lib. I et II, S. 333,12-19): Sicut factus est homo ut Deo serviret, sie
mundus ut serviret homini. Et sicut factus est homo propter Deum, id est ut ei serviret, ita mundus fac-
tus est propter hominem, scilicet ut ei serviret. Positus est ergo homo in medio, ut et ei serviretur et ipse
serviret; ut acciperet utrinque et reflueret totum ad bonum hominis: et quod accepit obsequium, et quod
impendit. Ita enim voluit Deus sibi ab homine serviri, ut ea servitute non Deus, sed homo serviens iuva-
retur; et voluit ut mundus serviret homini, et exinde similiter iuvaretur homo. Vgl auch Tr. VI 'Daz ist
swester Katrei Meister Ekchartes tohter von Sträzburg' (Pf, S. 459,17-18): Diz beweren uns die meister,
daz alle creatüren sirrt gemachet durch des menschen willen. 4 In vergleichbarer metaphorischer
Sprechweise verwendet Eckhart gemachet auch in Pr. 76, DWIII, S. 325,3- 5: Ez ist zweierleie gehurt der
menschen: ein in die werlt und ein üz der werlt, daz ist: geistlkhe in got. Wilt dü wizzen, ob d'in kint
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Voca operarios, et redde illis mercedem suam
so sere verblendet und ertrenket5, die er ze der sele hat, daz er alle creaturen geschaffen hat
20 durch daz, daz er der sele offenbare s1ne ere 6 . Und ist also sere dar uf verstarret, wie er diesele 10
ze sich geziehe und gelocke ze s1ner minne, als ob er alles des vergezzen habe, daz in himeldche
und in ertdche ist, und des aleine warte, in welhem wege er eine iegl'i:che sele aller beste ze sich
geziehen müge.
Dar umbe hat er manigerleie creature gemachet, daz manigerleie w1s geoffenbaret werde
s1n ere. Und enhat doch keine creatfue so volkomenlich gemachet7, er enhabe p1n dar ane 15
9 so sere vorblendit vnd ertrenkt Lo4 / so gar vbir wondin Xi; vberwunten X2 10 durch das
das Lo4 / durch daz Xi; awff (fehlt Me3) das X2 10 offenbare Lo4 / ge offinbare O; ge offinbarite
H2; offenbaret X2 10 sere Xi / verre Lo4; Lücke X2 11 sinir minne Xi / der syn libe Lo4;
Lücke X2 11 also ab Lo4 / alse Xi; Lücke X2 11 das Lo4 / des Xi; Lücke X2 12 ist Lo4 / si
Xi; Lücke X2 12 warte Lo4 / lage Xi (vgl Z. 28); Lücke X2 12 aller best czü sich Lo4 / zu sich
allir beist Xi; Lücke X2 15 so volkomelich Lo4 / als volchömen Me2; wie lustig Me3,fehlt Xi
15 pin Lo4 / etwatz pinlichis (leidens X2) X
geborn werde und ob ez geblrezet si, daz ist, ob du gotes surr s1st gemachet? Vgl. außerdem Pr. 73, DWIII,
S.268,4-269,2: Nieman ensol erschrecken da von, daz ich spriche, daz got niht enminnet wan sich sel-
ber; ez ist unser allerbestez, wan er meinet unser allergrresten srelicheit dar inne. Er wil uns dä mite in
sich selber locken, daz wir geliutert werden, daz er uns dä mite in sich selber setze, uf daz er uns in im
und sich in uns mit im selber müge minnen. 5 Zu Z. 8-13, 30-34, 67/ vgl. Pr. 79, DW III,
S. 367,3-7: Also vertreret ist got mit s!Iler minne ze uns, rehte als ob er vergezzen habe himeldches und
ertrkhes und aller s1ner srelicheit und aller s1ner gotheit und niht ze tuonne habe wan aleine mit mir,
daz er mir gebe allez, daz mich getrresten müge. Und er gibet mirz zemäle und gibet mirz volkomen-
liche und gibet ez in dem lutersten und gibet ez alle zlt und gibet ez allen creaturen; Pr. 55, DW II,
S. 583,Jf: Daz ander: daz sie (Maria Magdalena) diu minne häte verblendet, daz si niht engloubete, daz
er ir so nähe hI wrere; vgl. auch Pseudo-Origenes Homilia super 'Maria stabat ad monumentumforis
plorans; Opera {lat], Basileae 1571, tom II, pag. 453 (DW II, S. 583, Anm 1): sed quoniam amore langue-
bat, isto languore sie oculi cordis eius caligabant, ut non uideret quem uidebat: uidebat enim Iesum, sed
nesciebat si esset Iesus; Sermo VI, 1 n. 55, LWW, S. 53,2/: Ubi circa amorem dei ad nos nota prima, quan-
tum nos amat, qui se toto et toto sui nos amat. 6 Vgl. Sermo II,2 n. 11, LW W, S.12,11-13,1: De pri-
mis duobus ... exponamus unicam auctoritatem apostoli Rom. 11 (Rom 11,33 und 16,27): 'ex ipso et per
ipsum et in ipso surrt omnia. Ipsi honor et gloria'; Sermo VI,4 n. 72, LWW, S. 69,11: Sequitur: 'revelabitur
gloria domini' as. 40,5). Vgl Pr: 12, DW I, S.194,2- 5: Swenne got sihet, daz wir s1n der eingeborne sun,
so ist gote so gäch nach uns und ilet so sere und tuot rehte, als ob im slll götlich wesen welle zerbrechen
und ze nihte werden an im selben, daz er uns offenbare allen den abgrunt s1ner gotheit und die vüllede
s1nes wesens und s1ner nature; vgl dazu auch Pr. 6, DW I, S.100,1: Gates ist diu ere; In Sap. n. 59, LWII,
S. 387,7f: De prima Tim. 1 (1 Tim 1,17): 'soli deo honor et gloria', et iterum Cor. 10 (1 Cor.10,31): 'omnia
in gloriam dei facite'; Pr.1, DWI, S. 8,9-9,1: Swenne denne got kumet in disen tempel, so vertdbet er uz
unbekantnisse, daz ist vinsternisse, und offenbaret sich selber mit liehte und mit warheit; Pr. 2, DW I,
S.31,5f: als sant Paulus sprichet, daz er(= Jesus) ist ein ere und ein schin des veterHchen herzen ...
7 Vgl. In Gen.In. 72, LW I, S.234,7-235,1 (Rec. L, LW I, 2, S.119,1-9): Vespere et mane dies unus. No-
tanda sunt hie ad praesens duo. Prima quod per lucem productam prima die secundum Augustin um
intelligitur productio vel formatio angelicae naturae intellectualis et deo proximae. Dicens ergo quod
dies illa habuit vespere et mane, oriens et occidens, docet nos in omni creato, quamvis supremo et per-
fecto, semper admixtam esse mutabilitatem, imperfectionem et maculam impuritatis, lob 4 aob 4,18):
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Predigt 91
geleget oder glichnisse 8. Wan alle creatfuen sint ein bote oder ein winken ze gote, wan sie
kündigent alle die ere gotes und winkent den menschen ze gote. Zwei dinc hat got geleget an 25
die creatfuen: daz ist wollust und gemach, daz er da mite locke den menschen, der edel ist, daz
der bekennet, daz diu wollust und daz gemach volkomen ist an gote 9 • Wan der guote mensche
20 wirt gelocket mit wollust und mit gemache. Und den unedeln menschen schürget er mit pine
nach. Dar urnbe ist pin geleget an die creatfuen, ob er der ere und der wollust gotes niht enahte,
16 glichnisz Lo4 / ein glichnisse der helle X1; Lücke X2 16 adir [2] Lo4 / vnd X1; Lücke X2
16 zu gode X (Lücke X2) / czu unserm hern gote Lo4 17 godis X (Lücke X2) / unsers hern gotis
Lo4 17 vnd wenken den menschen cz-&. gote Lo4,fehlt X (Lücke X2) 18- 22 Das ist wollust vnd
gemach das er da mete locke den menschen der edele ist das der bekennet das dy wollust vnd das gemach
volkomen ist an gote Wan der gute mensche wirt gelokt mit wollust vnd mit gemache vnd den vnedeln
menschen schurget er mit pine nach Lo4 / Daz erste daz ist wollust vnd gemach daz he den menschin
mide locke. daz he forste daz ez in gode an deme hohisten si. Daz andere daz he pine an di creature hait
geleit. ob der mensche der ere oder der wollust godis nit in achte (godis nit in achte H2 / in achte nicht
godis 0) daz vn doch di pine slahe vnd noch (nach H2) schurge X1; awff das wer seins lusts (awff ...
lusts / wer seiner ern lust Me3) nicht achtten wil das er dann mit leiden gedrungen vnd geslagen werd
X2 21 creature X1 / creaturn Lo4; Lücke X2 21 godis X1 / unsers hern gotis Lo4
'in angelis suis reperit pravitatem', et lob 15 (Job 15,15): 'inter sanctos eius nemo immutabilis, et caeli
non surrt mundi in conspectu eius'; nec obstat quod sequitur; 'divisit lucem a tenebris' (Gen. 1,4). Vgl auch
Inioh n. 538, LWIII, S.469,3-8: Ea quae continentur in hoc capitulo satis exposita surrt in Glossa Tho-
mae. Hoc tarnen unum advertendum est quod Iudas 'unus ex duodecim' (loh 6,71), traditor inventus,
docet et figurat quod in omni creatura, quantumvis sublimi et perfecta, invenitur mutabilitas et malum
privationis aut saltem negationis, secundum illud lob 15 (Job 15,15): 'caeli non surrt mundi in conspectu
eius', et iterum: 'qui serviunt ei, non sunt stabiles, et in angelis suis reperit pravitatem', lob 4 (Job 4,18),
et iterum (Job 9,13): 'sub qua curvantur qui portant orbem'; Vgl Pr. 43, DW II, S. 318,Jj: Ez enist kein
creature, si enhabe etwaz guotes an ir und auch etwaz gebrestenliches, dar umbe man got lrezet; Pr. 21,
DW I, S.357,9-12: Boethius sprichet: got ist ein und enwandelt sich niht. Allez, daz got ie geschuof,
daz schuof er in wandelunge. Alliu dinc, so sie geschaffen werdent, so tragent sie Af irm rücke, daz sie
sich wandelnt. Vgl Sermo XLIV,} n. 446, LW IV, S.372,7-10: Sicut ergo circulus vino servit ipsum indi-
cando et urina sanitati animalis, nihil in se penitus sanitatis habens, sie omnis creatura pari modo servit
deo. Hinc apud Augustin um nutus dei surrt et indicant amandum esse deum, qui fecit illas. Vgl A ugu-
siinus Confess. X c. 6 n. 8, CCSL XXVII, ed Verheijen, S.158,2-4: Sed et caelum et terra et omnia,
quae in eis surrt, ecce undique mihi dicunt, ut te amem, nec cessant dicere omnibus, ut sirrt inexcusabi-
les; Confess. XI c. 4 n. 6, CCSL XXVII, ed Verheijen, S.197,1-2: Ecce surrt caelum et terra, clamant,
quod facta sint; mutantur enim atque uariantur. 8 Vgl Pr. 60, DW III, S.16,2-4: Ich han ez auch me
gesprochen, daz der mensche niemer ze keiner creature liebe noch wollust enmöhte gehaben, gotes
glichnisse enwrere dar ane. Swaz ich liep han, daz ist, da ich gotes glichnisse allermeist ane bekenne ... ;
Pr. 81, DW III, S. 401,13-402,1: Diu grreste wollust in himeMche und in ertriche diu liget an glichnisse;
Pr. 84, DW III, S.456,1-457,1: Durch vier dinc sol diu sele 'Afstan' und wonen boben ir selber. Daz erste
ist: durch die manicvaltige wollust, die si in gote vindet, wan diu volkomenheit gotes enmohte sich niht
enthalten, er enlieze uz im vliezen creaturen, den er sich gemeinen mohte, die sme glichnisse enpfahen
mohten . . . 9 Vgl. Pr. 73, DW III, S. 268,6-269,J: Er wil uns da mite in sich selber locken, daz wir ge-
liutert werden, daz er uns da mite in sich selber setze, uf daz er uns in im und sich in uns mit im selber
müge minnen. Und im ist also not nach unser srelicheit, daz er uns in sich locket mit allem dem und er
uns in sich mac bringen, ez s1 gemach oder ungemach; BgT, DWV, S.46,16: Ze ein locket und ziuhet got.
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Voca operarios, et redde illis mercedem suam
daz er mit der pine werde geslagen und nachgeschürget 10 . Als wunderlich als diu gemüete
30 sirrt der liute, als wunderlich ist der wec ze gote. Den einen mac man locken mit wollust, den
andern den muoz man slahen mit sühte und mit ungemache 11 . Als sant Paulus wunderliche
bekeret wart, dö er uf dem wege was und kristenliute anevehten walte, dö sluoc in got dar nider 25
und umbevienc in mit sinem liehte 12 .
40,1 Und sant Augusdnus dö er bekeret wart, an dem tage dö enkunde er niht gesetiget
werden von der wollust, die er hate von der wunderlichen lage, die got der sele leget, daz er sie
bekere 13 .
Und ein lerer 14 sprichet, daz got also gelrezige, als ob er aller creatfue vergezzen habe, 30
und sinnet mit allem vlize dar nach, in welhem wege er die sele ze sich geziehen müge, und
22 Also wonderlich alse Xi/ als wunderlich also Lo4; wann als wunderleich (seltzam Me2) X2
23 ist der weg Lo4, X2 / sirrt di wege Xi 24 andern den Lo4 / andern X 24 suchte H2 / suche
0, Lo4; slegen X2 24 Also Lo4, H2 / alse O; Als X2 25 slug Lo4 / strech Xi; Lücke X2
25 dar/ da Lo4, Xi; Lücke X2 27 gesetiget Lo4 / gesadit Xi; ersatt X2 28 das Lo4 / wi Xi; da
mit X2 30-34 Vnd eyn lerer spricht Das vnser herre got also gelezeg als ab er aller creaturn ver-
gessen habe vnd synnet mit allem flisze da nach in welche wege er dy sele czü sich geczy moge vnd wy
er der sele geoffenbart vnd lib gehat werde Vnd gelezeg also ab öm sins lebens vnd siner natur czü
gen sulde Wan sin leben vnd sin natur ist das das er geoffenbart vnd lib gehat werde Lo4, fehlt X
30 got / vnser herre got Lo4; Lücke X 30 gelrezige / gelezeg Lo4; Lücke X 30 creature / crea-
turn Lo4; Lücke X
10 Eckhart gebraucht das Verbum nächschürgen außer hier noch in der Predigt 70, DW III,
S.194,13 -195,4: Sol ich got bekennen äne mittel und äne bilde und äne glichnisse, so muoz got vil nähe
ich werden und ich vil nähe got, also gar ein, daz ich mit im würke und niht also mit im würke, daz ich
würke und er nach schürge, mer: ich würke dä mite, daz min ist. Als eigenliche würke ich mit im, als
min sele würket mit minem libe. 11 Vgl Pr. 82, DW III, S. 425,1- 7: Daz ander: daz wir merken die
würkunge des heiligen geistes an der sele. Nieman enmac lusticliche gewürken, er envinde sine glich-
nisse in dem, dä er ane würket. Solte ich einen menschen leiten, enpfienge er niht mine glichnisse in
sich, er envolgete mir niemer lusticliche; wan niemer kein bewegunge noch werk enwirt lusticliche
gewürket äne glichnisse. Also ist ez umbe alle die, die gote volgent; wan alle liute müezen gote volgen,
sie wellen oder enwellen. Volgent sie im willicliche, so ist ez in lustlich; volgent sie im aber unwillicliche,
so ist ez in pinlich und bringet aleine smerzen in. 12 Vgl Act 9,1-4: Saulus autem adhuc inspirans
minarum, et caedis in discipulos Domini, accessit ad principem sacerdotum, (2) et petiit ab eo epistulas
in Damascum ad synagogas: ut si quos invenisset huius viae viros, ac mulieres, vinctos perduceret in Hie-
rusalem. (J) Et cum iter faceret, contigit ut adpropinquaret Damasco: et subito circumfulsit eum lux de
caelo. (4) Et cadens in terram audivit vocem dicentem sibi: Saule, Saule, quid me persequeris?.
13 Vgl Augustinus Confess. IX c. 6 n. 14, CCSL XXVII, ed. Verheijen, S.141,21-27: Nec satiabar illis
diebus dulcedine mirabili, considerare altitudinem consilii tui super salutem generis humani. Quantum
fleui in hymnis et canticis tuis suaue sonantis ecclesiae tuae uocibus commotus acriter! Voces illae influ-
ebant auribus meis et eliquabatur ueritas in cor meum et exaestuabat inde affectus pietatis, et currebant
lacrimae, et bene mihi erat cum eis; zitiertauchSermo VllI n. 91, LWIV, S. 87,3-4:Augustinus: »nec
satiabar dulcedine mirabili, considerare altitudinem consilii divini super salutem humani generis«.
Unzutreffender Hinweis auf Confess. VllI c. 12 und IX c. 1 bei Strauch, Par. an. S. XXXIL Übernommen
von Tr. III, Pf, S.406,9-12: Ouch an dem tage, dar an sant Augustinus bekeret wart, do kunde er niht
ersatet werden von dem wunderlichen luste, den er hete an der huote, die got der sele leite, dä mite er
si zuo imkerte. 14 Vgl Sermo VI,1 n. 55, LW Iv, S. 53,8-9: Quinta, quia secundum H ugonem sie
nos amat »quasi oblitus omnium aliorum« aut quasi vel fere aliorum. Vgl auch Sermo X n. 104, LW IV,
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Predigt 91
wie er der sele geoffenbaret und liep gehabet werde; und gelrezige, als ob im sines lebens und
siner nature zergan solte 15 , wan sin leben und sin nature ist daz, daz er geoffenbaret und liep
gehabet werde.
35 Dar umbe hat sich got geteilet 16 , der einvaltic ist, an alle creaturen, daz diu sele an keinem
wege sich keren enmac von gote an die creaturen, si envinde gotes glichnisse dar ane. Ez
35 sich got geteilit der einvaldic ist an alle creature Xi / got selber geteilt der einwaldig ist. vnd
eynvaldig in allen creaturn Lo4; Lücke X2 35 di X1,jehlt Lo4; Lücke X2 36 keren Lo4 / ge
kerin Xi; Lücke X2
S.99,4- 5: Die verbum Hugonis quomodo »oblitus quasi omnium« me diligit. Siehe Hugo v. St. Vic-
tor Soliloquium de arrha animae (ed. Müller S.23,15-24=PL 176,968 C): Vere fateor, merito amor iste
singularis dicitur, qui, cum se in multos diffundat, ita tarnen unice singulos amplexatur. Vere pulchrum
et mirificum bonum, quod commune est omnium et totum singulorum, cunctis pnesidens, singulos
implens, ubique prresens, omnium curam agens, et tarnen singulis quasi omnibus providens. Sie certe
mihi videtur, cum eius miserationes circa me attendo, quod (si fasest dicere) quodammodo nihil aliud
agat Deus, nisi ut mere saluti provideat, et ita totum ad custodiam mei occupatum video, quasi omnium
oblitus sit et mihi soli vacare velit. Zu vergleichen ist auch Augustinus Confess. III c.11 n. 19, CCSL
XXVII, ed. Verheijen, S.38,18-20: Vnde hoc, nisi quia erant aures tuae ad cor eius, o tu hone omnipo-
tens, qui sie curas unumquemque nostrum, tamquam solum eures, et sie omnes, tamquam singulos? Zu
Z. 30-34 siehe auch unten Z. 67f und oben Z. 10-13; vgl weiter Pr. 67, DW III, S.131,1-2: Eya, nu mer-
ket ein wörtelin, daz halte ich gar wirdiclich: swenne ich gedenke, wie ein er mir ist, als ob er aller
creatfuen habe vergezzen und niht me ensi dan ich aleine. 15 Vgl Pr. 73, DW III, S. 269,2-7: Und im
ist also not nach unser sielicheit, daz er uns in sich locket mit allem dem und er uns in sich mac bringen,
ez si gemach oder ungemach. Trutz gote, daz er des iemer über uns verhenge, da mite er uns in sich niht
enlocke. Ich enwil des gote niemer gedanken, daz er mich minnet, wan er enmac ez niht gelazen, er wel-
le oder enwelle, si:n nature twinget in dar zuo. Ich wil im des danken, daz er ez niht gelazen enmac von
siner güete, er enmüeze mich minnen; Pr.103, DW IV, Z.103-105: Du endarft im niht verre ruofen, er
mac ez ku.me erbeiten, daz du uftuost. Im ist tu.sentstunt nreter dan dir; Pr. 47, DW II, S. 399,5 -400,1:
Ich han ez ouch me gesprochen, daz sich got ewicliche gehalten hat rehte, als er sich des vHze, wie er
der sele behegelich werde; Pr.41, DWII, S.295,1-3: Got der smücket und erbiutet sich also engegen der
sele und hat sich mit aller siner gotheit des gevlizzen, daz er der sele behegelich werde; wan got der wil
aliine der sele behagen, und er enwil keinen glichen haben; Pr.41, DW II, S.287,5-7: Minnet mich got
mit aller siner natfue - wan diu hanget hie ane -, so minnet mich got rehte, als sin gewerden und s'i:n
wesen dar ane hange; Pr.109, DWIV, Z. 19f: Gotes natfue und sin wesen und s'i:n gotheit die hangent dar
ane, daz er muoz würken in der sele; vgl auch Sermo VI,1 n. 55, LWIv, S. 55,1f: Adhuc nono die quod dei
natura, esse et vita subsistit in se communicando et se ipsum se totum dando; Sermo VI, 1 n. 56, LW IV,
S. 55,5-7: Iuxta praemissa nota tria. Primo, quod non oportet deo regratiari quod nos amat. Necessitas
enim illi incumbit. Sed regratior quod sie bonus est, ut ipsi sit necesse amare; Pr.26, DWII, S. 35,3-7: Ich
spriche, daz ich got niht biten enwil, daz er mir gebe; ich enwil in ouch niht loben, umbe daz er mir gege-
ben hat, sunder ich wil in biten, daz er mich wirdic mache ze enpfähenne, und wil in loben, daz er der
natfue ist und des wesens, daz er geben muoz. Der daz got benemen wölte, der benreme im sin eigen
wesen und si:n eigen leben. 16 Vgl Pr. 66, DWIII, S.120,1-4: Waz ist nu des herren guot? Daz ist güe-
te, als verre si gespreitet ist und geteilet in allen dingen oder in allen creaturen, die da guot sint von s'i:ner
güete, in himelrlche oder in ertrlche: daz ist des herren guot, wan nieman enist guot noch enhat guot
noch güete wan von im aleine.
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Voca operarios, et redde illis mercedem suam
5 enmöhte niemer kein sünder wollust gehaben an den sünden, gotes glichnisse enwrere etliche
wis dar ane, also ere und gemach und wollust ist 17• Dar umbe ist daz, daz manic mensche
verzihet vriunde und guotes, und der ere enmac er niht verzihen: diu ist im allernrehste
gelegen, und där ane volget er gote aller glichest 18 . Wan got sprichet: 'ich enwil min ere nie- 40
10 manne geben' 19 . Ein glose sprichet hie uf den psalter: nieman ist, der sin ere durch sines
vriundes ere welle geben20 •
37 kein Lo4,fehlt Xi; Lücke X2 37 f. etlich wis Lo4 / etlicher wise Xi; Lücke X2 38 Also
Lo4 / alse Xi; Lücke X2 38 ist [i] Lo4,jehlt Xi; Lücke X2 39 vriunde und guotes / fr/'mde vnd
gotis Lo4; gudis (gebessert aus godis 0) vnd frunde Xi; Lücke X2 39 er/ he Xi; er sich Lo4, Lücke
X2 40 geleyn Lo4 / belegin Xi; Lücke X2 40 got sprichit Xi/ vnser herre der sprecht selbir
Lo4; Lücke X2 41 hir Lo4,fehlt Xi; Lücke X2 41f. Nimant ist der sin ere durch sines frundes
ere wolle gebin Xi / Das nymant ist der syne sele wolle geben durch sins fründis ere Lo4; Lücke X2
17 Zu Z. 35-38vgl.Pr.58, DWII, S.612,10-15: Ich hful ez ouch me gesprochen und ist gewis und
ein wäriu rede: ob ein mensche ze tode hungeric wrere, und hüte man im die besten spise, er stürbe e
hungers, e er ir iemer gesmeckte oder enbizze, gotes glichnisse enwrere dar ane. Und ob der mensche ze
tode vrostic wrere, swaz kleider man im hüte, er enmöhte niemer hant dar ane gelegen noch an sich
geziehen, gotes glichnisse enwrere denne dar ane; Pr. 60, DW llI, S.16,2- 5: Ich han ez ouch me gespro-
chen, daz der mensche niemer ze keiner creatfue liebe noch wollust enmöhte gehaben, gotes glichnisse
enwrere dar ane. Swaz ich liep han, daz ist, da ich gotes glichnisse allermeist ane bekenne, und niht enist
gote so glich an allen creaturen als ruowe; vgl auch Pr. 69, DW III, S.172,3- 7: Nie deheinen menschen
engedurste so sere, der im trinken grebe, er enbegerte sin niht, und enwrere etwaz gotes dar inne niht.
Diu nature enmeinet weder ezzen noch trinken noch kleider noch gemach noch nihtes niht an allen din-
gen, enwrere gotes dar inne niht; si suochet heimliche und jaget und krieget iemerme nach dem, daz si
gotes dar inne vindet; Pr. 57, DW II, S. 596,3- 5: Glichnisse ist diu grreste wollust und vröude, diu in dem
himelriche ist; und kreme got in diesele und enwrere si im niht glich, si würde da von gepiniget; Pr.93,
DWIV, S.129,44-45: Und dar umbe enhat got keiner creatfue volkomene güete gegeben. Wan vünde diu
sele volkomene güete an den creaturen, da vereinete si sich ane ... ; S.131,63 -65: Dar umbe, wan diu sele
alle volkomenheit zemale an gote haben wil, wrere iht volkomenheit uz gote an den creaturen, daz wol-
te si ouch haben, so verzige si des grresten durch daz minste und würde also gepiniget. Vgl weiter Pr. 63,
DW III, S. 75,5 - 7: alle creaturen die iagent got mit ir mynne, wann es ist chain mensch so vnsälig, das
er dar vmb sünde tu durch der poshait willen; mer: er tut sy durch ainen mynneclichen lust. 18 Vgl
Sermo XXXVIII n. 387, LW IV, S. 332,10-333,2: Sed quare sie appetitur honor et gloria? Primo, quia est
quoddam divinum, secundum illud: 'soli deo honor et gloria'. Deum autem et divinum amat omne quod
est sciens aut nesciens. Secundo, quia, sicut anima rationalis non quiescit nisi in intimo et purissimo,
quod est ipsa rerum ratio, concupiscibilis non nisi in optimo, sie irascibilis non nisi in arduo et supremo.
19 Vgl Is. 42,8: Ego Dominus, hoc est nomen meum; gloriam meam alteri non dabo, et laudem meam
sculptilibus; vgl auch Is. 48,11: Propter me, propter me faciam, ut non blasphemer; et gloriam meam
alteri non dabo. 20 Vgl Sermo XXXVIII n. 379, LW IV, S. 325,5 -10: Nota: tantum bonum est honor
apud homines, ut, sicut narrat Augustinus, Ennius, inter antiquos famosus, hoc solum esse dixerit
quod omnes volunt. Hoc enim quidam ponebant summum bonum, sicut patet I Ethicorum. Unde dicit
Tullius quod vix invenit, qui honorem etiam amici suo praeferret honori. Et idem dicit Glossa super
illud: 'in cathedra pestilentiae non sedit' (Ps. 1,1).
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Predigt 91
Driu dinc sint, dar umbe diu sele keine genüegede gehaben mac an der creatfuen 21 . Daz
eine ist, daz si teilunge 22 habe. Wan diu genüegede des trankes enist niht genüegede der spise
45 noch der kleider: ir einiu w'i'set von im uf daz ander und welzet ie vürbaz ze gote. Dar umbe
enist da keiniu genüegede ane 23 .
Daz ander: daz die creatfuen l'i'phaftic sint und vallent uf ein verderbnisse und verdrozzen- 15
heit, dar umbe enist da kein zuonemen ane. Ie ich lenger uf ein w'i'z tuoch sehe oder in daz lieht
43 keine gnugide Xi/ keyne genüge Lo4; chain genüegen X2 44 teylünge habe Lo4 / tei-
lunge habin Xi; tailt sint X2 44 gnugide [1] Xi/ genüge Lo4,fehlt X2 44 en ist nicht (nit H2)
Xi/ istnichtX2 (LückeMe3); ist ... nicht (nicht nach [45] cleider) Lo4 44 gnugide [2] Xi/ dy gnü-
ge Lo4; ein genüegen X2 (Lücke Me3) 45 yr eyne wiszt von öm Lo4 / ir ein wisit noch sich Xi; ir
ains tzaigt X2 (Lücke Me3) 45 welczt io vorbas Lo4 / winkit io (ie H2) für baz Xi; ermantX2 (Lücke
Me3) 46 kein gnugide Xi / keine rüwe Lo4, X2 (Lücke Me3) 4 7 f. vordrossenheit Lo4, X2 / vf
eine fordrossinheit Xi 48 uff eyn wisz tuch se Lo4 / sehe vf ein wiz duch Xi; awff den
snee ... lueg (lueg nach sunn) X2 (Lücke Me3)
21 Vgl Pr.52, DW II, S.488,3j: Bischof Albreht sprichet, daz diz si ein arm mensche, der niht
enhabe genüegede von allen den dingen, diu got ie geschuof, - und diz ist wol gesprochen; Pr. 41, DW
II, S. 294,5 -6.12-14: Got der hat wol genüegede und lust gegozzen in die creaturen; aber die wurzel aller
genüegede und daz wesen aller lust daz hat got aleine in im selben behalten ... Also tuot got mit den
creatG.ren: er wirfet sinen schin der genüegede in die creaturen; aber die wurzel aller genüegede die hat
er aleine in im selben behalten dar umbe, daz er uns aleine ze im haben wil und ze niemanne anders.
22 Der Begriff teilunge ist ein Hapaxlegomenon. In ihm ist e,fqßt, was Eckhart über mutabilitas et ma-
l um privationis aut saltem negationis der Kreatur in In Ioh n. 538, LW llI, S. 469,J-8 sagt: Hoc tarnen
unum advertendum est quod Iudas 'unus ex duodecim' aoh 6,71), traditor inventus, docet et figurat quod
in omni creatura, quantumvis sublimi et perfecta, invenitur mutabilitas et malum privationis aut saltem
negationis, secundum illud lob 15 aob 15,15): 'caeli non sunt mundi in conspectu eius', et iterum: 'qui
serviunt ei, non sunt stabiles, et in angelis suis reperit pravitatem', lob 4 aob 4,18), et iterum aob 9,13):
'sub quo curvantur qui portant orbem'. Vgl auch Sermo XLIV,1 n. 439, LW W, S. 368,9-10: Omne ergo
creatum, omne duo, omne multum separans ab uno et per consequens a vero, a bono, ab esse est amarum,
tenebra et quoddam nihil; In lohn. 371, LW III, S.316,6/: ... pars autem in corporalibus defectum sapit
et privationem nec satiat per consequens. 23 Vgl Pr.93, DWW, S.131,57-65: Genüegede und volko-
menheit enist an keiner creature und ein ieglich wiset von sich uf die andern: Genüegede der kleider
enist niht genüegede der spise noch des trankes. An allen disen dingen mügen wir suochen genüegede
unsers herren volkomenheit. Dar umbe sprich et sant Augustin us : 'Suochet daz ir suochet, und niht da
ir suochet'. Wan an gote ist diu volkomenheit aller creature zemale. Und enwrere aller creaturen volko-
menheit niht an gote, so enmohte diu sele an gote niemer volkomene genüegede gehaben noch ruowe.
Dar umbe, wan diu sele alle volkomenheit zemale an gote haben wil, wrere iht volkomenheit uz gote an
den creaturen, daz wolte si ouch haben, so verzige si des grresten durch daz minste und würde also gepi-
niget; Pr. 60, DWIII, S.11,4-12,1.13,1-14,1: Vragete man mich, daz ich endeliche berihten sölte, waz der
schepfer gemeinet hrete, daz er alle creaturen geschaffen hrete, ich sprreche: 'ruowe' ... Ze dem ersten
male suln wir merken und prüeven, wie daz götliche antlütze götlicher nature machet unsinnic und
tobic aller der sele begerunge nach im, daz er sie ze im ziehe. Wan gote smacket so wol und ist im so
behegelich götlichiu nature, daz ist ruowe, daz er sie uz im entworfen hat ze reizenne und ze im ze zie-
henne aller creaturen natiurliche begerunge. Niht aleine suochet der schepfer sine eigene ruowe, daz er
sie uz im entworfen hat und gebildet an allen creaturen, sunder, daz er alle creaturen mit im ziehe wider
in irn ersten ursprunc, daz ist: ruowe.
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Voca operarios, et redde illis mercedem suam
der sunnen, ie mir daz ouge stumpfer und vinsterer wirt. Ez enwart nie creature so schame
noch so edel, man enmöhte sie so lange anesehen, si enwürde verdrozlich. Aber geistlich 50
20 bekantnisse hat ein zuonemen äne ende. Ie ich geistH'chiu dinc baz bekenne, ie m'i'n sin luterer
und gevüeger wirt vürbaz ze bekennenne 24 .
Daz dritte: daz diu gäbe gotes der sele niht gescµenket enwirt uz dem vazze, da si uzge-
vlozzen ist. Wan allez, daz got gegeben möhte, wollust und gäbe, si enwürde geschenket der
25 sele uz dem vazze, daz got ist, ez enmöhte der sele niemer gesmecken noch wollust gegeben25 . 55
49f. so schone noch so ede1Lo4,X2(Lücke Me3) / so edile oder so schoneX1 50 man in moch-
te si so lange ane sehin X1 / man mochte sy czü lenge an sen adir so lenge an Lo4; luegt man sy lang an
X2 (Lücke Me3) 50 si enwürde verdrozlich / sy werde verdroszlich Lo4; ez in worde for drossinlich
X1; man hab ein verdriezzen daran X2 (Lücke Me3) 51 lutter Lo4, X2 (Lücke Me3) / behendir X1
53 dy gab gots (fehlt Me3) X2 / dy gabe vnsers hern gotis Lo4; vnsis herrin gabe X1
54f. si in worde geschenkit der sele vz dem vasse X1 / sy worde dan der sele geschenkt vs dem vasze
Lo4; wurd es aws dem vazz nicht geschenkcht X2 (Lücke Me3) 55 got Lo4, X2 / got selber X1
55 ez enmöhte / es mochte Lo4; so möcht es Me2; dar vmb sy ... mügen Me3; si in mochtin X1
24 Vgl In Ioh n. 372, LW III, S. 316,10-317,8: Tertia, quia delectatio mundana, utpote temporalis,
non durat, sed transit cum tempore, secus de divina. Quarto, quia delectatio mundana consistit in qua-
dam commensuratione determinata quam vel non attingere vel transgredi non delectat, sed molestat.
Patet hoc manifeste in cibo et potu corporali. Adhuc autem quamvis 'dulce lumen, et delectabile oculis
videre solem'. Eccl. 11 (Eccl. 11,7), excellentia tarnen visibilis non delectat visum, sed corrumpit. Secus
in divinis et spiritualibus. Spiritualia enim et superiora non superexcrescunt naturalem habitudinem
suorum inferiorum, sed ipsam perficiunt. Inter agens namque superioris ordinis et suum inferius uni-
versaliter non est commensuratio, quin immo superius semper est in infinitum suo inferiori, sicut habe-
tur ex De ca usis 16. Hinc est quod intellectus ex frequenti intelligere subtilia non debilitatur, sed con-
valescit ad intelligere, ut dicitur III De anima; In Eccli. n. 51, LW II, S.279,7-280,4: Praeterea octavo
sciendum: secundum philosophum differt sensus et intellectus, quia sensus ex frequenter et magna
operari fit infirmior et impotentior ad agendum, intellectus vero e converso quanto pluries et altiora
intelligit, tanto fit potentior ad actum. Propter quod visus quidem semper in actu bibit quidem et edit
sensibile, non autem semper sitit, quia »excellentiae sensibilium corrumpunt sensum«. Intelligibile
autem non sie; sed vigorat intellectum tanto amplius, quanto fuerit sublimius, et ob hoc ab ipso intellec-
tu editur et esuritur. Et hoc est quod dicit philosophus unus ex XXIV: »deus est amor qui plus habi-
tus plus placet«. Augustin us in libro De sententiis Prosperi: crescit semper perfecta caritas, usu fit ma-
ior et largitate ditior. Ait ergo »primus intellectus et intelligibile primum«, deus, sub specie et forma
sapientiae ad intellectum pertinentis: qui edunt me, adhuc esuriunt. 25 Vgl. Pr. 65, DW III, S. 99,2-6:
Ez ist underscheit under geistlichen dingen und under liplichen dingen. Ein ieglich geistlich dinc mac
wonen in dem andern; aber kein liplich dinc enmac niht wonen in dem andern. Wazzer ist wol in einem
vazze, und daz vaz gät alumbe; aber, wä holz ist, dä enist niht wazzer. Alsus so enmac kein liplich dinc
ges'i:n in dem andern; aber ein ieglich geistlich dinc daz ist in einem andern; vgl auch Pr.16b, DW I,
S.264,8-265,4:Anders (d. h als beim körperlichen GefqjJ) ist ez umbe daz geistliche vaz. Allez, daz dar 'i:n
enpfangen wirt, daz ist in dem vazze und daz vaz in im und ist daz vaz selbe. Allez, daz daz geistlich vaz
enpfrehet, daz ist s'i:n nature. Gotes nature ist daz, daz er sich gibet einer ieglichen guoten sele, und der
sele nature ist daz, daz si got enpfrehet; und diz mac man sprechen von dem edelsten, daz diu sele gelei-
sten mac. Dä treget diu sele daz götl'i:che bilde und ist gote glich. Vgl. weiter Pr. 59, DW II, S. 631,8-11:
Nu sprichet er: 'ich und der vater s'i:n ein': diu sele in gote und got in ir. Der wazzer trete in ein vaz, so
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Predigt 91
Got enist niht wan ein luter wesen26 , und diu creatfue ist von nihte und hat ouch ein wesen
von dem selben wesene 27 , und ensmecket28 doch der sele niht an der creatfue, dar umbe daz si
ein ander vaz ist. Wie luter und edel ein trank ist, giuzet man in in ein snc:ede vaz, er wirt deste
unedeler. Dar umbe ist, daz alle die gäbe und ere, die got gegeben mac, sie enwerden ir gesehen- 30
60 ket uz im selber, so enist ez nihtes wert.
Ein lerer 29 sprichet, daz der vater hat einen sun und einen heiligen geist, und durch die
beide hät er sich geneiget dem menschen.
56 Got (Got der 0) in ist nicht (nit H2) wan (dan H2) ein luter wesin Xi/ wann sein wesen ist
lawter X2 (Lücke Me3); got ist nicht vnd [ 159va] hat ein lutter wesen Lo4 57 wesen Lo4 / gotlichin
wesine Xt,jehlt X2 57 das Lo4, X2 (Lücke Me3) / wan Xi 58 deste Lo4 / des di Xi,jehlt X2
(Lücke Me3) 59 das Lo4, X2 (Lücke Me3) / daz daz Xi 59 dy [t] Lo4,jehlt X (Lücke Me3)
59 sie enwerden ir / sy werden ör dan Lo4; si in werde vr Xi; Lücke X2 60 so enist ez / so ist es Lo4;
so in ist si Xi; anders sy sind X2 (Lücke Me3) 61 lerere Xi/ lere Lo4; Lücke X2
gienge daz vaz mnbe daz wazzer, aber daz wazzer enwrere niht in dem vazze, noch daz vaz enwa;re ouch
niht in dem wazzer; aber diu sele ist als gar ein mit gote, daz einez ane daz ander niht enmac verstan-
den werden. 26 Vgl Pr:7, DW I, S.122,5f: Die besten meister sprechent, daz diu vernünfticheit
schele alzemale abe und nimet got bloz, als er luter wesen ist in im selben; Pr: 23, DWI, S. 399,12-400,Jf:
Aber diu vernunft der sele nimet got, als er ein luter wesen ist, ein überswebendez wesen; Pr:37, DW II,
S.216,5: si (= vernünfticheit) versinket in daz wesen und nimet got, als er ist luter wesen; Pr: 54a, DWII,
S. 553,10-554,3: dar inne(= in gote in der luterkeit des wesens) ist ouch der sele wesen, wan got ist ein
luter wesen. Ez sprichet ein meister: in got, der ein luter wesen ist, enkmnet nihtes niht, ez ensI ouch
luter wesen. Dar umbe ist diu sele wesen, diu da komen ist die rihte uf got und in got; Pr: 54a, DW II,
S. 561,Jf: ... und (diu sele) neme in bloz, als er ist luter wesen; Pr: 57, DW II, S. 597,6: Got ist iht und ein
luter wesen, und diu sünde ist niht und verret von gote; vgl auch Pr:9, DW I, S.145,7-146,6: Grobe
meister sprechent, got SI ein luter wesen; er ist als hoch über wesene, als der oberste engel ist über einer
mücken ... Daz ich aber gesprochen hän, got ensI niht ein wesen und SI über wesene, hie mite enhan ich
im niht wesen abegesprochen, mer: ich han ez in im gehrehet. 27 Vgl Pr: 5b, DW I, S.94,4f: Alliu
dinc sirrt geschaffen von nihte; dar mnbe ist ir rehter ursprunc niht ... ; Pr: 5a, DW I, S. 80,12f alle crea-
turrn sind ein luter nicht: weder engel noch creaturen sind utz; vgl auch RS.II art. 30 (I'hery S.236;
LW V, S.234,31-33): Tricesimus articulus sie habet: »Omnes creaturae sunt unum purum nihil. Nulla
creatura est quae aliquid sit«; Pr: 20b, DW I, S. 346,13f Alle creaturen sirrt ze snrede dar zuo, daz sie in
offenbaren; sie sint alle ein niht gegen gote; Pr: 59, DW II, S. 624,2-4: daz er sprach: 'als ein niht', daz
was wol gesprochen, wan alliu dinc sint ein luter niht gegen 'dem geiste der Wisheit'; Pr: 57, DW II,
S. 598,1-2: alliu liphaftigiu dinc sirrt geschaffen bI nihte und verre von gote; Pr:4, DW I, S. 69,8-70,4:
Alle creaturen sint ein luter niht. Ich spriche niht, daz sie kleine sin oder iht sin: sie sirrt ein luter niht.
Swaz niht wesens enhat, daz enist niht. Alle creatfuen harrt kein wesen, wan ir wesen swebet an der
gegenwerticheit gotes. Kerte sich got ab allen creaturen einen ougenblik, so würden sie ze nihte; vgl"
dazu DW I, S. 70, Anm 1. 28 Vgl RdU, DW V, S. 202,5 -7: Also enmac disen menschen nieman gehin-
dern, wan er enmeinet niht noch ensuochet niht noch ensmecket im nihtes dan got; Pr: 97, DW Iv,
S. 228,50f Daz dritte zeichen ist, daz diu wurzel götltcher dinge tritet in daz herze mit kraft, als daz der
mensche entsebet, daz im niht ensmecket noch wollust engibet dan götlich dinc; Pr:4, DW I, S. 71,7-9:
Got muoz mir sich selber geben als eigen, als er Sin selbes ist, oder mir enwirt niht noch ensmecket mir
niht. 29 Auf welchen lerer Eckhart hier Bezug nimmt, li~ sich nicht eruieren.
gg
Voca operarios, et redde illis mercedem suam
Ouch suln wir prüeven, daz der himel unmrezl'i:che grc:ezer ist dan daz ertrkhe, und also vil
35 ist der engel mein dem himelr'i'che dan aller menschen uf ertr'i'che. Wan die meister wellent,
daz die engel got allernrehste offenbaren. Dar umbe muoz ir allermeist s'i'n 30 . 65
Daniel säch, daz 'zehen tusent gote dieneten und zehenstunt hundert tusent waren bi
im'. 31 Und tuot got rehte als er aller dirre herschaft vergezzen habe und kere sich ze einem
41,1 menschen alzemale und lage s'i:ner liebe 32 . Dar umbe sprichet got: 'we dem menschen, der m'i'n
winken liep hat vür mich'33 .
Diz ist von dem ersten, als got ladet mit dem geschepfnisse der creaturen. 70
Ze dem andern male ladet er an dem tode, der da bitterl'i:che und swrerl'i:che vellet uf der
sünder herze.
5 Dar umbe sprichet diu schrift: 'o we tot, wie bitter ist d'i'n gedrehtnisse allen den, die sich
gebreitet hant uf dise werlt mit aller liebe. Aber guoten liuten ist ez vil süeze und vrc:elich' 34 •
63 vnmeszlich Lp4 / vn maze Xi; an massen X2 (Lücke Me3) 63 vnd Lo4,jehlt X (Lücke Me3)
65 got aller neist Lo4 / allir. meist got Xi; Lücke X2 66 zehen tusent ... hundert tusent / czen
tusent vnserm hern gote dinten vnd czen stünd [159"b] hündert tusünt Lo4; tusintstunt tusint dinitin
eme (H2, vn O) vnd zen (zehen H2) tusint hunderit tusint Xi; tawsent mal tawsent haben im gedient
vnd tzehen tawsent mal hundert tawsent X2 (Lücke Me3) 67 vnd tuit got rechte alse he Xi/ Vnd
also ab got Lo4; Lücke X2 68 libe Lo4, X2 (Lücke Me3) / minne Xi 68 got X (Lücke Me3) / got
selbir Lo4 69 lib hat Lo4, X2 (Lücke Me3) / nimit Xi 70 der Lo4 / allir Xi; Lücke X2 71
an dem Lo4; am X2 (Lücke Me3) / mit deme Xi 71 swerlich Lo4, X2 (Lücke Me3) / surliche Xi
71f. der sünder hercze Lo4 / des sunderis herzin Xi; des sünter hertz X2 (Lücke Me3) 73 gedech-
tenisz Lo4, X2 (Lücke Me3) / gehucnisse Xi 73f. dy sich gebreit haben uf deze werlt mit allir libe
Lo4 / dy sich awff der welt lieb praitt haben X2 (Lücke Me3); di der werlinde wollust volgint Xi
74 es vel süze vnd frolich Lo4 / er süezz vnd fröleich X2 (Lücke Me3); he gar frolich vnd suze Xi
30 Vgl. Pr. 74, DW III, S.277,2-8: Die meister sprechent (die wol sprechen wöllen), Das ein yeg-
licher engel hab ein sondere natur vnd empfahe sonderlich alle die natur in sich ... Ein yeglicher engel
hat sein sonder natur; ye neher er got ist, ye edler er ist vnd hat in sich gefasset gottes also vil, als er sein
empfahen mag; Pr. 4, DW I, S. 65,8-66,1: Die edelsten creaturen daz sint die engel und sint zemal.e ver-
nünftic und enhant niht l'lplicheit an in, und der ist allermeist und ir ist mer dan aller l'lpl'lcher dinge
zal si. 31 Vgl Dan. 7,10, milia milium ministrabant ei, et decies milies centena milia adsistebant ei.
32 Zu der minne (liebe) lagen vgl RdU, DW V, S. 253,9-11: Und dar umbe sol man sich vlizen, daz man
vernünfticlichen künne nachvolgen; wan er hat mer gelaget unserre minne dan unsern werken und
Pr.103, DW IV, S.164f: Dar umbe enlaget got keinem dinge sö sere an uns als der minne; vgl. auch Sermo
VI,1 n. 55, LW IV, S. 53,9- 54,1: Sexta, quia sie amat, quasi sua sit beatitudo nos amare. 33 Vgl. Eccli.
41,11: Vae vobis, viri impii, qui dereliquistis legem Domini altissimi undA ugustinus De libero arbitrio
II c. 43 n.168, CCSL XXIX, ed Green, S.266,54-61: Vae qui derelinquunt te ducem et oberrant in uesti-
giis tuis, qui nutus tuos pro te amant et obliuiscuntur quid innuas, o suauissima lux purgataementis sapi-
entia! non enim cessas innuere nobis quae et quanta sis, et nutus tui sunt omne creaturarum decus. Et
artifex enim quodam modo innuit spectatori operis sui de ipsa operis pulchritudine, ne ibi totus hereat,
sed speciem corporis fabricati sie percurrat oculis, ut in eum qui fabricauerit recurrat affectu. 34 Vgl
Eccli. 41,1-3: 0 mors, quam amara est memoria tua homini pacem habenti in substantiis suis; (2) viro
quietq, et cuius viae directae sunt in omnibus, et adhuc valenti accipere cibuml (3) 0 mors, bonum est
iudicium tuum homini indigenti, et qui minoratur viribusl
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Predigt 91
75 Wan er enist niht me dan ein übervart von dem töde ze dem lebene. Und tuot einen s.eligen
kouf, wan der guote mensche gibet an dem töde pin und jamer umbe die ewige vröude 35 .
Weste ieman ein krut, daz man gehaben möhte, wer ez b'i: im h.ete, daz er niemer alt noch 10
siech enwürde, daz krut möhte man tiure kaufen: daz ist der töt. Swer den hat an s'i:nem
ged.ehtnisse, der enwirt niemer alt an den sünden. Wan diu schrift sprichet: 'an allen dinen
80 werken sich ane d'i:n ende, sö entuost du keine sünde'36 •
Ze dem dritten male suln wir prüeven daz lön, da er sprichet: 'lade die werkliute und gip 15
in ir lön' 37 • Hie vor ensol sich nieman erv.eren, daz er sprichet, daz man den werkliuten ir lön
sol geben. Ob er alt oder krank ist, daz er liphaftiger werke niht vermac, sö halte er sich an diu
inwendigen geistlichen werk, diu edeler und grrezer sint vor gote dan uzwendigiu werk, daz ist
85 guot wille und liebe ze gote 38 . Dar ane beheltet er daz lön. 20
75 me Lo4,jehlt Xi; Lücke X2 75 tüt Lo4 / tuit der mensche Xi; Lücke X2 76 wan der
güte mensche gibet an dem tode pin vnd iammer Lo4 / wan ein guit mensche tuit an dem tode einen
seligin couf (wan ... couf fehlt H2) he gibit pine Xi; vnd ist ein geben des tods pein X2 (Lücke Me3)
77, ymant Lo4 / man Xi; Lücke X2 77 gehaben Lo4 / habin Xi; Lücke X2 77 wer Lo4 / vnd
wer Xi; Lücke X2 78 hat Lo4 / hait alle zit Xi; Lücke X2 79 gedechtnisz Lo4 / gehucnisse Xi;
Lücke X2 79f. Wan dy schrifft spricht An alle din werken sich an ende so tüstu keyne sünde Lo4 /
Salomon ge denke andin ende so in tuistu nummir sunde Xi; Lücke X2 80 din X1,jehlt Lo4; Lücke
X2 81 Daer sprichtLo4 / daz he sprichitX1; an den wartenX2 (Lücke Me3) 81 Lade Xi /lade
wir Lo4; vad' X2 (Lücke Me3) 82 ör [1] Lo4 / daz Xi; Lücke X2 82 er veren Lo4 / ir forchtin
Xi; Lücke X2 82 yr [2] Lo4 / daz Xi; Lücke X2 83 ab er Lo4 / ob der mensche Xi; wann wer
X2 (Lücke Me3) 83 ald adir krang Lo4 / vor alter oder vor chrankchait X2 (Lücke Me3); kranc oder
( ober H2) alt Xi 83 liphaftiger (leipleiche Me2) werke X (Lücke Me3) / libhafter dinge Lo4 84
vsz wendige Lo4 / di vz wendigin (awssern Me2) X (Lücke Me3) 85 libe Lo4, X2 (Lücke Me3) /
minne Xi 85 beheld er !,o4 / pehalten im X2 (Lücke Me3); beheldit man Xi
35 Vgl. Prov. 31,18: Gustavit, quia bona est negotiatio eius; vgl auchPr.95, DW IV, S178,2-5: Ein
meister sprichet: 'ein guot vrouwe hat ufgetan irn munt der wisheit' und 'hat gesmecket und gesehen,
wie guot der kouf ist und daz gewerbe der ewigen vröuden'. 36 Vgl Eccli. 7,40: In omnibus operibus
tuis memorare novissima tua, et in aeternum non peccabis. 37 Vgl Matth 20,8: Voca operarios, et red-
. de illis mercedem. 38 Vgl Sermo VII n. 82, LWIV, S. 78,13- 79,6: Quia igitur interior homo caelestis et
novus hie consolatur, ideo Col. 3 (Col. 3,10-11): 'induite novum hominem, qui renovatur in agnitione dei
sec~dum imaginem eius, qui creavit eum. Ubi non est masculus et femina, gentilis et Iudaeus, circumci-
sio et praeputium, barbarus et Scytha, servus et liber, sed omnia et in omnibus Christus'. Secundo nota
quod interior homo ab homine exteriori, quamvis simul videantur loco, plus tarnen distant quam caelum
ultimum a centro terrae; Sermo IX n. 96, LWIV, S 92,8-11: Quae tarnen opera exteriora quam sirrt » longe
in regione dissimilitudinis«, patet primo ex operatione omnis creaturae, quae distat ut accidens a sub-
·Stantia; et iterum operatio exterior ab interiori distat quam plurimum; Sermo XLVII,1 n. 488, LW IV,
S. 403,14-404,2: Vel 'ab intus', id est ab intra, ut notetur ordo, scilicet operis interioris, ubi primo illud deus
incipit, ad opus virtutis exterius. Unde sequitur: 'in fimbriis aureis circumamicta varietatibus'. Primo
enim ornatur anima intus gratia et voluntas caritate, quae per aurum significatur, et ab inde descendit, ut
extra varietatibus virtutum sit amicta, non solum extra simulatione ficta. Vgl auch BgT, DW V,
S 40,15 - 20: Ouch ist daz inner werk dar ane götlich und gotvar und smacket götliche eigenschaft, daz, ze
gli:cher wise alsam alle creatfuen, ob joch tusent werlte wreren, eines hares breite niht bezzer enist dan got
eine, also spriche ich und hän ez da vor gesaget, daz diz uzer werk noch sin menge noch sin grreze noch sin
lenge noch sin wite niht alzemale meret die güete des innern werkes; ez hat sine güete in im selben.
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Voca operarios, et redde illis mercedem suam
Unser herre got hat uns gelocket mit dem löne als daz schaf mit dem r'i:se: swenne man
ez anderswa hinne haben wil, sö wiset man im ein grüene r'i:s.
Got hat uns gew'i:set, daz ein lön ist. Er enhat aber niht gesprochen, waz daz lön s'i:. Wan
solte got sprechen, waz daz lön wrere, er müeste alle s'i:ne maht da zuo tuon. W rere iht an gote,
daz da swige und niht enschr'i:ete daz lön, sö blibe ez ungesprochen. Wan allez, daz got ist und 90
vermac, daz ist daz lön39 . Also müeste alle s'i:n wesen und maht sprechen daz lön. Und ob alliu
diu kraft, diu an allen selen ist, geleget wrere an eine sele, si enmöhte daz minste lön niht
enpfähen, daz von dem minsten werke komet, daz got geboten hat in der ewigen liebe, diu sele
müeste zergl'i:ten und sterben.
Ich setze m'i:ne sele ze pfände an dem jüngesten tage ze der helle ze gebenne, daz diz war 95
s'i:, daz ich nu sprechen wil: ob alliu diu kraft aller selen und aller engel und aller creaturen
zemale geahtet wrere uf eine sele, si enmöhte daz minste lön eines guoten gedanken niht
enpfähen, der in der ewigen liebe gedaht wirt, si müeste zergl'i:ten und zervliezen und sterben 40 .
86 ryse Lo4 / grunen rise (lawb X2) X 87 andirs wo hin Lo4 / andirs wo X1; von ainer stat an
dy ander X2 87 so wist man öm eyn grüne rysz Lo4 / gelockit wirt X 88 Got X1 / Got der Lo4;
Lücke X2 88 sy Lo4 / ist X1; Lücke X2 88f. wan solde got sprechin waz daz Ion were X1,Jehlt
Lo4; Lücke X2 89 Were icht an gote das da swege vnd nicht schryete das lon so blebis vngesprochen
Lo4,jehltX 91 Also müste alle sin wesen vnd macht sprechen das Ion Lo4,jehltX 91-94 Vnd
ab alle dy craft dy an allen seln ist geleit were an eyne sele sy mochte das mynste Ion nicht enphan das
von dem mynsten werke komt das got geboten hat in der ewigen libe dy sele muste czü gliten vnd ster-
25 ben Lo4 / Ich spreche daz alle sele mit allin vrin creftin werin ein sele si in mochte nicht inphahin noch
irlidin daz lon daz fon deme minnisten werke gevellit daz got gebodin hait in der ewigin minne. di sele
in muiste zuglidin vnd forwerdin vnd zu flizin X1; Vnd dar vmb (dar vmbfehltMe]) ob aller sel chrafft
in (an Me]) ainer sel war (läg Me]) so möcht sy hie den (das Me]) mynnisten (mynnist Me]) lan nicht
enphahen der (das Me]) von dem mynnisten werch chümbt das got in ewiger lieb poten hat oder dy sel
müest da von tzerfliezzen vnd am leichnam sterben X2 98 der in der / dy in der Lo4; Lücke X
39 Vgl. In Sap. TL 70, LW II, S. 398,4-11: Et hoc est quod hie dieitur: apud dominum est merces eorum.
Tertio sie: merees iustorum est quod sint filii dei, quia, ut dietum est, filius, et hie solus, est apud domi-
num. Nemo ergo heres nisi filius, Gal. (Rom 8,17; vgl. Gal. 4,7): 'si filii, et heredes; heredes quidem dei,
eoheredes autem Christi', qui est filius 'primogenitus', 'verbum apud deum'. Seeus de servo, de mereen-
nario, euius merees non est apud dominum, quia talis sibimet ponit finem aliquid eitra deum et sub deo,
non ipsum deum nec 'apud deum'; Pr.39, DWII, S.257,1-2: Nu sprichet er: 'sin Ion ist bi dem herren' ...
Daz er sprichet 'bi', daz ist, daz des gerehten Ion ist, da got selber ist; Sermo XII,2 TL 141, LW IV,
S.132,10-14: Sequitur tertium, scilieet de praemio sive gloria: mensuram bonam etc. Ubi circa statum
patriae nota: dei inhabitantis ipsos beatos excellentissima sublimitas, quia mensuram bonam dabunt in
sinum vestrum. Primum enim et simplicissimum est mensura omnium, deus, tarn in esse quam in omni
perfectione universaliter. 40 Vgl. Pr.47, DW II, S.408,3-409,1: Ez ist ein vrage und ist swrere ze
berihtenne, wie diu sele erliden müge, daz si niht enstirbet, da sie got in sich drücket. Ich spriche: allez,
daz got ir gibet, daz gibet er ir in im durch zwei dinc: daz eine: grebe er ir iht uzwendic sin, daz versmabte
si. Daz ander: wan er ir gibet in im selben, dar umbe mac si enpfähen und liden in dem sinen und
niht in dem irm; wan daz sine daz ist ir. Wan er sie uz dem irm brabt hat, sö muoz daz sine daz ir sin,
und daz ir daz ist eigenliche daz sine; Pr.97, DW IV, S. 228,58-229,61: Trrete got offenliche in diesele, si
enmöhte ez niht geliden, si müeste von liebe und von vröuden allen zergliten und verwerden. Entzüge
er ouch sich ir offenliche, des enmöhte si ouch niht geliden, si müeste vor leiden als me als zergliten und
sterben.
95
Predigt 91
Welh rat gehreret denne dar zuo, ob si alles daz Ion enpfähen süle, daz got ist, wan daz diu
100 sele erhaben 41 muoz werden über sich selber und über alle creatfue und muoz gesast werden in 30
götlich wesen und in daz glichnisse götlicher nature 42 ? Vermac siez?
Ouch möhte daz Ion verdrozlich werden von dem andern, daz ez ewic43 ist. Dar zuo hat got
einen heimlichen rat vunden und hat sich selber verniuwet da mite, daz er die ewicheit hat
braht in die zit und mit sich hat braht die zit in die ewicheit. Daz ist geschehen an dem sune,
105 wan do sich der sun entgoz in die ewicheit, do wurden alle creatfuen mite entgozzen44 . Dar 35
99 gehort Lo4 / horit Xi; geschäch X2 99 ob si alles daz lön enpfähen süle / ab sy alle das lon
enphan suln Lo4; ob sy als das lan enphahen solt X2; daz siez al zu male inphahe Xi 100 abir [1]
Lo4, vber X2 / pobin Xi 100 abir [2] Lo4; vber X2 / pobin Xi 101 götlich Lo4 / götleichs X2
(ein götleich Me3); ein gotlich wesin Xi 101 vor mag Lo4 / da formac Xi; Lücke X2 102 vor-
droszlich Lo4 / for drossinlich Xi; Lücke Me2 102 andern Lo4, Me2 / aldere Xi 103 sich X,
fehlt Lo4 104 hat Lo4, Me2 / hait he Xi 104f. ist gesehen an dem sone wa Lo4 / an Cristo
geschehen ist. wan Me2,JehltX1 105 mit entgoszenLo4 / an vme intgozzin Xi; mit im erweltMe2
41 Vgl. Pr. 82, DW III, S. 429,if: Sol diu sele götlich sin, so muoz si erhaben sin; Pr. 86, DW III,
S.486,10-15: Diu sele hat dri wege in got ... Der ander wec ist wec äne wec, vri und doch gebunden,
erhaben und gezucket vil nach über sich und alliu dinc äne willen und ane bilde, swie aleine ez doch
weseliche niht ensta; Pr. 39, DW II, S. 261,2f: da der mensche erhaben ist über z'tt in ewicheit, da würket
der mensche ein werk mit gote. 42 Vgl Pr. 8, DWI, 8.13 5,2-4: 'Sie sint tot', sprich et diu geschrift von
den marteneren, und sint gesast in ein ewic leben, in daz leben, da daz leben ein wesen ist; ... S.135,14j:
In sinem loufe ist er(= der himel) ewic: er enweiz von zit niht, und meinet, daz diu sele gesast si in ein
luter wesen; Pr: 17, DW I, S. 286,1-4: Ez sint dri sache, war umbe diu sele hazzen sol sich selber ... Daz
ander: wan min sele niht alzemale in got gesast und gepflanzet und widerbildet ist; Pr. 70, DW III,
S.196,12-14: Die wile wir menschen sin und die wile iht menschliches an uns lebet und in einem zuo-
gange sin, so engesehen wir got niht; wir müezen uferhaben werden und gesast in eine luter ruowe und
also got sehen; Pr. 76, DW III, S.322,2-8: Wan denne gotes nature ist, daz er niemanne glich enist, so ist
daz von not, daz wir her zuo komen, daz wir niht sin, daz wir gesast mügen werden in daz selbe wesen,
daz er selbe ist. Dar umbe, swanne ich dar zuo kume, daz ich mich gebilde in niht und niht engebilde in
mich und uztrage und uzwirfe, waz in mir ist, so mac ich gesast werden in daz bloze wesen gotes, und
daz ist daz blöze wesen des geistes. Da muoz allez daz uzgetriben werden, daz glicheit ist, daz ich über-
ge"sast werde in got und werde ein mit im und ein substancie und ein wesen und ein nature und der sun
gotes; ... S. 326,8-328,2: Dar umbe sage ich: ist, daz daz kint geborn wirt in dir, so hast du so groze vröu-
de von einem ieglichen guoten werke, diu da geschehent in dirre werlt, daz din vröude wirt diu aller-
grrnste stceticheit, daz si sich niht enendert. Dar umbe saget er: 'iuwer vröude ennimet nieman von iu'.
Und bin ich wol übergesast in daz götlich wesen, so wirt got min und swaz er hat. Dar umbe saget er:
'ich bin got, din herre': Danne han ich rehte vröude, so sie noch leit noch pin von mir genemen enmac,
wan danne bin ich gesast in daz götlich wesen, da keine stat leit niht enhat; Pr. 73, DW III, S. 269,7-270,5:
Daz wir uns selber benomen werden und in got gesetzet werden, diz enist niht swcere, wan got der muoz
ez selber würken in uns, wan ez ist ein götlich werk, der mensche volge aleine und enwidersta niht, er
lide und laze got würken. Daz wir gote also volgen, daz er uns in sich müge gesetzen, daz wir mit im ver-
einet werden, daz er uns mit im selber müge geminnen, des helfe uns got. 43 Vgl Pr. 8, DW I,
S.127,5-7: Sant Augustinus sprichet: alliu pine und werk der arbeit daz nimet ein ende, aber der lon,
den got dar umbe gibet, der ist ewic. 44 Vgl Pr. 53, DW II, S. 536,8- 537,1: Dar umbe sprichet der
vater den sun alle zit in der einicheit und entgiuzet in im alle creatfuen; Pr. 60, DWIII, S.14,4f: Der vater
96
Voca operarios, et redde illis mercedem suam
umbe ist der sun ewicliche geborn äne underläz 45 und alzemäle, daz aller creaturen wollust und
volkomenheit ist gesament zemäle an im, und wirt also der sele geschenket äne underläz und
niuwe. Dar umbe ist sin geburt hiute also niuwe, als do ez sich erste begunde46 , daz der sele lon
106 der X,jehlt Lo4 108 hüte Lo4, Me2 / hude dissis tagis XJ 108 als do ez sich erste be-
gunde / als daz iz sich erst begonde Lo4; alse (also H2) du (do H2) sich ez fon erst be gonde Xi; als des
ersten 1\/Ie2
suochet ruowe an sinem sune, daz er alle creaturen an im entgozzen und gebildet hat ... ; Pr. 47, DW II,
S. 394,3- 5: Ein meister sprichet: alle creatfuen Lragent an in ein ur künde götlicher nature, von der sie
sich entgiezent also, daz sie wölten würken nach götlicher nature, von der sie gevlozzen sint; Pr. 43, DW
II, S.319,6-320,2: Got ist alle zit würkende in einem nu in ewicheit, und sin würken ist: sinen sun
gebern; den gebirt er alle zit. In der geburt sint alliu dinc her uz kamen, und er hat so grozen lust in dir-
re geburt, daz er alle sirre maht in ir verzert; Pr: 19, DW I, S. 312,3- 5: Der himelische vater sprichet ein
wart und sprichet daz ewicliche, und in dem worte verzert er alle sine maht und sprichet sirre götliche
nature alzemale in dem warte und alle creaturen. 45 Vgl. Pr: 101, DW TV, Z. 2- 5: Wir began hie in
der zit von der ewigen geburt, die got der vaLer hat geborn und gebirt ane underlaz in ewicheit, daz diu
selbe geburt nu ist geborn in der zit in menschlicher nature. Sant Augustin us sprichet: daz disiu
geburt iemer geschehe und aber in mir niht geschihet, waz hilfet mich daz? Aber daz si in mir geschehe,
da liget ez allez ane; Pr.106 A, DW IV, Z. 12-15: Den meistern wirt geantwürtet: der sun ist geborn
volkomenliche und wirt geborn volkomenliche, niuwc, grüencnde, ane underlaz; Sermo XV,1 n.153, LW
IV, S.145,9j: Sccundum nova, quia filius per quem operatur semper nascitur; Sermo XXIII n. 223, LW IV,
S. 209,10/: Filius autem, per quem pater et in qua creavit omnia, semper natus, semper nascitur; In Ecch
n. 21, LWII, S. 249,Jj: Hinc est sexto q uod, ubi deus operatur in se ipso, si opus dici debeat, semper filium
genuit et gignit, sempcr natus cst, semper nascitur; In Eccli. n. 23, LW II, S. 249,12-250,2: In ipso
enim deo pater filium non genuisset, nisi genuisse esset generare. Unde Origenes super Ieremiam ex
persona filii in divinis ait: 'ante omnes colles generat me dominus' ... //gl. BgT, DWV, S.43,28-44,5: wan
äne zwivel: got enh;ete sinen eingeborncn sun in der ewicheit nie geborn, enw;ere geborn niht gebern.
Dar umbe sprechent die heiligen, daz der sun also ewicliche geborn ist, daz er doch äne underläz noch
wirt geborn. Ouch enh;ete got die werlt nie geschaffen, ob geschaffen-wesen niht enw;:cre geschaffen.
Dar umbe: got hat also geschaffen die wer lt, daz er sie noch äne underläz schepfet; In Ioh. n. 8, LW III,
S.9,}j: Hinc est quod filius in divinis, verbum in principio, semper nascitur, semper natus est; In. Ioh. n.
40, LW III, S. 33,17j: Tertia ratio est, quia sie est a principio naLus a patre quod nihilominus semper nas-
citur; In. Ioh. n. 197, LW III, S.166,14-167,2: Si semper pater fuit et est, semper filius fuit et est: semper
natus, semper nascitur, Psalmus (Ps. 2,7): 'filius meus es tu, ego hodie genui te'; 'genui', quia natus, 'hodie',
quia nascitur; In. Ioh. n. 412, LW III, S. 350,1-4: Praeterea: pater operatur omnia per filium et in filio,
supra Ioh. 1 (Ioh. 1,3): 'omnia per ipsum facta sunt, et sirre ipso factum est nihil'. Filius autem non tan-
tum natus est, sed semper naseitur, Eccli. 24 (Ecch 24,14): 'ab initio creata sum et usque ad futurum sae-
culum non desinam', nasci scilicet. 46 Vgl. Pr. 57, DW II, S. 600,3/: 'Niuwe' heizet daz, daz ungeüebet
ist oder daz sinem anvange nähe ist; Pr. 43, DW II, S. 324,Jf: Die meister sprechent: daz ist junc, daz
sinem beginne nähe ist; vgl. A lbertus M. Super 1\/Iatth. 6,9 (Ed Colon. XXI,1 S.187,55/): Novum enim
est, quod principio est coniunctum et vicinat ipsi; vgl. In Sap. n. 161, LW II, S. 497,1- 5: Et dicatur quod
ipse deus est semper novus, semper gignit, semper creat, semper operatur, non veterascit, non praeterit
et recedit, sed semper operatur et operando innovat operata, sicut hie dicitur: omnia innovat. Prima qui-
dem, quia novum et recens est quod praesens et coniunctum est principio, non lange factum a suo prin-
cipio. Vgl. Pr.31, DW II, S.116,8-117,2: Ich hän ez ouch me gesprochen: der mich vrägete, waz got in
dem himel t;ete, ich spr;eche: er gebirt sinen sun und gebirt in alzemäle niuwe und vrisch und hat so
97
Predigt 91
also geschenket werde uz dem niuwen vazze und vrisch und volkomen, und ir lon also lustic 42,1
110 und unverdrozlich blibe ane ende.
Hie von enmac ich niht me gesprechen, got enmac ouch niht me gesprechen, wan daz
uns diz volkomen lon werde. Des helfe uns got. Amen.
109 dem Lo4 / eime X 109 ör Ion Lo4 / ez ir Xi; er Me2 109 lustig Lo4, Me2 / lustlich
Xi 110 vnvordroszlich Lo4 / vnverdrozzen Me2; vollincumen Xi 111 me [1] Lo4,fehlt Xi;
Lücke Me2 111 f. got mag oüch nicht me gespreche wan das vns dis volkomen Ion werde Lo4 / wan
daz ez vns werde Xi; Lücke Me2
grozen lust in dem werke, daz er and~rs niht entuot, dan daz er daz werk würket. Vgl. Pr. 53, DW II,
S. 538,2f: In ein 'hiute' gelobet uns got ze uzerwelenne, da niht enist, da dannoch in der ewicheit ist ein
'hiute'; Sermo XXIV,1 n. 235, LW IV, S. 218,13j: Sed notandum quod ait 'hodie'. Bodie' dei est aeternitas.
98
PREDIGT 92 (Strauch Par. an. Nr. 27 S. 61-62)
Handschriftliche Überlieferung:
Textkonstituierung: Der Edierte Text der Predigt stützt sich auf O und H2 gleichermaßen.
Wenn O und H2 voneinander abweichen, wird Oder Vorzug gegeben. Läßt sich jedoch die
Schreibweise von O als sekundär erweisen und diejenige von H2 als mit X1 übereinstim-
mend, folgt er H2 (z.B. Z. 3 gesamenet; Z. 25 und 28 ebencristen). Ist der Text von 0, H2 oder
auch von X1 verderbt oder widerspricht er der Kontextrichtigkeit, bietet der Edierte Text
die mußmaßlich richtige Lesart (Z. 36 süezgemüete; Z. 38 kiuscheit). Ob Xi (0, H2) die Pre-
digt in ihrer ursprünglichen Vollständigkeit und Authentizität wiedergibt, läßt sich nicht
entscheiden.
Übersetzungen: keine
Echtheit: Für die Predigt 92 gilt wie für alle übrigen Predigten der 'Paradisus anime intel-
ligentis' -Sammlung der Zeugniswert des Predigtregisters der Handschriften O und H2, das
den Inhalt der Predigt als Lehre Eckharts (Hi lerit meister eckart; siehe Variantenapparat
S.101) ausgibt. Diese Zuweisung stützen eine Reihe von inhaltlichen Übereinstimmungen
mit Stellen aus bereits als echt erwiesenen deutschen und lateinischen Texten Eckharts. Es
99
Predigt 92
darf vermutet werden, daß sich der in Pr. 36 a vorliegende Rückverweis auf Pr. 92 bezieht
(vgl. Anm. 3). Über die Voraussetzungen, daß got lustliche gewürken (mac) in der sele (Z. 8),
spricht in vergleichbarem Sinne auch Pr. 82 (vgl. Anm. 5). Eine unmittelbare Parallele zu
den Ausführungen über die Urstandsgnade Adams Z. 9-14 findet sich im Genesiskommen-
tar (vgl. Anm. 6). Die Zwölf Früchte des Geistes erfahren eine Auslegung, die an jene im
'Sermo die b. Augustini Parisius habitus' anzuschließen scheint und die von derjenigen im
Sermo LV,2 gestützt wird (vgl. Anm. 8). Schließlich weisen die annäherncl_ gleichlautenden
Äußerungen der Pr. 113 über die bonitas und caritas (vgl. Anm.14) auf Eckhart als Verfas-
ser der Predigt 92 hin.
Aufbau der Predigt: Die Predigt, der Form nach eine Predigtskizze, zeigt keine inhalt-
liche Gliederung im Sinne einer Homilie. Sie hat nur ein Thema. Dieses konzentriert sich
auf den Hauptsatz des Bibelverses 'venit Iesus et stetit in medio' (do trat got in 2). Das Kom-
men Jesu und sein Stehen in der Mitte deutet Eckhart als Leuchten des Lichtes der ganzen
warheit in der sele (3 f.). Zwei Teile der Predigtskizze sind zu erkennen. Im I. Teil (5-16)
wird in drei Gedankenschritten dargelegt, wie dies geschehen könne. a) Voraussetzung für
Gottes Leuchten in der Seele ist, daß der Mensch der Sünde, der Natur und seiner selbst
stirbt und Gottes eigen (8) wird. b) Ist der Mensch Gott zu eigen, wirkt Gott allein sein
eigen werk (11), wie er es in Adam vor dessen Sündenfall wirkte: In Adam vermochte die
gotheitdurch den willen in die niderste krrifte (10) zu 1euchten'. c) In seinem eigen werk wirkt
Gott in der Seele 12 Früchte (nach Gal. 5,22), die den Menschen ze gote und ze guotem lebe-
ne (16) ordnen. Im Sermo LV,2 werden diese zwölf Früchte als partus dei in anima (Gottes-
geburt in der Seele) gedeutet. Der II. Teil (17-39) der Predigtskizze widmet sich aus-
schließlich der Ausdeutung der zwölf Früchte, die zu vier Gruppen von jeweils drei
Früchten zusammengestellt werden. a) Die ersten drei (minne= caritas, geistlichiu vröude =
gaudium, vride des geistes = pax) ordnen den Menschen zu Gott; b) die zweiten (milticheit =
benignitas, triuwe = fides, senjtmüeticheit = mansuetudo) ordnen ihn zum Mitmenschen; c)
die dritten (gedult = patientia, lanclidicheit = longanimitas, süezgemüete = bonitas) be-
fähigen ihn, kommendes Leiden zu ertragen; c) die vierten (maze = modestia, entheltnizze =
continentia, kiuscheit= castitas) schließlich ordnen den Menschen zu sich selbst.
100
Cum sero f actum esset.
61,35 'Cum sero factum esset etc. Dö der abent intrat und der tac viel und die jünger gesament
waren, dö trat got in' 1. Als der tac liplicher vröude vellet und der abent vergenclichcr dinge in
62,1 diesele tritet und alle ire krefte gesament sint und beslozzen 2 , sö liuhtet daz lieht der ganzen
warheit in der sele 3 •
Zuschreibungen: xxvj (am linken Rand O; xxvij in der Zeile H2) Cum sero factum esset. Hi lerit mei-
ster eckart (Echard H2) wi di sele ge schickit sal sin di daz gotliche licht in phahin (in sich enphahen
H2) sal vnd wi got in der selc wirkit di zwel (zwolf H2) fruchte 0, H2 (Inhaltsverzeichnis: Ojol. 2"" [Par.
an. S.3], H2fol. 3")
Überschriften: Sermo de tempore (in der Zeile) xxvij (am rechten Rand) O; Sermo de tempore
(in der Zeile) de tempore (am linken Rand) xvij (am rechten Rand) xxvij (obere linke Ecke vonfol. 72v)
H2
3 tridit O / tredit H2 3 gesamenet H2 / ge saminint 0 4 in der sele O / in die scle H2
1 Vgl. Ioh. 20,19: Cum esset ergo sero (der überlieferte Textbeginn Cum sero [autem] factum esset
entspricht 1\!Iatth. 20,8; 1\/Iatth. 27,57) die illo, una sabbatorum, et fores essent clausae, u bi erant discipuli
(var: lect: discipuli congregati) propter metum Iudaeorum: venit Iesus, et stetit in medio, et dicit eis: Pax
vo bis. Der Text ist dem Evangelium der Osteroktav (Weißer Sonntag), Ioh. 20,19- 31, entnommen. Die glei-
che Textstelle liegt auch den beiden Predigten 36a und 36b zugrunde. Sie wird ebenfalls kommentiert im
Johannes-Kommentar n. 707-713, LW III, S. 619-623. Die Zweiteilung der vorliegenden Predigt
(Z.1-16/17- 39) wird im Register angezeigt (Cum sero factum esset. Hi lerit meister eckart [Echard H2]
wi di sele ge schickit sal sin di daz gotliche licht in phahin [in sich enphahen H2] sal vnd wi got in der
sele wirkit di zwel [zwolf H2] fruchte). Sie hat eine Entsprechung zum Beginn der Auslegung des Schrift-
wortes Cumque esset sero die illa, una sabbatorum in In Ioh. n. 707, LW III, S. 619,10-13. 620,9: Totum
quod sequitur usque ibi multa quidem et alia signa doctrina est moralis specialiter et est materia serrno-
num. :"Jotandum ergo quod anima volens Iesum, salutem scilicet, suscipere, qualis esse dcbcat, et etiam
quid Iesus in ipsa operetur, docetur in verbis de quibus hie fit mentio ... Hoc est ergo primum disponens
animam, ut in ipsam veniat Iesus. Unmittelbar darauffolgt die Auslegung zu Cum sero esset, die auch
die Predigt 92, Z. 2-4, bietet; vgl. In Ioh. n. 707, LW III, S. 619,13-620,2: Ait ergo prima: cum sero esset, id
est post occasum solis rerum temporalium, scilicet in tenebris ignorantiae et affectionis rerum munda-
narum, supra prima: 'Jux in tenebris lucet' (Ioh 1,5). 2 Vgl. In Ioh. n. 708, LW III, S. 621,3-4: Quin-
ta: erant discipuli congregati. Discipuli sunt affectiones et vires animae congregatae, uL tota virtute et
tota anima ametur deus. 3 Es ist nicht ausgeschlossen, daß sich der in Pr. 36a vorliegende Rückver-
weis (DW II, S.187,9-12: Danne ist ganz, luter tac in der sele, swenne allez, daz diu sele ist, ervüllet wirt
mit götlichem liehte. Aber danne ist ez abent in der sele, als ich e sprach, sö daz liehL dirre werlt abe-
vellet und der mensche inbeslozzen ist und ruoweL.) auf Pr. 92 bezieht. Quint allerdings, der Pr. 92
(Strauch Par. an. Nr.27) außer Acht läßt, sieht in ihm Pr. 20a, DW I, S. 326,14- 327,1 angesprochen:
Swenne daz lieht dirre werlt abevelt, sö ist ez abent. Nu sprichet Davit: 'er klimmet uf in dem abende,
und sin name ist der herre'. Als Jacob, dö ez abent was, dö legeLe er sich nider und slief. Daz meinet ruo-
we der sele; siehe DW II, S.187, Anm. 7; vgl. auch Pr. 21, DW I, S. 359,1-4: Waz ist reinicheit des herzen?
Daz ist reinicheit des herzen, daz gesundert ist und gescheiden von allen liphaftigen dingen und
gesamenet und geslozzen in im selben und denne uz der luterkeit sich werfende in gut und da vereini-
get werdende; vgl. des weiteren Pr: 1, DlV I, S. 8,8-9,1: Ez enmac niht bi einander gcstan daz lieht und
diu vinsternisse. Got der ist diu warheit und ein lieht in im selber. Swenne denne got kumet in disen
ternpel, sö vertribet er uz unbekantnisse, daz ist vinsternisse, und offenbaret sich selber mit liehte und
101
Predigt 92
5 Dar umbe sol der mensche sterben den sünden und aller ursache der sünde.
Dar nach sol er sterben der nature, als er s'i:n selbes niht ensi, daz er s'i:nes an nihte ensuo-
che dan luterliche gotes ere4. 5
Dar nach sol man gotes eigen s'i:n, so mac got lustliche gewürken in der sele sin eigen
werk 5• Adam was so gar gotes eigen, e dan er viel, daz der wille gevüeget was an got, daz diu
10 gotheit liuhte durch den willen in die nidersten krefte, daz sie von not niht mähten gewürken,
wan als in der wille gebot. Da worhte got s'i:n eigen werk und mohte sich bekeren in der sele 6 .
mit wärheit; vgl dazu auchlnioh n. 707, LW III, S. 619,13-620,2: Ait ergo primo: cum sero esset, id est
post occasum solis rerum temporalium, scilicet in tenebris ignorantiae et affectionis rerum munda-
narum, supra primo: 'lux in tenebris lucet' (loh 1,5). 4 Vgl Pr. 13a, DW I, S.226,1-2: Das(= das
lamp) sol vns twingen, das wir an allen vnsern werken nicht ensuchen denne sin lob vnd sin ere.
5 Vgl Pr. 82, DW III, S. 425,1- 7: Daz ander: daz wir merken die würkunge des heiligen geistes an der
sele. Nieman enmac lusticliche gewürken, er envinde si:ne gHchnisse in dem, dä er ane würket. Solte ich
einen menschen leiten, enpfienge er niht mi:ne gHchnisse in sich, er envolgete mir niemer lusticliche;
wan niemer kein bewegunge noch werk enwirt lusticHche gewürket äne gHchnisse. Also ist ez umbe alle
die, die gote volgent; wan alle liute müezen gote volgen, sie wellen oder enwellen. Volgent sie im wil-
licHche, so ist ez in lustlich; volgent sie im aber unwillicHche, so ist ez in pi:nlich und bringet aleine smer-
zen i:n; Pr. 10, DW I, S.165,5-7: Daz inner ouge der sele ist, daz in daz wesen sihet und si:n wesen von gote
äne allez mitel nimet: daz ist sin eigen werk; Pr.109, DW Iv, S.16-18: Do got den menschen gemachete,
do worhte er in der sele si:n 'gHchez' werk und si:n würkendez werk und si:n iemerwerndez werk. Daz
werk was groz. Und daz werk was niht anders dan diu sele. Und diu sele was niht anders dan daz werk
gotes; Pr. 73, DWIII, S.268,2-4: Einander wort hie von: got enminnet niht in uns wan die güete, die er
in uns würket. Ein heilige sprichet: ez enwirt niht gekrrnnet von gote wan si:n eigen werk, daz er in
uns würket; vgl auch Sermo XXXVI,2 n. 3 74, LWIV, S.319,12: Coronat enim sua dona in nobis. 6 Vgl
In Gen.In. 203, LW I, S.350,14-351,6 (Rec. L, LW I,2, S.233,16-22): Vult igitur breviter dicere Rabbi
Moyses quod ante peccatum versabatur homo in intellectualibus, in quibus est verum, non proprie
bonum, nec intendebat nec afficiebatur sensibilibus, in quibus cadit bonum et malum - ex Vl Meta-
physicae - et pertinent ad appetitum, ad concupiscentiam, quae surrt rationabilia per participationem
tantum, quae subiecta erant plene rationali per essentiam, ne ipsum afficerent nec praevenirent, sed
ratio ipsis praeerat, ut ipsa imperaret et praeveniret, secundum illud loh. 11 (loh 11,33): 'turbavit semet
ipsum' Iesus. Et erat rectitudo, de qua Eccl. 12 (Eccl 7,30) dicitur: 'deus fecit hominem rectum'; In Gen.
In. 204, LWI, S.352,1-11 (Rec. L, LW I,2, S.235,5-14): Praedictis concordat quod frater Thomas dicit,
quod primus homo vidit deum »multo eminentius per intelligibiles effectus quam per sensibiles«. »A
consideratione autem lucida intelligibilium effectuum impeditur homo in statu« quo nunc sumus »per
hoc, quod distrahitur a sensibilibus et occupatur circa ipsa«. »Primus autem homo non impediebatur per
res exteriores a clara contemplatione intelligibilium effectuum«, quae incipiebat »ex irradiatione pri-
mae veritatis« naturali vel gratuita. Ad hoc autem inducit »Augustin um XI Super Genesim ad lit-
teram« qui ait: »fortassis deus primis hominibus loquebatur, sicut cum angelis loquitur, ipsa incommu-
tabili veritate illustrans mentes eorum, etsi non tanta participatione divinae essentiae, quantam capiunt
angeli«. Vgl weiter In Gen.In. 116, LWI, S.272,7-12:Adhuc.autem notandum quod Rabbi Moyses 1.
I c. 2 sie ait: »intellectus, quem elargitus est deus Adam primo, ipse est postrema eius perfectio, quae fuit
in Adam, antequam peccaret. Et ratione huius intellectus dictum est de eo quod creatus est 'ad imagi-
nem dei', et mediante illo locutus est deus cum eo«, »et intellectus fuit in ipso in fine perfectionis«.
»Propter quod dictum est: 'minorasti eum paulo minus ab angelis'« (Ps. 8,6); vgl auch In Gen.In. 202,
102
Cum sero factum esset
10 Dar umbe sprichet Kristus: 'mir ist gegeben alliu gewalt in himelr'i:che und in ertriche
und ze Jerusalem', daz ist als vil: mir ist verhenget ze würkenne in der sele, diu in dem vride
wonet; in der ist mir gewalt gegeben, min eigen werk ze würkenne 7 •
Swaz sin eigen werk würket, daz würket lustliche, als der heilige geist in der sele. Waz 15
15 würket er? Zwelf vrühte, die den menschen ordenent ze gote und ze guotem lebene8 .
LWI, S.349,5-15 und In Gen.In. 192, LWI, S:339,1-4: Secundum hoc igitur in verbis praemissis innui-
tur quod Adam novit naturas rerum omnium, eo quod ipse nornina imposuit omnibus. Sie enim Adam
institutus est a deo perfectus scientia, ut omnia sciret, quae cadunt et cadere possunt sub luce agentis
intellectus, ut dicunt doctores. 7 Der hier zitierte Ausspruch Christi ist eine Kontamination aus
Matth 28,18 und Luc. 24,47; vgl Matth 28,18: Data est mihi omnis potestas in caelo et in terra und Luc.
24,47: et dixit eis: ... et praedicari in nomine eius paenitentiam, et remissionem peccatorum in omnes
gentes, incipientibus ab Hierosolyma. Die Etymologie von Jerusalem (vgl Isidorus Hispalensis Ety-
mologiae VIII c. 1 n. 6 [ed. Lindsay I]: Nam Hierusalem pacis visio interpretatur) führt zum nachfol-
genden Satz über;vgl Pr.13, DWI, S.214,10/: Jerusalem sprichet als vil als vride; Pr. 44, DWII, S.351,1/:
'Jerusalem' meinet 'ein gesiht des vrides'; Pr. 57, DWII, S. 595,3/: Ze dem ersten sol man merken den vri-
de, der in der sele sin sol. Dar umbe ist si genant 'Jerusalem'. 8 Die Predigt hat in ihren Grundge-
danken (der mensche sol sterben, Gott [Christus, Hl Geist] wirkt sin eigen werk in der sele, er wirkt zwelf
vrühte) wie in der Reihenfolge ihrer Darlegung eine Entsprechung im Sermo LV,2 n. 543. 544, LW W,
S.455,4-456,1: Si autem mortuumfuerit, multumjructum ajfert. Nota: homo debet se habere ad omnia
mundi huius, ac si esset mortuus, tamquam non audiat nec videat, et universaliter ac si non sentiat. Die
de illo in Vitis patrum, qui columnam contumeliis affecit et laudibus extulit. Col. 3 (Col. 3,3): 'mor-
tui enim estis, et vita vestra abscondita est cum Christo in deo'. Pertracta. Hoc est loh. 15 aoh 15,5): 'qui
manet in me, et ego in eo, hie fort fructum multum'. Pertracta bene. Gal. 5 (Gal 5,22. 23): 'fructus spiri-
tus est caritas, gaudium, pax, patientia, longanimitas, bonitas, benignitas, mansuetudo, fides, modestia,
continentia, castitas'. Mul'tumjructum. Nota: nulla creatura sufficit exprimere, sed deus solus tota sua
virtute. Est enim fructus iste partus dei in anima, qui partus perficitur spiritu sancto irrigante animam;
vgl auch In Gen. II n. 197, LW I, S. 670,5 -7: Sed »et alius intra nos populus invenitur in spiritu genera-
tus; 'fructus' enim 'spiritus est caritas, gaudium, pax, patientia, bonitas', 'mansuetudo, continentia, casti-
tas' 'et his similia'. Zu den neun bzw. zwölf Früchten des Geistes vgl. Gal 5,22-23: Fructus autem Spiri-
tus est caritas, gaudium, pax, benignitas, fides, mansuetudo, patientia, longanimitas, bonitas, modestia,
continentia, castitas (Reihenfolge und Bestand dieser Aufzählung Eckharts variieren in den einzelnen
Ausgaben des Vulgata-Textes); wiederum eine andere Anordnung zeigen die Predigt 113 (caritas, gau-
dium, pax, patientia, bonitas, longanimitas, fides, mansuetudo, benignitas, modestia, continentia,
castitas) und die Predigt Par. an. 32 (Strauch S. 71,22-34) Eck hart Rubes: Disir fruchte nennit sente
Paulus zvelfe, alleine ur fil me sirrt, alse sente Augustinus sprichit. di erstin dri daz sirrt dri werc der
minne, freude und vride minne ist daz erste werc des willen und ein eigentlich glichnisse des heiligen
geistes. dar noch kumet freude fon der einunge und geginwertikeit di di minne machit. dar noch volgit
fride, di machit vollincumen di freude mit ruwe fon uzewendigime betrupnisse, wan wer ganzin vride
sines herzin hait in Gode, den inmac uzewendic nicht betruben. di virde frucht ist gedult in widermu-
de. di funfte ist lancbeidin in hoffenunge. di seiste ist gude, daz ist suzikeit des gemudis. di sibinde ist
guitwillikeit, daz ist mildekeit des gudis. daz achte ist senftmudikeit. di nunde ist truwe oder glaube. di
zende ist mezikeit an warten und an werkin. di elfte ist inthaldunge oder eigin betwanc gegin den din-
gin di nicht forbodin insint. di zvelfte ist kuisheit, daz ist inthaldunge fon den dingin di forbodin sirrt
oder frieheit fon bekorungen. Die Zwölf Früchte des Geistes sieht Eckhart auf Gott und auf das gute
103
Predigt 92
18 erste fehlt 0, H2 (vgl Z.38: daz erste ist meze 0, H2); daz erste daz ist Sievers, Strauch
18 f. setzit en O / seczetin H2 19 di sele di O /diesele H2 21 ander H2 / andere 0
21 geistliche O / geistlichH2 21 samewizzecheit / sanwizekeitH2; sanwizikeit O 25 eben-
kristen / ebenen cristenen H2; n (über der Zeile) ebinen cristinen O 26 Daz erste daz O / Daz
erste H2 26 wol H2 / wole 0
Leben bezogen. Die ersten drei Früchte ordnen den Menschen auf Gott hin, die übrigen neun Früchte auf
den Mitmenschen, auf sein Verhalten im Leiden und auf sich selbst Die Dreiteilung der Ausrichtung des
Menschen auf Gott, den Mitmenschen und sich selbst erscheint bereits im 'Sermo die b. Augustini Parisius
habitus' n. 8-10, gefefJt als virtus theologica, virtus politica und virtus monastica. Der virtus monastica
entsprechen in der vorliegenden Predigt, die eine Vierteilung der Zwölf Früchte des Geistes zeigt, die
Früchte der dritten (Z. 32-36) und vierten Ordnung (Z. 3 7- 39). Vgl. Sermo die b. Augustini Parisius habi-
tus n. 8-10, LWV, S.96,7-97,14: Sapientia igitur beati Augustini fuit sibi pro materia virtutis, virtutis
inquam monasticae, politicae et theologicae. Monastica virtus ordinat et perficit hominem in se ipso,
quia opus eius est carnis suppeditatio. Actus virtutis monasticae est hie; fructus eius est spiritualis
laetitia. Unde ad Gal. 5 (Gal 5,22): 'fructus autem spiritus caritas, gaudium'. De quo gaudio Eccli. 30
(Eccli. 30,16): 'non est sensus supra sensum salutis, et non est oblectamentum supra cordis gaudium'. De
quo gaudio Augustin us X Confessionum dicit: »est gaudium, quod non datur impiis, sed eis qui te gra-
tis colunt«, domine, »quorum gaudium tu ipse es. Et ipsa est beata vita: gaudere ad te, in te, propter te,
ipsa est vita et non est altera«. Virtus politica est luculenta bonorum operum exercitatio et perficit homi-
ne~ et ordinat in civium collegio. Actus virtutis politicae est haec, quae exhibet opera amicis in deo et
inimicis propter deum in tantum, ut 'si esurierit inimicus, cibat illum; si sitit, potum dat ei'. Fructus
autem qui ex hoc sequitur, est non tantum civium, sed etiam inimicorum vindicata amicitia. Unde ad
Rom. 12 (Rom. 12,20): 'hoc enim faciens carbones ignis congeres super caput eius', et ad Rom. 12 (Rom
12,20): 'caput eius' est mens animae, super quam carbones congeruntur, dum per praeventionem benefi-
ciorum ad reddendum compelluntur. Theologica virtus perficit hominem cum deo, quia est integra spi-
ritus conservatio ex carnis subiectione. Actus virtutis theolögicae, id est fidei, dilectionis, est hie. Fructus
eius est spiritualis effectus gratiae ad perfectionem iustitiae. 9 Vgl RdU, DW V, S.232,9-233,3: Daz
w.ere der meisten sachen einiu, daz den menschen zemale sölte in got setzen, und w.ere ein wunder, wie
sere ez den menschen sölte enzünden in starker grozer minne also, daz er des sinen zemale uzgienge.
10 Vgl SermoXXXIII n. 334,LWIV, S.292,4-6: Unde deus nullo modo potest esse, ubi pax non est, Psal-
mus (Ps. 75,3): 'in pace factus est locus eius'. 11 Vgl Sermo XXXllI n. 334, LW Iv, S.292,6-8: Si ergo
spiritu vivimus (Gal. 5,25) etc. Expone de fructibus spiritus. Si in caritate vivimus, quoad nos, caritate et
ambulemus, quoad proximos.
104
Cum sero factum esset
25 Daz ander ist triuwe; daz ist, daz ein mensche sinem ebenkristen gunne als im selber.
Daz dritte ist senftmüeticheit; daz ist, daz ein mensche sich also ze den liuten halte, daz
nieman von im betrüebet werde. 30
Die dritten drie vrühte die ordenent den menschen gegen zuokünftiger lidunge.
Diu erste ist gedult, daz der mensche getwedic 12 si under der bürden des lidennes, daz der
30 mensche niht entuo als ein phert, daz sich vor ergen müede machet under der bürden und sie
doch tragen muoz.
Daz ander ist lanclidicheit, daz der mensche keine wege suoche uz den lidungen. 35
Daz dritte ist süezgemüete 13 , daz kein pine gevelschen noch gebittern mac.
12 Zu getwedic, einem nach dem 'Findebuch zum mhd Wortschatz' S.137 in der Predigt 92 und in
der 'Apokalypse' Heinrichs von Hesler (Die Apokalypse Heinrichs von Hesler aus der Danziger Hand-
schrift hrsg. von Karl Helm {DTM 8. Dichtungen des Deutschen Ordens I}, Berlin 1907, S.36, V. 2315)
belegtenAdj. (vom Verbum zwlden), vgl. Lexer I, 952: 'md zahm, willfährig'. 13 Als Übersetzung von
bonitas bieten H2 zweiergemude und O swergemude; beide Schreibungen müssen als verderbt gelten; in
Pr: 113, DWIV,Z.41,gibtEckhart bonitas mitsüezicheit wiederundEckhart Ruhe in Predigt Par. an.
32 mit suzikeit des gemudis (Strauch Par. an. S. 71,29f). Es ist zu vermuten, dq/3 die Fehlschreibungen
von H2 und O süezgemüete in der Ursprung.ifassung des Textes voraussetzen. 14 Statt kiuscheit
schreiben O und H2 vollincumenheit; aufgrund der auffälligen Textparallele der Pr. 113, DWIv, Z. 66- 69
muß die X1 (0, H2)-Überlieferung als sekundär gewertet werden: Daz zwelfte geistliche werk ist kiu-
scheit. Daz ist kiuscheit, daz man deheines dinges so vil neme, man möhte es noch me nemen - als daz
man weinet und süezicheit enpfrehet von gote -, also daz diu begerunge nüehtern blibe und daz man
ander guotiu werk vermüge oder lihte ist tugende ze sprechenne und mit den werken ze bew1senne.
105
PREDIGT 93 (Strauch Par. an. Nr. 37 S. 83-86)
Handschriftliche Überlieferung:
K1a Kassel, Landesbibl. u. Murhardsche Bibl. Cod. theol. 11, lxxxiWb_ lxxxiii(b.
Textbestand: (35) Ez sprichet ein Meyster. Daz diesele begeret vnde suchet. von naturen ruwe vnd
mine (Zuchhold: min[n]e) vnde gude.Jtmde sie keine creaturen in der sie ewege ruwejtmde an der
ruwete sie. (36) Wande sie sprichet In omnibus requiem quesiui. Ich han rilwe gesuchet in allen din-
gen alse obe sie sprechen solte. Ich en vant ir nit. Dar vmme keret sie sich wider zu gode. alse die
dube (38) die Noe sante vszer der arken [lxxxiiij'a] in der sintflude. da sie nit en vant da sie ruwen
mohte. da vlog sie wider in die arken. (39) Die dube bedudet ein iegeliche vernunftege sele. die von
rehter warheide keine ruwe vindet an den creaturen. (40) Dar vmme keret sie wider zu irme schep-
pere. alse die dube zu der arken. (42) Die sele suchet auch gude vnd minne von naturen. Ez ist eine
gantze warheit ein iegelich mensche trede in sin hertze vnd in sin verstentnusse. er vindet daz er
(Zuchhold: er [nit]) lieber hat danne vollen kommene gude. vnd dar vmme en hat auch got keinre
creaturen vollenkommene gude geben ( 45) wande ez sprichet ein Meyster. vonde die sele vollen-
kommene gode an den creaturen da vir einegete sie sich ane. Got weis wole sprichet ein Lerere. daz
die minne eine crajt ist die da eineget was sie gentzlichen minnet da vereyneget sie sich ane. des
en gan got keinre creaturen. wande die minne setzet den menschen vz ime selber vnd ordent in in
daz. daz er minnet (48) Dar vmme was sante (sante fehlt Zuchhold) Marien Magdalenen sele me
vereyneget mit dem doden lychame (Zuchhold: lychame[n]) vnsers herren Jhesu Cristi danne mit
ir selbir (50) wande sanctus Augustinus sprichet Quod anima magis est vbi amat quam [lxxxiii(b]
ubi animat. Die sele ist eygentlicher da sie minnet danne do sie leben gibet Minnet nu diesele got.
so wirt sie mit ime vereyneget vnd vindet in ime ruwe gude vnd warheit. (52-53) alle creaturen
ngfent den menschen ane vnde sprechent Du suchest warheit vnde gude. des in sin wir nit suche got
der ist beyde gude vnde warheit die creaturen sint bresthajt. vnde vindet man an in vnwarheit vnde
drugnusse. Abir got ist die warheit vnde die gnugende vollenkommenheit vnde daz ewege leben.
(53f.) Dar vmme sprichet sanctus Augustinus. Suchen ir so suchent ir suchent leben in der doden
lande. daz ist in den creaturen. suchtent ir iz abir in gode so vindent ir. wande in gode ist vollen
kommenheit aller creaturen vnd alle vreude. vnd me danne man moge begeren. Dar vmme sullen
106
Filiation der Handschriften
wir in suchen mit eime einfeltegen hertzen. so vinden wir in in vnserre selen (Zuchhold: sele). alse
werliche. alse Maria vnde Joseph in vonden zu iherusalem in me temple.
Textabdruck des Stückes: Hans Zuchhold, Des Nikolaus von Landau Sermone als Quelle für die
Predigt Meister Eckharts und seines Kreises (Hermaea II), Halle /Saale 1905, Nr. 1, S. 23, 22- 25,
29 und S. 26 (drei Zeilen).
Mz1 Mainz, Stadtbibl. Cod. 221, 46r.
Textbestand: (66- 68) Sanctus augustinus sprichet zv der selen ez ist eyn rethe dorheit daz du an
den bist der allentalben ist vnd daz du mit deme nith in bist. ane den du nit wesen in maht vnd daz
du den nicht meynnes. sunder den du nicht mynnen in macht.
N1 Nürnberg, Stadtbibl. Cod. Cent. IV 40, 74v_75v_
Textbestand: vollständig.
Textabdruck der Predigt 93, Z. 35-61: Wann di sele suchet ... wan an got ist die volkumenheit
aller creaturen zumal: Zuchhold S. 23. 25. 28.
0 Oxford, Bodleian Library Cod. Laud. Mise. 479, 67v-7or.
Textbestand: vollständig.
Textabdruck: Philipp Strauch, Par. an. S. 83,32-86,34; Eduard Sievers, Predigten von Meister
Eckart, in: ZfdA 15 (1872), S. 373-439, hier Nr. IX, S. 391-395.
Wo1 Wolfenbüttel, Herzog August-Bibl. Cod. Helmst. 1066, 115v_ 125r.
Textbestand: vollständig.
Filiation der Handschriften: Sechs Handschriften (B6, B7, H2, N1, 0, Wo1) überliefern
den Text der Predigt 93 vollständig. Ein längeres Stück (Z.35-61), das in K1a überliefert
ist, entnimmt ihr Nikolaus von Landau für seine 'Sermones novi'-Sammlung. Es findet sich
jedoch nicht in St6. Einzig das Augustinus-Zitat 'Ez ist ein gröz törheit' (Z. 66-68) bewah-
ren Fl und Mz 1.
Der in den neun Textzeugen überlieferte Text zeigt Merkmale, die ihn zwei verschie-
dene Überlieferungsgruppen zuordnen lassen. Zur Gruppe X gehören H2, 0, K1a, zur Grup-
pe Y gehören B6, B7, Fl, Mz1, N1, Wo 1.
Die Textform von X läßt sich allerdings nur in jenem Abschnitt der Predigt (Z.
35-61) erkennen, den K1a überliefert. In diesem zeigen sich die folgenden Abweichungen
vom Text der Y-Handschriften:
37 vnd hann geruwet in dem erbe mynes herren (herren fehlt Wo1) gottes Y [B7], fehlt X
42 Darumbe sprechen ich vnd Y [B7], fehlt X
43 eyn igliches Y2 [B 7]; iclich Wo 1; yegelic creatuer B6 / ein iglich mensche X [ 0 J
43 das Y [B7] / he (er K1a) vindit daz X [O]
49f. dar umme (Dauon Y2 [B7]) hatte si uorgezen alles des (des das B7) si uore gehort hatte Y [Wo1],
fehlt X
50 me B7, Wo1; mer N1, B6 / eginlicher (eygentlicher K1a) X [O]
53-56 darumbe (Dauon Y2 [B7]) sprichet sente augustinus. suchet daz irsuchetvnde nicht dar (da Y2
[B7]) irsochet. her (Ende hi B6) sprichet (sprichetoc Wo1) in eime anderen buche daz der men-
sche Ziep hat vnde sich vrowet (sich vrowet / verbluscht B6)in den (sijnen B6) sunden. keret her
die wise vmbe hervindet iz (fehlt B6) werliche an (in B6) gote Y [Wo1], fehlt X
107
Predigt 93
60 Suchentdas ir suchentvnd nitda ir(da ir / daz ie Wo1) suchent (vnd ... suchentfehlt B6) Y [B7]
/ Suchit (Suchen Kia) ir so suchit (suchent Kia) X [OJ
61 zumale Y [B7], fehlt X.
Die Textform X ist in die Abschrift K1a unmittelbar eingegangen, in die Handschrif-
ten H2 und O hingegen nur mittelbar über die Vorlage X1, in der der X-Text wie in allen
übrigen Predigten des 'Paradisus anime intelligentis' auch eine starke Bearbeitung erfahren
hat. Diese ist sogar innerhalb der wenigen Sätze zu beobachten, die K1a, H2 und O parallel
(Z. 35-61) überliefern:
38f. nach der(nach der fehlt Ni)fiuyt obe sie yrgen ruwefunde vnd sie enfant nyrgen da sie den (hoer
B6).fusz ujf gesetzte (setzete Y1 [Wo1]; setzt Ni) Y [B7] / in der sintjlude. do sie nit en vant da sie
rüwen mohte. da vlog sie wider in die arken Kia, fehlt Xi
39 bezeichent Y [B7]; bediJdet Kia / meinet Xi [OJ
43 nyt liepp (lieber Ni) enhabe Y [B7]; lieber hat Kia / nicht minnet X1 [O]
45 Wandefunde diesele Y [B7]; wande ez spricheteinMeyster. vonde diesele Kia / Funde siX1 [OJ
45 an den creaturen Y [B7], K1a / an der creature X1 [OJ
49 jnne yrs (ir Ni) selbs Y [B7]; mit ir selbir Kia / vrme (irme H2) libe X1 [O]
60 wande (wan Woi, Ni) Y [B7], K1a, fehlt XL
Unter den Xi-Varianten der Zeilen 1-35 und 61-120 sind auch etliche Lesarten des X-
Textes verborgen. Wegen des Fehlens der K1a-Überlieferung können diese jedoch nicht von
den Xi-Neuerungen unterschieden werden:
2 als eyn morgenrode Y [B7] / alse ein vf stende morgin roit Xi [O]
4 wirdikeit Ni, Wo1; wirdigkeyde B7; werdicheiden B6 / edilkeit oderwirdikeit Xi [O]
17 die reynes (reyn van B6; reiner N1) hertzen sint (sin Y1 [Woi]) Y [B7] / di da reine herzin habin
Xi [OJ
17f. die da (fehlt B6) vielfastent vnd groisze (fehlt Wo1) wergk (dinc Y1 [Woi]) dunt Y [B7] / Jan
grozin grobin vzerin werkin Xi [OJ
i9f. zu dergebortvnsers herren (herren ihesu Cristi Woi) Y [B7] / zu Cristo X1 [OJ
21. Also enist es (fehlt B6) nyt vmbe Y [B7] / Abir Xi [OJ
25 Damydde Y [B7] (want B6) / da ane X1 [OJ
31 sie it liebers (Zieuer B6; lieb Wo1) habe Y [B7] / her icht lib habe Xi [OJ
34 als got die warheyt ist selber (selber ist Ni, Wo1) Aber in etlicher wise ist warheyt an den crea-
turen Y [B7] (Mer in sulker wijs is waerheit an den creatueren als got die waerheit selue is B6) /
aber in etlicher wise ist warheit an den creaturen alse got di worheit selber ist Xi [OJ
43 verstentnisse (uerstandichet Wo1) Y [B7] / Jornuftikeit Xi [O]
56 an (Ann B7) Y [Wo1] / Jn X1 [O]; Lücke Kia
59 m{jge wi suchen ghenugede unses heren uollenkomenheit (unses heren uollenkomenheit / ans
heren volcomelicken B6; vnsers herren vnd volkümenheit N 1 ; vnd volkomenheit vnsers herren B7)
Y [Wo1] / mugin wirgnugide vollincuminlichergude angodeforstein Xi [O]; Lücke Kia
61f. Vnd (fehlt Wo 1) enwere aller creaturen volkommenheyt nyt an godt (nyt an godt / te mael an gade
niet B6) Y [B7] / on daz Xi [O]
108
Filiation der Handschriften
63f. Were icht volkomenheyt uszer (uz Wo1; buten B6) got an den creaturen das wolde sie Y [B7] /
were der icht vz gode di wolde si X1 [OJ
64 verziege Y [B7] / forgeze X1 [O]
67 wesen Y [&7] (gewesen Fl) / gesin X1 [OJ
69 eyn wordtvnd (fehlt B6) das ist gewisze (waer B6) Y [B7] / vnd ist war X1 [O]
71 von natuerlicher wiszheit Y [B7], fehlt Xi
72 alse man pruuen mac bi gelicnisse (glichnissen B 7) Y [Wo 1J / vnd des ist glichnisse X1 [0 J
73 myn glichnisse (ansieht B6) muste sich (he B6) weiffen in die spiegel allesament (in die spiegel
allesament / in alle die spiegele Y1 [Wo1]) Y [B7] / min antlitze bildite vnd muiste sich we,fin
draneX1 [O]
74 mich (1) Y [B7], fehlt Xi
76 dar umbe spricht sanctus Augustinus Y [B7] / S' augustinus sprichit X1 [OJ
95 planeten Y [B7] / element X1 [OJ
99 by gelichenisse Y [B7] / mit glichnissen X1 [OJ
99 herre got Y [B7] / herre X1 [OJ
101 der (die B6) nydderste vnd der (die B6) snodeste Y [B7] / di nidirste vnd die (H2, fehlt 0) snodi-
ste Xi [OJ
104 anderen menschen Y [B7] / anderen X1 [O]
106 herren Y [B7] / herrin godis Xi [O]
108 myn (mijns selues B6) nyt Y [B7] / nicht min X1 [O]
108 dar umbe (Wo1; Dauon Y2 [B7]) sprichet (fehlt Wo1) sanctus Augustinus Y [B7] / S' augustinus
sprichit X1 [OJ
114 irliechtY [B7] / daz lichtX1 [OJ
119f. Daz wir erluchtet vnd e,fullet werden mit gotlichem liecht (mit gotlichem lieht werden N1) des
helff vns got das ware liechtAmen (das ... Amen fehlt N 1) Y2 [B7]; Dat ans dat licht verclare ende
hem in ans apenbaer. des help ans gotAmen B6; fehlt Wo1 / Bide wirvnsin herrin (wirvnsin her-
rin fehlt H2) etc. X1 [O].
Der Xi-Text hat in O und H2 zwei zuverlässige Abschriften gefunden. Kaum erwäh-
nenswert sind ihre wenigen Textabänderungen:
62 gnilgide H2 / gnugide an gode 0
84 bezeichent Y [B7], H2 / bekennit 0
101 der(2) Y2 [B7]; die H2, B6; de Wo 1, fehlt 0
104 mydlidene Y [B7]; mede lydenne H2 / mideline 0
108 der Y (fehlt B6) [B7], H2, fehlt 0
112 liecht (2) Y [B7], H2, fehlt 0
10 nach morgin roit [O]: da neme ichfone zwei wart. daz eine daz diz morgin roit [O] fehlt H2
(Homoioteleuton-Lücke)
20 alle Y [B7], 0 / also H2
24 Das Y [B7], 0 / Der H2
24 ist (2) Y [B7], 0 / er H2
25 dunster Y [Wo 1J (vinsternuzze N 1); vinstir O / dinster H2
27 Jan O / mit H2
109
Predigt 93
47 in in: vn in O / en an H2
51 lebe 0, Y (leben B7) / liebe H2
53 er (he 0) ist beyde Y [B7], 0 / beyde he ist H2
59 uollenkomenheit Y 1 [Wo 1J (volcomelicken B6), Y2; vollincuminlicher O / vollinkomen' H2.
Gänzlich eigenständig hingegen ist Nikolaus von Landau (Kia) mit dem X-Text umge-
gangen. Er paraphrasiert nahezu jeden Satz. Ein kurzer Textabschnitt (Z. 35-40) kann dies
zeigen:
Wegen der tiefgreifenden Umgestaltung ihres Textes kann die Handschrift K1a nur
punktuell Zeuge für die Textform X sein.
Eine ganz andere Überlieferungsform als X (H2, K1a, 0) zeigt Y (B6, B7, Fl, Mzl,
Ni, Wo1). In der Gegenüberstellung mit X erscheint Y durch eine Reihe auffälliger Text-
eigenheiten profiliert:
2 vor'Wer.-Dise wart stent ge scriben in der minnen buche Xi [OJ, fehlt Y
5 Di erste Xi [O] / Die erste ist Y [B7]
6 Di andere wirdikeit Xi [O] / Die andere ist Y [B7]
8f. di ist bewiset da he sprichit vz ir welit alse di sonne Xi [O], fehlt Y
110
Filiation der Handschriften
111
Predigt 93
Der Y-Text wird nicht einheitlich von allen Y-Handschriften (B6, B7, Fl, Mzl, Nl,
Wol) tradiert. Gemeinsame Lesarten der Handschriften Wo1 und B6 einerseits (Y1) und B7
und Nl andererseits (Y2) zeigen, daß es zwei Überlieferungsstränge gibt.
In Y1 finden sich nur gelegentlich Abänderungen des Y-Textes:
2 der mane X1 [OJ, Y2 / die (de Wo1) mane Y1 [B6J
10 da X1 (O; Homoioteleuton-Lücke H2), Y2 [B7] / daz Y1 [Wo1]
10 f. daz eine daz diz X1 (O; Homoioteleuton-Lücke H2); Das (Die N1) eyne das daz Y2 [B7J / daz
eine daz ist Wo1; Dat een is dat die B6
11 vinstir X1 fO]; vinsternisse Y2 [B7] / dunster Y1 [Wo1J
15 vnsers herren Y2 [B7] / vnses (ans B6) herrengotes Y1 [Wo1]. Siehe Variantenapparat S.125
17 wergk Y2 :B7J / dinc Y1 [Wo1]
28 vollincumene libe X1 [O], Y2 / uollenkomen leben Y1 [Wo1]
43 ein X [OJ, Y2, fehlt Y1
62 ge habin Xl [OJ, Y2 / hauen Wo1; hebben B6
74 bewern X1 [O]; erweren Y2 [B7] / benemen Y1 [Wo1]
75 vollincumenir X1 [O], Y2 / uollenkomenlicher Y1 [Wo1]
84 vnd di (fehlt B7) minniste X1 [O], Y2, fehlt Y1
114 in (an Y2) di sterren X1 [OJ, Y2 / an (in B6) den sterren Y1 [Wo1].
112
Filiation der Handschriften
113
Predigt 93
Die Abschrift des Wo1-Schreibers ist weithin identisch mit dem Y1-Text. Wo sie von
ihm differiert, ist sie meist fehlerhaft:
4 dri X1 [O], B6, Y2 / di Wo1
5 daz Xi [O], B6, Y2 / da Wo1
6 ist X1 [O]; das ist Y2 [B7], B6 / di ist Wo1
10 fone Xi (Homoioteleuton-Lücke H2) [O], B6, Y2, fehlt Wo1
11 ez heizit Xi [O], B6, Y2 (heysset B7) / ist heizet Wo1
13 di was Xi [O], B6, Y2 / vas Wo1
16 da mide Xi [O], Y2, fehlt B6 / daran Wo1
17 groisze Y2 [B7], B6; grozin Xi [O], fehlt Wo1
19f. vnsers herren Y2 [B7], B6; Cristo Xi [O] / unses herren ihesu Christi Wo1
20 liphaftige Xi [O], Y2; lijfachtigen B6 / lifhafte Wo1
26 in der (fehlt Y2) erbe sunde (erbesunden Y2 [B7]) Xi [O], Y2; Lücke B6 / in iren sunden Wo1
27 wart sifon (mit H2) deme heilig'g' gereinigit Xi [O]; wardt sie heylig want (wann Ni) sie wardt
gereyniget in yr mutter libe Y2 [B 7]; Lücke B6 / wart si gereiniget Wo 1
35 me Xi [OJ, Y2; Lücke B6 / nie Wo1
43 war X1 [OJ, B6, Y2; eine gantze warheit Kia / geuis Wo1
43 verstentenisse Y2 [B7], Kia; verstennisse B6;.fornuftikeit Xi [O] / uerstandichet Wo1
45 diesele Kia, Y2, B6; si Xi [O] / si Wo1
46 foreinit X (vereyneget Kia) [O], B6, Y2 / uoreinetda uoreinet Wo1
48 magdalenen X [O], Y2; magdalena B6, fehlt Wo1
51 git X [O], B6, Y2 / hat Wo1
51 lebit X [O] (Lücke K1a), B6, Y2 / der lebet Wo1
54 in eyme Y2 [B7], B6; Lücke X/ oc in eime Wo1
58 nit gnungde der spisen Y2 [B7], B6; Xi und Kia paraphrasieren/ genugede der spise nicht Wo1
60 sprichit X [O], B6, Y2 / spriche Wo1
60 da Y2 [B7]; Lücke B6, X/ daz Wo1
69 be nemen Xi [O], Y2 (genemen Ni), B6 / genemen Wo1
70 vme glich Xi [O]; yme glich Y2 [B7] (Lücke Ni); nem gelijc B6 / ungelich Wo1
75 ie daz Xi [O]; so das (die B6) Y2, B6 / daz Woi
114
Filiation der Handschriften
Weit stärker als Wo1 entfernt sich die B6-Abschrift vom Y1-Text. Ihre individuellen
Abweichungen resultieren in erster Linie aus der Keigung des Schreibers, den Textpunk-
tuell zu redigieren und eine Reihe von Wortersetzungen vorzunehmen:
2 vf stigit Xi [OJ, Wo 1, Y2 / op clymt B6
2 vz ir welit X1 [OJ, Wo 1, Y2 / wtvercaren B6
4 mirkin Xi [O], Wo 1, Y2 / bekennen B6
5 da (1)X1[0],Wo1;dabijY2[B7]/daeranB6
5 dahersprichitX1 [OJ, Wo1, Y2, fehltB6
5 vf stigit X1 [OJ, Wo 1, Y2 / op clymt B6
5 ein morgin roit X1 [OJ, Wo 1, Y2 / dat morgen roet B6
6 Di andere wirdikeit X1 [O]; Di andere Wo 1, Y2 / Dat ander B6
6 vres heligin lebines Xi [O], Wo 1, Y2 / hoer heilige leuen B6
6 bewisit Xi [ü], Ni; da bewiset Wo 1, B7 / daeran bewiset B6
6 da Xi [OJ, Wo 1, Ni; als B7 / dat B6
10 neme X1 [O] (Homoioteleuton-Lücke H2), Wo1; meynen Y2 [B7] / nemt B6
11 Daz andere Xi [O], Wo 1, Y2 / Dat ander is B6
13 was (vas Wo1) ein ende Xi [O], Wo 1, Y2 / een eynd was B6
16 an eime reinen herzin da mide (daran Wo1) ist ez gnuic Xi [OJ, Wo 1, Y2 / an enem reynen her-
ten is hem genoech B6
17 di da reine herzin habin X1 [O]; di reines (reiner ~1) herzen sin (sint Y2 [B7]) Wo 1, Y2 / si die
reyn van herten sijn B6
19 wolde Xi [OJ, Wo 1, Y2 / Tiergaue B6
19 gerunge Xi [O], Wo1; begerunge Y2 [B7] / begeerte B6
21 vrgeritX1 [OJ, Wo1; irbegeretY2 [B7] / sigereydetB6
22 di habin grozir wollust an der gegin wertikeit X1 [OJ, Wo 1, Y2 / die hebben grotere waellust als
si tegenwordich sijn B6
22 irgeritX1 [O], Wo1, Y2 (begertN1) / sigereydetB6
115
Predigt 93
22f. Bedeckte man X1 [O], Wo1; bedeckten wir Y2 [B7] / Diet sage men B6
23 be gerunge X1 [O], Wo 1, Y2 / begeerten B6
23 weinen X1 [O], Wo 1, Y2 / screyen B6
24 also X1 [O], Wo1; als Y2 [B7] / want B6
25f. da ane (da mite W1, Y2) ist bewisit daz vnse vrauwe in den sunden wart inpfangin vnd ir lip vnd
ir seleforeinit(wardtvereynet B7; vereinet wart Ni) in der(iren Wo1; fehlt Y2) erbe sunde (erbe-
sunden Y2 [B7]; sunden Wo1) Xi [O], Wo 1, Y2 / wantsy was een eynde derduysternisse ende een
beghinne des ewigen lichts B6
26 f. und dar nach mit der vart wart si von dem heiligen geiste gereiniget fehlt B6
27 vnd (1) X1 [O], Wo 1, Y2 / want sy B6
27 be geit X1 [O], Woi;fieret Y2 [B7] / viert B6
28 ni X1 [O], Wo 1, Y2 / een B6
28 lutirre (luter Y2 [B7]) X1 [O], Wo 1, Y2 / puer B6
30 libe X1 [O], Wo 1, Y2 / mynnen B6
30 odermochtegesin(sinWo1, Y2)X1 [O], Wo1, Y2,fehltB6
31 gotX1 [O], Wo1, Y2 / hiB6
31 he in wil aber Xi [O], Wo 1, Y2 / Mer hi en wil B6
33 en ist si Xi [O], Wo 1, Y2 / en sijn si selue B6
34 aber in etlicher wise ist warheit X1 [O]; alse got di warheit selber ist Wo 1, Y2 / Mer in sulker wijs
is waerheit B6
34f. also daz sehs ir me ist dan zwei und dem glfch fehlt B6
36 da ruwite si ane X [O] (an der ruwete sie K1a), Wo 1, Y2 / daer rusten sy op B6
39 fornuftige sele X [O], Wo 1, Y2 / verstandige ziele B6
39 f. di Jon rechtir warheit keine ruwe vindit (keine ruwe vindit / nicheine rowe ne uindet Wo 1; keyne
ruwefinden enkande B7; kan dehein rwvinden Ni) X [O], Wo1, Y2 / die van rechtengheen rust
en mach vinden B6
42 fon nature X [O], Wo 1, Y2 / by natueren B6
43 iglich mensche X [O]; iclich Wo1; igliches Y2 [B7] / yegelic creatuer B6
45 da Joreinite si sich ane X [ 0 ], Wo 1, Y2 / si vereenden hoer daer an B6
4& weis wol X [O], Wo 1, Y2 / weet dat wael B6
46 eininde craft X [O], Wo 1, Y2 / vereende crackt B6
46 waz X [O], Wo 1, Y2 / watdat B6
47 f. ordenit (ordinyeret Y2 [B7]) vn in (an H2, Wo 1, Y2) den he minnet X [O], Wo 1, Y2 / ordent hem
in een ander dat hy mynt B6
52 rufen den menschen ane X [O], Wo 1, Y2 / roepen totten menschen B6
55 sich vrowet Wo 1, Y2; Lücke X/ verbluscht B6
56 freudin licht X [OJ (Lücke K1a), Wo 1, Y2 / vrolic leuen licht B6
57f. fonsich (irY2 [B7]) vf dianderin X [O] (Lücke K1a), Wo1, Y2 / vanhaeropenenanderenB6
59 mugin wirgnugide vollincuminlichergude angodeforstein X [O] (Lücke K1a); mogen wir suchen
gnungide vnd volkommenheyt vnsers herren Y2 [B7]; muge wi suchen ghenugede unses heren uol-
lenkomenheit Wo1 / moegen wy sucken genoecht ons heren volcomelicken B6
116
Filiation der Handschriften
117
Predigt 93
103f. pruuen an deme (fehlt X1) miteledende Wo1, X1, Y2 / daeran proeuen B6
104 obezX1 [O], Wo1; wandtesY1 [B7] / wantetB6
105 wan (wande B7) X1 [O], Wo 1, Y2 / Mer B6
105 Bin ich aber X1 [O], Wo 1, Y2 / Meer bin ic B6
106 eginre X1 [O], Wo 1, Y2 / eygentlicker B6
107 alliz daz mir gewerren (weren Wo 1, Y2) mac X1 [O], Wo 1, Y2 / al dien dat my rueren mach B6
107 inwerrit X1 [O], \Yo1, Y2 / en ruert B6
109 vm (1) X1 [O]; umbe Wo 1, Y2 (vm Ni)/ in B6
109 vmme (2) X1 [O], Wo 1, Y2 (vmbe B7) / in B6
111 Di dritte wirdekeit vnsir vrauwin (lieben Jrauwe die B 7) ist da be wiset da her sprichit vz ir welit
Xi [O], Wo 1, Y2 / Die derde werdicheit leget dar an van onser vrouwen dat hi sprict wtvercaren
B6
112 wan (1) (wande Wo 1, B7) X1 [O], Wo 1, Y2, fehlt B6
113 mochte (enmochte Y2 [B7]) X1 [OJ, Wo 1, Y2 / en mach B6
114 one Xi [O], Wo 1, Y2 / sonder B6
114 WolX1 [OJ, Wo1, Y2 / AZB6
114 so X1 [O], Wo1, Y2 / doch soe B6
116 daz man godelicher werke craft vindit an den steinen X1 [OJ, Wo 1, Y2 / dat men werck gotlicker
macht an den stenen vinden mach B6
117 vmme (1) X1 [O], Wo 1, Y2 / mit B6
117 ware X1 [OJ, Wo 1, Y2 / gewarige B6
119f. Daz wir erluchtet vnd e,fullet werden (werden nach liecht N1) mit gotlichem liecht des helff vns
got (gotdas ware liecht B7)Amen (fehlt N1) Y2 [B7]; Eide wirvnsin herrin (wirvnsinherrin fehlt
H2) etc. X1 [O], fehlt Wo1 / Dat ons dat licht verclare ende hem in ons apenbaer. des help ons got
AmenB6.
Im Vergleich zu B6 sind die Schreiber von B7 und Ni reine Kopisten. Sie verändern am
Text ihrer Vorlage so gut wie kein Wort. Geringfügig sind auch ihre Textabirrungen:
4 vnsirvrauwin X1 [O], Yi, N1 / vnser liebenfrauwen B7 (ebenso 24, 36, 86, 89, 96f., 117)
5· da (1) (daer an B6) X1 [O], Y1, Ni / da bij B7
11 ez (ist Wo1) X1 [O], Y1, N1, fehlt B7
25 sich (hem B6, im Ni) X1 [O], Y1, Ni / yr B7
49 des (dat B6) si Y1, Ni; Lücke X/ des das sie B7
64 daz minniste X1 [OJ, Y1; dez minsten N1 / des mynsten willen B7
70 ist X1 [O], Y1, N1, fehlt B7
84 ist vnd di minniste X1 [O], N1; ist Y1 / vnd mynste ist B7
85 dar neist X1 [O], Y1; Dor noch N1 / Darnach ist B7
89 wan wanne (want als B6) X1 [O], Y1, N1 / Wande wan das B7
99f. Daz mac man prufin X1 [O], Yi, N1 / bij gelichnisse mag man das pruuen B7
102 herre X1 [OJ, Yi, Ni / herre got B7
118
Filiation der Handschriften
Die beiden Fragmentsplitter der Handschriften Fl und Mz1 zeigen eine Textform, die
von derjenigen der X- wie der Y1- und der Y2-Handschriften abweicht. Sie kann mit Y3
bezeichnet werden.
119
Predigt 93
66 S' augustinus sprichit X [O], Y / Augustinus zu der sel sprach Fl; Sanctus augustinus sprichet zv
der selen Mz1
66 daz di sele on den ist X [O], Y / daz du an den pist Y3 [Fl]
67 si (1) X [O], Y / du Y3 [Fl]
67 in ist X [O], Y / enpist Y3 [Fl]
67 si (2) X [O], Y / du Y3 [Fl]
67 daz (vnd daz N1) siX [O], Y / vnd daz du Y3 [Fl]
68 in minnet X [O], Y / en minnest (meynes Mz1) Y3 [Fl]
68 si ... en mac X [O], Y /du ... in macht (macht Fl) Y3 [Mz1].
Wenn die Übereinstimmungen zwischen Y3 und Wo 1, B6, B7, N1 nicht zufälliger Natur
sind, können Fl und Mz1 als weitere Zeugen des Y-Textes gelten:
67 wesen: gesin Xi [O] / wesen Y1 [Wo1], Y2, Mz1; gewesen Fl
68 ane: on X1 [O] / sunder Y1 [Wo1], Y2, Y3.
XV
x/·~v
X1 / " ~ Y1 / \ : : : " " Y3
0
/\
. . H2
K1a /
Wo1
.. . 86 87
/\
"\.
N1
l\. .
FI Mz1
Textkonstituierung: Die Erstellung des Textes kann sich nicht auf eine Einzelhandschrift
als Leithandschrift stützen, als welche sich wegen der Verläßlichkeit der abschriftlichen
Wiedergabe ihrer Vorlagen 0, Wo1 und B7 empfehlen. Sie kann sich auch keiner der Text-
formen X, X1, K1a, Y, Y1, Y2 anschließen, die hinter den erhaltenen Textzeugen sichtbar
werden, denn jede vertritt für sich eine individuelle Ausprägung des Predigttextes, die ori-
ginäre Bestandteile tilgt und Neuerungen aufnimmt. Sie muß sich sowohl auf X wie auf Y
verlassen und jene Partien der beiden Textformen ausscheiden, die als spätere redaktionel-
le Zutaten erkannt werden können. Dazu hilft die Beachtung der Bearbeitungsintention von
X und Y, aber auch von X1, K1a, Y1 und Y2, der Vertrauenswürdigkeit der einzelnen Text-
abschriften, unter denen 0, H2, Wo1 und B7 besondere Aufmerksamkeit verdienen, sowie
120
Echtheit
des inhaltlichen und sprachlichen Kontextes. Trotzdem bleibt an vielen Stellen eine Unsi-
cherheit bestehen; an ihnen läßt sich nicht zweifelsfrei vorschlagen, welche Lesart dem
Archetyp angehörte. Immer aber teilt der Variantenapparat mit, wie die zweifelhafte Stelle
von den erhaltenen Textzeugen und ihren Vorlagen gelesen wurde. Außerdem bleiben alle
Zweifel unausgeräumt, die sich gegen die Vorstellung der Identität von Archetyp- und Ori-
ginalfassung der Predigt richten.
Übersetzungen: keine
Echtheit: Wiederum sind es die Handschriften O und H2, die in ihrem Register die Predigt
für Meister Eckbart reklamieren: Jn disir predigate lerit meistir eckart (Echart H2) vnd
bewisit dri wirdikeit vnsir vrowin (0 fol. 3rb, H2 fol. 4r). Ein Zeugnis der Überlieferung für
die Echtheit ist auch die Handschrift Wo 1, die fol. 110'-160v eine Sammlung von sechs an-
onymen Predigten (Prr. 111, 93, 112, 33, 32, 81) enthält, die alle aufgrund des Vergleichs mit
der Parallelüberlieferung als Eckbart angehörig identifiziert werden konnten. Obwohl an-
onym, enthält der Wolfenbütteler Predigtkonvolut der Handschrift Helmst. 1066 (= Wo1)
ausschließlich Eckhartpredigten. Als Echtheitskriterium kann auch der Rückverweis der
Pr. 32 (DW II, S.139,2-4: Ich han ez auch me gesprochen: die vil vastentvnd vil wachent und
groziu werk tuont und niht enbezzernt ir gebrechen und ir site ... ) gelten, der sich nicht nur
auf Pr. 33 (DW II, S. 154,6 -155, 1 Ez ist ein groz torheit, daz manic mensche vil vastet und
betet und groziu werk tuot und alle zit aleine ist, daz er niht enbezzert sine site ... ) und RdU
(DW V, S. 244,5- 245,3 Vil liute dünket, daz sie groziu werk süln tuon von tlzern dingen, als
vasten, barvuoz gan und ander dinc des gliche, daz penitencie heizet. Wariu und diu aller beste
penitencie ist, da mite man grcezliche und uf daz hcehste bezzert ... ) bezieht, sondern auch auf
Pr. 93 (Z.17 f.). Für die Echtheit sprechen weiterhin beachtliche Parallelen zu lateinischen
und echten deutschen Schriften Eckharts, insbesondere zu In Eccli. n. 14 (Anm. 2), In loh.
n. 302 (Anm. 9), Sermo V,2 n. 42-43 (Anm.10), Sermo XIV,1 n. 151 (Anm.11), In Exod. n.
257 (Anm. 22), In loh. n. 705 (Anm. 23); Sermo XXX,2 n. 319 (Anm. 32), In Gen. I n. 56
(Anm. 39), In Gen. I n. 301 (Anm. 33), In Gen. I n. 101 (Anm. 37), Sermo XLV n. 456
(Anm. 43) und zu Prr. 87 (Anm. 4 und 5), 32 und 33 (Anm. 7), 41 (Anm. 9), 96 (Anm. 10), 56
(Anm. 23), 57 (Anm. 33), 36b (Anm. 40).
Der Aufbau der Marienpredigt, angelegt als Homilie, ist klar erkennbar. Der Vers 6,9
des Hohenliedes erlaubt Eckbart über eine dreifache Würde Marias zu sprechen: ihre
Geburt: sie 'geht auf wie die Morgenröte', ihr heiliges Leben: sie ist 'schön wie der Mond',
ihre Gottesmutterschaft: sie ist 'auserwählt wie die Sonne'. Das Textwort und die The-
mengliederung werden in der Einleitung der Predigt (Z.1-9) mitgeteilt.
Der erste Abschnitt (Z.10-82) entfaltet eine dreigliedrige Gedankenabfolge, in der
jedes einzelne Glied als Doppelglied erscheint. -1. Die Morgenröte zeigt in sich a) Helligkeit
und Dunkelheit und zeigt b) zugleich auch das Ende der Nacht wie den Beginn des Tages an
(Z.10-12). Vor Punkt 1a behandelt Eckbart 1b: Erstens (1b): Mit der Geburt Marias, die mit
der Morgenröte zu vergleichen ist, hat die jamerkeit der alten veter ein Ende und findet ihre
vröude einen Anfang. Der Grund: Bisher vermochten sie (aus eigener Kraft) nicht in den
Himmel zu kommen. Jetzt gibt Gott sin himelriche (16) jedem, der reinen Herzens (einem
121
Predigt 93
Dürstenden) einen Schluck Wasser zu trinken gibt. Die Sehnsucht (gerunge Z.19. 23) der
Alten nach der Erlösung sollte uns, nach einem Wort des Hl. Bernhard, eine Mahnung sein.
Zweitens (1a): In der Geburt Marias ist wie bei der Morgenröte Licht und Dunkel angezeigt.
Unservrouwe (25) wurde in der Erbsünde empfangen und nach der Reinigung durch den Hl.
Geist heilic geborn (27); sie ist das edelste Geschöpf, das Gott je geschaffen hat (wan er nie
luterre creature geschuef28f.). Er hat Maria aber auch nicht so vollkommen geschaffen, daß
sie sich als creature nur selbst liebte. Die Seele, auch die Marias, soll zwar alles erkennen, was
Gott nicht ist, aber lieben soll sie nur Gott allein: Sie ist zur einunge (31) einzig mit Gott
geschaffen. - 2. (33- 58). Im Geschöpf findet sich a) warheit (34) und b) güete ( 42), aber das
Geschöpf ist nicht die warheit selber (33) oder die volkomene güete (44). Zunächst zu 2 a: Nur
in etlicher wise (34) ist Wahrheit im Geschöpf, etwa die Wahrheit, daß die Zahl sechs größer
als die Zahl zwei ist. Folglich kann die Seele auf ihrer Suche nach rehter warheit (39f.) im
Geschöpf keine ruowe (40) finden. Wäre allerdings ein Geschöpf die warheit selber (36),
käme die Seele bei ihm zur Ruhe. Wie Maria, gemäß den Worten des Jesus Sirach (37), nicht
in allen dingen, sondern nur im erbe ihres herren gotes geruht hat, und die Taube aus der
Arche Noas nirgends sonst als wiederum bei der Arche eine Ruheplatz gefunden hat, so fin-
det auch die vernünftige sele (39) auf ihrer Wahrheitssuche nicht Ruhe an den creaturen (40);
sie kehrt vielmehr zu ihrem Schöpfer zurück, wie die Taube zur Arche. Nun zu 2b: Die See-
le liebt von Natur aus nichts als Gutheit. Deswegen hat Gott keinem Geschöpf vollkommene
Gutheit verliehen, damit sie sich nicht mit ihm vereine; denn die Liebe als einendiu kraft (46)
vereinigt sich dem, was sie vollkommen liebt. Dies 'gönnt' Gott dem Geschöpfe nicht. Ein
Beispiel dafür, daß die Liebe den Menschen über sich hinaushebt und ihn eins werden läßt
mit dem was er liebt, ist Maria Magdalena, die mehr mit dem toten Christus vereint war als
mit sich selbst. In Aussprüchen von Augustinus und dem Hl. Paulus wird auf den Begriff
gebracht, was es mit der verwandelnden Kraft der Liebe auf sich hat. Eckhart faßt zum
Schluß den Hauptgedanken des ganzen ersten Punktes zusammen (52-58): Wahrheit und
Gutheit sind vollkommen nicht in den Geschöpfen, sondern nur in Gott. Bei ihm allein soll
der Mensch sie suchen, denn er ist beide warheit und güete (53). Die Geschöpfe selbst rufen
dem Menschen zu, er solle Wahrheit und Gutheit nicht bei ihnen, sondern bei Gott suchen.
Auch Augustinus fordert dazu auf, die wfse (55) umzukehren und Liebe und Freude, die selbst
auch bei der Sünde ist, in Gott zu suchen. Denn: In allem sucht der Mensch ein srelic leben
(5°6) und ein vröuden lieht (56). Aber in den Geschöpfen ist die Erfüllung nicht zu finden.
Jedes weist von sich weg auf ein anderes: Freude an Kleidern ist zugleich nicht auch Freude
an Speise und Trank. -3. a) (59-68) Vollkommene Erfüllung soll deshalb der Mensch an der
Vollkommenheit Gottes suchen. In Gott nämlich ist die Vollkommenheit (auch) aller
Geschöpfe. Wäre sie nicht in ihm, könnte die Seele in ihm nicht zur Ruhe kommen. Zeuge
für diese Aussage ist wiederum Augustinus. b) (69-82). Als Garantie gibt Eckhart ein wart,
das er ausdrücklich als war erklärt: Gott kann sich der Seele sowenig wegnehmen, wie er sich
selbst wegnehmen kann. Gott 'muß' sich der Seele und jedem Geschöpf geben, im Maße sie
ihn aufnehmen können. Dies läßt sich an einem glu:hnisse (72) verstehen: Wie sich mein
Antlitz in vielen Spiegeln, die vor mir aufgestellt würden, abbildete, notgedrungen und ohne
mein Zutun, so 'wohnt' Gott in den Geschöpfen. Mit zwei Augustinus-Sentenzen erhärtet
Eckhart zusätzlich seine Lehre vom Innesein Gottes in den Dingen.
122
Aufbau
Im zweiten Abschnitt (83-110) deutet Eckhart a) (83-98) die Eigenschaften des Mon-
des und den Reichtum der Erde auf das heilige Leben Marias. Weil der Mond der unterste
und kleinste Planet (84) ist, bezeichnet er die Demut Marias. Nach einem Wort des Hl. Bern-
hard ist Mariäwegen ihrer demüeticheit (86f.) gotes muoter (87) geworden. Weil der Mond
sich größer zeigt als alle anderen Sterne (87), kann er (auch) die barmherzicheit unser vrou-
wen (89) anzeigen; gleichfalls kann dies die erde (90f.), die das unterste und kleinste unter
den Elementen ist. Auf sie strömt über die Elemente Luft, Feuer, Wasser aller sternen kraft
(93) wie auch die kraft des liehtes (96) ein. Mit dieser Ausstattung der Erde kann Maria ver-
glichen werden: An ihr findet sich jede volkomenheit, die Gott je in ein Geschöpf gelegt hat.
b) (99-110) Der Vergleich kann weitergeführt werden: Mit welchen Menschen Gott ist, läßt
sich daran erkennen, ob sie demüeticheit und barmherzicheit (100) besitzen. Wer sich als
nidersten (101) und sncedesten (101) Menschen einschätzt, der empfängt, was Gott an Gutem
und Vollkommenem in den Geschöpfen gewirkt hat. Ob ein Mensch barmherzig ist, erkennt
man an seinem mitelfdenne (104). Hat jemand einunge (105) mit einem Menschen, dem sein
Auge weh tut, dann tut auch ihm das Auge weh. Gehöre ich Gott mehr als mir selber, dann
enwirret mir niht (107), denn ich gehöre mir nicht selbst.
Im dritten Abschnitt ( 111-120) geht Eckhart nur noch mit wenigen Worten auf die
dritte Würde Marias ein, auf die Würde der Gottesmutter. Wie die Sonne, die ein vaz des lieh-
tes ( 112) genannt wird, das das Licht in sich hat und es auf alle Ges,chöpfe ergießt, so ist auch
Maria ein vaz des liehtes ( 117), weil sie das ware lieht ( 117) in die Welt gebracht hat.
123
Quae est ista, quae ascendit quasi aurora.
'Quae est ista, quae ascendit quasi aurora consurgens, pulchra ut luna, electa ut sol'? Disiu 83,33
wort stant geschriben in der minne buoche: 'wer ist disiu, diu da ufst1get als ein morgen-
röt, schrene als der mane, uzerwelt als diu sunne?' 1
Zuschreibungen: vj (am rechten Rand 0) Que est ista que ascendit quasi aurora consurgens Jn disir
predigate lerit meistir eckart (Echart H2) vnd bewisit dri wirdikeit vnsir vrowin daz erste von irre gebort
daz andir von irme heilegin lebine vf ertriche daz dritte von der wirdekeit daz si godis mudir ist 0, H2
(Inhaltsverzeichnis: 0 fol J'b [Par. an. S. 4], H2 fol 4:)
Überschriften: Sermo de beata virgine (in der Zeile) vj (am linken Rand) O; de beata virgine (in
der Zeile) vj de beata virgine (am rechten Rand) H2
1 Que est ista que ascendit quasi aurora consurgens pulchva ut luna electa ut sol X1 / Que est ista
que ascendit etc. Wo1,fehlt B6, Y2 1 f. Dise wort stent gescriben in der minnen buche X1,fehlt Y
2 morgenrode Y / vf stende morgin roit X1 4 wirdikeit N1, Wo1 / wirdigkeyde B7; werdicheiden
B6; edilkeit oder wirdikeit X1 5 erste ist Y / erste X1 6 andere wirdikeit X1 / andere ist Y
6 ist X1 / das (di Wo1) ist da (daer an B6,.fehlt N1) Y 8 daz X1, Wo1 / is dat B6; das ist das Y2
8f. di ist be wisit da he sprichit vz ir weht alse di sonne X1,.fehlt Y
1 Cant. 6,9: Quae est ista quae progreditur quasi aurora consurgens, pulchra ut luna, electa ut sol,
terribilis ut acies ordinata. Das Textwort gehört nach dem Dominikanermissale nicht zu den Lesungen von
Marienfesten; vgl BREVIARIUM ROMANUM Antiphona in.festo assumptionis RM V. 2 Auch im
Sermo I ('Ego quasi vitisjructificavi suavitatem odoris', Eccli. 24,23) und Sermo II ('Spiritus meus super
mel dulcis; Eccli. 24,27) der 'Sermones et Lectiones super Ecclesiastici c. 24,23-31' teilt Eckhart das Schrift-
wort in drei Teile und bezieht ihre Themen auf drei Vorzüge Mariens:InEccli. n. 14, LWII, S.243,10-13:
Exponendo autem verba praemissa de matre sapientiae incarnatae in ipsis notantur tria. Extollitur enim
virgo beata a tribus, vitae sanctitate et puritate: ego; secundo a prolis fecunditate: quasi vitisjructificavi;
tertio a famae et opinionis odoriferae suavitate: suavitatem odoris; In Eccli. n. }9, LW II, S. 266,8-267,6:
Spiritus meus etc. Expositis supra his verbis de sapientia dei patris nunc exponenda restant de matre ip-
sius verbi, quod virtus et sapientia dei patris, Cor. (1 Cor. 1,24). Et secundum hoc notantur hie tria.
Primum est omnis carnalis corruptionis immunitas: spiritus, Gal. 5 (GaL 5,17): 'spiritus' concupiscit
'adversus carnem'. Secundum est divinae prolis admiranda fecunditas: spiritus meus, Luc. 1 (Luc. 1,35):
'spiritus sanctus superveniet in te', 'et quod nascetur ex te sanctum, vocabitur filius dei'. Tertium est in
succurrendo miseris, quin immo omnibus, dulcedo et pietas: super mel dulcis. De his tribus simul Luc. 1
(Luc. 1,28): 'ave, gratia plena, dominus tecum'. 'Ave', sirre vae carnalis corruptionis quoad primum.
'Dominus tecum' quantum ad fecunditatem generationis, quod erat secundum. 'Gratia plena' quantum
ad tertium, quod erat pietas miserationis et subventionis. Die erste und zweite wirdicheit Mariens zeigt
Entsprechungen zum dritten (suavitas; pietas miserationis) und zweiten (divinae prolis fecunditas) Vor-
zug in den Sermones I und II.
124
Quae est ista, quae ascendit quasi aurora
Daz erste, daz man sie glichet einem morgenröt, da nime ich von zwei wort: daz eine, daz 10
5 diz morgenröt beide lieht und vinster in sich hat. Daz ander, daz ez heizet ein ende der naht
und ein begin des tages.
Daz bezeichent die gehurt unser vrouwen, diu was ein ende der jamerkeit und ein begin
der vröude der alten veter, wan sie vor der zit 3 niht des enmohten getuon, daz sie ze himel
vuoren4 • Aber nu genüeget unserm herren lfüticliche: umbe einen trunk kaltes wazzers gibet 15
10 er sin himelriche an einem reinen herzen5; da mite ist ez genuoc. Dar umbe sprichet Kri-
stus6: 'srelic sint, die reines herzen sint', niht ensprichet er: die da vil vastent und gröziu werk
tuont 7 .
11 diz O / daz Y2; die B6; ist Woi; Lücke H2 (Horn.) 11 vinstir Xi/ dunster Yi; vinsternisse
Y2 11 in sich Xi / an sich Woi; an yeme Y2; an hem B6 13 bezeichint Xi / bedudet Y
14 freude Xi, Woi / freuden Y2, B6 14f. wan si for der zit nicht des mochten getun daz si zu hi.me-
le furen Xi/ wande sie keyne (en gheen B6) dogentlich werck gedun enmochten (mohten Ni, Woi; en ·
conden B6) damydde sie (daer sy mede B6) kquemen an die anschauwunge vnsers herren (herren gotes
Yi) Y 15 lichtecliche Xi/ lichte Y 15f.. gibit he sin Xi/ gelobet (lobet Woi) er (got B6) das
(fehlt B6) Y 16f. xpc Xi/ er Y (fehlt Ni) 17 die reynes (reyn van B6; reiner Ni) hertzen sint
(sin Yi) Y / di da reine herzin habin Xi 17 f. die da (fehlt B6) viel fastent vnd groisze (fehlt Woi)
wergk (dinc Yi) dunt Y / fon grozin grobin vzerin werkin Xi
3 Vgl Pr.86, DW m, S.484,1-3: Isidorus sprichet: ez ist ane zw'lvel, daz got vor der z'lt, daz er
mensche wart und nach der z'lt, daz er mensche wart, nie mensche genante mit namen, daz ir dehein ie
verlorn würde. 4 Vgl Pr. 87, DW rv, Z.20-22: Do die alten veter bekanten daz jamer, da sie inne
waren, do schrleten sie mit ir begerunge in den himel und wurden in got gezogen mit irm geiste ...
5 Vgl Matth 10,42: Et quicumque potum dederit uni ex minimis istis calicem aquae frigidae tantum in
nornine discipuli: amen dico vobis, non perdet mercedem suam; vgl. auch Pr. 87, DW Iv, Z. 24-27: Dar
umbe was diu guote botschaft als 'ein kalt wazzer einer durstigen sele'. Wan daz ist war, daz got gibet sin
himelriche umbe einen kalten trunk wazzers und an einem guoten herzen. Da mite ist ez genuoc. Und
ich nime ez uf m'ln sele: Wer einen guoten gedank opfert in der ewigen minne, da got inne mensche ist
worden, der wirt behalten; vgl weiter In Exod n. 240, LW II, S.197,9-12: altare de terra fit deo, quia
etiam de mini.mo et in minimo opere gratum fit deo obsequium, qui affectum, non censum ponderat, ut
ait Gregorius; Matth. 10 (Matth 10,42): 'quicumque potum dederit uni ex minimis calicem aquae fri-
gidae', 'non perdet mercedem suam';In Gen.In. 157, LW I, S.306,1-5 (Rec. L, LWI,2, S.193,2-5): Octa-
va ratio moralis est accipiendo li universo divisive, et est sensus quod deus quiescit in quolibet opere bono
quantumvis minimo, puta in calice aquae frigidae, si tarnen deus (deus est Rec. L) et amor ipsius opera-
tur in nobis opus. Non enim censum attendit deus, sed affectum, secundum Gregorium. Et Ambro-
sius De officiis 1. I dicit: »affectus tuus operi tuo nomen imponit«. 6 Vgl Matth 5,8: Beati mundo
corde: quoniam ipsi Deum videbunt. Vgl Pr. 5 b, DW I, S. 88,6f: Ze dem andern male solt du reines her-
zen s'ln, wan daz herze ist aleine reine, daz alle geschaffenheit vernihtet hat; Pr. 21, DW I,
S.358,13-359,1: ... wan got sprichet selbe: 'saelic sint, die reines herzen sint, wan sie suln got beschou-
wen'. 7 Vgl Pr.32, DW II, S.139,2-4: Ich harr ez ouch me gesprochen: die vil vastent und vil
wachent und groziu werk tuont und niht enbezzernt ir gebrechen und ir site, da daz ware zuonemen ane
liget, die triegent sich selben und sint des tiuvels spot; Pr.33, DW II, S.154,6-155,1: Ez ist ein groz tor-
heit, daz manic mensche vil vastet und betet und groziu werk tuot und alle z'lt aleine ist, daz er niht en-
bezzert s'lne site und ist ungeruowic und zornic. Es kann vermutet werden, daß sich der Rückverweis der
Pr.32 nicht nur auf Pr.33 undRdU(DWV,S.244,5-6: Vil liute dünket, daz sie groziu werk süln tuon von
uzern dingen, als vasten, barvuoz gan und ander dinc des gliche, daz penitencie heizet.) bezieht, sondern
. auch auf Pr. 93.
125
Predigt 93
Sant Bern hart 8 sprichet: wolte got, daz wir also groze gerunge hreten ze der gehurt unsers
20 herren, als die alten veter haten dar zuo, daz ez geschehen solte, wan alliu liphaftigiu dinc
grrezer wollust hant als man ir gert, dan als sie gegenwertic sint. Also enist ez niht umbe
geistliche dinc: diu harrt grrezer wollust an der gegenwerticheit, dan als man ir gert9. Bedrehte 15
man rehte der alten veter begerunge, man müeste weinen.
Daz ander ist noch hreher. Da mite ist bewiset diu gehurt unser vrouwen, also daz diz
25 morgenrot beide lieht und vinster an sich hat. Da mite ist bewiset, daz unser vrouwe in den
sünden wart enpfangen und ir lip und ir sele vereinet in der erbesünde, und dar nach mit der 20
vart wart si von dem heiligen geiste gereiniget und wart heilic geborn 10 • Und dar umbe begat
19 S' bernhart sprichit wolde got Xt / Wolde (Vergaue B6) got spricht sant Bernhart Y 19f.
zu der gebort vnsers herren (herren ihesu Christi Wo1) Y / zu xpo Xt 20 ,alten veter Nt, B6 / aldin
Xt, Wo1; vedere B7 20 dar zu Y /dazu Xi 21 Also enist es (fehlt B6) nyt vmbe Y / Abir Xt
23 alden vettere Y2, B6 / aldin Xi, Wot 24 daz diz Xt / daz Wo1; die B6, B7; der Nt 25 vin-
stir O / dunster Y(vinsterm'izze Nt); dinster H2 25 an Y / in Xi 25 sich Xi, Wo1 / im Nt,
B6; yr B7 25 Damydde Y(want B6) / da ane Xi 26 der erbe sunde Xi/ erbesunden Y2; iren
sunden Wo1; Lücke B6 26 vnde dar nah Wo1; vnd da noch Xi/ Darnach Y2; Lücke B6 26f.
mit der vart X1,jehlt Y (Lücke B6) 27 wart si fon (mit H2) deme heiligen geiste gereinigit Xi/
wart si gereiniget Wo1; wardt sie heylig want sie wardt gereyniget in yr mutter libe Y2; Lücke B6
27 vnd [2] X1,Jehlt Y 27 be geit Xi; beget Wo1 / viert B6, Y2
8 Vgl Bernhard v. Clairvaux Sermo II super Cant. c. In. 1 (Ed Cist. t. I, S. 8,20-25): Ardorem
desiderii patrum suspirantium Christi in carne praesentiam frequentissime cogitans, compungor et con-
fundor in memetipso. Et nunc vix contineo lacrimas, ita pudet teporis torporisque miserabilium tem-
porum horum. Cui namque nostrum tantum ingerat gaudium gratiae huius exhibitio, quantum veteri-
bus sanctis accenderat desiderium promissio? Identifiziert bei Ph Strauch Par. an. S. XXXVI.
9 Vgl Pr.41, DW II, S.289,7-11: Nu merket diz wörtelin, daz er sprichet: 'sie hungert und dürstet nach
der gerehticheit'. Unser herre sprichet: 'die mich ezzent, die sol noch me hungern; die mich trinkent,
die sol noch me dürstende werden'. Wie sol man diz verstan? Wan des enist an liplichen dingen niht; so
man der ie me izzet, so man ir ie seter wirt. Aber an geistlichen dingen enist kein sete; wan ie me man
ir hat, ie me man ir gelüstet; vgl auchinioh n. 302, LWIII, S.252,7-10: Quarto notandum, sicutAugu-
sti°n us dicit et declarat 1. I De doctrina christiana in fine: »inter temporalia et aeterna hoc interest quod
temporale plus diligitur antequam habeatur, vilescit autem cum advenerit«, »aeternum autem ardenti-
us diligitur adeptum quam desideratum«; vgl dazu Augustinus De doctr. christ. I c. 38 n. 42, CCSL
XXXII, ed Martin, S. 31,6-14: Inter temporalia quippe atque aeterna hoc interest, quod temporale ali-
quid plus diligitur, antequam habeatur, uilescit autem, cum aduenerit; non enim satiat animam, cui uera
est et certa sedes aeternitas: aeternum autem ardentius diligitur adeptum quam desideratum. Nulli
enim desideranti conceditur plus de illo existimare, quam se habet, ut ei uilescat, cum minus inuenerit,
sed quantum quisque ueniens existimare potuerit, plus perueniens inuenturus est. 10 Vgl Pr. 96,
DW Iv, S. 212,19-213,24: Dar umbe begat man drierleie gehurt, daz sie gereiniget wurden in irer muo-
ter libe: Sant Johannes wart also gereiniget, daz er niht houbetsünde getuon enmohte. Und unser vrou-
we was also ervüllet mit der gnade, daz si noch houbetsünde noch tegelich sünde nie engetete. Und unser
herre Jesus Kristus was alzemale reine, wan von der er enpfangen wart, diu was gereiniget vor dem
enpfencnisse, daz nie erbesünde an in gevallen enmohte. Vgl dazu Sermo V,2 n. 42-43, LW IV,
S. 42,15-43,16: » ... Vel 'desursum venit' secundum humanam naturam, id est de altitudine humanae
126
Quae est ista, quae ascendit quasi aurora
man ir gehurt. Dar ane ist uns bewiset volkomene liebe unsers herren, wan er nie h1terer
creature geschuof, diu also edel wcere, und enwolte sie doch so volkomen niht machen, daz diu
25 sele mit liebe in ir vereinet wcere oder mähte gesin. Got wil wol, daz diu sele sehe und hrere, daz 30
got niht enist, ei- enwil aber niht, daz si iht liebers habe dan in, wan er hat sie ze siner einunge
geschaffen 11 .
Aleine hat er warheit an die creature geworfen 12, doch so enist si diu warheit selber niht,
als got diu warheit selber ist. Aber in etlicher wise ist warheit an den creaturen 13 , also daz sehs ir
30 were oder mochte gesin Xi/ wert (durchgestrichen) mochte sin Woi; mochte sin Y2; waer B6
31 sie [1] Y / her Xi 31 liebers Y2; heuer B6 / lieb Xi, Wo1 33 an di creature geworfin Xi/
geworffen an die creaturen ( creature Woi) Y 33 so Y,fehlt Xi 34 als got die warheyt ist sel-
ber (selber ist Nt, Wo1) Aber in etlicher wise ist warheyt an den creaturcn Y2, Wo1 / aber (Mer B6) in
etlicher (sulker B6) wise ist warheit an den creaturen alse got di worheit selber ist Xi, B6 34 ir Xi,
fehlt Y
naturae assumendo eam in altitudine sua, secundum quod fuit in prima statu. Consideretur enim secun-
dum triplicem staturn. Primus enim Status humanae naturae est ante peccatum, et de hoc assumpsit
puritatem assumendo carnem non inquinatam contagio culpae originalis, Exodi 12 (Ex·od 12,5): 'erit
agnus anniculus absque macula'. Secundus status est post peccatum. De hoc assumpsit passibilitatem,
mortalitatem assumendo similitudinem carnis peccati, quantum ad poenam, non ipsum peccatum,
quantum ad culpam, Rom. 8 (Rom. 8,3): misit 'deus filium suum' 'in similitudinem carnis peccati'. Ter-
tius status est resurrectionis et gloriae. De hoc assumpsit impossibilitatem peccandi et fruitionem ani-
mae. Sed cavendus est hie error quorundam dicentium in Adam rcmansisse aliquid materialiter non
inquinatum macula originali et traductum in posteros purum usque ad beatam virginem, et de hoc cor-
pus Christi fuisse formatum. Quod quidem haereticum est, quia quidquid in Adam materialiter fuit, ori-
ginalis macula peccati inquinatum est; materia autem de qua formatum est corpus Christi, depurata fuit
virtute spiritus sancti, virginern scilicet beatam sanctificantis«. Der Textabschnitt n. 42-43, LW IV,
42,7-43,16 ist eine wörtliche Entnahme aus Thomas In loh c. 3 lect. 5, XIX 794a-b. 11 Vgl. Sermo
XIV,1 n. 151, LW IV, S.142,10-143,6: Ubi nota quod omnis perfectio et desideriurn animae sanctae est
accipere omnia mediante deo, deum autem sirre medio. Hoc cst ascensus. Secundo nota quod pater est
nomen amoris respectu generationis filii, non autem creationis, respectu cuius est potius dominus. Ter-
tia patris est unitas. Hoc autem appetit anima: unum esse cum deo. Quarto anirna appetit nullo formari
, creato, sed solo deo. Unde supremo creato dicimus: »rnonstra te esse matrem« deo autem: 'astende nobis
patrem' aoh 14,8). Vgl. auch Pr. 58, DW II, S. 615,11-616,4: Swanne diu sele mit gote vereinet wirt, so
hat si an im allez, daz iht ist, an aller volkomenheit. Diu sele vergizzet da ir selbes und aller dinge, als si
an ir selben ist, und bekennet sich an gote götlich, als vil als got in ir ist; und als vil minnet si sich an im
götlich und ist mit im vereinet ane underscheit, daz si nihtes wan sin engebruchet und sich sin vröuwet.
Waz wil der mensche me gern oder wizzen, swanne er mit gote also saüicliche vereinet ist? Ze dirre
einunge hat unser herre den menschen geschaffen. 12 Zu dieser Formulierung vgl. Pr. 60, DW 11I,
S. 28,tf: ... und dar ane bewiset si die glichnisse götlicher ruowe, die got an alle creaturen geworfen hat;
Pr.41, DW II, S.294,12f: Also tuot got mit den creaturen: er wirfet sirren schin der genüegede in die
crcaturen. 13 Vgl. Pr. 60, DW III, S.16,2f: Ich harr ez auch me gesprochen, daz der mensche niemer
ze keiner creature liebe noch wollust enmöhte gehaben, gotes glichnisse enwrere dar ane; Pr. 77, DW III,
S. 339,2- 5: wan alliu dinc sin t in gote und von im, wan uzwendic im und ane in en ist niht in der war-
heit: wan alle creaturen sirrt ein sncede dinc und ein bloz niht gegen gote. Dar umbe: waz sie sint in der
warheit, daz sirrt sie in gote, und dar umbe ist got aleine in der warheit.
127
Predigt 93
35 meist dan zwei und dem glich. Und diu sele suochet von nature die warheit 14 . Vünde si keine
creature, diu diu warheit selber wffire, da ruowete si ane. Dar umbe sprichet unser vrouwe 15 : 30
'ich han ruowe gesuochet in allen dingen und han geruowet in dem erbe mines herren gotes'.
Ouch sante N6e die tuben uz der arken nach der vluot, ob si iergen ruowe vünde. Und si envant
niergen, da si den vuoz ufsaste 16 . Daz meinet eine iegliche vernünftige sele 17, diu von rehter
40 warheit keine ruowe vindet an den creatfuen. Dar umbe keret si wider ze irm schepfer als diu
tube ze der arken, wandiusele ist genant ein 'tube' in der minne buoche 18 .
35 und (want Y2) die sele suchet von naturen (nature Woi) die warheyt Y / Ez sprichet ein
Meyster Daz die sele begeret vnde suchet von naturen ruwe vnde mine vnde gude Kia, fehlt Xi
35 sie Y, Kia / di sele Xi 37 vnd hann geruwet in dem erbe mynes herren (fehlt Woi) gottes Y,jehlt
X 38f. nach der (nach der.fehlt Ni) fluyt obe sie yrgen ruwe funde vnd sie enfant nyrgen da sie
den (hoer B6) fusz uff gesetzte (setzete Yi; setzt Ni) Y / in der sintflude do sie nit envant da sie ruwen
mohte da vlog sie wider in die arken Kia,jehlt Xi 39 meinit Xi/ bezeichent Y; bedudet Kia
40 vindit X; ne uindet Woi / finden enkande B7; kan ... vinden Ni; en mach vinden B6 41 der
mynnen (minne Ni) buch Y / cantico Xi; Lücke Kia
14 Vgl. Pr.84, DW III, S.459,4-6: Wrere in gote güete ein und wisheit einander, so enmöhte der
sele niemerme an gote genüegen; wan diu sele ist von nature geneiget ze der güete, und alle creaturen
begernt wisheit von nature; VeM, DWV, S.116,iOJ: wan bekantnisse ist ein lieht der sele, und alle men-
schen begernt von nature bekantnisse; Pr.10, DW I, S.164,15]: Nu sprichet ein meister, daz kein men-
sche enist so toreht, er enbeger wisheit; vgl. auch In Ioh n. 671, LW III, S. 584,8j: »omnes enim homines
naturaliter scire desiderant«; vgl nach DW III, S.459 Aristoteles Met I c. 1 (Ac. 1,980 a 21): Omnes
homines natura scire desiderant. 15 Vgl. Eccli. 24,11: Et in his ornnibus requiem quaesivi, et in here-
ditate eius morabor. Dieser Schrifttext, der der Epistel zu Mariä Himmelfahrt (15. 8.) des alten Domini-
kaner-Missales entnommen ist, liegt auch der Predigt 60 zugrunde. Siehe Pr. 60, DW III, S.10,1-11,1: In
omnibus requiem quaesivi. Disiu wort stant geschriben in dem buoche der wisheit. Diu wellen wir ze
disem male diuten, als diu ewige wisheit koset mit der sele und sprichet: 'ich han ruowe gesuochet in
allen dingen'; Pr. 86, DW III, S. 486,iif: Daz meinte der künic Sal01;:non, do er sprach: 'in allen dingen
han ich ruowe gesuochet'; vgl. auch Pr. XLIV, Pf, S.149,27-30: In omnibus requiem quaesivi etc. 'In allen
dingen han ich ruowe gesuochet'. Disiu wort sint gesprochen von der ewigen wisheit gotes unde mac
man sie gar wol geben unser vrouwen. 16 Vgl Gen. 8,8-9: Emisit quoque columbam post eum, ut
videret si iam cessassent aquae super faciem terrae. Quae cum non invenisset ubi requiesceret pes eius,
reversa est ad eum in arcam. 17 Der Ausdruck vernünftige sele, der in den lateinischen Schriften Eck-
harts keine Entsprechung hat, begegnet in der Predigtsammlung 'Paradisus ani.me intelligentis' nur in
Pr.93, DW W, Z.39 undPr.80, DW III, S.385,1-4: Hie von sprichet bischof Albreht: drierhande wis
vliuzet er uz in alliu dinc gemeinliche: mit wesene und mit lebene und mit liehte und sunderliche in die
vernünftigen sele an mügentheit aller dinge und an einem widerrucke der creaturen in irn ersten
ursprunc. In Pr. 80 entstammt der Ausdruck zudem einem Albertus Magnus-Zitat, das bisher noch nicht
nachgewiesen ist; siehe B. Geyer Albertus Magnus und Meister Eckhart, in: Festschrift J. Quint, 1964,
S.122/ Die übrigen Belege in den deutschen Texten Eckharts: BgT, DW V, S.11,20-22: Üzer aller dirre
lere, diu in dem heiligen ewangelio geschriben ist und sicherliche bekant in dem natiurlichen liehte der
vernünftigen sele, vindet der mensche gewaren trost alles leides; Pr.28, DW II, S. 65,5-7: Daz werk der
nature gat alzemale uz, und also als daz werk der nature alzemale uzgat, also wirt ez widergegeben allez
in der vernünftigen sele; vgl. auch Pr.XVI, Pf, S. 76,18-20: Er (= sant Paulus) sprichet ouch, daz ver-
nünftig lieht, daz got ist, daz het gelichnisse gegeben der vernünftigen sele. 18 In Cant wird die
Freundin (amica) anfolgenden Stellen mit der Taube (columba) verglichen: 1,14: Ecce tu pulchra es, ami-
128
Quae est ista, quae ascendit quasi aurora
35 Diu sele enminnet auch niht dan güete von nature 19 , Dar umbe spriche ich und cz ist
war20 :
ein ieglich mensche trete mit verstantnisse in sin herze, er vindet, daz er niht liep enhat
dan volkomene güete 21 . Und dar umbe enhat got keiner crcature volkomene güete gegeben.
Wan vünde diu sele volkomene güete an den creaturen, da vereinete si sich ane. Got weiz wol, 45
daz diu minne ein einendiu kraft ist: waz si genzliche minnet, da vereinet si sich ane. Des
85,1 engan got enkeiner creature, wan diu minne setzet den menschen uz im selber und ordent in in
den er minnet 22 . Dar umbe was sant Marien Magdalenen sele me vereinet in dem toten
lichamen unsers herren Jesu Kristi dan in irs selbes. Dar um be hate si vergezzen alles, des si vor
42 Di sele X/ Sie Y 42 en mynnet auch nit (en mynnet auch nit / suchet auch Kia) dan
(wen Woi) gude (gude vnd minne Kia) vonn naturen Y (en mynnnct occ gade niet dan by natueren
B6) / in minnit auch nicht fon nature dan gudc XI 42 Darumbe sprechen ich vnd Y, fehlt X
43 ein iglich mensche X/ eyn igliches Y2; iclich Woi; yegelic creatuer B6 43 trede X, Woi / dir-
de B7; tregt Ni,.fehlt B6 43 mit verstennisse (B6; uerstandichet Woi) in sin {fehlt B6) herze (hoer
B6) Y(in syne [seim Ni] hertze mit verstentenisse Y2) / mit fornuftikeit in sin herze Xi; in sin hertze
vnd in sin verstentnusse Kia 43 hc (fehlt B6) vindit X, B6,fehlt Woi, Y2 43 niet {fehlt Kia) lief
(lieber Kia, Ni) en heft (hat Kia; ne habe Woi; enhabe Y2) Y[B6], Kia / nicht minnet Xi 44 vnd
X,jehlt Y 44 got X/ vnser herre Y 45 Wande B7; Want B6; wann Ni; ,vande ez sprichet ein
Meyster K1a,JehltX1, Woi 45 diesele Kta, Y(si Woi) / si Xi 45 den creaturen Y, Kia / der
creatureXi 47 in[2]0,K1a,B6/anH2,Y2,Wo1 48 inY/mitK1a,jehltX1 49 vnsers
herren Y, Kia,.fehlt Xi 49 jnne yrs (ir Ni) selbs Y / mit ir selbir Kfa; vrme libe Xi 49f. dar
umme (Dauon Y2) hatte sie vergessen alles des (des das B7) sie vor gebart hatte Y,fehlt X
ca mea, ecce tu pulchra oculi tui columbarum; 2,10: Et dilectus mcus loquitur mihi. Surge, propera, ami-
ca mea, columba mea, formosa mea, et veni; 2,14; 4,1; 5,2: Aperi mihi, soror mea, amica rnea, columba
mea, inmaculata mea; 5,12; 6,8. 19 Vgl. Pr. 84, DW III, S. 459,5f: wan diu sele ist von nature genei-
get ze der güete, und alle creaturen begernt wisheit von nature; vgl. auch Pr. 41, DWII, S. 286,8: l'nd bete
ich ez gesworn, ich enkünde niht geminnen wan güete; vgl. auch oben Z.35: Und diu sele suochet von
nature die warheit. 20 f/gl. Pr. 2, DW I, S. 41,5 -7: Mähtet ir gemerken mit minem herzen, ir ver-
stüendet wol, waz ich spriche, wan ez ist war und diu warheit sprichet cz selbe; S. 44,6f Daz ich iu geseit
han, daz ist war; des setze ich iu die warheit ze einem geziugen und mine sele ze einem pfande; Pr. 4,
DW I, S. 64,3: Ich p.flige dicke ein wörtclin ze sprechenne und ist auch war; S. 70,4: Ich sprach etwcnnc
und ist auch war; Pr. 6, DW I, S.113,1: Ich sprach einest alhie und ist ouch war; Pr. 41, DW II, S. 293,5: Ich
spriche - und ez ist war-; Pr. 47, DW II, S. 407,1: Sehet, ich getar daz wol sprechen und ist war; Pr. 49,
DW II, S. 450,1: Ich spriche bi gote - ez ist als war, als got lebet-; BgT, DW V, S.13,13: sö ist wär, daz ich
gesprochen hän; S. 31,2: Dar umbe sö ist von not war, als ich gesprochen hän; S. 53,19f: Und, wan daz war
ist, sö spriche ich; S. 60,13f: Mir genüeget, daz in mir und in gote war si, daz ich spriche und schribe.
21 Vgl. Pr. 97, DW IV, S. 228,50/: Daz dritte zcichen ist, daz diu wurzel götlicher dinge triteL in daz herze
mit kraft, als daz der mensche entsebet, daz im niht ensmecket noch wollust engibet dan götlich dinc.
22 Vgl. lnExod n. 257, LWII, S.206,10-12: Amor vero totum offert, totum inccndit, totum sursum agit,
totum se transformat in amatum, deum scilicet, illi vivit, non sibimet, secundum illud: 'vivo ego, iam
non ego' (Gal 2,20) etc.; et iterum: 'mihi vivere Christus est' (Phil. 2,21); Sermo VI,4 n. 73, LW IV, S. 71,3f:
Tertia, quia amor transformat amantem ipsummet et omnia in amatum, et sie iterum non est quod
timeat sibi aut aliis universaliter.
129
Predigt 93
50 gehceret hate 23 . Sant August'i:nus sprichet24 : 'diu sele ist eigenlicher da si minnet, dan da si
daz leben gibet'. Und sant Paulus sprichetg 5 : 'ich lebe und enlebe doch niht, Kristus lebet in 5
mir'. Alle creaturen ruofent den menschen ane: du suochest warheit und güete, des ensint wir
niht. Suoche got, er ist beide warheit und güete 26 . Dar umbe sprichet sant August'i:nus 27 :
50 eginlicher X/ me B7, Woi; mer Ni, B6 51 Vnd Y2, Wal, fehlt Xi, B6; Lücke Kia
51 vnd enleben (enleb Ni; lebe Woi) doch nyt Y2, Woi; doch en leue ic niet B6 / itzunt nicht ich
Xi; Lücke Kia 52 creature Xi, B6; creaturen Kia / creature di Wal, Ni; creaturen die B7
53-56 dar umbe (Dauon Y2) spricht sanctus Augustinus Suchent das ir suchent vnd nit da (dar Yi) ir
suchent Er (Ende hi B6) spricht (sprichet oc Woi) in eyme anderen buch daz der mensche liepp hait vnd
sich frauwet in den sunden (vnd ... sunden / ende verbluscht in sijnen sunden B6) keret er die wise
vmbe er findet es (fehlt B6) werlichen an (in B6) godde Y,fehlt X
23 Vgl Ioh. 20,11-18 und dazu Pr. 56, DW II, S. 588,1-10: 'Maria stuont ze dem grabe und
weinete'. Ez was wunder, also sere als si betrüebet was, daz si weinen mohte. »Minne machete sie stau-
de, leide weinende«. 'Dö giene si vürbaz und luogete in daz grap'. Si suochte einen töten menschen 'und
vant zwene lebendige engel'. Origenes sprichet: si stuont. War umbe stuont si, und die aposteln waren
gevlohen? - Si enhate niht ze verliesenne; allez, daz si hate, daz hate si an im verlorn. Dö er starp, dö
starp si mit im. Dö man in begruop, dö begruop man ir sele mit im. Dar umbe enhate si niht ze verlie-
senne. 'Dö giene si vürbaz'; dö begegente er ir. 'Dö wande si, daz er ein garternere wrere, und sprach: ',wa
hat ir in hine geleget?' Si was also gar an in vervlizzen, daz si siner warte niht dan ein behalten hate: 'wa
hat ir in hine geleget?" Daz sprach si ze im. Die Frage Marias wa hat ir in hine geleget? enthält einen
feinen Bezug auf die Frage Jesu an Maria (Maria von Bethanien): ubi posuistis eum? (Ioh. 11,34: Aufer-
weckung des Lazarus). Vgl weiter In Ioh. n. 705, LW III, S. 618,5-10: Vel tertio dicamus stahatforis plo-
rans, scilicet ut plorando moreretur pro illo qui pro ipsa mortuus fuerat, volens amori amorem repen-
dere et martern pro morte retribuere. Tertium principale notandum est: quid est quod plorat? Nonne
Christo credebat qui se die tertio dixerat resurrecturum? Ad quod potest dici tripliciter. Prima secundum
Origenem: »quomodo memor esset, cuius anima per quam memorari deberet iam mortua fuit cum
Christo, utpote unum facta cum ipso per amorem?« 24 Vgl. Pr. 6, DW I, S.104,7-105,1: Sant Augu-
stinus sprichet: »da diu sele minnet, da ist si eigenlicher, dan da si leben gibet«; vgl auchinioh. n. 469,
LWIII, S. 402,10/ Et secundum hoc optime dicit Augustin us quod anima verius est ubi amat quam ubi
animat; vgl weiterhin Sermo XVII,} n. 170, LW IV, S.162,5-8: Quomodo ergo mori potest qui a se toto
amore vadit ad deum, ad vitam, ad esse, qui plus amat iustitiam, vitam, esse, quam se ipsum, qui plus
est »ubi amat quam ubi animat«? und Pr.102, DW IV, Z. 84/ Wan sant Augustinus sprichet: 'diu
s@le ist me da si minnet, denne da si in dem libe ist, dem si doch leben gibet'. Autor dieses Satzes ist nicht
Augustinus, sondern Bernhard v. Clairvaux; siehe De praecepto et dispensatione c. XX n. 60
(Ed. Cist. t. III, S.292,24/): Neque enim praesentior spiritus noster est ubi animat, quam ubi amat.
25 Vgl Gal 2,20: Vivo autem, iam non ego, vivit vero in me Christus. Vgl weiter Von ahegescheidenheit,
DW V, S. 411,9f: Daz meinet sant Paulus, do er sprach: 'ich lebe und lebe doch niht; Kristus lebet in
mir'; Pr.44, DW II, S.345,1-3: Dar umbe sprichet Paulus: 'ich bin, daz ich bin, von der gnade gotes',
und sprichet me: 'ich lebe, niht ich, mer: got lebet in mir alzemale'. 26 Vgl Pr. 84, DWIII, S. 459,2/:
Wisheit und güete ist ein in gote. Daz selbe, daz wizheit ist, daz ist ouch güete; S. 460,2/ Dar umbe enmac
diu sele an niemanne ruowe haben wan an gote, wan si aller güete samentheit in im vindet.
27 Augustinus Corifess. IV c. 12 n. 18, CCSL XXVII, ed. Verheijen S. 50,14/: Quaerite quod quaeritis,
sed ibi non est, ubi quaeritis; Nikolaus von Landau hat das Augustinuszitat identifiziert und selb-
ständig weitergeführt: Dar vmme sprichet sanctus Augustinus. Suchen ir so suchent. ir suchent leben in
der <loden lande. daz ist in den creaturen (oben S.106 und Zuchhold S.25,22-25; vgl. Corifess.: Quaerite
quod quaeritis, sed ibi non est, ubi quaeritis. Beatam vitam quaeritis in regione mortis.)
130
Quae est ista, quae ascendit quasi aurora
'suochet, daz ir suochet, und niht, da ir suochet'. Er sprichet in einem andern buoche, daz der
mensche liep hat und sich vröuwet in den sünden28 . Keret er die wise umbe, er vindet ez 55
wrerliche an gote. An allen dingen suochet der mensche ein srelic leben und ein vröuden lieht.
Genüegede uncl volkomenheit enist an keiner creature und ein ieglich wiset von sich uf die
10 andern: genüegede der kleider enist niht genüegede der spise noch des trankes 29 •
An allen disen dingen mügen wir suochen genüegede unsers herren volkomenheit50 . Dar
umbe sprichet sant Augustinus 51 : 'suochet, daz ir suochet, und niht, da ir suochet'. Wan an 60
gote ist diu volkomenheit aller creature zemale. Und enwrere aller creaturen volkomenheit
niht an gote, so enmohte diu sele an gote niemer volkomene genüegede gehaben noch ruowe.
Dar umbe, wan diu sele alle volkomenheit zemale an gote haben wil, wrere iht volkomenheit
15 uzer gote an den creaturen, daz walte si auch haben, so verzige si des grresten durch daz min-
ste und würde also gepiniget. 65
56 Ann Y / In Xi; Lücke Kia 57 creature Xi, Woi / creatueren B6, Y2; Lücke Kia
57 sich Xi, Woi / ir Y2; haer B6 58f. Gnungede (Want genoecht B6) der cleydere enjst nit
gnungde der spisen (genugede der spise nicht Wot) noch des (noch des B6 / noch Woi; oder Y2) dranckes
Y / di spise vf den tranc der tranc vf di cleider etc. Xi; Abir got ist die warheit vnde die gnugende vol-
lenkommenheit vnde daz ewege leben Kia 59 suchen ghenugede unses (ons B6) heren uollenko-
menheit (volcomelicken B6) Yi; Y2 (suchen gnungide vnd volkommenheyt vnsers herren B7; suchen
gen&gd vnsers herren vnd volkumenheit Nt)/ gnugide vollincuminlicher (vollinkomen' H2) gude an
gode forstein Xi; Lücke Kia 59f. Darumbe sprichet (spreche Woi) sanctus Augustinus Y2, Wot,
Kia / Augustinus sprichit Xi, B6 60 Suchent das ir (ie Woi) suchent vnd nit da (daz Woi) ir (ie
Woi) suchent (vnd ... suchentjehltB6) Y / Suchit ir so suchit Xi; Suchent ir so sü.chent. ir suchent leben
in der doden lande. daz ist in den creaturen. suchtent ir iz abir in gode so vindent ir Kia 60 wan-
de Y, Kt a,jehlt Xi 61 zumale Y,fehlt X 61 f. Vnd (fehlt Woi) enwere aller creaturen volkom -
menheyt nyt an godt (te mael an gade niet B6) Y / on daz Xi 62 an gode [2] Xi, fehlt Y
62 gnugide (gnugide an gode 0) ge habin noch ruwe Xi/ ruwe gehaben (hauen Yi) Y 63 Dar
umme wan di sele Xi/ Want (wann Ni) sie Y 63 icht volkomenheyt Y / der icht Xi 64
uszer Y2; buten B6 / vz Xi, Woi 64 an den creaturen Y,fehlt Xi 64 das Y / di Xi 64 ver-
ziege Y / forgeze Xi
28 Augustinus In epist. Ioannis ad Parthos tr. 4 n. 4, PL 35,2007: Illi amando delectationes pecca-
torum, non agnoscebant Deum. 29 Vgl Pr.91, DW IV, S.90,44-46: Wan diu genüege des trankes
enist niht diu genüege der spise noch der kleider: ir einiu wiset von im ilf daz ander und welzet ie vür-
baz ze gote. Dar umbe enist da keiniu ruowe ane; Pr. 79, DW III, S. 366,5 -9: Brot daz ist gar trrestlich
dem menschen, so in hungert; so in aber dürstet, so enhrete er als wenic trost an dem brote als an einem
steine. Und also ist ez umbe diu kleider, so in vriuret; so im aber ze heiz ist, so enhat er keinen trost an
den kleidern; und also ist ez umbe alle creatilren, und dar umbe ist daz war, daz alle creatilren tragent
inne bitterkeit. 30 Vgl Pr. 32, DW II, S.145,4-7: Götlichiu srelicheit liget an drin dingen: daz ist an
bekantnisse ... daz ander vriheit ... und an volkomener genüegede, daz er sich selben und aller creatil-
re genüeget; Pr.41, DW II, S.294,5-14: Got der hat wol genüegede und lust gegozzen in die creatilren;
aber die wurzel aller genüegede und daz wesen aller lust daz hat got aleine in im selben behalten ... Also
tuot got mit den creatilren: er wirfet sinen schin der genüegede in die creatilren; aber die wurzel aller
genüegede die hat er aleine in im selben behalten dar umbe, daz er uns aleine ze im haben wil und ze
niemanne anders. 31 Siehe Anm 27.
131
Predigt 93
Sant Augustinus 32 sprichet: ez ist ein gröz t6rheit, daz diu sele ane den ist, der allent-
halben ist, und daz si mit dem niht enist, ane den si niht wesen enmac, daz si den niht
enminnet, ane den si niht geminnen enmac.
Ich spriche ein wort und daz ist war, daz sich got der sele niht benemen enmac, als wenic
70 als er sines selbes verzihen mac. Und als vil als si sin bekennen mac und im glich ist ze enpfä- 20
henne, als vil muoz er sich ir geben von natiurlicher wisheit, und joch einer ieglichen creatfue
als vil als sin ein ieglich enpfähen mac, als man prüeven mac bi glichnisse: ich starr hie, und
hielte man vil spiegele gegen mir, min glichnisse müeste sich werfen in alle die spiegele. Des
enmohte ich mich niht bewern, als wenic als ich mich mir selber benemen mac. Ie der spiegel 25
75 klarer ist, ie daz glichnisse volkomener dar ane ist. Dar ane mac man wrerliche sin inwonunge
bekennen in allen creaturen33 . Dar umbe sprichet sant Augustin us : 34 'alte niuwe güete, wie
67 wesen Y (gewesen Fl) / gesin Xi 68 on Xi / sunder Y 69 eyn wordt vnd (fehlt B6)
das ist Y / vnd ist Xi 69 war Xi, B6 / gewis Woi; gewisze Y2 70 forzihin Xi / versagen Y
70 vnd [i] Y,jehlt Xi 71 von natuerlicher wiszheit Y,jehlt Xi 72 sin en iclich Woi / sin ein
iclich creature Xi; sie sin Y2; een yegelijc B6 72 als man pruuen mag by gelicnisse (Woi; glichnis-
sen B7) Y / vnd des ist glichnisse Xi 73 min gelicnisse (ansieht B6) moste sie (hem B6) werfen in
alle die spiegele (in die spiegel allesament Y2) Y [Woi] / min antlitze bildite vnde muiste sich werfin
drane Xi 74 mich [i] Y,fehlt Xi 74 bewern Xi / erweren Y2; benemen Y1 74 Je Xi /
io Woi; soe B6; Vnd so Y2 74 der Xi/ eyn Y 75 ie Xi/ so Y (fehlt Woi) 75 Dar ane
Xi / Darumbe Y 76 in Xi, B6 / an Y2, Woi 76 dar umbe spricht sanctus Augustinus Y / S'
augustinus sprichit Xi
32 Vgl SermoXXX,2 n. 319, LWIV, S.280,10-13: Unde Augustinus XIV De trinitate c. 12 in fine:
»magna miseria hominis est cum illo non esse, sine quo non potest esse. In quo enim est, procul dubio
sine illo non est. Et tarnen, si eius non meminit eumque non intelligit neque diligit, cum illo non est«;
SermoXVIIIn.180, LW IV, S.169,5-10:Augustinus IV Confessionum c. 6: »miser eram et miser est
omnis animus vinctus amicitia rerum mortalium et dilaniatur, cum eas amittit, et tune sentit miseram,
qua miser est, etiam antequam amittat eas«. Idem XIV De trinitate c. 12 in fine: »magna hominis mise-
ria est cum illo non esse, sine quo non potest esse. In quo enim est, procul dubio sirre illo non est, et tarnen
si .eius non meminit eumque non intelligit neque diligit, cum illo non est«. Vgl. auch Pr. 87, DW Iv,
S.21,10: Ez ist ein jcemerlich dinc, daz der mensche von dem ist, ane den er niht saelic gesin enmac;
Pr.112, DWIv, Z. 26-29: Swenne ich eines. dinges gedenke, so muoz ich entweder innicheit haben oder
ich muoz mich schemen, daz ich bi dem niht enbin, ane den ich kein wesen gehaben enmac, und daz ich
den niht liep enhan, ane den ich niht liep gehaben enmac; Pr.100,DWIV, S276,45f: Waz torheit ist daz,
daz man bi dem niht sin enwil, ane den man niht sin enmac! 33 Vgl In Gen. In. 301, LW I,
S. 440,6-8: Ad praemissa etiam facit exemplum, quod imago visibilis non minus est in medio absente
speculo sive corpore speculari, quamvis non appareat, sed lateat inspectores. Vgl weiter Pr. 57, DW II,
S. 600,7-15: Götlichiu werk suln wir verstan ane arbeit, als ich iu sagen wil: ich stan hie, und hcete ich
vor drizic jaren hie gestanden und wcere min antlütze offenbar und enhcete ez nieman gesehen, ich hcete
doch hie gestanden. Und würde ein spiegel bereit und hielte man in gegen mir, min antlütze würfe und
bildete sich dar ane ane mine arbeit; und geschcehe daz gester, so wcere ez niuwe, und aber hiute, so wcere
ez noch niuwer, und also über drizic jar oder ewicliche, so wcere ez ewic niuwe; und ob der spiegel tusent
wceren, daz wcere ane mine arbeit. Also hat got ewicliche alliu bilde an im, niht als die sele und ander
creature, sunder als got: an im enist niht niuwe noch bilde, sunder, als ich gesaget han von dem spiegel,
132
Quae est ista, quae ascendit quasi aurora
han ich dich so lancsam vunden! Dar umbe alt, wan du ewic bist, dar umbe niuwe, wan du alle
z1t lustlich bist'. Ez sprichet auch sant Augustin us : 35 ich suochte dich und vant mich verre
30 von dir in einem lande des unglichnisses, niht also verre, wan du allenthalben bist, und niht daz
ich dir verborgen wrere, wan du alliu dinc weist, sunder ich hate mich verborgen in dem un- 80
glichnisse, daz ich dich niht enbekante. ·
Daz ist daz erste, daz unservrouwe 'ufgegangen ist als ein morgenrot'.
35 Daz ander: 'schame als der mane'36 . Durch zwei dinc glichet er unser vrouwen dem mane:
daz er der niderste planete ist und der minste sunder einen, der noch minner ist. Der bezeichent
unsern herren Jesum Kristum, wan er der minste was an der demüeticheit dar nrehst Marta37 • 85
Sant Bernhart sprichet: 'diu kiuscheit unser vrouwen behagete gote wol, aber durch die de-
86,1 müeticheit wart si gotes muoter' 38 . Daz ander ist, daz der mane grrezer schirret dan andere sternen.
also ist ez an uns beidiu niuwe und ewic; Pr. 69, DW III, S.168,1: Daz merket an dem spiegel: hebest du
den vür dich, so erschi:net clin bilde in dem spiegel; Pr. 9, DW I, S.154,4f Die wile der spiegel glich stat
gegen minem antlite, sö ist min bilde dar inne; viele der spiegel, so vergienge daz bilde; Pr.16 b, DW I,
S. 266,2f: Swenne daz antlite geworfen wirt vür den spiegel, so muoz daz antlite dar inne erbildet wer-
den, ez welle oder enwelle. 34 Augustinus Conjess. X c. 27 n. 38, CCSL XXVII, ed. Verheijen
S.175,1-2: Sero te arnaui, pulchritudo tarn antiqua et tarn noua, sero te amauil; identifiziert bei Philipp
Strauch, Par. an. S. XXXVL 35 Augustinus Confess. VII c. 10 n. 16, CCSL XXVII, ed. Verheijen,
S.103,17: et inueni lange me esse a te in regione dissimilitudinis; siehe Pr. 87, DW IV, S.20,6-21,9 und
Anm 4. 36 Wiederaufnahme des Textwortes der Predigt Cant 6,9: Quae est ista, quae progreditur
quasi aurora consurgens, pulchra ut luna. 37 In Gen.In. 101, LW I, S.256,11-257,6 (Rec. L, LW I,2,
S.141,6-143,5): De luna vero sciendum quod ipsa dicitur magna pro tanto quidem, quia propter sui vici-
nitatem ad nos, cum sit proxima terrae, inter ceteras planetas et stellas maior apparet - omne siquidem
visibile quanto est vicinius, tanto apparet maius, ut docet perspectivus et experientia cotidiana -
secundum veritatem tarnen ipsa est minor inter omnes stellas nobis visibiles excepto solo Mercurio.
Propter quod beata virgo 'pulchra ut luna' describitur, Cant. 6 (Cant 6,9), eo scilicet quod ipsa inter
omnes sanctos fuerit humilior solo Christo excepto. Zum Grqßenverhältnis von Merkur und Mond siehe
Robertus A nglicus In Tractatum de sphaera lect 14 (195): Magnitudo Mercurii est 725 ... Magnitu-
do lunae est 5958 (LW I, S.257, Anm4). 38 Bernhard v. Clairvaux In laudibus virginis matris
Homilia In. 5 (Ed. Cist t Iv, S.18,9/): Et si placuit ex virginitate, tarnen ex humilitate concepit; nach-
gewiesen bei Philipp Strauch, Par. an. S. XXXVII;vgl. auch Hinweis inLWI, S.257,Anm 6;vgl. weiter In
Ioh n. 90, LWIII, S. 77,15-78,1: Ipsa etiam virgo de hac virtute (sc. humilitas) meruit concipere et parere
133
Predigt 93
Daz ist da von, daz er niderre ist dan andere planeten. Dar ane ist bezeichent diu volkomene
barmherzicheit unser vrouwen, wan swenne der mane zuonimet, so sint alle creaturen liphaf-
90 tiger und kreftiger, die danne werdent enpfangen, dan als er abenimet. Also ist ez umbe die 5
erden. Diu ist diu minste under den elementen und diu niderste, wan ir ieglich zehenstunt
grcezer ist dan daz ander, daz wazzer und diu luft und daz viur 39 . Dar umbe swebet daz
ertriche mitten in dem himel, wan aller sternen kraft loufet zesamene in den andern elementen
und vert durch sie, wan uf dem ertriche vereinet sich eines ieglichen sternen kraft sunderlichen
95 durch die streticheit des ertriches, daz niht umbeloufet als diu andern element. Dar umbe 10
würket diu kraft des liehtes unglouplichiu dinc uf dem ertriche 40 . Also ist ez umbe unser
88 da fon daz Xi/ daz andere Wo1; orn dat B6; wande B7; dor vm wann N1 88 dar ane ist Xi,
B6 / Da ist ane Y2, Wo1 88 bezeichint Xi, Wo1 / bewiset Y2, B6 88 die Y, fehlt Xi
91f. zenstunt Wo1 / zen tusint stunt Xi; dusent stunt Y2; Lücke B6 92 daz andir O; diz andere
H2 / die andere (andern Ni) Y(Lücke B6) 92 die Y(der Ni; Lücke B6),jehlt Xi 92 vnd daz
fuir Xi/ zwey Y2; etc. Wo1; Lücke B6 93 allir X1 / aller der Y2; alle di Woi; alre B6 93 stern
Ni/ sterrinX[O], Y1, B7 93 zu sarnen in den Y / in di Xi 94 sternen H2 / sterrin 0, Y(Lücke
Ni) 95 elernent Xi/ planeten Y
filiurn dei; In Ioh. n. 318, LWIII, S. 265,5 -8: Ilurnilitas enirn est »scala caelestis qua deus deseendit« sive
venit ad horninern et horno ad deum, ut ait Augustin us in serrnone De assurnptione beatae Mariae.
Unde ibidern praernittit dieens: »vera hurnilitas deurn horninibus peperit ... «; Sermo XII n. 122, LW IV,
S.116,6-10: Volenti se eoaptare gratiae divinae tria sunt neeessaria: rnentis hurnilitas, cordis stabilitas,
receptorurn cornrnunicabilitas. De primo patet in Maria eui dieturn est: 'gratia plena, dorninus teeurn'.
Augustin us in Sermone de assurnptione: »faeta est Mariae hurnilitas seala caelestis per quarn« non
rnodo gratia, sed '»deus« ornnis gratiae' »deseendit ad terras«. 39 Vgl. In Gen.In. 56, LW I, S. 225,5-7
(Rec. L, LW I,2, S.107,21-23): Seeundo praernitto quod, sieut ex uno pugillo elernenti inferioris fiunt
deeern pugilli superioris, sie generaliter et naturaliter videtur superius elernenturn oeeupare loeurn, spa-
tium sive sphaerarn deeies rnaiorern quarn inferius. 40 Vgl. Pr.36 b, DW II, S.200,12-201,1: Daz
ertriehe enrnae niht eigenliehe stat gesin, wan ez ze grop ist und oueh daz niderste ist von den elernen-
ten; Pr. 44, DW II, S. 345,8- 346,2: Diu erde ist daz niderste element und liget enrnitten und ist alzemale
urnbegriffen mit dem himel und enpf,ehet ganz des hirnels invluz. Allez, daz der himel würket und uz-
giuzet, daz wirt enpfangen enrnitten in dem grunde der erde; vgl. auch Sermo LV,2 n. 542, LW IV,
S. 454,11-455,1: In terram Die quare terra prae ceteris elementis '{arios habet frnctus. Quia in ipsa eon-
currit virtus stellarum ornniurn, quia solida receptum conservat, repercutit etc; Sermo XIII n. 150, LW
lf/, ~'.141,9j: Unde ornnes stellae et quaelibet terrae sive humo influit; In Gen. II n. 208, LW I, S. 682,9/:
... virtus omnis mundi inferioris descendit a largitate et virtute eorporurn caelestinm; In Ioh. n. 268, LW
III, S.225,1-226,2: eharaeter quidam est impressns a eaelo et astris, Psalmus (Ps.18,2. 5): 'eaeli enarrant
gloriam dei, et opera mannnm eins annuntiat firrnamentnm'; et infra, 'in omnern terrarn exivit sonus
eorurn'; lob 38 (Iob 38,33): 'nnmqnid nosti ordinem caeli et pones rationern eius in terra?' Ad litteram
enirn 'ordo eaeli' et 'ratio eins', virtns scilicet et proprietas, sigillatur et figuratnr in mnndo inferiori, evi-
dentius tarnen et plenius in terra, turn propter refractionern radiorurn eaelestiurn in ipsa, turn qnia in
illa tarnqnam in centro eoneurrnnt virtntes astrorum et imaginnm caeli. Propter quod ereditur esse
nnrnerus specierurn in entibus secundum nurnerurn stellarum eaeli; In Gen.In. 109, LW I, S. 263,2-9
(Rec. L, LW I,2, S.147,13-20): 1gitur proprietates infirni elernenti, puta terrae, quae est obseuritas sive
nigredo, privatio scilicet et defeetus formae lueis, qui defeetus conseqnitur imperfeetionem nltimi,
134
Quae est ista, quae ascendit quasi aurora
vrouwen: alle die volkomenheit, die got ie gelegen mohte an keine creature, die hat s1
enpfangen41 •
Also suln wir prüeven b'i gl'ichnisse, mit welchen menschen unser herre got ist. Daz mac
15 man prüeven an zwein dingen, als wariu demüeticheit und barmherzicheit. Wan manic men- 100
sehe warnet, daz er demüetic s'i, dem si verreist. Wan swer sich der niderste und der snredeste
dünket under allen creaturen, swaz unser herre guotes und volkomenheit würket an allen crea-
turen, daz enpfcehet der mensche. Daz ander ist an der barmherzicheit, daz sol man prüeven an
dem mitel'idenne: tuot einem andern menschen daz ouge we, daz entuot mir niht we, ob ez
20 min niht enist. Wan als vil als ich einunge mit im harr, als vil tuot ez mir we. Bin ich aber unsers 105
herren eigener dan min selbes, tuot mir m'in ouge we, ez entuot mir doch niht we. War urnbe?
Ez enist min niht. Also ist ez urnbe allez, daz mir gewerren mac, daz enwirret mir niht, wan ich
min niht enbin42 • Dar urnbe sprichet sant Augustinus 43 : 'unser herre der leget uf, als ob er
exemplariter praehabetur et repraesentatur in ultimo et infimo caelorum, quod est luna, quae non se
tota illustratur a luce nec in profundo sui lumen recipit. »Ignis« autem, utpote »supremus inter ele-
menta«, »plurimum habet de luce«. Aer autem et aqua secundum se surrt diaphana et per consequens
pertinent ad naturam lucis. Terra vero sola, utpote infima, se tota est opaca, luce privata, illustrabilis
solum ab extra et ab alio. Vgl. weiter Pr. 54a, DW II, S: 551,2-4: Die meister sprechent, daz die sterne
giezent alle ir kraft in den grunt des ertriches, in die nature und in daz element des ertriches und wür-
kent da daz luterste golt; vgl unmittelbar dazu auch Pr. 54b, DW II, S. 565,6-10: 'Er huop von unden Af
siniu ougen' mit rehtem grunde der nidersten demuot. Als diu kraft des himels niendert so vil enwür-
ket dan in dem grunde der erde, in keinem elemente, swie ez doch daz niderste ist, wan er allermeist
gelegenheit dar inne ze würkenne hat, da von würket [sich] got allermeist in einem demüetigen herzen,
wan er allermeist gelegenheit dar inne hat ze würkenne [nutz] und allermeist siner glicheit dar inne
vindet. 41 Vgl Sermo XIV;t n. 151, LWW, S.143,3- 5: Quarto anima appetit nullo formari creato, sed
solo deo. Unde supremo creato dicimus: »monstra te esse matrem«. Vgl auch Von abegescheidenheit, DW
V, S. 406,9-407,2: Nu möhte ein mensche sprechen: nu waren doch alle tugende volkomenliche in unser
vrouwen, und also muoste ouch volkomeniu abegescheidenheit in ir sin. 42 Vgl. Pr. 2, DW I,
S.36,8-37,3: Wilt du rehte wizzen, ob din liden din si oder gotes, daz solt du her an merken: lidest du
umbe din selbes willen, in welher wise daz ist, daz liden tuot dir we und ist dir swaJre ze tragenne. Lidest
du aber umbe got und got aleine, daz liden entuot dir niht we und ist dir ouch niht swrere, wan got treit
den last; BgT, DW V, S. 53,20- 54,3: allez, daz der guote mensche lidet durch got, daz lidet er in gote, und
got ist mit im lidende in sinem lidenne. Ist min liden in gote und mitlidet got, wie mac mir danne liden
leit gesin, soliden leit verliuset und min leit in gote ist und min leit got ist?; RdU, DW V, S.187,6-9: Also
in allen dingen, da ich mir niht enwil, da wil mir got. Nu merke! Waz wil er mir, da ich mir niht enwil?
Da ich mich ane laze, da muoz er mir von not wellen allez, daz er im selben wil, noch minner noch mer,
und mit der selben wise, da er im mit wil. - Das Beispiel vom Auge erinnert an das mrere vom treuen Ehe-
135
Predigt 93
gr08zer wollust habe umbe unser scelicheit, dan wir selber haben kunnen, und gr08zer leit umbe 25
110 unser pinc dan wir selber'.
Diu dritte wirdicheit unser vrouwen ist da bewiset, da er sprichet 'uzerwelt als diu
sunne' 44 • VVan diu sunne ist ein vaz des liehtes und enist daz lieht selber niht, wan si daz lieht in
ir hat und giuzct ez in alle creaturen, wan kein creature geborn noch volbraht möhte werden
ane hil±e des liehtes. Wol enschinet si des nahtes niht, so giuzet si ir lieht in die sternen. Dar 30
115 umbe heizet si daz erste vaz des liehtes, daz si groziu dinc würket an edeln steinen und an
manigen dingen {lJ ertriche, daz man götlicher werke kraft vindet an den steinen 45 . Also ist ez
112 licht [2] H2, Y,fehlt O 113 creaturen [11 Y / creature X1 113 kein X1 / en geen B6;
nichen Wo1; nye Y2 114 guzit X1 / gib bet Y 114 ir Y / daz X1 114 inX1, B6 / an Y2,
Wo1 114 stern Nt/ sterren X1, Yt, B7
mann, der sich aus mitelidenne zu seiner Frau ein Auge aussticht. Vgl. Pr. 22, DW I, S. 377,4-379,1: Daz
allermeiste guot, daz got dem menschen ie getete, daz was, claz er mensche wart. Hie sol ich ein mrnrc
sagen, claz wol hie zuo gehreret. Ez was ein richer man und ein richiu vrouwe. Do geschach der vrouwen
ein unval, daz si ein ouge verlos; des wart si sere betrüebet. Do kom der herre ze ir und sprach. »vrouwe,
wie sit ir also betrüebet? Ir sult iuch niht betrüeben dar umbe, daz ir iuwer ouge verlorn hat«. Do sprach
si: »herre, ich enbetrüebe mich niht clar umbe, daz ich min ouge verlorn han; dar umbe betrüebe ich
mich, daz mich des dünket, daz ir mich deste minner liep sült han«. Do sprach er: »vrouwe, ich han iuch
liep«. Daz nach niht lanc do stach er im selber ein ouge uz und kom ze der vrouwen und sprach: »vrou-
we, daz ir nu glaubet, daz ich iuch liep han, so han ich mich iu glich gemachet; ich enhan ouch niht dan
ein ouge«. Diz ist der mensche, der kunde gar kume glauben, daz in gut so liep hate, biz als lanc daz got
im selber ein ouge uz stach und an sich nam menschliche nature; vgl. auch In Ioh. n. 683, DW III,
S. 598,4-599,2: Notandum: narratur de milite qui cum esset pulcher, potens et strenuus, habens uxorem
pulchram et dilectam, accidit ipsam orbari oculo et sie deformari. Quae cum sie deformata frequenter
gemitus et suspiria geminaret, quaerebat miles, quae esset causa gemitus ipsius; qua respondente quod
cruciaretur animo, quia non posset concipere quod se taliter deformatam ille posset amare, et dum ipse
saepius assereret se ipsam multum diligere, et illa nihilominus ineredula a gemitibus non cessaret, miles,
ut uxorem a gemitibus et suspiriis liberaret, sibimet oculum eruit, et sie illi deformitate conformis red-
de'retur. Sie Christus, dilectionem suam nobis commendans, cum essemus mortales et egeni, 'propter nos
egenus factus est, cum dives esset, ut illius inopia divites essemus', Cor. 8 (2 Cor. 8,9). Zur Verbreitung
dieses mrnre im 1Vlittelalter; das auch Nicolaus Cusanus kannte und das Herrand von Wildonie
(Herrand von Wildonie, Vier Erzählungen. Hrsg von Hanns Fischer. Zweite, rev. Auflage besorgt von Paul
Sappler [Altdeutsche Textbibliothek 51] Tübingen 1969, S.1-9: Diu getriu kone) in Reimpaarversen
erzählt, vgl. Josef Quint, DW I, S.378, Anm.1. 43 Vgl. Sermo XLV n. 456, LW IV, S.378,4-7:
Augustin us De verbis domini tractans hoc verbum: 'omnis qui petit' etc. (Luc. 11,10) dicit: »erubescat
humana pigritia: plus vult deus dare quam nos accipere«. »Plus«, icl est maius et magis, et vere magis
vult, quia gratiam sibi reputat quod volumus accipere. 44 Wiederaufnahme des Textwortes der
Predigt Cant. 6,9: Quae est ista quae progreditur quasi aurora consurgens, pulchra ut luna, electa ut sol.
45 Vgl. Pr. 54a, DW II, S. 554,5-8: Ez sprichet ein kriechischer meister, daz der himel bediutet als vil
als ein ,hütte der sunnen'. Der himel giuzet sine kraft in die sunnen und in die sternen, und die sternen
giezent ir kraft enmitten in daz ertriche und würkent golt und gesteine also, daz daz gesteine hat kraft
ze würkenne wunderlichiu werk.
136
Quae est ista, quae ascendit quasi aurora
umbe unser vrouwen. Dar umbe ist si ein vaz des liehtes, wan si uns hat braht daz ware lieht in
die werlt46 .
Daz wir erliuhtet und ervüllet werden mit götlichem liehte, des helfe uns got, daz ware
lieht. Amen. 120
119f. Daz wir erluchtet vnd erfüllet werden mit gotlichem liecht (mit gotlichem lieht werden Ni)
des helff vns got das ware liecht Amen (das ... Amenfehlt Ni) Y2 / Dat ons dat licht verclare ende hem
in ons apenbaer. des help ons got Amen B6; Eide wir vnsin herrin etc. O; Bede etc. H2,.fehlt Woi
46 Vgl Konrad von Megenberg Buch der Natur II,4 (ed Pfeif/er S: 61,16-20): diu vierd wir-
dicheit ist, daz si (Maria) alle ir tag belaib an mail, wann dö si ain arch was und ain auzerwelter sal des
obristen gotes, dö was pilleich, daz daz götleich vaz all zeit smekt nach dem schatz, der da inne was; vgl.
auch Thomas Cantimpratensis Liberde natura rerum XVII, 7 (ed. Boese S.391,105-392,107): De
virginitate accepit munditiam, de coniugio fecunditatem, et duo alia dereliquit. Sequitur: 'Hec sirre labe
manens', et hoc quia vas saporem traxit a contento.
137
PREDIGT 94 (Strauch Par. an. Nr.42 S.93-95)
Handschriftliche Überlieferung:
Filiation der Handschriften: Das Verhältnis der beiden Handschriften zueinander ist von
den anderen 'Paradisus' -Predigten her bekannt, auch ihre Abhängigkeit von der gemeinsa-
men Vorlage XL Der Vergleich der beiden Abschriften der Predigt 94 kann wiederum nur
bestätigen, daß H2 und O die gleiche Vorlage (X1) hatten, aus der sie unabhängig vonein-
ander den Text der Predigt übernahmen. An unterschiedlichen Stellen nehmen die beiden
Schreiber geringfügige Textänderungen vor oder weichen aus Unachtsamkeit vom Text der
Vorlage ab. In H2 sind es die folgenden:
7 ensint: in sint O / sint H2
7 von dem concilio:fon deme concilio O / zu deme Concilio H2
11 alliu diu werlt: alle di werlint O / die werlint H2
14 pfne: pine 0, fehlt H2
16 dirre: dirre O / dyesir H2
23 genemen: ge nemen O / genomen H2
26 geleget: geleit O / gelacht H2
27 enmac: in mac O / mag H2
38 gote niht: gode nicht O / nit gode H2
43 Entdaht: In tacht O / Jnthach H2
44 entdaht: intacht O / inthat H2
55 Sint: sin 0, fehlt H2
70 entdaht: intacht O / inthat H2
70 bloz: bloz O / ein bloz H2
72 daz: daz O / da H2
72 sich ir. sich ir O / sich vz H2
75 ist: ist O / daz ist H2
138
Echtheit
Aus gemeinsam.en Fehlern, die die Schreiber von H2 und O nicht unabhängig vonein-
ander an der nämlichen Stelle gemacht haben können, schimmert die gemeinsame Vorlage
X1 durch:
24 dan / daz O; wan H2
30 Ein ieglich sin, der iht sol bekennen, der muoz / Ein iclich sin di ich salbe kennen di muiz X1 [O]
33 sin / siim O (letze Haste des Buchstabens m unterpunktet); sihn H2
50 nach gehelfen und vor Bewise: Bewise daz du vnse (fehlt H2) muder bist (vor bist: sist unterpunk-
tet 0) Bistu godis muder daz be wise vns wan so macht du vns ge helfin X1 [O] (Dittographie).
Textkonstituierung: Der Text, der zu erstellen ist, muß sich einzig und allein auf die bei-
den Handschriften H2 und O stützen, die selbst wieder keinen anderen Text bieten als den
ihrer Vorlage XL Wieweit dieser mit der Vorlage X, auf die X1 zurückgeht, übereinstimmt,
ist nicht mehr zu eruieren. Es muß angenommen werden, daß die Predigt von der Nieder-
schrift durch Eckhart bis zu den Abschriften der H2- und 0-Schreiber eine Reihe redigie-
render Eingriffe und vielleicht auch Kürzungen hat erdulden müssen.
Übersetzungen: keine
Echtheit: Wie für die Predigten 56 (DW II, S. 588-590), 85 (DW III, S. 468-471), 89 (DW
IV, Z. 2-37), 92 (DW IY, Z.1-39), 97 (DW IV, Z.1-65) bezeugen auch für Predigt 94 allein
die beiden 'Paradisus'-Handschriften H2 und O die Zugehörigkeit zu Meister Eckhart. Ihre
Echtheit gewährleisten darüber hinaus charakteristische inhaltliche Übereinstimmungen
mit den übrigen Schriften Eckharts, insbesondere mit seinen lateinischen Sermones: Sermo
XI,1 n. 112-115 und Sermo XI,2 n. 116-121 (Anm.1.2.8.26.31.32.33); Sermo IX n. 100
(Anm.10); Sermo XXXVIII n. 384 (Anm.11). Beachtliche Parallelen in den Lehraussagen
und in der Begrifflichkeit finden sich auch mit dem deutschen Predigtwerk: Pr.12 (Anm. 11);
Pr.23 (Anm.31); Pr.26 und 53 (Anm.22); Pr.30 (Anm.4.29); Pr.40 (Anm.17); Pr.54b
(Anm. 26); Pr. 69 (Anm. 33); VeM (Anm.19. 30). Besonders auffällig ist die Übereinstimmung
zwischen Pr. 94 und Pr. 3. Einzig in diesen beiden Predigten verwendet Eckhart den Ausdruck
bekantlicheit (Anm. 31). Zu erwägen bleibt (vgl. Josef Quint DW I, S. 56, Anm.1 und S. 402,
Anm.1), ob sich Eckhart nicht mit seinem Rückverweis der Pr. 3 (DW I, S. 55,9-56,1: als ich
139
Predigt 94
egester sprach in dem jüngesten sermone) auf den lateinischen Sermo XI, 1 bzw. Xl,2 beziehen
will, dessen gedankliche Vorarbeit die Predigten 3, 23 und 94 voraussetzen.
Der Aufbau der Predigtskizze folgt wiederum dem Muster der Homilie. Der Schrift-
text Rom. 8,18 wird in vier Bestandteile zerlegt und nacheinander ausgelegt.
1. 'Non sunt condignae' = 'Sie ensint niht wirdic' (4-17). Eckhart spricht von denen, die
lidunge dirre werlt (16f.) vrrelfche (14) getragen haben: a) Die Apostel verließen mitvröuden
(7) das Konzil in Jerusalem, weil sie für würdig befunden wurden, durch got lfden zu dürfen
(8). b) Einern guoten menschen (8) ist es eingroz vröude (9), um Gottes willen etwaz (9) zu lei-
den. c) Ein Mensch, der einmal Gott rehte gesmecket ( 10) hat und vom Feuer der minne ( 10)
enbrantwurde, der kann die Welt so leicht lazen, wie er auf eine bone (11) verzichtet. Johan-
nes fordert dazu auf, viuric golt (= minne) zu kaufen, um damit alliu dinc (13) zu haben
(10-13). d) Ein rehtguot mensche, mit dem es recht steht, leidet lihte und vrrelfche Pein, Feg-
feuer und alle Dinge wegen Gott (13-15). e) Um der Seligkeit der Menschen willen wollte
Christus noch me liden (15 -1 7).
2. 'passiones huius temporis' = 'lidunge dirre zit'(18-40). Von den Leiden dieser Zeit, die
Eckhart in Punkt 1 bereits angesprochen hat, leitet er zur Behandlung der lfdunge einer
andern werlt ( 18) über. Er trifft die generelle Feststellung: Unser Leben besteht aus liden ( 18)
und aus würken (19). Auf 'Lohn' bezogen bedeutet dies: Durch Wirken verdienen (19) wir
Lohn, durch Leiden nehmen ( innemen 19) wir Lohn. a) Erstens, was das würken betrifft: Weil
unsere Möglichkeit, durch Wirken Lohn zu 'ernten' (erarnen 21), eingeengt ist, hat Gott, der
allen vliz (20) daran legt, die Seele zu sich zu ziehen, unseren Lohn ins Leiden verlegt. Wir
können nämlich wenig geben (= Wirken), aber viel nehmen (= Leiden). Beispiel: Es kann
einer eine mark nehmen, der keinen pfenn_inc (24) geben kann. b) Zweitens, was das liden
betrifft: Wirken hat etwaz (27), Leiden hingegen hat nichts, Leiden ist bloz (28). Dies sagt
Eckhart mit Berufung auf einen Meister (Aristoteles): Wo aus zwei eines werden soll, muß
eines notgedrungen (von not 29) sich selbst aufgeben (in im selber verwerden 29): Beispiele
dafür sind: Will der Verstand etwas erkennen, muß er von aller Erkenntnis entblößt sein; will
das Auge Farbe bekennen (32), darf im Auge keine Farbe sein; nicht anders ist es mit dem Ohr
und allen anderen Sinnen. Auch mit der Seele ist es so: Sie muß irs selbes uzgan (34), wenn
sie Gott empfangen will. Auf diese Weise wird sie mit ihm vereinet (35) und wirkt mit ihm
seine götlichen werk (35). Gott wollte, daß Leiden nicht nur Lohn wäre, er wollte auch, daß
wir Lohn verdienen (39); dies können wir, wenn wir ungemach (39) bereitwillig und vrreliche
( 40) um Gottes willen leiden.
3. 'Revelabitur' = 'entdaht' (41-69). a) Wenn Gott in uns 'aufgedeckt' werden soll, muß er
vorher in uns sein. Als Gott die Seele schuf, pflanzte er sich in sie ( 45). Die Seele ist der win-
garte gotes (45). Er ist darin die pflanze ( 43-47). b) Niemand erkennet (48) Gott. Sollen wir
Gott bekennen (55), müssen wir kinder sein. Eckhart erinnert an die Bitte des Philippus:
„Herr, zeige uns den Vater" und an den Gesang an Maria: ,,Beweise, daß du Mutter bist" und
leitet davon ab, daß von vater und von muoter nur gesprochen werden kann, wenn sie ein kint
haben (52. 53). Daraus ist zu folgern: Wer den Vater kennt, kennt auch den Sohn; gebern beim
Vater entspricht geborn beim Sohn ( 48-56). c) Seligkeit liegt darin, Gott zu erkennen. Die
Erkenntnis Gottes ist ein leben, das aus dem Sein (wesen 59) Gottes und der Seele fließt; denn
140
Aufbau
Gott und die Seele haben ein Sein und sind ein (60) im Sein. Dies ist wariu scelicheit (61f.). In
ihr kennt sich die Seele in Gott und Gott in der Seele. Die erste kraft, die aus dem lutern grun-
de (66) entspringt, ist bloz bekantlicheit (66). Wenn sie 'auf den Markt kommt', legt sie sich
die 'Hülle' (hülse = velamen) der warheitum (66-69).
4. 'in nobis' = 'in uns' (70-77). a) Erstens: Das Wort 'uns' bedeutet bloß sein (bloz wesen
70). Soll in der Seele disiu klarheit 'aufgedeckt' werden, muß sie von hoffenunge, vorhte, vröu-
de,jamer frei (entblrezet 71) sein. Dann gibt sich ihr Gott entblrezet (7'2). b) Zweitens: 'in uns'
bedeutet, innen zu suchen: ,,Das Reich Gottes ist in euch". c) Drittens: 'in uns' heißt schließ-
lich im Allerinnersten. Mit der Bitte, daß wir dahin kommen, Gott blozlfche zu erkennen (77),
läßt Eckhart die Predigt schließen.
141
Non sun t condignae pass1ones h ui us tem poris.
'Non sunt condignae passiones huius temporis ad futuram gloriam, quae revelabitur in 93,3
nobis'. Sant Paulus sprichet: 'alle Hdunge dirre z1t ensint niht wirdic ze der zuokünftigen
ere, diu in uns entdaht sol werden' 1.
Sant Augusdnus 2 sprichet: sie sint unwirdic. Daz sprichet als vil, als daz ein ze dem
5 andern sprreche: du ensagest niht war. Sprreche er aber: du sagest unwar, daz wrere vürbaz
gesprochen.
'Sie ensint niht wirdic'. Die aposteln 'giengen mit vröuden von dem concilio umbe daz, daz
sie wirdic waren des, daz sie durch got llden muosten' 3 . Einem guoten menschen, daz tugent 10
hrete, dem wrere daz ein groz vröude, daz ez des wirdic wrere, daz ez etwaz Hden solte durch got.
10 Der mensche, der gotes eines rehte gesmeckete und enbrant wurde von dem viure der minne,
dem wrere alliu diu werlt als lilite ze lazenne als ein bone4 • Sant Johannes sprichet in Apo-
Zuschreibung.dn: xj (am linken Rand O) Non sunt condigne passiones huius temporis etc. Hi bewisit
(hi bewisitjehlt H2) meistir eckart (Echard H2) daz zweigirleige lidin ist. mit dem einen lidene hi in
der zit fordinit man lon Mit dem anderin lidine in dem himmilriche nimit man daz lon in. Daz ist mit
der lidinen (lydendin H2) fornuft 0, H2 (Inhaltsverzeichnis: 0 fol 3"" [ Par. an. S. 5], H2 fol 4")
Überschriften: Sermo de sanctis (in der Zeile) xj (am rechtenRanri) O; Sermo de sanctis (in der Zei-
le) xi de sanctis (am rechten Ranri) H2
2 nach Alle: di unterpunktet O 5 ensagest / inseist Xi 5 sagest/ seist Xi 5 vnwor
O; vnwar H2 / virwor Sievers, Strauch 7 in sint O / sint H2 7 fon O / zu.H2 10 godis
eines H2 / eines godis O 11 alle O,jehlt H2 11 alse [1] 0 / also H2 11 alse [2] Xi
1 Rom 8,18: Existimo enim quod non sunt condignae passiones huius temporis ad futuram gloriam,
quae revelabitur in nobis. Derselbe Schrifttext Rom 8,18 liegt auch den Sermones XI,1 n. 112-115, LWIv,
S.105,1-109,4undXI,2 n.116-121, LW IV, S.109,5-115,9 zugrunde; er steht im altenDominikanermissa-
le in der Epistel des 4. Sonntags nach Trinitatis. 2 Vgl Sermo XI,2 n.116, LW Iv, S.109,6-13:Existi-
m'? quod non sunt condignae passiones huius temporis etc., Rom. 8. Littera A ugustini 83 Quaestionum
libro habet: »indignae sunt« etc. Passiones. Nota primo, quod passionibus non meremur propter duo. Pri-
mo, quia passio est actus alterius, non patientis. Secundo, quia fit noster actus voluntate assumente, ubi
iam accipit nobilitatem et excellentiam dignitatis. Ubi die quod ut sie est nobilior omni actu naturali sive
naturae creaturae corporalis. 5 Vgl Act 5,41: Et illi quidem ibant gaudentes a conspectu consilii,
quoniam digni habiti sunt pro nomine Iesu contumeliam pati. Vgl BgT, DW V, S. 49,J- 5: Dar umbe ist
von den aposteln geschriben, daz sie sich vröuweten, daz sie des wirdic wreren, smächeit durch got ze
lidenne; S. 56,10j: Da von ist geschriben, daz die heiligen aposteln sich des vröuweten, daz sie wirdic
wären, daz sie durch gotes namen pin liten. 4 Vgl BgT, DWV, S. 56,7-10: Der dritte sin ist, den ich
nu meine, und wil sprechen, daz disiu werlt, daz sint die liute, die dise werlt minnent, sint des unwert,
daz sie leit und ungemach lident durch got; Pr. JO, DWII, S.105,5-106,7: Der dritte sin: schaf dinen vru-
men in allen dingen!, daz ist: minne got in allen dingen gliche!, daz ist: minne got als gerne in armuot
als in richtuome und habe in als liep in siechtuome als in gesuntheit; habe in als liep in bekorunge als
äne bekorunge und als liep in lidenne als äne liden! Ja, ie grrezer liden, ie ringer liden, als zwene eimer:
ie swrerer einer, ie ringer der ander, und ie me der mensche begibet, ie lihter ist im ze begebenne. Ein
142
Non sunt condignae passiones huius temporis
15 c al yp s i 5 : 'verkoufe allez, daz du hast, und koufe viuric golt', daz ist diu minne; wan swer die hat,
der hat alliu dinc. Ein reht guot mensche, dem da ist, als ez ze rehte sol, wie li:hte und wie
vrreliche dem ist ze lidenne pine, vegeviur und alliu dinc durch got, daz enkan nieman
gesagen; wan der ez hat, der weiz ez. Kristus sprach 'mich dürstet' nach allem sinem lidenne 6• 15
20 Er meinte, daz er noch me liden muoste duri::h menschliche srelicheit. Diz ist von 'lidunge dirre
werlt'.
Ez ist lidunge einer andern werlt. Unser leben ist geteilet in zwei: daz eine ist liden, daz
ander ist würken. Würken ist, da mite wir alle unser Ion verdienen. L\'den ist ein innemen des
Iones. Alliu diu werlt enmohte niht bekennen, welchen vlh got dar ane leget, wie er die sele 20
25 geziehe 7• Unser erarnen liget an würkenne; und daz ist kleine und enge. Und dar urnbe enhat
er unser Ion niht geleget in würken, mer: in liden 8• Also rremet er alwege unsers besten, wan
wir wenic mügen getuon und vil geliden, wenic gegeben und vil genemen9 • Einer mac eine
mark genemen, der einen pfenninc niht mac gegeben. Man mac baz vil genemen dan wenic. Ie
daz dinc grrezer und bezzer ist, ie ez lustlicher wirt genomen. Her urnbe hat er unser 16n in 25
30 liden geleget, daz er uns vil müge gegeben, wan wir da vil mügen genemen.
mensche, daz got minnet, dem wrere als lihte, alle dise werlt ze begebenne als ein ei. Ie me er begibet,
ie lihter ist im ze begebenne, als die apostelen: so sie ie swrerer liden haten, ie lihter sie ez liten; vgl auch
Pr.42, DWII, S.305,10-306,1: Wizzet: dem menschen wreren alliu dinc als lihte ze lazenne als ein erweiz
oder ein linse oder als niht; ja, bt m1ner sele, alliu dinc wreren disem menschen als ein niht. Zu gotes ge-
smecken vgl Pr. 3, DW I, S. 55,9- 56,2: ... als ich egester sprach in dem jüngesten sermone, daz diu sele
1ngebildet wirt in die ersten lüterkeit, in den indruk der lütern weselicheit, da si gotes gesmecket ... ;
Pr. 59, DW II, S. 633,6-8: Also ist ez umbe einen menschen, der got gesehen hat und sin gesmecket hat:
der enlrezet niht abe, er loufet alwege. 5 Zitatkombination aus Marc. 10,21 und Luc. 18,22 sowie Apoc.
3,18; Marc. 10,21: vade, quaecumque habes vende, et da pauperibus; Luc. 18,22: omnia quaecumque habes
vende, et da pauperibus; Apoc. 3,18: Suadeo tibi emere a me aurum ignitum probatum ut locuples fias.
6 Vgl Ioh. 19,28: Postea sciens Iesus quia iam omnia consummata sunt, ut consummaretur scriptura,
dicit: Sitio. 7 Vgl Pr. 68,DWIII, S.151,11-152,4:undgotist serevlizicdarnach, daz er allezit bt dem
menschen ist und leret in, daz er in her in bringe, ob der mensche wolde volgen. Ez enbegerte nie men-
sche einiges dinges so sere, als got des begert, daz er den menschen dar zuo bringe, daz er in bekenne.
Got ist alzit bereit, mer: wir sin sere unbereit; got ist uns nahe, mer: wir sin im sere verre; got ist inne,
mer: wir sin uze; got ist heimelich, mer: wir sin vremde; vgl auch RdU, DW V, S. 23 5,1-3: Dar umbe ltdet
got gerne den schaden der sünden und hat dicke geliten und aller dickest verhenget über die menschen,
die er hat versehen, daz er sie ze grozen dingen ziehen wolte. 8 Vgl. Sermo XI,2 n. 117, LW Iv,
S.109,14-110,1: Nota secundo, quod meritum respicit actum, praemium vero e contrario passionem,
prout pati est recipere; vgl auch Sermo XI,1 n. 112, LW IV, S.105,7-10: Beatitudo siquidem consistit in
receptione, sicut omne inferius se habet passive ad superius. Ratio: primo intellectus plus et plus potest
recipere, quin immo quanto maius, tanto facilius. Propter quod etiam infiniti est capax; vgl weiter In
Ioh. n. 677, LW III, S. 592,1: meritum consistit in actione, praemium autem in apprehensione. 9 Vgl
RdU, DW V, S. 225,10: Des ramet got in allen dingen, daz wir den willen üfgeben.
143
Predigt 94
Liden ist zemale bloz, würken hat etwaz. Ich enmac niht gewürken, ich enhabe ez, ez ensi
in mir. Aber liden enhatniht, ez ist bloz. Einmeister sprichet: swa uz zwein einsol werden, da
muoz ein von not sin selbes uzgan und in im selber verwerden, sol ez in jenez gewandelt werden
30 und ein mit im werden 10 . Ein ieglich sin, der iht sol bekennen, der muoz entblrezet sin alles 35
bekantnisses: diz ouge in sinem grunde muoz entblrezet sin von aller varwe, sol ez varwe beken-
nen, und daz ore von stimme, sol ez iht hreren, und also ein ieglich sin. Und al dar nach ein ieg-
lich sin sin selbes uzgat, dar nach mac er me enpfähen und ein werden mit dem, daz er 94,1
enpfahet 11 . Also sol diu sele und muoz ir selbes uzgan, sol si got enpfähen 12; und also wirt si
10 Vgl Sermo XI,2 n. 117, LW Iv, S.111,2j: Unio autem vera, perfecta et intima necessario requirit
in altero puram passionem; Sermo IX n. 100, LW IV, S.95,2-4: Item gratia est ipsa gloria subtracta sola
nostra imperfection'e. Quae gloria sive beatitudo consistit in uno eodem active in deo, passive in anima;
vgl. auchPr.65, DWIII, S.101,8-13:'Vater, ich bite dich, daz du sie einmachest, als ich und du ein sin'.
Swa zwei ein suln werden, da muoz daz eine sin wesen verliesen. Also ist: und sol got und diu sele ein
werden, so muoz diu sele ir wesen und ir leben verliesen. Als vil, als da blibe, als vil würden sie wol geei-
niget. Aber, süln sie ein werden, so muoz daz eine sin wesen zemale verliesen, daz ander muoz sin wesen
behalten: so sirrt sie ein. Nu sprichet der heilige geist: sie suln ein werden, als wir ein sin. 'Ich bite dich,
daz du sie ein machest' in uns; Pr. 27, DW II, S. 49,tj: Alsus enmügen zwei niht bi einander gesin, wan
einez muoz sin wesen verliesen; Eckhart von Gründig (ed Preger S.178): Daz bewiset er mit natur-
lichen meistern, da sie sprechent alsus her zuo: wa zwei sulnt ein werden, da muoz sich daz ein halten
in eime lutern liden, daz ander in eime hltern würken; Pr.49, DWII, S.433,1-3: Daz ander ist: 'daz wei-
zenkorn envalle in die erde und enverwerde dar inne, so blibet ez aleine. Vellet ez aber in die erde und
verwirdet dar inne, so bringet ez hundertveltige vruht' (Ioh 12,24-25: nisi granum frumenti cadens in
terram mortuum fuerit, ipsum solum manet: si autem mortuum fuerit, multum fructum adfert).
11 Vgl Sermo XXXVIII n. 384, LW Iv, S. 329,16: Ratio: prima, quia non coloratum recipit omnem colo-
rem; Sermo VIII n. 93, LW Iv, S. 88,5-7: Ubi possunt multa dici spiritualiter: quod oculum oportet esse
irnmixtum et intellectum etc.; Quaestio Parisiensis II: Utrum intelligere angeli sit suum essen. 2, LW V,
S. 50,1-4: Prima est, quia intellectus, in quantum intellectus, nihil est eorum quae intelligit, sed oportet
qdod sit »immixtus«, »nulli nihil habens commune«, ut omnia intelligat, ut dicitur in III De anima,
sicut visum oportet nullum habere colorem, ut omnem colorem videat; Quaestio Parisiensis I: Utrum in
deo sitidem esse et intelligere n.12, LWV, S. 47,15-48,4: Sicut enim dicitAristoteles quod oportet visum
esse abscolorem, ut omnem colorem videat, et intellectum non esse formarum naturalium, ut omnes
intelligat, sie etiam ego nego ipsi deo ipsum esse et talia, ut sit causa omnis esse et omnia praehabeat, ut
sicut non negatur deo quod suum est, sie negetur eitlem quod suum non est; In Gen. II n. 31, LW I,
S.499,12-15: Sie enim generaliter in omni susceptivo, puta in potentiis animae, semper susceptivum
oportet esse nudum, puta potentiam susceptivam coloris sirre omni colore, et sie de aliis; In Ioh n. 100,
LW III, S. 86,10-15: Exempli gratia: oculus si haberet aliquem colorem sive aliquid coloris, nec illum
videret colorem nec aliquem. Adhuc autem amplius: si visus haberet aliquem actum quemcumque
etiam sui ipsius, iam ut sie non esset capax visibilis, ut visibile est. Oportet enim activum ut sie nullo
modo esse passivum, et e converso passivum ut sie nullo modo esse activum. Propter quod intellectus
nihil est omnium, ut intelligat omnia; In Ioh n. 396, LW III, S. 337,4-7: Patet hoc in potentiis animae
sensitivis, et maxime in intellectu qui nihil est eorum quae intelligit, sed tabula nuda. Ex quibus con-
144
Non sunt condignae passiones huius temporis
mit gote vereinet und würket mit im alliu siniu götlichen werk 13 • Dises Iones begerte Kristus 35
nach allen si'nen werken und li'den, d6 er sprach: 'vater, ich bite dich, daz sie ein si'n, als wir ein
sint' 14 .
5 Noch engerfüegete gote niht, daz liden aleine wrere ein Ion; got wolte baz tuon und hat ez
uns ouch gegeben, daz wir da mite mügen erarnen und 16n verdienen, als wir ungemach willic-
li'che und vrreliche durch got liden 15 . 40
'Li'den dirre zi't sint niht wirdic; sie sint unwirdic ze der zuokünftigen klarheit, diu in uns
entdaht sol werden' 16 .
cluditur quod dona dei dantur relinquenti omnia et omne quod deus unus non est; S.338,1-4: Et adver-
tendum, ut in sensibilibus loquamur: paries habet et videtur habere colorem, sed ipsum non cognoscit,
non percipit nec delectatur, visus autem sive oculus colorem non habet, sed nudus est nec videtur habe-
re et ob hoc recipit et capax est omnis coloris, sentit et cognoscit et delectatur in colore; vgl. nachDW III,
S.229,Anm.4Aristoteles De an. II t. 71(Bc.7418 b 26): Est autem coloris susceptivum quod sine colo-
re. Vgl. weiter BgT, DW V, S. 28,9-29,4: Die meister sprechent: hffite daz ouge dekeine varwe in im, da
ez bekennet, ez enbekente weder die varwe, die ez hffite, noch die, der ez niht enhffite; wan ez aber bloz
ist aller varwen, da von bekennet ez alle varwe. Diu want hat varwe an ir, und dar umbe enbekennet si
weder ir varwe noch kein ander varwe ... Und dar nach daz die krefte der sele durnehtiger und vürbaz
bloz sint, dar nach nement sie me durnehticlicher und wher, swaz sie nement, und enpfähent witer und
hänt grrnzer wunne und werdent me ein mit dem, daz sie nement, also verre, daz diu oberste kraft der
sele, diu aller dinge bloz ist und mit nihte niht gemeine enhät, ennimet niht minner dan got selben in
der w'lte und vülle des wesens; Pr.12, DW I, S.201,1-3: Er istledic und uzgegangen sin selbes, und alles,
daz er enpfähen sol, des muoz er ledic sin. Sol min ouge sehen die varwe, so muoz ez ledic sin aller var-
we; Pr. 71, DWIII, S.229,8-230,3: Ein meister sprichet: daz ouge in siner grrnsten luterkeit, da ez kei-
ne varwe enhät, da sihet ez alle varwe; niht aleine, da ez in im selber bloz ist aller varwe, mer: da ez an
dem Hchamen stät, da muoz ez äne varwe sin, da man bekennen sol varwe. 12 Vgl. RdU, DW V,
S.197,1-3: Ez ist rehte ein glich widergelt und gHcher kouf: als vil du uzgäst aller dinge, als vil, noch
minner noch mer, gät got in mit allem dem sirren, als du zemäle uzgäst in allen dingen des dinen.
13 Vgl. Inioh n. 241, LW llI, S.202,1-7: Tertio oportet relinquere omnia valentem sequi deum, quia in
ipso sunt omnia, Tob. 10 (Tob. 10,5): 'omnia in te uno habentes'; et Rom. 11 (Rom. 11,36): 'ex ipso et per
ipsum et in ipso sunt omnia'. Ubi notandum quod universaliter sensum oportet esse absque sensibili
omni, ad hoc quod recipiat omne sensibile. Sie intellectus nihil est eorum quae intelligit, ut ait philo-
sophus, ad hoc, ut intelligat omnia. Sie ergo volens sequi deum, in quo sunt omnia, <lebet relinquere
omnia; vgl. weiter Pr. 31, DW II, S.125,1-4: Als si nu danne also heim kumet und also mit im vereinet
ist, so ist si ein mitewürkerin. Kein creatfue enwürket niht dan der vater, der würket aleine. Diu sele sol
niemer ufgehrnren, si enwerde des werkes als gewaltic als got. So würket si mit dem vater alliu siniu
werk. 14 Vgl. Ioh 17,20-21: Non pro his autem rogo tantum, sed et pro eis qui credituri sunt per ver-
bum eorum in me: ut omnes unum sint, sicut tu Pater in me, et ego in te, ut et ipsi in nobis unum sint;
vgl. noch Anm 10. 15 Vgl. Pr. 49, DW II, S. 444,10-445,6: ... diu wise sines verderbennes muoz ouch
sin zweier hantle ... Die HpHche sol man also verstän: swaz er Hdet von hunger, von durste, von kelte, von
hitze und daz man in versmffihe und vil unverdientes Hdennes, in swelcher hantle w'ls ez got verhenge,
daz sol er willicl'lche enpfähen und vrrnHche, rehte als ob in got niene zuo habe geschaffen dan ze Hden-
ne und ze ungemache und ze arbeit . . . . 16 Wiederaufnahme des Textwortes der Predigt Rom 8,18.
145
Predigt 94
'Entdaht': sol ez entdaht werden in uns, sö muoz ez in uns s'\'n. Alle die krefte, der sele 10
decken, die müezen alle abevallen, sol got in uns entdaht werden und geoffenbaret 17 . Dö got
45 diesele geschuof, dö pflanzete er sich in sie und wart bedaht. Diz ist der w'\'ngarte gotes 18 , da
er selbe diu pflanze inne ist. Zehant dö er die nature geschuof, ja e dan er sie geschuof, dö was
er bereit, sich dar 1n ze pflanzenne 19 .
Nieman erkennet got. Sant Philippus 20 sprach: 'herre, zeige und w'tse uns den vater, sö 15
genüeget uns'. Man singet von unser vrouwen: 'bew'\'se dich, daz du muoter bist' 21 . Bist du gotes
50 muoter, daz bew'\'se uns, wan sö maht du uns gehelfen. Bew'\'se, daz du unser muoter s'\'st; wan
17 Vgl Pr. 40, DWII, S. 2 75,4-2 76,1: Swenne der mensche entblcezet und entdecket daz götliche bil-
de, daz got in im natiurlich geschaffen hat, sö wirt gotes bilde in im offenbffire. Wan bi geberunge da ist
bi ze merkenne diu offenbarunge gotes; VeM, DW V, S.114,3-7: allez, daz sich der sele niderkeret, daz
nimet des selben, in daz ez sich keret, ein decke, ein houbettuoch; daz sich aber uftreget der sele, daz ist
blöz gotes bilde, gotes gehurt, unbedecket blöz in blözer sele. Von dem edeln menschen, wie gotes bilde,
gotes sun, same götlicher nature in uns niemer vertilget wirt, aleine er bedecket werde, sprichet künic
Davit in dem salter; S.114,12-14: Diu sunne ist daz lieht dirre werlt und meinet, daz daz hcehste und
daz beste, daz geschaffen und gemachet ist, decket und entverwet daz bilde gotes in uns; Pr: 17, DW I,
S. 292,5-8: Swaz diu sele gedenket oder gewürket mit irn kreften, swie lieht daz in ir si, doch ist ez
gemenget. Dar umbe sprichet si: 'diu kint miner muoter hänt wider mich gestriten' (Cant.1,7). Diu kint,
daz sint alle die nidern krefte der sele; die stritent alle wider sie und vehtent sie ane. 18 Vgl Matth
21,33: Homo erat pater familias, qui plantavit vineam; Marc. 12,1: Vineam pastinavit homo, et circum-
dedit sepem; Luc. 20,9: Homo plantavit vineam, et locavit eam colonis. 19 VeM, DW V, S.111,9-21:
Von adel des ihnern menschen, des geistes, und von untiuricheit des uzern menschen, des vleisches, spre-
chent ouch heidenische meister, Tulli us und Seneca, daz enkein redelich sele enist sunder got; same
gotes ist in uns. Hffite er einen guoten, wisen und vlizigen werkman, sö betrüejete er dester baz und
wüehse uf ze gote, des säme er ist, und würde diu vruht glich ein nature gotes. Birboumes säme wehset
ze birboume, nuzboumes same in nuzboum, same gotes in got. Ist aber, daz der guote säme hat einen
tumben und einen bcesen werkman, sö wehset unkrut und bedecket und verdringet den guoten sämen,
daz er niht uzliuhtet noch uzwahsen enmac. Doch sprichet Origenes, ein gröz meister: wan got selber
di.sen sämen ingesffijet und ingedrücket und ingeborn hat, sö mac er wol bedecket werden und verbor-
gen und doch niemer vertilget noch in im verleschet; er glüejet und glenzet, liuhtet und brinnet und
neiget sich ane underlaz ze gote; vgl. Proc. Col In. 22, LW V, S.208,12-20; vgl weiter VeM, DW V,
S.113,1- 9: Von disem innern edeln menschen, da gotes säme und gotes bilde ingedrücket und ingesffijet
ist, wie der säme und daz bilde götlicher nature und götliches wesens, gotes sun, erschine und man sin
gewar werde und ouch etwenne verborgen werde, sprichet der gröze meister Origenes ein glichnisse,
daz gotes bilde, gotes sun, ist in der sele grunde als ein lebender brunne. Der aber erde, daz ist irdische
begerunge dar uf wirfet, daz hindert und bedecket, daz man sin niht erkennet noch gewar wirt; doch
blibet er in im selben lebende, und sö man die erde, diu von uzwendic oben dar uf geworfen ist, abeni-
met, sö erschinet er und wirt man sin gewar; vgl. Origenes Homilia IV in psalmum XXXVI, in: PG 12,
Sp. 1357 AB (H. Rahner, Die Gottesgeburt, in: ZjkTh 59 [1935], S. 413 f); vgl auch In Gen. II n. 193, LWI,
S. 665,3-666,8. 20 Ioh 14,8: Dicit ei Philippus: Domine, ostende nobis Patrem, et sufficit nobis.
21 Vgl Sermo XIV,1 n. 151, LW IV, S.143,3-6: Quarto anima appetit nullo formari creato, sed solo deo.
Unde supremo creato dicimus: »monstra te esse matrem«, deo autem: 'ostende nobis patrem' (Ioh 14,8).
Vgl auch Pr. 93,Anm11.
146
Non sunt condignae passiones huius temporis
bist du unser muoter, so hilfest du uns. Zeige, daz du muoter sist, daz du ein kint hast; wan die
20 sint mit einander: sol muoter sin, so muoz si ein kint haben. 'Wise uns den vater': sol ein vater
sin, so muoz er ein kirrt haben22 . Dise sirrt also mit einander, daz man ein ane daz ander niht en-
mac genemen: wer den vater bekennet, der bekennet ouch den sun23 . Wan allez, daz in dem vater
ist gebern, daz ist in dem sune geborn24 . Suln wir in bekennen, so müezen wir kinder sin. 'Sin wir 55
kinder, daz ist gewis, so sin wir ouch erben'25 .
25 Srelicheit liget dar ane, daz man got enbekennet niht uzwendic zuo, als daz man anekapfet 26 .
Allez, daz wir uzer uns bekennen mit underscheide, daz ist got niht27 • Gotes bekantnisse ist ein
leben, daz da vliuzet uz dem wesene gotes und der sele, wan got und diu sele harrt ein wesen
22 Vgl Pr. 26, DW II, S. 33, 1-3: ze dem ersten, wellen wir sun sin, so müezen wir einen vater
haben, wan ez enmac nieman gesprechen, er si sun, er enhabe einen vater, noch nieman enist vater, er
enhabe einen sun; Pr. 5}, DW II, S. 5}},1-J: Swa man ,vater' nennet, da verstat man ,sun'. Vater enmac
niht gesin, er enhabe denne einen sun, noch sun, er enhabe denne einen vater; sie tragent doch in in über
zit ein ewic wesen; vgl auch In Ioh n. 115, LW III, S.100,11: Pater enim et filius simul sunt, correlativa
sunt. 23 Vgl. Ioh 14,9: Philippe, qui vidit me, vidit et Patrem. 24 Vgl Pr. 27, DW II, S. 5J,4j: Des
vaters sprechen ist sin gebern, des sunes hreren ist sin geborn werden; Pr.29, DW II, S. 84,5-8: Der vater
enkan niht dan gebern, der sun enkan niht dan geborn werden. Allez, daz der vater hat und daz er ist,
die abgründicheit götlkhes wesens und götUcher nature, daz gebirt er zemale in sinem eingebornen
sune; vgl. auch In Ioh n. 641, LWIII, S. 557,5 - 9: Patet ergo quomodo ad litteram filius quaecumque audit
a patre nota facit omnibus qui filii dei sunt. Fiendo enim quis filius hoc ipso audit et noscit omnia quae
patris surrt: sibi fieri audire est, et sibi audire fieri et generari est. Sie enim et ipsi primogenito et unige-
nito filio generari audire est, et patri dicere est generare; filius ipse verbum ipsum est quod hinc dicitur,
illinc auditur, hinc gignit, illinc gignitur. 25 Rom 8,16-17: Ipse Spiritus testimonium reddit spiritui
nostro quod sumus filii Dei. (17) Si autem filii, et heredes: heredes quidem Dei, coheredes autem Chri-
sti. 26 Vgl In Gen. II n. 8}, LW I, S. 545,4-6: Hinc etiam patet quod beatitudo, cum sit vita aeterna,
proprie consistit in intellectu sive in cognitione dei per essentiam, secundum illud loh. 17 (Ioh 17,J):
'haec est vita aeterna, ut cognoscant te solum verum deum'; In Gen.In. 296, LWI, S. 4}2,12-4}},1: Nota
ergo aperte sententiam A ugustini quod beatitudo consistit in visione sive in cognitione dei; Sermo XI,2
n.120, LWW, S.114,8-115,1:Ex quo patet eminentia intellectus et per consequens quod in eius actu me-
lius ponitur beatitudo; vgl auch Pr. 54b, DW II, S. 570,13-18: Du selikait lit aber nit daran, dz er tusent
in got erkennet. Si lit daran, das er miner mit jm vnd vßwendig im bekant hat; vnd da von bekennet er
mein jm vnd nit mengers, wan alle ding sirrt ains in got vnd in got ist niht, won dz er wesenlich ist;
Pr. 61, DW III, S. 37,1- 5: daz sant Paul gezücket wart in den dritten himel, daz enbediutet niht me wan
drier hantle bekantnisse an der sele. Daz erste ist bekantnisse der creatfuen, die man mit den vünf sin-
nen begrifen mac, und alliu diu dinc, diu dem menschen gegenwürtic sirrt. Dar inne enbekennet man
got niht alzemale, wan sie grop sint. 27 Vgl Pr. 73, DWIII, S.265,1-3: Ez sprichet sant Dionysius:
allez, daz wir bekennen, daz wir teilen oder dem wir underscheit geben mügen, daz enist got niht, wan
i.n gote enist weder diz noch daz, daz wir abegeziehen mügen oder mit underscheit begrifen. Vgl.
Dionysius Areopagita De cael hier. c. 2 § 5, PG 3, 144; Dionysiaca II, 1145] (S): Sed non est sum-
me contrariis simul participare neque communionem quamdam ad unum habentem divisibiles habere
vitas, si ab unius obtinetur forti participatione; sed esse teneri impotentem et inordinabilem in omnibus
ab uniformi divisionibus.
147
Predigt 94
60 und sint ein in dem wesene 28 ; wan alliu werk also uz gote vliezent, daz sie doch inne bl'ibent29 .
Da bekennet diu sele got, da si also ein ist in dem und mit dem wesene gotes. Und daz ist wariu 30
scelicheit, da diu sele hat leben und wesen mit gote. Und daz ist gotes bekantnisse, da abevellet
al ander bekantnisse und wesen. Diu sele enweiz sich noch anderiu dinc wan sich in gote und
got in ir und in im alliu dinc 30 • Allez, daz in gote ist, daz weiz si mit im und würket mit im alliu
65 s'iniu werk. Da enist niht, da enweiz si niht dan sich in gote und got in ir. 35
Diu aller erste kraft, diu da entspringet uz dem lutern grunde, daz ist bloziu bekant-
licheit31: kumet diu bloz uf den market, so wirt si alda gekleidet, si wirt behülset. Aleine si da 95,1
inne s'i, si vellet uf luter wesen, aber zehant ziuhet si eine hülsen umbe sich, daz ist warheit; si
bekennet ein war wesen. Aber wille enwil niht, ez ens'i ze vorhin guot oder ensch'ine guot32 .
28 Vgl Pr.49, DW II, S.435,13-15: Swenne dir der vater diz bekantnisse gibet und offenbaret, sö
gibet er dir sin leben und sin wesen und sine gotheit alzemale wrerHche in der warheit. 29 Vgl Pr. 30,
DW II, S. 94,1-3: Ez ist ein wunderlich dinc, daz ein dinc uzvliuzet und doch inneblibet. Daz daz wort
uzvliuzet und doch inneblibet, daz ist gar wunderlich; daz alle creaturen uzvliezent und doch innebH-
bent, daz ist gar wunderlich. 30 VeM, DW V, S.116,28-117,2: wan daz erste, da srelicheit ane geliget,
daz ist, sö diu sele schouwet got blöz. Da nimet si allez ir wesen und ir leben und schepfet allez, daz si
ist, von dem grunde gotes und enweiz von wizzenne niht noch von minne noch von nihte alzemale. Si
gestillet ganze und aleine in dem wesene gotes, si enweiz niht dan wesen da und got; Heinrich Seuse
hat im 'Buch der Wahrheit' (ed Bihlmeyer S.346,8-16) diese.AiyJerung Eckharts über die Seligkeit der
Seele weitgehend wortwörtlich übernommen; vgl Sturlese / Blumrich S. 80, Anm. 55; vgl. weiterhin
Pr. 72, DW III, S.241,1-3: Daz ander: 'er giene uf den berc', daz meinet, daz got da wiset die hcehe und
die süezicheit siner nature, in den von not abevellet allez, daz creature ist. Da enweiz er (der Mensch)
niht wan got und sich, als er ist ein bilde gotes. 31 Vgl Sermo XI,1 n. 115, LW IV, S.108,10-12: Reve-
labitur in nobis ... Nota: revelatio proprie est apud intellectum vel potius in essentia animae quae pro-
prie esse respicit. Esse autem deus esse nudum sine velamine est; Sermo XI,2 n. 120, LW W,
S.114,3-115,2: Vel die: revelabitur gloria, quia in beatitudine ipsa gloria revelatur. Tollitur omne vela-
m_en - quod nomen gloriae importat - sicut etiam velamen boni, sub quo accipit voluntas, velamen veri,
cum quo accipit intellectus, et universaliter velamen ipsius esse. Iuxta quod voluntas accipit rem iam
plus velatam bono prius, intellectus autem accipit ens prius vero, sed tarnen veritas concomitatur. Ex quo
patet eminentia intellectus et per consequens quod in eius actu melius ponitur beatitudo. Sed quia tol-
litur omne velamen, fortassis melius tarnen ponitur in ipsa nuda essentia animae; vgl auch Pr. 3, DW I,
S. 55,8-56,3: Wan denne got ein überswenkende wesen hat, dar umbe überswenket er allem bekantnis-
se, als ich egester sprach in dem jüngesten sermöne, daz diu sele ingebildet wirt in die ersten luterkeit,
in den indruk der lutern weselicheit, da si gotes gesmecket, e er warheit oder bekantlicheit an sich vahe,
da alliu nemelicheit abe geleget ist; Pr.23, DW I, S.402,3-7: Wa sol denne diu sele nemen wärheit? Vin-
det si da niht wärheit, da si ingebildet wirt in eine einicheit, in die erste luterkeit, in den 1ndruk der
lutern weselicheit, - envindet si da niht warheit? Nein, si envindet keinen begrif einer wärheit, mer:
da kumet wärheit nach, da kumet wärheit abe. 32 Vgl Sermo XXIV,2 n. 247, LWW, S. 226,6-8: Prae-
terea intellectus accipit deum sub veste veritatis, et ideo oportet ascendere. Unde ait: »in deum«. Nam
et ipsum deum sub hoc nomine, immo sub omni nomine debet transire anima; Sermo XI,1 n. 115, LW
IV, S.108,10-12: Revelabitur in nobis. Iuxta hoc expone: 'nihil opertum quod non reveletur'. Nota: reve-
148
Non surrt condignae passiones huius temporis
5 Er sprichet, 'daz in uns entdaht werde'. 'In uns': daz wort 'uns' meinet ein bloz wesen. Suln 70
wir hie zuo kamen, daz in uns entdaht werde disiu 'klarheit', s6 muoz diu sele entblrezet wer-
den hoffenunge, vorhte, vröude, jamer, alles des, daz ane gevallen mac 33; s6 entblrezet sich ir got
wider und gibet sich ir mit allem dem, daz er geleisten mac.
Daz ander: daz man suoche inne und niht uze, wan sant Paulus 34 sprichet: 'daz riche
gotes ist in iu'. 75
10 Daz dritte: in dem aller innigesten, daz er also hie etwaz entdaht werde.
Daz wir kamen, da wir in bl6zliche erkennen, des helfe uns got. Amen.
latio proprie est apud intellectum vel potius in essentia animae quae proprie esse respicit. Esse autem
deus esse nudum sine velamine est; Sermo XI,2 n. 120, LW Iv, S.114,3-6: revelahitur gloria, quia in bea-
titudine ipsa gloria revelatur. Tollitur omne velamen - quod nomen gloriae importat - sicut etiam vela-
men boni, sub qua accipit voluntas, velamen veri, cum quo accipit intellectus, et universaliter velamen
ipsius esse; Sermo XI,2 n. 121, LWIv, S.115,3- 9: Unde sequitur: in nobis. Revelahitur, inquit, in nobis. Ubi
die quomodo essentia animae lange est ab hoc regno et mundo, quia in alio supra potentias, intellectum
et voluntatem, est. Quamvis potentiae huiusmodi stupendae sint eminentiae, ita ut lux intellectus lapi-
dem faciat supra sensum et supra omne hie et nunc, ipsas tarnen potentias intrat creatura et deus ipse
velatus vero et bono, essentiam autem animae nulla unquam creatura nec deus ipse sub aliquo velami-
ne; Proc. Col. In. 147: deus sub ratione veri capitur ab intellectu, sub ratione boni a voluntate ... Et facit
hoc ad docendum quod homo deum amet et quaerat absque omni velamine; Proc. Col. II n. 122: quod
deus sub ratione et velamine veri ingreditur intellectum, sub ratione vero et velamine boni ingreditur
voluntatem, per essentiam autem nudam, quae est supra omne nomen, ingreditur et illabitur ipsi nudae
essentiae animae; vgl auch Pr.40, DW II, S.274,1-6: Daz dritte ist, daz er got niht nemen ensol, als er
guot oder gereht ist, sunder er sol in nemen in der lutern, blözen substancie, da er sich selben blöz
nemende ist. Wan güete und gerehticheit ist ein kleit gotes, wan ez bekleidet in. Dar umbe so scheidet
gote allez daz abe, daz in kleidende ist, und nemet in blöz in dem kleithuse, da er entdecket und blöz in
im ist; Pr. 7, DW I, S.122,10-123,1: Minne nimet got under einem velle, under einem kleide; Pr. 9, DW
I, S.152,5 -8: diu sele, diu got minnet, diu nimet in under dem velle der güete. Vernünfticheit ziuhet gote
daz vel der güete abe und nimet in blöz, da er entkleidet ist von güete und von wesene und von allen
namen. 33 Vgl Pr. 69,DWIII, S.166,2-4:Boethius sprichet: »wiltdu diewarheit luterliche beken-
nen, so lege abe vröude und pine, vorhte und zuoversiht oder hoffenunge«; vgl auch In Exod n. 12, LW
II, S.17,9-18,}: Boethius I Consolationis capitulo ultimo sie ait: »tu quoque si vis lumine claro cernere
verum«, »gaudia pelle, pelle timorem spemque fugato nec dolor assit. Nubila mens est vinctaque frenis,
haec ubi regnant«; vgl weiter Pr. 89, DW IV, S. 42, J1j: Ein meister sprichet: wilt du got mit einem
lutern herzen enpfangen und bekennen, so vertrip von dir vröude, vorhte, hoffenunge; Sermo XI,2 n. 119,
LW Iv, S.113,5 -7: Quae revelahitur. Nota: nihil apponendo, sed subtrahendo in anima invenitur deus.
Unde ait: revelahitur. Est enim intimus animae, nec opus creaturae ad huiusmodi potest pertingere nisi
purgando, praeparando. - Zu klarheit vgl Pr.22, DW I, S.380,1-4: Also hat got getan. Er hat diesele
geschaffen nach der allerhrnhsten volkomenheit und hat in sie gegozzen alle sine kla.rheit in der ersten
luterkeit, und ist er doch unvermischet bliben. 34 Die Zuweisung des Zitates an Paulus istfalsch; es
entstammt dem Lukas-Evangelium; vgl Luc. 17,21: Ecce enim regnum Dei intra vos est.
149
PREDIGT 95 (Strauch Par. an. Nr. 46 S.104-106 [A],
Jostes Nr. 73 S. 72-76 [BJ)
Handschriftliche Überlieferung:
1. Fassung A
H2 Hamburg, Staats- u. Univ.-Bibl. Cod. theol. 2057, 125v-rngr_
Textbestand: vollständig.
Lo4 London, Victoria and Albert Museum Cod. L 1810-1955, 166va_168vb_
Textbestand: vollständig.
Me2 Melk, Bibl. d. Benediktinerstifts Cod. 705 (olim 371/G 33), g75vb_g75vb_
Textbestand: (2-175 ): Salig ist der mensch der weisheit vintt Dy weishait ist tzwayerlay vnd dy
salichait dy von der weishait chümbt ist auch tzwayerlay. ( 11) Dy ain weishait ist tzergankchleich
als da man sich awjf der welt ding verstet vnd sich dar nach richten chan vnd in ettleicher chunst
sich vor vnglükch hüetten chan vnd sich nach glükch richten chan dem voligt reichtumb. Jrdische
weishait ist als ein taw oder ein anvang ewiger weishait. (19) Dar vmb hat got der sel tzwayerlay
chreft geben das sy mit den nydristen chreften hie in der tzeit got dien vnd im mit den obristen
chrefjten in der ewichait dien. (25) Ein maister spricht dy sel sey [276r"] ein ekk dar an sich tzeit
vnd ewichait stözz. vnd dy sel ist doch von tzeit noch von ewichait nicht gemacht sunder sy ist ein
gemachte natur von nickte tzwischen in paiden. wann war sy von der tzeit gemacht so war sy tzer-
gankchleich war sy dann von ewichait gemacht so war sy vnwandelpar. (37) Vber das spricht sand
Augenstin Diesel ist von eim so edeln vnd himlischen nickte gemacht das so lawter ist das wir es
pey all vnserm leben nymer eroarn mügen. Vnd an den adel der sel stözzt sich tzeit vnd ewichait
Naigt sy sich awjf tzeitleich ding so wirt sy vnstat Naigt sy sich aber awjf ewige ding so wirt sy so
stat vnd starkch das sy da mit alle wandelpare ding vber wintt. ( 54) Dy ander weishait ist ewig vnd
ist ein vrsprung götleicher chlarhait vnd ein prunn götleicher warheit von der man ewichleich salig
wirt (59) Darvmb werzw derweishaitchömen sol dermues sechs dingan im haben. (62) Das erst
ist ainmüetichait Das ander staterfleis. Das dritt ynnichait Das vierd entzige sweig. ( 65) wann es
ist chain werch so volchömen oder es hinter dy ynnichait Dar vmb mag man andachtichleicher
mezz hörn dann mezz lesen. Wolt ein priester in der mezz ze vil andacht suehen er macht tuen das
vnpeschaiden war. (70) Dar vmb ist mein rat das man vor vnd nach andacht suech vnd was werch
[276rb] man tue das man es arnleich tue. Wolt ich andacht in meiner predig suehen ich wurd gehin-
tert an meinen warten. Mich genüegt wol das ich in der predig war als vil andacht hab das ich sy
pedenkch (84) Dasfümffi ist ellend. Der ist weisleich ellend der in seim aigen haws chan ellend
sein. (87) Das sechst ist armuet. Der ist weisleich arm der sich aller ding arm macht das got nicht
ist. Das ist also gesagt wie man zw götleicher weishait chömen soL (103) Dar nach sol man mer-
kchen was lewt dy sein süllen dar in götleiche weishait chömen soL ( 106) wann Salomon spricht dy
weishait hat irn mund awjf tan. vnd pedewt ein yede salige sel der mund irer öbristen chrefjt von
got gelabt wirt (111) Dy chraffi sol albeg awffian sein gegen dem trast gots vnd was sy da von
enphacht das sol dy sel in dy nydristen chrefjt giezzen. (119) wan walten wir got mit den nydristen
chrefjten pegreif.Jen so wurd er gesmacht in vnserer vnerchantnus dar vmb das wir got in chainen
gegenwürtigen dingen pegreiffen noch erchennen mügen. ( 131) Ein heilig spricht als das man von
got sprechen mag das ist got vnd ein anderer spricht als das man von got sprechen mag das ist nicht
150
Handschriftliche Überlieferung
got vnd hahen paid war. ( 155) Awjj das spricht sand A ugenstin got ist gwalt weishait vnd güet. vnd
darzw sprichtDionisius got istvberalle güetvnd weishaitvnd vberals das man sprechen mag. ( 164)
vnd das man got in der geschrijjt so manigen namen geit ist von tzwain dingen. (167) Das ain ist
das man seinen adel [276va] mit chainen warten pegreif.fen mag. wann er vber alle natur ein vnge-
naturte edel hat. Man haist in ettwann einn gwalt vnd ettwann ein liecht vnd ist vber gwalt vnd
liecht. Vnd man haist in dar vmb ditz vnd das. daz er der ding chains entleich ist. Möcht man sei-
nen adel mit warten pegreif.fen den selben namen pehielt er st!uleich (237-272) wann von der
erchantnus gots chümbt dy sel in ein wirdige vorcht vnd stiribt in got dar inn. Dar vmb sprach der
herr ihesus. Es sey dann das daz waitzen charn in dy erd vall vnd sterib dar inn anders es pringt
chainfrucht. (251) Das sterben sol dy sel hahen in dererchantnus das iralle ding dy got nicht sind
vnwert wern so ergewst sich got in gnaden vndflewst am glauben vnd wächst an der lieb. (257) Das
hat sand elizahet wol erchannt wie tewervnd edel der chawjj ist da man alle ding vmb weishait geit.
Dar vmb vertzech sy sich fröleich vier fürsten Zehen vnd ward ein armer mensch (263) Dy
geschrif.ft spricht von ir. Jr liecht erlasch des nachts nicht. Das ist sy ward in petrüebnus grechtefan-
den vmb das scheint ir liecht im ewigen leben. (267) wann wie volchömen ein mensch ist vnd ver-
lewst tzeitleich guet so wirt sein hertz gewandelt in petruebnus. Aber das ist gwis was ein mensch
wider seinen willen verlewst vnd leitt es mit gedult vnd geit es got vber so verdient er grazzen lan.
(276) wann welker mensch in widen.värtichait in vngedultfanden wirt das vbel ist in von [276"b]
der pein nicht an chömen sunder das vbel der vngedult wirt in der pein ef.fenbar. vnd eim solhen
geschieht als eim chupphreinen phenning dy weil er imfewer nicht ist so erscheint er chlar silber.
chümbt er aher in das fewer so wirt es offenbar das er chupphrein ist vnd das ist im vomfewer nicht
geschehen sunder von seiner vnlawtrichait dar inner gwesen ist. (286) Dar vmb hat got der herr dy
heiligen hie mit widen.värtichait versuecht das sy wol peraitt in tugenten fanden wurden vnd hie in
der nackt tzeit schinen vnd im ewigen leben ewichleich lewchten. (291) Vnd wie man götleiche weis-
hait smekchen sol zw dem heljfen vier ding. Das erst das man sich got gleich mit lawtrichait nach
vnserm wesenleichen vermügen. (296) Das ander ist ein götleichs liecht das mit lawtrichait in der
sel scheint als dy sunn durch ein glas. Das dritt ist ein ainigung das von götleichen dingen chümbt
als liecht von liecht (302) Das vierd ist mazz in dem dy sel sol erhahen vnd geweitt wern. (307)
Erhaben vber sich selber vnd sol ettwas geweitt wern gegen gots vnmesleichait (313) so mag sy
volchömen lust von im enphahen. vnd dar vmb das all sel gegen got nicht gleich gefüegt sind so
smekcht in got nicht gleich Als dy sunn allen wegen nicht gleich scheint. aim tuet sy wee dem
andern noch wirser vnd dem dritten aller wirsist.
0 Oxford, Bodleian Library Cod. Laud. Mise. 479, 84r-86r.
Textbestand: vollständig.
Textabdruck der Predigt 95A: Philipp Strauch, Par. an. Nr.46, S.104,2-106,17; Eduard Sievers,
Predigten von Meister Eckart, in: ZfdA15 (1872), S. 373-439, hier Nr. XI, S. 398-401.
Me2b Melk, Bibl. d. Benediktinerstifts Cod. 705 (olim 371 / G 33), 318'b.
Textbestand: (20) vnd mit dem sol dy sel mit den nydristen chreften got hie dienen vnd mit den
obristen in der ewichait. (27) wann sy ist weder von tzeit noch von ewichait gemacht sunder sy ist
tzwischen in paiden ein naturvon nickte gemacht. wann wär sy von der tzeit gemacht so wär sy tzer-
gänkchleich wlir sy dann von ewichait so wär sy vnwandelpär. (41) vnd also ist sy ein ekk dar an
sich tzeit vnd ewichait stözzt. (43) Naigt sy sich awff tzeitleiche ding so wirt sy vnstät halt sy sich
aher an dy ewichait so wirt sy stät vnd starch vnd mit der sterkch vnd stätichait vber wintt sy dy
wandelpärn ding. Dar vmb sol man sich halten zw dem vrsprung götleicher warhait vnd weishait
durch dy man ewichleich sälig wirt.
Me3 Melk, Bibl. d. Benediktinerstifts Cod. 1569 (olim 615 / L 27), 108'. 111v-112r.
Textbestand: (20) Dar vmb sol dy sel mit den nydristen chref.ften got hie dienn vnd mit den obri-
sten in der ewichait. (27) vnd sy ist nicht von tzeit noch von ewicheit gemacht sunder sy ist von in
151
Predigt 95
paiden ein natur von nichte gemacht (43) Naigt sy sich awjf tzeitleich ding so wirt sy vnstht halt
sy sich aher an dy ewigen so wirt sy stht vnd starkch mit den sy vberwintt dy wandelphrn ding. ( 111)
wann ein yede shlige sel sol ir hertz albeg awjf tuen gegen dem trast gots [ 112 r] vnd was sy von im
enphhcht das sol sy giezzen in dy nydristen chref.ft da mit sy got nicht pegreiffen sol anders ( 120)
er wurd gesmacht aws irer swachen erchantnus dy aws irn nydristen chref.ften erscheint (315) vnd
darvmb das all sel gegen got nicht gleich gefüegt sind so smekcht in got nicht gleich in seim erschein
als dy sunn allen awgen nicht gleich scheint. Die beiden Exzerpte sind Teil des Traktats III 'Von
der sele werdikeit und eigenschaft' (Pf., S. 407,5-11; 410,20-27).
152
Handschriftliche Überlieferung
3. Fassung B
B6 Berlin, Staatsbibl. zu Berlin - Preuß. Kulturbesitz Ms. germ. 4° 1084, 53r_53v,
Textbestand: (66) Men mach mit mere ynnicheit misse horen dan misse spreken. (78-81f.) Alle
die konst die een mensche kan dat prouet men an den werken ef hi wael singet dat hoert men an dem
sange also bekent men den wisen mensc hen bi sijnem singen. ( 131 -134) Een meyster sprack tot
enem anderen wetstu wat got is neen ic sprack hi ic en weet niet wat got is. alsoe veel weet ic van hem
[53v] dat ic niet en wet wat hi niet en is. (203- 221) Die hoechste creatur die god ye gescoep an
engels natuer die is hem vorder ende ongelijcker dan die mesten onreynicheit die du ye gesages der
naturen sijn. (207) Een heilich sprack et betaemt di here dat men dy laue. doe sprac die ander et
betaemt dy wael dat men dijns swige. Twe heiligen solden om heden doe sprac die een here alwel-
dige god genade. (213) Doe sprac die ander swige du Zasters gade. got is also hoge bauen ans dat wy
en mit genen worden gelauen en connen. Ende eweer got soe oetmoedich niet ende en (Lücke) hei-
ligen niet gespraken. ende enheddet got seluer niet gesproken ende geangenimt ic en do,ften mit
worden nummer gelauen. (220) want so men sijns meer logent so men om meer lauet. (270-290)
Soe wat die mensche verlieset cegen sijnen wil ende lidet hijt verduldelicken hi verdienter mere Zoen
in dan ef hijt mit willen onsen here geue. want daer hed hi sijnen wil an. mer an der geduldicheit
geft hi sijn goet ende sijnen wil onsen heren gade. (276) Ende so wellic mensche in ongemake wart
ongelijc wanden. die quaetheit en is hem in der pinen niet an comen. mer die quaetheit wart apen-
baer in der pinen ende geschiet den menschen als den coperen pennic die wile dat hi in dem vuer
nieten is so schijnt hi claer silueren mer coemt hi in dat vuer so wart et apenbaer dat hi coperen is.
(286) Daten heft om dat vuer niet gedaen dat hi coperen is. Daer om heft onse here die heiligen ver-
sacht in der pinen dat si gerecht si:jn vonden an allen doechden ende Zuchten hier in der nachtende
in dem eweliken leuen ewelic.
B7 Berlin, Staatsbibl. zu Berlin - Preuß. Kulturbesitz Ms. germ. 8° 4, 5ov-5sv.
Textbestand: vollständig.
BT Baseler Taulerdruck 1521, CCCXYb-CCCXIIvb.
Textbestand: vollständig bis auf drei Homoioteleuta-Lücken (Z. 31-36 Wcere ... unvergenclich;
Z. 227-228 Scehe ... enwcere; Z. 284-285 Daz enhat ... kup.ferin ist).
Fl St. Florian, Stiftsbibl. Cod. XI 123,41r.
Textbestand: (2:'\-33) Ein maister spricht daz di sel sey ein /'Jrt oder ein ek daran sich stozzet pai-
de zeit vnd ewichait vnd fr natur ist do weder von zeit noch von ewichait gemacht. Sunder si ist ein
natur von nickte zwischen in beiden zeit vnd ewichait wan wer si von zeit gemacht so wer si ver-
genchlich wer si v/'Jn ewichait so wer si vnwandelhaftig. (37-41) Sanctus augustinus spricht. daz si
153
Predigt 95
von dem aller edelsten vnd heimlichisten nite ist den wir all vnser lebetag chunnen geforschen. noch
vil lustlicher ist si. ( 131 -139) Ein maister spricht zu dem andern wistu ich wt Nein nicht den also
vil. daz ich enweiz wo her nicht enist. 1Viemant mag got erchennen den in gotis natilr. ( 137) Noch
niemant enmag. eins an natilr erchennen herensei dan in seins selber natür tod. (207- 215) Ein hei-
lig sprach her iz zimt dtr wol. daz man dich lob. Do sprach einander herre isl zimt dir wol daz man
v6r dir swig. Zwen heiligen solden pitten. Da sprach der ain allgeualtiger güter got genade. (213)
Do sprach der ander swZg du Zasters got Got der ist also höch ober vns. daz wlr in in cheiner weiz
mit warten geloben milgen.
Abdruck der Textstelle: Josef Quint, Fundbericht zur handschriftlichen Überlieferung der
deutschen Werke Meister Eckharts und anderer Mystiktexte (Meister Eckhart. Die deutschen
und lateinischen Werke. Untersuchungen II), Stuttgart Berlin Köln Mainz 1969, S. 62-76, hier
S. 73.
Kai Karlsruhe, Badische Landesbibl. Cod. St. Peter perg. 85, 1. 23ra, 2. 22rb = 53vb_54ra, 3.
1Wb, 4. 11ra = 34rb, 5. 11rb = 15va, 6. 34ra, 7. 45va = 34ra = 11rb, 8. 11rb, 9. 11rb = 90vb, 10.
2svb_29ra_
Textbestand: (1. 65-69) den hein werc ist so vollekomen ez ein hinderdie inrekeit. Einmensch mac
mit mere inrekeit messe hören dan messe sprechen. Der priester mohte so grase inrekeit haben an
der messe erdete daz schedelich were. (2. 84-86) Der ist nvzeliche arm. der sich selben arm kan
machen aller dinge die got niht sint. (3.132-134) Jch in weiz waz got ist. mer daz selbe daz ich niht
weiz waz er ist. daz ist er. (4.162-168) Allez daz man sprechen mac von gatte daz in ist er niht.
(Allez ... niht fehlt 34rb) Man (Men 34rb) in mac gottez wirdikeit. noch gottez adel mit keinen (den
heilen 34rb) warten begrifen. (183-186) Daz ich spreche eine (ein 34rb) mensche do mitte (mit 34rb)
begrife ich menscheliche (m34rb) nature. Daz ich sprich ein graue da mitte (mitte unterpunktet)
begrife ich die graschaft dez grauen. (188-190) Daz ich sprich got. do mit mache ich gottelichen
adel noch gottelich herschaf (1) niht begrifen (Daz ich sprich ein graue ... herschaft niht begrifen
fehlt 34rb). (5. 201f.) Wan (Wande 45va) wir mogent (mVgent 45va) mit keime (dekeime 45va)
gelichnisse züsime bekentnisse kamen. (6. 207-221) Ein heilge sprichet. herre ez zimet dir wol. daz
man dich lobe. Do sprach ein heilge. ez zimet dir wol daz man din swige. zwene heilgen soltent bet-
ten da sprach der eine. algewaltiger güter got genade. do sprach der ander swic du vnerest got. Got
ist vber vnz alzo hohe. daz wir in mit keinen warten geloben mvget vnd wer got so demvtic niht vnd
hattent ez die heilgen niht gesprochen. vnd hat ez got niht selbe geamtet. Tch gedorste in mit warten
niemergeloben. So man sin ie me swiget. so man in ieme lobet. (7. 221-222) So man ime (ime fehlt
34ra) ieme vngelichez (vngelicheit 34'")zü leget so man sime (siner 34ra; 11rb) bekantnisse ie naher
komet. (8. 222-233) Alse ich sagen wil ein gelichnisse. walte ich sagen einem menschen von eime
schiffe. Der nie den heinez gesehen hatte. Sehe er ein stein er sehe wol daz er ein schif niht en were.
So ez daz me sehe daz ez niht geschaffen were alse ein schif. So er dez schif.Jez bekentnisse naher
kerne. Alse ist is {)her got. So man ime ieme vngelichez zü leget. So man siner bekantnisse naher
komet. (9. 233-235) wan (Wan fehlt 90"b) allez daz die heiliche (heilige 90"b) geschrift (schrift
90"b) geleisten mac. daz löukent sin alzemal (alzv male 90"b). ( 10. 276- 288) welich mensche
(m28vb) in vngemache vngeduldic funden wirt. die bloizheit vnd der zorn kumet in niht an von der
pine. Svnder die bloizheit wirt geojfenbart. die an ime ist in der pine. vnd geschit den menschen
(m28"b) alz den kuperin phenninge die wile er in denfore niht ist. so schinet er clar silber. kumet er
aber in dazfor. so wirtoj[29ra]fenbardaz erkuperin isl. daz hal ime dazfor nihtgetan ez hat nuwen
geojfenbart siner bosheit. Her vmbe hat vnzer here got die heilgen versuchet. hie in der pine. daz sv
gereht sintfanden an allen tugenden.
154
Handschriftliche Überlieferung
doch weder von zeit noch von ewikait gemacht sunder si ist ein natur von nicht geschaffen zwizzen
in beiden wan wer si von der zeit gemacht so wer si zergenklich wer si aber von der ewicheit gemaht
so wer si vnwandelhajtig (34) dar vm ist si weder von zit noch von ewichait gemacht vnd si ist wan-
delhaftig vnd ist vnzergenchlich (am Rande: Augustinus). (37) SendAugustinus sprich daz di sel
gemacht sie [8•b] von dem aller edelsten vnd heimleisten nicht vnd daz vnz vil lusticlicher sei alle
vnser lebtag dar nach ze vorsehen wan daz wir ez ymmer me begriffen. Dar vm ist di sel alz edel
daz an si stöczt beide zit vnd ewichait Neiget si sich auf zitlich dink so wirt si vervinstert Neiget si
sich auf di ewichait so wirt si stark vnd stet mit der sterk vnd stetichait so vber wint si alle wandel-
haftige dink. (49) Vnser herre hat der sel zu geben zwaierlei creft auf daz. daz si mit den nidern
creften dien got an der zit. vnd daz si mit den obersten creften din got an der ewichait. (58) Ein mei-
ster ward gefragt wie man chumen sold zu der weishait. Vnder andern stukken so screibet er vnz
sehs stug di der mensch sol (62) daz ist ein demutiges hertze vnd einen stetenfleiz vnd ein rains
geruwigens hertze vnd ein swigende vorsh (65) Chein auzzer werk ist so volkumen es hinder di
ewicheit wan man mag mit vil grozzer andacht mezze horn dan messe sprechen wan er mak so groz
innercheit haben der messe sprech er tet etwaz daz schad wer. (78) Alle die chunst di der maister
kan di brujt man an dem werk ist daz der mensch wol [9ra] singet. daz h6ret man wol an sinem
gesang Also bechent man ein weisen menschen bei seinem sweigen. (84) Dazfünft ist willige armut.
Der ist nuczlich arm der sich aller ding chan arm machen di got nicht ensint. (87) Daz sehst daz
sindfremde lant Wan wer in seinem hauz enlend chan sein daz ist gute. (90) Mit disen sehs stucken
er criget man di weizheit da der mensch mit selich wirt an dem llb vnd an der seL (93) Di ander
weishait ist ein in prophiern vnd ein brunne g6tlicher edelcheit vnd ist got selb. (96) Di weisheit
mak man in disen zitlichen dingen nicht wegriffen wan der mensch wan der mensch (Dittographie)
wer hart thbret der got wegrif.fen wolt mit zitlichen dingen Oder het got far hart sn6de der got
wegriffen w6lt mit den nider creften der sel wan chein creatur mag got begriffen. (106) Dar vm
sprach der weis man Ein gut jrau hat ef getan im munt der weishait. Daz auf tun meint nicht
anders wan daz du schalt auf tun dein wegerung in dem aller h6hsten vnd solt wonen in der aller
obersten craft der sel wan di craft ist got all so nahen geschept daz got der craft versagen nicht en
mag vnd di craft sol alz vil suzzichait vnd trostez von got enphahen vnd alz vil worheit daz si far-
baz in alle ander sel gizen soL ( 125) Di heiligen sprechen daz ez ein weiz stet vmb dicz zitlich leben
vnd ein ander weiz stet vmb daz ewig leben vnd wir muzzen immer [9rb] dez dinges zum ersten
beginnen hie vnd sol der ewigen weizheit in dem ewigen leben volbracht werden. (131-139) Ein
meister sprach zu dem andern sag weist du ·icht waz got sey do sprach der ander. Nein ich Ich weiz
nicht waz got sei mer ich weiz als vil nu daz ich nicht en weiz waz er nicht en ist. Wan neimant mak
got erkennen wan in gotes natur Vnd nimant mag auch in einer andern natur belebendich werden
er sei in seins selbs natur tot. (207 - 223) Ein heilige sprach herre ez zimt wol daz man dich lob
Do sprach ein ander Ez zimt wol daz man sweig Ez sch6len zwen heiligen beten Do sprach der
em O all waltiger guter gotes gnad Do sprach der ander sweig du lasterst got Got ist alzo hoh vber
vuz daz wir in mit cheinen warten mugen geloben. Wan. wer got nicht so demutik vnd ketten ez di
heiligen nicht gesprochen vnd het got sich sein selbs nicht an genumen ich t6rst in mit warten nim-
mer geloben Wan ie mer man in lobt ie mer man im vnglichit zu legt ye man sin wechantnuz ·ie
freier chumt. (267-275) Swi volkomen daz mensch ist verleust er zugenkliches gutes sein hertz wil
sich verwandeln vnd wetruben Dar vmb ist daz ein gewizzes geding verleust der mensch icht vber
sinen willen vnd lidet ez geduldiclichen er verdint grozzen lon. dan ob erz mit willen vnserm her-
ren geb. Wann daz tet er mit willen Disen sin sprach meister Ekkart in einer predige.
155
Predigt 95
Filiation der Handschriften: Die erhaltenen Textzeugen der Predigt 95 verästeln sich in
drei unterschiedliche Überlieferungszweige: in eine Fassung A, repräsentiert durch H2,
Lo4, Me2 und 0, und in eine Fassung B mit B7, BT, zu der sich passagenweise noch die Frag-
mente B6, Fl, Kai und eine Teilabschrift der Predigt in N1a gesellen. Aus dem Predigttext
ausgekoppelt hat sich das 'Exempel vom versilberten Kupferpfennig' (Z. 2.76- 285). Es führt
ein überlieferungsgeschichtliches Eigenleben, bislang bezeugt von acht Handschriften
(Ba2, Br11, De, Ern, Ha3, Ha4, KT, Me1). Da der Text des Exempels in A und B annähernd
gleich lautet, ist eine Zuordnung dieser Sonderüberlieferung zu einer der beiden Fassungen
nicht möglich.
Genauer bestimmen läßt sich das Verhältnis der Fassung A zur Fassung B. Der
Predigttext von B ist länger als der von A. B umfaßt 270, A hingegen nur 204 Zeilen. In A
erscheinen gegenüber B mehrere Textabschnitte ausgetauscht (49 - 53 B = 19 - 24 A; 93 - 95
B = 54-57 A; 140-143 B = 164-166 A; 220-231 B = 176-182 A), um die Predigt in ihrem
ersten und zweiten Teil thematisch anders zu strukturieren; dazu dienen auch einige wenige
Textzusätze und Texterweiterungen (8-10; 70-77; 103-105; 168-170). Zudem setzt sich A
von B durch eine Reihe eigenständiger Formulierungen ab. Am auffälligsten jedoch ist die
Wahl eines neuen Predigtinitiums: Beatus homo qui invenit sapientiam (Prov. 3,13).
Den Text der Fassung A überliefern die Handschriften O und H2 sowie Lo4 und Me2
(Me2b, Me3), die jeweils von einer Vorlage X1 bzw. Y1 abhängig sind. 0 und H2 (= X1) haben
gegenüber Lo4, Me2 (Me2b, Me3) und dem Text der Fassung B die folgenden individuellen
Lesarten:
14f. richten nach glucke Y1 [Lo4] / richtin noch der zit X1 [OJ (irrtümliche Wiederholung der
Formulierung von Z. 12f.)
18 taw ewiger wiszheit Y1 [Lo4] / irretum ewiger wisheit Xi [OJ
23 kreften Y1 [Lo4], B, fehlt Xi
25f. eyn ortte oder eyn ecke B [B7]; ein ende adir ein ecke Lo4; ein ekk Me2 / ein punc (punt H2)
oder (ober H2) ein ecke Xi [OJ
26 daran sich B [B7], Y1 / da sich ane Xi [OJ
37 Sanctus Augustinus spricht B [B7], Lo4; Vber das spricht sandAugenstin Me2 / Augustinus
Xi [OJ
38 gemacht Y 1 [Lo4], B, fehlt X 1
54 vndistY1 [Lo4] / vnddiwisheitistX1 [O]
55 jnflusze (in prophiern Nia; ynproperliche BT) gotlicher clarheit B [B7] (siehe Z. 93 f.);
vrsprung (Me2, Me2b; entspring Lo4) götleicher chlarheit (warhait Me2b) Y1 [Me2] / ge
sprinc der gotlichin clarheit X 1 [ 0]
60 haben sechs ding an öm Lo4; sechs ding an im haben Me2 / habin Xi [O]
62-64 Das erste ist otmütikeit (ainmüetichait Me2) Daz ander steteflisz das dritt (das dritt/ vnd
Lo4) ynnikeit Das vierd (Das vierd / vnd ein Lo4) vorsehende (entzige Me2) swigen (sweig
Me2) Y1 [Lo4] / oitmudikeitvnd stedinfliez vnd einforschinde swigin Xi [O]
70 Mit rat ist Lo4; Dar vmb ist mein rat Me2 / Der beiste rait ist Xi [O]
72- 77 Walde ein prediger ynnikait suchen an der predigate er mohte sine rede nicht wol gethün mir
genüget wol daz ich halb also vel ynnikeit kette in der predigate also ich haben mag also ich sy
bedenke Lo4; Wolt ich andacht in meiner predig suehen ich wurd gehindert an meinen warten.
156
Filiation der Handschriften
J'vlich genüegt wol das ich in der predig wdr als vil andacht hab das ich sy pedenkch Me2,
fehlt Xi
84-86 Dasfümjft (Me2, fehlt Lo4) ist euelende (ellend Me2). der ist williclich (weisleich Me2) eue-
lende (ellend Me2) der in syme eygen husze kan euelende (ellend Me2) gesin (sein Me2) Y1
[Lo4], fehlt X 1
87 Das sechste ist armüte Y1 [Lo4 ~ / Ermude horit ouch zu godelichir wisheit X1 [0 J
88 aller ding (dingen Lo4) Y1 [Yre2] / allir der dinge X1 [OJ
90f. Diz (Das Me2) ist (ist also gesagt Me2) wi man kamen sal czügötlicher wiszheit (man ... wisz-
heit / man zw götleicher weisheit chömen sol Me2) Y1 [Lo4], fehlt Xi
106f. Os suum aperuit sapienciam Y1 [Lo4 J (fehlt Me2), fehlt Xi
119 wolde wir Y1 [Lo4 J / wolde si X1 [O]
156f. Sente dyonisius spricht Lo4; vnd dar zw spricht Dionisius Me2 / Dyonisius Xi [O]
164 Worumme gebet man Lo4; vnd das man ... geit Mc2 / Darumme gibit man X1 [OJ
171 ein (1) Y1 [Lo4], fehlt Xi
172f. nach und daz: daz ist dafon X1 [OJ
219 geloben Yi (Lo4; Lücke Me2) / ge loubin X1 [O]
256 libe Y1 [Lo4] / minne Xi [OJ
257 Dis hatte wol geprüfet santa elizabeth Lo4; Das hat sand elizabet wol erchannt Mc2 / Dit hat-
te wol geprufit sente .N. X1 [OJ
258 ist Y1 [Lo4], fehlt X1
278 von der pin nicht Y1 [Lo4l / vn nicht (en nit H2)fon der pine Xi [OJ
282 nichtenist(istLo4) Y1 [Lo4], B / nichtinlitX1 [O]
284 ist Y1 [Lo4 J / was Xi [O]
284f. nach ist: Das hat im dasfür nicht getan das er küpphern ist Lo4; vnd das ist im vom fewer nicht
geschehen sunder von seiner vnlawtrichait dar inner gewesen ist Me2, fehlt Xi (Homoiote-
leuton-Lücke)
291f. götliche wiszheit Y1 [Lo4], Il / gotlicher ewigir wisheit Xi [OJ
293 Das erste Y1 [Lo4], B / Daz erste daz X1 [O]
308 selbis Lo4; selber Me2, fehlt Xi
311-320 Ein meister ... Amen Y1 [Lo4] / etc. H2; Eide wir etc. 0.
157
Predigt 95
Die Existenz einer Vorstufe Y 1 für die Handschriften Lo4 und Me2 sichern die folgenden
gemeinsamen Lesarten:
1 BEatus homo qui inuenit sapientiam X1 [O] / SElig ist der mensche der da vind wiszheit (der
... wiszheit / der weishait vintt Me2) Y1 [Lo4]
131 meister X1 [O], B / heylige Y1 [Lo4]
169 ist vnd X1 [O], fehlt Y1
173 eginlicheX1 [O] / endelichY1 [Lo4]
255 worzelit Xi [O]; sal wurtzelen B [B7] / flüszt Y1 [Lo4]
260f. forzech sente Elizabethfroliche vrisforstin landis Xi [O] / vor czeich (vertzech Me2) sy sich
vrolich vir (vier Me2)fursten (fürsten Zehen Me2) Y1 [Lo4]
283 ge ef.fin barit X1 [O], B / es ef.fenbar Y1 [Lo4]
287 gerecht Xi [O], B / gereit Lo4; peraitt Me2.
Obwohl die Handschrift Lo4 den Y1-Text der A-Fassung am vollständigsten bietet, ist die
Abschrift nicht frei von individuellen Willkürlichkeiten:
8 Ez ist zweigirhande wisheit Xi [O]; Dy weishait ist tzwayerlay Me2 / Czweyerhande wiszheit
istLo4
11f. di ist daz man sichforsteit Xi [O]; als da man sich awff der welt ding verstet Me2 / das ist das
man vorstet an vorgenglichen dingen Lo4
12f. vnd kan sich richtin noch der zit Xi [O]; vnd sich dar nach richten chan Me2 / das der mensche
sich kan richten noch der czit Lo4
13f. daz man sich kan hudinfor vngelucke Xi [O]; sich vorvnglükch hüetten chan Me2 / da man
das kan das man sich hüt uor vnglücke Lo4
15 wole Xi [O]; Lücke Me2; fehlt Lo4
16. vnd X1 [O]; Lücke Me2 / der mensche Lo4
19 got Xi [O], Me2, fehlt Lo4
25 Di sele ist X1 [O]; dy sel sey Me2 / das dy sele ist Lo4
26 punc O; pilnt H2; Lücke Me2 / ende Lo4
29 ein nature gemachitfon nichte Xi [0 ]; ein gemachte natur von nichte Me2 / ein natur von nich-
te gemacht Lo4
39 himmelischin nichte Xi [O], Me2 / tachte Lo4
41 bevinden Xi [O]; ervarn mügen Me2 / bewinden Lo4
45 wirdit Xi [OJ, Me2 / ist Lo4
47 vberwinditX1 [O], Me2 / vorwindLo4
55 ge sprinc Xi [O]; vrsprung Me2 / entsprung Lo4
55f. ein burne (prunn Me2) gotlicher Xi [O], Me2 / ist ein born der götlichen Lo4
158
Filiation der Handschriften
68 zu vile innekeit (andacht Me2) suchin X1 [OJ, Me2 / suchen czü vel ynnikeit Lo4
71f. wan man ein tu X1 [O]; was werch man tue Me2 / wan man ein werk thün wel Lo4
84 füm.fft Me2; Lücke Xi, fehlt Lo4
88f. di got nicht in sint X1 [O]; das got nicht ist Me2 / der got nicht sy Lo4
91 nach wiszheit: Noch ist vil der dinge dy man haben sal darczü dy wir nü nicht alle gehaben
mogen Vnnd gesproche Lo4
103 Da noch (Dar nach Me2) sal man mirkin X1 [O], Me2 / Das ander ist Lo4
104 wisheit X1 [OJ, Me2 / licht vnnd wiszheit Lo4
108 icliche X1 [O]; einyede Me2 / etliche Lo4
110 dersele da di sele X1 [O], fehlt Me2 / an derdy sele Lo4
115 alle wege X1 [O], Me2 / alle czit Lo4
118 in di X1 [O], Me2 / in alle dy Lo4
131 Jan X1 [O], Me2, fehlt Lo4
133 meister X1 [O], fehlt Me2 / heilige Lo4
134 vndX1 [O], Me2 / vnd sy Lo4
157 Got Xi [OJ, Me2 / Er Lo4
164 herrin X1 [O], Me2 / herngote Lo4
168 keinen wortin X1 [O], Me2 / keyme warte Lo4
168f. daz he busin vnd pobin allir nature ist vnd X1 [O]; wann er vber alle natur Me2 / das er obir
natur ist vnd obir alle natur Lo4
180f. Jan eime halme X1 [O]; Lücke Me2 / vireckecht Lo4
210 vrme X1 [O]; Lücke Me2, fehlt Lo4
212 bi siner X1 [O]; Lücke Me2, fehlt Lo4
213 got X1 [O]; Lücke Me2, fehlt Lo4
239 ein X1 [O], Me2, fehlt Lo4
240 in derforchte X1 [O]; Lücke Me2 / in denforchten Lo4
246 ir stirbit di sele in gode X1 [O]; stiribt in got dar inn Me2 / stirbet in der sele Lo4
248 in di erdin X1 [O], Me2 / dann czü der erden Lo4
249 vz werdin X1 [O]; es pringt Me2 / von kamen noch werden Lo4
254 f. vr got an den gnadin X 1 [0]; got in gnaden Me2 / vnser herre got an der gnaden_ Lo4
267 Wi X1 [O]; wann wie Me2 / vnd wy Lo4
270 waz Xi [O], Me2 / das Lo4
272 wan X1 [O]; Lücke Me2, fehlt Lo4
289 in deme X1 [O]; im Me2 / in eyme Lo4
294 daz X1 [O]; Lücke Me2 / ein Lo4
295 sint der sonnen X1 [O]; Lücke Me2, fehlt Lo4
300 lichtfon lichte X1 [O], Me2 / licht vnd licht vnd wasser vnd wasser Lo4
302 got der sele X1 [O]; Lücke Me2, fehlt Lo4
304 geminnerit noch gemerit (gegrosit H2) werdin X1 [O]; Lücke Me2 / gemynnert werde vnd
noch genedirt werde Lo4
159
Predigt 95
In der Handschrift Me2 hat ihr Schreiber Lienhart Peuger die Predigt 95A keineswegs
nur abgeschrieben; er hat sie viehnehr ohne Respekt vor dem Wortlaut der Vorlage Y1 Satz
für Satz umgeschrieben und zudem einschneidend gekürzt. Der spirituellen und kateche-
tisch-erbaulichen Begrifflichkeit seiner bairisch-österreichischen Predigtsprache muß die
Eigensprache Eckharts allemal weichen:
8 zweigirhande X1 [O], Lo4 / tzwayerlay Me2 (ebenso 9)
11 forgenclich X1 [O], Lo4 / tzerganklich Me2 (ebenso 31)
11-13 daz man sichforsteit vnd kan sich richtin noch der zit Xi [0 ]; das man vorstet an vorgenglichen
dingen das der mensche sich kan richten noch der czit Lo4 / als da man sich awjf der welt ding
verstet vnd sich dar nach richten chan Me2
15f. der wirdit (wirt Lo4) ein riche (richer Lo4) mensche Xi [O], Lo4 / dem voligt reichtumb Me2
18 taw Lo4; irretum Xi [O] / taw oder ein anvang Me2
25f. ein punc (punt H2; ende Lo4) oder (ober H2) ein ecke Xi [O], Lo4 / ein ekk Me2
29 ein nature gemachitfon nichte Xi [O]; ein naturvon nichte gemacht Lo4 / eingemachte natur
von nichte Me2
33 vnwandilhaftic X1 [O], Lo4 / vnwandelpar Me2
39 lustlicher X1 [O], Lo4 / lawter Me2
39f. daz wir alle vnse lebitage Xi [OJ, Lo4 / das wir es pey all vnserm leben Me2
41 bevinden Xi [O]; bewinden Lo4 / ervarn mügen Me2
41-43 Darumme ist di sele edile daz sich an si stozit beide zit vnd ewikeit X1 [O], Lo4 / Vnd an den
adel der sel stözzt sich tzeit vnd ewicheit Me2
45 heldit si sich an di ewikeit X1 [O], Lo4 / Naigt sy sich aber awff ewige ding Me2
46 - 48 vnd mit der sterke vnd stedikeit vberwindit (vorwind Lo4) si wandilhaftige dinc X 1 [0], Lo4 /
das sy da mit alle wandelpare ding vber wintt Me2
55 ge sprinc X1 [O]; entspring Lo4 / vrsprung Me2
62. oitmudikeit Xi [O], Lo4 / ainmüetichait Me2 (md. Vorlage)
63f. ein forschinde swigen X1 [O], Lo4 / entzige sweig Me2
66 inneclicher X1 [O], Lo4 / andachtichleicher Me2
67 mezze sprechin X1 [O], Lo4 / mezz lesen Me2
68 innekeit X1 [O], Lo4 / andacht Me2 (ebenso 70f., 73, 75)
69 schedelich Xi [O], Lo4 / vnpeschaiden Me2
72 redeliche Xi [O], Lo4 / arnleich Me2 (= ordenliche)
84 williclich Lo4; Lücke Xi / weisleich Me2
87 nutzlichin X1 [O], Lo4 / weisleich Me2
115 f. Dise (dy Lo4) craft sal alle wege (alle czit Lo4) ef gerichtit vnd ef getan werdin gegin godeli-
chime troiste Xi [OJ, Lo4 / Dy chrajft sol albeg awjftan sein gegen dem trast gots Me2
160
Filiation der Handschriften
119f. got schephin oder begrifin mit den nidirsten creftin X1 [O], Lo4 / got mit den nydristen chref.f-
ten pegreijfen Me2
121f. gesnodit vnd geminnerit an vnsime bekentnisse X1 [O]; Lo4 / gesmacht in vnserer vnerchant-
nis Me2
122f. wan wir got bi keinen dingin bekennen noch begrifin inmugin X1 [O], Lo4 / dar vmb das wir
got in chainen gegenwürtigen dingen pegreiffen noch erchennen Me2
168-170 daz he (er Lo4) busin (obir natur ist Lo4) vnd pobin (obir Lo4) allir (alle Lo4) nature ist vnd
(istvnd fehlt Lo4) eine vngenaturte edilkeit hait X1 [O], Lo4 / wann ervberalle naturein vnge-
naturte edel hat Me2
237 Fon disime erwirdigin bekentnisse X1 [O], Lo4 / wann von der erchantnis gots Me2
239 erwirdige X1 [O], Lo4 / wirdige Me2
248f. so inmac da keinJrucht vz werdin (von kamen noch werden Lo4) X1 [0 ], Lo4 / anders es pringt
chainfrucht Me2
252 bekentnisse X1 [OJ, Lo4 / erchantnus Me2
253f. daz vr alle dinc stinkinde werdin di got nicht insint X1 [O], Lo4 / das ir alle ding dy got nicht
sind vnwert wern Me2
257 geprufit X1 [O], Lo4 / erchannt Me2
264 forlasch X1 [O], Lo4 / erlasch Me2
265 recht fanden X1 [O], Lo4 / grechtejunden Me2
267f. forlusit he (es Lo4) ichtforgenclichis gudis X1 [O], Lo4 / vnd verlewst tzeitleich guet Me2
268f. sin herze wil sich wandelin vnd betrubin X1 [O], Lo4 / so wirt sein hertz gewandelt in petrueb-
nis Me2
271f. vnd lidit (ZidLo4) he ez geduldecliche hejordinitgrozir (groz H2, Lo4) lon X1 [O], Lo4 / vnd
leitt es mit gedult vnd geit es got vber so verdient er grazzen lon Me2
276 in vngemache X1 [O], Lo4 / in widerwartichait Me2
277 di boisheit X1 [O], Lo4 / das vbel Me2
279 di boisheit X1 [O], Lo4 / das vbel dervngedult Me2
284f. Das hat im das.für nicht getan das er küpphern ist Lo4; Lücke X1 / vnd das ist im vomjewer
nicht geschehen sunder von seiner vnlawtrichait dar inn er gwesen ist Me2
287 in der pine X1 [O], Lo4 / mit widerwartichait Me2
293f. daz man sich gode glich mache an luterkeit X1 [O], Lo4 / das man sich got gleich mit lawtri-
chait nach vnserm wesenleichen vermügen Me2
299f. einunge di cumitfon glichnisse X1 [O]; eynunge dy komtvon glichen dingen Lo4 / ein ainigung
das von götleichen dingen chümbt Me2
310 vnmezikeit X1 [O], Lo4 / vnmesleichait Me2.
Die gleiche Textform der Handschrift Me2 kennen auch die Melker Exzerptstücke
Me2b, Me3 und Me1. Diese haben jedoch ihren Text nicht aus Me2 bezogen, sondern aus der
Textquelle Y2, der auch die Handschrift Me2 ihren Text verdankt. Zu dieser Annahme nötigt
ihre variierende Nähe zur ursprünglichen Textgestalt, die die Handschriften 0, H2 und Lo4
bewahren:
161
Predigt 95
wandelhafLigiu dinc
H2 wandilhaftige ding
0 wandilhaftige ding
Lo4 wandilhaftige ding
Me2 alle wandelpäre ding vber wintt.
Me2b dy wandelpärn ding
Me3 dy wandelpärn ding
162
Filiation der Handschriften
Das Filiationsverhältnis aller erhaltenen Textzeugen der Predigt 95A veranschaulicht das
nachstehende Stemma:
X1Y1
x,l\v,
ö
/\ /\v,
H2 tl.~
• •
Me 1 Me2b Me3 Me2
• •
Die Fassung B bezeugen sieben Textabschriften; annähernd vollständig sind B7, N1b
und BT, nur Ausschnitte haben N1a, B6, Kai und Fl. Der zeichnerische Aufriß zeigt nachste-
hend den erhaltenen Textbestand der Predigt 95B:
163
Predigt 95
0 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
87
2
N1b
2
BT
N1a
17 139
Ka1 -
65 69 8486 132-134
B6 ala1 -
78 82 -
131 134
FI
25 33 37 41 131 - 139
15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32
B7 i--------------------------- 320
N1b ~ - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
320
BT i---------------------------- 320
N1a
l<a 1
162168 183188 201 207 235 -
275 288
FI -
207 215
Die Handschriften B7, N1b, BT, N1a und B6 lassen sich nur in den beiden Textbereichen
Z. 66-82f. und Z.131-134 vergleichen. In ihnen finden sich zwei Varianten, die Signale
einer genetischen Zusammengehörigkeit der Handschriften B7 und N1b einerseits (X) und
BT, N1a, B6 andererseits (Y) geben:
80 dasprufetmanoderhoretes (es fehlt N1b) B7, N1b / daz höretman N1a, B6, BT
134 das ich weysze (weiz Nib) was er nyt enjst B7, N1b / daz ich nicht enweiz waz er nicht en ist
N1a,B6, BT
164
Filitation der Handschriften
165
Predigt 95
Es fällt auf, daß die letzten vier Y-Varianten weitgehend mit dem Text der A-Fassung über-
einstimmen. Diese Dubletten häufen sich im letzten Teil der Predigt. Da jedoch in diesem
einzig der Basler Taulerdruck als Vertreter des Y-Textes erhalten ist, erscheinen sie als des-
sen Individualvarianten, obwohl sie in Wahrheit bereits der Überlieferungsstufe Y
angehören:
291 Das andere ist wen (swenn Nib) B7, Nib / Das dritt ist wie man BT; Das dritte ist wy man A
(Lo4)
292 da laujfent vier dinge ujf B 7, N 1b / da heljfent vier ding zu BT; da heljfen vir ding czü A (Lo4)
293f. das man sich glich mach godde an aller luterkeyt B7, Nib / daz man sich got gleicher mache
an Lauterkeit als eyn glasz oder als ein durchschynend ding BT; das man sich gote glich mache
an luttirkeit also ein glasz adir durchschinige ding A (Lo4)
296 f. das dae durchschynet die sele B 7, N 1b / das da durchschynet in der Lauterkeit der sele BT; das
da durch schint in der luttirkeit der sele A (Lo4)
297f. durch das glasz B7, Nib / durch daz glaszoderwasser BT; durch das glas adirwasser A (Lo4)
299 - 301 Das dritte ist eynunge die kommet von glichnisse vnd recht eynunge komet von glichen dingen
als licht vnd licht B 7, N 1b / Das dritt ist einung die kompt von gleichnusz vnd von liecht oder
wasser. Einung kompt von gleichen dingen als liecht von liecht oder wasser von wasser BT; Das
dritte ist eynunge dy komt von glichen dingen also licht vnd licht vnd wasser vnd wasser A (Lo4)
303 gemeszen hait B7, N1b / gemessiget hatt BT; gemessigit wirt A (Lo4)
315 gemeze wurdt B7, N1b / gemessiget wirt BT; gemesziget wirt A (Lo4)
317 darzu gefuget (genilgck Nib) nyt ensint B7, N1b / darzu nitt gef,1get seind BT; darczu nicht
gefuget ist A (Lo4).
Da nicht erst am Ende der Predigt, sondern schon zu ihrem Beginn (vgl. Z. 43f., 45, 66)
Merkmale der Kontamination festzustellen sind, muß angenommen werden, daß der Y-
Schreiber die A-Version der Predigt 95 gekannt und diese nach einer Vorlage, die Lo4 nahe
stand, in seine Abschrift eingearbeitet hat.
Innerhalb der Y-Überlieferung sind weitere Verzweigungen feststellbar. Die Textzeugen B6,
BT und Kai beziehen ihren Text von Yvermutlich über die Vorstufe Y1:
66f. man mag (Nia, mochte B7) mit groszer (vil groszer N1a) jnnygkeyt B7, Nia; Lücke N1b /
Men (Einmensch Y2 [BT]) mac mit mere (merer BT) ynnicheit B6, BT, K1a (= Y1)
132 was got sy B7, N1b, N1a / was got (er BT) ist Kai, BT, B6.
Wegen der Kürze des Fragmentes N1a mußte die Existenz einer Vorlage Y1 weitgehend
ungesichert bleiben. Sicherer nachweisen läßt sich indes die Gemeinsamkeit von BT und
Kai, die sie ih&r Vorlage Y2 verdanken, deren Anbindung an Y unmittelbar oder über Y1
anzunehmen ist:
66 Men mach (mochte B7) B6, B7, N1a; Lücke Ni b /Einmensch mag BT, K1a
68 Man (erNia) B7, Nib, Nia / DerpriesterBT, Kai; Lücke B6
216 otmudigk B7, Nib, B6 / demutigBT, N1a, Kai; Lücke B6
166
Filiation der Handschriften
221 ye man yme (ye Nib) me B7, Ni b / So man imye mer BT, Kai; ie mer man im N1a
221 f. ye man syme bekentenisse neher kommet B 7, N 1b / so (ye N 1a) man seiner bekantnusz ye neher
(freier Nia) kompt BT, N1a, Kai; Lücke B6
277 f. die boszheyt (quaetheit B6) der vngedult (der vngedult fehlt B6) en ist (ist B7) ym von (in B6)
der pynen nit an kommen (nitan kamen fehlt N1b) B7, N1b, B6 / die boszheit (bloizheit K1a)
vnd der zorn (zorn der pein BT) kommet jn nit an BT, K1a.
Die drei vollständigen Predigtabschriften B7, N1b und BT, auf die sich in der Hauptsache
die Erstellung des Kritischen Textes stützen muß, sind nicht frei von individuellen
Textabänderungen. Die wenigsten zeigt die Handschrift B 7:
17 ircrigetN1b, N1a, BT / erwirbetB7
82 menschen N1b, N1a, BT / manne B7
86 machen N1b, N1a, BT / gemachen B7
90 erkrieget N1b, N1a, BT / erwirbet B7
96 Di weisheitenmak (mak N1a) N1b, N1a, BT / Diese wiszheytdie enmagk B7
116f. enphahen von got N1b, BT; von got enphahen N1a / von gotentphaen B7
128 immer Nib, Nia, BT / ymmer me B7
148 inne N1b, BT / zu B7
150 sintN1b,BT/sintsintB7
159 vber lieht N 1b, BT / eyn uberlicht B 7
160 vber wesen N 1b, BT / eyn uberwesen B 7
162f. gesprechen N1b, BT / sprechen B7
197 bloz gut N1b, BT / grosze gut B7
202 zv seinem (siner BT) bekantnuzze N1b, BT / by syme bekentenisse B7
257 Sant N1b,.BT / sancta B7
26 if. wart ein arm mensch N 1b, BT / wardt williglich eyn arme mensch B 7
272f. grozzen lon N1b, N1a, BT / groszern Zone B7
304 geminnert nochgemeret N1b, BT / gemeret nachgemynnert B7.
Weit geringere Sorgfalt als B7 hat der Schreiber der Handschrift N 1 b auf die Abschrift
des Textes verwendet:
4 gutB7, BT / gotN1b
5 vndB7,BT,fehltN1b
6 nitB7,BT/nieN1b
6f. in der nackt B7; in ir BT, fehlt N1b
16 doum B7; thun BT, fehlt Nib
49 herre hat B7, Nia, BT / herre der hat N1b
51 nideren knifften B7, N1a, BT / nidersten kreften N1b
62 Das andere B7, BT; vnd N1a / Daz ander ist N1b
167
Predigt 95
63 Das dritte B7, BT, fehlt N1a / Daz dritt ist N1b
63 geruwigk B7; geruwigens N1a; st/iten BT / gerink N1b
66f. Manne mochte mit groszer jnnygkeyt B7; wan man mag mit vil grozzer andacht N1a; Ein
mensch mag mit merer innerkeyt BT, fehlt N1b (Homoioteleuton-Lücke)
99 kette B7, N1a, BT / hat N1b
113 krl!ffi B7, N1a, BT, fehlt N1b
117f. das sie sie B7; daz si N1a; das sy es BT / di si N1b
126 nach diz: zitlich leben vnd eyn andere wise stee (stet N1a, fehlt BT) vmb das B7, BT, N1a, fehlt
N 1b (Homoioteleuton-Li,icke)
132 was B7, N1a, BT / daz N1b
140 das dan B7; denn BT / die dan N1b
147 eyn mensche B7, BT / mensch N1b
151f. got ist uber (vszwendig BT) alle (aller BT) nature B7, BT / leben aller creaturen N1b
168 myt keynen wortten B7, BT / mit keinen dingen N1b
183f. damyt begriffen ich menschliche nature B7, BT /damit begreif ich ein menschlich natur N1b
186 des greuen B7, BT / eins grefen Ni b
196 woB7;LückeBT/wazN1b
199 gipt B7, BT / geb N1b
205 vnflait B7, BT / vlat N1b
208f. dich lobe Da sprach eyn ander Herre (fehlt BT) es (ist B7) zemet dir (fehlt Nia) wol das man
B7, BT, N1a, fehlt N1b (Homoioteleuton-Lücke)
229 das es B7; daz BT / daz ist Nib
234 f. das leuckent sin alzumale B 7, BT / daz laukent ez allen hersin ze mal N 1b
236 algeweldig B7, BT / allergeweltik Nib
277 boszheytB7, BT / blozheitN1b
278-280 nit an kommen (kommet jn nit an BT) Sunder die boszheit wurdt geojfenbaret (gecf./enbaret die
in im ist BT) in der pyn B7, BT, fehlt N1b (Homoioteleuton-Lücke)
287 in der pyne B7, BT / in peinen N1b
.
307 wandelhajftig B7, BT / vnwandelheftik N1b
312f. erhaben uber sich selber B7, BT / vber sich selber erhaben N1b
318 gefuget B7, BT / genugck N1b.
Am stärksten verändert der Basler Tauler-Druck den Text. Allenthalben ist eine redi-
gierende Hand zu erkennen:
2 Eyn mt!}stere spricht B7, N1b / DErvernünfftigSalomon sprach BT
2 eyn gude frauwe B7, N 1b / Die gutfraw BT
5-7 Darumbe enwurdt (enwart N1b) ir liecht nit verleschet (verlischet N1b) in der nackt (in der
nacht fehlt N1b) B7, N1 b / darumb wirt ir liecht nit erl6schen in ir BT
12 EynB7,N1b/DieeinBT
168
Filiation der Handschriften
169
Predigt 95
117f. das (di Ni b) sie sw (fehlt N1b) vort (fitrbaz N1b) in alle die selen (sele N1b) B7, N1b / das sy
es farter in alle die knifft der sel BT
125 f. das es eyn wisz ste B 7, N 1b / Es ist eyn ander weise BT
127-129 want wir muszen immer (N 1b, ymmer me B 7) des dinges hie begynnen zum ersten vnd sal dan
B7, N1b / Wir mßssentymmerdes werckes des ersten anfahenn vnd sollen BT
133 gotB7,N1b/erBT
134f. Want nyeman B7, N1b / Nieman BT
137 auchB7,N1b,fehltBT
140 Eya warumbe ist das (die N1b) dan B7, N1b / Warumb ist denn BT
142 sy wise vnde gut B7, N1b / weisz gut sey BT
144f. das got nyt beslossen (geslozzen N1b) ist in keyner (kein N1b) naturen B7, N1b / dasz gott in
keyner natur beschlossen ist BT
145 itzunt hie (allhie N1b) B7, N1b / hie BT
149f. enmagk kommen an eyn andere nature B7, N1b / kommen mag in kein ander natur BT
152 uberalle nature B7; leben allercreaturen N1b / vszwendig aller natur BT
153f. keynglichnisse nitgegeben B7, N1b / kein eigentlichen namen geben BT
156f. Nun Sprichet sanctus Dionisius B7, Ntb / Nun antwurt Dionysius vnd spricht BT
160 eyn wesen B7, N1b / wesen BT
160 nach über wesen: Er spricht das er ein ewigkeit sey Nein nit. er ist über ewigkeit BT; etc. N 1b,
fehlt B7
191f. viel ist der sacken (sache N1b) B7, N1b / Jch will dir sagen BT
192f. was sal dergude mensche B7, N1b / Herr was sol der mensche BT
193f. was sal der gut stein B 7, N 1b / herr was sol der stein BT
194f. was sal dergude engel B7, N1b / herr was sol derengel BT
195-197 Den engel abe den stein abe den menschen abe Dru eyn abe wo (waz N1b) ist dann B7, N1b /
Thu den engel ab thu den stein ab thu den menschen ab BT
197 got ist B7, N1b / ist gott BT
199f. Das ist darumbe B7, N1b / Darumb BT
200f. daz er keynen (keiner N1b) naturenglich nit enjst B7, N1b / daz im kein naturgleich ist BT
207 sprachB7, N1b / sprichtBT
212 gnadeB7,N1b/ bysz'mirgnedigBT
213 lesterstB7, N1b / belesterstBT
218 genamet B7; geanamet N1b / angefangen BT
224 was eyn Schiffe were B 7, N 1b / von einem schijf BT
225 f. was der mensch sehe er sehe das wol B 7; N 1b / Was der mensch anders sehe er sehe wol BT
227f. Sehe er eynen stein er sehe das wol das eyn stein eyn schijf nit enwere B7, N1b, fehlt BT
(Homoioteleuton-Lücke)
170
Filiation der Handschriften
171
Predigt 95
A - Fassung B - Fassung
X1Y1 XV
• • • • • . •Y2
Me1 ~: Me3 Me2 B6 /\
•
BT
•
Ka1
Textkonstituierung: Für die kritische Erstellung der A-Fassung kann weder O oder H2
noch Lo4 oder Me2 allein Leittext sein, da beide Überlieferungsgruppen (X1 und Y1) je indi-
viduelle Verderbnisse, Lücken, Interpolationen und Textumformungen aufweisen. 0 und
Lo4 zusammen müssen den Kritischen Text stützen. Bei gleichgewichtigen Lesarten schließt
er sich X1 [OJ an. ·
Die Edition der B-Fassung orientiert sich an der Handschrift B7, die einen verläßli-
cheren Text als N1b bietet. Da jedoch X nicht durchweg den Text der Vorlage X/Y bewahrt
hat, muß vom X-Text zugunsten von Y [BT] abgewichen werden, wenn die Kontextrichtig-
keit und der Vergleich mit der A-Fassung gegen die Ursprünglichkeit von X sprechen.
Echtheit: Die Predigt ist durch die Zuweisung in den Handschriften 0, fol. 4ra und H2, fol.
5r an Meister Eckhart (Meistir Echard der alde sagit) als echt gesichert. Ein indirektes Zeug-
nis für ihre Zugehörigkeit zum Werk Eckharts sind auch der Basler Taulerdruck (BT, fol.
242va: Folgen hernach etlich gar subtil vnd trefflich kostlich predigen etlicher fast gelerter
andechtiger vlitter vnd lerern ... Namlich vnd in sunders meister Eckarts ... ) und die Nürn-
berger Handschrift Cent. IV 40 (N 1a, fol. 9rb: Disen sin sprach meister Ekkart in einer predige).
Die Predigt enthält auch einen Rückverweis (siehe Anm. 3), vorausgesetzt, man anerkennt
die Bemerkung Ich h!in gesprochen von zweierleie w'isheit (B-Fassung Z. 8 f.) als einen solchen.
Einen die Echtheit bestätigenden Charakter haben die zahlreichen Text- und Gedankenpar-
allelen zu Eckharts deutschen und lateinischen Werken, unter denen die folgenden hervor-
zuheben sind: 1. Besonders auffällig ist die Nähe der Predigt 95 zur Predigt 32; beide Pre-
digten deuten die Schriftworte im nämlichen Sinne auf das Leben der hl. Elisabeth von
Thüringen (Anm.1 und 41). 2. Ein herausragendes Indiz für Eckharts Autorschaft der Pre-
digt 95 ist die Beschreibung des Weges zur Erlangung der irdischen Weisheit in Anlehnung
an das 12. Kapitel des 'Didascalicon' Hugos von St. Viktor, das Eckhart auch im Johan-
neskommentar zitiert (Anm. 8). 3. Unverkennbar eckhartisch ist die Darlegung der Unmög-
lichkeit, Gott zu erkennen mit Hilfe des glfchnisses (B, Z. 223) vom Schiff. Im Exoduskom-
mentar führt Eckhart dasselbe Vergleichsverfahren am Beispiel des Elefanten durch
172
Echtheit
(Anm. 32). 4. Nicht übersehen werden darf, daß die Predigt 95 die Stellung der Seele zwi-
schen Zeit und Ewigkeit unter Berufung auf einen meister (Ps.-Augustinus) mit annähernd
gleichen Worten beschreibt wie die Predigten 32 und 47 (Anm. 5). 5. Die Predigt 95
gebraucht das 'Exempel vom versilberten Kupferpfennig' in der gleichen Funktion wie der
Johannes- und Sapientia-Kommentar Eckharts (Anm. 46).
Die A-Fassung der Predigt 95 weicht in der Textanordnung und in ihren inhaltli-
chen Aussagen erheblich von B ab. Während sich die Zeilen B 49-53, 93-95, 96-102 und
220-236 in den gedanklichen Aufbau der Predigt organisch einfügen, erscheinen sie in A
(19-24, 54-57, 119-124, 176-182) auffällig verstellt. Nach der thematischen Gliederung
des ersten Abschnittes der Predigt B wird über die zweifache Weisheit (8-18, 93-95), die
Seele (25-48), die Seelenkräfte (49-53) und über die Frage, wie der Mensch die zweifache
Weisheit erlangen kann (58-102), gehandelt. Der Aufbau dieses Predigtteiles kulminiert in
der Darlegung der ersten Weisheit, die mit sehs stücken (60) zu erringen ist, um scelic zu wer-
den in disem libe (91 f.). Mit dem Hi:t;1weis, daß die ander wisheit, die Gott selbst ist, nieman
in disen zitlichen dingen begrifen (96f.) kann, leitet Eckhart bereits zum zweiten Thema des
zweiten Abschnittes der Predigt über. Der Autor der Predigt A weicht von dieser äußeren w:ie
inneren Gliederung entschieden ab: Er erklärt als erstes, daß der zweifachen Weisheit eine
zweifache Seligkeit entspreche, und handelt sogleich von der ersten Weisheit ( 11-18), die er
abwertend als irdischiu wisheit ( 17) hinstellt. Die Aussage von B, daß die erste Weisheit mit
der ewigen wisheit in dem ewigen !ebene volbraht wird (125-130), unterschlägt er. Als näch-
stes weist er in einer blinden Überleitung (Dar umbe 19) auf die zweifachen Kräfte der See-
le hin (19-24), um erst dann über das Wesen der Seele zu sprechen (25-48). In den Mittel-
punkt stellt er die anderwisheit (54), die götliche wisheit (90f.), durch die man ewicliche scelic
wird (54-91). Er läßt sie den Menschen durch eben jene sehs dinc (60) erreichen, von denen
die Predigt B sagt, sie machten den Menschen scelic in disem libe (91f.).
Auch in die Aufzählung der sehs stücke (60), die zur Weisheit führen, greift der A-Redak-
tor gewaltsam in den B-Text ein, wie aus der Gegenüberstellung von A mit dem Text Eck-
harts (B) und seiner lateinischen Vorlage (Hugo von St. Viktor; siehe Anm. 8) zu ersehen ist:
Daz erste ist otmüeticheit Daz erste ist ein otmüetic herze, 1. Mens humilis
daz ander stceter vliz, daz ander ein stcete vliz, 2 .. studium quaerendi
daz dritte innicheit, daz dritte ein geruowic herze, 3. vita quieta
daz vierde ein vorsehende swigen. daz vierde ist ein swigende vorsehen. 4. scrutinium tacitum
Daz vünjte ist ellende. Daz vünjte ist willic armuot. 5. paupertas
Daz sehste ist armuot Daz sehste ist ein vremdez lant 6. terra aliena.
Innicheit und vorsehende swigen ersetzen fälschlich geruowic herze (vita quieta) und
swigende vorsehen (scrutinium tacitum). Nicht ursprünglich ist auch die Umstellung des
fünften (willic armuot) und des sechsten stückes. Den Austausch von vremdez lant durch
ellende dürfte der Kontext (Das sehste ist ein vremdez lant Der in sinem huse ellende künde
gesfn 8 7 f.) angeregt haben.
173
Predigt 95
Im zweiten Teil der Predigt ( 106 - 220) weicht A ebenfalls stark von B ab. Der Text wird
vom Redaktor annähernd auf die Hälfte seines ursprünglichen Umfangs komprimiert, ver-
setzt mit Aussagen auch, die in B fehlen oder B widerstreiten. Die drei Gründe, weshalb die
Hl. Schrift Gott so manigen namen gibt (Daz sint dri sacken B 143), zieht A auf zwei zusam-
men (Daz ist durch zwei dinc A 166). Dabei findet er offensichtlich in Anlehnung an Sätze
in B (Got ist über alle nature und enist selber niht nature B 151f.; Nieman enmac gotes adel
noch sin wirdicheit mit keinen warten begrifen B 167f.) zu der singulären Formulierung, Gott
habe eine ungenaturete edelkeit: Daz eine ist, daz man sinen adel mit keinen warten begrifen
enmac, daz er buzen und hoben aller nature ist und eine ungenaturete edelkeit hat (167-170).
Sie läßt sich in Eckharts lateinischem und deutschem Werk nicht nachweisen. Keinerlei
Stütze bei Eckhart hat auch die Aussage des A-Redaktors, man nenne Gott deswegen diz und
daz (172f.), um auszudrücken, daz er dirre dinge kein eigenlfche ist (173). Eckhart unter-
scheidet immer zwischen der Kreatur als hoc et hoc und Gott als esse ipsum (In loh. n. 60, LW
III, S. 49,13-50,1). Nie bezieht er die diz und daz-Formel auf Gott (vgl. Anm. 27). Dem A-
Redaktor mag die Predigt 'Surrexit autem Saulus de terra' (Quint Pr. 71) bekannt gewesen
sein, auf deren Dionysius-Äußerung er möglicherweise anspielen wollte: er(= Dionysius)
engibet im (= Gott) noch diz noch daz, und er meinet, daz er si neizwaz, daz gar verre dar über
si. Der iht sihet oder vellet iht in din bekennen, daz enist got niht; da von niht, wan er noch diz
noch daz enist (DW III, S. 223,4-6). Mit Eckharts Lehre von der Seele läßt sich auch nicht
der Ausspruch in Einklang bringen, die Seele sei von einem edeln himelischen nihte (38f.).
Er wird in A wie auch in B Augustinus zugeschrieben, und er läßt sich auch bei Augustinus
nachweisen (De. trin. XIV c. 8 n. 11, PL 42,1044: aliquid intimum animae). Doch die Defi-
nition Augustins entspricht nicht dem Text in A, sondern nur dem in B: SantAugustfnus
sprichet, daz diu sele gemachet si von dem aller edelsten und heimlfchesten nihte (37-39).
Himelisch statt heimlfchest erscheint als eine gesuchte und bewußte Abänderung des A-
Redaktors. Dies ist auch deswegen anzunehmen, weil Eckhart die Besti=ung der Seele als
vünkelfn himelischer nature, die von Macrobius in den 'Commentarii in Somnium Scipionis'
I c. 14 n. 19-20 Heraklit zugeschrieben wird (Heraclitus physicus scintillam stellaris essen-
tiae: Sermo LV, 4n. 547, LWIV, S. 458,Anm.9), als unzulänglich ablehnt: Unser meister spre-
chent: diu sele heizet ein viur ... Die andern sprechent, si si ein vünkelfn himelischer nature ...
Dar umbe nennet man sie bf dem blcezesten und bf dem lutersten, und ez enrüeret doch den
gi-unt der sele niht (Pr. 17, DW I, S. 283,4- 284,4). Im zweiten Teil der Predigt findet sich
noch eine weitere markante Textdifferenz zwischen A und B, an der die ursprüngliche Text-
gestalt nur scheinbar in A aufleuchtet:
A, Z.237-241: B, Z.237-242:
Von disem erwirdigen bekantnisse kumet Als diu sele in daz bekantnisse kumet, daz
got also unglich ist allen naturen, so kumet
diu sele in eine erwirdige vorhte, si in ein wunder und wirt wider getriben und
und in der vorhte kumet in ein swigen. Mit der stille senket
wirt got gesrejet in die sele ... sich got in die sele, und mit der gnade wirt
si begozzen ...
174
Aufbau
Das Bild vom Samen, den Gott in die Seele des Menschen sät, ist Eckhart nicht fremd.
Er verwendet es in der Predigt 99 ( Got hat sznen samen geworfen in diesele Z. 7 f.) und in der
Predigt 'Von dem edeln Menschen' (Doch sprichet Origenes, ein groz meister: wan got sel-
berdisen sameningescejetund zngedrücket und fngebornhat ... - DWV, S.111,17-19). Wäre
die Predigt 95A von Eckhart geschrieben, dürften wir in dem Satz in der vorhte wirt got
gescejet in die sele ein weiteres Zeugnis für Eckharts Hochschätzung des 'großen Meisters'
Origenes sehen. Doch gegen Eckharts Autorschaft bestehen erhebliche Zweifel. In den bei-
den Predigten 'Von dem edeln Menschen' und Nr. 99 spricht Eckhart vom Samen, den Gott
in die Seele legt. Die Predigt 95A aber sagt, daß es Gott selbst ist, der in die Seele gescejet
wird. Das ist ganz ungewöhnlich: Gott ist in 95A Objekt und nicht Subjekt des Säens. Ganz
außergewöhnlich aber ist es, daß diese Einsaat Gottes in dervorhte geschehen solle. Die vorh-
te aber ist nach Eckharts Predigt Quint Nr. 69 genauso wie die Freude ein Mittel, das die
einunge (S.166,1) mit Gott hindert: Boethius sprichet: »wilt du die warheit luterlu:he beken-
nen, so lege abe vröude und pzne, vorhte und zuoversiht oder heffenunge«. Vröude und pzne ist
ein mitte~ vorhte und zuoversiht: ez ist allez ein mittel. Die wfle so du ez anesihest und ez dich
wider anesihet, so ensihest du gotes niht (DW III, S.166,2-267,1). Besonders eindringlich
betont die Predigt Quint Nr. 24 die Unmittelbarkeit des göttlichen Einflusses: ... als lange
so der mensche sich under gote entheltet, als lange ist er unmittellfche götlzchen fnvluz
enpfahende bloz flzer gote und enist niht under keinen andern dingen: noch under vorhte noch
under liebe noch under leide.noch under keinen dingen, daz got niht enist (DW I, S. 416,6-9).
Zu bedenken bleibt schließlich die Relation, die zwischen A und B besteht: A will B erset-
zen. Wie der A-Redaktor heimlfch zu himlisch abänderte, so ersetzt er hier senken (refl.)
durch scejen und stille durch vorhte. In A liegt somit nicht eine besonders tiefsinnige For-
mulierung des origenischen Gedankens durch Eckhart vor, sondern das Redigierungspro-
dukt eines eckhartschen Satzes (Mit der stille senket sich got in diesele B 240f.) durch einen
Bearbeiter. Die ganze Predigt 95A kann und muß von Anfang bis zum Ende als eine durch
einen Anonymus gefertigte Umarbeitung einer echten Eckhart-Predigt, nämlich der Pre-
digt 95 B, gelesen werden. Darauf weisen allein schon die Wahl eines neuen Titelverses
(Beatus homo qui invenit sapientiam) und die Neugliederung der Predigt nach dem Thema
der Weisheit (vgl. Aufbau S.177) hin. Darauf weisen aber auch die Eigenheiten der Wort-
wahl und der Syntax hin. Daß dem Bearbeiter die intellektuelle, spirituelle und stilistische
Kompetenz Eckharts nicht zur Verfügung stand, lehrt der Vergleich beider Predigten.
Gleichwohl hat ein bestimmter Zweig der Texttradierung die Predigt 95 A für eine echte
Eckhart-Predigt (siehe 'Paradisus'-Handschriften O und H2) gehalten.
Übersetzungen: keine
Der Aufbau der Predigt 95 B erschließt sich aus zwei Schriftversen, die der Lectio (Prov.
31,10-31) der Messe von einer heiligen Frau, die nicht Märtyrin war (Hl. Elisabeth), ent-
nommen sind: Os suum aperuit sapientiae (Prov. 31,26) und Gustavit, et vidit quia bona est
negotiatio eius (Prov. 31,18). Nach dem Grundmuster der Homilie deutet Eckhart in einem
ersten Abschnitt (Z. 8-102) sapientia = wfsheit; in einem zweiten Abschnitt (Z. 106-290) legt
er aperuit = hat ufgetan aus; in einem dritten und letzten Abschnitt (Z. 291- 320) gibt er noch
eine Kurzexegese von gustavit = smecken.
175
Predigt 95
Der erste Abschnitt ist thematisch unterteilt und wird ausführlich abgehandelt. Eckhart
erklärt zunächst (a = Z. 8-18), daß er zweierleie wfsheit unterscheide, worüber er in anderem
Zusammenhang bereits gesprochen (8) habe: eine Weisheit, diugot ist, und eine Weisheit, diu
got niht (12), aber ein toum (= Duft) götlfchernature (16f.) ist. Dann (b = Z. 25-48) legt er mit
Alcher von Clairvaux (vgl. Pr. 32, DW II, S.133,1-134,4) und Augustinus dar, was die Seele
sei, nämlich: ein ort oder ein ecke, dar ane sich strezet beide zit und ewicheit, und daß sie trotz-
dem eine einzige Natur (ein nature) sei, die aus dem aller edelsten und heimlichesten nihte
(38 f.) gemacht ist, schließlich (c = 49-53), daß Gott der Seele zweierlei Kräfte (nidere krefte
und oberste krefte) gegeben habe. Unter Berufung auf einen ungenannten Meister (Hugo von
St. Viktor) führt er aus, wie (d = Z. 58-92) der Mensch mit sehs dingen (90) die erste Weis-
heit erlangt, mit der man srelic wirt in disem libe (91f.). Die ander wisheit, die got selber (95)
ist, vermag der Mensch indes in disen zitlfchen dingen (96f.) nicht begrifen.
Der zweite Abschnitt (Z.106-290) mit der Deutung von ufgetan gibt Eckhart Gelegen-
heit, sich über die Unbegreiflichkeit Gottes wie über die Erkenntnis Gottes zu äußern, nach-
dem er erklärt hat, daß 'auftun' nichts anderes heißt als die begerunge (Verlangen) in dem
allerhresten aufzutun und in der allerobersten kraft der sele (Z.113f.) zu wohnen. Dies ist mög-
lich, weil diese Kraft Gott verwandt (sippe 114) ist. So kann das, was hier in der Zeit begon-
nen wird, im ewigen Leben durch die Weisheit (erste und ander wisheit) vollendet werden.
Drei Fragen hält Eckhart für nötig zu beantworten: Erstens, was Gott ist. Die Antwort: Dies
weiß niemand, denn Gott kann nur in gotes nature (135f.) erkannt werden. Diese Antwort
provoziert die zweite Frage: Warum gibt die Hl. Schrift Gott dann Namen? Als Antwort
lassen sich, unterstützt durch Meistersprüche, drei Gründe anführen: a) Gott ist in keiner
nature eingeschlossen (Z.144-152), b) mit Gott kann man nichts vergleichen (Z.153-197),
c) zur Erkenntnis Gottes können wir über keinen Vergleich kommen (Z.198-245). Mit der
Frage der Benennbarkeit Gottes hängt auf das engste die Frage zusammen, wie Gott gezie-
mend zu loben sei. Am Zwiegespräch zweier Heiliger verdeutlicht Eckhart, daß wir Gott mit
keinen warten (214f.) loben können; Mit dem glichnisse (223) vom schif zeigt Eckhart das
Paradoxon auf: Je mehr wir Gott leugnen, um so mehr loben wir ihn; je mehr wir Gott
ungliches zulegen, um so näher kommen wir seiner Erkenntnis. Alles was die Hl. Schrift über
Gott sagt, das verneint sie auch wieder (234f.). Die dritte Frage gilt der 'eigentlichen'
Erkenntnis Gottes (Z.237-290); diese ist Schweigen und Sterben der Seele: Mit der Stille
se"nket sich got in die sele (240f.); Daz sterben der sele daz sol sin an dem bekantnisse gotes
(251f.). Das Weizenkorn, das in die Erde fällt und stirbt, ist dafür ein Beispiel und ebenso
auch das Leben der Hl. Elisabeth, die ein arm mensche wurde (261f.). Das Sterben der Seele
soll in dem leide (246) geschehen. Seinen Willen und sein Gut soll der Mensch Gott geben an
der gedult (274f.), die durch pine geprüft wird wie der Kupferpfennig (280-285) durch das
Feuer.
Der dritte Abschnitt (Z. 291-320), dem vielleicht der Anfang fehlt, denn er Setzt mit Der
ander ist (291) ein, ist der Auslegung von gustavit gewidmet. Vier Voraussetzungen sind erfor-
derlich, um göttliche Weisheit zu „schmecken": glichnisse, götlich lieht, einunge, maze. Voll-
kommene wollust (314) empfängt die Seele von Gott, wenn sie erhaben über sich selber (308)
ist; doch nicht alle Seelen „schmecken" Gott gleich. Mit der Bitte, wir möchten so bereitet
sein, daß wir Gott in unserer Seele „schmecken", schließt die Predigt.
176
Aufbau
Der Aufbau der Predigt 95A weicht von dem der Fassung B, die als ursprünglich ange-
sehen werden muß, ab. Vorangesetzt ist Predigt 95A ein neuer Titelvers: Beatus homo qui
invenit sapientiam (Prov. 3,13). Auf ihn und die Auslegung von sapientia ist die ganze Predigt
abgestellt, wodurch sie einen eindeutig thematischen Charakter erhält. Beibehalten wird die
Gliederung der Predigt in drei Abschnitte.
Der erste Abschnitt (Z. 1-91) unterteilt die Weisheit in eine irdische wfsheit ( 17) und in
eine Weisheit (götlfche wfsheit 90f.), durch die man ewiclfche sadic (57) wird. Die sehs dinc
(60): otmüeticheit, stceter vlfz, innicheit (B: geruowic herze), vorsehende swfgen (B: vremdez
lant), die in der B-Fassung der ersten wfsheit zugeordnet erscheinen, da miteman scelic wirt in
disem lwe (B 91f.), betrachtet der A-Redaktor als Voraussetzungen dafür, wie man kamen sol
ze götlfcher wfsheit (90f.).
Der zweite Abschnitt (Z.106-290), der in der B-Fassung der Exegese von aperuit ent-
spricht und bis auf einige Kürzungen und Umstellungen mit B auch inhaltsgleich ist, stellt
sich als Weiterführung des sapientia-Themas dar: Dar nach sol man merken, welche die liute
suln sfn, an die götlfchiu wisheit kumet ( 103-105).
Der dritte Abschnitt (291-320), als solcher auch gegenüber B (Daz ander ist) vom A-
Redaktor bezeichnet (Daz dritte ist), bleibt beim Thema sapientia: wie man 'smecken' sol göt-
lfche wfsheit.
177
Os suum aperuit sapientiae.
A B
'Beatus homo qui invenit sapientiam'. 'Os suum aperuit sapientiae'. Par. 104,5
'Srelic ist der mensche, der da vindet wisheit'. 1 Ein meister sprichet: 'ein guot vrouwe Jo. 72,9
hat ufgetan irn munt der wisheit' und 'hat
gesmecket und gesehen, wie guot der kouf ist
5 und daz gewerbe der ewigen vröuden'. Dar
umbe 'enwart ir lieht niht verleschet in der
naht', daz ist in der naht des widermuotes 2 •
Zuschreibungen: xv (am linken Rand 0) Beatus homo quoniam (quiH2) inuemt sapienciam Meistir
eckart (Echard H2) der alde sahit (sagit H2) hi von zwegerleige wisheit vnd von zweigerleige selekeit di
von in kumit (kumment H2). dat ist von gotlicher wisheit vnd von (fehlt H2) forgenclicher vnd wertli-
cher (werntlicher H2) wisheit 0, H2 (Inhaltsverzeichnis: O,fol. 4ra [Par. an. S. 5], H2,Jol Y)
Überschriften: Sermo de sanctis (in der Zeile) xv (am rechten Rand:) O; Sermo de sanctis (in der
Zeile) de sanctis xv (am linken Rand) H2; Von der wiszheit Lo4 (am linken Rana); Vnd das daz selb wol
geschech dar zW pedarff man der weishait gots da von Salomon spricht Me2 ( Überleitungstext)
1 BEatus homo qui inuenit sapienciam Xi,Jehlt Y1 2 Saüig ist der mensche der da vind wisz-
heit (der weishait vintt Me2) Yi,Jehlt Xi
Zuschrei bungen: Disen sin sprach meister Ekkart in einer predige N1a,Jol9r\ unsichere all-
gemeine Bezeugung in BT,Jol 242"a: Folgen hernach etlich gar subtil vnd trefflich kostlich predigen etli-
cher fast gelerter andechtiger v,hter vnd lerern ... Namlich ~d in sunders meister Eckarts.
Überschriften:Vff sant Elizabeten der heiligen witwen tag / Von zweyerley weyszheit / vnd
wie man hierzu kommen mög oder die selbe erlangen. Jtem warumb gott vnnemlich sey / das ist/ das
man im kein rechten namen schöpfen noch geben mdg. Vnd wie die seel zugötlicher bekantnusz / vnnd
fürbas kommen mög. Warumb gott die seynen hie auff erdtreich mitt leyden versi'lcht / Vnd wie man
götlicher weisen schmacken vnnd pflegen söll / Anfengklich auff die wort. Os suum aperuit sapientie
etc. Gustauit et vidit quia bona est negociatio eius / non extinguitur in nocte lucerna illius. Prouerbi-
orum vltimo. BT
1 OssuumaperuitsapientieBT,fehltN1a,Fl,B6,Ka1,X 2 EynmeysteresprichtX[B7] /DEr
vernünfftig Salomon sprach BT 2 eyn gude X/ Die gut BT 6 enwurdt ( enwart Nib) ir liecht
nit (nie Nib) verleschet X/ wirt ir liecht nit erlöschen BT 6 f. in der nacht B7 / in ir BT,fehlt Nib
1 Prov. 3,13: Beatus homo qui invenit sapientiam. Ph Strauch Par. an. S.104 vermerkt fälschlich
Prov. 13,13. Als ursprüngliches Bibelwort der Predigt mlfß Prov. 31,26 (siehe Anm2) angesehen werden,
das dem Mef]offizium Commune Sanctorum nec Virginis nec Martyris entnommen ist, welches auch der
Festfeier der Hl Elisabeth zum 19. November zugrunde liegt. Vgl Beginn der Predigt Par. an. 34 (= Pr. 32,
DWII, S.132): Considerauit semitas domus sue et panem ociosa non comedit. J n deme buche der wisheit
stent dise wort ge schribin. vnd mac man si predigin fon einir iclichin heligin sele und sundirlichin fon
S'. elizabet. Prov. 3,13 ist nachträglich als neues Schriftwort der A-Redaktion der Predigt vorangestellt wor-
den, wodurch diese den Charakter einer thematischen Predigt über die Weisheit erhält. 2 Prov.} 1,26:
Os suum aperuit sapientiae; Prov. 31,18: Gustavit, et vidit quia bona est negotiatio eius; non extinguetur
in nocte lucerna eius. Zu Z. 5 gewerbe der ewigen vröuden vgl Pr. 72, DW III, S. 240,3 - 5: Swer gotes lere
enpfähen wil, der muoz sich samenen und insliezen in sich selber und sich keren von allen sorgen und
kumbernissen und von dem gewerbe niderr dinge; vgl auch Pr. 86, DWIII, 485,8-13: Mittel ist zwivalt.
178
Os suum aperuit sapientiae
Ez ist zweierhande wisheit, alsö ist ouch Ich han gesprochen von zweierleie wis-
zweierhande srelicheit, diu von der wisheit heit:
kumet. 10
Ein wisheit ist vergenclich, diu ist, daz
man sich verstat und kan sich rihten nach ein diu got ist, diu ander diu got niht enist,
der z'i:t, als etliche kunst ist, daz man sich kan und ist doch von gote als der sch'i:n von der
hüeten vor unglücke und kan sich rihten sunnen.
nach glücke. Swer daz wol kan, der wirt ein 15
r'i:che mensche und heizet srelic von irdi- Diu ist ein gabe gotes und ein toum götH- 15
scher w'i:sheit. Aber irdischiu wisheit ist ein cher nature. Mit dirre wisheit erkrieget man
tou ewiger wisheit 3 • in im, daz man srelic wirt in disem Hbe 3 •
8 Ez ist zweigirhande wisheit Xi / Czweyerhande wiszheit ist Lo4-, Dy weishait ist tzwayerlay Me2
11 f. di ist daz man sich forsteit Xi / das ist das man vorstet an vorgenglichen dingen Lo4; als da man
sich awff der welt ding verstet Me2 12f. vnd kan sich richtin noch der zit Xi / das der mensche
sich kan richten noch der czit Lo4; vnd sich dar nach richten chan Me2 13f. daz man sich kan
hudin for vngelucke Xi/ da man das kan das man sich hüt vor vnglücke Lo4; sich vor vnglükch hüet-
ten chan Me2 14 kan sich Xi/ sich kan YJ 15 glucke YJ / der zit Xi 15 wole Xi,fehlt
Lo4; Lücke Me2 16 rn:ensche vnd Xi/ mensche der mensche Lo4; Lücke Me2 17 Aber Xi,
fehlt YJ 18 taw Lo4; taw oder ein anvang Me2 / irretum X1
12 Eyn X / Die ein BT 16 die X / vnnd BT 16 doum B7 / thun BT, fehlt Nib
18 in yme X,fehlt BT, Nta
Einez ist, ane daz ich in got niht komen enmac: daz ist werk und gewerbe in der zit, und daz enminnert
niht ewige srelde. Werk ist, so man sich üebet von uzen an werken der tugende; aber gewerbe ist, so man
sich mit redelicher bescheidenheit üebet von innen. Daz ander mittel daz ist: bloz sin des selben. Wan
dar umbe sin wir gesetzet in die zit, daz wir von zitlichem vernünftigen gewerbe gotes nreher und glicher
werden; S. 486,Jf: wan, swer da würket in dem liebte, der gat i1f in got, vri und bloz alles mittels: sin lieht
ist sin gewerbe, und sin gewerbe ist sin lieht; S. 486,iOf: Diu sele hat dri wege in got. Der eine ist: mit
manicvaltigem gewerbe, mit brinnender minne in allen creatfuen got suochen; S. 491,6f: Martha was so
weselich, daz sie ir gewerp niht enhinderte; werk und gewerp leitte sie ze ewiger srelde. 3 Vgl
Pr.112, DWIv, Z. 57-65: Diu wisheit ist zweierleie. Diu eine ist natiurlich, daz man sich kan rihten nach
der zit nach wandelhaftigen dii:igen. Dar zuo hat der mensche vrie willekür, daz er die wisheit mac keren
ze gote oder ze vergenclichen dingen. Diu ander wisheit kumet von gotes gegenwerticheit und von gotes
bekantnisse: die enmac man ze nihte keren dan ze gote. Wisheit ist der grresten dinge ein, diu got gege-
ben mac. Diu selbe srelicheit, diu got selber ist und hat, der wirt der mensche teilhaftic mit der wisheit.
Daz ist gotes srelicheit, daz er sich selber durnehticliche bekennet und minnet und wollust hat. Mit der
selben srelicheit wirt der mensche belehenet von gote, daz er got bekennet und minnet und gebr-0.chun-
ge an siner wollust hat. - Zu Z.16 B toum vgl Gen. 27,28: Det tibi Deus de rore caeli; vgl dazu In Gen. I
n. 286. 287, LWI, S. 420,10 und S. 421,7-8: Det tibi deus de rore caeli et de pinguedine terrae abundantiam
(Gen. 27,28) ... Secundo notandum quod non solum spiritualia et aeterna sunt a deo sicut a creatore sicut
et largitore, verum etiam et bona temporalia; vgl auch Pr. 54b, DWII, S. 568, 4f: Daz kumet von dem brä-
deme (= Dunst) oder von dem toume (= Duft) des wirres. - Wenn die Bemerkung Z. 8 B Ich hän gespro-
179
Predigt 95
Einmeister sprichet: diuseleistein 25 Ein meister sprichet, daz diu sele s't ein
punct oder ein ecke, da sich ane stmzet ort oder ein ecke, dar ane sich stmzet beide
z'tt und ewicheit, und diu sele enist doch niht zit und ewicheit, und si enist doch weder
von z'tt noch von ewicheit gemachet, sunder von z'tt noch von ewicheit gemachet, sunder
si ist ein nature, gemachet von nihte, zwi- si ist ein nature, gemachet von nihte, zwi-
schen in beiden. Wrere si von der zit gema- 30 sehen in beiden. Wrere si von der z'tt gema- 20
chet, so wrere si vergenclich. W rere ouch diu chet, so wrere si vergenclich. W rere si 15
sele von der ewicheit gemachet, so wrere si aber von der ewicheit gemachet, so wrere si
unwandelhaftic 5 . unwandelhaftic 5•
19 vnse herre got Xi / vnser herre Lo4; got Me2 22f. obirsten kreften Yi / vbirstin Xi
25 f. ein punc (punt H2) oder (ober H2) ein ecke Xi / ein ende adir ein ecke Lo4; ein ekk Me2
26 da sich ane Xi / dar an sich Y1 29 ein nature gemachit fon nichte X1 / ein natur von nichte
gemacht Lo4; ein gemachte natur von nichte Me2
26 stosset BT, Fl / sturet B7; storen Nib;fehlt N1a 27 doch weder B7, N1a, Fl / doch niht
wederN1b;dochnitBT 30 Wrere ... 36 unvergenclichjehltBT
chen den Charakter eines Rückverweises hat, dann ist nicht ausgeschlossen, dqj] Eckhart in der Predigt 95
an Predigt 112 erinnert; vgl. Pr.105, DWrv, Z. 2: Ich han gesprochen in einer predige. - Z.16f A: Das Syn-
tagma irdischiu wisheit begegnet nur hier in Predigt 95 A. 4 Zu Z. 19-24 A = 49- 53 B vgl RdU,
DW V, S. 270,11-271,3: Sich, da solt du zwei dinc merken an dir, diu ouch unser herre an im hate. Er hate
die obersten und die nidersten krefte; die haten ouch zwei werk: sine obersten krefte die haten eine
besitzunge und eine gebruchunge ewiger srelicheit. Aber die nidersten krefte waren in den selben stun-
den in dem meisten lidenne und stritenne uf der erde, und der werke keinez enhinderte daz ander an
sinem vürwurfe. 5 Vgl Pr.23, DW I, S.404,5-405,3: ... wan sant Augusdnus sprichet in dem
buoche 'von der sele und von dem geiste': diu sele ist geschaffen als Af ein ort zwischen zit und ewicheit.
Mit den nidersten sinnen nach der zit üebet si zitlichiu dinc; nach der obersten kraft begrifet und
enpfindet si ane zit ewigiu dinc; Pr. 32, DWII, S.133,1-134,4: Ein alter meister sprichet, daz diu sele ist
gemachet enmitten zwischen einem und zwein. Daz ein ist diu ewicheit, diu sich alle zit aleine heltet
und einvar ist. Diu zwei daz ist diu zit, diu sich wandelt und manicvaltiget. Er wil sprechen, daz diu sele
mit den obersten kreften rüeret die ewicheit, daz ist got, und mit den nidersten kreften rüeret si die zit,
und da von wirt si wandelhaftic und geneiget Af liphaftiu dinc, und da von wirt si entedelt; Pr. 47, DW
II, S 404,2-405,3: Da von ist ein sele edeler dan alliu liplichiu dinc, swie edel sie joch sin. Diu sele ist
geschaffen als in einem orte zwischen zit und ewicheit, die si beide rüerende ist. Mit den obersten kref-
ten rüeret si die ewicheit, aber mit den nidersten kreften rüeret si die zit. Sehet, also würket si in der zit
niht nach der zit, mer: nach der ewicheit. Vgl Ps.-Augustinus De spiritu et anima c.47, PL 40,814:
180
Os suum aperuit sapientiae
Sant A ugusdn us sprichet: diu sele Sant Augustin us sprichet, daz diu sele
ist gemachet von einem also edeln gemachet si von dem aller edelsten und 25
himelischen nihte, daz ez lustlicher ist, daz heimlichesten nihte, daz ez vil lustlicher ist,
wir alle unser lebetage dar nach vorsehen, 40 alle unser lebetage dar nach ze vorschenne,
dan daz wir ez iemer bevinden6. Dar umbe dan daz wir ez iemer bevinden mügen 6. Dar
ist diu sele edel, daz sich an sie strezet umbe ist diu sele als edel, daz an sie strezet
beide zit und ewicheit. Neiget si sich uf beide zit und ewicheit. Neiget si sich uf diu
z1tl1chiu dinc, sö wirt si unstiete. zitlichen dinc, sö wirt si vervinstert.
37 Sanctus augustinus spricht Lo4; Vber das spricht sand Augenstin Me2 / Augustinus Xi
38 ist gemacht Y1 / ist Xi
34 Herumbe X/ dar "0n N1a; Lücke BT 35 want X/ vnd N1a; Lücke BT 36 vnuer-
genglich X/ ist vnzergenchlich N1a; Lücke BT 39 das es viel luschtlicher ist X/ Darumb ist es
vil lustlicher BT; vnd daz vnz vil lusticlicher sei N1a,.fehlt Fl 41 befynden mogen X/ empfinden
BT; me begriffen N1a 43f. uff die zitlichen dinge X/ auff zeitliche ding BT, N1a 44 ver-
vinstert N1a / verdorstert X; wandelhafftig BT
Humanus animus quasi in medio collocatus quadam conditionis suae excellentia, et huic mutabilitati
quae deorsum est supereminet, et ad illam quae est apud Deum, veram immutabilitatem necdum per-
tingit; vgl. auch Liber de causis prop. 2 in com. (ed. Bardenhewer S.165,7-9): Esse autem quod est post
aeternitatem et supra tempus est anima, quoniam est in horizonte aeternitatis inferius et supra tempus;
vgl. auchAlbertus M. De anima lib. 1, tr. 2, c. 2 (Ed. Colon. VII,1 S.22,77-79): Et Plato quidem in
Timaeo dicit animam esse quasi naturam mediam inter intelligentias et naturam; ebda. c. 4 (Ed. Colon.
VII,1 S.26,75-80): et hoc voluerunt dicere summi philosophi, quando dixerunt eam esse ante natu-
ram et post intelligentiam in horizonte aeternitatis et temporis, quoniam tempus accedit ad mutabilita-
tem subiecti et materiae naturalis, quae determinata est quantitate. 6 Vgl. Pr. }2, DWII, S.1}7,1-4:
Sant Augustin us sprichet, daz diu sele also edel ist und also hohe ist geschaffen über alle creature, daz
kein vergenclich dinc, daz an dem jüngesten tage vergän sol, in die sele gesprechen enmac noch würken
ane underscheit und ane boten; Pr. 4}, DW II, S. }25,12- }26,1: Dar umbe sprichet ein meister: ez ist
neizwaz gar heimliches, daz dar über ist, daz ist daz houbet der sele. Da geschihet diu rehte einunge zwi-
schen gote und der sele; Pr. 7,DWI, S.12},6-11: Ein meister sprichet ein schrene wart, daz neizwaz gar
heimliches und verborgens und verre dar enboben ist in der sele, da uzbrechent die krefte vernünfticheit
und wille; Sant Augustinus spric:\J.et: als daz unsprechelich ist, da der sun uzbrichet von dem vater in
dem ersten uzbruche, also ist neizwaz gar heimlkhes dar enboben dem ersten uzbruche, da uzbrechent
vernünfticheit und wille; vgl. auch Sermo XLVII n. 482, LW IV, S.}97,12-}98,1: Nota quomodo secun-
dum Augustin um aliquid intimum nobis, scilicet animae, est, ubi nihil intrat corporale aut figuram
habens corporis, quod soli deo dicatum est; vgl. dazu LW W, S. }97, Anm. 4. Vgl auch Pr. 7, DW I,
S.121,1-4: Ein meister sprichet: daz hrehste werk, daz got ie geworhte an allen creaturen, daz ist barm-
herzicheit. Daz heimlkheste und daz verborgenste, dennoch daz er an den engeln ie geworhte, daz wirt
ufgetragen in barmherzicheit, daz werk barmherzicheit, als ez in im selber ist und als ez in gote ist.
181
Predigt 95
Heltet si sich an die ewicheit, so wirt si strete 45 Und heltet si sich an diu ewigen dinc, so wirt Jo. 73, 1
und stark. Und mit der sterke und si stark und strete. Mit der sterke und mit der
streticheit überwindet s1 wandelhaf- streticheit so überwindet si alliu wandelhaf-
tigiu dinc 7. tigiu dinc 7 •
Got unser herre hat der sele ze hilfe
50 gegeben zweierleie krefte, daz si mit den
nidern kreften diene gote in der zit und daz
si mit den obersten kreften diene gote in der 5
ewicheit.
Diu ander wisheit ist ewic und ist em
gesprinc der götlichen klarheit und ein 55
brunne götlicher warheit. Und von dirre
wisheit wirt man ewicliche srelic.
Ein meister 8 wart gevraget, wie man
Der ze dirre wisheit komen sol , der muoz
8 komen sol ze der wisheit. Under andern
haben sehs dinc an im. 60 stücken beschribet er sehs, diu der mensche
sol haben.
54 vnd ist Y1 / vnd di wisheit ist X1 54f. ein ge sprinc der gotlichin clarheit X1 / ein ent-
spring (vrsprung 1Vfe2) götlicher clarheid Y1 56 vnd X1, fehlt Y1 59 sal Y1 / wil X1
60 haben sechs ding an öm Lo4; sechs ding an im haben Me2 (vgl. B) / habin X1
45 die ewigen dinge X/ die ewigkeyt BT, N1a 46 mit der [2] N1b, BT, fehlt B7, N1a
49 Got vnsere herre X/ Vnser her got BT; Vnser herre N1a 59 komcn suUe B7 / kumen solt N1b,
N1a; möchte kommen RT 60 beschribet er sehs X/ schreibct er (er vnz N1a) sechs stuck BT, N1a
7 Vgl. RdU, DW V, S.212,12-213,5: Ez sint zwene menschen: der ein mensche si also, daz kein
gebreste an in stozc oder wenic; aber der ander ist also, daz an in stozent die gebresten. Von der üzern
gegenwerticheit der dinge so wirt sin {\zer mensche beweget ... Aber mit sinen obersten kreften so stat
er zemale strete, unbeweget und enwil niht des gebresten tuon . . . 8 Zu Z. 58-92 B = Z. 59-91 A
vgl. In lohn. 685, LW III, S. 600,5-17: Chrysostomus vero aliam ponit causam, quare Pilatus non ex-
spectavcrit audire, quid esset veritas. Docere enim et discere veritatem, sive quid sit veritas, et tempus
requirit longius et quietum; tune autem et tempus erat breve et inquietum, Eccli. 38 (Eccli. 38,25): 'sapi-
entiam scribe in tempore vacuitatis, et qui minoratur actu, percipiet sapientiam'. Et philosoph us dicit
quod anima sedendo et quiescendo fit prudens. Et Hugo de Sancto Victore in Didascalicon libro sie
ait: »mens humilis, studium quaerendi, vita quieta, scrutinium tacitum, paupertas, terra aliena: haec
reserare solent multis secreta legendi«. Iuxta quod poeta ait: »carmina proveniunt animo deducta sere-
no«, et post ibidem: »carmina secessum scribentis et otia quaerunt«; vgl. Hugo v. St. Victor Didasc.
III c.12 (ed.ButtimerS.61,10-19 [=Didasc.III c.12,PL 176,773 B]):Sapiens quidam cum de modo et
forma discendi interrogaretur: Mens, inquit, humilis, studium quaercndi, vita quieta, scrutinium taci-
tum, paupertas, tcrra aliena, haec reserare solent multis obscura legendi. Audierat, puto, quod dictum est:
Mores ornant scientiam, et ideo praeeeptis legendi, praecepta quoque vivendi, adiungit, ut et modum
vitae suae et studii sui rationem lector agnoscat. Illaudabilis est scientia quam vita maculat impudica. Et
182
Os suum aperuit sapientiae
25 Daz erste ist 6tmüeticheit, daz ander stceter Daz erste ist ein 6tmüetic herze, daz ander
vliz, daz dritte innicheit, daz viertle ein vor- ein stcete vliz, daz dritte ein geruowic herze,
sehende swigen. daz viertle ist ein swigende vorsehen.
10 Kein werk ist s6 volkomen, ez enhindere 65 Wan kein werk ist s6 volkomen, ez enhin-
die innicheit. Man mac inniclicher messe dere die innicheit. Man möhte mit grcezer
hceren dan messe sprechen. 'iVolte ein prie- innicheit messe hceren dan messe sprechen.
ster ze vil innicheit suochen in der messe, er Man möhte s6 gr6z innicheit haben an der
möhte tuon daz schedelich wcere. rnesse, man tcete, daz schedelich wcere.
Min rät 9 ist, daz man vor und nach inni- 70
cheit suoche, und swenne man ein werk tuon
welle, daz man daz redeliche tuo. Walte ein
prediger irmicheit suochen an der predige,
er möhte sine rede niht wol getuon. Mir
genüeget wol, daz ich halb also vil innicheit 75
hcete in der predige, als ich haben mac, als
ich si bedenke.
62 Das erste ist otmütikeit (ainmüetiehait Me2) Y1 (vgl. B) / oitmudikeit X1 62f. Das ander
stete (stäter Me2) flisz Y1 (vgl. B) / vnd stedin fliez X1 63 Das dritt ynnichait Me2 / vnd ynnikeit
Lo4,fehlt X1 63f. daz viertle ein vorsehende swigen / Das vierd entzige sweig Me2 (vgl. B); vnd
ein vorsehende swigen Lo4, X1 68 zu vile innekeit suchin in der messe X1 / suchen czü vel ynni-
keit an der messe Lo4; in der mezz ze vil andacht suehen Me2 70 Min rat ist Lo4; Dar vmb ist mein
rat iVle2 / Der beiste rait ist X1 71f. wan man ein werk thün wel Lo4 / wan man ein tu X1; was
werch man tue Me2 72 VVolte ... 86 gesinfehlt X1 72-74 Wolde ein prediger ynnikeit
suchen an der predigate er mochte sine rede nicht wol gethün Lo4 / Wolt ich andacht in meiner predig
suehen ich wurd gehintert an meinen warten Me2; Lücke X1 74 mir Lo4 / Mich 1\!Ie2; Lücke X1
75- 77 das ich halb also vel ynnikeit bette in der predigate also ich haben mag also ich sy bedenke Lo4
/ das ich in der predig wär als vil andacht hab das ich sy pedenkch Me2; Lücke X1
62 Das erste ist X / Das ein ist BT; daz ist N1a 62 otmudig X / demütig BT, N1a
63 eyn stede flisze B7 / ein steter fleiz N1b; einen steten fleiz N1a; ein stäten fleysz BT 65 want X,
fehlt BT, N1a 66f. Manne mochte mit groszer jnnygkeyt B7 / Men mach mit mere ynnicheit B6;
wan man mag mit vil grozzer andacht N1a; Einmensch mag mit merer innerkeyt BT, Ka1;fehlt 1V1b
68 Man mochte X/ wan er mak N1a; Der priester möchte BT, Kai 69 man X/ er BT, Kai, N1a
idcirco summopere cavendum ei qui quaerit scientiam, ut non negligat disciplinam. Eckhartfolgt in der
Aufzählung der sehs stücke, diu der mensche sol haben genau der im 'Didascalicon' Hugos v. St. Vik-
tor vorgegebenen Reihenfolge: 1. Z. 62 Bein 6tmüetic herze"" mens humilis; 2. Z. 63 Bein stcete vliz"" stu-
dium; 3. Z. 63 Bein geruowic herze"" vita quieta; 4. Z. 64 Bein swigende vorsehen"" scrutinium Lacitum;
5. Z. 84 B willic armuot"" paupertas; 6. Z. 87 Bein vremdez lant"" terra aliena. 9 Z. 70- 77 A: Es ist
nicht auszuschlirjJen, daß der hier gegebene Rat, der sich nicht in B findet, eine Interpolation des A-Redak-
tors ist.
183
Predigt 95
84 fümfft Me2, fehlt Lo4; Lücke Xt 84 williclich Lo4 / weisleich Me2; Lücke Xi
86 gesin Lo4 / sein Me~ Lücke Xt 87 Das sechste ist armüte Yt / Ermude horit ouch zu godeli-
chir wisheit Xi 88 der sich aller Y1 / der sich allir der Xt 88f. di got nicht in sint Xi/ der
got nicht sy Lo4; das got nicht ist Me2 90f. Dis ist wi man komen sal czü götlicher wiszheit Lo4 /
Das ist also gesagt wie man zw götleicher weishait chömen sol Me2,fehlt Xi 91 nach wisheit:
Noch ist vil der dinge dy man haben sal darczü dy wir nü nicht alle gehaben mogen Vnnd gespreche Lo4
78 want X,jehlt BT, N1a 80 höret man BT, N1a / prufet man oder horet es {fehlt Ntb) X
85 · arme kann X, Kat / kan arm BT, Nta 87 Das sehste X/ Das sechst Daz BT, Nta 88
elende kunde gesin X/ kan ellend sein BT; enlend chan sein N1a 88f. were gerecht (reht Ntb)
armude X/ ist gut BT, N1a 93f. eyn jnflusze gotlicher clarheyt X/ ein ynproperliche klarheit BT;
eininprophiernN1a 94 istX,jehltBT,Nta 96f. enmagknyeman ... begrifenX/magman
... nitt begryffenn BT, Nta 97f. Der mensche der were hartte dorechte X/ Der mensch were fast
torecht BT; wan der mensch wan der mensch (0 wer hart thöret Nta
10 Zu Z.93-95 B= Z. 54- 57 A vgl Pr. 81, DWIII, S.400,10-401,2:Als alle lidemreze sich vröuwent
von dem lebene der sele, also werdent alle die krefte der sele ervüllet und ervröuwet von dem lutern
invluzze der gnade unsers herren; wan diu gnade heltet sich ze gote als der schm der sunnen ze der sun-
nen und ist ein mit im und bringet die sele in daz götliche wesen und machet sie gotvar und daz si
smecket götlicher edelkeit. Diu sele, diu enpfangen hat den invluz götlicher gnade und smecket göt-
licher edelkeit, der wirt bitter und unmrere allez, daz got niht enist.
184
Os suum aperuit sapientiae
106f. Os suum aperuit sapiencie Lo4,jehlt 1Vle2, Xi 108 icliche Xi/ etliche Lo4; ein yede
Me2 110 der sele da di sele Xi/ an der dy sele Lo4,jehlt Me2
99-101 der mit den nyddcrsten krefften got wolde begriffen X/ der jn mit den nidersten kreff-
tenn begryffen w/\lte BT; der got wegriffen w/\lt mit den nider creften der sel Nia 101f. Got der
belibet vnbegriffen von allen creaturen X/ kein (wan chein Nia) creatur mag got bcgryffenn BT, Nia
111 Das enjsL anders nyt dann X/ das ist BT; Daz auf tun meint nicht anders wan Nia
11 Vgl. Pr. 32, DW II, S.145,4-7: Götlichiu s1Elicheit liget an drin dingen: daz isL an bekantnisse, daz
er sich selben endeliche bekennet, daz ander vriheit, daz er unbegriffen und unbetwungen blibet von
aller siner creatilre, und an volkomener genüegede, daz er sich selben und aller creature genüeget; Pr. 61,
DWIII, S. 37,5-38,1: Daz ander bekantnisse ist geistlicher, daz mac man haben sunder gegenwürticheit,
also daz ich einen vriunt bekenne über tusent mile, den ich vor gesehen han. Ich muoz in aber begrifen
mit glichnisse, daz ist: an den kleidern und an dem gestaltnisse und an der stat und an der zit; daz ist
grop und ist auch matericlich. An disem bekantnisse enmac man got niht bekennen; man enmac in mit
der stat noch mit zit noch mit varwe niht begrifen. 12 Vgl. Z. 2f Bund Anm. 2. 13 Vgl. Pr. 32,
DW II, S.146,2f: Dise stige sol auch besehen ein ieglichiu s1Eligiu sele; Pr. 87, DW IV, S. 27,63-65: Da von
wirt diu sele s1Eliger dan der lip unsers herren Jesu Kristi ane sine sele und ane sine gotheit, wan ein ieg-
lichiu s1Eligiu sele ist edeler dan der tcetliche lip unsers herren Jesu Kristi. 14 Vgl. Pr. 53, DW II,
S. 537,4-8: Der prophete sprichet: 'der herre hat uzgesant sine hant' und meinet den heiligen geist. Nu
sprichet er: 'er hat gerüeret minen munt' und sprichet zehant: 'er hat mir zuogesprochen'. Der munt der
sele ist daz oberste teil der sele, daz meinet si und sprichet: 'er hat sin wort in minen munt geleget' - daz
ist der kus der sele: da ist munt ze munde kamen, da gebirt der vater sinen sun in die sele, und da ist ir
'zuogesprochen'. - Zu laben vgl. Pr. 72, DWIII, S.247,4f: Daz gelobete unser herre, daz 'er siniu schaf
laben wölte uf dem berge an einem grüenen grase' (Ez. 34,14); vgl. auch VeM, DWV, S.111,23-112,2: so
der mensche ... labet sich noch mit milche. 15 Vgl. Pr. 54, DW II, S. 567,2- 5: Daz viertle, daz er
meinet, daz 'er siniu ougen von unden ufhuop', da meinet er, daz wir mit ganzem herzen ufklimmen süln
mit begerunge ze dem himel und in in und süln alle unser begerunge legen uf got und uf die hcehste
hcehe ...
185
Predigt 95
114 die X/ Wann die krafft BT, N1a 114 er sich X/ sich gott BT; got N1a 116 vnd
wiszheyde X,fehlt BT, N1a 117 f. das sie sie vort B7 / das sy es fürter BT; daz si furbaz N1a; di si
furbaz Ntb 118 all di sele Ntb / alle die selen B7; alle ander sel N1a; alle die krefft der sel BT
16 Vgl Pr.40, DWII, S.279,5-280,5: Nu sprichet er: 'srelic ist der man'. Diu kraft, diu in der sele ist,
diu der man heizet, daz ist diu oberste kraft der sele, in der got blöz liuhtet; wan in die kraft enkumet
niht anders wan got, und diu kraft ist alle z'lt in gote ... Und dar umbe sölte der mensche alle zit wonen
in. der kraft, wan alliu dinc in der kraft glich sint; Pr. 27, DW II, S. 52,11- 53,3: Aleine du des sprechen-
nes niht enhrerest noch enverstast, doch so ist ein kraft in der sele - von der sprach ich, do ich nu hie
predigete -, diu ist also abegescheiden und also luter in ir selben und ist sippe götlicher nature, und in
der kraft wirt ez verstanden. Dannen von sprichet er ouch gar wol: 'da von han ich iu geoffenbaret allez,
daz ich gehreret han von minem vater'; Pr. 29, DW II, S. 88,3- 7: Die wile in die sele iht blicken mac
dehein underscheit von deheinen geschaffenen dingen, daz ist ir ein untrost. Ich spriche, als ich me
gesprochen han: da diu sele ir natiurlich geschaffen wesen hat, da enist kein warheit. Ich spriche, daz
etwaz obe der sele geschaffener nature ist. Und etliche pfaffen die enverstant des niht, daz etwaz si, daz
gote also sippe ist und also ein ist. 17 Vgl Pr.20a, DW I, S. 327,7-328,4: Nu sprichet ein heilige
von einer gotminnender sele, daz si got twinget alles, des si wil, und vertreret in alzemale, daz er ir niht
versagen enmac allez, daz er ist. Er nam sich ein wis und gap sich ein ander wis; er nam sich got und
menschen und gap sich got und menschen einen andern sich in einem verborgenen vezzeline. Vgl. wei-
ter Pr. 3, DW I, S. 51,Jf: Die meister sprechent, diu wisheit, die wir hie lernen, diu süle uns dort bliben;
Pr. 80, DW III, S. 387,2-388,1: Also geschihet der sele: als sie got in sich ziuhet, so wirt si gewandelt in
got, also daz diu sele götlich wirt und got niht sele. Da verliuset diu sele irn namen und ir kraft und niht
186
Os suum. aperuit sapientiae
Ein meister sprichet: allez daz man von Ein meister sprach ze dem andern:
gote gesprechen mac, daz ist got. Ein ander weist du iht, waz got si? Nein, sprach er, ich
meister sprichet: allez daz man gesprechen enweiz niht, waz got si. Also vil weiz ich von
mac, daz enist got niht. Und habent beide im, daz ich weiz, waz er niht enist, wan
Par. 105,1 war 18 . 135 nieman enmac got bekennen dan in gotes
natfue 19 .
Nach nieman enmac auch in einer andern
Jo. 74,1 nature lebendic werden, er ensi in sin selbes
nature ze dem ersten töt20 •
131 Ein meister Xi/ Ein heylige Y1 132f. Einander meister Xi/ Einander heilige Lo4;
vnd ein anderer Me2 134 got nicht Xi / nicht got Y1
134 ich weisze X/ ich enweiz Fl; ich nicht en weiz N1a, B6; ich nitt weisz BT, Kai 139 zum
ersten X,jehlt BT, N1a, Fl
irn willen und niht ir sin. Da blibet diu sele an gote, als got an im selber blibet. Da von sprichet bischof
Albreht: in dem willen, da der mensche inne stirbet, da sol er ewicliche inne bliben; Schwester Katre~
Pf, S. 455,31f: Her uf sprich et sant Augustin us: als verre als wir hie erkennen unde minnen, daz sulle wir
ewicliche niezen. Vgl. auch Thomas S. theoL II-II q.182 a. 2: Praeterea, vita contemplativa est quaedam
inchoatio futurae felicitatis. Unde super illud Ioan. 21 [Ioh21,22}: Sie eum volo manere donec veniam,
dicit Augustinus: Hoc apertius dici potest: Pe,fecta me sequatur actio, informata meae passionis exemplo:
inchoata vero contemplatio maneat donec venio, pe,ficienda cum venero. Et Gregorius dicit, super Ezech,
quod contemplativa vita hie incipitur, ut in caelesti patria pe,jiciatur; vgl. auch S. theol. I q. 89 a. 5: Utrum
habitus scientiae hie acquisitae remaneat in anima separata. a. 6: Utrum actus scientiae hie acquisitae
maneat in anima separata. 18 Zu Z.131-135 A vgl. Tr. II, Pf, S.385,20-23: Ez sprichet ein heilig:
allez, daz man gesprechen mac von gote, daz ist got niht. So sprichet einander heilig: allez, daz man
gesprechen mac von gote, daz ist got. Dar Af sprich et ein grozer meister (= Meister Eckhart), daz sie bei-
de war haben. 19 Vgl. Pr.20a,DWI, S.330,5-9:SantAugustinus sprichet: waz man von gotespri-
chet, daz enist niht war, und waz man von im niht ensprichet, daz ist war. Swaz man sprichet, daz got si,
des enist er niht; waz man von im niht ensprichet, daz ist er eigenlicher, dan daz man sprichet, daz er si.
Vgl auchinExod. n.184, LW II, S.158,8-15: »Idcirco convenerunt sapientes«, ut ait Rabbi Moyses,
»quod scientiae non apprehenderunt creatorem, et non apprehendit quid est nisi ipse, et apprehensio
nostra respectu ipsius est defectus appropinquandi apprehensioni ipsius«. Unde et Plato, ut scribit
Macro bius, cum de deo »loqui esset animatus, dicere quid sit non ausus est, hoc solum de ipso sciens
quod sciri qualis sit ab hominibus non possit«. Et secundum hoc verificatur »illud Socraticum: hoc scio
quod nescio«, quasi dicat: hoc solum de deo scio quod ipsum nescio. 20 Vgl. Pr.45, DW II,
S. 364,5 - 365,2: Wie sol der mensche sin, der got schouwen sol? Er sol tot sin. Unser herre sprichet: 'nie-
man enmac mich gesehen und leben'. Nu sprichet sant Gregori us: der ist tot, der der werlt tot ist. Nu
prüevet selbe, wie ein tote si und wie wenic ez in allez berüeret, daz in der werlt ist. Stirbet man dirre
werlt, man enstirbet gote niht; vgl. auch Sermo XLVII,1 n. 486, LWIV, S. 401,4-13: Ecce secundum prin-
cipale quod ad rectam intentionem requiritur, scilicet mentis ad superna suspensio, lob 7 aob 7,15): 'sus-
pendium elegit anima mea'; sequitur: 'et martern ossa mea'. Qui enim perfecte ad divina vult suspendi,
<lebet huic saeculo mori, Exodi 33 (Exod. 33,20): 'non videbit me homo et vivet'. Quod exponens Gre-
gorius ait in Glossa: huic saeculo moritur qui eius amore non retinetur. Hanc martern Augustinus
I Confessionum desiderabat, ut illic visionem acciperet, dicens: »moriar, ne moriar, ut eam videam«,
187
Predigt 95
140
Eya, war umbe ist daz danne, daz im diu
schrift so manigen namen gibet? 21 Si spri-
chet, daz er algewaltic si, wise und guot.
Daz sint dri sachen.
Diu erste sache ist, daz got niht beslozzen
145 enist in keiner nature. Ich stan iezunt hie,
ich enbin niht ein lewe. War umbe ist daz? 5
Da bin ich ein mensche. Diu nature, da
mich got inne geordent hat, da bin ich also
beslozzen inne, daz ich niht vürbaz enmac
150 komen an ein ander nature. Also sirrt alle
creaturen, die got geschaffen hat. Got ist
über alle nature und enist selber niht nature.
Diu ander sache ist, daz man gote kein
glichnisse niht gegeben enmac 22 .
Sant Augustinus 23 sprichet: got ist 155 Sant Augustinus 23 gibet im manigen 10
gewalt, wisheit und güete. Sant Diony- namen. Er sprichet, daz er wise si. Nu spri-
si us24 sprichet: got ist über wisheit und ch et sant Dionysius 24: nein niht, er ist
155 Sanctus augustinus spricht Lo4 / Augustinus sprichit Xi; Awff das spricht sand Augenstin
Me2 156f. Sente dyonisius spricht Lo4 / Dyonisius Xi; vnd dar z,'i.r spricht Dionisius Me2
157f. vbir wisheit vnd vbir gude Xi/ obir gute und vbir wiszheid Lo4; vber alle güet vnd weishait Me2
140 Eya X,jehlt ET 140 das [1] E7 / die Nib,jehlt ET 142 alle geweldig sy wise vnde
gut X/ allgewaltig weisz gut sey ET 143 Das X/ des ET 144f. nyt beslossen (geslozzen
Nib) ist in keyner naturen X/ in keyner natur beschlossen ist ET 145 itzunt X, fehlt ET
149f. enmagk kommen an eyn andere nature X/ kommen mag in kein ander natur ET 152 uber
alle nature B7 / leben aller creaturen Nib; auszwendig aller natur BT 153f. keyn glichnisse nit
gegeben X/ kein eigentlichen namen geben ET 156f. Nun Sprichet sanctus Dionisius X/ antwurt
im Dionysius vnd spricht ET
faciem scilicet tuam. Loquitur ipsi deo. 'Dirige', inquit, 'super nos', quia directio illa est per gratiam
supernaturalem. Et 'super nos', id est super passe naturae. 21 Vgl. Pr. 53, DW II, S. 533,4-6: Man
nennet ouch got in der schrift mit vil namen. Ich spriche: swer iht bekennet in gote und im deheinen
namen anekleibet, daz enist got niht. Got ist über namen und über nature. 22 Vgl. Pr. 71, DW III,
S. 224,2-3: Ein meister sprichet: swer von gote redet bi deheiner glichnisse, der redet unli'tterliche von
im. Der aber bi nihte von gote redet, der redet eigenliche von im; vgl. auch Sermo XXXVII n. 375, LW
IV, S.320,5: Unus notatur primo, quia negatione scitur deus. 23 Vgl. Pr.9, DW1, S. 147,1-2: Sant
Augustin us sprichet: got ist wise ane wisheit, guot ane güete, gewaltic ane gewalt. 24 Vgl. Pr. 71,
DW III, S.223,2-224,3: Da von sprichet der liehte Dionysius, wa er von gote schribet, da sprichet er:
er ist über wesen, er ist über leben, er ist über lieht; er engibet im noch diz noch daz, und er meinet, daz
er si neizwaz, daz gar verre dar über si. Der iht sihet oder vellet iht in din bekennen, daz enist got niht;
da von niht, wan er noch diz noch daz enist. Swer sprichet, daz got hie oder da si, dem engloubet niht.
Daz lieht, daz got ist, daz liuhtet in der vinsternisse. Got ist ein war lieht; swer daz sehen sol, der muoz
188
Os suum aperuit sapientiae
über güete und über allez, daz man gespre- über wise. Er sprichet, daz er ein lieht si.
chen mac. Nein niht, er ist über lieht. Er sprichet, daz
160 er ein wesen si. Nein niht, er ist über wesen.
Er sprichet, daz er ein ewicheit si. Nein niht,
er ist über ewicheit. Allez daz man gespre-
chen mac, daz enist got niht 25 .
War umbe gibet man unserm herren so
5 manigen namen in der schrift? 165
Daz ist durch zwei dinc.
Daz eine ist, daz man sirren adel mit de- Nieman enmac gotes adel noch sin wirdi-
15 heinen worten begrifen enmac, daz er buzen cheit mit deheinen worten begrifen.
und bo ben aller nature ist und eine ungena-
turete26 edelkeit hat. Etwenne heizet man in 170
ein gewalt, etwenne ein lieht; er ist boben
alliu lieht. Dar umbe heizet man in diz und
daz, daz er dirre dinge kein eigenH'che enist27.
160 eyn X,fehlt BT 161 f. Er spricht das er ein ewigkeit sey Nein nit er ist über ewigkeit
BT /etc.X 167 sin X/ gottes BT, Kai
blint sin und muoz got al abenemen von ihte. Ein meister sprichet: swer von gote redet bi deheiner
gltchnisse, der redet unlüterltche von im. Der aber bi nihte von gote redet, der redet eigenltche von im;
vgLDionysius AreopagitaDemyst. theol. c. 5,PG 3, 1048A;Dionysiaca I S.598,4 (S):nequelumen
neque vita est neque vivit; neque substantia est. 25 Vgl. Bonaventura De triplici via c.3 §7 n.11
(Ed Ad Claras Aquas [Quaracchi] VIII, & 16): Nota, quod aspectus veritatis debet esse erectus ad incom-
prehensibilia, et haec sunt mysteria summae Trinitatis, ad quae erigimur contemplando, et hoc duplici-
ter: vel per positionem, vel per ahlationem. Primum ponit Augustinus, secundum Dionysius. Vgl. auch
Pr. 42, DWII, S. 303,7-304,1: Allez daz, daz diu verstantnisse begrffen mac und daz diu begerunge begern
mac, daz enist got niht. 26 Das part. adj. ungenaturet ist im deutschen Werk Eckharts nicht nachzu-
weisen. Es begegnet ai!IJer in Pr.95 A, Z.169f noch in Tr. XV, Pf, & 537,29-34: Diu ungenaturte nature
naturet niht denne also vil als si sich lezet naturen. So naturet si niht, der vater naturet sinen sun in der
genaturten nature, unde der vater ist der ungenaturten nature also nahen als der genaturten nature, wan
si ist ein mit im. Der vater ist in der ungenaturten nature aleine und ouch der erste in der genaturten
nature. 27 Dqß man Gott diz und daz hefße, ist aus dem Werk Eckharts sonst nicht zu belegen. Vgl
BgT, DW V, S. 25,1-3: Sant Augustin us sprichet: hebe Af diz und daz guot, so blibet luter güete in ir
selber swebende in siner blözen wite: daz ist got; Pr. 70, DW III, & 197,2: Gotes eigenschaft ist, daz er sich
selben bekennet sunder 'kleine' und sunder diz und daz; Pr. 70Anhang&203,2-5: Des vater bilde ist sin
eingeborner sun. In daz bilde, da niht ist, in dem bilde werden wir widergebildet in dem sune unde
189
Predigt 95
widerbildet durch den sun wider in den vater, in daz bilde al ein, da niht ist diz noch daz, in daz bilde
mit gotes eingebornem sun sulen wir got bekennen; Pr. 71, DW III, S.223,4-6: er(= Dionysius) engibet
im (= Got) noch diz noch daz, und er meinet, daz er s1 neizwaz, daz gar verre dar über st Der iht sihet
oder vellet iht in mn bekennen, daz enist got niht; da von niht, wan er noch diz noch daz enist; Pr. 66,
DW III, S.120,8-121,1: Und über allez diz guot ist der herre noch einander, und ist doch daz selbe und
ist doch ein waz, daz enist diz noch daz und enist weder hie noch da; Pr.23, DW I, S.402,1-3: Und enist
er noch güete noch wesen noch warheit noch ein, waz ist er denne? Er ist nihtes niht, er enist weder diz
noch daz. Gedenkest du noch ihtes, daz er si, des enist er niht; Pr. 68, DW III, S.148,3- 5: Her umbe, sol
diu sele got bekennen, sö muoz si in bekennen obe zlt und obe stat; wan got enist daz noch diz als disiu
manicvaltigiu dinc, wan got ist ein; Pr. 73, DW III, S.265,1-4: Ez sprichet sant Dionysius: allez, daz
wir bekennen, daz wir teilen oder dem wir underscheit geben mügen, daz enist got niht, wan in gote
enist weder diz noch daz, daz wir abegeziehen mügen oder mit underscheit begrifen. Niht enist in im
wan einez, daz ist er selbe; Pr.3, DWI, S. 56,7-8: Er ist ein luter 1nstan in im selber, da noch diz noch daz
enist; wan swaz in gote ist, daz ist got; vgl. auch Prol in op. propos. n. 8, LWI, S.170,10-13: Hoc de primo
inter quattuor, scilicet quod solus deus est ens, unum, verum, bonum proprie, reliquorum autem singu-
lum est ens hoc, puta lapis, leo, homo et huiusmodi, et unum hoc, verum hoc, bonum hoc, puta bonus
animus, bonus angelus et huiusmodi; In Ioh n. 60, LWIII, S. 49,13 - 50,1: Ubi et hoc notandum quod sicut
agens hoc aut hoc agit hoc aut hoc, et patiens hoc aut hoc formatur et producitur hoc aut hoc in filio agen-
tis hoc aut hoc, sie universum ipsum, caelum et terra, productum est in filio primi agentis, quod nec est
hoc aut hoc, sed ens et esse ipsum, quod est deus. 28 Vgl. Anm 32. 29 Vgl Prol in op. propos. n.
8, LW I, S.170,4-13: Adhuc autem eodem modo se habet de bono, Luc. 18 (Luc.18,19): 'nemo bonus nisi
solus deus'; Marc. 9 (Marc.10,18): 'nemo bonus nisi unus deus'. Et Proclus prop. 12 ait: »omnium en-
tium principium et causa prima bonum est«. Ad hoc facit quod Dionysius primum nomen dei ponit
bonum. Et Augustinus VIII De trinitate c. 3 ait: »vide ipsum bonum, si potes; ita deum videbis«,
»bonum omnis boni«. Hoc de primo inter quattuor, scilicet quod solus deus est ens, unum, verum, bonum
proprie, reliquorum autem singulum est ens hoc, puta lapis, leo, homo et huiusmodi, et unum hoc, ve-
190
Os suum aperuit sapientiae
191f. viel ist der sachen X/ Jch will dir sagen BT 192f. was sal der gude mensche X/ Herr
was sol der mensche BT 193f. was sal der gut stein X/ herr was sol der stein BT 194f. was
sal der gude engel X/ herr waz sol der engel BT 195 f. Den engel abe den stein abe den menschen
abe X/ Thu den engel ab thuden stein ab thuden menschen ab BT 196f. Dru eyn abe wo ist dann
B7 / Div ein ab waz ist dann Ntb,fehlt BT 197 got ist X/ ist got BT 199 Schrifft X/
geschrifft BT 199 Das ist X,fehlt BT 200f. das er keynen (keiner Nib) naturen glich nit
enjst X/ das im kein natur gleich ist BT 202 nyt komen enmagk by (zv Ntb) syme bekentenisse
X/ zu siner bekantnusz kommen mag BT 203 Die hdchste creatur BT, B6 / die hochsten crea-
turen X 204 godde vnglicher X/ im ferrer (vorder B6) vnd vngleicher BT, B6 205 allermeist
/ meyst X, BT; mesten B6 205f. sy der naturen{der naturen sei Nib) den du ye gesehcht mit dynen
augen X/ den du ye gesecht mit deinen ougen dein engel sey BT; die du ye gesages der naturen sijn B6
rum hoc, bonum hoc, puta bonus animus, bonus angelus et huiusrriodi. Vgl weiter In Exod. n. 17, LWII,
S.22,10-23,8:Rursus etiam: sum quisum dictum est, sicut Augustinus VIII De trinitate c. 3 ait: »deus
non bonus animus aut bonus angelus aut bonum caelum, sed bonum bonum«. Et infra: »cum audis hoc
aut illud bonum«, »si potueris illis detractis per se ipsum perspicere bonum, perspexeris deum«. Et infra:
»non enim est« aliud »aliquid quam ipsum bonum, ac per hoc etiam summum bonum«. Sie ergo
»bonum bonum« significat bonum impermixtum et summum bonum in se ipso fixum, nulli innitens,
super se ipsum »rediens reditione completa«. Sie li sum qui sum impermixtionem esse et eius plenitudi-
nem indicat, ut dictum est supra. Vgl auchBgT,DWV, S.25,1-7:SantAugustinussprichet: hebe u.f diz
und daz guot, s6 blibet luter güete in ir selber swebende in siner bl6zen wite: daz ist got. Wan, als ich
oben gesprochen hau: diz und daz guot enleget nihtes niht der güete zuo, sunder ez verbirget und
bedecket die güete in uns. Daz bekennet und wirt gewar, swer daz sihet und schouwet in der wärheit,
wan ez wär ist in der wärheit, und dar umbe muoz man sin da gewar werden und anders niergen.
30 Vgl Pr.61, DW III, S.37,5-38,1: Daz ander bekantnisse ist geistl'i:cher, daz mac man haben sunder
gegenwürticheit, als6 daz ich einen vriunt bekenne über tu.sent mile, den ich vor gesehen hau. Ich muoz
in aber begrifen mit glichnisse, daz ist: an den kleidern und an dem gestaltnisse und an der stat und an
der zit; daz ist grop und ist ouch materielich. An disem bekantnisse enmac man got niht bekennen; man
enmac in mit der stat noch mit der zit noch mit varwe niht begrifen.
191
Predigt 95
Der eine rief unsern herren ane bi s1ner Do sprach der ein: algewaltiger guoter
gewalt und bi s1ner w1sheit. got, gnade! 15
Der ander sprach: swk, du lesterst got! Do sprach der ander: sw1c, du lesterst got!
Got ist so hoch über allez, daz wir Got der ist über uns also hoch, daz wir in mit
gesprechen mügen: enwrere got 215 deheinen worten geloben mügen. Enwrere
so ötmüetic niht und enhreten ez die hei- got so otmüetic niht und enhreten ez die hei-
ligen niht gesprochen und enhrete ez got ligen gesprochen niht und enhrete er ez
niht von in geannremet, ich engetörste in selber niht geannremet, ich entörste in mit
niemer mit worten geloben 31 . worten niemer geloben 31 .
210 vrme Xl,Jehlt Lo4, Lücke Me2 211 herrin Xl / hern got Lo4; Lücke Me2 212 bi
sinir Xl,fehlt Lo4; Lücke Me2 218 nicht fon vn ge annamit O / nit von vngeannamit H2; von ön
nicht geannamt Lo4; Lücke Me2 219 geloben Lo4 / geloubin Xi; Lücke Me2
209 von (vör Fl) dir swige X, Fl / dein schweige BT, Kal, B6; sweig Nia 214 der X, Fl,Jehlt
BT, Kal, B6, Nla 217 gespruchen nyt X/ nit gesprochen BT, Kal, B6 217 er es X/ es got
BT, Kal; got B6, Nla 218 geanamet Nlb / genamet B7; an genumen Nla; gesproken ende gean-
genimt B6; geamtet Kal; angefangen BT 218 endorste B7, B6 / engetorst Nib; getdrst BT, Kal;
törstNia
31 Vgl. Pr. 53, DW II, S. 53},6-534,9: Wir lesen von einem guoten man, der got bat in sinem gebete r
und wolte im namen geben. Dö sprach ein bruoder: ,swic, du enterest götl' Wir enmügen keinen namen
vinden, den wir gote mügen geben. Doch sirrt uns die namen erlaubet, da mite in die heiligen genant
hant und die got in irn herzen also gewihet und übergozzen hat mit götlichem liehte. Und hie bi suln
wir ze dem ersten lernen, wie wir got biten süln. Wrr suln sprechen: ,herre, in den selben namen, die du
also gewihet hast in diner heiligen herzen und übergozzen mit dinem liehte, so biten wir dich und loben
dich'. - Ze dem andern male suln wir lernen, daz wir gote keinen namen geben, also daz wir wamen wöl-
ten, daz wir in genuoc da mite gelobet und erhaben hceten; wan got ist ,über namen' und unsprechelich.
Vgl. auchinExod n.174, LWII, S.150,6-151,8: Hinc est quod, sicut ipse in alio capitulo dicit, grave fuit,
molestum et indignum sapientibus audire multiplicantem verba de deo etiam in oratione, propter
imperfectionem, quam implicant nomina vel verba, et elongationem a simplicitate dei, secundum illud
Eccl. 7 (Eccl 5,1): 'deus in caelo, et tu super terram. Idcirco sermones tui sirrt pauci'. Et in Ps. 4 (Ps. 4,5)
secundum litteram aliam dicitur: 'dicite in cordibus vestris et in cubilibus vestris et tacete semper'. Et
iterum in alio Psalnio (Ps. 64,2), ubi nos habemus: 'te decet hymnus, deus', littera Rabbi Moysis habet:
'tibi silentium laus' vel 'tacere laus tibi'. Propter quod concludit quod omnis »apprehensio nostra« affir-
mativa de deo »est defectus appropinquandi apprehensionem eius«. »Quidquid enim laudis vel exalta-
tionis dicimus de deo«, »per illud diminuimus id, quod pertinet ad ipsum«, »et est defectus« sive reces-
sus ab eius cognitione. Secundum hoc exponi potest illud 1 Reg. 2 (1 Reg. 2,3): 'nolite multiplicare loqui
sublimia'. Et Rabbi Moyses dicit: »laudetur creator, in cuius essentiae apprehensione inquisitio scien-
tiarum abbreviatur et« »sapientia ignorantia reputatur et« »elegantia verborum fatuitas«. Et salvator
ipse ait: 'cum oratis, nolite multa loqui', Matth. 6 (Matth 6,5. 7); 'in multiloquio enim non deerit pecca-
tum', Prov. 10 (Prov. 10,19).
192
Os suum aperuit sapientiae
220 ye X/ so BT, Kai 221 ye man yme me B7 / ye man ye mer Nib; ie mer man im Nia; So
man im ye mer BT, Kai 221f. ye man syme bekentenisse neher kommet X/ so (ye Nia) man sei-
ner (sin Nia) bekantnusz ye neher (freier N1a) kompt BT, Kai 224 was eyn Schiffe were X/ von
einem schiff BT, Kai 225f. der mensch sehe X/ der mensch anders sehe BT 226 das wol das X
/ wol das BT 227 f. Sehe er eynen stein er sehe das (fehlt Kai) wol das eyn stein (eyn stein / er Kai)
ein schiff nit enwere X, Ka1,fehlt BT (Horn.) 228 ye X/ so BT, Kai 230 ye X/ so BT,Ka1
231 ye X/ so BT, Kai 232f. ye manne syme bekentenisse X/ so man seiner bekantnusz BT, Kai
235 Otmudige wordt X/ mitt einem demütigen wort so BT 236 algeweldig X/ almechtig BT
32 Zu Z.220-231 Bund Z.176-182 A vgl Pr.45, DW II, S.372,3-7: Under allen namen enist kein
eigener dan 'der da ist'. Wan swer ein dinc wisen wil, sprichet er: ,ez ist', daz schirre ein törheit; sprreche
er: ,ez ist ein holz oder ein stein' sö wiste man, waz er meinet. Dar umbe sprechen wir: allez abege-
scheiden und abegezogen und abegeschelt, daz da nihtes niht enbHbet dan ein einic ,ist': daz ist diu
eigenschaft sines namen. Das selbe Vergleichsve,fahren wie in Pr. 95 Bführt Eckhartinder Expositio libri
Exodi n. 172-173, LW II, S.149,10-150,5 am Beispiel des Elefanten vor: Et infra sie ait (Rah bi Moy-
ses): »qui attribuit creatori agnominationem«, »putat quod illud nomen cadat in ipsum. Hoc non est in
rerum natura, sed est cogitatio vana, sicut si diceretur illud nomen de non ente, quia non est in entibus,
quod ita se habeat«. »Cuius rei similitudo est«, ut ait, »quod quidam homo audivit nomen elephantis et
seit quod est res viva et quaerit, ut sciat figuram eius et veritatem, et respondet qui facit ipsum errare:
'scias quod est res habens unum pedem et tres alas et habitat in profundis maris, et corpus eius nitet sicut
lux clara et facies eius sicut facies hominis, et quandoque volat in aere, quandoque natat in aqua sicut
piscis'«. »Iste talis credit elephantem aliter quam sit et breviatur in apprehensione« eius, et »cogitatio
eius, qua cogitavit« elephantem »esse talem«, »vana« est, quia »nihil tale est in entibus, sed est privatio
tantum, cui attribuitur nomen entis«. Vgl Pr.36b, DW II, S.203,11-204,1: Diu stat ist ungenant, und
nieman enkan ein eigen wort von ir gesprechen. Allez daz wort, daz wir von ir gesprechen mügen, daz
193
Predigt 95
Von disem erwirdigen bekantnisse kumet Als diu sele in daz bekantnisse kumet, daz 5
got also unglich ist allen natfuen, so kumet
diu sele in eine erwirdige vorhte, si in ein wunder und wirt wider getriben und
und in der vorhte 240 kumet in ein swi:gen 33 . Mit der stille senket
wirt got gesrejet 34 in die sele sich got in die sele 35 , und mit der gnade wirt 20
237 Fon Xi/ Vnd von Lo4; wann von Me2 240 in der fürchte Xi / in den fürchten Lo4;
LückeMe2
237 das bekentenisse X/ die bekantnusz BT 238 also B7 / als BT; alle Nib 240 eyn
swigen X/ eyn erwirdige fürcht BT 240f. mit der stillen sencket sich got in diesele X/ Mit der
fürcht wirt got in die sel gesencket BT; Lücke Kai, B6, Nia, Fl
ist me ein lougen, waz got niht enist, dan ez s'i ein verjehen, waz er si. 33 Vgl Pr. 36b, DW II,
S.204,1-5: Daz sach ein groz meister und beduhte in des, swaz er gesprechen möhte mit warten von
gote, daz er niht eigenliche möhte gesprechen, da enl.:ege inne iemer etwaz valsches. Dar umbe sweic er
und enwolte niemer dehein wort gesprechen, und wart doch sere von andern meistern verspottet. Dar
umbe ist ez vil me: swigen von gote dan sprechen; Pr.36a, DW II, S.189,4-6: Nu sprichet sant Augu-
s dn us, daz got ens'i niht ungesprochen, ... wan er ist me ein sw'igen dan ein sprechen; Pr.101, DW IV,
Z.115-117: Die [guoten und volkomenen menschen} suln daz wizzen, daz daz allerbeste und daz al-
leredelste, da man zuo komen mac, in disem lebene ist: du solt swigen. 34 Vgl VeM, DW V,
S.110,7-10: Ez ist ouch der acker, dar in got s'in bilde und s'in glichnisse hat 'inges.:ejet und s.:ejet den guo-
ten samen, die wurzel aller w'isheit, aller künste, aller tugende, aller güete: samen götl'icher nature. Göt-
l'icher nature same der ist gotes sun, gotes wort; S.111,17-20: Doch sprichet Origenes, ein groz mei-
ster: wan got selber disen samen inges.:ejet und 'ingedrücket und 'ingeborn hat, so mac er wol bedecket
werden und verborgen und doch niemer vertilget noch in im verleschet; S.113,1- 5: Von disem innern
edeln menschen, da gotes same und gotes bilde 'ingedrücket und 'inges.:ejet ist, wie der same und daz bil-
de götl'icher nature und götl'iches wesens, gotes sun, ersch'ine und man sin gewar werde und ouch etwen-
ne verborgen werde, sprichet der groze meister Origenes ein glichnisse, daz gotes bilde, gotes sun, ist
in der sele grunde als ein lebender brunne; vgl dazu oben S.175. 35 Vgl. Pr. 22, DW I, S. 385,7-10:
Swenne sich der mensche demüetiget, so enmac sich got niht enthalten von s'iner eigenen güete, er
en:müeze sich senken und giezen in den demüetigen menschen, und der allerminsten dem gibet er sich
in dem allermeisten und gibet sich im alzemale; Pr. CVII, Pf, S. 353,33-36: Unt dar umbe gehreret einer
minnenden sele zuo, daz si daz minne, dar uz diu geschrift irn ursprunc nimt: daz ist got, der sich mit
siner gnade in die sele senket unde würket mit s'ime geiste in ir, daz si in minnet über sich selber ... ; Par.
an. 56 (ed. Strauch S.122,12f): also verre alse sich daz licht senkit in di uberstin craft, also verre wirt
Got one mittil irkant. Vgl. auch Sermo XXIX n. 296, LW Iv, S. 264,1-3: Deus solus illabitur omnibus en-
tibus, ipsorum essentibus. Nihil autem aliorum illabitur alteri. Deus est in intimis cuiuslibet et solum in
intimis, et ipse solus unus est; In Ioh n. 304-, LW III, S.253,7-9: Et hoc est quod deus solus dicitur illabi
animae ab A ugustino, sed et illabitur essentiis omnium; essentia vero nullius creati illabitur essentiae
alterius, sed füris stat et distincta; n. 311, LWIII, S. 259,11: Deus autem solus animae illabitur et intus est;
n. 581, LW III, S. 508,11: Septimo ait: in me ad denotandum quod deus ipse illabitur essentiae animae; n.
585, LWIII, S. 513,4j: Deus enim solus illabitur animae, omne creatum extra est et per consequens alie-
num, aliud et distinctum; In Sap. n. 60, LW II, S.388,8j: Hinc est quod secundum Augustin um solus
deus illabitur animae.
194
Os suum aperuit sapientiae
246 ir stirbit di sele in gode Xi/ stirbet in der sele Lo4; stiribt in got dar inn Me2 247 vnsir
herre Xi/ vnser herre got Lo4; der herr ihesus Me2 248f. so inmac da kein frucht vz werdin Xi/
so mag da keine frücht von komen noch werden Lo4; anders es pringt chain frucht Me2 254 vr Xi,
fehlt Y1 254f. an den gnadin Xi / an der gnaden Lo4; in gnaden Me2
243 Der baume X/ Als der baum BT 244f. der bringet viel frucht X/ daz der vil frucht
bringen sol BT 246 Diesele X/ Sy BT 246 in dem leid Nib / in der leyde B7; in der leidung
BT 247 gespruchen hait Das ist bewiset X/ auch gesprochen hat vnd beweiset BT 249 so
enmagk da X/ wann da mag BT 249 f. es ensterbe zu aller erste X/ das weitzenkorn ersterbe dann
vor BT 251f. Das sterben der selen das sal sin an dem bekentenysse gottes X/ Der selen bekant-
nusz sol sein in gott BT 252f. das sie von ir selber fliehen sal X/ also daz got an ir lebe BT
253 asmeck B7 / ab smeken Nib; miszschmacken BT 253f. vnd stynckende sullen werden das got
nit enjst X/ vnd stynckent werden die gott nit seind BT
36 Vgl Pr. 44, DW II, S. 346,2-4: 'Homo' sprichet in einer andern wise als vil als ,viuhticheit' und
meinet als vil als ,der begozzen ist mit gnaden' und meinet, der demüetige mensche der enpfähe zehant
den invluz der gnaden; vgl auch Sermo XXII n. 206, LW Iv, S.191,10f: Die quod humilitas propriissima
est dispositio omnis gratiae; Pr. 44, DW II, S. 347,4f: Der alsus ein wrere und sich verwürfe in den grunt
der demüeticheit, der würde da begozzen mit gnaden. 37 Vgl Ps. 1,3: Et erit tamquam lignum quod
plantatum est secus decursus aquarum, quod fructum suum dabit in tempore suo; vgl. Ier. 17,7-8: Bene-
dictus vir qui confidit in Domino, et erit Dominus fiducia eius. (8) Et erit quasi lignum quod transplan-
tatur super aquas. 38 Vgl Pr. 8, DW I, S.134,6f: Der mensche sol sich willicliche geben in den tot
und sterben, daz im ein bezzer wesen werde; Pr.49, DW II, S.440,2-5: Sine edele sele heize ich nu ze
disem male ein weizenkorn, daz verdarp in der erde siner edeln menscheit an lidenne und an tuonne, an
betrüepnisse und an sterbenne, als er selber sprach, do er liden solte, disiu wort: 'min sele ist betrüebet
unz in den tot'; Pr. 52, DW II, S. 503,4f: Daz ich bin nach gebornheit, daz sol sterben und ze nihte wer-
den, wan ez ist tc:etlich; Pr.92, DW rv, S.102,6-7: Dar nach sol er sterben der nature, als er sin selbes
niht ensi, daz er sines an nihte suoche dan luterliche gotes ere. 39 Vgl Ioh 12,24-25: Nisi granum
frumenti cadens in terram mortuum fuerit, ipsum sohn:n mauet: si autem mortuum fuerit, multum
fructum adfert; Pr: 49, DW II, S. 433,1-3: Daz ander ist: 'daz weizenkorn envalle in die erde und enver-
werde darinne, so bl'tbet ez aleine. Vellet ez aber in die erde und verwirdet dar inne, so bringet ez hun-
dertveltige vruht'; vgl weiter die Auslegung von Ioh 12,24-25 in Pr. 49, DWII, S. 438,3-447,4.
195
Predigt 95
gnaden und wurzelet an dem glouben und 255 sol wurzeln an dem glouben und wahsen an 15
wehset an der liebe40 • der liebe 4°.
Diz hat wol geprüevet sant Elizabet41 , Diz hat wol geprüevet sant Elizabet41 , 2s
wie tiure und wie edel ein kouf42 ist, wie tiure und wie edel daz ein kouf41! ist,
daz man alliu dinc gibet umbe die daz man alliu dinc gibet umbe die ewige
w'i:sheit. Dar umbe verzech sant Elizabet 260 w'i:sheit. Dar umbe verzech si vrreHche
vrrel'i:che irs vürstenlandes und wart ein uf ir vürstenlehen und wart ein arm
arm mensche. mensche.
Diu schrift sprichet von ir: 'ir lieht Diu schrift sprichet von ir, daz 'ir lieht
enverlasch des nahtes niht'43 , daz ist: si wart nie enverlesche des nahtes'43 , daz ist: si wart
in betrüepnisse 44 gereht vunden. Dar umbe 265 in betrüepnisse44 gereht vunden. Dar umbe
sol ir lieht sch'i:nen in dem ewigen lebene. sol ir lieht sch'i:nen in dem ewigen lebene.
255 worzelit Xi/ flüszt Y1 256 libe Y1, B / minne Xi 257 sancta (sand Me2) elizabeth
Yi, B / sente .N. Xi 258 ist Y1,jehlt Xi 260f. forzech sente Elizabeth froliche vris forstin
landis Xi/ vor czeich sy sich vrolich vir fürsten (fürsten lehen Me2) Y1 265 grachte Me2 / recht
X1,Lo4
255 wurtzelen X/ verfliessen BT 258 f. das eyn kauff ist das man X/ diser kauff sy da man
BT 259 ewige X,fehlt BT 260f. verzeich sie frolich (freilichen N1b) uff ir fürsten lehen
X / verzyg sy sich frylich vnd frölich fürsten lehen BT 263 Die schrifft X / Die geschrifft BT
264 nye verlesche X/ wardt nit erloschen BT 264f. in bedrupnisze gerecht fanden X/ gerecht
erfunden in betn1bnusz BT
40 Vgl. Pr. 73, DW III, S.263,1-6: Ich wart einest gevräget, wä von daz wrere, daz guoten liuten als
wol mit gote wrere, daz sie gote also ernstliche dieneten? Do antwurte ich und sprach, ez wrere da von,
daz sie gotes gesmecket hreten, und ez wrere ein wunder, diu sele, diu gotes einest gesmecket und ver-
suochet hrete, daz der iemer iht anders gesmacken möhte. Daz sprichet ein heilige, daz der sele, diu
gotes gesmecket hat, ein unsmak stinkende wirt allez, daz got niht enist. 41 Vgl. Pr. 32, DW II,
S.139,7-141,5: So giene der man ze dem sewe und sprach ze in: ,waz wöltet ir mir geben, daz ich iuch
w'i:se, wä sich der wint hine kere?' und verkoufte den wint und wart da von r'i:che. Also würde der men-
sche wrerliche riche an tugenden, daz er prüefte, da er aller krenkest ane wrere, daz er da zuobüezte und
daz er s'i:nen vl'i'z da zuo kerte, daz er daz überwünde. Daz hat vl'i:zicliche getan sant Elizabet. 'Si häte' w'i:s-
liche 'besehen die stige irs huses' ... Si häte ouch ir obersten krefte ze unserm gote gekeret. Vgl. weiter
Pr. 32, DW II, S.146,5-147,2: Si was gekleidet mit der sterke ze widerstänne aller unvolkomenheit, und
was gezieret mit der wärheit. Disiu vrouwe was in richtuome und in eren uzwendic gegen der werlt, und
inwendic anebetete si wär armüete. Josef Quint, DW II, S.141, Anm1 weist darauf hin, daß Eckhart in
der Predigt 95 „eine ähnliche Wendung" vollzieht wie in Predigt 32: Mit der überleitenden Bemerkung
Daz hat vlizicl'i:che getan sant Elizabet, etwa in der Mitte der Predigt, ,,beginnt Eckhart, die Auslegung
des Schrifttextes unter Hinzuziehung des Verses Prov. 31,21 im Blick auf die hl. Elisabeth zu exemplifizie-
ren". 42 Zur Bedeutung von kouf vgl. auchRdU, DW V, S.197,1-3: Ez ist rehte ein glich widergelt
und glicher kouf: als vil du uzgäst aller dinge, als vil, noch minner noch mer, gät got 'i:n mit allem dem
s'i:nen, als du zemäle uzgäst in allen dingen des d'i:nen; RdU, DW V, S. 295,2-3: Daz ist ein glicher kouf
und ein glich widergelt, als ich vorlanc eines sprach. 43 Prov. 31,18: Non extinguetur in nocte lucer-
na eius. 44 Zur l)edeutung von betrüepnisse im Kontext der Predigt vgl. Pr.49, DW II, S. 440,2-5:
Sine (= Kristi) edele sele heize ich nu ze disem male ein weizenkorn, daz verdarp in der erde s'i:ner edeln
menscheit an lidenne und an tuonne, an betrüepnisse und an sterbenne, als er selber sprach, do er liden
196
Os suuni aperuit sapientiae
Wie volkomen ein mensche ist, verliuset Wie volkomen daz ein mensche ist, ver-
30 er iht vergencl'i:ches guotes, s'i:n herze liuset er iht vergencl'i:ches guotes, sin herze
wil sich wandeln und betrüeben. Daz ist ein wil sich wandeln und betrüeben. Daz ist ein
gewis dinc: waz der mensche verliuset wider 270 gewis dinc: waz der mensche verliuset wider
s1nen willen, und lidet er ez gedulticliche, er s'i:nen willen, und lidet er daz gedulticl1che,
verdienet grrezer lön wan ob er ez mit willen er verdienet grrezern lön dar ane, dan ob er
25 unserm herren gote gebe, wan da hete er ez mit willen gote gebe. Und swer diz tete,
sfoen willen ane. Aber an der gedult gibet er der gebe s1nen willen und s1n guot an der
beide willen und guot unserm herren gote 45 . 275 gedult gote unserm herren45 .
Swelch mensche wirt in ungemache un- Swelch mensche wirt in ungemache un-
Par. 106,1 gedultic vunden, diu bösheit gedultic vunden, diu bösheit der ungedult
enist im niht von der p'i:ne anekomen, sunder enist im von der p1ne niht anekomen,
diu bösheit wirt geoffenbaret in der p'i:ne, sunder diu bösheit wirt geoffenbaret in der
und geschihet dem menschen als dem kup- 280 p1ne, und geschihet dem menschen als dem
feri:n pfenninge: die w'i:le daz er in dem viure kupfer'i:n pfenninge: die wHe daz er in dem
50 niht enist, sö sch'i:net er klar silber'i:n; kuniet viure niht enist, sö sch'i:net er klar silber;
267 Wi Xi / vnd wy Lo4; wann wie Me2 268 er / he Xi; es Lo4,fehlt Me2 272 grozir
lon O / groz lon H2, Lo4; grazzen lan Me2 272 wan Xi,fehlt Lo4; Lücke Me2 273 gebe Xi/
gebet Lo4; Lücke Me2 275 beide willin vnde guit Xi / sin gut vnd sin willen Lo4; Lücke Me2
276f. wirdit in vngemache vngeduldic fundin Xi/ in vngemache geduldig wirt fünden Lo4; in wider-
wärtichait in vngedult fanden wirt Me2 278 nicht fon der pine Xi / von der pein nicht Y1
282 enist / ist Yi, B; in lit Xi
267 Wie vollenkom~ das .x; Nia / Wie gut BT 268 vergenglichs gudes X/ zergengkli-
chen (zugenkliches Nia) gutes BT, Nia 269 Das X/ Disz BT; Dar vmb Nia 271 er das X/
es BT, Nia; hijt B6 272 grrnzern lon dar ane"/ grozzen lon dor an Nib; grozzen lon Nia, B7; gros-
sen lon BT; mere loen in B6 273 godde X/ vnserm herr got BT; onsen here B6 273 nach
gebe: wann er seinen willen daran hette BT; Wann daz tet er mit willen Nia; want daer hed hi sijnen
wil an B6; vgl A 273-275 Vnde were disz tede der gebe synen willen vnd sin gut an der gedult
godde vnserm herren X/ Aber in der gedult (mer an der geduldicheit B6) gibt er seinen willen vnd sein
gut (seinen ... gut/ sijn goet ende sijnen wil B6) vnserm herr got BT, B6; vgl A 277 die boszheyt
(blozheit Nib) der vngedult X/ die boszheit vnd der zorn der pein BT; die bloizheit vnd der zorn Kai;
die quaetheit B6
solte, disiu wort: 'min sele ist betrüebet unz in den tot' (Matth 26,38;Marc. 14,34); S.443,1-5: Diu ander
wise irs verderbennes in der erde, in dem libe, daz was, als ich e sprach, do si dem libe leben gap und mit
den sinnen vereinet was: do was si mit dem libe vol arbeit und pine und ungemaches und betrüepnisses
'unz in den tot', also daz si mit dem libe noch der lip mit ir - in dirre wise ze sprechenne - nie rast noch
gemach gewan noch genüegede ane zergenclicheit, die wile der lip trntlich was; BgT, DW V, S. 8,4-8:
Drierleie betrüepnisse ist, daz den menschen rüeret und drenget in disem ellende. Einez ist an dem scha-
den uzerliches guotes. Daz ander ist an sirren magen und an sirren vriunden. Daz dritte ist an im selben
an smacheit, an ungemache und an smerzen des libes und an leide des herzen. 45 Vgl Pr. 49, DW
II, S. 445,13-446,2: Nu merket die ander wise der vruhtb.:erkeit des geistes, des weizenkornes! Daz ist:
aller der geistliche hunger und bitterkeit, da in got invallen l.:ezet, daz sol er allez gedulticliche liden.
197
Predigt 95
er aber in daz viur, so wirt geoffenbaret, daz kumet er aber in daz viur, so wirt geoffen-
er kupfedn ist. Daz enhat im. daz viur niht baret, daz er kupferin ist. Daz enhat im daz
getan, daz er kupferin ist46 • 285 viur niht getan, daz er kupferin ist46 .
Dar umbe hat unser herre got die heiligen Dar umbe hat unser herre die heiligen hie 5
versuochet hie in der pine, daz sie gereht sirrt versuochet in der pine, daz sie gereht sirrt
vunden an allen tugenden, und liuhten hie vunden an allen tugenden, und liuhten hie
in der naht und in dem ewigen lebene ewic- in der naht und suln liuhten in dem ewigen
liche. 290 lebene ewicliche.
Daz dritte ist, wie man 'smecken' sol göt- Daz ander ist: swem 'smecken' sol göt- 35
licher wisheit. Da helfent vier dinc zuo. lichiu wisheit, da loufent vier dinc uf.
283 ge offin barit Xi/ es offenbar Y1 284 ist Y1, B / was Xi 284f. Das hat im das für
nicht getan das er küpphern ist Lo4 / vnd das ist im vom fewer nicht geschehen sunder von seiner
vnlawtrichait dar inn er gwesen ist Me2;.fehlt Xi (Hom) 287 forsucht hi in der pine Xi / hy vor-
sucht in desir pin Lo4; hie mit widerw.irtichait versuecht Me2 287 gerecht Xi (vgl B) / gereit
Lo4; wol peraitt Me2 289 vnd 0, Me2, B,fehlt H2, Lo4 291f. sal smeckin gotlichir ewigir
wisheit Xi / smecken sal götliche wiszheit Lo4, B; götleiche weishait smekchen sol Me2
283f. ge offen bardt X/ offenbar BT, Kai, B6 289 sullen luchten X,fehlt BT, B6; vgl. A
291f. Das andere ist wen smacken sal (swenn smakent sele Nib) gotliche wiszheyt X/ Das dritt ist wie
man schmecken sol götlicher weiszheit BT; vgl A 292 da lauffent vier dinge uff X/ da helffent
vier ding .zu BT; vgl A
46 Vgl In Ioh. n. 76, LW III, S. 64,1-65,10: Adhuc autem moraliter: lux in tenebris lucet, quia virtus
lucet et apparet in adversis et oppositis, Cor. 12 (2 Cor. 12,9): 'virtus in infirmitate perficitur'; Psalmus
(Ps.16,3): 'igne me exarninasti, et non est inventa in me iniquitas'. »Qualis enim quisque apud se lateat,
illata contumelia probat«, ut ait Gregorius. Anselmus libro suo De similitudinibus ponit exemplum
de nummo cupreo foris deargentato, qui proiectus in ignem non habet imputare igni quod ipsum cupre-
um fecerit. Responderet enim ignis: non ego talem te feci, sed qualis in te fueris et latueris, detexi, secun-
dum illud Eccli. 26 (Eccli. 27,6): 'vasa figuli probat fornax'. Universaliter: omnis potentia relucet et acci-
pit esse non a subiecto in quantum potentia, sed ab obiecto sive opposito. Sie et virtus relucet ex suo
opposito. Propter quod Matth. 5 (Matth. 5,44) dicitur: 'diligite inimicos vestros', et ibidem 10 (Matth.
10,36): 'inimici hominis domestici eius'. Quanto enim quisquam nobis plus adversatur et inimicatur, tan~
to magis virtus in nobis apparet, patientia scilicet et amor dei, quae sunt domestici nostri. Secundum hoc
exponi potest Psalmus (Ps. 79,6): 'cibabis nos pane lacrimarum', et iterum (Ps. 41,4): 'fuerunt mihi lacri-
mae meae panes'. Boni enim viri cibantur, nutriuntur, pascuntur, proficiunt et delectantur in adversis,
quae per lacrimas designantur. Hinc est quod Matthaei (Matth. 5,10) dicitur: 'beati, qui persecutionem
patiuntur'. 'Patiuntur', inquit, non 'patientur' aut 'passi sunt'. Patientia enim proprie lucet, dum actu quis
patitur. Augustinus in libro De patientia sie ait: »cautior fuit lob in doloribus quam Adam in nemori-
bus. Ille victus est in deliciis, iste vicit in poenis. Consensit ille oblectamentis, non cessit iste tormentis«.
Et in Epistula ad Marcellinum dicit quod maior est virtus patientiae quam omne quod ab homine invi-
to auferri potest; vgl auch In Sap. n. 119, LW II, S. 456,2-4: Anselmus in libro De similitudinibus ponit
exemplum familiare in nummo cupreo, foris deargentato, qui si in ignem proicitur, ignis non facit ipsum
cupreum, sed quod in se ipso cupreus sit, manifestat. Vgl weiter Spruch 43, Pf, S. 612,4-9: Hie bi sö ist
ouch ein lere von der gedultekeit. Daz uzwendige liden machet den menschen niht geduldic, mer: ez
198
Os suum aperuit sapientiae
Daz erste ist gli:chnisse, daz man sich gote Daz erste ist gli:chnisse, daz man sich glich
10 glich mache an luterkeit47 , als daz glas mache gote an aller luterkeit47 .
oder durchschinigiu dinc sint der sunnen. 295
Daz ander ist götlich lieht, daz da durch- Daz ander ist götlich lieht, daz da durch-
schi:net in der luterkeit der sele als diu sunne schi:net die sele als diu sunne durch das
durch daz glas oder wazzer48 . glas 48 .
Daz dritte ist einunge; diu kumet von Daz dritte ist einunge; diu kumet von
Jo. 76,1 gli:chnisse als lieht von liehte .49 300 gli:chnisse und reht einunge kumet von gli-
chen dingen als lieht und lieht49 .
Daz viertle ist maze, daz got der sele Daz viertle ist maze, daz got die sele
gemceziget wirt50 . Aber got enmac noch gemezzen hat50 . Aber got der enmac niht
293 Das erste Yi, B / Daz erste daz Xi 294 daz glais Xi / ein glasz Lo4; Lücke Me2
295 sirrt der sonnen Xi,fehlt Lo4; Lücke Me2 298 daz glas 0, Lo4, B / glas H2; ein glas Me2
299f. fon glichnisse Xi/ von glichen (götleichen Me2) dingen Yi 300 nach liehte: vnd wasser
vnd wasser Lo4,jehlt Xi, Me2 302 got der sele Xi,fehlt Lo4; Lücke Me2 303f. noch gemin-
nerit noch gemerit (gegrosit H2) werdin Xi / nicht gemynnert werde vnd noch genedirt werden Lo4;
LückeMe2
zeiget und offenbaret alleine, obe der mensche gedultic si, als daz fiur zeiget, obe der pfenninc silberin
oder kupferin ist. Und hier umbe swer gedultic ist unde kerne dem niemer kein uzwendic liden zuo, dan-
noch so hieze er gedultic. 47 Vgl Pr.96, DW TV, S.215,33/: Daz ander, daz si (=gnade) diesele
machet gote glich und drücket gotes glichnisse in die sele und machet sie gotvar . . . 48 Vgl Pr. 23,
DWI, S.407,1-5:Nemet ein glichnisse: diu sunne schirret durch daz glas und dringet daz wazzervonder
rosen; daz kumet von kluocheit der materie des glases von der berlichen kraft der sunnen; also birt diu
sunne in dem glase und niht daz glas in der sunnen. Also was ez umbe sant Paulum: d6 diu klare sunne
cler gotheit sirre sele durchschein . .. 49 Vgl. Pr.2, DW I, S.26,7j: Als die meister sprechent, daz
glich und glich aleine ein sache ist der einunge; Pr.44,DWII, S.338,2-3:Daz sprechent unser meister:
einunge wil haben glichnisse. Einunge enmac niht gesin, si enhabe glichnisse; vgl. auch Sermo XXIX n.
297, LWW, S. 264,6j: Similitudo autem est quaedam unitas sive quorundam unitas; Inioh n. 556, LWIII,
S. 485,11-12: notandum primo quod, sicut omnis inaequalitas nascitur ab aequalitate, ut ait Boethius
in fine Arithmeticae, sie ipsa aequalitas ab unitate nascitur; n. 558, LWIII, S. 487,5j: aequalitas non quies-
cit, quia nec est aequalitas, nisi in unitate . . . 50 Vgl Pr. 47, DW II, S. 402,3-403,6: Sehet, also ist ez
umbe götliche gaben: sie müezen gemezzen werden nach dem, der sie enpfähen sol, und niht nach dem,
der sie gibet. Ein meister sprichet: got ist ein maze aller dinge, und als vil ein mensche me gotes in im
hat dan der ander, als vil ist er wiser, edeler und bezzer dan der ander. Me gotes haben enist niht anders
dan me gote glich wesen; ie gotes glichnisses me in uns ist, ie geistlicher wir sin; vgl. auch In Eccli. n. 64,
LWII, S.294,4-6: Deus autem, utpote esse primum et simplicissimum, mensura est et regula omnium
quae surrt quocumque modo essendi, ex X Metaphysicae. Igitur ornne quod fit secundum deum
bonum est.
199
Predigt 95
geminnert noch gemeret werden51 , wan er geminnert noch gemeret werden 51, wan er
unmrezic und unwandelhaftic ist, mer: diu 305 unmrezic und unwandelhaftic ist, sunder 15
sele muoz erhaben und gewitet werden, wan diu sele muoz erhaben und gewitet werden,
si kleine und wandelhaftic ist. Dar umbe sol wan si kleine und wandelhaftic ist. Dar 5
si erhaben werden über sich selbes und umbe sol si erhaben werden über sich selber,
gew5:tet und swaz si gew'i:tet wirt, so ist ez doch kleine
gegen gotes unmrezikeit 52 • 310 gegen gotes unmrezikeit 52 .
Ein meister 53 sprichet, daz der mensche Ein meister 53 sprichet, der mensche
ein klein dinc s'i:, er enwerde denne erhaben s'i: ein klein dinc, er enwerde denne erhaben
305 Mer X1 / Sundir Lo4; in dem Me2 306 f. wan si deine vnd wandilhaftic ist X1 / wan sy
ist deine vnd vnwandilhaftig Lo4; Lücke Me2 308 selbis Y1, B,fehlt X1 310 nach unmrezi-
keit: Bide wir etc. O; etc. H2 311-320 Ein meister spricht Das der mensche ein dein ding sy Er
werde dann irhaben obir sich selbir so alerst enphet deze volkomene wolust von gote als sy im gemeszi-
get wirt worvmme smeckt got allen seln nicht glich das sy darczü nicht gefuget ist das vns got also
smecke vnd fuge das wir von öm nvmmer gescheiden mogen werden Amen Lo4 (vgl B) / so mag sy
volchömen lust von im enphahen. vnd dar vmb das all sel gegen got nicht gleich gefüegt sind so smekcht
in got nicht gleich. Als dy sunn allen wegen nicht gleich scheint. aim tuet sy wee dem andern noch wir-
ser vnd dem dritten aller wirsist Me2,jehlt X1
305 vnmeszig vnd vnwandelhafftig X/ vnwandelhafftig vnd vnmessig BT 307 deyn vnd
wandelhafftig (vnwandelheftik N1b) ist X/ ist klein vnd wandelhafftig BT 309 vnd was sie gewi-
det wurdt (wirt N1b) so ist es doch deyn X/ vnd geweitert BT; vgl A 311f. der mensche sy eyn
deyn dingk X/ das der mensch ein kleyn ding sey BT; vgl. A
51 Vgl Pr. 71, DWIII, S.214,7-215,1:Ein meister sprichet: in gote enist nihtminner undme noch
daz und daz; Pr. 75, DW III, S. 293,]f: Aber in gote enist weder minner noch me; er ist aleine ein einval-
tigiu, luteriu, wesenlichiu warheit; Pr. 62, DW III, S. 61,1f: 'Got ist ein', und der iht me suochet und mei-
net; daz enist got niht, ez ist teil; vgl auchinExod n. 90, LWII, S.93,11j: 'Deus enim unus est', unum est.
In uno autem non est maius aut minus; Sermo XXXIV,2 n. 345, LW Iv, S.300,10-12: Hinc est secundo
quod deus non est in tempore, loco et universaliter in quanto, eo quod huiusmodi omnia habent partes
et per consequens numerum, divisionem et privationem. 52 Vgl Pr.34, DW II, S.164,6-165,3: Nu
sprichet Davit: 'herre, ervröuwe mine sele, wan ich han sie ufgehaben ze dir!' Diu sele muoz sich erhe-
ben mit aller ir kraft über sich selben und muoz gezogen werden über zit und über stat in die wite und
in die breite, da got ist im selben bi und nahe und engat niht verre uz und enrüeret niht vremdes; Sernw
XXXII n. 328, LWIv, S. 287,1j: Quarta, ut anima semper necesse habeat sursum ferri et agi in deum; vgl
auch Sermo XXII n. 213, LW IV, S.198,8f: Tertio, quia oportet nos ipsos superius fieri sive ferri, ut ipsa
(= dona) accipiamus. Vgl. auch Pr. 60, DW III, S. 21,2-6: Ze dem vierden male sprichet er, daz diu sele
ruowen sol in gote. Götlich werk enmac got in der sele niht gewürken, wan allez, daz in die sele kumet,
daz wirt mit maze begriffen. Maze ist, daz etwaz inner im besliuzet und etwaz uzer im besliuzet. Also
enist ez niht umbe götlichiu werk: diu sirrt unbegriffen und sirrt beslozzen unbeslozzenliche nach göt-
licher offenbarunge; Pr. 84, DW III, S. 461,4-462,5: Diu sele muoz auch hoben ir selber wonen, sol si got
begrffen; wan swie vil si würket mit der kraft, da si allez daz mite begrffet, daz geschaffen ist - hrete got
tusent himelriche und tusent ertriche geschaffen, die begriffe si alle wol mit der einen kraft-, noch-
denne enmac si got niht begrifen. Der unmezliche got, der in der sele ist, der begrffet den got, der
unmezlich ist. Da begrifet got got und würket got sich selben in der sele und bildet sie nach im.
200
Os suum aperuit sapientiae
über sich selber. So allererst enpfrehet diu über sich selber. So allererst enpfrehet diu
sele volkomene wollust von gote, als si im sele volkomene wollust von gote, als si im
gemreziget wirt. War umbe ensmacket got 315 gemreze wirt. War umbe ensmacket got
10 allen selen niht gliche? Daz si allen selen niht gliche? Daz ist da von, daz si
dar zuo niht gevüeget enist54. dar zuo gevüeget niht ensint 54.
Daz uns got also smecke und vüege, daz Daz wir dar zuo gevüeget werden, daz uns
wir von im niemer gescheiden mügen got wrerliche in unser sele smeckende
werden. Amen. 320 werde, des helfe uns got. Amen.
313 allererst / alerst Lo4; Lücke Xi, Me2 313f. diu sele / deze Lo4; Lücke Xi, Me2
201
PREDIGT 96 (Strauch Par. an. Nr.47 S.106-107)
Handschriftliche Überlieferung:
Filiation der Handschriften: Wie in den Predigten 20b (Par. an. 24), 82 (Par. an. Nr. 48), 84
(Par. an. Nr. 57), 91 (Par. an. Nr.16) und 95 (Par. an. Nr. 46) zeigen die Handschriften H2 und
0 eine textliche Opposition zu der übrigen Überlieferung. An einer beträchtlichen Anzahl
von Stellen weichen B7 und Lo4 (= Y) vom Text der Handschriften O und H2 (= X1) ab.
1 Elizabeth pariet ... Johannem Xi [O], fehlt B7, Lo4
1 salX1 [O] / saldirY [Lo4]
2 vndX1, [O], fehlt B7, Lo4
6 f. daz si X1 [O] / daz daz sy (sich B7) Y
8 wirdit gewandelit in X1 [OJ / werde gewandelt czu Y
9 zubewisene der sele X1 [O] / czü bewisen Y [Lo4]
13 etliche Xi [O], fehlt Y
14 f. an eime glichnisse daz geistlich ist X1 [0 J / an geistlichem (geystlichen B 7) glichnisse (glichnis-
sen B7) Y [Lo4]
17 ist vf (vns O) genoinen X 1 [H2] / sullen wir merken (pruuen B 7) Y [Lo4 J
17f. in der godis gnade geborin sal werdin X1 [OJ / dy in der gotis gnaden (gnade B7) geborn wirt
(wurdt B7) Y [Lo4]
202
Filiation der Handschriften
18 groiz werdin X1 [O] / groz werden vor gote Y [Lo4] (vgl. Luc. 1, 15: erit enim magnus coram
domino)
20 Sente Johannes wart also gereinigit X1 [O] / Also sanctus (sente Lo4) Johannes deth (deth fehlt
Lo4) Y [B7]
22 fon der he X1 [O] / da er von Y [Lo4]
23 di was also gereinigit X1 [O] / das was geluttert Y [Lo4]
23 nie X1 [O] / ön keyn (keyn B7) Y [Lo4]
24 vnberhaftig (1 und 2) (vnbehaftic O) Xi [H2] / vnfruchtbar Y [Lo4]
24f. indergodisgnadegeborinwerdit Xi [OJ / dy in der(dy in der/ in der die B7) gotisgnade geborn
wirt (sal werden B7) Y [Lo4]
26 Ein X1 [O] / Wan eyn Y [Lo4]
28 Glicher wis alse warme dinc X 1 [0] / Alle warmen ding B 7; Lücke Lo4
29 kalde dinc X 1 [0] / kalde vnd fachte ding Lo4, kalt dingk vndfacht B 7
32 Bi drin dingin X1 [O] / Dru stuck Y [B7]
32 di sele (2) Xi [O] / dy gnade Y [Lo4]
42 vngeteilit X1 [O] / vngestucket (vfi gestucket Lo4) Y [B7]
45 Daz erste X1 [O] / das es Y [Lo4]
46 f. fon sunden X 1 [0] / von allen sünden Y [Lo4]
48 vnd wi vil he gudis getuitdaz Xi [O] / wyvel erouchgutis getut es Y [Lo4].
Bis auf wenige Abweichungen ist der Text der Handschrift O mit Xi identisch.
13 den B7, de H2, Lo4 / dem 0
16 efH2 / vns 0
21 vrowe H2, Y / Jrauwin 0
24 vnberhaftig (1 und 2) H2 / vnbehajtic 0
40 engelin H2, Y / glin 0
49 nach bfhel: durch snidig sy. also sal die sele durch snidig sin. an allin gotlichen vnd togentlichen
werkin. Daz dritte daz diz bihil H2, Y, fehlt O (Homoioteleuton-Lücke)
54 nach sele: Bide wir etc. 0.
Die Handschriften B7 und Lo4 sind über ihre gemeinsame Vorlage Y miteinander verbun-
den. Ihren Text hat nach Maßgabe der Kontextrichtigkeit Xi (0, H2) an manchen Stellen
verändert:
203
Predigt 96
Weitaus häufiger als O und H2 von X1 entfernen sich die Handschriften Lo4 und B7 von
ihrer Vorlage Y. Die Handschrift Lo4 ist dabei immer noch bemüht, die Nähe zum Y-Text,
zumal in der Wortstellung, aufrechtzuerhalten:
2 wart Xi [O], B7 / wort dy Lo4
4 o.ffinbarit X1 [O], B7 / offenbarte Lo4
5 mache Xi [O], B7 / mag Lo4
6 derX1 [O],B7 / derdaLo4
7 muglicher Xi [O], B7 / mogelich Lo4
8 affin barit Xi [OJ, B7 / qffenbarte Lo4
11 nicht daz dinc da Jan ich X 1 [0 ], die dingk nit dauon ich B 7 / daz ding nicht da ich von Lo4
12 mine wort Xi [O], B7 /indem worte Lo4
12 ez zu Xi [O], B7 / es vorbasz czü Lo4
16 sal man mirkin Xi [O], pruuent B7 / merke wir Lo4
17 kint Xi [O], B7 / son Lo4
17 sin sal Xi [O], B7 / sal sin Lo4
20 Sente Johannes wart also gereinigit X1 [O]; Also sanctus Johannes deth B7 / also sente ihoannes
Lo4
21 noch (1) Xi [O], B7 / weder Lo4
22 was alzumale reine X 1 [0], B 7 / wart alczümal reyne geborn Lo4
23 vn Xi [O], B7, fehlt Lo4
25 gedenke (gedencken ensal B7) ane behagunge Xi [O], B7 / an behagunge gedenke Lo4
27 werc (1) Xi [O], B7 / ding Lo4 (ebenso 31)
28 f. Gltcher wise, als warmiu dinc koment von dem viure - enwrere kein viur, so enwrere kein werme
fehlt Lo4
30 dorecht vnd mogent vil lyden vnd sint kalt X 1 [H2 J; dorre vnd mogent viel liden B 7 / torecht vnnd
kald vnnd mogen vel lyden Lo4
31 lit Xi [O], B7, fehlt Lo4
31 werc X1 [O], B7 / ding Lo4 (ebenso 27)
32 vor Bi drin dingen: Tria sunt que ostendunt graciam esse in anima Lo4
32 merkin Xi [O], pruuen B7 / merken by den moge wir prüfen Lo4
204
Filiation der Handschriften
Die Handschrift B 7, nicht unmittelbar, sondern über die Zwischenvorlage Y1 (B6, B7) mit
Y verbunden, gestaltet den Predigttext an markanten Stellen entschieden um, insbesondere
fügt sie erklärende Zusätze ein:
2 f. du he sich ef.finbarte zacharias X 1 [0 J, Lo4 / zu herr zacharias da er sich yem ojfenbartte B7
7 for wandele X1 [O], Lo4 / wandelt B7
7 So ist es Xi [O], Lo4 / Es ist viel B7
9 bindit X1 [O], Lo4 / knuppet B7
11 en ist nicht daz dinc X1 [O]; ist daz ding nicht Lo4 / das enjst die dingk nit B7
11 nach wil: sunder eyn bewisen der dinge dauon ich sprechen wil B7, fehlt X 1 [0], Lo4 (Homoiote-
leuton-Lücke)
12 di lujt X1 [O], Lo4 / den lujft B7
13 orin Xi [O], Lo4 / orenjnne B7
14 was si meinen Xi [OJ, Lo4, fehlt B7
14f. also offinbarin sich di engle an eime (eime fehlt Lo4) glichnisse das geistlich ist (glichnisse das
geistlich ist/ geistlichem glichnisse Lo4) vnd bewisin also godis willin X1 [O], Lo4 / als offenba-
ret sich eyn engel an geystlichen glichnissen vnd also gottes willen zubewisene B 7
16 sal gewinnen X1 [O], Lo4 / sal dir geberen B7 (vgl. pariet tibi)
18 bedüt Lo4; dudit sich Xi [OJ / der betudet B7
18 in deme di gnade ist X1 [O], Lo4 / eyner in dem gnade ist B7
23 daz Xi [O], Lo4; / da B7
24 difrauwe Xi [OJ, Lo4 / elizabeth B7
25 gedenke Xi [O], Lo4 / gedencken ensal B7
25 noch X1 [O], Lo4 / noch an B7
205
Predigt 96
206
Textkonstituierung
Auch die Handschrift B 6 bezieht ihren Text nicht unmittelbar aus der Vorlage Y, sondern
aus Zwischenvorlagen, die, nach den wechselnden Überlieferungsständen der Predigten 20b,
31, 32, 60, 64, 93, 95 B, 106 A, 107 und 111 zu schließen, außer von B7 und B6 auch noch von
anderen Textzeugen getragen werden. Die Kürze des Textstückes in B6 (Z. 52- 54) erlaubt es
nicht, das genaue Verhältnis zwischen B6 und B7 und ihren zu vermutenden Vorlagen, die in
der Sigle Y1 zusammengefaßt sind, zu bestimmen:
53 siez selber Xi [O); sy sich selbis Lo4 / si selue B6, sie selber B7
53 nach muoz: wande sie eyn creature ist Yi [B7], fehlt Xi, Lo4
53 f. inne (yne Lo4) blibet Xi [O), Lo4 / enblibet Yi [B7)
54 nach sele: sonder onderscheit B6, sunder myttel B7, fehlt Xi, Lo4.
Die Selbständigkeit von B6 gegenüber B 7 kann nur mit einer einzigen Lesart belegt werden:
52f. Also lange wirkitdignade mit der sele Xi [O], Lo4, B7 / Also lange wercketgraci anderzielenB6.
X1Y
x,/·~v
~
/\ /~v,
L:4 /\
H2
•
B6
•
B7
Textkonstituierung: Der Text der Predigt 96 hat sowohl auf dem Überlieferungsweg, der
zu X1 (0, H2) führt, wie auch in den Handschriften Lo4, B7, B6 (= Y) Beschädigungen erlit-
ten. Diese lassen sich aus dem Vergleich beider Überlieferungsstränge miteinander erken-
nen; doch nicht alle und nicht alle mit gleicher Sicherheit. Das Fehlen der vollständigen
Textabschrift von B6, wodurch die Textform Y1 gänzlich verdunkelt erscheint, macht es
schwer, die individuellen Lesarten von B7 richtig zu beurteilen: In ihnen können sich junge
Redigierungen des Textes spiegeln aber auch ursprüngliche Lesarten, die 0, H2 und Lo4
nicht mehr bewahren. Der Edierte Text vertraut sich den Handschriften O und H2 (X1) an.
Er weicht von ihnen ab, wenn aus Gründen der Kontextrichtigkeit die ursprüngliche Lesart
auf der Y-Seite (Lo4, B7, B6) zu vermuten ist.
207
Predigt 96
Übersetzung: keine.
Echtheit: Für die Echtheit der Predigt 96 steht das Zeugnis des Predigtregisters der Pre-
digtsammlung 'Paradisus anime intelligentis', das die Handschriften O und H2 bewahrt
haben (In disir predigade bewisit meistir eckart). Von den Handschriften B7, B6 und Lo4
wird die Predigt anonym überliefert.
Von hohem Zeugniswert für die Echtheit der Predigt ist die Rückverweisformel als ich
auch me gesprochen han (Z. 38), die Eckhart im gleichen Sinnkontext auch in der Predigt 81
(siehe Anm. 23) verwendet:
Als ich auch me gesprochen han, als ich auch me gesprochen han,
daz alle bilde und glichnisse daz glichnisse und volkomenheit
aller creaturen e geschaffen wurden aller creaturen ist geschaffen
an den engeln, e dan sie an den engeln geistliche,
lipha.ftic gemachet wurden e sie geschaffen wurden
an den creaturen. an den creaturen.
Über den gleichen Sachverhalt hat sich Eckhart tatsächlich des öfteren in seinen deut-
schen und lateinischen Schriften geäußert (siehe Anm. 22 und 23). Inhaltliche Argumente
für die Echtheit der Predigt können in der recht individuellen Deutung des Namens 'Elisa-
beth' (Luc. 1,13) auf Elisabeth von Thüringen gesehen werden, die eine Entsprechung in
den Predigten 11, 32 und 95 hat (Anm.10, 15), des weiteren in der Lehre von der gleichnis-
haften Offenbarung der Engel in der menschlichen Seele (Z. 5-15) und ebenso in der Leh-
re der Erbsünde in Bezug auf Johannes den Täufer, Maria und Christus (Z. 19-26) sowie in
der Lehre von der Gnade (Z. 32-54), die sich in einer Fülle von Zeugnissen mit gleichlau-
tenden Aussagen Eckharts in seinen übrigen lateinischen und deutschen Schriften belegen
läßt. Zur Erhärtung der Autorschaft Eckharts dürfen auch die nachgewiesenen Bezugnah-
men der Predigt auf Avicenna (Anm. 22) und Aristoteles (Anm. 26) herangezogen werden.
Nicht zuletzt steht ihre Begrifflichkeit im Einklang mit den sonstigen deutschen Predigten
Eckharts (vgl. z.B. Z. 34 gotvar, Z. 45 bi glichem, Z. 54 sunder mittel).
Der Aufbau der Predigtskizze orientiert sich am Muster der Homilie. Von den Schrift-
versen Luc. 1, 11-13 werden lediglich die Namen gedeutet: Engel, Elisabeth, Johannes.
1. engel (Z. 4-15). Vom Engel wird gesagt, daß er sich in zweifacher Weise offenbaret (4):
a) im Leib, den er von den Elementen nimmt. Er kann von nature einen Baum in einer stun-
de (5) wachsen lassen, der sonst dazu viele Jahre braucht. Der Mensch kann in seiner Natur
Speise in Fleisch und Blut verwandeln. Aus göttlicher Kraft kann Brot und Wein in gotes
lichamen (8) verwandelt werden. b) im 'Gleichnis' des göttlichen Lichtes, um der Seele Got-
tes Willen ze bewisenne (9). Dies geschieht so, wie der Sinn eines Wortes, das ein bewisen der
dinge (11) ist, über das Ohr in die Seele vermittelt wird, oder wie sich Klosterleute durch
stumme Zeichen mit den Fingern verständigen.
208
Aufbau
2. Elizabet (Z. 16-26). An Elisabeth kann man erkennen, in welchem Stande (ahte 17)
' die Seele sein muß, in der gotes gnade geboren werden soll. Das Kind Elisabeths ist Johannes,
und Johannes bedeutet: in dem diugnade ist (18). Das Kind soll heilic geborn werden (19). Im
Hinblick auf die Reinheit und Heiligkeit des Kindes kann man drierleie gehurt unterschei-
den: a) die des Johannes: Bei seiner Geburt wurde er in der Weise gereinigt, daß er keine hou-
betsünde (20) begehen konnte; b) die Marias: Bei ihrer Geburt wurde ihr die Gnade zuteil,
weder eine houbetsünde noch eine tegelfche sünde (läßliche Sünde) begehen zu können (21f.);
c) die Christi: Seine Geburt war ganz und gar reine (22). Wegen der reinen enpfencnisse kam
er mit der erbesünde nicht in Berührung. So wie die vrouwe (Elisabeth) 'unfruchtbar' war, so
soll auch die Seele, in der gotes gnade geboren wird, 'unfruchtbar' sein: dadurch daß sie ein-
zig auf Gott allein ausgerichtet ist und nicht an Behaglichkeit denkt und auch nicht an das
Mißbehagen von seiten der Leute.
3. Johannes (Z. 27-54). Der dritte und letzte Teil der Predigt, selbst wiederum aus drei
Teilen bestehend, handelt von dem, was Johannes bedeutet: von der Gnade. a) In welchem
Verhältnis die volkomenheit der sele (31) zur Gnade steht, erläutert Eckhart nach dem Prin-
zip, daß jedes werk aus dem Sein (wesen 27) 'fließt', so wie die Wärme vom Feuer kommt, die
Kälte vom Wasser und das Trockene von der Erde. b) An drei Dingen ist zu erkennen, ob die
Gnade in der Seele sei. Sie ist in der Seele, 1. wenn die Seele gotvar (34) ist, denn die Gnade
kommt aus göttlichem Sein (von einem götlfchen wesene 33); 2. wenn die Gnade die Seele Gott
'gleich' macht, so daß sie den Teufeln wie Gott erscheint; 3. wenn die Seele alle volkomenheit
(36 f.) haben will. Mit einem Zitat eines heidnischen Meisters (Avicenna) wird gesagt, daß die
Vollkommenheit der Seele in glfchnisse gotes, engel und aller creatflren (37 f.) besteht. Es soll
die Seele den Engeln gleich sein in dem himelriche ( 40); sie erhält, was der Engel schon
besitzt. c) Welche wise (44) die Gnade in der Seele bewirkt, veranschaulicht Eckhart mit dem
Gleichnis vom Beil (Aristoteles). 1. Das Beil hat eine 'rehte' Gestalt, weil es geslijfen (46) ist.
So muß auch die Seele gereinigt und geläutert sein von Sünden. Ohne Gnade kann der sün-
dige Mensch nichts Gutes tun. 2. Das Beil ist scharf (durchsnfdic 49). So soll auch die Seele
mit göttlichen Werken 'scharf' sein. 3. Das Beil hilft dem Zimmermann, sein Werk zu voll-
endep. So bringt auch die Gnade die Seele in got (51), erhebt sie über sich selbst, beraubt sie
ihrer selbst und alles Kreatürlichen und vereint sie mit Gott. Die Gnade, selbst creatflre (53),
wirkt so lange mit der Seele, bis sonst nichts mehr ist als got und diu sele (54).
209
Elisabeth pariet tibi filium.
'Elizabeth pariet tibi filium et vocabis nomen eius Johannem. Elizabet sol gewinnen 106,19
einen surr und der sol heizen Johannes' 1. Disiu wort 'sprach der engel', d6 'er sich offenbarte
Zacharias' 2 .
Zweierhande wise offenbaret sich der engel. Also an einem lichamen, den er nimet von
5 den elementen. Der engel vermac daz von nature, daz er mache einen boum in einer stunde
ze bewisenne, der manic jar wehset von einem kernen 3 . Des menschen nature vermac, daz
si spise verwandele ze vleische und ze bluote 4 . S6 ist ez mügelicher, daz von götlicher kraft 25
wirr und br6t wirt gewandelt in gotes lichamen5 . Ze dem andern male offenbaret sich der
Zuschrei bungen: xvj (am linken Rand O) Elizabet pariet tibi filium et uocabis nomen eius iohannem
In disir predigade be wisit meistir eckart (Ech. H2) wilche wis der engil sich affin barit den menschen
vnd der sele. vnd wi di sele sin sal in der gnade wirkin sal 0, H2 (Inhaltsverzeichnis: 0 fol. 4a [Par. an.
S. 5], H2fol. Y)
Überschriften: xvj O (am rechten Rand); de sanctis (in der Zeile) xvj de sanctis (am rechten
Rand) H2; De sigillo trinitatis nostrc memorie trinitatis impressit karackterem (am oberen Rand der Sei-
te) von der geburt sente Johannis des toufers vnsers hern (am Beginn der linken Spalte) Lo4
1 Elizabeth pariet tibi filium et vo. n. e. jo. (Iohes. H2) Xi [O],jehlt Y 1 sal Xi / sal dir B7,
Lo4 2 vnd der Xi/ der B7, Lo4 2 f. du he (er Lo4) sich offinbarte zacharias Xi, Lo4 / zu herr
zacharias da er sich yem offenbartte B7 6 daz Xi/ daz daz Lo4, B7 7 si spise for wandele Xi,
Lo4 / sich spise wandelt B7 7 So ist ez muglicher (mogelich Lo4) Xi, Lo4 / Es ist viel mogelicher
B7 8 wirdit gewandelit in Xi / werde gewandelt zu B7, Lo4
1 Vgl. Luc. 1,13: Ait autem ad illum angelus: Ne timeas Zacharia, quoniam exaudita est depreca-
tio tua; et uxor tua Elisabeth pariet tibi filium, et vocabis nomen eins Iohannem. Der Schrifttext steht
im Evangelium der Vigil zum Fest Johannes' des Täufers (In vigilia S. Iohannis baptistae [23. Juni]).
2 Vgl. Luc. 1,11-12: Apparuit autem illi angelus Domini, stans a dextris altaris incensi. (12) Et Zaccha-
rias turbatus est videns, et timor inruit super eum. 3 Über die plötzliche Hervorbringung eines Bau-
mes vgl. In Ioh n. 294, 1,WIll, S. 246,10-247, 7: Videmus autem, exempli gratia, in naturalibus quod infra
tempus aliquod ex semine quasi minimo et informi producitur arbor in immensum alta et grossa, plu-
ribus ramis, frondibus, floribus et fructibus onusta ... Gerte, si quis subito coram nobis produceret arbo-
rem, de qua iam supra, ex suo semine, totus mundus stuperet; Sermo V,1 n. 31, LW IV, S.33,9/: Exem-
plum die de productione arboris subito, sicut etiam habemus de virga Aaron, Numeri 17b (Num. 17,8).
4 Vgl. Pr. 108, DW IV, Z. 51j.- ... wan alliu diu spise, die der mensche enpfa,het, diu im wol gevüeget,
diu wirt gewandelt an sin vleisch und sin bluot und wirt ein leben mit im; Pr. 65, DW III, S. 98,1-2: Diu
lipliche spise, die wir in uns nemen, diu wirt gewandelt in uns; aber diu geistliche spise, die wir
enpfähen, diu wandelt uns in sich; Pr. 20b, DW I, S.344,1-9: Sant Augustin& gruwelte vor dirre spi-
se; do sprach im ein stimme zuo in dem geiste: »ich bin ein spise der grozen; wahs und nim zuo und iz
mich. Du enverwandelst mich niht in dich, mer: du wirst gewandelt in mich«. Die spise und den trank,
diu ich vor vierzehen nahten nam, dä von nam ein kraft miner sele daz luterste und daz kleineste und
truoc daz in minen lip und vereinte daz mit allem dem, daz in mir ist, daz niht enist als kleine, als man
eine nädel gesetzen müge, ez enhabe sich mit im vereinet; und ist als eigenliche ein mit mir, als daz dä
genomen wart in miner muoter libe, dä min leben mir wart ingegozzen ze dem ersten. 5 Vgl. Pr. 6,
DW I, S.111,1-2: Ze glicher wise, als an dem sacramente verwandelt wirt brot in unsers herren licha-
men, swie vil der brote wrere, s6 wirt doch ein lichame.
210
Elisabeth pariet tibi filium
engel an einem glichnisse götliches liehtes, gotes willen ze bewisenne der sele, und bindet
gotes willen in daz lieht und drücket den in die sele 6. Als daz wort, daz ich sprechen wil, enist 10
30 niht daz dinc, da von ich sprechen wil, sunder ein bewisen der dinge, da von ich sprechen
wil, als ich miniu wort binde an die luft mit der stimme, und die luft vüeret ez ze iuwern
oren 7 , und wirt also bräht in diesele. Als etliche geistliche liute bewisent mit den vingern 8 ,
waz sie meinent, also offenbarent sich die engel an einem glichnisse, daz geistlich ist, und
bewisent also gotes willen der sele. 15
35 Nu sol man merken daz erste wort, daz der engel sprichet: 'Elizabet sol gewinnen ein
kint' 9 • Bi 'Elizabet' ist ufgenomen, in welcher ahte diu sele sin sol, in der gotes gnade geborn
9 zubewisene der sele Xi / zubewisen B7, Lo4 9 f. bindit godis willin in Xi, Lo4 / knuppet
gottes willen an B7 10 alse Xi, Lo4 / Also B7 10f. en ist nicht daz dinc Xi; ist daz ding nicht
Lo4 / das enjst die dingk nit B7 11 f. sunder eyn bewisen der dinge dauon ich sprechen wil B7,fehlt
Xi, Lo4 12 an di luft Xi / in den lufft B7; in dy luft Lo4 12 f. zu vwirin orin Xi / vorbasz
czü uwern ornLo4; zu uweren orenjnneB7 13 wirtLo4 / wordtB7; w'rtXi 13 inX1,Lo4 / an
B7 13 Als B7 / alse O; Also H2, Lo4 13 etliche geistliche Xi/ geystliche B7, Lo4 13 lude
B7, Lo4 / lude di Xi 14 was si meinen Xi, Lo4,jehlt B7 14 also offinbarin sich di engle Xi,
Lo4 / als offenbaret sich eyn engel B7 14 an eime glichnisse daz geistlich ist Xi/ an geistlichem
glichnisse Lo4; an geystlichen glichnissen B7 15 bewisin also godis willin Xi, Lo4 / also gottes wil-
len zubewisene B7 16 sal man mirkin Xi / merke wir Lo4; pruuent B7 16 f. gewinnen ein kint
Xi / gewynnen eynen son Lo4; dir geberen eyn kint B7 17 ist vf (vns O) genomen Xi [H2] / sul-
len wir merken Lo4; sollen wir pruuen B7 17 f. in der godis gnade geborin sal werdin Xi / die ( dy
über der Zeile Lo4) in der gottes gnade geboren wurdt (wirt Lo4) B7, Lo4
6 Vgl. Pr. 78, DW III, S.355,4-356,2: Ze dem andern male erliuhtet er diesele in zweierleie wis:
götlich lieht daz. ist sö überswenkic, daz ez diu sele niht geliden enmac, ez enwerde getempert und
beschatewet in des engels liehte und also getragen in die sele. Dar nach erliuhtet er sie mit glichnisse.
Der engel leget sin verstantnisse an die sele und kreftiget sie, daz si enpfähen oder liden mac götlich
lieht; Pr. 12, DWI, S. 200,7-10: Ir vröude enist niht deste minner und ir glicheit; wan daz werk des engels
ist der wille gotes, und der wille gotes ist daz werk des engels; dar umbe enwirt er niht gehindert an siner
vröude noch an siner glicheit noch an sinen werken; Tr. III, Pf, S. 396,34-38: Wan alliu bildnisse unde
glichnisse, als Dionysius sprichet, hat got des ersten in die nidristen engele ingedrücket, daz sie danne
daz götliche lieht unde den tröst gotes in die sele drücken, daz si kamen müge in ir einigez ein, daz got
ist, da nie dehein creature in blicken noch sehen mohte; Pr. 35, DW II, S.178,2-4: Allez, daz die uzern
sinne enpfahent, daz ez geistliche wirt ingetragen, daz kumet enoben von dem engel: der drücket ez in
daz ober teil der sele; vgl. auch Pr. 8, DW I, S.130,9-131,2: Ein meister sprichet, daz etliche creaturen
sö nahe gote sirrt und harrt sö vil gedrücket in sich götliches liehtes, daz sie andern creaturen wesen
gebent. 7 Vgl In Exod. n. 169, LW II, S.147,14-15: Nomen autem sive verbum omne nota est et sig-
num praecedentis apprehensionis; vgl auch Pr. 101, DW Il7, Z. 163-164j: Des wortes nature ist, daz ez
offenbaret daz verborgen ist. Ez offente sich und glenzte mir vor, daz ez etwaz wrere offenbarende.
8 Vgl Pr. 36a, DW II, S.189,12-190,2: Dar umbe walte er lieber swigen, und sine nötdurft bewisete er
mit zeichen der vinger. Daz vüeget uns noch baz, sit er niht enkunde gereden von den dingen, daz wir
swigen müezen alzemale von dem, der da ist ein ursprinc aller dinge. 9 Vgl Luc. 1,13: et uxor tua
Elisabeth pariet tibi fililJ.lll. 10 Vgl Isidorus Hispalensis Etymologiae VII c. 10 n. 2 (ed. Lind-
say I): Elisabeth Dei mei saturitas, vel Dei mei iuramentum. Die Textparallelen zu den Predigten 11, 32
211
Predigt 96
sol werden 10 . 'Johannes' bediutet als vil als 'in dem diu gnade ist' 11 • Daz kint 'sol groz werden'
und 'heilic geborn' 12 • Dar umbe begat man dr'ierleie gehurt, daz sie gereiniget wurden in irer
20 muoter l'ibe. Sant Johannes wart also gereiniget, daz er niht houbetsünde getuon enmohte. 107,1
Und unser vrouwe was also ervüllet mit der gnade, daz si noch houbetsünde noch tegelich
18 bedüt Lo4 / der betudet B7; tudit sich Xi 18 als viel als B7 / also vel also Lo4; also vil alse
O; alse vil also H2 18 in deme di gnade ist Xi, Lo4 / eyner in dem gnade ist B7 18 Das Xi, Lo4
/ Diesz B7 18 nach werden: vor gote Lo4, B7 20 Sente Johannes wart also gereinigit Xi/ Also
sanctus Johannes deth B7; also sente ihoannes Lo4 20 nyt B7, Lo4 / in getilgt und am rechten Rand
durch ny ersetzt H2,fehlt O 20 getun enmochte (mochte Lo4) B7, Lo4 / mochte getun Xi 21
wasz B7, Lo4 / di was Xi
und 95 legen es nahe anzunehmen, daß Eckhart bei der Ausdeutung des Namens 'Elisabeth' an die HZ. Eli-
sabeth von Thüringen denkt; vgl Pr. 11, DW I, S.176,2-177,9: 'Elizabeten zit ist ervüllet, und si gebar
einen sun. Johannes ist sin name. Do sprachen die liute: waz wunders sol werden von disem kinde, wan
gotes hant ist mit im?'. Ein geschrift sprichet: diu grceste gabe ist daz, daz wir gotes kint sin und daz
er smen sun in uns geber. Diu sele ensol niht in sich gebern, diu gotes kint wil sm und in der gotes sun
geborn sol werden, in die ensol sich niht anders gebern. Gotes hcehstiu meinunge ist gebern. hn
engenüeget niemer, er engeber denne sinen sun in uns. Der sele engenüeget ouch enkeine wis niht, der
sun gotes enwerde denne in ir geborn. Und da entspringet gnade. Gnade wirt da ingegozzen. Gnade
enwürket niht; ir werk ist ir gewerden. Si vliuzet uz dem wesene gotes und vliuzet in daz wesen der sele
und niht in die krefte. Do diu zit vol was, do wart geborn gnade; Pr. 32, DW II, S.141,1- 5: Daz hat vli-
zicliche getan sant Elizabet. 'Si hate' wisliche besehen die stige irs huses'. Dar umbe 'envorhte si den
winter niht, wan ir gesinde was zwivalt gekleidet'. Wan swaz ir geschaden mohte, da hate si ir huote vor.
Swa ez ir gebrach, da kerte si irn vliz dar, daz ez volkomen wart. Dar umbe 'enhat si ir brot niht müezic
gezzen'. Si hate ouch ir obersten krefte ze unserm gote gekeret ... S.146,2f: Dise stige sol ouch besehen
ein ieglichiu sreligiu sele ... S.147,if: Disiu vrouwe (vgl. 0, H2: frauwe S'. N. oder elizabet) was in rich-
tuome und in eren uzwendic gegen der werlt, und inwendic anebetete si war armüete; Pr. 95 B,
S.195,251-196,262: Daz sterben der sele daz sol sin an dem bekantnisse gotes, daz si von ir selber vliehen
sol und daz ir alliu dinc asmec und stinkende suln werden, daz got niht ensint. Si sol wurzeln an dem
glouben und wahsen an der liebe. Diz hat wol geprüevet sant Elizabet, wie tiure und wie edel ein kouf
ist, daz man alliu dinc gibet umbe die eyvige wisheit. Dar umbe verzech si vroliche uf ir vürstenlehen
und wart ein arm mensche. 11 Viguisidorus Hispalensis Etymologiae VII c. 9 n. 12 (ed Lind-
say I): Iohannes quodam vaticinio ex merito nomen accepit. Interpretatur enim, In quo est gratia, vel
Domini gratia; vgl Hieronymus Liber interpretationis Hebraicorum nominum A.ct. E-L, Gal, CCSL
LXXII, ed de Lagarde, S.146,16/ und S.155,19.fivgl auchinioh n. 521, LWIII, S.450,3-5: Gratia igi-
tur per sedat esse divinum. Johannes autem sonat »in qua est gratia«. Gratia autem, ut dictum est, sig-
num non facit, cum sit in essentia, non in potentia animae. Essentia enim ad esse respicit, potentia ad
opus; In Ioh n. 167, LW III, S.137,14:f: Iohannes, inquit, »in qua gratia«, testimonium perhibet de ipso,
Christo deo scilicet; In Sap. n. 273, LW II, S. 603,5f: Hinc est quod de Iohanne, »in qua gratia«, scribitur
quod 'Johannes signum fecit nullum', loh. 10 (Ioh 10,41); Sermo XVII, 6 n. 179, LW W, S.167,13-168,1:
In cuius figura Johannes, 'gratia', id quod est, 'signum nullum fecit', loh. 10 (Ioh 10,41); vgl auch Tho-
mas CatenaA.urea. Expos. inLuc.1,63 (Ed Marietti 8.23): Quin etiam hoc nomen Ioannes gratia Dei
interpretatur. Vgl weiter Pr. 38, DW II, S. 242,3 -6: Da gnade inne ist in der sele, daz ist so luter und ist
gote so glich und so sippe, und gnade ist ane werk, als in der gehurt, da ich vor von gesprochen harr, kein
werk enist. Gnade enwürket kein werk. Sant 'Johannes engetete nie kein zeichen'; Tr. XVIII, Pf,
S. 584,37/: ... wan Johannes ist als vil als genade gotes; vgl. auch Pr. 11, DW I, S.176,2-177,9 (siehe oben
Anm.10). 12 Vgl Luc. 1,15: erit enim magnus coram Domino: et vinum et sicera non bibit, et Spiri-
tu Sancto replebitur adhuc ex utero matris suae.
212
Elisabeth pariet tibi filiurn
sünde nie engetete. Und unser herre Jesus Kristus was alzemale reine, wan von der er
5 ·enpfangen wart, diu was gereiniget vor dem enpfencnisse, daz nie erbesünde an in gevallen
enmohte 13 • Also diu vrouwe 'unberhaftic was' 14, also sol diu sele unberhaftic s'i:n, in der gotes
gnade geborn wirt, daz si niergen gedenke an behagunge noch an missehagunge der liute 25
dan ze gote aleine 15 .
10 Ein ieglich werk vliuzet von einem wesene. Enwrere kein wesen, so enwrere kein werk 16 .
22 sundeB7,Lo4,jehltX1 22 engedetB7 / geteitX1,Lo4 22 vnser(vnsereB7)herreihe-
sus (ihesus fehlt B7) christus Lo4, B7 / vnsis herrin ihesu christi der Xi 22 f. fon der he inphangin
wart di was also gereinigit for <lerne inphencnisse Xi / da er von enphangen wart das was geluttert vor
der enphengnisse Lo4, B7 23 daz nie Xi/ das ön keyn Lo4; da keyn B7 24 enmochte B7 /
mochte Xi, Lo4 24 alse die vrowe vnberhaftig (vnbehaftic 0) Xi [H2] / Also dy frowe vnfrucht-
bar Lo4; Also elizabeth vnfruchtbere B7 24 vnberhaftig (vnbehaftic O) [2] X1 / vnfruchtbar Lo4,
B7 24 in der X1 / in der die B7; dy in der Lo4, Strauch 25 wirdit Xi /wirt Lo4; sal werden B7
25 gedenke ane behagunge X1 / an behagunge gedenke Lo4; gedencken ensal an behagunge B7
27 Ein Xi/ Wan (want B7) eyn Lo4, B7 27 In were X1; Were Lo4 / Vnde enwere B7 27 kein
[2] X1, Lo4 / auch keyn B7 27 nach werk [2]: vnd die groste volkommenheyt des wercks die ligt an
der hitze der mynnen B7
13 Johannes dem Täefer, der Gottesmutter Maria und Jesus Christus ist gemeinsam, dq/J sie bereits
vor ihrer Geburt gereiniget wurden: Johannes der Täufer vermochte deswegen keine Todsünde zu begehen,
Maria weder eine Todsünde noch eine läßliche Sünde; Christus kam mit der Erbsünde überhaupt nicht in
Berührung, weil Maria vor seiner Empfängnis von ihr gereinigt wurde. Vgl dazu Pr. 93, DW W,
S.126,25 -27: Da mite ist bewiset, daz unser vrouwe in den sünden wart enpfangen und ir lip und ir sele
vereinet in der erbesünde, und dar nach mit der vart wart si von dem heiligen geiste gereiniget und wart
heilic geborn; vgl. auchAlbertus M. InLuc. 1,15 (ed. Borgnet XXII, 30a): Sanctificatus igitur est in
utero, sicut dicitur, Jerem. 1,5: Priusquam teformarem in utero, novi te: etantequam exires de vulva, sanc-
tificavi te, et Prophetam in gentibus dedi te. Quod paucissimis concessum est, quia non nisi tribus: Jere-
mire quidem, et Joanni, et beatre Virgini. Jeremire quidem et Joanni ad deletionem peccati originalis et
debilitatem fomitis, ut non moveat ad mortale, sed ad veniale poterat movere. Beatre autem Virgini ut
nec ad mortale neque veniale movere possit. 14 Vgl. Luc. 1,7: et non erat illis filius, eo quod esset Eli-
sabeth sterilis. Vgl. Pr. 43, DW II, S.319,2-5: Der wissage sprichet: 'diu vrouwe, diu unberhaft ist, der
kint ist vil me dan der, diu berhaft ist'. Also ist der sele, diu geistliche gebirt: der gehurt ist vil me; in
einem ieglichen ougenblicke so gebirt si. Diu sele, diu got hat, diu ist alle zit berhaft; vgl. auch In Gen.
In. 191, LWI, S. 663,3- 5: Patet ergo fecunditas animae coniunctae deo. Et hoc est quod Gal. 4 (Gal. 4,27)
dicitur: 'laetare sterilis', 'quia multi filii desertae, magis quam eius quae habet virum'; vgl. weiter Pr. 2,
DW I, S. 30,3-31,2: Ein juncvrouwe, diu ein wip ist, diu ist vri und ungebunden ane eigenschaft; diu ist
gote und ir selber alle zit glich nahe. Diu bringet vil vrühte und die sint groz, minner noch mer dan got
selber ist. Dise vruht und dise gehurt machet disiu juncvrouwe, diu ein wip ist, geborn und bringet alle
tage hundert mal oder tusent mal vruht joch ane zal gebernde und vruhtbrere werdende uz dem aller
edelsten grunde; Pr.10, DWI, S.166,12-13: Dar umbe ist der süne vil mer, die die juncvrouwen gebernt
dan der, die die vrouwen gebernt, wan sie gebernt über zit in ewicheit. 15 Mit vrouwe, die unber-
haftic was, ist deutlich wiederum die Hl Elisabeth von Thüringen gemeint; vgl. Pr. 32, DW II, S.141,5: Si
hate ouch ir obersten krefte ze unserm gote gekeret ... S.147,1-7: Disiu vrouwe was in richtuome und in
eren uzwendic gegen der werlt, und inwendic anebetete si war armüete. Und do ir der uzwendic trost
abegie, do vloch si, ze dem alle creaturen vliehent, und versmahte die werlt und sich selben. Da mite
kam si über sich selben und versmahte, daz man sie versmahte, also daz si sich da mite niht enbewar
und daz si ir volkomenheit dar umbe niht enliez. Si gerte des, daz si sieche und unvlretige liute waschen
und handeln müeste mit einem reinen herzen. 16 Vgl. In Ioh n. 634, LW III, S. 551,12-14: Praeter-
ea omnis actio etiam qualitatum activarum sensibilium attingit ad actum et proprietatem formae sub-
213
Predigt 96
Glicher wise, als warmiu dinc koment von dem viure - enwrere kein viur, so enwrere kein
werme -, und alliu kaltiu dinc koment von dem wazzer, und alliu truckeniu dinc koment von
30 der erden, und alle die der erden vil hant, die sint toreht und mügen vil liden und sint kalt 17 ,
also liget alliu volkomenheit der sele an der hitze, diu da lebendigiu werk würket 18 •
28 Glicher wis alse warme dinc Xi / Alle warmen ding B7; Lücke Lo4 28 f. kein werme (wer-
mede H2) Xi / auch keyn hitze B7; Lücke Lo4 29 kalde dinc Xi / kalde vnd fuchte ding Lo4; kalt
dingk vnd focht B7 29 deme wazzere vnd alle trockine dinc cumen fon Xi, Lo4, B7,fehlt Sievers,
Strauch (Hom) 30 torecht Lo4, O; dorecht H2 / dorre B7 30 vnd mugint vile lidin vnd sirrt
kalt Xi/ vnnd kald vnnd mogen vel lyden Lo4; vnd mogent viel liden B7 31 alle Xi, Lo4,jehlt B7
31 hitze Xi; hetcze Lo4 / hitze der mynnen B7
stantialis a qua :f:luit et descendit; Sermo XIII n. 150, LW IV, S.141,7-9: Nota: superiorum quodlibet
influit sui ipsius quod quid est sive essentiam et per consequens omnia sua, puta primum vivere sive
vitam et sui ipsius vitam sive vivere; Sermo IX n. 97, LW IV, S. 92,14: Deus omnis gratiae nominatur ab
effectu, scilicet a gratia. Vgl. A lbertus M. De caew et mundo II tr. 1 c. 7 (Ed. Colon. V,1 S.123,16-21):
Sicut enim diximus, omnis res cuius est operatio aliqua per se et essentialiter, est propter illam suam ope-
rationem (Aristoteles De caelo et mundo II, 286 a3), secundum quod operatio est actio eius essentialis,
secundum quod manifestat nomen actionis, quia actio est operatio actus, hoc est formae essentialis et
naturalis rei. Vgl auchPr.11, DW I, S.177,6-8: Gnade enwfuket niht; ir werk ist ir gewerden. Si vliuzet
u.z dem wesene gotes und vliuzet in daz wesen der sele und niht in die krefte. 17 Vgl Pr. 97, DWIV,
S.224,9-225,15: Daz ist ein zeichen an den liuten, daz sie warm sin, daz an in kein tracheit noch unlust
joch beswrernisse ensi ze götHchen werken ... Dar umbe daz ez (= daz wazzer) diu hitze wfuket, so ist ez
warm und lebendic an sinem gespringe. Und ie ez verrer vliuzet, ie ez unluterer und kelter wirt. Also ist
ez umbe den menschen: ie er gote verrer ist, ie er krenker und kelter und unsmachaftiger ist; Pr. 57, DW
II, S. 605,10: ' ... Daz kalte ist vergangen', da alliu dinc von sterbent; also lebent alliu dinc in dem warmen.
18 Vgl. Pr. 26, DW II, S. 33,(ff: ... und der mensche ist in der warheit sun, der da alliu siniu werk würket
von minnen; Pr. 33, DWII, S.153,4-154,2: Dar umbe heizent sie götliche tugende, daz sie götlichiu werk
würkent in der sele, als man prüeven macht der kraft der sunnen, daz si lependigiu werk würket 6.f dem
ertriche, wan si alliu dinc lebendic machet und entheltet an irm wesene ... Also ist ez in der sele: swa diu
gnade ist und diu minne, dem menschen sirrt Hhte ze tuonne alliu götlichiu werk ... ; Pr. 17, DW I,
S.'283,4f: Unser meister sprechent: diu sele heizet ein viur durch die kraft und durch die hitze und
durch den schin, der an ir ist; Pr. 20a, DW I, S. 331,6-8: Swenne got würket in der sele, in dem brande
der hitze so wirt geliutert und u.zgeworfen, waz da ungliches ist an der sele; Pr. 88, DW IV, S. 33,8-34,11:
Ein meister sprichet: wenne diu sele berüeret wirt von ewigen dingen, so wirt si beweget. Und von der
bewegunge so wirt si erhitzet. Und von der erhitzunge so wirt si erwitet, daz si vil guotes mac enpfähen;
BgT, DW V, S. 31,2- 5: Dar umbe so ist von not war, als ich gesprochen han: glichnisse und hitzige min-
ne 6.fziuhet und leitet und bringet die sele in den ersten ursprunc des einen, daz 'vater' ist 'aller' 'in dem
himel und in der erde'; vgl. auch Sermo XXXVllI n. 384, LWIV, S. 330,1-10: Tertio, quia habet sine dolo-
re, sine maerore. Seneca: »magnus ille est qui in divitiis pauper est«. Sie ergo paupertas facit ad ascen-
sum spiritualem, scilicet elongatio a terrenis. Cuius signum et argumentum est in potentiis animae,
quae, quanto plus elongantur a materia et eius appenditiis, tanto sunt altiores in sua natura et in suis ope-
rationibus. Tertio facit ascendere amor: amice. Amor enim, qui et caritas, ignis est, Cant. (Cant .S,6):
'lampades eius lampades ignis' - dicitur de caritate - et illud: »tui amoris in eis ignem accende«, et ite-
rum: »ignem sui amoris accendat deus in cordibus nostris«. Ignis autem est ascendere.
214
7
Elisabeth pariet tibi filium
15 fü drin dingen mügen wir merken, ob diu gnade in der sele SI. Daz erste, daz diu sele
gotvar s1 19 , wan si von einem götHchen wesene her kumet20 . Daz ander, daz si diesele machet
gote gllch und drücket gotes gHchnisse in diesele und machet sie gotvar, daz si sich den tiu-
veln erbiutet vür einen got, daz ist von der edelkeit der gnade 21 • Daz dritte, daz der sele niht 35
32 Bi drin dingin muge wir mirkin Xi / Tria sunt que ostendunt graciam esse in anima Dry
stucke moge wir merken by den moge wir prüfen Lo4; Dru stuck mogen wir pruuen B7 32 in Xi,
Lo4 / an B7 32 sele [2] Xi / gnade B7, Lo4 33 wan si fon eime gotlichin wesine her cumit
Xi, Lo4 / wan von eyme gotlichen wesen kommet sye herre B7 33 sie [2] B7, Lo4, fehlt Xi
33f. machit gode glich (götlichLo4), Xi, Lo4 / got glichmachetB7 34f. den tufilinX1,Lo4 / dem
duuel B7 35 gnade Xi / gnaden B7, Lo4
19 Vgl In Ioh n. 521, LW ll1, S. 449,11-450,8: Adhuc autem tertio potest dici: quod Iohannes fecit
signum nullum significat quod gratia, cum sit in essentia animae, non in potentia - secundum docto-
r es meliores -, non operatur proprie nec immediate per se miracula vel opera exteriora, sed per se dat
esse divinum, secundum illud Cor. (1 Cor. 15,10): 'gratia dei sum id quod sum', et Rom. 6 (Rom 6,23):
'gratia dei vita'. »Vivere autem viventibus est esse«. Gratia igitur per se dat esse divinum. Iohannes
autem sonat »in quo est gratia«. Gratia autem, ut dictum est, signum non facit, cum sit in essentia, non
in potentia animae. Essentia enim ad esse respicit, potentia ad opus. Sie enim forma ignis per se non cale-
facit immediate nisi mediante calore ab ipsa fluente, sicut potentia ab anima, virtus a gratia. Unde apo-
stolus, cum dixisset: 'gratia dei sum id quod sum', adiecit: 'gratia eius in me vacua non fuit' (1 Cor.15,10);
vgl auch Pr. 43, DW II, S. 328,10-329,1: Diu sele gebirt uzer ir got uz got in got; si gebirt in rehte uzer ir;
daz tuot si in dem, daz si uzer ir got gebirt in dem, da si gotvar ist: da ist si ein bilde gotes. 20 Vgl.
Pr. 101, DW IV, Z. 49- 53: Dar umbe enhat diu sele in dem wesene kein werk ... Wan daz enist von natu-
re nihtes enpfenclich dan aleine des götlichen wesens ane allez mittel. Got gat hie in die sele mit s1nem
allem, niht mit s1nem teile. Got gat hie in den grunt der sele. 21 Vgl Pr. 81, DW III, S. 400,5-14: er
(= got) machet sie im selber glich an der gnade. Ze disem edeln werke sol sich diu sele samenen und be-
sliezen, als man prüeven mac bi einem glichnisse an der sele: als diu sele eigenliche daz leben gibet dem
lichamen ane mittel des herzen und aller der glider, - müeste si daz herze ze helfe haben, sömüeste aber
vürbaz ein ander herze s1n, da si daz leben vone meme - alsö würket got ane mittel daz luter leben der
gnade und der güete an der sele. Als alle lidemaJze sich vröuwent von dem lebene der sele, alsö werdent
alle die krefte der sele ervüllet und ervröuwet von dem lutern 1nvluzze der gnade unsers herren; wan
diu gnade heltet sich ze gote als der schin der sunnen ze der sunnen und ist ein mit im und bringet die
sele in daz götliche wesen und machet sie gotvar und daz si smecket götlicher edelkeit; Pr. 82, DW III,
S. 428,9-429,8: An dem menschen würket ez (= daz götlich lieht) srelicheit. Daz kumet von der gnade
gotes: diu erhebet diesele üf ze gote und vereinet sie mit im und machet sie gotvar. Sol diu sele götlich
sin, sö muoz si erhaben sin. Solte ein mensche üf einen turn reichen, sö müeste er erhaben sin als höhe,
als der turn ist: alsö muoz diu gnade die sele erheben in got. Der gnade werk ist, daz si ziuhet und vollen
ziuhet, und wer ir niht envolget, der wirt unsaJlic. Nochdenne engenüeget der sele niht an der gnade
werke, wan si ein creatüre ist, si enkome dar zuo, da got würket in sin selbes nature, da der werkmeister
würket nach der edelkeit des gezouwes, daz ist: in sin selbes nature, da daz werk als edel ist als der werk-
meister und der, der sich ergiuzet, und daz ergozzene alles ein sint; Pr. 33, DW II, S.152,4-6: Der gna-
de werk ist, daz si die sele snel machet und gevüege ze allen götlichen werken, wan diu gnade vliuzet uz
dem götlichen brunnen und ist ein glichnisse gotes und smacket als got und machet diesele gote glich;
Pr. 31, DW II, S.124,3-125,1: Ich han ez ouch me gesprochen: wrere ich itel und hrete ein inviuric min-
ne und glicheit, ich züge got alzemale in mich. Ein lieht giuzet sich uz und erliuhtet daz, da ez sich uf
giuzet. Daz man etwenne sprichet: daz ist ein erliuhtet mensche, daz ist kleine. Aber da ez uzbrichet, daz
ist verre bezzer und brichet durch in die sele und machet sie glich gote und gotvar, als ez mügelich ist,
215
Predigt 96
engenüege, si enhabe alle volkomenheit zemale. Wan ein heidenisch meister 22 sprichet: 20
alliu volkomenheit der sele liget dar ane, daz si habe glichnisse gotes, engel und aller
creaturen, als ich ouch me gesprochen han, daz glichnisse und volkomenheit aller creatfuen
ist geschaffen an den engeln geistliche, e sie geschaffen wurden an den creatfuen25 . Nu sol
und inerliuhtet sie. In der inerliuhtunge klimmet si über sich in dem götlichen liehte. Als si m'.l. danne
also heim kumet und also mit im vereinet ist, so ist si ein mitewürkerin; Pr. 54b, DW II, S. 568,1-2. 7:
Also tuot der götliche bradem: der ziuhet diesele in sich und einet sie mit im und machet sie gotvar ...
Swer wil gotvar werden, der sol üfklimmen mit ganzer gerunge. 22 Vgl. Pr. 37, DW II,
S. 220,2-221,4: N ü sprich et ein heidenischer meister : »diu sele hat in dirre kraft mügelicheit, alliu dinc
ze werdenne geistliche«. In der würkenden kraft glichet si sich dem vater und würket alliu dinc in ein
niuwez wesen. Got wolte in sie gedrücket haben nature aller creatüren; do enwas si niht vor der werlt.
Got hat alle dise werlt geistliche gemachet in einem ieglichen engel, e disiu werlt gemachet würde
in ir selben. Der meister ist Avicenna: vgl. In Gen.In. 115, LW I, S.270,5-271,1 (Rec. LW I,2,
S.153,22-155,9): Quantum ad nunc autem sciendum quod creatura rationalis sive intellectualis in hoc
differt ab omni creatura quae citra est, quod ea quae citra surrt producta surrt ad similitudinem eius quod
in deo est et habent ideas sibi proprias in deo, ad quas facta dicuntur, sed rationes determinatas ad spe-
cies distinctas ab invicem in natura, natura vero intellectualis ut sie potius habet ipsum deum similitu-
dinem quam aliquid quod in deo sit ideale. Ratio huius est quod »intellectus ut sie est, quo est omnia
fieri«, non hoc aut hoc determinatum ad speciem. Unde secundum philosoph um »est quodammodo
omnia« et totum ens. Unde Avicenna IX Metaphysicae c. 7 sie ait: »sua perfectio animae rationalis est,
ut fiat saeculum intellectuale et describatur in ea forma totius«, »quousque perficiatur in ea dispositio
esse universitatis et sie transeat in saeculum intellectum, instar esse totius mundi«; Sermo LV,4 n. 550,
LWW, S. 460,3-461,1: Die quomodo in quolibet angelo starrt omnes res huius mundi corporalis incor-
poraliter, in luce quadam intellectuali pendentes irradiante iuxta exigentiam recipientis angeli ... Die
illud Avicennae IX Metaphysicae capitulo ultimo, bene ante medium: »sua perfectio animae rationa-
lis est, ut fiat saeculum intelligibile et describatur in ea forma totius et ordo intellectus in toto et boni-
tas·fluens in omne ... «;vgl.auch Pr. 17, DW I, S.288,7-289,2: Ein meister sprichet: der sele nature und
natiurlichiu volkomenheit ist, daz si in ir werde ein vernünftigiu werlt, da got in sie gebildet hat aller
dinge bilde; Sermo XI,1 n. 112, LWW, S.106,if: Unde Avicenna dicit quod perfectio animae rationalis
est, ut transeat in saeculum intellectuale; Pr. 93, DW IV, S.131,63-65: Dar umbe, wan diu sele alle volko-
menheit zemale an gote haben wil, w1ere iht volkomenheit üz gote an den creatüren, daz wolte si ouch
haben, so verzige si des grcesten durch daz minste und würde also gepiniget; Pr. 113, DW IV, Z. 41-43:
Alliu diu süezicheit, diu in dem himel und in der erde ist, diu kumet von glichnisse, wan glichiu dinc
diu vereinent sich. Diu grceste vröude, die diu sele in dem himelriche hat, daz ist an dem glichnisse
gotes. 23 Vgl. Pr. 81, DW III, S. 403,10-12: Als ich ouch me gesprochen han, daz alle bilde und glich-
nisse aller creatüren e geschaffen wurden an den engeln, e dan sie liphaftic gemachet wurden an den
creatüren; Pr. 3 7, DW II, S. 221,3f: Got hat alle dise werlt geistliche gemachet in einem ieglichen engel,
e disiu werlt gemachet würde in ir selben; Pr. 72, DW III, S. 248,tj: Waz got geschepfen mac, daz treget
der engel in im, dar umbe daz sie niht beraubet ensint der volkomenheit, die ander creaturen harrt; vgl.
auch SermoX n. 109, LWIV, S.102,7-10: Ubi nota duo: primo, quod angeli quidem de toto universo nec
216
Elisabeth pariet tibi filium
diu sele den engeln glich sin in dem himelriche. Swaz die engel besezzen hänt, daz ist der sele 40
25 'gelobet. Swaz die engel enpfangen hant, daz sol ir werden gegeben24 . Dar umbe engenüeget
der sele niemer, si enkome dar, da aller creaturen volkomenheit ist ungeteilet und äne under-
scheit25.
Ze dem andern male suln wir merken, welche wise diu gnade würket in der sele, als man
30 prüeven mac bi glichem als bi einem bihele 26 . Daz sol haben driu dinc an im. Daz erste: ein 45
40 den engelin (glin 0) glich sin Xi [H2] / glich sin den engeln B7, Lo4 40 waz die engele
beseszin (gesetczt Lo4) habin Xi [H2], Lo4 / want was der engel besessen hatt B7 41 waz Xi,
Lo4 / Vnd was B7 41 sal vr werdin gegebin Xi, Lo4 / salle der selen werden B7 42 creaturen
B7, Lo4 / creature Xi 42 ist Xi, Lo4 / sy B7 42 vngeteilit Xi/ vngestucket B7; vfl gestucket
Lo4 44 mirkinX1,Lo4/pruuenB7 44 wirkitX1,Lo4/wirckeB7 45 bi(byeimeH2)gli-
chime Xi / by glichnisz Lo4,fehlt B7 (Hom) 45 daz sal hon dru dinc an vme Xi / das hat dry ding
an em Lo4; das hait an yme B7 45f. Daz erste ein recht gesteltnisse Xi/ das es eyn recht gestel-
tenisse habe B7, Lo4
gaudium accipiunt. Concipiunt quidem et praeconcipiunt gaudium de universo, sed ab universo non
accipiunt. Name contrario universum ab ipsis exemplatur, nihil in ipsis ab universo; Sermo LV, 4 n. 550,
LWIV, S. 460,}j: Die quomodo in quolibet angelo stant omnes res huius mundi corporalis incorporaliter;
Serrrw XLVIII,1 n. 502, LWIv, S. 417,if.: Nota quomodo quilibet intellectus angelicus est caelum et mun-
dus verissimus, spatiosissimus, purissimus ... ; Pr. 98, DW IV, S. 238,21-239,24: Augustin us sprichet von
zweierhande werlt und heizet diesele ein werlt, und in einem ieglichen engel ist ein werlt geistliche;
wan allez, daz got geschaffen hät, daz ist in einem ieglichen engel erbildet vil edeler, wan ez si an im sel-
ben; wan ez ist in in äne materie; Pr. 90, DW Iv, Z. 64-68: Diu dritte kunst ist, die si gemeine hät mit
den engeln. Daz ist, daz alliu dinc in ir gebildet sint. Her uf sprichet saiit Dionysi us: Dögot die engel
geschuof, dögap er in bilde aller dinge; Pr. 77, DW III, S. 334,4-335,4: Ez ist des ersten ze wizzenne, waz
ein engel si, wan ez saget ein g es c h r i f t, wir süln glich sin den engeln. Ein meister sprich et, der engel
si ein bilde gotes. Der ander saget, er si nach gote gebildet. Der dritte sprichet, er si ein luter spiegel, der
in im habe und in im trage glicheit götlicher guotheit und götlicher luterkeit des stilnisses und der ver-
borgenheit gotes, als vil ez mügelich ist. Aber einer sprichet, er si ein vernünftic blöz lieht, gescheiden
von allen materielichen dingen. Disen engeln suln wir glich werden. 24 Vgl. RdU, DW V, S. 298,1-4:
Daz wir uns blöz halten der dinge, diu uzer uns sint, dä wider wil got ze eigene geben allez, daz in dem
himel ist, und den himel mit aller siner kraft, jä, allez, daz uz im ie gevlöz und alle engel und heiligen
hänt, daz daz unser als eigen si als in, ja, mer dan mir dehein dinc eigen si; Pr. 15, DW I, S.246,13-16:
Dirre demdtig mentsch ist gottes also gewaltig, als er sin selbs gewaltig ist; vnd alles das gut, das in allen
engeln vnd in allen hailgen ist, das ist alles sin aigen, als es gottes aigen ist; vgl auch RS. § II 4 art 4
(I' hery S.178), Proc. CoL In. 57, LW V, S. 217,14-18: Hurnilis homo est ita potens super deum, sicut ipse
sui ipsius; et quidquid est in omnibus angelis et omnibus sanctis, hoc est proprium humilis hominis.
25 Vgl. Pr. 66, DW III, S.123,3-7: Nu hän ich iu gesaget, welchez des herren guot ist, und dar umbe
sprach er: 'ganc in die vröude dines herren; ich wil dich setzen über allez min guot', als er sprechen wöl-
te: ,ganc uz allem geschaffenem guote und uz allem geteiltem guote und uz allem gestücketem guote:
über allez diz wil ich dich setzen in daz ungeschaffen und in daz ungeteilte und in daz ungestückete guot,
daz ich selbe bin' ... ; Pr. 3, DWI, S. 51,12-52,2: Daz dritte, war umbe man da wcerliche bekennet, daz ist
da von: diu dinc, diu man hie siht wandelhaftic, diu bekennet man dort unwandelbrere, und man nimet
sie da, als sie sint zemäle ungeteilet und nähe bi ein. 26 Den Vergleich der Seele mit einem Beil ver-
wendet Aristoteles De an. II ti (412 bi): Universaliter igitur dictum est, quid est anima. Substantia
enim est secundum rationem. Hoc autem est quod quid erat esse huiusmodi corporis, sicut si aliquod or-
ganorum physicum esset corpus ut dolabra (zit nachAlbertus M Ed. Colon. VII,1, S. 67, 68-70).
217
Predigt 96
reht gestaltnisse und daz ez gesliffen si:. Also muoz diu sele gereiniget und geliutert s'i:n von
sünden, daz si keine sünde envermüge, als ein sündic mensche niht guotes envermac äne die
gnade und äne gl'i:chnisse gotes. Und wie vil er guotes getuot, daz enkumet im niemer ze sta-
ten. Daz ander: daz diz b'i:hel durchsnidic si:. Also sol diu sele durchsn'i:dic s'i:n an allen götl'i:chen
50 und tugentl'i:chen werken. Daz dritte: daz diz b'i:hel würke des werkmannes gerunge uf daz
ende. Also bringet diu gnade die sele in got und bringet die sele über sich selber und berou- ö5
bet sie ir selbes und alles des, daz creatfue ist, und vereinet die sele mit gote 27 • Also lange
würket diu gnade mit der sele, daz si selber n1men28 muoz, wan si ein creatfue ist, daz da niht
enbl'i:bet dan got und diu sele 29 sunder mittel30 . Amen.
46 gereinigit vnd ge luterit sin Xi / gelutterdt (geluttert syn Lo4) vnd gereyniget sin B7, Lo4
46f. fon sunden Xi/ von allen sünden Lo4, B7 47 enuermoge B7 / formuge Xi, Lo4 47 gudis
Xi, Lo4 / gottes B7 47 enuermag B7 / formac Xi, Lo4 48 vnd wi vil he gudis (güdis he H2)
Xi / wie viel er auch gudes B7, Lo4 48 daz Xi / Es B7, Lo4 49 daz diz Xi / das daz B7, Lo4
49f. durch snidig sy. also sal diesele durch snidig sin. an allin gotlichen vnd togentlichen werkin. Daz
dritte daz diz bihil H2, B7, Lo4,jehlt O 49 an B7, H2 / in Lo4; Lücke O 50 vnd togentlichen
H2 / togentlichen Lo4; zurgenglichen B7; Lücke O 50 daz diz H2 / das das B7, Lo4; Lücke 0
50 f. wirke des wercmannis gerunge vf das ende Xi, Lo4 / wircket uff das ende des werck meysters
begerunge B7 51 _in got vnd brengit di sele Xi/ in got wande der selen ende das ist got So furet die
gnade diesele inbynnen sich selber vnd enboben B7,jehlt Lo4 (Horn.) 51 nach selber: vnd furet sie
also in godt B7 52 vris selbis vnd Xi, Lo4,jehlt B7 52 allis des Xi, Lo4 / des alles B7 52
creature Xi, Lo4 / creature an ir B7 52 di sele Xi, Lo4 / sie B7 53 das [1] Xi, Lo4, B6 / da B7
53 selber B7 / selue B6; sich selbis Lo4; ez selber Xi 53 wande sie eyn creature ist B7, B6,fehlt Xi,
Lo4 53 f. enblibet B7, B6 / inne (yne Lo4) blibit Xi, Lo4 54 got vnd di (fehlt B6) sele Xi, Lo4,
B6 / sele vnd got B7 54 sunder myttel. Amen B7 / sonder onderscheit B6; Bide wir etc. O; etc. H2;
fehltLo4
27 Vgl Pr. 82,DWIII, S.429,1-4}0,4: Sol diu sele götlich sin, sö muoz si erhaben sin. Solte einmen-
sche uf einen turn reichen, so müeste er erhaben sin als höhe, als der turn ist: also muoz diu gnade die
sele erheben in got. Der gnade werk ist, daz si ziuhet und vollen ziuhet, und wer ir niht envolget, der
wirt unscelic. Nochdenne engenüeget der sele niht an der gnade werke, wan si ein creature ist, si enko-
me dar zuo, da got würket in sin selbes nature, da der werkmeister würket nach der edelkeit des gezou-
wes, daz ist: in sin selbes nature, da daz werk als edel ist als der werkmeister und der, der sich ergiuzet,
und daz ergozzene alles ein sint. Sant Dionysi us sprichet, daz diu obersten dinc ergiezent sich uf diu
nidersten und diu nidersten in diu obersten und vereinent sich in den obersten. Also wirt diu sele ver-
einet in gote und beslozzen, und da entglitet ir diu gnade, daz si mit der gnade niht me enwürket, sun-
der in gote götltche. 28 Zu rumen vgl Pr. 89, DW IV, S. 41,27f: Nu suln wir prüeven, daz nach dem
töde Herodes Joseph wider solte komen in daz lant, da gote gerumet was von den, die in hinderten; vgl
auchDWIV, S. 41,Anm.20. 29 Vgl Pr. 24,DWI, S.419,1-4:Ich spriche, daz got ewicliche ane under-
laz in disem (= Einez in der sele, in dem got blöz ist S. 417,8) gewesen ist, und in disem der mensche mit
gote ein ze sinne, da behreret gnade niht zuo, wan gnade ist ein creature, und da enhat kein creature ze
tuonne; Pr. 21, DW I, S. }67,}- 5: Ich spriche: gnade eneiniget niht die sele mit gote, si ist ein volbrin-
gen; daz ist ir werk, daz si die sele wider ze gote bringet. Vgl weiter Sermo IX n. 99, LW IV, S. 94,}- 5:
Nota: gratia est ad esse, ad intra sive ad intima, ad unum esse et vivere in deo et cum deo, cum non sit
in potentia, sed in essentia, ubi nulla creatura unquam ingreditur; Sermo LII n. 522, LW IV, S. 437,2- }:
Et dies appropinquavit, dies gratiae, quia in ipso esse animae et ad esse unum cum deo, vivere et opera-
ri; Pr. 38, DW II, S.243,8-245,1: Einander brunne ist, da die creaturen uz gote vliezent: der ist sö verre
von dem brunnen, da diu gnade uz entspringet, als der himel ist von der erden. Gnade enwürket niht.
Da daz viur ist in siner nature, da enschadet ez noch enbrennet niht. Diu hitze des viures diu brennet
218
Elisabeth pariet tibi filium
hie nidene. Joch da diu hitze ist in der nature des viures, da enbrennet si niht und ist unschedelich. Joch
da diu hitze ist in dem viure, da ist si der rehten nature des viures als verre, als der himel ist von der
erden. Gnade enwürket kein werk, si ist ze zart dar zuo; werk ist ir als verre, als der himel ist von der
erden. Ein innes'ln und ein anehaften und ein einen mit gote, daz ist gnade, und da ist 'got mite', wan
daz volget zehant dar nach: 'Got mit dir' - da geschihet diu gehurt; vgl schließlich auch In Sap. n.
272-274, LW II, S. 602,1-604,11. 30 Pr. 81, DW llI, S. 399,5]: Und diu gnade ist ein antlütze gotes
und wirt ane underscheit gedrücket in die sele mit dem heiligen geiste und bildet die sele nach gote; Pr.
6, DW I, S.105,12-106,1: Die in der helle sint in ewiger p'lne, die enwölten niht ir leben verliesen, noch
v'lende noch selen, wan ir leben ist so edel, daz ez sunder allez mittel vliuzet von gote in die sele. Dar
umbe wan ez von gote also vliuzet sunder mittel, dar umbe wellent sie leben; Pr. 20a, DW I, S. 337,16:
Denne ist si (= diu sele) man, so si einvalticl'lche in got dringet sunder mittel; Pr. 48, DW II, S. 418,1-4:
Ich han etwenne gesprochen von einem liehte, daz ist in der sele, daz ist ungeschaffen und ungeschep-
felich. Diz lieht pflige ich alwege ze rüerenne in m'lnen predigen, und diz selbe lieht nimet got sunder
mittel und sunder decke und bloz, als er in im selben ist; daz ist ze nemenne in der würklicheit der 'lnge-
berunge; Pr. 49,DWII, S.442,ij.:Aber ir (= der sele) leben was mit dem l'lbe b6ben dem l'lbe sundermit-
tel in gote ane alle hindernisse.
219
PREDIGT 97 (StrauchPar.an.Nr.50S.111-113)
Handschriftliche Überlieferung:
Filiation der Handschriften: In der Wiedergabe des Textes der Predigt unterscheiden sich
die beiden Handschriften O und H2 wiederum nur geringfügig. Beim Vergleich mit O fal-
len die folgenden Varianten und Korruptelen des H2-Textes auf.
8 NuO / HeH2
11 nach zuhit: vz dem grunde des bergis vnd zuhit 0, fehlt H2 (Homoioteleuton-Lücke)
18 nach libe: so brichit di libe 0, fehlt H2 (Homoioteleuton-Lücke)
34 dan O / wan H2
36 geruwelichin O / geruweclichen H2
46 allen O / al H2
55 vnwissintheit O / vnwissenheit H2
59 si [2] 0 / so H2
61 muiste O / in müste H2.
Dem 0-Schreiber ist bis auf 54 irluchtin statt irluchtit (H2) und 24 all' statt Allis (H2)
keine Nachlässigkeit nachzuweisen.
Die gemeinsame Vorlage (Xi) von O und H2 war nicht fehlerfrei. Das lassen die Text-
besserungen von Sievers und Strauch in ihren Abdrucken der Predigt erkennen:
9 warm Sievers, Strauch / warin O; wone H2
10 wir habin des glichnisse Strauch; wir habin ... (Anm.: des glichnisse zu ergänzen?) Sievers / Wir
habin 0, H2
16 wi man Sievers; wi man Strauch/ vn 0, H2
17 got ist Sievers; Got ist Strauch / got der ist 0, H2
28 also vil alse daz Strauch; also vil (alse) daz Sievers / also vil daz 0, H2
60 alliz Sievers; Strauch / allin 0, H2.
220
Filiation der Handschriften
221
Predigt 97
Er zeigt noch mehr. Durch die syntaktische Parallelisierung verschmelzen die beiden
Sätze zu einer einzigen Aussage: Wenn die Seele schon das unverhüllte Kommen Gottes
nicht ertragen kann, umso weniger könnte sie sein Wieder-weg-gehen aushalten; sie müßte
auf der Stelle (alsemer alse) sterbin. Das Kommen und Gehen Gottes, sofern es die Seele
erfahren könnte, wäre für sie absolut unerträglich. Wenn im Enzoge-Satz das Subjekt nicht
got lautet wie im Trede-Satz, sondern durch das Personalpronomen he vertreten wird,
erscheinen beide Sätze organisch miteinander verknüpft. Durch die unmittelbar folgende
Konjunktion auch wird diese Verknüpfung sogar noch verstärkt. Es scheint somit die zweite
Version des Enzoge-Satzes so unauthentisch nicht zu sein, wie ihre nachgeordnete Position
in den Handschriften O und H2 suggeriert, zumal auch das Verbum sterbin den Exitus der
Seele definitiver benennt alsforwerdin. So ist es denkbar und wahrscheinlich, daß die erste
Version des Satzes eine redigierte Fassung der zweiten Version ist, die der Xi-Bearbeiter
letztendlich doch nicht aufrecht erhalten, sondern wieder getilgt wissen wollte. Sie muß des-
halb als getilgt gelten, weil sie die zweite und endgültige Fassung, die selbst die ursprüngli-
che sein kann, ersetzt. Der Xi-Schreiber hätte gewiß die erste Fassung des Satzes durch-
streichen können. Er hat dies vermutlich aus Gründen der Ästhetik unterlassen. Trotz der
harten Fügung Enzoge he auch sich vr ist im Edierten Text der Zweitabschrift des Satzes, die
so auch durch die Leithandschrift O verbürgt ist, der Vorzug zu geben und nicht der Erstab-
schrift.
Textkonstituierung: Die Erstellung des Edierten Textes muß dem Wortlaut von O und H2,
insbesondere der Leithandschrift 02, vertrauen. Von ihm wird allerdings an den Stellen
abgewichen, an denen vermutet werden muß, daß die Vorlage (Xi) der beiden Handschrif-
ten nicht die primäre Textform der Predigt bewahrt hat.
Übersetzung: keine
Echtheit: Für die Echtheit der Predigt spricht das Zeugnis des Registers der Predigtsamm-
lung 'Paradisus anime intelligentis': Hi bewisit meister eckart (Echt H2) wilche wis di sele
frucht brenge (brengit H2) di da wonit in gode vnd in der got wonit 0, H2. Für die Echtheit
de! Predigt sprechen aber auch inhaltliche Übereinstimmungen mit bereits als echt er-
wiesenen deutschen Predigten Eckharts sowie seinen lateinischen Schriften. Einen offen-
kundigen Bezug gibt es zur Pr. 60 (vgl. Anm. 6 und 14), die sich auf Pr. 97 unmittelbar
zu beziehen scheint. Auch die inhaltlichen und terminologischen Berührungen mit den
Predigten 56 (Anm. 22) und 57 (Anm.17 und 21) sind unverkennbar. Die gedankliche
Adhäsion der vier Predigten (56, 57, 60, 97) erscheint als Indiz dafür, daß Meister Eckhart
ihr Verfasser ist.
Der Aufbau der Predigt folgt dem Grundmuster der Homilie. Der Bibelvers wird in
drei Teile zerlegt und einzeln ausgelegt: 1. 'Wer in mir bleibt und wohnt'. 2. 'in dem ich blei-
be und wohne'. 3. 'der bringt große Frucht'.
1. Z. 5 - 25: Qui manet in me legt Eckhart zunächst durch ein weiteres Bibelwort aus,
durch Col. 3,3: 'Euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott'. Sodann lenkt er den Blick auf
Aufbau
die liute (8), die in Gott wohnen. Sie sind daran zu erkennen, daß sie 'warm' sind. Eifer zu
göttlichen Werken zeichnet sie aus. Ein Beispiel aus der Natur verdeutlicht das Gesagte: Das
Wasser gefriert an der Quelle nicht, weil es warm und lebendig an seinem Ursprung ist. Dies
bewirkt die Sonne, die es aus der Tiefe des Berges in die Höhe zieht. Deren Hitze hält es
warm und lebendig und läßt es fließen. Es wird erst kalt und unrein, wenn es von seinem
Ursprung wegfließt. Mit dem Menschen ist es wie mit dem Wasser: Je ferner er von Gott ist,
umso kälter, schwächer und unsmachaftiger (15) ist er. Mit einem Wort des Ambrosius wird
das Gesagte in einer speziellen Deutung weiter vertieft: In der Liebe zu Gott muß sich der
Mensch über die Welt hochziehen. Die Kraft der Liebe zieht ihn (wie die Sonne das Wasser)
in das Höchste, in Gott, der die güete (20) ist, und mit der Güte, mit Gott, fließt die Seele aus
in alle göttlichen Werke. Bleibt der Mensch in seinem Dienst demütig, kann ihm Eckhart
versprechen: Alles was Gott ist und vermag, das empfängt er als Mensch wcerliche (25).
2. Z. 26-36: et ego in eo. Von Bernhard von Clairvaux übernimmt Eckhart den Aus-
spruch, daß es weit mehr bedeute, daß Gott in uns wohne als daß wir in Gott wohnen. Zwei-
tens führt Eckhart aus, es sei dasselbe, wenn Gott Sein in uns setze (28) und wenn die Seele
ihr Leben setze nachgote (29). Wanen Gottes in uns bedeute in einem dritten sin (31), daß Gott
das Sein und Leben der Seele ganz (alzemale) sei. Ein sicheres Zeichen, daß Gott in der See-
le wohne, ist, daß sie geruowic (33) sei. In nichts kann die Seele Gott so gleich werden als an
ruowe (35).
3. Z. 37-65: hicfertfructum multum. Was die Frucht sei, ist ebenso wenig zu erkennen,
wie Gott zu erkennen ist. Doch an sehs zeichen ( 43) wird man ihrer gewahr. Erstens: wenn
das Gebäude der untugenden in der Seele zusammenstürzt und die Seele sich genzlfche dem
Wirken Gottes ergibet (46). Zweitens: wenn ware tugenden (48) in die Seele einkehren und
Beständigkeit, Sicherheit und die Freiheit des Gewissens folgen. Drittens: wenn die wurzel
götlfcher dinge (50) mit Macht in das Herz dringt und den Menschen nichts anderes mehr
smecket und freut als götlich dinc (51). Viertens: wenn alles, was durch Sünden und
Schwächen verdorret (52) war, in der Gnade wieder zu grünen und zu wachsen beginnt. Fünf-
tens: wenn die Kräfte der Seele erleuchtet werden und die Seele, frei von den Flecken der
Sünde und der Unwissenheit, ganz lieht (55) wird. Das göttliche Licht kommt freilich nur
unbemerkt in die Seele. Könnte sie Gottes Kommen und Gehen wahrnehmen, sie müßte vor
Freude oder Schmerz sterben. Deswegen, durch sfne güete (57 f.), hält Gott der Seele seine
gegenwerticheit (58) verborgen. Es kann ja auch das Auge das Sonnenlicht nur ertragen, wenn
es in der Luft verhüllt (bewunden) ist. Sechstens: wenn alles, was an Leib und Seele zerstört
und 'kalt' geworden ist, in Gott gesammelt und in göttlicher Liebe entzündet wird.
223
Qui manet in me.
'Qui manet in me et ego in eo, hie fert fructum multum'. Kristus sprichet: 'swer da blibet 111,g4
in mir und ich in im, der bringet groze vruht'.
Disiu wort teilent sich in driu. Daz erste ist: 'swer in mir blibet oder wonet'; daz ander ist:
'und ich in im'; daz dritte: 'der sol groze vruht bringen' 1.
5 Von dem ersten sprichet sant Paul usg: 'iuwer leben ist verborgen mit Kristo in gote' also
bescheidenliche: ob ir mit im tot sh und mit im erstanden, so ist iuwer leben mit Kristo ver-
borgen in dem himelischen vater3 • 30
Nu suln wir prüeven, welch die liute sin, die alsus wonent in gote.
Daz ist ein zeichen an den liuten, daz sie warm sin, daz an in kein trächeit noch unlust joch
10 beswrernisse ensi ze götlichen werken. Wir haben, daz diu wazzer niht bevriesent, da sie ent-
springent. Daz ist da von, daz diu sunne daz wazzer ziuhet uz dem grunde des berges und
ziuhet in daz hrehste des berges und ziuhet ez uz dem berge, daz ez vliuzet. Dar umbe daz ez diu 35
hitze würket, so ist ez warm und lebendic an sinem gespringe. Und ie ez verrer vliuzet, ie ez 112,1
unluterer und kelter wirt. Also ist ez umbe den menschen: ie er gote verrer ist, ie er krenker und
Zuschreibungen: xix (am linken Rand O; in der Zeile H2) Qui manet in me et ego in eo hie fert fruc-
tum multum. Hi bewisit meister [ 0 4rb] eckart (Echt H2) wilche wis di sele frucht brenge (brengit H2)
di da wonit in gode vnd in der got wonit 0, H2 (Inhaltsverzeichnis: 0 fol 4ra-rb [Par. an. S. 5], H2 fol Y)
Überschriften: xix (am rechten Rand) O; De sanctis (in der Zeile) de sanctis (am linken Rana)
xix (am rechten Rand) xix (obere linke Ecke vonfol 135") H2
1 Vgl loh 15,5: Qui manet in me et ego in eo, hie fert fructum multum. Das Textwort entstammt nach
dem Missale Romanum dem Evangelium Commune unius Martyris tempere Paschali. 2 Vgl
C~l 3,3: Mortui enim estis, et vita vestra abscondita est cum Christo in Deo. Im Sermo LV,2 n. 543, LW
Iv, S. 455,4-12 werden, thematisch bedingt, die Bibelverse Col 3,3 und loh 15,5 unmittelbar hintereinander
zitiert und zusätzlich noch die Früchte des Geistes im Anschllfß an Gal 5,22-23 aufgeführt: Si autem
mortuumfuerit, multumjructum affert Nota: homo debet se habere ad omnia mundi huius, ac si esset
mortuus, tamquam non audiat nec videat, et universaliter ac si non sentiat. Die de illo in Vitis p a trum,
qui columnam contumeliis affecit et laudibus extulit. Col. 3 (Col 3,3): 'mortui enim estis, et vita
vestra abscondita est cum Christo in deo'. Pertracta. Hoc est loh. 15 aoh 15,5): 'qui manet in me, et ego in
eo, hie fert fructum multum'. Pertracta bene. Gal. 5 (Gal 5,22. 23): 'fructus spiritus est caritas, gaudium,
pax, patientia, longanimitas, bonitas, benignitas, mansuetudo, fides, modestia, continentia, castitas'.
3 Vgl Pr. 35, DW II, S.173,2-6: Sant Paulus sprichet: 'sit ir ilferstanden mit Kristö, sö imochet diu
dinc, diu oben sint, da Kristus gesezzen ist ze der rehten harrt sines ,vaters und srnecket diu dinc, diu oben
sint, und enlazet iu niht smacken diu dinc, diu ilf der erde sint'. Dar nach sprichet er einander wort: 'ir sit
töt, und iuwer leben ist verborgen mit Kristö in gote' in dem himel; Pr. 90A, DW IV, S.68,168-170:
Dar umbe sprichet sant Paulus: 'ir sit töt und iuwer leben ist verborgen mit Kristö in gote'.
224
Qui manet in me
kelter und unsmachaftiger ist4. Am brosi us 5 leret in einem buoche, daz heizet von der vluht 15
der werlt vröude und irs gestaltnisses, ... und sol suochen got bi gote. Der mensche ist nider und
5 got der ist hoch. Dar umbe muoz sich der mensche ziehen hohe boben die werlt an götlicher
liebe; so brichet diu liebe in got und leitet diesele umbe in got und machet ir in gote alliu dinc
offenbar 6• Also verre als der sele mügelich ist ze verstanne oder ze begrifenne, so ziuhet sie der
minnen kraft uf an daz hcehste, daz an gote ist, daz ist diu güete, und mit der güete vliuzet si uz 20
10 mit gote an alliu götlichiu werk, und in der gücte geschuof got himel und erden 7. Dar umbe
sprichet ouch unser herre 8 : 'wer vindet einen getriuwen und wisen kneht, der also getriuwe si,
daz er sines nutzes niht ensuoche, sunder gotes ere aleine?' Der da kneht blibe in dem dienste
an der otmüeticheit, dem wil ich daz geloben: allez daz got ist und vermac, daz enpfcehet
w<Brliche der mensche 9 • 25
16 vnd [2] Xi/ wi man Sievers, Strauch 16 by H2 / mit unterpunktet, darüber und am linken
Rand bi O 17 der [1] XJ, fehlt Sievers, Strauch 18 so brichit di libe 0, fehlt H2 (Hom.)
24 Allis H2 / all' 0
4 Vgl. Pr. 96, DW IV, S. 214,28-31: Glicher wise, als warmiu dinc koment von dem viure - enw.:ere
kein viur, so enw.:ere kein werme -, und alliu kaltiu dinc koment von dem wazzer, und alliu truckeniu
dinc koment von der erden, und alle die der erden vil hant, die sint toreht und mügen vil liden und sint
kalt, also liget alliu volkomenheit der sele an der hitze, diu da lebendigiu werk würket. 5 Vgl.
Ambrosius Defaga saeculi1,4, CSEL XXXII,2, ed. Schenk!, S.165,12-15: denique qui saluus esse uult
supra mundum adscendat, quaeral uerbum apud deum, fugiat hunc rnundum, terras relinquat; non
enim potest percipere illud quod est et est semper, nisi prius hinc fugerit (nachgewiesen durch K. Bihl-
meyer, Par. an. S. XXXVIII). 6 Vgl. Pr. 60, DW III, S. 22,2-23,1: Cherubin bezeichent die w:isheit, daz
ist die bekantnisse; diu treget got in diesele und leitet diesele an got. Aber in got enmac si sie niht brin-
gen. Dar umbe enwiirket got siniu götlichiu werk niht in der bekantnisse, wan si in der sele mit maze
begriffen ist; mer: er wiirket sie als got götlich. So tritet diu oberste kraft her viir - daz ist diu minne -
und brichet in got und leitet die sele mit der bekantnisse und mit allen irn kreften in got und vereinet
sie mit gute; und da wiirket got obe der sele kraft, niht als in der sele, sunder als in gote götlich; Sermo
VI, 1 n. 52, LW IV, S. 51,2-5: Item tertio, [caritas] incipit ubi intellectus cessat. Iuxta hoc expone illud:
'qui sedes super Cherubin' (Ps. 79,2). Pertracta quomodo caritas sive amor est uniens, et quanta est illa
unio. Item, quomodo se totum diffundit amor in abstracto; Pr. 84, DW Ill, S. 461,4-462,5: Diu sele muoz
ouch hoben ir selber wonen, sol si got begrifen; wan swie vil si wiirket mit der kraft, da si allez daz mite
begrifet, daz geschaffen ist - h.:ete got tusent himelriche und tusent ertriche geschaffen, die begriffe si
alle wol mit der einen kraft-, nochdenne enmac si got niht begrifen. Der unmezliche got, der in der sele
ist, der begrifet den got, der unmezlich ist. Da begrifet got got und würket got sich selben in der sele und
bildet sie nach im. 7 Vgl. Pr. 37, DW II, S. 214,3- 5: Als diu sele sich giuzet in alliu glit, als vliuzet
got in alle die krefte der sele und durchgiuzet sie also, daz sie ez viirbaz giezen mit güete und mit min-
ne uf allez, daz bi in ist, daz ez si'n allez gewar werde. 8 Vgl. Matth 24,45: Quis, putas, est fidelis ser-
vus, et prudens, quem constituit dominus suus supra familiam suam ut det illis cibum in tempore? und
Luc. 12,42: Dixit autem Dominus: Quis, putas, est fidelis dispensator, et prudens, quem constituet domi-
nus super familiam suam, ut det illis in tempore tritici mensuram? 9 Vgl. Pr. 9, DW I, 149,9-12: aber
got gemeinet daz sine, wan er von im selber ist, daz er ist, und in allen den gaben, die er gibet, so gibet
er sich selben ie zem ersten. Er gibet sich got, als er ist in allen sinen gaben, als verre als ez an im ist, der
in enpfähen möhte; Pr. 75, DW III, S. 293,7-294,2: Und under allen creaturen so enminnet er eine niht
me dan die andern; wan als verre ieglichiu wit ist ze enpfähenne, als verre ergiuzet er sich in sie; RdU,
DW V, S. 278,14-279,1: Wan got engibet keine gabe noch nie gegap, daz man die gabe h.:ete und dar ane
geruowete; sunder alle die gabe, die er ie gegap in himel und uf erden, die gap er alle dar umbe, daz er
225
Predigt 97
Daz ander ist, daz unser herre sprichet: 'swer in mir wonet und ich in im'. 15
SantBernhart wil, daz ez vil grrezer si, daz gotin uns si, dandazwiringote sin 10• Daz got
sin wesen in uns setze und sich in uns bewege und lebe, daz ist also vil, daz diu sele ir leben setze
nach gote 11, nach der ewicheit und unwandelhafticheit gotes 12, und also nach im würke und
30 lebe, als got in ir uzmizzet und uzgibet. 20
Aber ich lege den dritten sin da zuo, daz got alle der sele wesen und leben alzemale si,
und ir alzemale niht ensmecke dan got aleine an allen irn bewegungen und werken 15 •
Ein gewis zeichen ist daz, daz got in der sele alsus wone, daz diu sele geruowic si:. Ich
spriche, daz got in allen sinen werken niht ensuochet dan ruowe; also enmac im ouch diu sele
35 an nihte so liebe getuon so an ruowe. Diu sele enmac ouch im an nihte so glich werden so an 25
ruowe, daz si sich geruowicl'i:chen halte 14.
26 Daz andere ist daz O / Daz andere ist H2 27 vil / file 0, vile H2 28 also vil daz 0,
H2 / also vil alse daz Sievers, Strauch 34 dan O / wan H2 36 geruweclichen H2 / geruweli-
chin 0
eine gabe geben möhte: daz was er selber. 10 Vgl. Bernhard v. Clairvaux Super Cantica Sermo
71 n.10 (Ed Cist. t. II, S.221,18-22): Sed homo quidem ab aeterno in Deo, tamquam ab aeterno dilectus,
si tamen ex illis sit qui dicunt quia dilexit et gratificavit nos in dilecto Filio suo ante mundi constitutio-
nem; Deus vero in homine, ex quo dilectus ab homine est. Et si ita est, homo quidem in Deo est, et quan-
do in homine Deus non est; Deus autem in homine non est, qui non sit in Deo. 11 Vgl. Act. 17,28: In
ipso enim vivimus, et movemur, et sumus; vgl. auchRom.11,36: Quoniam ex ipso, et per ipsum, et in ipso
omnia; vgl. Sermo W,1 und IV,2 n. 20-30, LWW, S. 22,5 - 32,2. Vgl. auch Pr. 73, DWIII, S. 268,6-269,2: Er
(= Gott) wil uns da mite in sich selber locken, daz wir geliutert werden, daz er uns da mite in sich sel-
ber setze, uf daz er uns in im und sich in uns mit im selber müge minnen; Pr. 81, DW III, S.401,4-6:
W rere diu sele als verre ufgezogen über alliu dinc an ir hrnhste vriheit, daz si got rüerte an sine bloze
götliche nature, si engeruowete niemer, got der enbrrehte sich in sie und sie in got; Pr. 8, DW I,
S.134,4-6: Wir loben in gote sterben, uf daz er uns setze in ein wesen, daz bezzer ist dan ein leben: ein
wesen, da unser leben inne lebet, da unser leben ein wesen wirt; Pr. 76, DW III, S.322,2-11: Wan denne
gotes nature ist, daz er niemanne glich enist, so ist daz von not, daz wir her zuo komen, daz wir niht sin,
daz wir gesast mügen werden in daz selbe wesen, daz er selbe ist. Dar umbe, swanne ich dar zuo kume,
daz ich mich gebilde in niht und niht engebilde in mich und uztrage und uzwirfe, waz in mir ist, so mac
ich gesast werden in daz blöze wesen gotes, und daz ist daz bloze wesen des geistes. Da muoz allez daz
uzgetriben werden, daz glicheit ist, daz ich übergesast werde in got und werde ein mit im und ein sub-
stancie und ein wesen und ein nature und der sun gotes. Und nach dem daz diz geschehen ist, so enist
niht verborgen in gote, daz niht offen enwerde oder daz niht m'ln enwerde. Danne wirde ich wise, meh-
tic und alliu dinc als er und ein und daz selbe mit im; vgl. auch Sermo XXV,2 n. 267, LW IV, S.243,9-10:
Anima vero per suum esse stat in esse dei, in deo. Ubi nota quod omnia sunt in deo tantum ratione sui
esse et ut sie se totis. 12 Vgl. 1 Tim. 1,17: Regi autem saeculorum incorruptibili (inmortali C WS),
invisibili, soli Deo honor et gloria in saecula saeculorum; vgl. dazu Sermo XLV n. 452, LW IV, S. 376,9j:
Unde apostolus: 'regi saeculorum, immortali, invisibili, soli deo'. 13 Vgl. Pr. 54b, DW II, S. 570,5f:
Waz meinet, daz er sprichet 'dich aleine'? Daz ist: daz der sele niht ensmacke dan got aleine; vgl. auch
RdU, DW V, S.202,5-7: Also enmac disen menschen nieman gehindern, wan er enmeinet'niht noch
ensuochet niht noch ensmecket im nihtes dan got; wan er wirt dem menschen in aller siner meinunge
geeiniget; Pr. 4, DW I, S. 71,7-9: Got muoz mir sich selber geben als eigen, als er sin selbes ist, oder mir
enwirt niht noch ensmecket mir niht. 14 Vgl. Eccli. 24,11: et in his omnibus requiem quaesivi. Vgl.,
auch Pr. 60, DW III, S.11,4-29,2, auf die sich Eckhart hier an dieser Stelle zu beziehen scheint: Vragete
226
Qui manet in me
Daz dritte ist, daz unser herre sprichet: 'swer in mir wonet und ich in im, der bringet groze
·vruht' 15 . Wolte ich m1 sprechen, waz diu vruht wrere, des enweiz ich niht; daz ich ez niht enweiz,
30 des weiz ich ez wol. Ein meister sprichet: swer got also verre bekennet, daz er allen
creatfuen unbekentlich ist, der bekennet got allermeist. Und swer daz luterliche bekennet, daz 40
man got niht bekennen enmac, der bekennet got aller genzl1chest 16 . Also enmac ouch nieman
die vruht genzliche erkennen, die got gelobet hat, dan bI etlichen zeichen.
man mich, daz ich endeliche berihten sölte, waz der schepfer gemeinet hrete, daz er alle creatfuen
geschaffen hrete, ich sprreche: ,ruowe'. Vragete man mich ze dem andern male, waz diu heilige drival-
ticheit suochte zemale an allen irn werken, ich sprreche: ,ruowe'. Vragete man mich ze dem dritten male,
waz diu sele suochte an allen irn bewegungen, ich sprreche: ,ruowe'. Vragete man mich ze dem vierden
male, waz alle creatfuen suochten an irn natiurlichen begerungen und bewegungen, ich sprreche: ,ruo-
we' (S.11,4-12,5) ... Ich harr ez ouch me gesprochen, daz der mensche niemer ze keiner creature liebe
noch wollust enmöhte gehaben, gotes glichnisse enwrere dar ane. Swaz ich liep han, daz ist, da ich gotes
glichnisse allermeist ane bekenne, und niht enist gote so glich an allen creatfuen als ruowe (S.16,2- 5)
... Ze dem dritten male: entriuwen, niht enmac der mensche gote liebers erbieten dan ruowe. Vasten-
nes und betennes und aller kestigunge enahtet noch enbedarf got zemale niht wider der ruowe. Got
enbedarf nihtes, wan daz man im ein ruowic herze gebe (S.19,1-}) ... Ze dem vierden male suochent
alle creaturen von natiurlicher begerunge ruowe; sie wizzen ez oder enwizzen ez niht, so bewisent sie ez
an irn werken. Dem steine enwirt diu bewegunge niemer benomen, die wile er u.f der erde niht enliget,
er enkriege iemer ze der erde. Des gliche tuot daz viur: daz krieget ufwert, und ein ieglichiu creatfue
suochet ir natiurliche stat; und dar ane bewiset si die glichnisse götlicher ruowe, die got an alle creatfuen
geworfen hat. Daz wir die glichnisse götlicher ruowe also suochen und vinden müezen an gote, des hel-
fe uns got. A.men (S.27,J-29,2). Vgl auch In Sap. n. 27, LWII, S.}46,11-1}:Ad huius autem evidentiam
dicamus et in exemplo quod omne generans et agens universaliter finem actionis habet per se esse ipsius
effectus sui. Unde ibi quiescit, Gen.1 (Gen. 2,2): 'requievit' deus 'ab omni opere'; vgl weiter Pr. 22, DW I,
S. }79,8-10: Einander meister sprichet: ein ieglich würkendiu sache würket durch irs endes willen, daz
si rast und ruowe in irm ende vinde. 15 Ioh. 15,-5: Qui manet in me et ego in eo, hie fert fructum mul-
tum. Eine thematische, terminologische und strukturelle Venoandtschaft zeigt der dritte Teil der Predigt
mitdemSchlef,Jteil der Predigt 57. Vgl DWII, S. 602,6-60},3:Plato sprichet: waz got ist, des enweiz ich
niht - und wil sprechen: die wile diu sele bewunden ist in dem libe, so enmac si got niht bekennen -,
aber waz er niht enist, daz weiz ich wol, als man merken mac bi der sunnen, der schfo nieman geliden
enmac, er enwerde von erste bewunden in dem lufte und enschine also u.f daz ertriche. Sant Dionysi us
sprichet: »ist, daz daz götliche lieht in mich schirret, so muoz ez bewunden sin, als min sele bewunden
ist«. Er sprichet ouch: daz götliche lieht erschfoet an vünfleie liuten ... S. 604,6/: Die vünften enpfähent
ein groz lieht, als ob ez tac si, und doch gemachet als durch einen schranz ... S. 605,2-606,5: Ein mei-
ster sprichet: wer got bekennen wil, enist er niht gezieret mit götlichen werken, er wirt widergeslagen
u.f bresiu dinc. Gehreret aber kein rat dar zuo, daz man got volkomenliche bekenne? - Ja, hie von spri-
chet diu sele in der minne buoche: ... 'und ich wart sin gewar; er stuont bi der want' -daz ist: bi dem
lichamen, der nidervellic ist- ... 'stant uf snellicliche und kum ze mir! Daz kalte ist vergangen', da alliu
dinc von sterbent; also lebent alliu dinc in dem warmen ... 'Die bluomen sirrt entsprungen in unserm
lande' - die bluomen sirrt diu vruht des ewigen lebens. 'Var hine, nordwint, der da derret!' - da gebiutet
got der bekorunge, daz si diesele niht me enhinder. 'Kum, wint von suden, und durchwaeje minen gar-
ten, daz mine wurze vliezen!' - da gebiutet got aller volkomenheit, ze komenne in die sele. 16 Vgl
Liber XXIV philosophorum XXIII, CCSL Cant. Med. CXLfilA, ed. H udry, S. J 1,1-2: Deus est qui sola
ignorantia mente cognoscitur; S.31,13-14: Et hoc est uere ignorare, scilicet ·scire quid non est, et ne-
sciendo quid est; siehe auch Ph. Strauch, Par. an. S. XXXVIII. Vgl weiter Pr. 9, DW I, S.146,3-4: Und
227
Predigt 97
sprichet ein meister: swer da warnet, daz er got bekant habe, und bekante er iht, so enbekante er got
niht; Pr. 35, DW II, S.179,7j: Ein meister sprichet: swer iht bekennet, der enbekennet got niht; Pr. 23,
DW I, S. 402,2f: Gedenkest du noch ihtes, daz er si, des enist er niht; Pr. 53, DW II, S. 533,4-6: Ich spri-
che: swer iht bekennet in gote und im deheinen namen anekleibet, daz enist got niht. Got ist über
namen und über nature; Pr. 71, DWIII, S. 223,5 - 7: Der iht sihet oder vellet iht in din bekennen, daz enist
got niht; da von niht, wan er noch diz noch daz enist. Swer sprichet, daz got hie oder da si, dem englou-
bet niht. 17 Vgl. Pr. 57, DW II, S'. 605,5-7: 'und ich wart sin gewar; er stuont bi der want' - daz ist: bi
dem lichamen, der nidervellic ist. 18 Vgl. Pr. 4, DW I, S. 71,7-72,5: Got muoz mir sich selber geben
als eigen, flls er sin selbes ist, oder mir enwirt niht noch ensmecket mir niht. Swer in alsus zemale
enpfä.hen sol, der muoz zemale sich selben ergeben han und sin selbes uzgegangen sin; der enpfa,het
glich von gote allez, daz er hat, als eigen als erz selber hat und unser vrouwe und alle, die im himelriche
sint: daz ist disen als glich und als eigen. Die also glich uzgegangen sint und sich selben ergeben hant,
die sulen ouch glich enpfähen und niht minner; Rd[J, DW V, S. 227,2-4: Du söltest dich gote genzliche
ergeben mit allen dingen, und da enruoche dich, waz er tuo mit dem sinen. 19 Vgl. Pr. 92, DW IV,
S.104,21-23: Diu ander vruht daz ist geistlichiu vröude; diu kumet von luterer samewizzekeit, diu machet
den menschen liht ze allen guoLen dingen und erbebet in boben sich selben. 20 Vgl. Pr. 27, DW II,
S. 52,3-11: Ja, ich spriche: die wurzel der gotheit die sprichet er alzemale in sinen sun ... Ja, in der sel-
ben geburL, da der vflter gebirt sinen eingebornen sun und im gibet die wurzel und alle sine gotheit und
alle sinc s<Blicheit und im selben niht enbeheltct, in der selben geburt sprichet er uns s1ne vriunde; VeM,
DW V, S.112,13f: Der vierde grat ist, so er me und me zuonimet und gewurzelt wirt in der minne und in
gote ... Zu Z. 51 daz im niht ensmecket noch wollust cngibet dan götlich dinc vgl. oben Anm.13.
21 Vgl. Pr. 57, DW II, S. 606,2-4.: 'Var hine, nordwint', der da derret!' - da gebiutet got der bekorunge,
228
Qui rnanet in me
allez zcrgliten und verwerden. Entzüge er ouch sich ir offenliche, des enmöhte si ouch niht 60
geliden, si enmüeste vor leiden als me als zerglitcn und sterben; wan götlich lieht und wollust
15 ist sö überkreftic, daz diu sele dise beide niht geliden enmöhte, si cnwürde widergeslagen, als
daz ouge der sunnen lieht niht gelidcn enmac, ez enwerde bewunden in der luft22 .
Daz sehste zeichen ist, daz allez daz zerstceret was und verkaltet an der sele und an libe,
daz wirt gesament in got und alzemale enbrant an götlicher minne. 65
60 alliz Sievers, Strauch/ allin Xi 60 nach verwerden: Enzoge sich ir got auch offinliche des
in mochte si auch nicht gclidin. si muiste (in muste H2) für leidin alsemer zuglidin vnd für werdin Xi
(Dittographie) 61 in muste H2 / muiste O 65 nach minne: Bide wir etc. O; Bede H2
22 Vgl. Pr. 56, DW II, S. 589,1- 6: Hrnte er sich ir zemale geoffenbaret, do si an der begerunge was,
si wcere gestorben von vröuden. Weste diu sele, wanne got in sie trcete, si stürbe von vröuden; weste ouch
si, wanne er von ir vert, si stürbe von leide. Si enweiz, wanne er kumet oder wanne er vert. Si entsebeL
wol, warme er bi ir ist. Ein meister spriehet: sfn komen und sin varn ist verborgen. Sin gegenwerticheit
enist niht verborgen, wan er ist ein lieht, und des liehtes nature ist offenbarunge. Das Sechs-Punkte-
Schema begegnet in den Predigten Eckharts öfter, so in der Pr. 'Von dem edeln 1\/Ienschen' (Der erste grat
des innern und des niuwenmenschen ... Dersehste grat ... DWV, S.111,22-112,24); in Pr. 45 (Dar umbe
enmac diu natiurliehe verstantnisse niemer so edel gesin, daz si got berüere oder begrife ane mittel, diu
sele enhabe disiu sehs stücke an ir, da ich von gesprochen han ... DW II, S. 370,1-10), in Pr. 56 (Sol diu
sele got vinden, so sol si sehs stücke an ir haben ... DW II, S. 589,9-590,2) und in Pr. 95 B (Ein meister
wart gevraget, wie man komen sol ze der wisheit. Under andern stücken besehribet er sehs, diu der men-
sche sol haben ... DrV IV, S.182,58-61). Vgl. auch Pr. 31, DW TI, S.116,3-8: 'Sehet, ich sende minen
engel, daz er bereite' und lüter die sele, daz si enpfähen müge daz götliche lieht. Götlich lieht daz kle-
bet alle zit in des engels liebte, und des engels lieht wcere der sele unbequrnme und ensmackete ir niht,
gotes lieht enwcere dar inne bewunden. Got bewindet und bedecket sich in dem engelischen liebte und
ist allez wartende, wann er uzgekriechen müge, daz er sich der sele gegeben müge; Pr. 57, DW II,
S. 602,6- 603,2: Plato sprichet: waz go t ist, des enweiz ich niht - und wil sprechen: die wile diu sele
bewunden ist in dem libe, so enmac si got niht bekennen-, aber waz er niht enist, daz weiz ich wol, als
man merken mac bi der sunnen, der schin nieman geliden enmac, er enwerde von erste bewunden in
dem lufte und enschine also üf daz ertriche. Sant Dionysius sprichet: »ist, daz daz götliche lieht in
mich schirret, so muoz ez bewunden sin, als min sele bewunden ist«; Pr. 32, DW II, S.135,1-5: Als der
sunnen schin, der sich nihL enwirfet uf daz ertriche, er enwerde bewunden in dem lufte und gebreitet
uf anderiu dinc, so enmöhte ez des menschen ouge niht geliden. Also ist daz götliche lieht also über-
kreftic und klär, daz ez der sele ouge niht geliden enmöhte, ez enwerde gestcetiget und ufgetragen bi
materie und bi glichnisse und enwerde also geleitet und gewenet in daz götliche lieht; Pr. 47, DW II,
S. 401,7-402,J: Daz wesen der sele ist enpfenclich des invluzzes götliches liehtes, aber niht als luter noch
als klar, als ez got geben mac, mer: in einer umbewilunge. Man sihet daz lieht der sunnen wol, da si sich
giuzet üf einen boum oder uf einander dinc; mer: in ir selben enkan man ez niht begrifen. Vgl. auch In
Ioh. n. 74, LW III, S. 62,7-9: Et hoc est quod dicit Dionysius: »impossibile est nobis aliter lucere divi-
num radium nisi varietate velaminum circumvelatum«. - Zu Z. 62 widergeslagen vgl. Pr. 57, DW II,
S. 605,2j: Ein meister sprichet: wer got bekennen wil, enist er niht gezieret mit götlichen werken, er
wirt widergeslagen uf bCEsiu dinc; vgl. auch Pr. 107, DW IV, Z. 36-38: Ein heilige sprichet: bebet sich
diu sele uf ungeliutert und wil sich unserm herren erbieten, so wirt si wider nidergeslagen und vellet
uf bCEsiu dinc; alse daz sere ouge vrevelliche sehen wil in die sunnen, s6 wirt ez blinder und noch serer.
229
PREDIGT 98 (Strauch Par. an. Nr. 55 S.120-121)
Handschriftliche Überlieferung:
Filiation der Handschriften: Den beiden Handschriften O und H2, die ihren Text unab-
hängig voneinander von der Vorlage Xi beziehen, steht Ba2 mit einem stark abweichenden
Text gegenüber:
1 1Visi granumJrumenti cadens in terram mortuumJi1erit. ipsum solum manet 0, H2 / Unser herre
sprichet de weissen kornli valle in die erden vnt sterbe so belibet es ane Jrucht Ba2
2 Di meistere sprechin 0, H2 / darab sprichet der meister Ba2
2 also 0, H2 / so Ba2
2 sterbe 0, H2 / erstirbet B2
2 forlise 0, H2 / uerlüret Ba2
3 vnd sin wesin. also vil ist da kornis nature alse steinis nature 0, H2 / vnd sin wesen vnd sin natu-
re also uil ist do kornnes als eines steines B2
3 f. nicht dan eine inphenclichkeit 0, H2 / nit me denne enpfenclicheit also plos müs dusele sin du got
geuallen wil Ba2
4 Also muiz di sele sterbin sal si 0, H2 / also genzeclichen muos der mensche sterben sol er Ba2
5 halde zu allin dingin 0, H2 / zu allen dingen halte Ba2
5 f. rechte also 0, H2 / als ob Ba2
6 andiris nummir genzliehe din wesin 0, H2 / niemer der sele wesen genzeliche Ba2
8 f. Also vil alse di sele genzliche stirbit in vr selber. also vil wirdit got genzliche vr wesin 0, H2 / vnd
als vil si denne stirbet als vil wirt got ir wesenne Ba2.
230
Textkonstituierung
Wegen der Kürze des Ba2-Fragmentes läßt sich kein sicheres Urteil über die Güte der
Textfassung gewinnen. Es scheint, als biete der Ba2-Schreiber einen bearbeiteten Text jener
Vorlage X, von der nicht nur Ba2, sondern auch X1 (0, H2) abhängig sind.
Die Wiedergabe des Xi-Textes in den Handschriften O und H2 ist im gleichen Maße
verläßlich wie in den übrigen Predigten Eckharts in der 'Paradisus'-Sarnmlung. Die Ver-
schreibungen in beiden Handschriften, mit deutlichem Übergewicht in H2, sind gering-
fügig:
7 dirH2/darO
8 in gebis H2 / in begebis 0
11 haszit H2 / hazzint 0
14 si heizlich O / heislich H2
16 beschinen O / bescheinn H2
16 gefochtin O / geforchtin H2
17 beschein O / vberschein H2
18 vechtin O / forchten H2
38 vrO / vzH2
38 so 0, fehlt H2
40 orhap O / orlop H2
42 vrO / vzH2
43 ist (2) 0 / in ist H2.
Das Verhältnis der drei Textzeugen Ba2, H2 und O läßt sich in folgendem Stemma veran-
schaulichen;
X1 Ba2
0 H2
Textkonstituierung: Die wenigen Sätze am Beginn der Predigt, die in Ba2 erhalten sind,
reichen nicht hin, um die Güte der Textabschrift von X1, die O und H2 bewahren, zu über-
prüfen. Deshalb muß sich die Texterstellung der Predigt allein auf 0, gestützt durch H2,
verlassen. Ob und wie'weit sich die Predigtfassung X1 (0, H2) von der Vorlage X und/oder
der authentischen Gestalt, die ihr Eckhart gegeben hat, unterscheidet, läßt sich nicht fest-
stellen.
Übersetzung: keine
231
Predigt 98
Echtheit: Das Zeugnis des Registers der 'Paradisus'-Predigtsammlung (Jn disir predigate
lerit meistir eckart wi di sele ir selbir intwerdin sal vnd allin creaturen ob si inphenclich sal
werdin gotliches wesines vnd gotliches lebines) sichert die Predigt 98 für Meister Eckhart. Ein
indirekter Hinweis auf ihre Zugehörigkeit zum deutschen Predigtwerk Meister Eckharts ist
auch der Überlieferungszusammenhang der Handschrift Ba2, in der der Anfang der Predigt
(Z. 2-9) mitgeteilt wird. Dem Ba2-Schreiber standen Vorlagen zur Verfügung, die einen
unmittelbaren Zusammenhang mit Faszikeln von echten Eckhartpredigten erkennen las-
sen. Ein Indiz für die Echtheit der P~edigt ist weiterhin ihr enger struktureller und inhalt-
licher Zusammenhang mit den Sermones LV,2 n. 540-544 (Anm. 7, 22, 25) und LV,4 n.
547-556 (Anm.16), mit dem lohanneskommentar n. 525-530 (Anm.25) und der Predigt
17 (Anm. 8 und 16). Schließlich bestätigen auch viele Aussagen und Formulierungen der
Predigt, die mit solchen in den übrigen lateinischen und deutschen Schriften Eckharts über-
einstimmen, ihre Echtheit. Es sind dies vor allem die Aussagen über das Sterben der Seele
(Anm. 6 und 7), das Ein-Sein der Seele mit Gott (Anm. 8 und 29), die Namenlosigkeit der
Seele (Anm.9-11) und das 'Werden' der Seele in der ewigen gehurt des Sohnes (Anm.
27-29).
Der Aufbau der Predigtskizze in der Form einer homiletischen Schriftexegese orien-
tiert sich an der Abfolge von vier Schriftworten. 1. Nisi granum jrumenti cadens in terram
(loh. 12,24), 2. qui odit animam suam ... custodiet eam (loh. 12,25), 3. Si quis mihi ministrat,
me sequatur (loh. 12,26), 4. et ubi sum ego, illic et minister meus erit (loh. 12,26). Zu ihnen wer-
den verschiedene Auslegungen gegeben, die einen großen einheitlichen Gedanken aufbauen.
1. 2-10: Ohne eine Übersetzung des Schriftwortes Nisi granumfrumenti cadens inter-
ram zu geben, vorausgesetzt der Xi-Schreiber (O, H2) hat diese nicht weggelassen, beginnt
Eckhart die Auslegung mit einem Spruch der meister über das weizenkorn, demzufolge die-
ses Gestalt, Farbe und Sein (wesen) verliert, wenn es abstirbt, aber (doch) enpfenclfcheit
behält. Will die Seele ein anderes Sein (ander wesen) gewinnen, muß sie wie das Weizenkorn
von not sterben. In dem Maße die Seele in sich selbst stirbt, in dem Maße wird Gott ihr Sein
(wesen). Gott und Seele sind dann ein wesen, wie Leib und Seele ein wesen sind.
2. 11-25: 'Wer seine Seele haßt, bewahrt sie'. Zweierlei sagt Eckhart von der Seele: a)
D~e Seele ist namenlos. Das Wort 'Seele' gehört nicht zu ihrer Natur. Ihr kann man genauso
wenig einen Namen geben wie Gott. In dem sie benannt werden kann, in dem soll man sie
hassen, nämlich in ihrem uzluogen und fnsehen auf den lfp. Eckhart läßt die Seele mit Wor-
ten des Hohenliedes (Cant. 1,4-5) sprechen und läßt sie die unordenlfche minne von der
ordenlfchen minne unterscheiden. b) Die Seele ist nach den Worten Augustins, der von zwei-
erhande werlt spricht, eine werlt. Diese Welt ist in einem jeden Engel ein werlt geistlfche, denn
alles was Gott geschaffen hat, ist in den Engeln llne materie. In den Engeln ist alles als Wahr-
heit, doch unvergleichlich zur ersten wllrheit. Eckhart gebraucht den Vergleich mit der nadel
spitze.
3. 26- 32: 'Wer mir dienen will, der folge mir'. Auf den Einwand, der Herr verlange gar
vil, läßt sich erwidern: Er will nicht mehr als sich uns mitteilen (sich uns gemeinen). Da nach
der Größe der minne die Gabe abzuschätzen ist, und Gott die minne ist, bedeutet dies: Er gibt
sich selbst ganz (alzemllle). Ein bilde für dieses Geben ist das Verhalten der Seele zum Leib:
232
Aufbau
Die Seele gibt sich in alle Glieder ganz. Sie wird nämlich bei ihrer Erschaffung in den grunt
'des wesens gegeben, weshalb sie in allen Gliedern ganz und in jedem einzelnen im besonde-
ren zu wirken vermag.
4. 33-43: 'Wo ich bin, da soll auch mein Diener sein'. Eckhart vollendet in diesem letz-
ten Punkt den globalen Gedankengang der Predigt. Es drängt sich die Frage auf: Wie denn
will sich Gott der Seele gemeinen? Die Antwort: in der Geburt des Sohnes aus dem Vater. In
dem ersten tlzbruche, in dem der Sohn tlzblicket von dem vater, will sich Gott der Seele gemei-
nen: da gewirt sie mit dem Sohn. Gebären ist soviel wie Werden. Irgewerden, der Seele Wer-
den, geschieht (ist) in der ewigen gehurt. In ihr wird sie auf eine so reine Weise ein, daß sie
kein anderes Sein (ander wesen) hat- Eckhart holt den Ausgangsgedanken von Punkt 1 (Nisi
granumfrumenti) ein: die Seele soll enpfenclich werden eines andern wesens - als das wesen,
das Gott ist. Dieses ist das sele-wesen. Dieses wesen ist begin, Ursprung (urhap) und grunt alles
Wirkens Gottes im Himmel und auf Erden. Darin geht die Seele ihrer Natur, ihres Seins und
ihres Lebens verlustig (engat) und wird in der gotheit geboren. Da ist ihr gewerden. Sie wirt
volkommen ein wesen (mit Gott), so daß (zwischen ihnen) kein Unterschied besteht. In der
ununterschiedenen Einheit des Seins aber bleibt Gott Gott und die Seele Seele.
233
Nisi granum frumenti cadens in terram mortuum fuerit.
'Nisi granum frumenti cadens in terr= mortuum fuerit, ipsum solum manet'. 1 120,6
Die meister 2 sprechent, daz diz weizenkorn also gar sterbe, daz ez verliese si:n gestalt-
nisse, si:ne varwe 3 und sin wesen4 . Als vil ist da kornes nature als steines nature, da enbli:bet
Zuschreibungen: xxiiij (am rechten Rand O; 24 H2) Nisi g_ranum frumenti cadens in terram mortu-
um fuerit Jn disir predigade lerit meistir [fol. 41"' O] eckart (Ech. H2) wi di sele ir selbir intwerdin sal vnd
allin creaturen ob si inphenclich sal werdin gotliches wesines vnd gotliches (gotliche H2) lebines. 0, H2
(Inhaltsverzeichnis: 0 jol. 4b-va [Par. an. S. 6], H2 jol 5•)
Überschriften: de sanctis (in der Zeile) xxiiij (am rechtenRana) O; Sermo de sanctis (in der Zei-
le) xxiiij de sanctis (am rechten Rana) H2
1 Nisi ... manet 0, H2 / Unser herre sprichet de weissen körnli valle [fol 239 ra] in die erden vnt
sterbe so belibet es ane frucht Ba2 2 Di meistere sprechin 0, H2 / darab sprichet der meister Ba2
2 also 0, H2 / so Ba2 2 sterbe 0, H2 / erstirbet Ba2 2 forlise 0, H2 / uerluret Ba2 3 also
( alse H2) vil ist da kornis nature alse steinis nature 0, H2 / vnd sin nature also uil ist do kornnes als
eines steines Ba2
1 Z.1.11. 21. 33f Die Predigt nimmt nicht allein Bezug auf Ioh 12,24, sie ist als ganze eine Auslegung
von Ioh 12,24-26: Amen, amen dico vobis, nisi granum frumenti cadens in terram mortuum fuerit, (25)
ipsum solum manet: si autem mortuum fuerit, multum fructum adfert. Qui amat animam suam, per-
det eam; et qui odit animam suam in hoc mundo, in vitam aeternam custodit eam. (26) Si quis mihi
ministrat, me sequatur, et ubi sum ego, illic et minister meus erit. Si quis mihi ministraverit, honorifi-
cabit eum Pater meus. Weil Ioh 12,26 (Si quis mihi ministraverit, honorificabit eum Pater meus) nicht
mehr ausgelegt erscheint, ist anzunehmen, dq/J die Predigt in X1 (0, H2) nicht vollständig überliefert ist:
Es fehlt der Schllfß. Im Hinblick auf die komplexen Verse Ioh 12,24-26 sind zu vergleichen: In Ioh n.
526-530, LWllI, S.456,7-461,8; Sermo LV,2 n. 540-544, LW Iv, S