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Sendung verpasst?
Wo die Regierung nicht mehr für sie sorgen kann, helfen sich die Menschen in Indien
selbst: So wie Shubham Chawla. Seine Mutter kocht gratis Mahlzeiten für Covid-
Kranke, er organisiert die Lieferung.
Panik, Trauer und Hilflosigkeit auf der einen Seite: Weil es scheinbar an allem fehlt, um
Corona-Patientinnen und -Patienten in Indien helfen zu können. Angehörige pflegen
ihre Lieben daheim oder versuchen Tag und Nacht, ein Krankenhausbett zu
bekommen.
Silke Diettrich
ARD-Studio Neu-Delhi
Viele Menschen haben Angst, das Haus zu verlassen, denn das Virus scheint überall zu
sein. Dennoch trauen sich einige Menschen an die Front, denn sie wollen helfen. Sie
bieten kostenlose Fahrten zu Krankenhäusern an, Essen für Infizierte oder organisieren
Hilfe auf Instagram.
Selbstorganisierter Lieferdienst
Mom’s Kitchen, also Muttis Küche, so hat Shubham Chawla seinen Service benannt.
Und der Name ist Programm: Seine Mutter kocht, Shubham organisiert die Zutaten
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5/8/2021 Inder kämpfen gegen Corona-Krise: "Ich musste etwas tun" | tagesschau.de
und die Lieferdienste. Bis zu 600 Mahlzeiten am Tag schickt er frei Haus an Menschen,
die sich mit Corona infiziert haben.
Er sagt: "Die Leute weinen am Telefon und bedanken sich so herzlich. Viele sagen:
'Bitte nimm unser Geld, wir brauchen jetzt einfach nur gutes hausgemachtes Essen.
Wir sind zu schwach, um selber zu kochen.' Aber ich nehme kein Geld, ich erhalte Liebe
und Gebete von ihnen. Das ist das beste Gefühl, das man haben kann."
"Das hat so einen starken Eindruck bei mir zurückgelassen. Diese verzweifelte Suche,
die Situation im Krankenhaus, so viele hilfesuchende Menschen", erzählt er. "Zu Hause
konnte ich dann erst einmal die ganze Nacht nicht schlafen. Ich wusste, ich muss was
tun, ohne allerdings mich oder meine Mutter zu gefährden. Ich wollte unbedingt dazu
beitragen, die Situation hier zu verändern."
Ein Post auf Instagram, dass seine Mutter zu Hause kocht für Menschen, die sich
infiziert haben, bekam ein unglaubliches Feedback. Nun helfen auch noch Freunde und
andere Verwandte mit, damit sie hinterherkommen. Natürlich kann man auch in Neu-
Delhi Essen in Restaurants bestellen, aber bei indischen Familien geht nichts über
Hausgemachtes. Das Essen wie daheim helfe auch der Seele, schneller gesund zu
werden, sagt Shubham. Auf sämtlichen Kanälen in den sozialen Netzwerken bieten
Inderinnen und Inder ihre Dienste an: Die mobile Crowd sucht nach
Sauerstoffflaschen, Medikamenten oder Krankenhausbetten.
Zu viele Menschen suchen nach Hilfe. Sie liegen zum Teil auf den Fluren oder in
Abstellkammern, mehr Personal aber wird nicht eingesetzt. Rohans Schicht dauert 27
Stunden. Er ist noch in der Ausbildung, aber muss nun mehr als 60 Patientinnen und
Patienten betreuen.
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körperliche Belastung halte er noch aus, erzählt Rohan, aber seelisch sei er oft am
Ende. "Den Job den wir gerade ausüben, das ist eigentlich die Arbeit, die Gott
normalerweise übernimmt. Wir müssen nun entscheiden, wessen Leben wir retten
und wen wir sterben lassen. Dafür sind wir nicht gemacht, wir sind doch nur
Menschen", sagt Rohan.
Vor dem "Lok Nayak Krankenhaus" in Zentrum von Neu-Delhi hat Raj Kumar sein
Tuktuk geparkt. Eine durchsichtige Plastikfolie trennt den Fahrer von der Rückbank, auf
der er seine Passagiere transportiert. Normalerweise überall durch die Hauptstadt,
nun vor allem von Krankenhaus zu Krankenhaus: "Neu-Delhi erstickt an Covid", sagt
Raj Kumar in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters. "Wenn die Leute
keinen Krankenwagen bekommen, weil die alle belegt sind, dann komme ich ins Spiel."
Für diese Fahrten nimmt Raj Kumar kein Geld an. Er und rund zehn seiner Kollegen
übernehmen die Krankentransporte, eine Hilfsorganisation übernimmt die Kosten,
auch für die Ausrüstung: Desinfektionsmittel, Masken und bei Bedarf auch
Sauerstoffflaschen. Seit Ende April sind die Neuinfektionen in Neu-Delhi stark
angestiegen, im Schnitt sind es seitdem mehr als 20.000 an einem Tag.
Jede helfende Hand sei nun gefragt, sagt der Tuktuk-Fahrer Kumar: "Natürlich habe ich
auch Angst vor dem Virus. Aber wenn deswegen nun jeder zu Hause bleiben würde,
wer würde dann an der Front aushelfen? Wir müssen uns doch alle untereinander
unterstützen."
Raj Kumar hilft, weil auch ihm geholfen wurde. Er hat wegen der Ausgangssperre
seinen Job verloren, mit dem ambulanten Tuktuk-Service kann er also nicht nur
anderen Menschen helfen, sondern endlich auch wieder seine Familie unterstützen.
© ARD-aktuell / tagesschau.de
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