gleich« auf Brechts Kosten, den dieser freilich spielt den Präsidenten nach bestem Vermögen (ich
nicht beachtete; er handelte sich eine Verurteilung habe den Satz sorgfältig für ihn ausgesucht)« (15,
»wegen Beleidigung auf 100 Mark Geldstrafe oder 17).
10 Tage Gefängnis« ein (Frisch/Obermeier, Die Kritiken sind durchweg - was Inszenie-
216-218) und zugleich eine weitere über 150 Mark, rung und schauspielerische Leistung betrifft - von
weil er in der Vergleichssache noch einmal beleidi- »negativer« Einstellung geprägt (meist Verrisse,
gend geworden war (der Vater zahlte). - Der Volks- wenn nicht, erfolgt das Lob so, daß sich niemand
wille wurde übrigens 1921 wegen staatsgefährden- darüber freuen kann). Freilich ändert sich die Hal-
der Tendenzen verboten. tung, als es im Mai! Juni 1920 zu einer öffentlichen
Texte: [Kritik vom 13.10.1919]. In: Frisch/Obermeier(s. u.; S. Diskussion über das Augsburger Theater kommt,
188-191).-wa 15, 1-39.-Schriftenzum Theater 1,5-54. an der auch Brecht teilnimmt; der Leiter des Thea-
Wemer Frisch, K. W. Obermeier: Brecht in Augsburg. Erinne- ters Hermann Merz, der sich mit der bornierten Di-
rungen, Dokumente, Texte, Fotos. Berlin und Weimar 1975 rektion wegen der Oper- sie erhielt den Vorzug - in
(auch Frankfurt a. M. 1976; S. 187-191,198-202,210--220). ständigem Streit befindet, wird entlassen. Da
schlägt sich Brecht auf die Seite des Schauspiels:
besser schlechtes als gar kein Theater (zumal
Hinweise zur Analyse
Brecht Opern nicht mochte). Seine Kritiken zeigen
Der Aufbau der Kritiken, die sich auf die Stücke mehr Verständnis für die Leistungen des Theaters.
beziehen, die am Augsburger (provinziellen) Thea- Ab Oktober 1920 fällt er in den alten Ton zurück:
ter gespielt wurden und meist aus dem klassischen die Fehler freilich werden jetzt hauptsächlich der
Repertoire stammten (viel Schiller), ist, wenn sie Direktion angelastet.
nicht ganz kurz sind, üblicherweise zweiteilig: auf Seine Stellung zu den Dramatikern ist eben-
die Inhaltsangabe folgt die Beurteilung der Insze- falls kritisch, aber mit Unterschieden; besonders
nierung und der schauspielerischen Leistungen; heftig bekämpft Brecht von Anfang an Hebbel (er
das entspricht dem Usus. Freilich gibt Brecht den wird auch weiterhin das Beispiel für »Gips«, das
Inhalt oft »verfremdet« wieder. Interessant ist da- heißt: erstarrte Monumentalität sein). Auch von
für die Rezension von Georg Kaisers Gas, die den Schiller läßt sich Brecht nicht »einschüchtern«, ob-
Inhalt in ein »Modell« eines laufenden Mannes wohl er differenziert (Wallenstein kommt gut weg:
transponiert und die soziale Thematik des Stücks er fordert seine Aufführung; 15, 22 und 26). Die
im Bild des Leistungssportiers spiegelt (15, 08 f.). Don Carlos-Kritik( 15, 9-11) gilt der Forschung als
Auffällige Eigenarten sind: I. die Umkeh- » Keimzelle eines dramatischen )Gegenentwurfs<<<
rung der »Normal«-Erwartung: berühmt ist die (Schulz, 16), als Vorbereitung der Heiligen Jo-
Formulierung »Das Publikum und ein Teil der hanna. Hier schon verbinde Brecht Sinclairs Der
Presse fiel durch« (15,9); 2. Kritik in Gedichtform, Sumpf(am Ende als Lektüre-Empfehlung ange-
die wahrscheinlich auf ein literarisches Modell von sprochen) mit Schillers Pathos (15, 11). Gelobt
1792 zurückgeht, in der ebenfalls - in sechshebigen werden dagegen Ibsen, Shaw und mit Unterschie-
Jamben - Schmidtbonns Graf von Gleichen vorge- den Strindberg - obwohl bereits erste kritische Tö-
stellt wird (vgl. Frisch/Obermeier, 198-202; 15, ne gegen den Naturalismus fallen; Gerhart Haupt-
7 f.); 3. Spiegelung der Möglichkeiten und Eigen- manns Rose Bemd wird als »Pflicht« verordnet:
arten des Theaters im Kino: Brecht sieht die Kon- »es ist unsere Sache, die in dem Stück verhandelt
kurrenz und die Sensationen des Kinos (15, 6 f.), wird, unser Elend, das gezeigt wird. Es ist ein revo-
bleibt also nicht stur aufs Theater fixiert (» Theater- lutionäres Stück« (15, 24); auch der Expressionis-
leben« meint auch die Kino-Theater, wie sie da- mus kann Brechts Gnade finden, allen voran Ge-
mals noch hießen); 4. Brecht kümmert sich weder org Kaiser, dessen Gas- Drama besonders heraus-
um die öffentliche Meinung noch hält er viel von gehoben ist, wenn die Darstellung »soziale Ent-
ihr: das weitgehend triviale Klassiker-Theater wicklung« (15, 8) thematisiert; aber auch hier
Augsburgs sieht er als Sieg der bürgerlichen Bor- bleibt das Lob kritisch: die Expressionisten behan-
niertheit; 5. die oft deftige Sprache: z. B. »Sau- delten den Menschen als Objekt, als » Proklama-
stück« (über Alt-Heidelberg; 15, 20), oder witzige tion statt: als Mensch« (zu Toller; 15,34), ihre Dra-
Neuprägungen : z. B. »Anschauspielerin« (15,25); men seien »(ausgenommen vielleicht )Hölle, Weg,
6. die weitgehende Rücksichtslosigkeit gegenüber Erde< [von Kaiser]) ein dramatischer Wille ohne
Regisseuren und Schauspielern: z. B. »Geffers Drama« (15, 35). » Er fand an den expressionisti-