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Simpozionul Internaţional "George Enescu" 2003 - Selecţiuni Editura LiterNet 2004

Zemlinskys Variantentechnik und Enescu

Dr. Martin Schimek (Viena)

Möchte man sich vorliegender Thematik über einen


definitorischen Ansatz nähern, wird man bereits sehr bald auf
die Grenzen dieses Unterfangens stoßen - entsprechende
Ausführungen zur Variantentechnik lassen sich in der
Fachliteratur nicht oder nur in ungenügendem Ausmaß
vorfinden. Erst in jüngster Zeit wurde der Versuch
unternommen, basierend auf vereinzelt gebliebenen
Beobachtungen und Kommentaren zum gegenständlichen
Phänomen eine begriffliche Näherung unter Zugrundelegung
von vier Thesen zu wagen225:
1. Die Variante ist ein grundsätzlich als identisch
beabsichtigtes Abbild eines Modells.
2. Sie stellt eine geringfügige Änderung des Modells dar,
die mit "Ähnlichkeit" umschrieben werden könnte.
3. Diese "Ähnlichkeit" liegt in der Änderung des Details,
ohne ins Ganze einzugreifen (Wahrung der Struktur eines
Themas).
4. Die Änderung der Variante ist scheinbar improvisiert und fakultativ.
Ihr liegt einerseits die Forderung nach permanenter Entwicklung der melodischen Gestalt als auch andererseits
die Erkenntnis von der Bedeutung der Wiederholung musikalischer Einheiten zur Gliederung größerer Formen zu

225
Christoph Becher: Die Variantentechnik am Beispiel Alexander Zemlinskys, Wien 1999, S. 15.
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Grunde. Dies erfordert bei vorausgesetzter Wahrnehm- und Erkennbarkeit von Modell und Abbild die Veränderung
verschiedener Parameter wie Diastematik, Metrum und Rhythmik, Kontur, Harmonik, Dynamik oder Instrumentation -
bei aller Flexibilität dieser Elemente jedoch immer auf das grundlegende Modell bezogen.
Eine historische Wurzel der Variantentechnik wäre auch im Strophenlied zu suchen, da gerade die variierte
strophische Abfolge mit ihren kleinen Abweichungen vom Modell einfache Varianten gebiert. Der Einfuß der Folklore
ist nicht zu bestreiten, man verweise nur in diesem Bereich der Variantenbildung auf Einflüsse im Schaffen Janáceks
und Bartóks.
Vorläufer lassen sich in der Kunstmusik bereits bei Liszt wie Brahms durch Einsatz motivischer Varianten,
Thementransformationen sowie der Verknüpfung einzelner Sätze in der zyklischen Großform erkennen, Mahler als
auch Schönberg ("entwickelnde Variation") führen diese Konzeption weiter.
Bei Zemlinsky hingegen verdichten sich Existenz und Einsatz von Varianten zur Technik, ohne sie können
Prinzipien wie Form- und Melodiebildung nicht mehr hinreichend erklärt werden. Die Variantentechnik wird bei
Zemlinsky zum prägenden Merkmal seines Individualstils, der trotz aller Offenheit für moderne Entwicklungen
grundsätzlich der Tonalität sowie einer tendenziell neoklassizistischen Ausrichtung (vielleicht ein Erbe seiner beiden
Kompositionslehrer am Konservatorium226) verhaftet bleibt.
Bevor wir im Folgenden zu einer Klassifikation der Erscheinungsformen der Variantentechnik schreiten, seien
noch kurz einige biografische Anmerkungen zu Zemlinsky vorgenommen.
Alexander von Zemlinsky wurde am 14. Oktober 1871 in Wien geboren, studierte bei J.N.Fuchs sowie dessen
Bruder Robert Fuchs Komposition und wurde von Brahms gefördert. 1895 lernte er Schönberg kennen, ermöglichte
diesem die ersten Aufführungen seiner Werke und erteilte ihm Unterricht in Kontrapunkt. Die ersten größeren Erfolge
feierte Zemlinsky mit dem Trio op. 3, seiner Oper Sarema und der Zweiten Symphonie. Seine Oper Es war einmal
wurde auf Veranlassung Mahlers an der Wiener Hofoper 1900 uraufgeführt, eine Aufführung von Der Traumgörge
kam aufgrund Mahlers Rücktritt vom Posten des Direktors nicht zustande.
1904 gründete er zusammen mit Schönberg die Vereinigung Schaffender Tonkünstler zur Pflege der neuen
Musik, von 1906 bis 1911 war er erster Kapellmeister der Wiener Volksoper. Von 1911 bis 1927 war Zemlinsky

226
Hinsichtlich Robert Fuchs siehe: Martin Schimek: Die Lehrer Enescus am Wiener Konservatorium. In: Akademos – Cercetari de
muzicologie, 3/1997, S. 55 ff.
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Operndirigent am Deutschen Landestheater in Prag, 1927 bis 1930 Kapellmeister an der Kroll-Oper in Berlin, bis
1933 unterrichtet er auch an der dortigen Musikhochschule. 1933 floh er nach Wien, nach der Besetzung Österreichs
1938 ging er in die USA, wo er am 15. März 1942 verstarb.
Becher227 zufolge lassen sich nachstehende Kategorien von Varianten herausarbeiten:
Themenvarianten: Themen nehmen eine exponierte Position ein, rufen selbst (im Gegensatz zur Melodie)
Entwicklung hervor und bestehen aus mehreren gliedernden Motiven - Änderungen vom Grundmuster lassen sich vor
allem im rhythmischen und diastematischen Bereich nachzeichnen, Verlängerungen und Verkürzungen erfolgen
durch Toneinschübe bzw. deren Wegfall. Auffallend ist Zemlinskys Intention, die Varianten wiedererkennbar zu
machen. Dies geschieht durch eher geringfügige Modifikationen des Kopfmotivs im Vergleich zum weiteren, stärker
veränderten Themenverlauf. Treten Themen gehäuft oder in Nebenstimmen auf, so intensiviert sich der Grad der
kompositorischen Veränderung einer Themenvariante.
Eine nähere Betrachtung des ersten Themas des Streichquartetts Nr. 3 op.19, 1.Satz zeigt, dass nicht das
gesamte Thema in der Form a-a´-b-a´´, sondern lediglich die a-Phrase einer Variantenbildung unterliegt; letztere
selbst kann wieder in drei Motive aufgespalten werden.
Wieder aufgegriffen werden diese Varianten schließlich ab T. 164 in der Reprise.
Die erörterte Variantenfamilie zeichnet sich vor allem durch Flexibilität der Diastematik aus, wogegen Rhythmus
und Kontur eher zu den stabilen Merkmalen gehören. Die absteigenden Triolen sowie die rhythmische Einheit- wenn
auch triolisch modifiziert oder augmentiert – sind in allen Varianten (mit Ausnahme Variante 4 hinsichtlich der
rhythmischen Einheit) vorhanden, lediglich in Variante 10 wird diese rhythmische Einheit umgekehrt. Varianten 2, 6
und 11 fallen durch ihre Dynamik (forte) auf –bei ihnen wird der Sekundschritt vergrößert bzw. weggelassen, was
wiederum auf eine dramaturgischen Funktion dieser Varianten hindeutet.
Ebenso wäre noch auf die motivische Verarbeitung des ersten Motivs der Variante, den aufsteigenden
Sekundschritt sowie dessen weiterführender Übergang in das zweite Motiv (mit der Triole) in den restlichen Stimmen
(T. 1 – 5) hinzuweisen – es bildet jedoch kein Hauptmotiv, sondern ist vielmehr integraler Bestandteil der angeführten
Variante und unterliegt nicht typischerweise den im nächsten Punkt aufgezeigten variantentechnischen Verfahren.

227
Becher, a.a.O., S. 127 ff.
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Motivvarianten: Motive stellen die kleinste melodisch-rhythmische Einheit dar, demgemäß kann ein Thema
noch durchaus in mehrere Motive gegliedert werden228. Es kann somit in Abgrenzung zur Themenvariante nur dann
von einer Motivvariante gesprochen werden, sofern diese Motive als Grundlage der Komposition selbst
variantentechnischen Verfahren unterliegen. Oft tritt das Hauptmotiv in reiner Form nicht oder erst gegen Ende des
Werkes auf, die Feststellung des Kernmotivs kann sich gelegentlich als durchaus schwierig darstellen. Das
herausgearbeitete Hauptmotiv lässt sich in der gesamten Form nachweisen und wirkt auf diese Art identitätsstiftend,
häufig eingesetzt werden Motivvarianten bei Zemlinsky in seinem Liedschaffen und in den Opern.
Akzessorische Variante: Veränderungen und Ergänzungen lassen die motivische und harmonische
Grundstruktur weitgehend unverändert, sondern werden nur dem Satz hinzugefügt, beispielsweise in Form von
Fülltöne sowie Zusatzstimmen oder Modifikation im Klang (Instrumentation) oder Dynamik – auch der Lagenwechsel
vergrößert das Klangspektrum, ohne den Charakter zu ändern (als Beispiel kann hier das Rondo des Finalsatzes des
3. Streichquartetts op. 19 angeführt werden).
Assoziative Variante sind keine Abwandlungen melodischer Einheiten, sondern neue, die Umformungen bereits
bekannter Wendungen darstellen - sie erscheinen als bekannt, ohne das eine Zuordnung zu schon bekannten
Wendungen gelänge. "Die Assoziative Variante ist keine veränderte Wiederholung - sie weckt Erinnerungen."229
Signifikant für Zemlinsky ist die Einheitlichkeit der Vordersätze, die der Verschiedenartigkeit der Nachsätze
gegenüber steht. Motive und Wendungen könne bei Übernahme in gegenständliche Variante stark verändert werden,
verschiedene schon bekannte Motive oder Wendungen werden gelegentlich auch zu neuen Phrasen
zusammengestellt.
Baukastenvariante: einzelne Teile einer mehrgliedrigen Gestalt werden als eigenständige, stabile Einheiten
begriffen und sind in jeder Kombination zusammensetzbar - dieses Verfahren gemahnt an Satie und Stamitz.
Zemlinsky verwendete diese Technik insbesonders in der Oper "Es war einmal..." an, typisch ist die Umkehrung,
Sequenzierung, Transposition und wechselseitige Verknüpfung von Motiven.
Als weiteres Beispiel könnte der scherzoartige Abschnitt des 2. Quartetts op. 15, beginnend ab T. 451,
angeführt werden.

228
Vgl. hierzu auch Herwig Knaus, Gottfried Scholz: Formen in der Musik, Wien 1988, Bd. 1, S. 17ff.
229
Becher, a.a.O., S. 247.
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Einzelne Motive werden wiederholt und mit verschiedenen anderen kombiniert, wobei sie überwiegend stabil
bleiben, flexibler ist das a- Motiv, das sowohl als Quartsprung wie auch als Repetitionston, Sekundschritt oder
Nonensprung existiert. Allenfalls werden die Bausteine auch modifiziert, um sie dem Kontext anzupassen230.
Metamorphosenvariante: Im Mittelpunkt dieser Spielart steht der Prozess der Wandlung, wobei die unmittelbar
vorangegangene Gestalt geringfügig geändert wird und sich somit gegenüber der vorhergegangenen stetig weiter
entwickelt. Häufig leiten bei Zemlinsky Themen über Metamorphosen zu neuen Themen, wobei die Wahrnehmbarkeit
für den Hörer durch in beiden verwendetes gemeinsames motivisches Material verdeutlicht wird. Mögliches Resultat
kann auch die Verbindung aller Themen, also die Zusammenhangsvariante (siehe im Folgenden), sein.
Änderungstechniken wären beispielsweise Veränderungen von Diastematik, Rhythmik, Kontur, Verlängerung,
Verkürzung und Verknüpfung von Motiven.
Beispielshaft kann hier wiederum aus dem 3. Streichquartett op. 19 die Entwicklung der Schlussgruppe (T. 75
ff) aus dem Seitenthema hergenommen werden:
Ausgehend vom Sprung-Schritt-Motive des T. 57f kehrt dieses Motiv in T. 66 wieder, wird bei der Wiederholung
zur Dezime ausgeweitet und um einen zusätzlichen Ton ergänzt (T. 68 f). Die nachfolgende Variante greift diese
Konstellation auf, verändert aber die Rhythmik und eliminiert den letzten Ton – diese neue Viertelrhythmik wird in
veränderter Kontur wiederholt und mit einem Schaniermotiv verbunden. Der letzte Ton stellt den Beginn der
Schlussgruppe dar, wobei dieses Thema das Ergebnis der Metamorphose darstellt. Die neue Variante wird durch die
Einfügung eines Anfangstons verlängert und enthält somit eine Wechselnote, die auch charakteristisch für Haupt-
und Seitenthema ist. Durch die rhythmische Änderung im T.77 entsteht die Rhythmik der Begleitstimmen aus T. 6
des Hauptthemas – die Metamorphose wird somit zur Zusammenhangsvariante, die alle Themen des Satzes
vereint231.
Charaktervarianten: sie drücken einen geänderten Charakter aus und sind somit außermusikalisch motiviert,
dementsprechend häufig treten sie in der Symphonischen Dichtung bzw. in der Oper auf. Beispielsweise kann dies
durch Alteration von Dreiklangsmelodiken (im Sinne einer Deformation bei negativen Konnotationen, vgl. hierzu
Zemlinskys "Traumgörge", aber auch als Mittel der Karikatur) geschehen, ebenso durch Veränderung der Melodik.
Weitere Parameter wie Harmonik und Klang (Instrumentation) bleiben hiervon nicht ausgespart.

230
ebenda, S. 278 ff, insbesonders hinsichtlich der theoretischen Überlegungen zur Länge des Themas.
231
ebenda, S. 298 f.
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Zusammenhangsvarianten: sie legen Zusammenhänge zwischen Abschnitte einer Variante offen oder zeigen
Verwandtschaften zwischen verschiedenen Themen auf (siehe das Beispiel bei der Metamorphosenvariante). Wenn
auch auf motivischer Arbeit beruhend, ist sie nicht mit dieser gleichzusetzen, da die in Beziehung zusetzenden
Einheiten bereits ähnliche Merkmale aufweisen - es sind jedoch keine gemeinsamen Merkmale, der Zusammenhang
wird erst durch das Zueinanderbringen der Motive hergestellt.
Inwiefern Enescu persönlichen Kontakt mit Zemlinsky hatte, ist schwer zu sagen - zumindest gibt es zeitliche
Überlappungen mit der Studienzeit Zemlinskys am Wiener Konservatorium. Enescu selbst schätzte Zemlinsky und
erinnerte sich in einem Interview mit Gavoty an die Aufführung einer Jugendsymphonie Zemlinskys am
Konservatorium in Wien; 1963 wurde unter Enescus Noten eine viersätzige Klaviersonate, drei kurze Klavierstücke
und ein Trio für zwei Violinen und Viola aus der Periode 1890 - 1892 aufgefunden - Enescu erhielt sie vermutlich von
seinem Freund Theodor Fuchs (ein Manuskript enthält eine Widmung Zemlinskys an Fuchs), ein persönlicher Kontakt
zwischen den beiden Komponisten muss also nicht zwingend bestanden haben, zumal sie altersmäßig zehn Jahre
auseinander waren und Enescu zehn oder elf Jahre alt war232.
Bei der von Enescu erwähnten Aufführung handelt es sich um die Symphonie in d-moll: sie ist formal stark der
Brahms-Tradition verhaftet, variantentechnische Prinzipien lassen sich ansatzweise im zweiten Satz feststellen,
wobei hier die Varianten aus der unterschiedlichen Zusammensetzung der Motive des Hauptthemas mit geringfügiger
Modifkation in Rhythmik, Diastemtik und Kontur gebildet werden. Diese Technik bleibt jedoch im Rahmen der
traditionellen motivischen Arbeit, beruhend auf einem klassischen Formschema. Ein Wesenszug, der sich in
Zemlinskys Instrumentalwerken im Zeitraum von 1892 bis 1898 insgesamt feststellen lässt, allenfalls zu bemerken
wäre eine Tendenz zum Aufzeigen thematischer Zusammenhänge233.
Ausgehend von diesen Erkenntnissen muss der Einfluss Zemlinskys auf Enescus Oeuvre hinsichtlich der
Manuskripte sowie der d-moll Symphonie als gering erachtet werden, zumal sich Zemlinsky noch im Rahmen der
vorherrschenden Stilistik bewegt und eine Entwicklung zum späteren prägenden Personalstil noch nicht stattfand.
Weitere Kontakte zu Zemlinsky oder persönliche Treffen der Komponisten sind nicht bekannt, vielmehr scheint
somit variantentechnisches Komponieren Enescus nicht Resultat einer direkten Wechselbeziehung beider Künstler

232
Malcolm, Noel: George Enescu. Toccate Press, 1990, S. 41.
233
Vgl. hierzu Becher, a.a.O., S.62.
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zu sein, sondern vielmehr Ergebnis einer parallelen musikalischen, auch zeitbedingten Entwicklung234, die ihre
Inspiration zu einem nicht geringen Ausmaß aus dem Schaffen Mahlers und Schönbergs nahm.
Wie schon weiter oben erwähnt, setzt die Variantentechnik gewisse kompositorische Methoden der motivischen
Verarbeitung voraus, die weit in das 19. Jahrhundert und darüber hinaus zurückreichen und somit nicht als reines
Spezifikum der hier dargestellten Technik anzusehen ist, sondern vielmehr als Weg zur ausgebildeten Form zu
betrachten ist. Verarbeitungen divergenten musikalischen Materials durch thematisch-motivische Verbindungen
sowie Themenüberlagerungen, wie wir sie bei Enescu schon früh erkennen können (Poème Roumain, Rumänische
Rhapsodien), sind keine spezifisch variantentechnischen Verfahren, sondern kompositorisches Allgemeingut der Zeit,
wenngleich sie auch in Richtung Variantenbildung führen können, wie das Beispiel Zemlinsky zeigt.
Im Zusammenhang mit den bisherigen Ausführungen scheinen einige Querbezüge zum Einsatz
variantentechnischer Phänomene in Enescus Streichquartett in G-Dur op.22/2 jedoch aufschlussreicher.
Das Kopfthema des 1. Satzes zeichnet sich durch einen breiten Ambitus, der sich immerhin im Rahmen einer
großen Tredezim bewegt, mit auffallend großen Intervallsprüngen und einer allgemein aufstrebenden
Bewegungsrichtung aus. Diese Tendenz mit zunehmenden Spannungsaufbau strebt zur absteigenden Quart e´´-h´.
Im vorliegenden Fall wird das mehrmotivische Thema klar und deutlich konturiert exponiert, alle weiteren Varianten
lassen sich, wenn auch schon stark deformiert, auf dieses Grundthema zurückführen.
Modifikationen erfolgen überwiegend auf melodischer und rhythmischer Ebene235: melodisch durch Einfügung
einzelner Töne bzw. Tongruppen, die zu einer Erweiterung der das Thema konstituierenden Motive führen. Es
werden in der Folge praktisch alle Intervalle verändert.
Auf dem rhythmischen Niveau erfolgt die Bildung von Varianten durch Hinzufügung, Auslassung bzw. Änderung
rhythmischer Werte, die durchaus zu agogischen Freiheiten führen können.
Ebenso von Interesse ist das stark rhythmische akzentuierte Thema zu Beginn von Takt 38 des ersten Satzes,
das gleich an eine Variante gekoppelt ist.

234
Vgl. hierzu auch Sarbu, Cristina: Existente paralele - George Enescu si Alexander Zemlinsky. In: Akademos, Cercetari de muzicologie,
Universitatea de Muzica din Bucursti, 3/1997, S. 78 ff.
235
Vgl.hierzu auch Radulescu, Speranta: Tehnica variatiei si dezvoltarii motivice in cvartetele de coarde op. 22 de George Enescu. In:
Centenarul George Enescu 1881 - 1981, Bucuresti 1981, S. 172 ff.
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Es erscheint zweiteilig, wobei sich die jeweils zweiten im Arpeggio absteigenden Bewegungen der Achteln
rhythmisch dahingehend voneinander unterscheiden, dass die Setzung der Töne in der ersten Variante durch
Achtelpausen aufgelockert wird, wogegen in der zweiten Variante die Abwärtsbewegung ohne Pausen, also
gleichsam verdichtet, erfolgt. Der jeweils erste Teil der nachfolgenden Varianten differenziert stärker und wird in
weitere Folge auch stärker modifiziert, die Arpeggiobewegungen bleiben relativ konstant und ermöglichen dem Hörer
einen Wiedererkennungseffekt.
Die Veränderungstechniken sind die schon bekannten: Veränderung der Intervalle und der Bewegungsrichtung
sowie rhythmische Modifikationen - dies vor allen in den ersten Teilen der Varianten, jedoch unterliegen auch die
Arpeggien Transformationsprozesse, seien es ergänzende Einfügungen von Tönen oder Änderungen der
Bewegungsrichtung.
Ähnliche Techniken der Themenvariante finden wir bei einem weiteren Thema des zweiten Satzes des
Streichquartettes (T 23 ff).
Das Thema ist tonal unsicher, jedoch von der melodischen Struktur interessant, da es sich zu jeder Richtung
hin stufenweise um einen Halbtonschritt erweitert, zu Recht spricht Radulecu von einer extensie cromatica236.
Wiederum erfolgt Variantenbildung durch Hinzufügung bzw. Elemination von Tönen, Änderung der
Intervallabstände sowie chromatischen Modifikationen, die metrisch-rhythmische Dimension ist bei vorliegendem
Thema ausgesprochen beweglich und neigt zur parlando-rubato Bildung, untermalt durch eine auffallend reiche
Dynamik.
Die zuvor beschriebene Variante steht wiederum in einem auffallenden Wechselspiel mit zunächst im Pizzicato
vorgetragenen stark rhythmisierten Thema des Beginns des zweiten Satzes (ab T. 6).
Dieses mit seiner Prägnanz, seinem außergewöhnlich breiten Ambitus (im Rahmen einer Duodezim) und der
rhythmischen Schärfe kontrastiert es auffallend mit dem vorher beschriebenen Thema. Die variative Verformung
erfolgt mit denen schon bekannten Methoden, durch seine Prägnanz enthält es selbst bei seiner Zergliederung noch
einen hohe Erkennungseffekt beim Hörer, zumal die Triolengruppe als Kernelement im weiteren Entwicklungsprozess
des Stückes zentrale Bedeutung erlangt, beispielsweise in seiner stark dialogischen Ausformung zwischen der 2.
Violine und dem Cello in Abschnitt 15 des zweiten Satzes.

236
ebenda, S. 190.
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Es zeigt sich somit im vorliegenden Streichquartett unter Anwendung der oben näher beschriebenen Techniken
wie Umkehrung, harmonische Alterationen und melodische Erweiterung (als auch Verkürzung) sowie rhythmische
Umformungen wie Veränderungen in Diastemtik, Kontur des Themas als auch Dynamik ein Verfahren, das
weitgehend einer Variantentechnik zugeordnet werden kann, wenn auch bei Enescus zusätzliche Charakteristika wie
Modalität, parlando-rubato sowie aus der rumänischen Folklore übernommene Techniken dessen Schaffen eine
individuelle, spezifisch rumänische Note verleihen. Insbesondere die Bedachtnahme auf die thematische
Wiedererkennbarkeit teilt Enescu mit Zemlinsky.
Auf ein weiteres bei Enescu häufig eingesetztes Phänomen sei im vorliegenden Zusammenhang noch kurz
verwiesen: der Heterophonie. In der Ethnomusikologie bezeichnet dieser Begriff gleichzeitig ablaufende variative
Prozesse auf ein- und derselben Melodie - ein Themas wird auf verschiedene Stimmen mit unterschiedlicher
rhythmischer Dichte aufgeteilt237. Hierbei werden Varianten eines Themas übereinander gelagert, der
Entwicklungsprozess erfolgt linear, die motivische Arbeit tritt zurück zugunsten einer grundsätzlichen Orientierung am
Stammthema, dass mit seinen Varianten vor allem in ein rhythmisches Wechselspiel tritt. Das sich ein
kompositorische Entwicklung dergestalt förmlich für die Variantentechnik anbietet, liegt auf der Hand, wenn gleich
hier auf die Besonderheit der allenfalls zeitlich minimal schwankenden Gleichzeitigkeit des Ablaufes des variativen
Prozess hingewiesen werden muss. Wiederum kommen oben beschriebene Mittel der Variantenbildung zur
Anwendung: diastematische Veränderungen, sogar Eingriff in die Themenkontur, ebenso rhythmische Modifikationen,
wie stellvertretend für viele Beispiele Nachstehendes aus dem 4. Akt des Oedipe zeigt:
Diese Technik steht im Einklang mit Enescus generell Neigung zur längeren melodischen Entwicklung, die
ihrerseits wieder Wurzeln in der rumänischen Volksmusik hat238.
Abschließend kann somit gesagt werden, dass variantentechnische Überlegungen bei Enescu in seiner
mittleren und späteren Schaffensphase einen wichtigen Stellenwert einnehmen und in der weiteren
wissenschaftlichen Aufarbeitung des Oeuvres von Enescu, zu dem vorliegende Studie lediglich einen ersten
einführend Schritt darstellt, dementsprechende Berücksichtigung bedürfen.

237
Vgl hierzu auch Stanley Sadie (Hrsg.): The New Grove Dictionary of Music and Musicians, Bd. 8, 1980, S. 537.
238
Malcolm, a.a.O., S. 97 und 99.
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