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Die Theaterschriften

Vorbemerkung ten) und der Notiz zu Karl Valentin (vom Oktober


1922, gedruckt im »Programm«-Heft zur Urauf-
führung von Trommeln in der Nacht an den
Die Theaterschriften Brechts werden in der Rei- Münchner Kammerspielen) (15,3 f. bzw. 39) stan-
henfolge und mit den Titeln abgehandelt, wie sie in den alle Kritiken in der Tageszeitung Der Volkswil-
der Werkausgabe vorliegen (Bände 15 und 16); le, die zunächst der USPD nahestand und dann als
Brechts Äußerungen zu seinen Stücken und Insze- KPD-Organ zeichnete (ab 1.12.1920), und zwar in
nierungen erscheinen hier nicht: sie sind der jewei- der Zeit vom 13.10.1919 bis zum 21.1.1921 (die
ligen Besprechung der Stücke zugeordnet und dort Kritik vom 13.10. über Halbes Jugend und Björn-
verwertet. Da die Theaterschriften in den vorste- sons Über unsere Krqftsteht nicht in der Werkaus-
henden und nachfolgenden Abschnitten »syste- gabe; s. Frisch/Obermeier, 187-191). Den Her-
matisch« ausgewertet sind - unter Berücksichti- ausgeber des Volkswillen lernte Brecht durch das
gung des historischen Wandels -, erfolgen hier nur Ehepaar Lilly und Georg Prem kennen, die wäh-
Hinweise, die in der Systematik nicht berücksich- rend der Spartakus-Aufstände, in Augsburg später
tigt sind. - Erwähnt sein muß, daß viele Beiträge, in den sog. Oster-Aufständen, eine führende Rolle
die in den bei den Bänden Theaterschri/ten gesam- gespielt hatten; obwohl Brecht sich nicht aktiv an
melt sind, nicht im eigentlichen Sinn »Schriften der Errichtung einer Räterepublik beteiligte, stand
zum Theater« sind, sondern oft auch Auszüge aus er, im Gegensatz zu seinem Bruder Walter, der bei
den Tagebüchern, den Arbeitsjournalen oder die den Freikorps kämpfte, auf der Seite der Revolu-
Wiedergabe verstreuter Notate darstellen. Dies al- tionäre und verbarg Georg Prem, als Augsburg von
les im einzelnen zu dokumentieren, sprengte die den konterrevolutionären »Frei«-Truppen besetzt
Dimensionen, zumal - wenn auch nicht vollstän- wurde, zwei Tage in seiner Mansarde (Prem wurde
dig - entsprechende Hinweise in den Anmerkun- später »im Namen der Republik« zu zwei Jahren
gen zu bei den Bänden zu finden sind. Die dort an- Festungshaft ohne Bewährung verurteilt; vgl.
geführte Chronologie ist übernommen, wenn sich Frisch/Obermeier, 167-170). Brechts Mitarbeit
nicht durch die neuere Forschung neue Gesichts- am Volkswillen ist also als ein politischer Akt zu
punkte ergeben: diese sind ausdrücklich vermerkt. qualifizieren, auf alle Fälle eine Entscheidung ge-
Daß nicht alle Schriften durch die Herausgeber ex- gen das sich wieder etablierende Bürgertum. Ent-
akt chronologisch zu fixieren waren, liegt an der sprechend war auch Brechts Auftreten im Theater,
Fülle des von Brecht hinterlassenen Materials und das öffentlich in der Zeitung angeprangert wurde
an der Tatsache, daß viele Texte nicht mehreindeu- (Augsburger Neueste Nachrichten vom 14. Januar
tig einzuordnen sind; einigermaßen gesicherte Da- 1921: » Mangel an Erziehung«, »durch das auffal-
ten vermag erst eine historisch-kritische Ausgabe lende Benehmen in jeder Weise« störend, Zuspät-
zu liefern (die noch nicht begonnen ist). - Auf die kommen etc.; vgl. Frisch/Obermeier, 212 f.). Daß
entsprechenden Texte in der Ausgabe Schriften die Kritiker-Tätigkeit durchaus kein Spaß gewesen
zum Theater (7 Bände, Frankfurt a. M. 1963/64) ist, belegt die Beleidigungsklage, die sich Brecht
wird verwiesen. aufgrund seiner Judith- Kritik von der Schauspiele-
rin Vera-Maria Eberle eintrug. Diese hatte die Be-
zeichnung »Schwein« (15,37) - »Aber das gleiche
Augsburger Theaterkritiken Schwein, das die Lulu für eine Beschimpfung der
Frau hält [die Eberle hatte negativ über Wedekinds
1918 bis 1922 Büchse der Pandora geschrieben], schwärmt für
die Judith« - auf sich bezogen. Ging es hier zwar
nicht um eine politische (Zensur-) Klage, so ist es
Historischer Zusammenhang
doch sicher, daß Brechts politische und künstleri-
Abgesehen vom Nekrolog auf Frank Wedekind sche Einstellung zum Vorgehen der Eberle beige-
(vom 12.3.1918 in Augsburger Neueste Nachrich- tragen hat. Der Prozeß endete mit einem »Ver-
J. Knopf, Brecht-Handbuch
© Springer-Verlag GmbH Deutschland 1984
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gleich« auf Brechts Kosten, den dieser freilich spielt den Präsidenten nach bestem Vermögen (ich
nicht beachtete; er handelte sich eine Verurteilung habe den Satz sorgfältig für ihn ausgesucht)« (15,
»wegen Beleidigung auf 100 Mark Geldstrafe oder 17).
10 Tage Gefängnis« ein (Frisch/Obermeier, Die Kritiken sind durchweg - was Inszenie-
216-218) und zugleich eine weitere über 150 Mark, rung und schauspielerische Leistung betrifft - von
weil er in der Vergleichssache noch einmal beleidi- »negativer« Einstellung geprägt (meist Verrisse,
gend geworden war (der Vater zahlte). - Der Volks- wenn nicht, erfolgt das Lob so, daß sich niemand
wille wurde übrigens 1921 wegen staatsgefährden- darüber freuen kann). Freilich ändert sich die Hal-
der Tendenzen verboten. tung, als es im Mai! Juni 1920 zu einer öffentlichen
Texte: [Kritik vom 13.10.1919]. In: Frisch/Obermeier(s. u.; S. Diskussion über das Augsburger Theater kommt,
188-191).-wa 15, 1-39.-Schriftenzum Theater 1,5-54. an der auch Brecht teilnimmt; der Leiter des Thea-
Wemer Frisch, K. W. Obermeier: Brecht in Augsburg. Erinne- ters Hermann Merz, der sich mit der bornierten Di-
rungen, Dokumente, Texte, Fotos. Berlin und Weimar 1975 rektion wegen der Oper- sie erhielt den Vorzug - in
(auch Frankfurt a. M. 1976; S. 187-191,198-202,210--220). ständigem Streit befindet, wird entlassen. Da
schlägt sich Brecht auf die Seite des Schauspiels:
besser schlechtes als gar kein Theater (zumal
Hinweise zur Analyse
Brecht Opern nicht mochte). Seine Kritiken zeigen
Der Aufbau der Kritiken, die sich auf die Stücke mehr Verständnis für die Leistungen des Theaters.
beziehen, die am Augsburger (provinziellen) Thea- Ab Oktober 1920 fällt er in den alten Ton zurück:
ter gespielt wurden und meist aus dem klassischen die Fehler freilich werden jetzt hauptsächlich der
Repertoire stammten (viel Schiller), ist, wenn sie Direktion angelastet.
nicht ganz kurz sind, üblicherweise zweiteilig: auf Seine Stellung zu den Dramatikern ist eben-
die Inhaltsangabe folgt die Beurteilung der Insze- falls kritisch, aber mit Unterschieden; besonders
nierung und der schauspielerischen Leistungen; heftig bekämpft Brecht von Anfang an Hebbel (er
das entspricht dem Usus. Freilich gibt Brecht den wird auch weiterhin das Beispiel für »Gips«, das
Inhalt oft »verfremdet« wieder. Interessant ist da- heißt: erstarrte Monumentalität sein). Auch von
für die Rezension von Georg Kaisers Gas, die den Schiller läßt sich Brecht nicht »einschüchtern«, ob-
Inhalt in ein »Modell« eines laufenden Mannes wohl er differenziert (Wallenstein kommt gut weg:
transponiert und die soziale Thematik des Stücks er fordert seine Aufführung; 15, 22 und 26). Die
im Bild des Leistungssportiers spiegelt (15, 08 f.). Don Carlos-Kritik( 15, 9-11) gilt der Forschung als
Auffällige Eigenarten sind: I. die Umkeh- » Keimzelle eines dramatischen )Gegenentwurfs<<<
rung der »Normal«-Erwartung: berühmt ist die (Schulz, 16), als Vorbereitung der Heiligen Jo-
Formulierung »Das Publikum und ein Teil der hanna. Hier schon verbinde Brecht Sinclairs Der
Presse fiel durch« (15,9); 2. Kritik in Gedichtform, Sumpf(am Ende als Lektüre-Empfehlung ange-
die wahrscheinlich auf ein literarisches Modell von sprochen) mit Schillers Pathos (15, 11). Gelobt
1792 zurückgeht, in der ebenfalls - in sechshebigen werden dagegen Ibsen, Shaw und mit Unterschie-
Jamben - Schmidtbonns Graf von Gleichen vorge- den Strindberg - obwohl bereits erste kritische Tö-
stellt wird (vgl. Frisch/Obermeier, 198-202; 15, ne gegen den Naturalismus fallen; Gerhart Haupt-
7 f.); 3. Spiegelung der Möglichkeiten und Eigen- manns Rose Bemd wird als »Pflicht« verordnet:
arten des Theaters im Kino: Brecht sieht die Kon- »es ist unsere Sache, die in dem Stück verhandelt
kurrenz und die Sensationen des Kinos (15, 6 f.), wird, unser Elend, das gezeigt wird. Es ist ein revo-
bleibt also nicht stur aufs Theater fixiert (» Theater- lutionäres Stück« (15, 24); auch der Expressionis-
leben« meint auch die Kino-Theater, wie sie da- mus kann Brechts Gnade finden, allen voran Ge-
mals noch hießen); 4. Brecht kümmert sich weder org Kaiser, dessen Gas- Drama besonders heraus-
um die öffentliche Meinung noch hält er viel von gehoben ist, wenn die Darstellung »soziale Ent-
ihr: das weitgehend triviale Klassiker-Theater wicklung« (15, 8) thematisiert; aber auch hier
Augsburgs sieht er als Sieg der bürgerlichen Bor- bleibt das Lob kritisch: die Expressionisten behan-
niertheit; 5. die oft deftige Sprache: z. B. »Sau- delten den Menschen als Objekt, als » Proklama-
stück« (über Alt-Heidelberg; 15, 20), oder witzige tion statt: als Mensch« (zu Toller; 15,34), ihre Dra-
Neuprägungen : z. B. »Anschauspielerin« (15,25); men seien »(ausgenommen vielleicht )Hölle, Weg,
6. die weitgehende Rücksichtslosigkeit gegenüber Erde< [von Kaiser]) ein dramatischer Wille ohne
Regisseuren und Schauspielern: z. B. »Geffers Drama« (15, 35). » Er fand an den expressionisti-

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