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Karla Tschavoll, 4A2

Textinterpretation - Der Meineid

Die Erzählung „Der Meineid“ von Mela Hartwig wurde um 1930


geschrieben und 2002 veröffentlicht. Es geht um Emil Kolbe, einen
Obdachlosen, der eine Bäckerei ausraubt, um im Gefängnis Schutz vor
der Grausamkeit der Straße zu finden. Sein Vorhaben misslingt, denn
die bestohlene Verkäuferin lässt ihn aus Mitleid laufen. Emil ist so
verzweifelt, dass er Selbstanzeige erstattet. Als die Polizei ermittelt,
streitet sie den Diebstahl jedoch aus Mitleid ab und leistet einen Meineid.
Emil landet wieder auf der Straße.

Die Geschichte ist chronologisch aufgebaut und wechselt zwischen


Gedankengängen und Handlungen. Die Einleitung (Z. 1-17) beschreibt
die Situation und Vergangenheit Kolbes und seine Verzweiflung. Im
Hauptteil (Z. 18-98) findet der Diebstahl statt. Es wird klar zwischen den
zwei Figuren, Kolbe und der Verkäuferin, differenziert. Beide handeln auf
eine unerwartete Weise, was Spannung erzeugt. Offenbar verwirrt,
erstattet Kolbe Selbstanzeige und ist von seinem Recht, verhaftet zu
werden, überzeugt. Die Bestohlene legt aber einen Meineid ab, um den
Dieb vor dem Gefängnis zu bewahren. Kolbe missbilligt ihr Handeln und
es kommt zum Höhepunkt: Die zwei werden gegenübergestellt und ein
Streit entsteht. Der Schluss folgt: Emil landet wieder auf der Straße und
findet sich in der gleichen Situation wie am Anfang der Geschichte
wieder.
Der gesamte Text ist in der dritten Person Singular im Präteritum
geschrieben. Es werden wechselnd die Perspektive von Kolbe und der
Verkäuferin beschrieben, wobei zuerst von Kolbes Situation, dann von
den Gefühlen, Gedanken und Handlungen beider Figuren erzählt wird.
Dabei wird der Kontrast zwischen den beiden Meinungen
herausgehoben, sodass beide Perspektiven nachvollziehbar sind. Am
Anfang und Ende des Textes bleibt die Erzählung neutral, im Hauptteil
wechseln die zwei Sichtweisen.
Die Autorin verwendet einen einfachen Wortschatz und für die Stellen
des Geschehens vorwiegend kurze, aussagekräftige Sätze (z. B. „Er
wurde in Haft genommen.“, Z. 60). Für Gedankengänge verwendet sie
längere Sätze wie Hauptsatzreihen (z. B. „Seit dreieinhalb Jahren …“ Z.
11-13). Einige Parallelismen zur Schilderung der Verzweiflung der
Hauptperson sind zu finden, wie „Er hatte keine Unterkunft, er hatte
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keinen Groschen in der Tasche, er hatte nur und als einzige Zuflucht das
Gefängnis vor sich.“ (Weitere Beispiele: „Unschlüssig zog er …“ Z. 6-8;
„Ohne sich zu beeilen und wortlos nahm er ein Brot an sich, ohne sich zu
beeilen und wortlos verließ er den Laden.“ Z. 19-20) Eine Redewendung
ist zu finden: „[…] ohne mit der Wimper zu zucken“. „Er verlangte […], er
verlangte […], er verlangte, […]“ ist eine Anapher (Z. 74-75). Hartwig
verwendet Fragesätze anstelle von wörtlichen Reden (z. B. „Hatte er
denn eine Wahl?“ Z. 11). Wörtliche Reden selbst sind selten, weil die
zwei Figuren zwar emotional in Kontakt treten, aber kaum verbal. Um
den konfusen Gedankengang der Figuren darzustellen, macht die
Autorin Gebrauch von Parenthesen wie „Emil wurde, seine
Beteuerungen halfen ihm nichts, enthaftet.“ (Z. 99)

Kolbes Motivation lässt sich gut begründen. Wegen Arbeitslosigkeit,


Obdachlosigkeit und nicht zuletzt seiner Hoffnungslosigkeit scheint das
Gefängnis die letzte Lösung für seine Probleme zu sein, zumindest
temporär. Als die Frau falsch aussagt, hat er Angst um diese letzte
Lösung, wird panisch und denkt, sie habe den Verstand verloren. Als er
enthaftet wird, findet er sich in der gleichen Situation wie am Anfang
wieder und sein sarkastisches Pfeifen zeugt nur noch mehr von seiner
Verzweiflung.
Die Motivation der Verkäuferin ändert sich im Laufe der Handlung. Zu
Beginn ist sie fassungslos über den Diebstahl, dann hat sie Mitleid mit
Emil und möchte ihn vor dem Gefängnis bewahren. Sie sagt falsch aus
und beginnt schlussendlich, ihre eigene Lüge zu glauben. Dass sie Emils
Lage nur verschlimmert, begreift sie nicht.

Die Gesellschaftskritik hinter „Der Meineid“ hat mit der Wirtschaftskrise


zu tun. Die Hauptperson ist vergeblich auf der Suche nach Arbeit und ist
gezwungen, eine kriminelle Lösung für ihre Probleme zu finden. Emil
könnte Juwelen oder Kamelhaarwesten stehlen, entscheidet sich aber
unterbewusst für einen Laib Brot, der die Grundbedürfnisse und
Grundrechte der Menschen symbolisiert. Die Verkäuferin hat Mitleid mit
dem Mann. Sie hat ein schlechtes Gewissen wegen der sozialen
Ungerechtigkeit und möchte dieses lindern, indem sie Emil vor dem
Gefängnis bewahrt. Dies symbolisiert das schlechte Gewissen jener
weniger, die in diesen Zeiten finanzielle und existenzielle Sicherheit
haben, gegenüber den zahlreichen, verzweifelten Opfern der
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Wirtschaftskrise. In dieser gesellschaftlichen Situation scheint es


sinnvoller, im Gefängnis zu überleben, als kein Straftäter zu sein.

703 Wörter

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