Entdecken Sie eBooks
Kategorien
Entdecken Sie Hörbücher
Kategorien
Entdecken Sie Zeitschriften
Kategorien
Entdecken Sie Dokumente
Kategorien
zukunft
zukunft forschung 01 | 21
forschung
WISSEN
MACHT
(UN)SICHER
thema: sicherheit | sportwissenschaft: körper in balance | alternsforschung:
zellalterung im detail | geowissenschaft: präzise datierung | musikethnologie:
popmusik & nationalismus | dolmetschwissenschaft: facetten des dolmetschens
zukunft forschung
Magazin für Wissenschaft und Forschung
der Universität Innsbruck
Verbreitung: ZUKUNFT FORSCHUNG wird exklusiv und direkt
an Führungspersönlichkeiten und Multiplikator*innen im
Umfeld der Universität Innsbruck verteilt (85 % Österreich,
10 % Deutschland, Rest übriges Ausland). Der Versand er- ANZEIGENFLÄCHEN
folgt persönlich adressiert mit Begleitschreiben des Rektors. Seitenformat: 210 × 280 mm
jeweils randabfallend
Erscheinungsweise: 2 × jährlich, Juni und November
Umfang: 52 Seiten
1/1 U2 U3 U4
Auflage: 3.300 Stück EUR 1.650 EUR 2.100 EUR 2.100 EUR 3.150
(davon 2.400 Stk. persönlich adressierter Versand)
D
ie Wissenschaft hat gerade in Zeiten von Corona noch dem Blickwinkel verschiedener Disziplinen, inwieweit mehr Si-
einmal mehr an Bedeutung gewonnen. Sie leistet offen- cherheit überhaupt möglich und erstrebenswert ist. Außerdem
sichtlich zentrale Beiträge zur Pandemie-Bewältigung, geben wir Einblicke in die Tätigkeiten des seit März 2021 in un-
Minion
und zwar quer über alle Disziplinen. Natürlich ist auch die sere Universität eingegliederten, in Wien beheimateten I nstituts
DE
Wissenschaft nicht unfehlbar und steht deshalb immer wieder für angewandte Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS), dessen
in der Kritik. Denn: Sichere Daten, Prognosen, Informationen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wir herzlich willkommen hei-
und Lösungen sind das, was sich gerade jetzt viele wünschen. ßen.
Und doch führt der Weg zu Neuem immer auch über unsichere
Wege und erfordert eine gewisse Risikobereitschaft. Darüber hinaus präsentieren wir Ihnen weitere spannende The-
PEFC zertifiziert
Dieses Produkt
PEFC zertifiziert
Dieses Produkt
men aus dem breiten Forschungsspektrum unserer Universität
stammt aus
nachhaltig
stammt aus
nachhaltig
Wir widmen uns im Schwerpunkt des vorliegenden Magazins und stellen vielversprechende Persönlichkeiten vor. bewirtschafteten
Wäldern und
bewirtschafteten
Wäldern und
kontrollierten kontrollierten
den verschiedensten Aspekten von Sicherheit, die gerade in der Quellen Quellen
Pandemie an gesellschaftlicher Bedeutung zu gewinnen scheint. Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre und freuen uns www.pefc.at www.pefc.at
Auch in der Forschung an unserer Universität geht es oft da- über Ihre Fragen und Anregungen.
rum, Bereiche unseres Lebens im Sinne von mehr Sicherheit zu
verbessern. Wie lassen sich künftig Transaktionen im Internet
gestalten? Was kann die Wissenschaft zur Verbesserung von
Lebensmittelkontrollen beitragen oder wie zweckmäßig sind
die Strategien zur Terrorbekämpfung in Österreich? Diese und
viele weitere Fragen greifen wir gemeinsam mit unseren For- TILMANN MÄRK, REKTOR
scherinnen und Forschern auf. Wir hinterfragen aber auch aus ULRIKE TANZER, VIZEREKTORIN FÜR FORSCHUNG
Myriad
IMPRESSUM
Herausgeber & Medieninhaber: Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, Christoph-Probst-Platz, Innrain 52, 6020 Innsbruck, www.uibk.ac.at
Projektleitung: Büro für Öffentlichkeitsarbeit und Kulturservice – Mag. Uwe Steger (us), Mag. Eva Fessler (ef), Dr. Christian Flatz (cf); public- PEFC zertifiziert PEFC zertifiziert
Dieses Produkt Dieses Produkt
relations@uibk.ac.at Verleger: KULTIG Werbeagentur KG – Corporate Publishing, Maria-Theresien-Straße 21, 6020 Innsbruck, www.kultig.at stammt aus stammt aus
Redaktion: Mag. Melanie Bartos (mb), Daniela Feichtner, MA (df), Mag. Andreas Hauser (ah), Mag. Stefan Hohenwarter (sh), Lisa Marchl, MSc nachhaltig
bewirtschafteten
nachhaltig
bewirtschafteten
(lm), Mag. Susanne Röck (sr) Lektorat & Anzeigen: MMag. Theresa Rass Layout & Bildbearbeitung: Lara Hochreiter, Florian Koch Fotos: Wäldern und Wäldern und
kontrollierten kontrollierten
Andreas Friedle, Universität Innsbruck Druck: Gutenberg, 4021 Linz Quellen Quellen
www.pefc.at www.pefc.at
TITELTHEMA 8
INFORMATIK. Vernetzte Computer sind per Definition unsicher.
Warum die Welt trotzdem noch steht, weiß Rainer Böhme. 8
FORSCHUNG
STANDORT. FFG-Geschäftsführerin Henrietta Egerth über die
usammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft und die Uni
Z
Innsbruck als Player beim Thema Forschungskooperationen. 26
INFORMATIK. Jan Beutel hat das Matterhorn mit Sensoren bestückt, GEOWISSENSCHAFT. Anhand von gespeicherten
um mehr über Klima, Permafrost und Felszustand zu erfahren. 28 Lichtsignalen kann das Alter von Sedimenten präzise
bestimmt werden – und das bis zu 300.000 Jahre in die
GEOWISSENSCHAFT. Das Team von Michael Meyer leistet Pionier- Vergangenheit.
arbeit auf dem Gebiet der Lumineszenz-Datierung. 30
34
ALTERNSFORSCHUNG. Wie der Alterungsprozess von Zellen ab-
läuft und welche Rolle ein bestimmtes Protein dabei spielt, ist Teil
der Arbeit von Alexander Weiss. 32
RUBRIKEN
EDITORIAL/IMPRESSUM 3 | BILD DER WISSENSCHAFT: VERNÄHUNG EINER HANDSCHRIFT 4 | NEUBERUFUNG: KATHERINE DORMANDY 6 | FUNDGRUBE VERGANGENHEIT: ERSTES
RÖNTGENBILD TIROLS 7 | MELDUNGEN 24 + 39 | WISSENSTRANSFER 40 + 41 | PREISE & AUSZEICHNUNGEN 45 – 47 | ZWISCHENSTOPP: ANDY BOW 48 | SPRUNGBRETT INNSBRUCK:
INGE HINTERWALDNER 49 | ESSAY: WISSEN ROBUSTER MACHEN von Michael Kirchler 50
Pergament als kostspieliger Beschreibstoff des Mittelalters wurde res- und Landesbibliothek Tirol. Sie der Forschung zugänglich zu machen,
sourcensparend eingesetzt. Davon zeugt die Vernähung eines Blattes zählt zu den Aufgaben der Abteilung für Sondersammlungen. Dort
einer über 700 Jahre alten Handschrift aus dem Prämonstratenser Chor- werden Bestände aus dem Tiroler Raum wissenschaftlich erschlossen,
herrenstift Wilten: Details wie dieses, prachtvolle Initialen und einzig- digitalisiert und Bibliotheken virtuell wiedervereint, wie im laufenden
artige Quellentexte birgt die Handschriftensammlung der Universitäts- Projekt zu den weltweit zerstreuten Handschriften des Stiftes Wilten.
Fotos: Adobe Stock/Valeri Vatel(1), Robbie Shone (1), Felix Wachholz (1); COVERFOTO: Uni Innsbruck; BILD DER WISSENSCHAFT: Andreas Friedle (ULBT, Cod. 300, Bl. 122r) zukunft forschung 01/21 5
NEUBERUFUNG
LANDKARTENVERGLEICH
Zur Philosophie kam sie per Zufall, nach Innsbruck aufgrund des Rufs des Instituts für Christliche
Philosophie. Hier widmet sich Katherine Dormandy Fragen zur Rationalität religiöser Überzeugungen.
I
nnsbruck, Philosophie und gar Christ- tigung mit religiösen Fragen, vor allem, Gott sei, so Dormandy, am besten durch
liche Philosophie standen nicht am als sie entdeckte, „dass es Denkwerkzeu- Anknüpfungspunkte an die Wahrheit –
Lebensplan von Katherine Dormandy, ge gibt, um diese großen Lebensfragen durch Belege – zu erkennen, also durch
als sie 1998 in ihrer Heimat New Jersey durchzudenken.“ Informationen dank unserer Erfahrun-
das Studium der Englischen Literatur be- Nach Master und PhD in Oxord bewarb gen und Überzeugungen. Die Forscherin
gann. Doch Dormandy beschäftigte sich sich Dormandy im Rahmen des Lise-Meit- plädiert nun dafür, auch Belege anderer
an der Rutgers University nicht nur mit ner-Programms für einen Forschungsauf- religiöser Traditionen miteinzubeziehen.
Elizabeth Gaskell, Gerard Manley Hop- enthalt am Institut für Christliche Phi- Dieser Diskurs, ja möglicher Dissens sei
kins und Charles Baudelaire, sie lernte losophie in Innsbruck. „Das Institut ist fruchtbar, um unseren Glauben – und da-
auch Deutsch und vertiefte ihre Sprach- international für Philosophie, speziell für her auch Gottes Charakter – besser zu ver-
kenntnisse ein Semester lang in Leipzig. Religionsphilosophie bekannt. Außerdem stehen und den Glaubensweg authenti-
„Im deutschsprachigen Raum habe ich kannte ich Mitarbeiterinnen und Mitarbei- scher zu begehen. Dormandy spricht von
mich gleich wohl gefühlt“, erinnert sie ter aus meiner Zeit in Leipzig“, begründet Landkarten, bestehend aus Überzeugun-
sich. So wechselte sie nach Studienende sie ihre Entscheidung. Zum Fachlichen gen, Emotionen, Wertungen…, mit denen
an die Uni Leipzig, um am Institute for kam auch noch ein emotionaler Aspekt wir uns den Weg durch unser Leben su-
Formal Ontology and Medical Informa- hinzu: „Ich habe noch nie in so einem chen: „Wir benötigen aber Menschen, die
tion Science an einem Buchprojekt mitzu- schönen Land gelebt.“ In Innsbruck spürt andere Landkarte benutzen, um unsere
arbeiten. „Ein interdisziplinäres Institut, sie die Weltoffenheit einer Großstadt, aber eigenen Irrwege, unsere Fehler oder Ma-
das sich mit Fragen der Philosophie und auch die Freundlichkeit einer Kleinstadt, kel zu sehen.“
der Informatik beschäftigt“, sagt Dorman- an der Universität schätzt sie die Unter- Sollte dieser Ansatz in einem so heiklen
dy, für die Informatik und Philosophie stützung für Frauen und den wissen- Bereich wie der Religion anwendbar sein,
– abseits eines Logik-Kurses – Neuland schaftlichen Nachwuchs sowie „die aka- sei es, so Katherine Dormandy, auch ein
waren. „Vor Leipzig wusste ich eigentlich demische Qualität ohne unangenehmes Modell für andere Bereiche. „Wir sehen in
nicht, dass es so etwas wie Philosophie Konkurrenzdenken und Elitismus.“ unserer Welt, dass es immer weniger
gibt“, gesteht sie. Als „junger Mensch in Kommunikationsmöglichkeiten zwischen
einem neuen Land“ befasste sie sich aber Befruchtender Dissens Menschen mit unterschiedlichen Landkar-
„mit Fragen über Gott und die Welt“. In ihrer Forschungsarbeit widmet sich ten, sprich Denkweisen gibt. Ziel meiner
Und so ergab sich aus dem neuen Inte- Katherine Dormandy Fragen zur Ra- Arbeit ist es, diese Gedanken auch dort
resse an Philosophie auch eine Beschäf- tionalität religiöser Überzeugungen. anzuwenden.“ ah
EIN GLÜCKSTREFFER
Nur wenige Wochen, nachdem Wilhelm Conrad Röntgen die X-Strahlen entdeckt hatte,
experimentierten damit auch Innsbrucker Physiker – und röntgten erstmals eine Hand in Tirol.
Perfekt durchleuchtet
Im Jänner 1896 macht er sich jedenfalls mit
Klemenčič (1853-1901) ans Werk. Eine Gas-
entladungsröhre und Fotoplatten fanden
sich am Institut, mit den zu Demonstrati-
onszwecken selbst gebauten Röntgenbild-
schirmen konnten durchleuchtete Objekte
direkt beobachtet werden – den Experi-
menten mit den von Röntgen als X-Strah-
len bezeichneten elektromagnetischen
Wellen stand nichts mehr im Wege. „Schon
am 21. Jänner 1896 wurden die ersten
Bilder in einer Sitzung des naturwissen-
schaftlich-medizinischen Vereins präsen-
tiert“, weiß Denoth. Die Sammlung des In-
stituts für Experimentalphysik beinhaltet
einige dieser historischen Aufnahmen von
Fingern und Ellbogen. Unter den Aufnah-
men befindet sich auch jene einer ganzen
DAS ERSTE RÖNTGENBILD, das in Hand, wahrscheinlich der von Hammerl.
D
ie Nachricht verbreitete sich wie ein Tirol gemacht wurde, stammt aus dem Der Zufall wollte es, dass der Innsbrucker
Lauffeuer. Am 8. November 1895 Jahr 1896, nur wenige Wochen nachdem Vortrag vor Röntgens öffentlichem Vortrag
hatte in Würzburg ein Physiker mit Wilhelm Conrad Röntgen seine bahnbre- stattfand – der Physiker sprach erstmals
einer fast luftleeren Kathodenstrahlröhre chende Entdeckung gemacht hat. Aufge- am 23. Jänner 1896 vor Publikum über die
experimentiert. Fluoreszenzfähige Gegen- nommen wurde (wahrscheinlich) die Hand später nach ihm benannten Strahlen. Rönt-
stände nahe der eingeschalteten Röhre be- von Hermann Hammerl (1853-1933), gens erste Aufnahme war übrigens auch
gannen hell zu strahlen, obwohl die Röhre Lehrer an der Innsbrucker Oberrealschule eine Hand, jene seiner Frau Anna Bertha.
mit schwarzer Pappe abgedeckt war. Am und Privatdozent am Institut für Experi- „Diese Aufnahme hat aber nicht die Quali-
28. Dezember veröffentlichte der Forscher mentalphysik der Universität Innsbruck. tät wie jene seiner Innsbrucker Kollegen“,
eine Arbeit mit dem Titel „Über eine neue Auch aus heutiger Sicht ist die Qualität der urteilt Denoth, räumt aber ein: „Das war
Art von Strahlen“, nur wenige Tage später Aufnahme beachtlich, zwischen Mittel- Glück.“ So trug neben Betriebsspannung
berichtete die internationale Fachpresse handknochen und erstem Fingerglied ist und Gasdruck der Röhre, Alter der Foto-
selbst in New York und London über die das kleine Sesambein zu erkennen. platte, Belichtungszeit auch der Umstand,
Entdeckung eines gewissen Wilhelm Con- dass Anna Bertha Röntgen ihre Hand nicht
rad Röntgen. Auch Innsbrucker Physiker rund 15 Minuten lang gänzlich ruhig auf
erfuhren von der Sensation. „Getrieben 1881 und wurde Assistent von Leopold der Fotoplatte halten konnte, zum Erfolg
von wissenschaftlicher Neugier wollten Pfaundler (1839-1920). Als exzellenter Leh- bei.
Ignaz Klemenčič, Professor für Experimen- render wurde Hammerl 1886 zuerst an das Die Fotografien jedenfalls riefen Auf-
talphysik an der Universität Innsbruck, Staatsgymnasium in Märisch-Trübau, 1889 merksamkeit hervor. So berichteten die
und der Privatdozent Hermann Hammerl dann an die Oberrealschule in Innsbruck Innsbrucker Nachrichten am 24. Jänner von
diesen Versuch auch in Tirol in die Tat um- berufen. Der Universität, speziell der Elek- der Vereinssitzung und von der Kunst-
setzen“, erzählt der Experimentalphysiker trotechnik, blieb er aber als Privatdozent handlung C. A. Czichna, in deren Auslage
Armin Denoth. und ab 1901 als außerordentlicher Univer- Röntgen-Bilder – etwa eine Geldbörse mit
Speziell Hammerl, so Denoth, war ein sitätsprofessor verbunden. Seiner Arbeit in ihr befindlichen Münzen – ausgestellt
„begnadeter Experimetierer“. Studiert war es auch zu verdanken, dass 1907 an wurden. Klemenčič hielt schon Anfang Fe-
hatte Hammerl in seiner Heimatstadt der Universität Innsbruck ein Elektrotech- bruar seinen ersten wissenschaftlichen
Innsb ruck, nach der Promotion 1878 nisches Institut eingerichtet wurde, als Lei- Vortrag über die Bilder und Röntgenstrah-
folgten Auslandsaufenthalte in Paris und ter wurde – allerdings ohne eigenständige len – selbst für unsere heutige schnelllebi-
London. Zurück in Tirol habilitierte er sich Professur – Hammerl bestellt. ge Zeit ein beachtliches Tempo. ah
SICHER IN DER
UNSICHERHEIT
Gebaut für die Ewigkeit? Die IT-Sicherheit steht regelmäßig vor dem Problem, Türen zu bauen,
die auch noch gar nicht erfundenen Waffen standhalten. Vollständige Sicherheit in der IT
gibt es daher nicht, vernetzte Computer sind per Definition unsicher. Warum die Welt t rotzdem
noch steht, daran forscht Rainer Böhme vom Institut für Informatik – und an Methoden,
Kryptowährungen auch der Strafverfolgung zugänglich zu machen.
G
von einem Bären verfolgt wer- eschätzte 250.000 E-Mail- und Ka- Verschlüsselungsverfahren zu entwickeln, ist
den, müssen Sie nicht schneller lenderverwaltungsserver fielen zwi- die konservative Ansage: Du musst beweisen
sein als der Bär, sondern nur schen Januar und März Hacker-An- können, dass dein Verfahren sicher gegen An-
schneller als der Verfolgte griffen zum Opfer – auf ihnen lief Microsoft griffsmethoden ist, die selbst der Angreifer
hinter Ihnen.“ Exchange Server, die weltweit am weitesten noch gar nicht kennt. Also: Sie müssen eine
verbreitete E-Mail- und Kalendersoftware in Stahltür bauen, die nicht nur gegen Feuer,
Unternehmen, NGOs und der öffentlichen Äxte und Motorsägen standhält, sondern
Verwaltung. Den Angreifern war es möglich, auch einen Angriff mit einem Laserschwert
Administratorrechte auf den betroffenen Ser- abwehrt, das noch gar nicht erfunden ist“, er-
vern zu erlangen, dadurch unter anderem E- läutert er. „In manchen, allerdings ganz klar
Mails zu lesen und den gesamten Serverinhalt abgegrenzten Bereichen mit wenigen, klar de-
zu verschlüsseln – und erst gegen Zahlung finierten Funktionen klappt das dank mathe-
eines Geldbetrags wieder zu entschlüsseln. matischer Methoden tatsächlich. Aber sobald
Anders gelagert, aber ähnlich öffentlich- wir anfangen, komplexere Systeme zu bauen,
keitswirksam war kürzlich ein großes Daten- unterschiedliche Funktionen zu kombinieren
leck bei Facebook – hier gelangten Telefon- und dann Computer zu vernetzen, ist diese
nummern, Namen und E-Mail-Adressen von absolute Einbruchssicherheit für alle Zeiten
über 500 Millionen Facebook-Nutzerinnen nicht mehr erreichbar.“
und -Nutzern an die Öffentlichkeit. Sind sol- Zwar stopfen Soft- und Hardwareherstel-
che Lücken vermeidbar? ler regelmäßig Sicherheitslücken mittels Up-
„Nein. Wir leben sozusagen in ständiger dates, aber jedes Update reißt potenziell neue
Unsicherheit“, antwortet Rainer Böhme. Er Löcher; und, wie im Fall des Exchange-Hacks
ist Professor am Institut für Informatik und Anfang des Jahres, werden viele Lücken auch
leitet dort das „Security and Privacy Lab“. erst durch deren Schließung breiter bekannt
„Bei der Ausbildung von Informatikerinnen und können auf noch nicht aktualisierten
und Informatikern, wenn es darum geht, ein Rechnern ausgenutzt werden. Wenn vernetz-
te Computer nun nachweislich unsicher sind, diese Blockchain ohnehin öffentlich ist – jeder
die gesamte Welt aber von ihnen abhängt und jede Interessierte kann sich die herunter-
– warum bricht die Welt dann nicht schon laden, auch wir in der Forschung. So sind Zah-
längst zusammen? lungsflüsse sichtbar. Der Staat ist dabei aber
„Das ist tatsächlich eine Frage, mit der an strengere Regeln gebunden und hat der-
wir uns auch in der Arbeitsgruppe intensiv zeit nicht immer eine gesetzliche Grundlage,
beschäftigen. Ein Aspekt unter mehreren ist diese Blockchain im Ganzen zu durchforsten
– das wäre dann womöglich nicht mehr
„Wir arbeiten daran, die zunehmende zielgerichtet und zweckmäßig, sondern
Verwendung von Kryptowährungen auch käme einer Massenüberwachung zu-
mindest sehr nahe.“ An entsprechenden
für die Strafverfolgung zu erschließen –
Grundlagen, um hier doch ermitteln zu
und das unter Wahrung der Privatsphäre
können, arbeiten juristische Expertinnen
und der individuellen Rechte der und Experten in unterschiedlichen Pro-
Nutzerinnen und Nutzer.“ Rainer Böhme jekten, aktuell im von der Forschungs-
förderungsgesellschaft (FFG) geförder-
wohl, dass böswillige Hacker ein Profitinte- ten Projekt KRYPTOMONITOR; das Team
resse haben und sich viele Angriffe einfach um Böhme liefert dabei theoretischen Input
nicht lohnen. Verteidiger befinden sich in die- aus der Informatik und arbeitet an technischen
sem Fall, wie man auf Englisch sagt, in einem Möglichkeiten, mit denen Strafverfolgungsbe-
bear race: Wenn Sie ein Bär verfolgt, müssen hörden die Blockchain auch unter derzeitigen
Sie nicht schneller als der Bär sein, sondern Voraussetzungen nutzen können. Daneben
nur schneller als der Mensch, der hinter Ihnen wird auch international an rechtlichen Grund-
läuft, um davonzukommen. Solange es attrak- lagen gearbeitet, um auch Verbrechen im Zu-
tivere Ziele gibt als Sie, werden Sie gar nicht sammenhang mit Kryptowährungen leichter
erst angegriffen.“ verfolgbar zu machen.
Privatspäre Informationssicherheit
Eng mit (Daten-)Sicherheit verbunden – und Um IT-Systeme generell sicherer zu machen,
im Namen von Rainer Böhmes Arbeitsgruppe plädiert Rainer Böhme für mehr Transparenz
„Security and Privacy Lab“ auch namentlich und mehr digitale Souveränität: „Der Ex-
abgebildet – ist Privatsphäre: Informationelle change-Hack hat auch deshalb funktioniert,
Selbstbestimmung, das Verfügungsrecht über weil das verwundbare Produkt so weit ver- RAINER BÖHME (*1978 in
eigene Daten, bedingt, dass diese Daten auch breitet ist. Hätten wir mehrere Alternativen, München) studierte Kom-
sicher aufbewahrt werden. Dass dies nicht im- wäre der Schaden gleich nicht mehr so groß.“ munikationswissenschaft,
mer der Fall ist, zeigen Lecks wie etwa zuletzt Europa ist in Sachen IT generell sehr stark Wirtschaftswissenschaften und
bei Facebook. Der rechtliche Schutz personen- von Asien und den USA abhängig: Software Informatik an der TU Dresden,
bezogener Daten ist in Europa deutlich aus- kommt großteils aus den USA, Hardware wo er 2008 nach mehreren
geprägter als etwa in den USA; eine positive wird in asiatischen Ländern produziert. „In Jahren an der Europäischen
Entwicklung, die auf anderer Ebene aber auch Europa gibt es nur noch zwei Standorte, an Zentralbank auch promovier-
staatliches Handeln erschwert: „Wir arbeiten denen modernste Mikrochips hergestellt wer- te. Nach einem Aufenthalt
in mehreren Projekten daran, die zunehmen- den. Es ist erstaunlich, wie viel von der nöti- an der Universität Berkeley in
de Verwendung von Kryptowährungen auch gen Infrastruktur nicht mehr hier in Europa Kalifornien forschte und lehrte
für die Strafverfolgung zu erschließen – und gefertigt wird. Die Großmaschinen, die benö- er von 2010 bis 2015 an der
das unter Wahrung der Privatsphäre und der tigt werden, um die Chips dann herzustellen, Westfälischen Wilhelms-Uni-
individuellen Rechte der Nutzerinnen und werden zwar in den Niederlanden produ- versität Münster. Seit 2015 ist
Nutzer“, erklärt Rainer Böhme. Maßnahmen ziert, dann aber nach Asien verschifft – es er Professor an der Universität
des Staates dürfen keine zu große Streubreite bräuchte hier Investitionen, um die Chipin- Innsbruck, Schwerpunkte
haben, Massenüberwachung ist dadurch aus- dustrie wieder in Europa anzusiedeln, auch, seiner Forschung sind unter
geschlossen. „Man muss derartige Ermittlun- um hier nicht ausschließlich von asiatischen anderem digitale Forensik, vir-
gen gezielt anlassorientiert machen und das Fertigern abhängig zu sein.“ Nicht zuletzt sei tuelle Währungen und krypto
muss auch nachvollziehbar sein.“ das auch eine Sicherheitsüberlegung: „Wenn grafische Finanzinstrumente,
Transaktionen in Kryptowährungen, etwa es hieße, gut, diesen Chip bekommt ihr nicht ökonomische und verhaltens-
Bitcoin, werden in einer Blockchain gespei- ohne Überwachungsschaltung, hätten wir gar wissenschaftliche Aspekte der
chert, einer Datenstruktur, die mit jeder zu- keine Wahl – abgesehen davon, dass wir so Informationssicherheit und des
sätzlichen Transaktion fortgeschrieben wird. eine Schaltung kaum finden könnten, wenn Datenschutzes, Cyberkriminali-
„Unser Ziel in entsprechenden Forschungspro- sie heimlich eingebaut wäre“, sagt der Infor- tät sowie Steganografie und
jekten dazu klingt erst einmal paradox, weil matiker. sh Steganalyse.
SICHERHEIT UND
IHRE RISIKEN
Viel menschliches Streben – auch in der Wissenschaft – fließt in die Erhaltung und den Ausbau
von Sicherheit. Die Philosophin Anne Siegetsleitner erläutert, in welchem Verhältnis Sicherheit zu
anderen Grundbedürfnissen steht, ob es zu viel Sicherheit geben kann und warum ein Staat, der seine
Bürgerinnen und Bürger vor allen Gefahren schützt, nicht erstrebenswert ist.
I
n vielen Bereichen des privaten und frieden, sich an der frischen Luft auf Ski- rausgeht, keine sozialen Beziehungen
öffentlichen Lebens hat – oft ausge- ern zu bewegen, wo auch immer. Andere mehr führt, wird nur kurzfristig gesund
löst durch technische Innovationen brauchen mehr Herausforderung, steilere bleiben, weil zu viele Grundbedürfnisse
– ein anderes Sicherheitsbewusstsein Pisten, freies Gelände usw. Etwas auf eine ungestillt bleiben. Außerdem stellt sich
Einzug gehalten. Während vor 20 Jahren weniger riskante Art zu tun, als es mög- die Frage der Verhältnismäßigkeit. Das
noch kaum jemand einen Skihelm trug, lich wäre, heißt noch nicht, dass einem Streben nach Sicherheit im einen kann
ist ohne Skihelm zu fahren heute gerade- oder einer Sicherheit insgesamt am wich- zu einem Konflikt mit dem Streben nach
zu exotisch. Viele Eltern vergewissern tigsten ist. Sicherheit in anderen Bereichen führen.
sich über eine Tracking-App, wo ihre ZUKUNFT: Wird Sicherheit in unsicheren Viele wollen kurzfristig die Gefahr einer
Kinder sind. Mit der steten technischen Zeiten wichtiger? COVID-19-Erkrankung senken und igno-
Verbesserung von Analysemethoden, SIEGETSLEITNER: Sicherheit wird häu- rieren beispielsweise, welche Auswirkun-
zum Beispiel in der Lebensmittelkon- fig in Zeiten der Verunsicherung betont gen dies mittel- oder langfristig für das
trolle, gehen strengere Sicherheitsauf- oder dort, wo die Freiheiten und Optio- Streben nach Sicherheit im Rechtssystem
lagen Hand in Hand, öffentliche Plätze nen Angst machen, aber als so selbstver- hat, welche Unsicherheiten und Erschüt-
werden zunehmend videoüberwacht. ständlich gelten, dass sie nicht der Rede terungen dies in so vielen anderen Le-
Aber ist Sicherheit tatsächlich mehr „im wert erscheinen. So kann der Ruf nach bensbereichen mit sich bringt oder wie
Trend“ als noch vor 20 oder 30 Jahren? klaren Vorgaben laut werden, weil an die der Zugewinn an Sicherheit und die da-
Anne Siegetsleitner beantwortet Fragen Nachteile gar nicht gedacht wird. Bei- mit einhergehenden Unsicherheiten nicht
zum Thema Sicherheit aus der Perspek- spielsweise kann die Freiheit in der Wahl gleich verteilt sind. Zusatzversicherungen
tive der Praktischen Philosophie. von Lebenspartner*innen beängstigen können überdies in trügerischer Sicher-
und eine vorgegebene Einschränkung heit wiegen. Unsere Gesundheit ist wie
ZUKUNFT: Viele gesellschaftliche Ent- als wünschenswert erscheinen lassen. unser Leben insgesamt nie sicher. Sicher
wicklungen deuten darauf hin, dass sich Wo eine solche tat-
westlich geprägte Menschen nach mehr sächlich droht, wür- „Ein Staat, von dem verlangt wird, dass er vor
Sicherheit sehnen. Sehen Sie auch eine de vielleicht eher die allen Gefahren schützt und nur dies, darf alle
Wertverschiebung in Richtung mehr Si- Freiheit eingefordert
Freiräume verbieten.“ Anne Siegetsleitner
cherheit oder haben Sie Einwände? werden, auch wenn
ANNE SIEGETSLEITNER: Wie immer müssen sie mit mehr Risiko
wir hier genauer hinblicken und differen- verbunden ist. Hier haben wir es nicht ist nur der Tod. In dieser Hinsicht hatten
zieren. Darin ist die Philosophie eine gu- mit einem Wandel, sondern mangelnder im vergangenen Jahr viele Menschen ein
te Ratgeberin. Das Erheben der präzisen Reflexion oder Ignoranz zu tun. Schockerlebnis. Sogenannte „junge Alte“
Daten überlasse ich hingegen den Sozial- ZUKUNFT: Aber es rechtfertigt beziehungs- fühlten sich gekränkt, zur vulnerablen
wissenschaften. Nehmen wir das Beispiel weise verkauft sich vieles, was ein Plus an Gruppe gezählt zu werden.
Skifahren. Die meisten fahren heute mit individueller Sicherheit verspricht, sehr ZUKUNFT: Sicherheit zählt zu den grund-
Helm, aber sie fahren noch Ski. Viel siche- gut. Ein gutes Beispiel ist die steigende legenden menschlichen Bedürfnissen. In
rer wäre es, gar nicht Ski zu fahren. Das Zahl der Zusatzversicherten und über- welchem Verhältnis steht sie zu anderen
heißt, sie verringern die Gefahr für diese haupt das Thema Gesundheit… Grundbedürfnissen?
Aktivität, aber sie minimieren nicht ihr SIEGETSLEITNER: Das Bestreben, unsere SIEGETSLEITNER: Sicherheit als Abwe-
Gesamtrisiko. Skifahren ist ihnen wich- Gesundheit zu erhalten, kann mit Sicher- senheit von Gefahr oder zumindest als
tig, trotz der noch immer vorhandenen heit verbunden sein, doch Sicherheit kann Verringerung von Gefahren zählt ohne
Gefahren. Manche gehen mehr Risiko dem ebenso entgegenwirken. Wer sich Zweifel in vielen Bereichen zu den grund-
ein, andere weniger. Die einen stellt zu- aus Angst nicht mehr bewegt, nicht mehr legenden menschlichen Bedürfnissen,
J
edermann hat das Recht auf Freiheit
und Sicherheit“: Das ist der erste Satz
des österreichischen Bundesverfas-
sungsgesetzes über den Schutz der per-
sönlichen Freiheit. Der in diesem Gesetz
postulierte Zusammenhang zwischen
Freiheit und Sicherheit steht auch im
Zentrum der Forschung am Institut für
angewandte Rechts- und Kriminalsozio-
logie (IRKS), das 1973 als außeruniversi-
täre Einrichtung gegründet wurde und
seit März 2021 Teil der Universität Inns
bruck ist (siehe Kasten). „Wenn wir über
Sicherheit reden, geht es allerdings nicht
nur um staatliche Sicherheit, Rechts-
sicherheit oder Sicherheit vor Gewalt,
sondern auch um soziale und materiel-
le Sicherheit als unabdingbare Basis für
persönliche Entfaltung“, betont Hemma
Mayrhofer, Leiterin des Instituts.
Freiheitsentzug
Das angesprochene Verfassungsgesetz
regelt insbesondere, unter welchen Um-
ständen jemandem die persönliche Frei-
heit entzogen werden darf. Das bekann-
teste Beispiel für Freiheitsentzug ist die
Haft: Rund 100 von 100.000 Menschen,
die in Österreich wohnen, befinden sich
in Haft. Diese Gefangenenrate ist deut-
lich höher als in Deutschland oder der
Schweiz – und führt auch dazu, dass
viele der heimischen Gefängnisse über-
füllt sind. Veronika Hofinger und Andrea
Fritsche vom IRKS haben sich nicht zu-
letzt deshalb in einer umfassenden Studie
die Gewalterfahrungen von Inhaftierten
in Österreich angesehen: Fast drei Viertel
der Befragten, genau 72 Prozent, berich-
ten von mindestens einem Gewaltvorfall
während ihrer gesamten Haftzeit in einer
österreichischen Justizanstalt. „Aufgrund
der großen Hürden, gerade in Haft einer
fremden Person über Opfererfahrungen zuständigen Behörden bereits mit der be- Grundrechtseingriffe“, erklärt sie. Vor-
zu berichten, gehen wir besonders im stehenden Gesetzeslage hätte verhindert aussetzung für eine Zwangseinweisung
Bereich der sexuellen Gewalt von mas- werden können.“ laut Unterbringungsgesetz ist, dass der
sivem ‚Underreporting‘ aus, die Dunkel- oder die Betroffene das eigene Leben
ziffer ist vermutlich deutlich höher“, sagt Zwangsunterbringung oder das eines anderen „ernstlich und
Veronika Hofinger. Jede sechste der 386 Der Sicherheitsanspruch wurde in den erheblich“ gefährdet. „Diese Feststel-
für die Studie „Gewalt in Haft“ befragten vergangenen Jahrzehnten – auch in der lung ist immer eine Prognose und gibt
Personen ist in einem überfüllten Haft- politischen Debatte – immer stärker aus- großen Spielraum. Wenn jemand beim
raum untergebracht und muss sich mit geweitet. „Sicherheit nimmt im politi- behandelnden Arzt sitzt und einen Ku-
mehr Personen als eigentlich vorgesehen schen Diskurs sehr viel Raum ein, und gelschreiber nach dem Arzt wirft, kann
einen Raum teilen. „Diese Enge, ver- die Bevölkerung stellt Ansprüche an die Person gefährlich sein, aber auch
bunden mit langen Einschlusszeiten und den Staat – nämlich eben umfassend ge- harmlos und sie weiß sich im Moment
Unterbeschäftigung, stellt eine massive schützt zu werden. Das bringt aber Fall- nicht anders zu helfen. Der Arzt hat hier
Belastung für die Inhaftierten dar, die stricke mit sich und greift immer stärker beachtlichen Interpretationsspielraum
über den reinen Freiheitsentzug hinaus- in persönliche Freiheiten ein“, sagt Wal- und es gibt auch unterschiedliche Aus-
geht“, sagt Hofinger. „Der Strafvollzug ter Hammerschick. Zumal die damit ver- legungskulturen auf psychiatrischen Ab-
ist zudem chronisch unterfinanziert, was bundene Risikovermeidung einseitig auf teilungen“, sagt Hemma Mayrhofer.
sich auch am Personalstand in den Justiz-
anstalten zeigt.“ „Wenn wir über Sicherheit reden, geht es allerdings
Ein Mittel, die Gefängnisse zu entlas- nicht nur um staatliche Sicherheit, Rechtssicherheit
ten, ist die elektronische Überwachung
oder Sicherheit vor Gewalt, sondern auch um soziale
von Hausarrest – die Fußfessel. Walter
und materielle Sicherheit als unabdingbare Basis für
Hammerschick forscht zu Einsatz und
Wirksamkeit der Fußfessel: „Der ‚norma- persönliche Entfaltung.“ Hemma Mayrhofer
V
on neu-etikettierten abgelaufenen können. Waren dafür ursprünglich teure Firmen versuchen, mit Raman-Spektro-
Fleischprodukten über nicht dekla- und wartungsintensive Massenspektro- metern oder Nahinfrarot-Messgeräten
riertes Pferdefleisch bis hin zu Sal- meter nötig, entwickelten sich nach und auch den Markt der Endverbraucher
monellen in Schokoriegeln: Lebensmit- nach verschiedene andere Messmetho- zu erobern“, erklärt Christian Huck.
telskandale sind keine Seltenheit. „Der den, die auch den Einsatz relativ kleiner Und die Nachfrage nach diesen Geräten
Bedarf an billig produzierten Lebensmit- und kostengünstiger Geräte ermöglichen. wächst.
teln wird immer größer – Versuche der „Im Bereich der Spektroskopie hat sich in
Produzenten, den Herstellungsprozess den letzten Jahren viel getan. Zahlreiche Folgenschwerer Betrug
günstiger zu machen, bleiben hier natür- Ein besonders schwerwiegender Fall des
lich nicht aus“, weiß Christian Huck. Der Betrugs im Lebensmittelbereich betraf
„Unsere Studien haben bestätigt,
Universitätsprofessor für Analytische Babynahrung in China. Dort wurde 2008
Chemie und Radiochemie beschäftigt
dass mithilfe dieser Handgeräte Milchpulver für Babynahrung mit Mela-
sich schon seit Jahren mit Messverfah- eine sehr genaue Bestimmung min versetzt, um einen höheren Protein-
ren, die auch geringe Mengen einzelner der Inhaltsstoffe möglich ist.“ gehalt vorzutäuschen. „Eine durchaus
Inhaltsstoffe in Lebensmitteln aufzeigen Christian Huck, Institut für Analytische Chemie und Radiochemie gängige und schnelle Methode zur Be-
18 zukunft forschung 01/21 Fotos: Andreas Friedle (3), Christian Huck (2)
TITELTHEMA
20 zukunft forschung 01/21 Fotos: Target Group/Axel Springer (1), Uni Innsbruck (1)
TITELTHEMA
„Unsere Welt ist nicht schwarz-weiß – das ist manchmal schön, manchmal unangenehm und manchmal
fällt es auch schwer, das zu akzeptieren. In meiner Arbeit als Statistiker geht es in solchen Situationen
darum, das Ausmaß der Unsicherheit mit Wahrscheinlichkeiten zu beziffern.“ Achim Zeileis
sieht man sehr gut bei den Impfstoffen von Das gilt auch für andere, vor allem soziale in Form einer Wahrscheinlichkeit ausdrü-
Biontech/Pfizer und AstraZeneca. Rein Bereiche. Die Sorge, dass wir hier in den cken. Aber Wahrscheinlichkeiten mit ein-
wissenschaftlich haben beide Hersteller Prognosen Gewissheiten haben, die sehe hundert oder auch mit null Prozent kom-
sehr viel richtig gemacht, nur die Kommu- ich also nicht, auch wenn wir natürlich men einfach sehr selten vor. Deshalb ist
nikation ist grundlegend anders gelaufen. immer besser werden. für mich die Wahrscheinlichkeit das rele-
Aber das liegt jenseits des Einflussbereichs ZUKUNFT: Wieso haben Sie Sorge? Andere vantere Konzept, weil es mehr Fälle ab-
von Wissenschaft und Statistik. würden das als Erfolg werten. bildet als die Gewissheit. Unsere Welt ist
ZUKUNFT: Ganz allgemein werden ja im- ZEILEIS: Wenn ich mir die vielen Diskus- nicht schwarz-weiß – das ist manchmal
mer mehr Daten erhoben. Wird es da- sionen zu diesem Thema ansehe, habe ich schön, manchmal unangenehm und
durch irgendwann möglich, statt Prog- das Gefühl, dass es eher kritisch beäugt manchmal fällt es auch schwer, das zu
nosen hundertprozentige Sicherheiten wird, wenn Algorithmen, die man nicht akzeptieren. In meiner Arbeit als Statisti-
abzugeben? mehr genau versteht, präzises Wissen ha- ker geht es in solchen Situationen darum,
ZEILEIS: Meiner Einschätzung nach wird ben. Auch wenn Prognosen irgendwann das Ausmaß der Unsicherheit mit Wahr-
das nicht funktionieren. Ein gutes Beispiel zuverlässig werden, führt das zu Miss- scheinlichkeiten zu beziffern. Das heißt
ist hier das Wetter: Durch mehr Daten, trauen. Denn es ist ja Teil von Prognosen, aber nicht, dass man das im täglichen
mehr Rechenarbeit und mehr Verständ- dass sie falsch sein können, das gehört Sprachgebrauch auch so machen müsste.
nis für das Funktionieren der Atmosphäre ganz einfach zu ihrem Wesen. In der Dis- Da macht es absolut Sinn, weiterhin Be-
werden durchaus immer bessere Progno- kussion, ob man wirklich zuverlässige griffe wie „Sicherheit“ oder „Gewissheit“
sen möglich. Blickt man auf die vergange- Prognosen haben möchte, ist sehr viel zu verwenden. Wichtig ist dabei nur,
nen zwanzig Jahre zurück, kann man hier Ambivalenz: Auf der einen Seite ist einem dass ich den Unterschied zwischen „ich
massive Fortschritte beobachten, auch das suspekt, auf der anderen Seite wird bin mir ziemlich sicher“ – aufgrund mei-
wenn das in der Öffentlichkeit oft gar auch gerne kritisiert, dass etwas nicht gut ner Expertise – und „ich sag mal meine
nicht so wahrgenommen wird. Zu einer gemacht worden ist, wenn eine Prognose Meinung“ erkenne. lm
SICHERHEIT IST
NICHT ENTSCHEIDEND
Wenn politische Akteure in Österreich Maßnahmen zur Terrorbekämpfung befürworten oder ablehnen, so tun
sie dies nicht basierend auf objektiven Faktoren wie z. B. realen Bedrohungsszenarien. Entscheidend sind – das
zeigen Forscher*innen vom Institut für Politikwissenschaft in einer aktuellen Publikation im Journal of Interna-
tional Relations and Development – andere Beweggründe: Akteure handeln aus einem Gefühl von politischer
Verantwortung (Ownership) und aus ideologischer Überzeugung, und nutzen die Antiterrorismus-Debatte, um
politische Vorteile zu generieren.
FALLSTUDIE VORRATSDATEN-SPEICHERUNG
Warum wird ein Gesetz zur Terrorbekämpfung – im konkreten Fall jenes zur Vorratsdatenspeicherung – durchgebracht oder eben nicht?
Um diese Frage zu beantworten, unterzogen Politikwissenschaftler*innen um Franz Eder die öffentliche Diskussion in Österreich einer Dis-
kursnetzwerk-Analyse. Untersucht wurden über 1.000 Statements in 340 relevanten Medienberichten zwischen dem 27. Juni 2014, als der
Verfassungsgerichtshof das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung kippte, und dem 31. März 2016.
22 zukunft forschung 01/20 Fotos: Adobe Stock/ WrightStudio (1), Eder et al. (1), Andreas Friedle (1), Uni Innsbruck (4)
TITELTHEMA
DISKURS VISUALISIERT
Die Diskursnetzwerk-Analyse basiert auf
dem Gedanken, dass Akteure, die die
gleichen Aussagen treffen, auch ähnliche
Interessen verfolgen. Sie können anhand
ihrer Aussagen zu sogenannten Diskurs-
koalitionen zusammengefasst werden.
Ergebnisse lassen sich beispielsweise wie in
dieser Grafik visualisieren: Man sieht, dass
zwei Diskurskoalitionen die Debatte prägen.
Akteure der grün-alternativ-libertären Grup-
pe (GAL) sind als rote Quadrate dargestellt,
Akteure der traditionell-autoritär-nationalis-
tischen Gruppe (TAN) als grüne Kreise. Die
violetten und türkisen sind der GAL-Gruppe
zuzuordnen, die als Mehrheit den Diskurs
um die Vorratsdaten-Speicherung entschei-
den konnte.
MINI-AUSSTELLUNG
Die Installation „Contesting Counterrorism“, entworfen von Andreas Hausberger und Josef Herzog,
brachte im Jubiläumsjahr 2019 im Rahmen der Ausstellungsreihe INSIDE OUT die Terrorismusforschun-
gen von Franz Eder in den öffentlichen Raum. Jetzt befindet sie sich am Campus SoWi.
ZEITREISE IN DIE
WARME ARKTIS SELTENER
ETEORITEN-FUND
M
Der in der Umgebung von Innsbruck entdeckte, etwa vier
Kilogramm schwere Findling aus dem All ist der erste jemals in
Österreich gefundene Eisenmeteorit.
D
ass sich ein vermeintlicher Meteo- schaftlichen Beweis anzutreten und weite-
riten-Fund tatsächlich verifizieren re Analysen durchführen zu können, ha-
lässt, kommt laut Jürgen Konzett ben die Wissenschaftler eine Probe des
vom Institut für Mineralogie und Petro- Meteoriten genommen. Zunächst wurden
graphie nicht oft vor. In Tirol konnten bis- in einem Ätzexperiment mit Salpetersäure
her überhaupt erst drei Funde wissen- an diesem Stück die sogenannten Wid-
24 zukunft forschung 01/21 Fotos: Robbie Shone (1), Uni Innsbruck (1), JAMSTEC (1)
zukunft forschung 01/21 25
STANDORT
ZUSAMMENARBEIT
SCHAFFT MEHRWERT
Henrietta Egerth, Geschäftsführerin der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft,
über die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft, Wissenstransfer als Qualifizierungsmaß-
nahme und die Universität Innsbruck als Player beim Thema Forschungskooperationen.
grammen wollen wir möglichst nieder- wertigen Weiterbildungsmaßnahmen ist re und Qualifizierungsnetze setzen. Wir
schwellige Angebote für Unternehmen, aus unseren Zahlen ablesbar. Anfang letz- sind als Förderagentur davon überzeugt,
insbesondere für KMU, anbieten und ten Jahres wurden – noch zu Beginn der dass diese Qualifizierungsmaßnahmen
dabei helfen, Schwellenängste bei Ko- Coronakrise – die beiden Programmlinien eine Hebelwirkung für den Innovations-
operationen zwischen Wirtschaft und „Qualifizierungsseminare“ und „Quali- standort Österreich haben.
Forschung abzubauen. Damit soll der Zu- fizierungsnetze“ neu gestartet. Bei den ZUKUNFT: Wie schneidet in diesem Bereich
gang innovationsfreudiger Unternehmen „Qualifizierungsseminaren“ konnten bis die Universität Innsbruck im Vergleich zu
zu externen Ressourcen noch einfacher Jahresende 22 Projekte, organisiert von anderen Universitäten ab? Wie vernetzt
werden. Die FFG fördert hier ganz klar Universitäten oder Fachhochschulen, mit ist die Universität Innsbruck?
die Vernetzung. Auch das beschleunigt rund 180 beteiligten
Innovationen. Unternehmen gefördert „Moderne Infrastruktur ist inzwischen ein
ZUKUNFT: Gibt es Aufholbedarf? Wenn ja, werden. Bei den „Qua- entscheidender Standortfaktor, der zunehmend
wo? lifizierungsnetzen“
die Attraktivität von ganzen Regionen als
EGERTH: Wir sind auf einem guten Weg waren es sieben neue
zum „Innovation Leader“. Dafür braucht Projekte mit knapp
Wirtschafts-, aber auch Lebensraum bestimmt.“
es eine sichere und zuverlässige Basis: 50 Beteiligten aus der Henrietta Egerth
UNTER BEOBACHTUNG
Auftauender Permafrost macht Berge instabil und lässt Felsen in die Tiefe stürzen. Um die drohenden
Gefahren besser zu verstehen, haben Forscherinnen und Forscher rund um Jan Beutel den Hoernligrat
am Matterhorn mit hochsensiblen Sensoren bestückt, um mit Hilfe der gewonnenen Daten mehr über
Klima, Permafrost und Felszustand zu erfahren.
I
m Sommer 2003 rumpelte es gehörig Datenspeicher vor Ort machten folglich Es versteift sich nicht nur das Felsgefüge,
am Matterhorn. 1.500 Kubikmeter Fels keinen Sinn, die gesammelten Daten wer- sondern auch die Verbindung zwischen
donnerten vom Hoernligrat in die Tie- den stattdessen von kleinen batteriebetrie- Felsen. „So verändert sich das freischwin-
fe – verletzt wurde auf der vielbegange- benen Funksensoren zum Kleinen Matter- gende Volumen. Würde sich das Risssys-
nen Route Richtung Gipfel zum Glück horn geschickt und von dort ins Internet tem substanziell verändern, würden wir
niemand. Bald war für Expertinnen und übertragen. Eine Herausforderung für das sehen – es wäre eventuell ein Indika-
Experten klar, dass durch die Rekordhitze die Technologie des Jahres 2006, der Fo- tor, dass sich etwas ablöst.“
dieses Sommers der Fels bis in große Tie- kus der Arbeit lag daher primär darauf, Mit der Anzahl der Sensoren und der
fen erwärmt worden und das Eis in den „robust und effizient zu bauen“. Im Laufe damit einhergehenden Datenmengen ver-
Spalten und Rissen geschmolzen war. der Jahre wuchs die Anzahl der Sensoren: schob sich der Fokus von Beutels Arbeit in
Der Permafrost, der einen die Felsmassen 2010 kam etwa eine hochauflösende und Richtung Datenanalyse: „In einer Excel-
zusammenhaltenden Kitt bildet, war auf- riesige Datenmenge liefernde Kamera hin- Liste kann man die nicht mehr ablegen.“
getaut. zu, überwacht wird inzwischen auch mit Die Datenmengen beeinflussen aber auch
Für Stephan Gruber (damals Geograf Akustik- und GPS-Sensoren. das Sensordesign, intelligentere Sensoren
an der Universität Zürich, heute Carle Der (bislang) letzte Clou betrifft die will Beutels Team bauen. „Es gibt Berei-
ton University, Kanada) und Daniel Seismik, mit der Bewegungen vom Fels- che, in denen sich der Fels einige Monate
vonderMuehll von der ETH Zürich war sturz bis zur Rissbildung registriert wer- nicht bewegt. Hier ständig zu messen, ist
der bröckelnde Fels der Auftakt für das den können. „Mit diesen Sensoren können reiner Datenwahnsinn“, veranschaulicht
interuniversitäre und interdisziplinäre wir nicht nur Punkte, sondern erstmals der Informatiker. Bewegt sich aber der
Projekt PermaSense, um den Permafrost, das ganze Felsensemble erfassen“, berich- Fels, „wollen wir reinzoomen und auch
den Felszustand und das auf 3.500 Metern tet Beutel, der damit von seinem heutigen noch andere Sensoren dazuschalten“. Ihm
herrschende Klima genau und vor allem Arbeitsplatz am Institut für Informatik schweben Sensoren vor, die eigenständig
durchgehend zu beobachten. Anstatt ge- der Universität Innsbruck aus tief in den ihre Daten reinigen, sprich nur das senden,
legentlicher Messkampagnen oder einzel- Fels hineinhorchen kann. Um aber wirk- was relevant ist, „intelligente Triggersen-
ner Datenlogger schwebte den Forschern lich nur die Eigenfrequenzen des Berges soren, mit denen wir die Entscheidung,
ein Sensornetzwerk vor, um Unsichtbares zu analysieren, werden sogar die Schritte was wichtig ist, vom Schreibtisch in die
sichtbar zu machen. Genau das Richtige der Bergsteiger – für Beutel lästige Stör- Maschine verpflanzen“. Erste erfolgrei-
für Jan Beutel. „Als ich die Webpage des signale – herausgerechnet. „Wir können che Versuche haben die Forscherinnen
Projekts gesehen habe, dachte ich: Das ist die Resonanzfrequenz der Felsen verfol- und Forscher schon hinter sich. Seismik-
cool, da will ich unbedingt dabei sein.“ gen, sie bilden saisonal unterschiedliche sensoren befinden sich im Schlafzustand
Beutel brachte die idealen Voraussetzun- Muster aus“, beschreibt Beutel die Detail- (und verbrauchen dabei so gut wie kei-
gen mit: Der studierte Elektrotechniker tiefe, die PermaSense inzwischen erreicht nen Strom), bewegt sich etwas, wacht
war damals am Institut für Technische In- hat. Der Fels, so Beutel, stellt im Winter die Elektronik auf, die Sensoren messen,
formatik und Kommunikationsnetze der ein anderes Konstrukt dar als im Sommer. speichern lokal ab und analysieren, ob die
ETH Zürich tätig – und ist ausgebildeter feinen Erschütterungen z. B. von Bergstei-
Bergführer und Skilehrer. „Die Techno- gern stammten – wenn nicht, werden die
logie war damals noch nicht besonders Daten verschickt. „Im Idealfall ergibt das
widerstandsfähig“, erinnert sich Beutel an ein Vorhersagetool für Bergstürze“, blickt
den Projektstart im Jahr 2006, heute ist der Beutel in die Zukunft. Das Grundprinzip
Hoernligrat am Matterhorn der wohl am ist implementiert, die ersten Daten werden
besten durchleuchtete Berg der Welt: An schon gesammelt, „die große Challenge ist
29 über den Grat verteilten Stellen liefern nun, dass alles in einem mathematischen
17 verschiedenen Sensortypen hunderte Zusammenhang zu etablieren, der auch
Millionen einzelne Datenpunkte. in der Praxis funktioniert, um Warnungen
JAN BEUTEL (*1972 in München) abgeben zu können.“
Drahtlose Netzwerke studierte an der ETH Zürich Elektrotech- Mit solchen Visionen ist man 2006 aufs
Gestartet wurde mit Temperaturmessun- nik und dissertierte 2005 in Technischer Matterhorn gegangen, in dem Freiluftla-
gen und Abstandsmessungen in Felsspal- Informatik. Nach einem Forschungsauf- bor für Geowissenschaft und drahtlose
ten, um, so Beutel, zu erfahren, wann bei enthalt am Berkeley Wireless Research Technologie „wollten wir Grenzen ken-
welchen Temperaturen sich der Felsspalt Center in den USA arbeitete er ab 2000 nenlernen und Dinge ausprobieren, die
wie viel bewegt. Gesammelt wurden die als Forscher am Institut für Technische wir anderswo anwenden und zur Markt-
Messdaten mit einem drahtlosen Netz- Informatik und Kommunikationsnetze reife bringen können.“ In der Schweiz
werk autonomer Sensoren. Autonom des- der ETH Zürich. 2020 wurde Beutel als und Frankreich sind in der Zwischenzeit
halb, damit durch den Ausfall eines Sen- Professor für Informatik mit dem Schwer- vier Standorte hinzugekommen (Jung-
sors nicht die gesamte Messung abbricht, punkt Technische Informatik an die fraujoch, Mattertal, Saastal, Aiguille du
drahtlos deshalb, „weil von Anfang an die Universität Innsbruck berufen und leitet Midi), blickt Jan Beutel aus dem Büro-
große Hoffnung bestand, einen Abbruch am Institut für Informatik die Networked fenster, „kann ich mir das natürlich auch
zu messen.“ Verkabelungen oder gar ein Embedded Systems Group. in Tirol vorstellen.“ ah
DIE VERMESSUNG
DES LICHTS
Michael Meyer vom Institut für Geologie bestimmt anhand von gespeicherten Lichtsignalen präzise
das Alter von Sedimenten – und das bis zu 300.000 Jahre in die Vergangenheit. Das Innsbrucker Team
leistet Pionierarbeit auf dem Gebiet der Lumineszenz-Datierung und bringt Licht ins Dunkel der großen
archäologischen Rätsel unserer Zeit.
D
as Labor von Michael Meyer er- trollierten Laborbedingungen ‚ablesen‘. arbeitet mit jedem Sandkorn „einzeln“:
innert auf den ersten Blick an eine Das Lichtsignal lässt uns auf das Alter der „Wir verwenden Laserstimulation und
Fotodunkelkammer: Im stets nur archäologischen und geologischen Sedi- statistische Modelle, um aus Tausenden
mit Rotlicht „beleuchteten“ Raum im mentschichten schließen. Je mehr Licht, einzeln gemessenen Quarzkörnern das
dritten Stock des Bruno-Sander-Hauses desto älter das Sediment.“ Alter des Sediments zu bestimmen. Das
der Universität Innsbruck bewahrt der Dieser Zugang erlaubt die genaue Ana- ist sehr arbeits- und zeitintensiv, aber auch
Geologe seine lichtempfindlichen Unter- lyse und zeitliche Einordnung von archäo- sehr lohnenswert, da wir dadurch beson-
suchungsgegenstände auf. Gesteins- und logischen Funden oder Klimasignalen, ders robuste Altersdaten erhalten und viel
Sandproben aus aller Welt werden seit die in Sedimentarchiven gespeichert sind. präzisere Aussagen zu Mensch-Umwelt-
mehreren Jahren im Lumineszenz-Labor Wenn in einem Sediment keine organi- Dynamiken treffen können.“
unter seiner Leitung analysiert – mithilfe schen Materialien enthalten sind oder die
der „Optisch Stimulierten Lumineszenz geologischen oder archäologischen Abla- Neue Einblicke
(OSL)-Datierung“. „Diese Methode basiert gerungen besonders alt sind, dann stoßen Die Arbeit der Geologinnen und Geolo-
auf der Messung von in Sandkörnern oder viele der klassischen Datierungsansätze, gen führte bereits zu mehreren Publika-
Gesteinsoberflächen gespeichertem Licht wie beispielsweise die Radio-Karbon- tionen in hochrangigen Fachmagazinen
und ist eines der wichtigsten Werkzeuge Methode, schnell an ihre Grenzen. Nicht und sorgte international für Aufsehen.
zur genauen Altersbestimmung in der so die OSL-Methodik, die auf eine breite Im Jahr 2017 konnte Michael Meyer die
Archäologie und den Erdwissenschaf- Palette von Sedimentablagerungen direkt berühmten Fuß- und Handabdrücke von
ten“, sagt Meyer. „Bei dieser Datierungs- anwendbar ist: „Wir haben bereits mehre- Chusang im zentralen Teil des tibetischen
methode werden natürliche Lichtsignale re brisante Forschungsfragen untersucht, Hochplateaus erstmals gesichert auf ein
genutzt, die sich im Laufe der Zeit in die von Afrika über Australien, das Tibe- Alter zwischen 8.000 und 12.000 Jahren
Quarz- und Feldspatkörnern anreichern. tische Hochplateau und den Alpenraum datieren und somit den ältesten Beleg für
Dabei kann man sich jedes Korn wie eine reichen“, so Meyer. Dabei geht das Inns eine durchgehende Besiedlung Tibets er-
winzige Uhr vorstellen, die wir unter kon- brucker Team besonders präzise vor und bringen. Das Hochland von Tibet ist für
AUF DEN SPUREN des gespeicherten Lichts: Geowissenschaftler Michael Meyer in seinem Lumineszenz-Labor.
archäologische Untersuchungen von gro- Vom Sandkorn zum Gestein wird, lädt sich das Signal im Inneren des
ßem Interesse, gilt es doch als jene Region Neben der Analyse von Sandkörnern er- Steins – vereinfacht gesagt – wieder auf.
der Erde, die als letztes von Menschen weiterte Meyer das Spektrum der Analy- Und durch die Messung dieses tiefenab-
besiedelt wurde. Auch die Menschheits- sen im Innsbrucker Labor und untersucht hängigen Lumineszenz-Signales in der
geschichte ist nach einer Anfang 2021 Lichtsignale von Gesteinsoberflächen. Oberfläche können wir deren Alter ge-
im Magazin Nature erschienenen Studie „Steinwerkzeuge und die bei deren Her- nau berechnen“, erklärt Meyer. Diese so
dank der OSL-Einzelkorndatierung an stellungsprozess entstehenden Gesteins- genannte „Rock Surface Burial Dating“-
archäologischen Sedimenten in einer Aus- splitter, die von Menschen vor tausenden Methode verwendete das Team in seiner
grabungsstätte in der südafrikanischen Jahren bearbeitet wurden, zählen zu den jüngsten Studie für Ausgrabungen aus
Kalahari-Wüste um eine Facette reicher: häufigsten Fundstücken in Ausgrabungs- dem südlichen Teil des Tibetischen Hoch-
„Das ist ein weiteres gutes Beispiel für die stätten. Das Problem ist allerdings, dass plateaus. Die Analysen ergaben ein Alter
große Relevanz unserer Daten, die hier diese Gesteinsartefakte nur schwer datier- der Oberflächenartefakte zwischen 5.200
sogar neue Erkenntnisse zur frühen Ent- bar sind, insbesondere, wenn sie nicht in und 5.500 Jahren. „Wir gehen davon aus,
wicklung unserer Spezies liefern konnten. einem geschichteten sedimentären Kon- dass die Funde im Zusammenhang mit
Vielfach wird die Meinung vertreten, dass text eingebettet sind, sondern als reiner dem Abbau von Gesteinen an diesem Ort
Verhaltensinnovationen in der frühen Oberflächenfund auftreten, wo sie ver- stehen.“ Es handelt sich um die ältesten
Menschheitsgeschichte mit der Küste und schiedenen Umlagerungsprozessen aus- Spuren menschlicher Präsenz in der süd-
Meeresressourcen verbunden sind. In die- geliefert sein können. Bei unserem neuar- lichen Tibetischen Hochebene.
ser Studie haben wir Funde mehr als 600 tigen Ansatz nutzen wir die Tatsache, dass „Wir arbeiten stets daran, unsere Datie-
Kilometer im Landesinneren Afrikas ana- das Lumineszenz-Signal von Gesteins- rungsmethode noch weiter auszubauen
lysiert und ein Alter von 105.000 Jahren oberflächen allmählich abnimmt: Ist die und zu verbessern. Der Bedarf ist groß,
festgestellt. Sie belegen Verhaltensweisen, Oberfläche für längere Zeit dem Tageslicht auch in anderen wissenschaftlichen Diszi-
die gleichwertig zu jenen zur gleichen ausgesetzt, bleicht das Signal in den obers- plinen. Es gibt zahlreiche Ausgrabungs-
Zeit in Küstennähe sind“, erklärt Michael ten Millimetern und Zentimetern des Ge- stätten mit Funden, die bis heute nicht
Meyer die Arbeit, die er in einem interna- steins immer weiter aus – oder wird sogar datiert werden konnten. Hier gilt es künf-
tionalen Team unter der Leitung der Grif- gelöscht. Wenn das Artefakt dann wieder tig noch viele Rätsel zu lösen“, ist OSL-
fith University in Australien durchführte. verschüttet und vom Licht abgeschirmt Experte Meyer überzeugt. mb
DETAILAUFNAHME
DES ALTERNS
Zellen altern – wie genau dieser Alterungsprozess abläuft, was dabei schief
gehen kann und welche Rolle ein bestimmtes Protein dabei spielt, ist Teil der
Arbeit von Alternsforscher Alexander Weiss.
D
ie Frage, warum Zellen altern, ist lei- Forschungsgruppe von Pidder Jansen-Dürr –
der nicht einfach zu beantworten. Es mit einzelnen Faktoren der Zellalterung. „Mi-
gibt viele verschiedene Gründe da- tochondrien, Organellen in unseren Zellen,
für“, erklärt Alexander Weiss. „Unter ande- spielen eine zentrale Rolle im Metabolismus.
rem können negative Umwelteinflüsse unsere Sie übernehmen viele wichtigen Aufgaben
Zellen beeinträchtigen. Zum Beispiel können innerhalb der Zelle, und sind unter anderem
UV-Licht und manche Chemikalien perma- in der Lage, ein Molekül namens Adenosintri-
nente Schäden in unserem Erbgut, der DNA, phosphat zu produzieren“, erklärt der Alterns-
verursachen.“ Der studierte Chemiker leitet forscher. Adenosintriphosphat (ATP) ist ein
seit 2020 eine Arbeitsgruppe am Innsbrucker universeller und unmittelbar verfügbarer mo-
Forschungsinstitut für Biomedizinische Al- lekularer Energieträger in Zellen. Produziert
ternsforschung und beschäftigt sich bereits wird es von Mitochondrien, durch Phosphory-
seit einigen Jahren – unter anderem in der lierung von Adenosindiphosphat (ADP).
DIE BEWEGUNGEN DES KÖRPERS sind ein komplexes System. Peter Federolf arbeitet daran, dieses besser zu verstehen.
AUSBALANCIERTES LEBEN
Peter Federolf ist Professor am Institut für Sportwissenschaft und untersucht alle Aspekte
von Balance im menschlichen Körper.
M
inimale Ausgleichsbewegungen Steuerung. „In Experimenten sehen wir, gleichsbewegungen im Körper, denn sehr
bewahren Menschen davor, im dass Menschen mit dem Auftrag, so ruhig viele unserer Sensorsysteme beruhen auf
einbeinigen Stand nicht umzu- wie möglich zu stehen, trotzdem kleine Veränderung und Bewegungen. In dem
fallen, Stürze oder Sportverletzungen zu Ausgleichsbewegungen machen, und sei Moment, in dem Bewegung stattfindet,
vermeiden und die Balance im Alltag zu es nur, um beispielsweise den Herzschlag wird das sensorische System über Vor-
behalten. Welche Bewegungen in welchen oder die Atmung zu kompensieren. Be- gänge in der Umwelt informiert. „Aus
Gelenken und mit welcher Kraft ausge- wegungen sind also eine Folge oder ein meiner Sicht ist es plausibel, dass Be-
führt werden, ist Forschungsgegenstand Ausgleich von Störungen“, erläutert der wegungen nicht nur zum Ausgleichen
von Peter Federolf. Er interessiert sich Wissenschaftler. Darüber hinaus gibt von Störungen gemacht werden, son-
für alle Arten von Bewegungen und ihre es noch weitere Gründe für kleine Aus- dern auch den Fluss von Informationen
34 zukunft forschung 01/21 Fotos: Felix Wachholz (1), Andreas Friedle (1)
SPORTWISSENSCHAFT
gewährleisten“, so Federolf weiter. Um rolf und sein Team arbeiten daran, einzel-
die Balance gezielt zu trainieren und zu ne Bewegungen in noch kleinere Kompo-
verbessern, ist es daher notwendig, die nenten aufzuspalten, die zwar in ihrem
grundlegenden Prinzipien zu untersu- Umfang sehr klein, dennoch aber wichtig
chen. sind. „Mit einer kleinen Armbewegung
kann ich ähnliche Kräfte erzeugen wie
Beeinflussende Kräfte mit einer sehr langsamen Ganzkörperbe-
Laufen, Gehen, Skifahren – im Alltag und wegung. Diese erheblichen Kräfte dürfen
bei sportlichen Aktivitäten folgen Men- wir nicht übersehen“, verdeutlicht Fede-
schen verschiedenen Bewegungsmustern, rolf. Mit Analysen im Labor sowie mit
die unterschiedliche Kräfte erzeugen. Erst einem speziell angefertigten Anzug für
durch Beschleunigung wird Bewegung Untersuchungen im Feld ist es dem Wis-
erzeugt, verursacht entweder durch Mus- senschaftler und seinem Team möglich,
kelkraft oder die Kraft der Gravitation. die Bewegungen in jedem einzelnen Kör-
persegment mit einer hohen Genauigkeit
„Mit Hilfe des Anzugs haben zu messen. „Mit Hilfe des Anzugs haben
wir die Möglichkeit, die exakte wir die Möglichkeit, die exakte Körper-
haltung, die kleinsten Bewegungen und
Körperhaltung, die kleinsten
sogar die Beschleunigung, beispielsweise
Bewegungen und sogar die
bei einem Skifahrer, zu messen“, erläutert
Beschleunigung, beispielsweise der Sportwissenschaftler, der aus den ge-
bei einem Skifahrer, zu messen.“ wonnenen Daten Bewegungsmuster ablei-
Peter Federolf, Institut für Sportwissenschaft tet und diese detailliert untersucht. „Der
Körper ist ein komplexes System. Solche
„Die Muskelaktivierung ist der zentrale Systeme haben Eigenschaften, die man
Motor von Bewegung. Um sie zu steuern, nicht vorhersagen kann, wenn man nur
muss ich im Körper erst Kräfte über die einzelne Komponenten verstanden hat“,
Beschleunigung von Körpersegmenten, so Federolf. PETER FEDEROLF (* 1974 in Rottweil)
der mir zur Verfügung stehenden Masse, erhielt seinen Doktortitel an der ETH in
erzeugen“, verdeutlicht der Sportwissen- Ganzheitliche Balance Zürich. Nach seinem Abschluss arbeite-
schaftler. Balance kann nicht ganzheitlich trainiert te er weiter wissenschaftlich in Zürich,
Gesteuert werden Ausgleichsbewe- werden. „Natürlich ist es mit gezieltem Davos, als Postdoc an den Universitäten
gungen in erster Linie vom Sprungge- Training möglich, Aspekte zu verbessern. in Salzburg und Calgary in Kanada. Nach
lenk, dem Knie sowie dem Hüftgelenk. Vor allem Sportlerinnen und Sportler so- weiteren Forschungsaufenthalten auf
„Mit Bewegungen, die über die großen wie Therapeutinnen und Therapeuten, der ganzen Welt war Federolf zuletzt als
Gelenke gesteuert werden, können wir die mit älteren Menschen arbeiten, ver- Professor an der Universität in Trondheim
Menschen gut unseren möglichen Radius, suchen, spezifische Situationen zu trai- in Norwegen tätig. Seit Februar 2015 ist
in dem wir stabil stehen, ausloten. Beugt nieren“, erläutert der Wissenschaftler. Al- er Professor am Institut für Sportwissen-
man sich beispielsweise über die Achse lerdings können dadurch immer nur ein- schaften an der Uni Innsbruck.
der Sprunggelenke wie ein Brett zu weit zelne Übungen verbessert werden. For-
nach vorne oder nach hinten, kommen schungsergebnisse sprechen dafür, dass
wir aus der Balance und fallen um“, er- es nicht möglich ist, Balance insgesamt Für die körperliche Stabilität spielen
läutert Federolf. Um ein Ungleichgewicht zu trainieren: „Trainiere ich beispielswei- laut Federolf aber auch Reflexmechanis-
zu verhindern, hat der Mensch Taktiken se auf einer Balancescheibe, wird mein men, die bei einem gezielten Training
gelernt, die Stabilität zu bewahren. „Bei- Gefühl dafür und mein Verhalten darauf unterdrückt werden, eine Rolle. „Je bes-
spielsweise können wir in die Knie gehen, sicherlich verbessert. Allerdings ist ein ser man in Balanceübungen wird, desto
schnelle Ausgleichsbewegungen mit dem trainierter stabiler Stand auf der wacke- besser gelingt es, Reflexmechanismen
Oberkörper machen oder mit der Hüfte in ligen Scheibe kein Garant für die Sturz- zu unterdrücken“, so der Wissenschaft-
die entgegengesetzte Richtung pendeln, prävention im Alter. Wir haben gesehen, ler, der es trotzdem für wichtig erachtet,
um ein Fallen zu verhindern“, so der Wis- dass der Übertrag zwischen Bewegungen möglichst unterschiedliche Bewegungen
senschaftler, der genau verstehen will, leider ein sehr schlechter ist.“ Der Grund zu trainieren, um vor allem die Verlet-
wie das Bewegungssteuerungssystem dafür: Beim situationsangepassten Ba- zungsraten im Sport zu reduzieren.
arbeitet und welche Bewegungsmuster lancetraining tendiert das Nervensystem Mit seinen Forschungen möchte Fede-
eine Rolle spielen. dazu, Abkürzungen zu suchen. Bei über rolf die körperliche Stabilität in seiner
Noch weitgehend unerforscht sind die hundert Einzelbewegungen analysiert ganzen Komplexität besser verstehen, um
Auswirkungen von minimalen Bewe- es, welche Bewegungen es kontrollieren langfristig gezieltere Trainings für Sport-
gungen, wie etwa schnelle Schulter- oder muss und welche nicht, um sich dann auf lerinnen und Sportler, aber auch für ältere
Armbewegungen, auf die Balance. Fede- die relevante Auswahl zu fokussieren. Personen möglich zu machen. df
KOMPLEXES PHÄNOMEN
Im Vergleich zu anderen Disziplinen ist die Dolmetschwissenschaft eine junge, für Martina Behr
befindet sie sich noch in der Phase der Konsolidierung. Daher arbeitet die Dolmetschwissenschaftlerin
an einem „Gerüst zur Systematisierung“ ihres Faches.
M
eist arbeiten sie im Verborgenen, Präsentation eine entscheidende Rolle. Kommission, ist jemand, bei dem nicht
sie sind aber auch direkt bei sen- Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass sofort klar ist, wohin er will. Das Sprech-
siblen politischen, wirtschaftlichen Zuhörerinnen und Zuhörer die Qualität tempo der Ausgangsrede ist entschei-
oder diplomatischen Verhandlungen dabei. einer guten Simultanverdolmetschung dend, es kann sein, dass es zu langsam
Ihre Worte sind von Gewicht – auch wenn schlechter einstufen, wenn sie monoton ist – lange Pausen machen es anspruchs-
es nicht ihre eigenen sind. Sie übertragen vorgetragen wird. Die Sprechweise ist für voller, wenn man etwa in der Zielsprache
gehörte Reden in eine andere Sprache und Zuhörerinnen und Zuhörer der Verdol- syntaktisch anders konstruieren muss.
sorgen dafür, dass sich z. B. Teilnehmerinnen metschung das einzig greifbare, anhand Insgesamt sind Dolmetscherinnen und
und Teilnehmer einer international besetzten dieses Kriteriums wird dann unbewusst Dolmetscher von sehr vielen Faktoren
Konferenz gut verstehen. Doch reicht das auch die inhaltliche Richtigkeit beurteilt. abhängig.
„bloße“ Dolmetschen von einer Sprache in Gut bedeutet kurz gesagt: verständlich, ZUKUNFT: Sind für gutes Dolmetschen
eine andere – oder braucht es mehr? richtig und glaubhaft. Verständlichkeit ist Kenntnisse von Land, Leuten und Kul-
eine der vielen Variablen, die es komplex tur wichtig?
ZUKUNFT: Frau Behr, was macht eigent- machen: Ist die Ausgangsrede unklar BEHR: Natürlich. Das spielt im Dialog-
lich eine gute Dolmetscherin, einen guten strukturiert, muss ich trotzdem eine ver- dolmetschen, also im medizinischen oder
Dolmetscher aus? ständliche Verdolmetschung liefern. sozialen Bereich, eine besonders große
MARTINA BEHR: Es gibt zwei Ebenen, auf ZUKUNFT: Der österreichische Vize-Kanz- Rolle. Wenn ich Gespräche zwischen Arzt
denen die Verdolmetschung funktio- ler Werner Kogler dürfte dann eher und Patient dolmetsche, spielen Kultur-
nieren muss. Zum einen die inhaltliche, schwer zu dolmetschen sein… spezifik und Empathie eine größere Rolle
dass also korrekt und vollständig ge- BEHR: Auch Jean-Claude Juncker, der als dies bei einer internationalen Konfe-
dolmetscht wird, zum anderen spielt die ehemalige Präsident der Europäischen renz von Fachleuten der Fall ist.
36 zukunft forschung 01/21 Fotos: Adobe Stock/aerogondo (1), Andreas Friedle (1)
DOLMETSCHWISSENSCHAFT
Eine Konferenz war es auch, nämlich die Pa- BEHR: Es ist ein systemdynamisches Mo
riser Friedenskonferenz von 1919 bis 1920, dell vom ‚System Dolmetschen‘ mit all
die den Auftakt zur Professionalisierung des seinen Elementen und Subsystemen.
Dolmetschens – zunächst im Konsekutivmo- Letztere bilden auch ein wenig die in-
dus – darstellt. Die Welt wird internationaler, terdisziplinären Ausrichtungen der
französisch als Lingua Franca, als Sprache der Dolmetschforschung ab. Geht es etwa
Diplomatie verliert an Bedeutung. Nach dem darum, was beim Dolmetschen im Kopf
Zweiten Weltkrieg wird bei den Nürnberger des Dolmetschers passiert, bewege ich
Prozessen erstmals simultan, so wie wir es mich im Bereich Kognitionspsychologie.
heute kennen, gedolmetscht. Die ersten (we- Betrachte ich den Aufbau der Ausgangs-
nigen) Ausbildungsstätten für Dolmetsche- rede, befinde ich mich in der Sprachwis-
rinnen und Dolmetscher entstehen in den senschaft. Untersuche ich die Wirkung
1930er-Jahren, wenige mehr werden es ab bestimmter Sprechweisen, geht es eher
den 1940ern. In Innsbruck z. B. wird 1945 ein um Soziologie.
„Institut für Dolmetscherausbildung“ einge- ZUKUNFT: Und diese Subsysteme wech-
richtet. Bis zur ersten Professur durch Anne- selwirken miteinander…
marie Schmid dauerte es aber noch bis 1990. BEHR: Ja. Die Frage ist: Was sind die Stell-
schrauben, was hat Einfluss auf was. Ich
ZUKUNFT: Die Dolmetschwissenschaft glaube, dass das von besonderer Bedeu-
gilt als eine junge Wissenschaft – warum tung ist, da wir in unserem Bereich den
hat es so lange gedauert, eine solche zu Einfluss von technologischen Entwick-
werden? lungen erleben. Mit solch einem Modell
BEHR: Die Zahl derer, die wissenschaft- könnte man zeigen, wie man durch ma-
lich arbeiten, ist seit jeher gering, die schinelles Dolmetschen Unterstützung
meisten sind parallel in Praxis bzw. bekommen könnte oder ob es behindern
Lehre tätig. Entsprechend langsam geht würde, weil es mehr Aufwand, also zu-
es voran. Seit den 1990er-Jahren spricht sätzlicher Input ist, den man verarbeiten
man von einer eigenständigen Disziplin. muss. Langfristig könnte durch so eine
Dolmetschen ist ein komplexes Gefüge, Modellierung die Komplexität des Dol-
so dass die Forschung interdisziplinär metschens klarer gemacht werden, da-
ausgerichtet sein muss – das macht (zü- mit könnte man z. B. Auftraggeber sen-
gigen) Erkenntnisfortschritt zusätzlich sibilisieren. Ein klassisches Problem ist,
schwer. dass Auftraggeber oft zu wenig Material
ZUKUNFT: Hat sie in der Zwischenzeit ih- MARTINA BEHR (* 1977) studierte in zur Verfügung stellen. Mit dem Modell
ren Platz in der Wissenschaftslandschaft Mainz/Germersheim, Genf und Rom mit könnte man die Auswirkungen auf die
gefunden? Abschlüssen zur Diplom-Dolmetscherin Qualität des Dolmetschens anschaulich
BEHR: Ja und nein. Publikationsorgane und zur Diplom-Übersetzerin und pro- darstellen.
und Curricula zeigen die Eigenständig- movierte 2012 an der Universität Mainz. ZUKUNFT: Ihr Gerüst soll noch einen wei-
keit, manche Fachfremde sehen uns aber Von 2004 bis 2012 arbeitete sie als frei- teren Zweck erfüllen.
immer noch als einen Teil der Sprachwis- berufliche Konferenzdolmetscherin und BEHR: Es soll auch ein Ort sein, zum Bei-
senschaft. Im Bereich einer methodischen von 2012 bis 2018 als wissenschaftliche spiel ein online zugängliches Modell, an
Konsolidierung, einer fundierten Basis, Mitarbeiterin an der Universität Mainz/ dem hinterlegt ist, für welche Bereiche es
können wir sicher noch nachlegen. Germersheim, wo sie 2019 habilitierte. welche Forschung gibt. Untersuchungen,
Von 2006 bis 2019 war sie außerdem die sich aus Praxis oder Didaktik erge-
Für Martina Behr, seit 2019 Professorin am Lehrkraft für besondere Aufgaben an der ben, erfolgen gründlich und reflektiert,
Institut für Translationswissenschaft, befin- Universität des Saarlandes. Seit 2019 ist aber nicht immer in Kenntnis aller rele-
det sich die Dolmetschwissenschaft in einer Behr an der Universität Innsbruck Profes- vanter Literatur. An einem solchen Ort
Phase der methodischen Konsolidierung, um sorin für Translationswissenschaft mit dem könnte z. B. Untersuchungen zu „Wir-
diese abzuschließen fehle ihr aber, so Behr, Schwerpunkt Dolmetschwissenschaft. kungen auf den Zuhörer“ hinterlegt sein
noch die entsprechende Systematik bzw. ein und man könnte neue Untersuchungen
Gerüst zur Systematisierung. Ein solches darauf aufbauen. Man könnte durch die-
hat sie mit Hilfe einer Modellierungssoftware Gesamtphänomens Dolmetschen, atomistisch se Modellierung auch sichtbar machen,
zu entwickeln begonnen. Das Modell bildet im Sinne der Erforschung der zahlreichen Va- wo es noch Forschungsbedarf gibt, was
dabei die Komplexität des Dolmetschens im riablen innerhalb dieser Komplexität. schon recht gut erschlossen ist etc. Und
Sinne der Interaktion und der Wechselwir- das immer mit dem Gedanken, dass man
kungen ab und verknüpft eine holistische ZUKUNFT: Sie schlagen ein Modell als bei der Forschung zum jeweiligen Be-
und atomistische Herangehensweise. Holis- „Gerüst zur Systematisierung“ vor – kön- reich Verbindungen zu anderen Berei-
tisch im Sinne der Erfassung des komplexen nen Sie dieses kurz erläutern? chen im Blickfeld hat. ah
D
er Bestand von Georg Trakl im Schneider. Gemeinsam mit Ulrich Lobis, noch besser zu verstehen, analysierten
Brenner-Archiv ist Urgestein – er Annette Steinsiek und Monika Stern vom Wissenschaftler*innen unter der Leitung
befindet sich im Nachlass von Forschungsinstitut Brenner-Archiv sowie des Instituts für Geschichtswissenschaften
Trakls „Entdecker“ Ludwig von Ficker, Silvia Gstrein von der Universitäts- und und Europäische Ethnologie in einem ge-
dessen Redaktionsarchiv der Zeitschrift Landesbibliothek Tirol hat sie das Projekt meinsamen Projekt mit weiteren Partner in
„Der Brenner“ den Grundstock des Bren- durchgeführt. Darüber hinaus wurde am Tirol und Bayern historische Quellen, um
ner-Archivs an der Universität Innsbruck Brenner-Archiv eine dreiteilige virtuelle mehr über den Waldzustand und seine
bildet. Das Interesse an Trakl und der Führung gedreht, die für verschiedene hydrologische Wirkung vor 200 Jahren zu
Trakl-Forschung ist aber nach wie vor un- Zielgruppen Einblicke in Trakls Werk und erfahren. Ob es bei einem starken Nieder-
gebrochen. Nun können die Trakl-Doku- Leben gibt. schlag nämlich wirklich zu einem Spitzen-
abfluss kommt oder nicht, hängt von den
Eigenschaften des Einzugsgebiets, von
der geologischen Situation, aber auch
NEUER FORSCHUNGSSCHWERPUNKT
von der Landbedeckung ab. Diese wird
M it EPoS (Economy, Politics & Society) hat ein neuer Forschungsschwerpunkt an der
Universität Innsbruck seine Arbeit aufgenommen. Daran beteiligt sind sechs Fakultä-
ten mit über 400 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den Bereichen Betriebs-
auch in den Alpen seit Jahrtausenden vom
Menschen mitgestaltet und hat sich v. a.
durch die Bevölkerungsentwicklung und
wirtschaft, Bildungswissenschaft, Medienwissenschaft, Arbeits- und Organisationspsycho- den Bergbau während der Neuzeit immer
logie, Philosophie, Politikwissenschaft, Soziologie, Statistik und Volkswirtschaft. Sie wollen wieder stark verändert.
ihre thematisch und methodisch vielfältige Forschungskompetenz bündeln, um aktuelle „Diese Tatsachen sind allerdings bei der
gesellschaftliche Entwicklungen verstehen und drängende Probleme bewältigen zu können. Analyse historischer Hochwässer bisher
„Damit unterstützen wir Entscheidungsträger*innen kaum berücksichtigt worden. Das liegt
in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Umgang mit u.a. daran, dass die historischen Quellen
aktuellen und zukünftigen Herausforderungen“, heißt zum Zustand des Waldes in den letzten
es auf der Website des neuen Schwerpunktes, der Jahrhunderten nie systematisch gesichtet,
von der gewählten Sprecherin Andrea Hemetsberger bewertet und ‚hydrologisch übersetzt‘
interimistisch geleitet wird. Der siebte Schwerpunkt an worden sind“, erläutert Historiker Kurt
der Uni Innsbruck verbindet die Stärken existierender Scharr. Genau hier setzt das Projekt an, in
Sonderforschungsbereiche, erfolgreicher Forschungs- dem erstmalig die hydrologisch relevante
EPOS nimmt gesellschaftliche zentren und zweier Doktoratskollegs mit neuen, im Landnutzung für den Zeitraum um 1850
Herausforderungen ins Visier. Aufbau befindlichen Forschungsbereichen. rekonstruiert und bewertet wurde.
Fotos: Forschunsinstitut Brenner-Archiv (1), EPoS (1), G. Jäger (1) zukunft forschung 01/21 39
WISSENSTRANSFER
SPIN-OFF ISO-ZERTIFIZIERT
Das Tiroler Start-up UriSalt entwickelt einfache Tests für die Analyse und
Überwachung wichtiger Körperelektrolyte.
D
ie Produkte von UriSalt sollen eine fahren wird das Produkt voraussichtlich reichischen Forschungsförderungsgesell-
Elektrolythaushalt-Bestimmung Ende 2021 in Serienproduktion gehen schaft FFG. Anfang des Jahres hat Urisalt
mittels einfacher und rascher und 2022 auf den Markt kommen. In Zu- die ISO-13485-Zertifizierung für Design
Urinanalyse ermöglichen. Diese in Inns kunft soll der Test auch für weitere ge- und Entwicklung, Produktion, Vertrieb
bruck entwickelte innovative Methode sundheitsrelevante Elektrolyte wie zum und Service von Produkten zur Flüssig-
ist sowohl für öffentliche Einrichtungen Beispiel Kalzium und Kalium adaptiert keitsanalyse erhalten.
als auch den privaten Gebrauch sicher werden.
und einfach anzuwenden. Aktuell sind Die Uni-Holding
noch eine Laboruntersuchung sowie eine ISO-zertifiziert Die Universität Innsbruck ist über die
invasive Blutuntersuchung notwendig, Gegründet wurde UriSalt, ein gemein- Uni-Holding Gesellschafterin der Urisalt
um den Elektrolytstatus eines Patien- sames Spin-off der beiden Innsbrucker GmbH. Diese Unternehmensbeteiligungs-
ten ermitteln zu können. Störungen des Universitäten, von der Chemikerin Ger- gesellschaft der Universität beteiligt sich
Elektrolytgleichgewichts treffen weltweit da Fuhrmann, der Unternehmensbera- seit ihrer Gründung 2008 an kommerziell
Milliarden Menschen und können zu terin und Chemikerin Pinar Kilickiran ausgerichteten Spin-offs der Universität
schweren gesundheitlichen Komplika- und von Peter Heinz-Erian, Mitarbeiter Innsbruck. Neben UriSalt umfasst das
tionen führen, wenn sie nicht rechtzeitig Portfolio unter anderem die Quanten-
erkannt und behandelt werden. Spin-offs Alpine Quantum Technologies
„Aktuell werden seriennahe
(AQT) und ParityQC, den Vorarlberger
Heuer in Serienproduktion Prototypen getestet und Textilspezialisten Texible, die Software-
Das erste von UriSalt entwickelt Produkt verifiziert, im Sommer soll die Unternehmen Laserdata, Onlim, 2PCS
SODISENS bietet nun einen kostengüns- Nullserie produziert werden.“ Solutions, GRID-IT und hydro-IT, die Um-
tigen Point-of-Care-Test zur Beurteilung Pinar Kilickiran, Geschäftsführerin UriSalt welttechnik-Firma BioTreat, das Assetma-
des Natriumhaushalts mittels Einmal- nagement-Unternehmen innfoliolytix, den
Urinstreifen und einem tragbaren Ana- der Pädiatrie der Medizinischen Univer- 3D-Druckspezialisten incremental3d und
lysegerät. „Aktuell werden seriennahe sität Innsbruck. In den vergangenen drei das Bioanalyseunternehmen Sinsoma, das
Prototypen getestet und verifiziert, im Jahren konnte das Start-up insgesamt bereits zu Beginn der Pandemie ein eige-
Sommer soll die Nullserie produziert 1,7 Millionen Euro an Förderungen nach nes PCR-Verfahren zum Nachweis des
werden“, berichtet Geschäftsführerin Pi- Tirol holen, unter anderem vom Austria Coronavirus entwickelt und seither erfolg-
nar Kilickiran. Nach den Zulassungsver- Wirtschaftsservice AWS und der öster- reich vermarktet hat. cf
QUANTEN-TEAMWORK
Das Innsbrucker Quanten-Start-up ParityQC und der Elektronikkonzern NEC starten eine Zusammenarbeit,
der Bauplan und das Betriebssystem für einen japanischen Quantencomputer kommen aus Tirol.
Q
uantencomputer werden zukünf- zial unserer supraleitenden Parametron- Phönix-Gründerpreis
tig in der Lage sein, komplexe Qubits ausschöpft“, sagt Masayuki Shi- Eine Fachjury kürte ParityQC heuer unter
Optimierungsprobleme schneller rane, Senior Manager bei den System 17 nominierten Unternehmen in der Kate-
und effizienter als klassische Computer Platform Research Laboratories der NEC gorie Spin-off zum Sieger des Österreichi-
zu lösen. Anwendungsbeispiele sind das Corporation. schen Gründerpreises PHÖNIX. „Der
Optimieren von Logistikrouten, Finanz- Die ParityQC-Architektur stellt ein Gründerpreis zeigt erneut eindrucksvoll
portfolios oder Produktionsplänen. „Ich komplett neues Paradigma zur Lösung die Ergebnisse des akademischen Wis-
freue mich sehr über diese Partnerschaft von Optimierungsproblemen am Quan- sens- und Technologietransfers. Die Pro-
in der Quantencomputer-Forschung mit tencomputer dar und ermöglicht es, jekte der Preisträgerinnen und Preisträger
ParityQC. Ich bin fest davon überzeugt, Quantencomputer mit sehr reduzierter sind nicht nur international hoch-innova-
dass wir mit der ParityQC-Architektur Komplexität und damit skalierbar zu tiv, sondern auch wirtschaftlich erfolg-
einen Quanten Annealing Computer bauen. In Kombination mit dem Be- reich“, sagte Wissenschaftsminister Heinz
realisieren können, der das volle Poten- triebssystem ParityOS, das Optimie- Faßmann bei der Verleihung im März.
MUSIK VERBINDET
NICHT NUR
Die Verbreitung und Verarbeitung von Rassismus und transnationalem Erbe in der Musik sind zentraler
Forschungsgegenstand von Gianpaolo Chiriaco, Musikethnologe am Institut für Romanistik.
TANZENDE FRAUEN in Äthiopien im Jahr 1937. Im Hintergrund sind noch Askari – Soldaten aus Eritrea in der italienischen Armee – zu
sehen. Aufgenommen wurde das Bild von Vinzenz Reichegger, einem damals dort stationierten Soldaten.
L
ieder, die zum Kampf rufen, die viele Wege, wie diese Geschichte erzählt elle und kollektive musikalische Prak-
Propaganda, Stereotype und Ras- werden kann“, so Chiriaco, der betont, tiken und Hörpraktiken beeinflussen“,
sismus verbreiten, die Geschichte dass Popmusik sehr verbunden ist mit erläutert der Wissenschaftler. Vor diesem
von Kulturen erzählen oder Musik, die Nationalität. Basis für seine Forschungen, Hintergrund spürt Chiriaco Lieder auf,
verbindet – grenz- und nationenüber- die er u.a. im Rahmen eines vom öster- welche die komplexe historische Bezie-
greifende Musik transportiert einen Teil reichischen Wissenschaftsfonds FWF ge- hung zwischen Italien und Äthiopien wi-
der komplexen historischen Beziehung förderten Projekts durchführt, sind über derspiegeln, die von Leid, Liebe und der
zwischen Ländern. Gianpaolo Chiriaco 100 Lieder, von denen viele in Italien Geschichte der Kolonialisierung erzäh-
ist Wissenschaftler am Institut für Roma- bereits in Vergessenheit geraten sind. Sie len, die bis heute in der Kultur verankert
nistik und analysiert die enge, wenn auch alle handeln von den Jahren des Abessi- ist. Musik ist keine universelle Sprache,
kriegerische, äthiopisch-italienische Be- nien Kriegs in den 1930er-Jahren, dem kein Medium, das Grenzen überwindet
ziehung, die vor allem auch in der Popu- Versuch der faschistischen Regierung und von allen Menschen verstanden
lärmusik verarbeitet wurde. „Wir sehen Italiens, Äthiopien zu kolonialisieren. wird. „Fast jede Kultur hat ihre eigene
häufig nur einen Teil von historischen Er- „Ich bin ein Musikethnologe, der sich Musik, so wie auch jedes Land seine
eignissen. Die Realität ist aber, dass die mit Themen wie Rasse, Rassismus und eigenen Sprachen hat. Das bedeutet aber
Geschichte komplexer, transnationaler kolonialem Erbe befasst. Ich beschäftige nicht, dass wir alle diese Sprachen auch
und damit auch interessanter ist. Es gibt mich damit, wie diese Themen individu- verstehen. Wenn wir denken, dass wir
42 zukunft forschung 01/21 Fotos: Barbara Tasser (1), Andreas Friedle (1)
MUSIKETHNOLOGIE
WISSENSCHAFT
sie als vermeintlich talentierter eingestuft
und selektiert werden“, erläutert sie und
ergänzt: „Da man davon ausgehen kann,
dass das Talent in einer Sportart nicht
I
n Hinblick auf ihre Karriere erwähnt gebende Grund, den Weg zur Habilitation haben, selektiert zu werden.
Lisa Steidl-Müller gerne, dass ihr das einzuschlagen“, antwortet sie ganz prag- Eine weitere sportwissenschaftliche
Interesse an der Sportwissenschaft matisch. Und sieht man sich neben ihrem Herzensangelegenheit von Steidl-Müller
von beiden Elternteilen in die Wiege ge- Werdegang die Preise und Projekte an, ist die Verletzungsprävention im Nach-
legt wurde. Im Zusammenhang mit ihrer die sie gewinnen und initiieren konnte, wuchsskirennlauf: „Ich habe vor mehr als
universitären Laufbahn spricht die 1987 dann wird – ungeachtet aller positiven sieben Jahren gemeinsam mit der Ski-Mit-
geborene Tirolerin auch immer wieder mal Fügungen – vor allem eines klar: Steidl- telschule in Neustift ein langfristiges mul-
von Glück. Die Übergänge von einem zum Müller geht ihre Ziele mit Ambition, vor tidisziplinäres Projekt ins Leben gerufen.
nächsten Meilenstein sind bei ihr tatsäch- allem aber mit Leidenschaft an der Sache In diesem konnten bereits konkrete Verlet-
lich nahtlos: Nach dem Lehramtsstudium an, und die gilt insbesondere dem Nach- zungsmuster für zehn- bis vierzehnjährige
(Sport und Italienisch) absolvierte sie das wuchs. Ihr zentrales Forschungsgebiet ist Rennläufer*innen aufgezeigt sowie di-
Probejahr und begann ihr Doktoratsstudi- die Trainingswissenschaft, in der auch die verse Risikofaktoren identifiziert werden.“
um, das sie 2015 mit Auszeichnung und Themen ihrer Habilitation liegen. So besteht in dieser Altersgruppe ein er-
einem Award of Excellence für ihre Dis- höhtes Verletzungsrisiko etwa aufgrund
sertation abschloss. 2016 ergab sich die Bessere Talente-Selektion einer schwächeren neuromuskulären An-
Gelegenheit, als Postdoc an dem am ISW „In vielen Sportarten werden junge Nach- steuerung und Rumpfkraft, durch größere
angesiedelten Olympiazentrum wissen- wuchstalente diskriminiert. So gehen nicht Asymmetrien in der unilateralen Bein-
schaftlich weiterzuarbeiten. Seit 2019 hat nur Talente verloren, es zerbrechen auch streckkraft oder durch den biologischen
sie eine Laufbahnstelle am ISW, im März Träume“, schildert Steidl-Müller die Aus- Entwicklungsstand. Basierend auf diesem
2020 hat sie sich habilitiert. gangslage. Die Forscherin konnte u.a. zei- Wissen soll langfristig zur Verletzungsprä-
Ob ihr bewusst war, dass sie die erste gen, dass im alpinen Skirennlauf in allen vention beigetragen werden. „Mein großes
Habilitandin im Fach Sportwissenschaft Altersklassen vor allem jene in Selektions- Ziel ist es, dieses Projekt weiter auszubau-
an der Uni Innsbruck war? „Ja, ich wurde kadern und Ergebnislisten zu finden sind, en“, so Steidl-Müller über ihr nächstes Vor-
mehrmals darauf angesprochen. Es ist na- die in den Monaten Jänner, Februar und haben, für das sie ein Antrag beim FWF
türlich schon sehr schön, wenn man sich März geboren sind. „Früh im Jahr Gebore- eingereicht hat. Ganz aktuell widmet sie
als erste Frau am ISW habilitieren darf, je- ne haben häufig einen physischen, psychi- sich dem eigenen Nachwuchs, denn sie ist
doch war es für mich nicht der ausschlag- schen und Erfahrungsvorsprung, weshalb im März 2021 Mutter geworden. ef
HEIDE-LEX-NALIS-PREIS
Für ihre Dissertation
zur Kommunikation
zwischen Eltern und
elementarpädagogi-
schen Fachkräften im
Kindergarten erhielt
Laura Burkhardt im
Mai den Heide-Lex-
Nalis-Preis. In der von Wilfried Smidt vom
Institut für Psychosoziale Intervention und
Kommunikationsforschung betreuten Arbeit
zeigt Burkhardt Relevanz, Beschaffenheit
und Einflussfaktoren dieses Verhältnisses auf.
Heide Lex-Nalis hatte sich bis zu ihrem Tod
2018 für eine Modernisierung der Elemen-
ADVANCED GRANT
tarpädagogik in Österreich stark gemacht.
AKADEMIE-AUSZEICHNUNG
D
der Höhe von 4.000 Euro wird an heraus- ie komplexen Mechanismen, die in den nächsten Jahren stark wechsel-
ragende Nachwuchswissenschaftler*innen zu Suprafluidität und Supralei- wirkende Fermi-Fermi-Superfluide rea-
verliehen. Als begeisterte Höhlenforscherin tung führen, faszinieren die For- lisieren und die verschiedenen Regime
arbeitet Koltai an Tropfsteinen in Höhlen schung schon seit vielen Jahrzehnten. der Suprafluidität untersuchen, mit dem
und versucht zu verstehen, wie und warum Um solche Phänomene besser zu verste- ultimativen Ziel, Materiezustände zu
sich Klima und Umwelt über Jahrtausende hen, nutzt die Arbeitsgruppe um Rudolf demonstrieren, deren Symmetrie gebro-
hinweg verändert haben. Sie nutzt geoche- Grimm nun einen neuen experimentel- chen ist.“ Dazu werden die Forscher ihre
mische Proxies in den Höhlenablagerungen, len Ansatz, den sie erst vor Kurzem im Studien auch auf ein neues System mit
um vergangene Temperatur-, Niederschlags- Labor erfolgreich etablieren konnte: ein extremem Massenverhältnis aus Lithium
und Vegetationsveränderungen zu rekons- stabiles, stark wechselwirkendes Fer- und Dysprosium ausdehnen.
truieren. mionengemisch aus Elementen unter- Rudolf Grimm wurde in Mannheim
schiedlicher Masse. Fermi-Gase aus geboren und studierte an der Universität
RICHTER IN SAN MARINO unterschiedlichen Elementen werden Hannover Physik. Nach Stationen an der
Francesco A. Schurr zwar schon seit einigen Jahren erzeugt. ETH Zürich, am Institut für Spektrosko-
vom Institut für Italie- Der Massenunterschied ist der Schlüssel pie der Akademie der Wissenschaften
nisches Recht wurde zu neuartigen Materiezuständen, doch der UdSSR in Troizk bei Moskau und am
kürzlich im Rahmen waren derartige Systeme bisher nicht Max-Planck-Institut für Kernphysik in
einer virtuellen Zere- stabil genug. Das Team um Grimm ver- Heidelberg wurde Grimm im Jahr 2000
monie als Richter am wendet ein Gemisch aus Dysprosium als Nachfolger von Anton Zeilinger an
Gericht für Treuhand- und Kalium, das die wichtigsten Zutaten die Universität Innsbruck berufen. Hier
schaften und Treu- bietet, die für die Erzeugung neuartiger konnte er mit seinem Team weltweit
händerische Beziehungen in San Marino stark wechselwirkender Suprafluide er- erstmals ein Bose-Einstein-Kondensat
vereidigt. Der Trust-Gerichtshof ist eine forderlich sind: Massenungleichgewicht, aus Cäsiumatomen sowie ein Bose-Ein-
weltweit einzigartige Institution. Seit seiner Abstimmbarkeit der Wechselwirkungen stein-Kondensat aus Molekülen und ein
Dissertation hat sich Schurr wissenschaftlich und Kollisionsstabilität. „Unser System Fermi-Kondensat erzeugen. In den fol-
mit dem aus dem „Common-Law-Rechts- stellt derzeit die einzige experimentell genden Jahren realisierte Grimm in ul-
kreis“ stammenden Trust und dessen verfügbare Fermi-Fermi-Mischung dar, trakalten Quantengasen erstmals zahl-
Anwendungsmöglichkeit im „Civil-Law“- die diese Kombination von Eigenschaf- reiche physikalische Phänomene, so et-
Rechtskreis auseinandergesetzt. ten bietet“, sagt Grimm. „Wir wollen wa die Efimov-Zustände.
46 zukunft forschung 01/21 Fotos: Franz Oss (1), Uni Innsbruck (1), PicturePeople(1), privat(1)
PREISE & AUSZEICHNUNGEN
MARIANNE-BARCAL-
L’ORÉAL STIPENDIUM
Die L’ORÉAL Öster-
reich Stipendien For
PREIS VERLIEHEN
Women in Science
wurden aufgrund
der Pandemie heuer
nur digital verliehen.
Unter den vier Preis-
Der Marianne-Barcal-Preis wird heuer bereits zum fünften Mal für trägerinnen war
hervorragende Abschlussarbeiten aus den Fächern Geschichte, Veronika Pedrini-Martha vom Institut für
Zoologie. Ihre Forschung zielt darauf ab,
Politikwissenschaften und benachbarten Disziplinen vergeben. die Anpassung wirbelloser Tiere, vor allem
von Schnecken, an unterschiedlichste Le-
bensräume besser verstehen zu lernen. Um
besonders Schutz- und Entgiftungsmecha-
nismen von Schnecken, wie der heimischen
Weinbergschnecke, weiter aufzuklären, be-
nutzt sie modernste molekularbiologische
Methoden.
BERUFUNG IN DIALOGKOMMISSION
Der Innsbrucker
Liturgiewissen-
schaftler Liborius
Lumma wurde vom
Päpstlichen Rat zur
Förderung der Einheit
der Christen in die
Dialogkommission
DIE PREISTRÄGER*INNEN Vanessa Maria Carlone, Johannes Oberhofer und Nina zwischen römisch-katholischer Kirche und
Hechenblaikner mit Kulturstadträtin Uschi Schwarzl und den Jury-Mitgliedern. der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in
Europa (GEKE) berufen. Die Dialogkommis-
G
estiftet wurde der Preis von der zerischen Parlament“ ein aufwändiger sion nimmt in diesem Jahr auf der Grund-
ehemaligen Gemeinderätin Ma- Vergleich, für den sie Protokolle des lage eines vorangegangenen mehrjährigen
rianne Elisabeth Barcal, die 2014 österreichischen National- und Bundes- Sondierungsprozesses ihre Arbeit auf. Der
verstorben ist. „Die Arbeiten zeichnen rates und des schweizerischen Stände- Privatdozent Lumma hat sich national wie
sich durch ihre hohe wissenschaftliche und Nationalrates aus den Jahren 1970 international vielfältig im ökumenischen
Qualität aus und eröffnen immer wie- bis 1976 ausgewertet hat. Der Jury zu- Dialog engagiert.
der interessante Einblicke in neue For- folge „unterzieht Hechenblaikner knapp
schungsbereiche“, betonte Stadträtin 200 Redebeiträge einer qualitativen In- WITTGENSTEIN-PROFESSOR
Uschi Schwarzl bei der Preisverleihung. haltsanalyse mittels einer Datenanalyse- Edward Harcourt
Vanessa Maria Carlone behandelt in software und geht dabei methodologisch von der University
ihrer Masterarbeit die musikbezogene äußerst akribisch und ganz allgemein of Oxford ist der
Kulturpolitik Österreichs in Italien ins- mit großem Engagement vor.“ diesjährige Wittgen-
besondere in der Nachkriegszeit. Die be- In seiner ebenfalls ausgezeichneten stein-Professor an der
reits als Monographie publizierte Einrei- Masterarbeit geht Johannes Oberhofer Universität Innsbruck.
chung rekonstruiert die österreichische der Frage nach, wann bzw. unter wel- Er bereichert im
Auslandskulturpolitik anhand des Ös- chen Bedingungen die Mitgliedstaaten Sommersemester die
terreichischen Kulturforums sowie des Regeln zur Stabilisierung der Europäi- Forschung und Lehre am Institut für Christ-
Österreichischen Historischen Instituts schen Währungsunion und des Euro ein- liche Philosophie. Die Universität Innsbruck
in Rom. Die Fallstudie betritt inhaltlich halten oder brechen. Die Ergebnisse der schreibt einmal im Jahr für den Aufent-
Neuland und die Autorin hat dafür eine Arbeit, die demnächst publiziert werden haltszeitraum von einem Monat eine so-
bisher noch nicht erschlossene Quellen- sollen, wurde von der Jury als „weit genannte Wittgenstein-Gastprofessur aus.
sammlung ausgewertet. über das erwartbare Niveau von Master- Ziel der Professur ist es, den hochkarätigen
Nina Hechenblaikner gelang mit ihrer arbeiten im Hinblick auf Theorie-Refle- internationalen wissenschaftlichen und
Masterarbeit „Die Konferenz über Si- xion, ausgereifte Methodik, Deskription, didaktischen Austausch in den Bereichen
cherheit und Zusammenarbeit in Europa Argumentation sowie kritischer Analyse Wittgenstein-Forschung sowie Philosophie
(KSZE) im österreichischen und schwei- hinausgehend“ beschrieben. der Sprache und der Literatur zu fördern.
Fotos: IKM/A. Steinacker (1), SciNews Monika K. Zanolin/Gabriele Rampl (1), Uni Innsbruck (1), Arts and Humanities Research Council (1) zukunft forschung 01/21 47
ZWISCHENSTOPP INNSBRUCK
KOLLABORATIV
KREATIV
Andy Bow, Architekt und Seniorpartner bei Foster + Partners, hat langjährige Erfahrung bei der
Planung und Umsetzung von hochkarätigen Bauprojekten. Sein Wissen gibt er nun an Studierende der
Universität Innsbruck weiter.
I
ch habe sehr schnell gemerkt, dass schon seit vierzig Jahren und ich habe
Architektur nichts ist, was man allei- immer noch das Gefühl, dass ich viel zu
ne macht, dass Wissen oder Inspirati- lernen habe. Das ist das Tolle daran, ein
on von überall kommen kann und es im- Architekt zu sein, man freut sich immer
mer ein Teamsport ist”, sagt Andy Bow auf die nächste Gelegenheit, mehr von
über seinen Beruf – er ist Seniorpartner allen am Entwurfsprozess Beteiligten zu
beim international tätigen Architektur- lernen.“
büro Foster + Partners, nun gibt er sein
Wissen und seine Erfahrung an Archi- Große Erfahrung
tektur-Studierende in Innsbruck weiter. Im Lauf seiner Karriere hat der Architekt
„Zum ersten Mal kam ich vor etwa fünf- an einer Vielzahl von Projekten gearbei-
zehn Jahren auf Einladung von Professor tet, darunter den Queen Alia Internatio-
Volker Giencke an die Universität Inns nal Airport in Jordanien, den Ilham Baru
bruck. Ich mochte von Beginn an alles: Tower in Kuala Lumpur oder das Kai
Den herzlichen Empfang, die Qualität Tak Cruise Terminal und die Cathay Pa-
der Arbeit der Studierenden, das schöne cific Lounges in Hongkong. Aktuelle
Architekturgebäude und natürlich die Projekte beinhalten unter anderem den
atemberaubende alpine Umgebung von Battersea Power Station Masterplan in
Innsbruck. Ich habe immer gehofft, eines London. Bow begreift Architektur als
Tages zurückzukehren.“ kollaborativen Prozess, und dieses Ver-
Nach einer Vorlesung 2019 ist er nun ständnis vermittelt er auch an nachkom-
erneut an der Universität Innsbruck zu mende Generationen: „Als Architekt ar-
Gast. Seine drei Lehrveranstaltungen beitet man oft mit Künstlern, Bildhauern,
– wie derzeit der allergrößte Teil der Ingenieuren, Stadtplanern und Bau-
Lehre an der Universität Innsb ruck – herren zusammen. Man merkt schnell,
finden pandemiebedingt ausschließlich dass eine der größten Fähigkeiten, die
online statt, Bow betreut dort sowohl man als Architekt entwickeln muss, da-
Bachelor- als auch Master- und Dokto- rin besteht, ihnen allen aufmerksam zu-
ratsstudierende. Für Masterstudieren- ANDY BOW studierte an der Mackin- zuhören, denn sie alle haben wichtige
de unterrichtet er etwa ein Seminar zu tosh School of Architecture der Glasgow Beiträge zu leisten, vor allem unsere
Präsentation und Vermittlung: „Als ich School of Art. Seit 1996 arbeitet er im Kunden.“ Student bleibt man als Archi-
anfing, Architektur zu unterrichten, renommierten Architekturbüro Foster tekt ein Leben lang, meint er – gerade
wurde mir klar, dass es oft darum geht, + Partners, seit 2006 ist er dort Senior kreative Berufe erforderten lebenslanges
wie man komplexe Ideen einfach kom- Partner und derzeit stellvertretender Lernen: „Das Wunderbare an einem kre-
muniziert. Sowohl im Büro als auch bei Studioleiter. Bei Foster + Partners arbeitet ativen Beruf ist, dass er eine lebenslange
der Begutachtung von Arbeiten an einer er aktuell unter anderem am Battersea Besessenheit bleibt. Es gibt eine rastlose
Universität stelle ich oft fest, dass dies Power Station Masterplan (London) und Wissbegierde, angetrieben von dem
eines der wichtigsten Dinge ist, die ich dem Museums- und Veranstaltungskom- Wunsch, etwas zu bewegen. In diesem
tue: Ich bringe der nächsten Genera- plex Narbo Via in Narbonne (Frankreich). Sinne bleibt man immer ein Student.”
tion von angehenden Architekten die Bow hat an über 30 Hochschulen gelehrt Mit seinem Aufenthalt in Innsbruck ist er
‚Kunst der Kommunikation‘ bei. Es ist und ist derzeit neben der Universität sehr zufrieden: „Meine Rückkehr nach
eine wichtige Fähigkeit, die man lernen Innsbruck auch Gastprofessor an der Innsbruck war genau so, wie ich gehofft
und durch Übung verbessern kann. In Bartlett School of Architecture am Uni- hatte, und ich hoffe, dass ich das noch
gewissem Sinne studiere ich diese Kunst versity College London. viele Jahre machen kann.“ sh
W
as im Internet ist Kunst und was Gruppe nächtens auf der Ladefläche eines nenne“, sagt Hinterwaldner. Im Rahmen
extravagantes Webdesign? Und Viehtransporters zu einer entlegenen, ihrer Forschung wurde auch evident, dass
in welchen Hinsichten ist dies stockdunklen Kirche fuhr, und wie wir dem sinnlichen Output der Rechenergeb-
relevant? Diese Fragen trieben Inge Hin- dann die Fresken mit unseren Taschen- nisse viel zu wenig eigenständige Aussa-
terwaldner schon in ihrem ersten Seminar lampen studiert haben“, erzählt Hinter- gekraft zugetraut wird. „An dieser Stelle
zur Netzkunst an der Universität Inns waldner. „Nirgends lernt man so intensiv hake ich mit einem neuen Forschungspro-
bruck Ende der 1990er-Jahre um. Und und so schnell wie auf Exkursionen, vor jekt zur Visualisierungskritik ein.“
sie beschäftigen sie als Professorin heute Originalen.“ Künstler Thomas Feuerstein Inge Hinterwaldner wurde 2018 an
noch immer. „Da ist eine der Herausfor- höchstpersönlich konfrontierte sie an der das Karlsruher Institut für Technologie
derungen, erst mal zu erkennen, was als Uni Innsbruck mit der jüngsten elektro- berufen und widmet sich hier zum Bei-
Kunst zu gelten hat und was nicht“, sagt nischen und digitalen Kunst. Und im spiel auch dem Zusammenspiel zwischen
die gebürtige Südtirolerin. Das Studium ehemaligen Videostudio der Geisteswis- der Bildschirmoberfläche und der der
der Kunstgeschichte in Innsbruck erdete senschaftlichen Fakultät lernte sie selbst Wahrnehmung entzogenen Ebene des
sie in einer traditionellen Disziplin, so- das Filmen und den Videoschnitt. exekutierten Codes bei künstlerischen
dass sie es sich als Doktorandin leisten Diesen experimentierfreudigen Zu- Webbrowsern, die den Nutzer*innen das
konnte, gewagtere Grenzgänge zu unter- gang schätzte die Kunsthistorikerin auch Internet anders zeigen. In einem weite-
nehmen. Dazu wechselte sie 2000 an die später, als sie zwei Jahre in den USA ver- ren Projekt untersucht sie den künstle-
Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe brachte. „Die Lab-Kultur in den Geistes- rischen Einsatz von bewegbaren kleinen
bzw. das Zentrum für Kunst und Medien- wissenschaften möchte ich auch bei uns Elementen als Ersatz für das Bildschirm-
technologie. Im Rahmen zweier Gradu- etablieren: Orte, an denen methodisches pixel. Ähnlich fluid sind die flüchtigen
iertenkollegs in Karlsruhe und Basel kam Neuland beschritten wird, Denken im Rauchzeichnungen des Sky Art-Pioniers
sie mit unterschiedlichen Ausprägungen Wildwuchs stattfinden darf.“ Steve Poleskie, dessen Arbeit Hinterwald-
der deutschen Bildwissenschaften in Be- ner als eine Spielart der Art&Technology-
rührung, was ihren Zugang zu den For- Elektronische & kinetische Kunst Bewegung der 1960-70er-Jahre diskutiert.
schungsphänomenen nachhaltig prägte. Oft heißt es pauschal, mit dem Computer Virtuell an die Uni Innsbruck zurück-
könne man „alles“ simulieren. „Ich bin gekehrt ist Inge Hinterwaldner unlängst,
Von Innsbruck in die Welt hingegen zum Schluss gekommen, wenn als ihr Magistervater Christoph Bertsch
Bereits im ersten Semester an der Uni man im Computer simuliert, formt man sie im Unijubiläumsjahr zur Mitarbeit an
Innsbruck nahm Inge Hinterwaldner an die Dynamik mit gewissen Rahmenbe- den zwei Buchprojekten „KUNST :: WIS-
einer Exkursion nach Griechenland teil. dingungen, man filtert das Dargestellte SENSCHAFT“ und „Schönheit vor Weis-
„Ich werde nie vergessen, wie die ganze durch das, was ich ‚Systemperspektive‘ heit“ einlud. cf
A
„Bei ‚Team Science‘ uf den ersten Blick scheinen Finanzbe- Neben einem verstärkten Fokus auf verbesser-
wird ein und derselbe ratung, Bioprodukte und das „System tes Methodentraining in der Ausbildung von
Datensatz nicht von Wissenschaft“ sehr unterschiedlichen Forscher*innen und auf die Limitierung kogni-
Mechanismen unterworfen zu sein. Aus öko- tiver Biases von Forscher*innen wie dem confir-
einem Team, sondern
nomischer Sicht handelt es sich bei allen drei mation bias, ist der Bereich der „Team Science“
von Dutzenden Bereichen aber um etwas sehr Ähnliches, näm- ein sehr vielversprechender methodischer Weg.
Teams unabhängig lich um sogenannte Vertrauensgüter. Diese sind Hier wird ein und derselbe Datensatz nicht von
voneinander dadurch charakterisiert, dass Anbieter*innen einem Team, sondern von Dutzenden Teams
ausgewertet.“ über bessere Informationen über die Finanz- unabhängig voneinander ausgewertet, oder es
produkte, die Bioprodukte und die selbst wird zu einer Forschungsfrage nicht ein Design
durchgeführte Studie verfügen als die Nach- von einem Forschungsteam, sondern Dutzende
frager*innen (Käufer*innen/Leser*innen). Das Designs von unterschiedlichsten Teams gesam-
Besondere an Vertrauensgütern ist, dass diese melt. Das führt zu einer breiteren und letztlich
Informationsasymmetrie auch nach „Konsuma- robusteren Beantwortung der Forschungsfrage,
tion“ bestehen bleibt, denn Konsument*innen denn nicht nur ein Forschungsteam zeichnet
wissen auch im Nachhinein nicht genau, ob sie für die Ergebnisse verantwortlich, sondern, im
die optimalen, auf die individuellen Präferen- Sinne einer „Weisheit der Vielen“, sind viele
zen abgestimmten Finanzprodukte erhalten dafür verantwortlich.
haben oder ob das Biogemüse tatsächlich nach
biologischen Standards produziert worden ist. Beim Trend zu Open Science, wie sie in der
klinischen Forschung schon Standard ist, ist
In der Wissenschaft sind diese „Nachfrager“ die Wichtigkeit von sogenannten „pre-regis-
Editor*innen, Gutachter*innen, aber auch poli- trations“ oder „pre-analysis plans“ hervorzu-
tische Entscheidungsträger*innen und die Ge- heben. Dabei definieren die Forscher*innen
sellschaft, die sich auf robustes und „sicheres“ bereits vor der Datenerhebung den Versuchs-
Wissen von Wissenschaftler*innen (den Anbie- aufbau und Details zur Datenanalyse, an die
ter*innen/Forscher*innen) verlassen müssen. sich die Autor*innen in den Auswertungen
Aufgrund dieser Eigenschaften von Vertrauens- halten werden. Das reduziert u.a. das Suchen
gütern existieren auf Seiten der Wissenschaft- nach Signifikanzen, p-Hacking und HARKing.
ler*innen Anreize, die eigene Studie besser Dadurch wird letztlich der Prozentsatz der
darzustellen, als die Daten dies tatsächlich wi- Studien, die zufällig signifikante Ergebnisse
MICHAEL KIRCHLER ist derspiegeln. Das beginnt beim Studiendesign liefern, reduziert.
Wirtschaftswissenschaftler am (z. B. niedrige statistische Power), geht über
Institut für Banken und Finanzen die Datenanalyse und dem p-Hacking (d. h. Das bringt uns letztlich zur oftmals unter-
und arbeitet als Professor für Ex-post Verwendung jener Tests, die „signifi- schätzten Bedeutung von „offener“ Grundla-
Finanzwirtschaft, zusammen mit kante“ Ergebnisse zeigen), über das HARKing genforschung, v. a. in der öffentlichen und po-
seinem Team, im Bereich der („Hypotheses after results are known“) und so- litischen Wahrnehmung. Grundlagenerkennt-
verhaltenswissenschaftlichen mit der Ex-post-Hypothesenformulierung, bis nisse finden oftmals über Umwege den Weg zu
Wirtschafts- und Finanzmarkt- hin zum publication bias, wonach Studien, die praktischen Anwendungen, die der Gesell-
forschung. Dabei bedient er keine bahnbrechenden Ergebnisse versprechen, schaft von immensem Nutzen sind. Die Coro-
sich primär der Methodik des einfach nicht veröffentlicht werden. navirus-Pandemie führt uns das eindrücklich
Labor- und Feldexperiments. Er vor Augen. Wir sollten nicht vergessen, dass es
ist Leiter des neu geschaffenen Mittlerweile sind diese Probleme in vielen em- viele Medikamente, Produkte und Ideen, die
Forschungszentrums „Innsbruck pirischen und experimentellen Wissenschaften unser Leben verbessern, nicht geben würde,
Decision Sciences“ und Sprecher angekommen und aktuelle Entwicklungen in hätten nicht Wissenschaftler*innen – vielmals
des vom FWF finanzierten den Life Sciences, aber auch in den Sozial- ohne Profitstreben – an Universitäten Grundla-
Spezialforschungsbereichs „Cre- und Wirtschaftswissenschaften, geben Anlass genforschung zu Wirkstoffen, Materialien und
dence Goods, Incentives and zur Hoffnung. Diese Entwicklungen lassen Prozessen gemacht. Umso wichtiger ist es, dass
Behavior“. sich grob in (i) verbesserte Methoden und (ii) dieses Grundlagenwissen mit der höchsten
www.uibk.ac.at/credence-goods Trends zu Open Science gliedern. Präzision generiert wird.