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Der Chronist lulios Polydeukes.

Eine Titelfälschung des Andreas Darmarios.


Ein gut angelegter Katalog aller in den europäischen Bibliotheken
befindlichen Handschriften byzantinischer Chronisten und Historiker
wäre von dem gröfsten Werte, nicht blofs als Vorarbeit für die nötigen
kritischen Ausgaben verschiedener Schriftsteller; es würden sich viel-
mehr auch manche andere Fragen mit seiner Hilfe schnell erledigen
lassen, die jetzt viel Zeit und Briefe erfordern. Wir können dies leicht
an dem folgenden Beispiel sehen. Der Unterzeichnete hat an dem Re-
sultat geringes Verdienst; dasselbe gebührt den Herren, welche so
freundlich waren, ihn mit Auskunft über die verschiedenen Handschriften
zu unterstützen.
Ign. Hardt gab im Jahre 1792 eine byzantinische Chronik aus der
Münchner Handschrift Nr. 181 heraus, wo sie den Namen des lulios
Polydeukes trägt. Sie reicht von Erschaffung der Welt bis zum Be-
ginn der Regierung des Kaisers Gratianus, ist übrigens am Ende ver-
stümmelt. Dieselbe Chronik war schon 1779 — was Hardt übersah
— von Bianconi aus einem Ambrosianus publiziert worden, doch ohne
Verfassernamen. Denn in der Mailänder Handschrift fehlt aufser dem ,
Schlufs auch der Anfang. Aufser diesen zwei Handschriften wurde in
der Litteratur noch auf einige andere aufmerksam gemacht: Fabricius-
Harlefs, Bibl. graec. VI 144, spricht von einem Palatinus und einem
Schleusingensis. Ersterer trägt jetzt die Nummer 399 und soll unten
noch erwähnt werden; letzterer ist nach gütiger Mitteilung des Herrn
Gymnasialdirektors Dr. Schmieder zur Zeit nicht mehr in Schleusingen
vorhanden; auch ergaben Nachforschungen über seinen Verbleib kein
Resultat. Ferner spricht Heyne in der Rezension von Hardts Ausgabe
(Gott. Anz. 1794 H S. 1495) von einem Gottingensis. Dieser (Phüol. 74)
ist im vorigen Jahrhundert wahrscheinlich aus dem Münchener Exemplar
abgeschrieben und deshalb wertlos.*) Endlich hat B. Hase in den Noten
zum Leo Diaconus (S. XXVII und 414 der Bonner Ausgabe) auf eine

1) Die Notiz über die Handschrift und den Verfasser der Rezension verdanke
ich Herrn Prof. Dr. W. Meyer in Göttingen.
Tb. Preger: Der Chronist Tulios Polycleukes 51

vatikanische Handschrift aufmerksam gemacht, in welcher die Chronik


des lulios Polydeukes bis zum Jahr 963 reichen soll. Seine Angaben
sind ungenau. Genaue verdanke ich meinem Freund Dr. H. Rabe.
Cod. Vat. gr. 163 fol. saec. XIV chart. enth lt f. l—61 r die von
Hase eingesehene Chronik.1) Foll. l und 2 ( berschrift: 'Historia ab
initio mundi'. Inc. Θεός 6 άχρονος κτλ., des. xal χα&ίβτηβιν έχει τον
άδάμ) sind im 17. Jahrhundert erg nzt. Hierauf bezieht sich die vorn
in der Handschrift befindliche Notiz des fr heren Bibliothekars: 'Initium
huius historiae exscriptum est ex codice in bibliotheca ex libris Pala-
tini Rheni n. 342, alias 399, et legitur sub nomine lulii Pollucis. 1630.
Felix Contelorius.' Das dritte Blatt hat am oberen Rand zweimal die
Bemerkung λείπει ή ά$χή' φνλλ//// (man. saec. XV/XVI). Dann beginnt
die Hand saec. XIV: xal χα&ίβτηβιν έχεί τον άδάμ, (diese Worte sind
jetzt also doppelt vorhanden). Expl. f. 61r in der Mitte der Seite: xal
ίή Λ$ος το βχηνοπήγι,ον αυτόν άφιχόμ,ενοι επί το αυτό (cf. Hase p. 431).
Hase entnahm also die Notiz ber den Verfasser den Worten des Con-
telorius; dieser behauptet jedoch blofs vom Pal. 399, nicht aber vom
Vat. 163, dafs er die Chronik des Polydeukes enthalte. Und dies voll-
st ndig mit Recht. Denn einige Stichproben, welche anzuf hren ich
unterlasse, zeigen, dafs nur die Sch pfungsgeschichte die n mliche ist
wie bei Polydeukes, der Hauptteil der Chronik aber von dessen Texte
verschieden ist. Wie weit er sich entfernt, vermag ich nicht anzu-
geben; doch geht aus den Proben deutlich hervor, dafs das ganze Werk
eine mit Theodosios von Melite und Leon Grammatikos, welche eben-
falls am Anfang die n mliche Sch pfungsgeschichte haben, parallel
laufende Chronik ist.
Es bleiben also f r Polydeukes drei Handschriften brig, die
M nchner, die Palatinische und die Mail nder, welche wir etwas ge-
nauer betrachten m ssen.
Cod. Mon. gr. 181 chart. 4° saec. XVI foll. 214 ist von der Hand
des Andreas Darmarios. F. 1 Γ Ιουλίου πολυοεύκουο κτορία | φυακή.
πίναΗ. l 2) Im πίναζ wird zwischen den Titeln der einzelnen Schriften
und den Kapitel berschriften kein Unterschied gemacht. Er beginnt:
προοίμίον τον βνγγραφέως \ εις την χοβμοποιίαν, xal χρονιχον εφεξής \ ·
f. 2 r findet sich: Ίβτορία φνχή (sie) Ιουλίου πολυδεύχους (am Rande
ein + von der Hand des Darmarios); f. 3 Γ Ιουλίου πολυδεύχους όνο-
ματίχον (sie) βίβλίον (am Rand ein -j- von sp ter Hand), weiter unten
1) Darauf folgt f. 62 r des Konstantinos Manasses αννοψις χρονική, f. 104V
des Niketas Akominatos (τον χωνζιάτου κυρίου νικήτα) χρονική διήγηας, f. 221r
loannes Kinnamos, f. 269 r die Chronik des Georgios Akropolites.
2) Mit Antiqua ist die rote Tinte bezeichnet.
52 T. Abteilung

φνόιολογιχον της εζαημέρον (a. R. + von Darm.). F. 3 V τέλος τον


πίναχος της παρούαης βίβλου. — F. 4 Γ Ιουλίου πολυδεύκοικ Ιστορία
φυακή | elc την κοομοποιίαν εκ τηο Teveceujc και χρονικόν έφεΗή€. | προ-
οίμιον. | Inc. Θεός 6 άχρονος κτλ. Expl. f. 143ν medio: επί τούτοις δε
χαλεπώς. Am Rande: (>!\οιμαι ελλιπές %ν \ νπο της αρχαιότητος. —
F. 144Γ ohne berschrift ine.: αθέμιτος' μιοό&εος' δεόμιΰος κτλ., am
Rande όντως είχε εν τω άρχετύπω. Es ist das im Pinax *Ιότορία
φνόιχή Ίονλίον πολνδεύχονς genannte St ck, in Wirklichkeit das vorn
verst mmelte erste Buch von Pollux Onomastiken (p. 6 Bekk.). F. 172V
folgt das zweite Buch: Ίονλίον πολνδεύχονς όνοματιχον βιβλίον (β'
fehlt). Expl. f. 184V . . μνχτηρίξειν Αν6ιας (ρ. 74, 2 Bekker). — F. 185r
Φυαολογικόν τήο εξαημέρου (von Allatius unter dem Namen des Eusta-
thius Antiochenus herausgegeben, Lugd. 1629). Inc. Κλήμης μεν ονν
xal Αφρικανός χτλ. Expl. f. 214Γ η αανρα ... εϊαηβι (sie; = p. 41 All.).
Hierauf όντως είχεν εν τω πρωτοτυπώ το τέλος. Am Rande steht:
μεταγραφών νπο \ της βαόιλιχης βιβλι\ο&ήχης βα\6ιλέως \ ι6πα\νών^
und wieder in der Mitte der Seite: νπο άνδρέον δαρμαρίον τον έπι
δανρίον.
Cod. Palat. gr. 399 chart. in 8 quadr. saec. XVI S. 294 ist eben-
falls von der Hand des Darmarios, wenngleich er keine Unterschrift am
Schl sse beigef gt hat. Die zwei B cher des Onomastikon sind in dieser
Handschrift nicht enthalten; sonst stimmt sie v llig mit der M nchner
berein.
Das Exemplar, aus dem — direkt oder indirekt — diese beiden
Abschriften des Darmarios stammen, ist uns noch erhalten in der Mai-
l nder Handschrift, aus der Bianconi die Chronik herausgab. Ich setze
die Beschreibung dieses alten Codex, die ich Herrn Prof. Dr. R. Scholl
verdanke, her: Cod. Ambros. D 34 sup. (n. 2) membr. 4° saec. X pulchre
scriptus (λε quaternionum, sed deest quat. χγ); Tarenti emptus a. 1606.1)
1) Compendium historiae (primum folium [cum titulo] periit). Inc. | eov
απείρως xal άπλέτως = lul. Poll. chron. p. 8 Hardt. Expl. επί τού-
τοις δε χαλεπώς ή \ ; cetera desunt unius quaternionis defectu. Ex-
cipit 2) Pollucis Onomastici (initio eadem de causa mutili) lib. I et II.
Inc.: ά&έμητος· μιοώ&εος* δεώμιόος χτλ. Expl. μνχτηρίζειν d£ λνοίας.
Sequitur 3) Φναιολογιχύν της έξαημέρον άνεπίγραφον. Inc.: Κλήμης
μ^ν ονν χτλ.^ des. ή βανρα . . . εΐαειβι.
Dafs der Ambrosianus der Archetypus der Darmarioshandschriften
ist, geht deutlich daraus hervor, dafs in ihm das Fehlen des Endes der
Chronik und des Anfangs des Onomastikon nicht urspr nglich, sondern

1) Verwechslung von ω und o sowie Itacisinusfehler sind sehr h ufig.


Th. Preger: Der Chronist lulios Polydeukes 53

durch den Ausfall eines Quaternio verursacht ist. Hingegen war das
erste Blatt, das jetzt im Ambrosianus fehlt, damals, als Darmarios oder
— wenn wir ein Mittelglied annehmen — sein Vorg nger kopierte, noch
vorhanden.1)
H tten wir einen ndern Gew hrsmann als diesen leichtfertigen
Griechen, so w rden wir annehmen, dafs der mit dem ersten Blatt
verlorene Titel der Chronik in seiner Vorlage ebenso l utete, wie jetzt
im Monacensis und Palatinus. Aber des Darmarios Zuverl ssigkeit ist
so gering, dafs Zweifel an der Richtigkeit des Autornamens, der uns
in byzantinischer Zeit sonst nirgends begegnet, wohl berechtigt sind.
Zufallig kann man die F lschung in unserem Fall klar beweisen.
Darmarios sagt auf der letzten Seite der M nchner Handschrift,
er habe dieselbe aus einem Codex der Bibliothek des K nigs von Spa-
nien, d. i. der von Philipp II gegr ndeten Bibliothek im Escurial, ab-
geschrieben. Jetzt ist dort keine Handschrift mehr desselben Inhalts
vorhanden, aber in dem noch erhaltenen Katalog des 16. Jahrhunderts
(cod. gr. Escur. X l, 16) lesen wir unter der Rubrik Ίβτοςία έχχλη-
ΰίαότιχή xal βίοι αγίων εν δ? folgende Notiz (nach dem Auszug von
Miller, catal. des mss. gr. de l'Escur. S. 322): 'n. 806: Histoire eccle-
siastique anonyme — histoire physique par Pollux — physiologie de
l'hexaemeron par Anonyme/ Erinnern wir uns daran, dafs Darmarios
in dem πίναζ der M nchner Handschrift das verst mmelte erste Buch
des Onomastikon mit Ίΰτοφία φναιχή Ιουλίου Πολνδενχονς bezeichnet,
so ergiebt sich ohne weiteres, dafs die Handschrift Nr. 806 des alten
Kataloges mit der Vorlage des Darmarios identisch ist. Im Katalog
des Escurial war eben dem an zweiter Stelle stehenden akephalen
Werke, dessen berschrift unbekannt war, der nicht v llig zutreffende
Titel fatoQi'a φνοιχή gegeben worden. Den Verfasser kannte man vom
darauffolgenden zweiten Buche. Darmarios aber hat, um seiner Hand-
schrift erh hten Wert zu verleihen, den Verfassernamen und den
Titel des zweiten Werkes vor das erste gesetzt.
Als urspr nglicher Titel des Pseudo-Polydeukes bleibt also brig: '
είξ την χοομ,οποιίαν έχ της γεvέ0εωg xal χρονιχύν εφεξής, eine Fas-
sung, zu der wir die Parallele haben bei Theodosios Melitenos. Bei
ihm lautet die berschrift in dem einzig bekannten Monacensis 218:
είξ την χοομοποιίαν έχ τήζ γενέΰεως xal «ξ άλλων [ατοριχών έφεσης
όνναγωγή xal διαφόρων χρονι,χων. Es ist bekannt, dafs Theodosios,
Pseudo-Polydeukes und Leon Grammatikos, zu denen nun auch Vat. 163

1) Die Annahme, dafs Darmarios den Anfang aus einer hnlichen Chronik
erg nzte — wie es im Vat. 163 geschehen ist —, halte ich nicht f r wahrscheinlich.
54 I. Abteilung. Th. Prcger: Der Chronist lulios Polydeukes

kommt, unter den byzantinischen Chronisten eine nahe verwandte Gruppe


bilden (Hirsch, Byz. Studien 89—115). Bei Leon und im Vat. 163 ist
der Anfang mit dem Titel verloren gegangen; er wird auch bei ihnen
hnlich gelautet haben wie bei den zwei anderen.1) Auch das Werk
des Symeon Magistros geh rt teilweise zu dieser Gruppe-, im Vindo-
bonensis 91 tr gt seine Chronik den Titel: εις την χοβμοποιίαν εκ της
γενέσεως xal χρονιχον εφεξής βνλλεγεν παρά Σνμεώνος μαγίβτρον xal
λογο&έτον έχ διαφόρων χρονιχών xal [οτοριων (Geizer, Jul. Africanus
Ι 57; ganz hnlich im Parisin. 1712, s. ebenda II l, 281).
Ich habe oben die M glichkeit offen gelassen, dafs zwischen dem
Ambrosianus und den Handschriften des Andreas Darmarios noch ein
Mittelglied sei. Da jedoch das Exemplar des Escurial nach dem Ka-
talog in quarto war, wie es der Ambrosianus ist, so besteht wenigstens
die M glichkeit, dafs dieser selbst, bevor er im Jahr 1606 in Tarent
f r Mailand angekauft wurde, im Escurial war und dort die Vorlage
des Darmarios bildete.
Zum Schlufs mag daran erinnert werden, dafs unsere byzantinische
Chronik nicht das einzige Werk ist, welches dem Verfasser des Ono-
mastikon f lschlich beigelegt wurde. Am Anfang desselben Jahrhun-
derts, in dessen zweiter H lfte Darmarios den Palatinus und den Mo-
nacensis schrieb, kopierte sein Landsmann Georgios Hermonymos aus
Sparta die anonyme Schrift περί χα&ημ,ερινής ομιλίας und setzte als
Verfasser an die Spitze den Polydeukes (cod. Par. 3049). Seine Autor-
schaft hat warme Verteidigung gefunden durch Boucherie, ist aber ge-
wifs ebenso falsch, wie wir es bei der Chronik nachgewiesen zu haben
glauben: vgl. Krumbacher, Abh. aus dem Gebiet der Altertumswissen-
schaft, W. v. Christ dargebracht, S. 307 ff. und Corpus glossariorum
Latin, ed. G. Goctz, vol. III S. XX und 223.
M nchen. Theodor Preger.

1) Von den vier Chronisten bricht PS -Polydeukes am ehesten ab. Denn


wenn wir seinem Werk auch den gr fseren Teil des verlorenen Quaternio zuweisen
m ssen, so kann es doch kaum weiter als bis zum Jahr 400 gereicht haben.

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