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Ritz
Hernienchirurgie
Hernienchirurgie
Klinische Strategien und perioperatives Management
123
Dr. med. Jörg-Peter Ritz
Prof. Dr. med. Heinz J. Buhr
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Campus Benjamin Franklin
Chirurgische Klinik und Poliklinik I
Abteilung für Allgemein-, Gefäß- und Thoraxchirurgie
Hindenburgdamm 30
12200 Berlin
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung,
des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfil-
mung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben,
auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses
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lich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne be-
sondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Marken-
schutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine
Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand an-
derer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden.
Vorwort
Nur wenige Themen werden in der chirurgischen Gesellschaft so heftig und kontrovers disku-
tiert wie die Therapie von abdominellen Hernien. Die Häufigkeit der Erkrankung – weltweit
werden jährlich mehr als 15 Mio. Patienten wegen eines Bruchleidens operativ versorgt – führt
dazu, dass fundierte evidenzbasierte Daten vorliegen und jeder Chirurg eine große persönliche
Erfahrung mit dem therapeutischen Umgang besitzt. Hinzu kommt, dass die Versorgung ab-
domineller Hernien eine elementare chirurgische Aufgabe ist und bleibt. Eine vernünftige kon-
servative Therapie wie bei anderen vormals chirurgischen Krankheitsbildern existiert bislang
nicht und ist auch theoretisch schwer denkbar.
Darüber hinaus sind in den letzten Jahren eine Vielzahl neuer OP-Techniken und Materialien
entwickelt worden, die es zunehmend schwieriger machen, Übersicht über das optimale Verfah-
ren bzw. das geeignete Meshmaterial zu gewinnen. Die Diskussion über die beste, komplikations-
und rezidivärmste Methode des Reparationsverfahrens wird kontinuierlich geführt. In den letzten
Jahren sind im zunehmenden Maße die spannungsfreien Reparationstechniken mit Implanta-
tion alloplastischen Materials als Routineverfahren in den Mittelpunkt gerückt, obwohl über
Langzeitkomplikationen, wie chronischer Schmerz, die Induktion von Spätinfekten oder das
Vorhandensein eines Entartungsrisikos, nur wenig bekannt ist. Daher erscheint es uns dringend
notwendig, die Diskussion über Fragen wie konventionelle oder spannungsfreie Reparationsver-
fahren, Wahl und potenzielles Risiko des Fremdmaterials oder tatsächliche Rezidiv- und Kom-
plikationsgefahr der Methoden anhand aktueller Ergebnisse offen zu führen.
Diese Gründe haben uns dazu bewogen, dieses Buch über abdominelle Hernien zu veröffent-
lichen. Unser Ziel ist es, dem Leser eine aktuelle Übersicht über die modernen Aspekte der
Hernienchirurgie zu liefern. Dabei geht es nicht nur, wie in einem Operationsatlas, um die Indi-
kation und Technik der unterschiedlichen Verfahren. Es werden zusätzlich neben einer aus-
führlichen Diskussion über Meshmaterialien oder Rezidiv- und Komplikationsgefahren, auch
Themen wie die Behandlung komplexer Hernien oder das peri- und postoperative Management
behandelt. Besonderer Wert wird dabei auf unmittelbare Praxisnähe für den im klinischen Alltag
geforderten Chirurgen gelegt.
Inhaltsverzeichnis
7 Meshbezogene Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
J. Gröne
IV Perioperatives Vorgehen
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
IX
Autorenverzeichnis
Burdinski, N. Isbert, C.
Dr. med. Dr. med.
Chirurgische Klinik und Poliklinik Klinikum Nürnberg Nord
Charité – Universitätsmedizin Berlin Klinik für Allgemein-, Visceral- und Thoraxchirurgie
Campus Benjamin Franklin Prof.-Ernst-Nathan-Str. 1,
Hindenburgdamm 30, 12200 Berlin 90419 Nürnberg
nina.burdinski@charite.de christoph.isbert@klinikum-nuernberg.de
Grozdanovic, Z. Kruschewski, M.
Priv. Doz. Dr. med. Dr. med.
Klinik und Hochschulambulanz für Radiologie Chirurgische Klinik und Poliklinik
und Nuklearmedizin Charité – Universitätsmedizin Berlin
Charité – Universitätsmedizin Berlin Campus Benjamin Franklin
Campus Benjamin Franklin Hindenburgdamm 30, 12200 Berlin
Hindenburgdamm 30, 12200 Berlin martin.kruschewski@charite.de
zarko.grozdanovic@charite.de
Lehmann, K.
Holmer, C. Dr. med.
Dr. med. Chirurgische Klinik und Poliklinik
Chirurgische Klinik und Poliklinik Charité – Universitätsmedizin Berlin
Charité – Universitätsmedizin Berlin Campus Benjamin Franklin
Campus Benjamin Franklin Hindenburgdamm 30, 12200 Berlin
Hindenburgdamm 30, 12200 Berlin kai.lehmann@charite.de
christoph.holmer@charite.de
Otto, S.
Hotz, H.G. Dr. med.
Dr. med. Chirurgische Klinik und Poliklinik
Chirurgische Klinik und Poliklinik Charité – Universitätsmedizin Berlin
Charité – Universitätsmedizin Berlin Campus Benjamin Franklin
Campus Benjamin Franklin Hindenburgdamm 30, 12200 Berlin
Hindenburgdamm 30, 12200 Berlin susanne.otto@charite.de
hubert.hotz@charite.de
X Autorenverzeichnis
Reißfelder, C. Slavova, N.
Dr. med. Dr. med.
Chirurgische Klinik und Poliklinik Chirurgische Klinik und Poliklinik
Charité – Universitätsmedizin Berlin Charité – Universitätsmedizin Berlin
Campus Benjamin Franklin Campus Benjamin Franklin
Hindenburgdamm 30, 12200 Berlin Hindenburgdamm 30, 12200 Berlin
christoph.reissfelder@charite.de nadia.slavova@charite.de
Rieger, H. Wondzinski, A.
Dr. med. Dr. med.
Chirurgische Klinik und Poliklinik Chirurgische Klinik und Poliklinik
Charité – Universitätsmedizin Berlin Charité – Universitätsmedizin Berlin
Campus Benjamin Franklin Campus Benjamin Franklin
Hindenburgdamm 30, 12200 Berlin Hindenburgdamm 30, 12200 Berlin
hayo.rieger@charite.de alexander.wondzinski@charite.de
I
Grundlagen, Diagnostik
und Klassifikation
1 Epidemiologische und sozioökonomische Aspekte
der Hernienchirurgie – 3
S. Otto
1.1 Epidemiologie – 4
1.2 Sozioökonomie – 5
Fazit – 7
Literatur – 7
4 Kapitel 1 · Epidemiologische und sozioökonomische Aspekte der Hernienchirurgie
))
1 . Tabelle 1.1. Geschätzte Zahl an Neuerkrankungen pro
Jahr (Kingsnorth 2004, Primatesta u. Goldacre 1996, Rut-
Mit einem Anteil von 10–15% der viszeralchirurgi-
kow 2003)
schen Operationen sind Hernienoperationen heu-
te ein wichtiger Kostenfaktor im Gesundheitssy- Neuerkrankungen pro Jahr
stem. In den letzten hundert Jahren hat sich die
Deutschland 200.000
chirurgische Therapie der mit 80% am häufigsten Großbritannien 150.000
vertretenen Leistenhernien kontinuierlich weiter- Frankreich 190.000
entwickelt: Die konventionelle OP-Technik wurde USA 1.100.000
verbessert und die Implantation von Netzen ent- Weltweit 25.000.000
hernien – im Vergleich seltenere Hernienformen Bei den Operationskosten stellt sich vor allem
sind dagegen häufiger bei Frauen mit einem Verhält- die Frage nach dem preisgünstigeren Operations-
nis von 1:4 bzw. 1:9. Dadurch sind Bauchwandher- verfahren. Hierzu wurden bereits einige prospektiv
nien insgesamt wesentlich häufiger bei Männern als randomisierte Studien veröffentlicht (. Tab. 1.2).
bei Frauen anzutreffen. Man sieht zum einen die ausgeprägten landes- oder
Ebenso besteht eine Altersabhängigkeit der Her- institutsabhängigen Preisschwankungen. Zum an-
nienmanifestation mit drei Häufigkeitsgipfeln: Kin- deren fällt aber ein deutlicher Trend auf: Im direk-
der unter 5 Jahren, Erwachsene zwischen 20 und ten Vergleich innerhalb der jeweiligen Studie ist das
30 Jahren sowie Erwachsene zwischen 50 und laparoskopische Verfahren deutlich teurer als das
70 Jahren (Kingsnorth 2004, Primatesta u. Goldacre konventionelle Verfahren. Die Laparoscopic Groin
1996). Die kindlichen Hernien sind meist Leisten- Hernia Trial Group des Medical Research Council
hernien und treten in der Regel beim männlichen
Geschlecht auf. Sie werden als Folge des Hodendes-
zensus angesehen und treten besonders häufig bei . Tabelle 1.2. Vergleich der Kosten von laparoskopi-
unreifen Frühgeborenen auf. Die Altersgipfel im Er- schem und konventionellem Operationsverfahren in
wachsenenalter werden für die 20- bis 30-Jährigen der Hernienchirurgie: prospektiv randomisierte Studien
mit vermehrter körperlicher Belastung (Sport/Ar- Studie Laparo- Konven-
beit) und bei den 50- bis 70Jährigen mit beginnender skopisch tionell
Bindegewebeschwäche erklärt.
Medical Research Council 665 € 459 €
(2001)
Großbritannien/Irland,
1.2 Sozioökonomie n=928
. Tabelle 1.5. Vergleich der Kosten der laparoskopischen und konventionellen Hernienchirurgie für die behandelnde
Klinik und die Gesellschaft
Laparoskopisch Konventionell
. Tabelle 1.6. Langzeitkosten nach Hernienoperation unter Berücksichtigung von Rezidivrate und Komplikationen (Sty-
lopoulos et al. 2003)
fen operierten Patienten eine höhere Rezidivrate als Leistenhernien sind mit 80% am häufigsten vertre-
bei den laparoskopisch operierten Patienten. Bei den ten. Hier sind die Operationskosten für das laparos-
Komplikationen fällt insbesondere – ebenfalls in kopische Operieren im direkten Preisvergleich höher
beiden Studien übereinstimmend – ein deutlicher als beim konventionellen Vorgehen. Somit ist bei
Unterschied im Auftreten von chronischen Schmer- gleicher Vergütung beider Verfahren die konventio-
zen auf: Am häufigsten treten diese bei konventio- nelle für die Klinik die billigere Operation. Auf der
nell ohne Netz operierten Patienten auf, gefolgt von anderen Seite entstehen für die Volkswirtschaft und
konventionell mit Netz operierten Patienten. Die ge- das Gesundheitssystem durch das laparoskopische
ringste Rate an chronischen Schmerzen wird bei la- Operieren weniger Folgekosten, aufgrund von gerin-
paroskopisch operierten Patienten erreicht. Unter gerer Krankschreibung und niedrigerer Rezidivrate.
Berücksichtigung dieser Daten errechnen die Auto-
ren langfristige Mehrkosten für das konventionelle
Vorgehen gegenüber dem laparoskopischen Operie- Literatur
ren sowie durch das Verfahren ohne Netz gegenüber
Beets GL, Dirksen CD, Go PM, Geisler FE, Baeten CG, Kootstra
der Netzimplantation (. Tab. 1.6). G (1999) Open or laparoscopic preperitoneal mesh repair
for recurrent inguinal hernia? A randomized controlled
trial. Surg Endosc 13 (4): 323–327
Fazit Bringman S, Ramel S, Heikkinen TJ, Englund T, Westman B, An-
derberg B (2003) Tension-free inguinal hernia repair: TEP
versus mesh-plug versus Lichtenstein: a prospective ran-
Hernienoperationen machen 10‒15% der viszeral- domized controlled trial. Ann Surg 237 (1): 142–147
chirurgischen Operationen aus und sind daher ein Dirksen CD, Ament AJ, Adang EM, Beets GL, Go PM, Baeten CG,
wichtiger Kostenfaktor im Gesundheitssystem. Die Kootstra G (1998) Cost-effectiveness of open versus
8 Kapitel 1 · Epidemiologische und sozioökonomische Aspekte der Hernienchirurgie
2.2 Bauchmuskulatur – 10
2.2.1 Ventrale Bauchmuskeln – 10
2.2.2 Laterale Bauchmuskeln – 11
2.3 Rektusscheide – 11
2.8 Peritoneum – 16
2.9 Nerven – 16
2.10 Gefäße – 18
Literatur – 20
10 Kapitel 2 · Anatomie der Bauchwand und Leistenregion
In besonderem Maße stellen das Wissen und die M. rectus abdominis. Der M. rectus abdominis hat
2 Kenntnis der anatomischen Zusammenhänge die seinen Ursprung im Bereich des Processus xiphoide-
Grundvoraussetzung für den operativen Erfolg in us sowie am medialen Rand der Rippen V–XII
der Hernienchirurgie dar. Die systematische Ana- (. Abb. 2.1). Über eine sehr variable Anzahl von
tomie der Bauchwand und der Regio inguinalis sog. intersectiones tendineae verläuft er kaudal bis
wurde wesentlich durch die Tätigkeit berühmter zum Os pubis, an dessen Oberrand er inseriert. Er
Chirurgen des 18. und 19. Jh. begründet. Hervor- wird von lateral über die Interkostalnerven VII–XI
zuheben sind hierbei die grundlegenden Werke innerviert. Dies verdeutlicht, weshalb über einen
von Pieter (Petrus) Camper aus Holland, Jules Clo- ausgedehnten Pararektalschnitt eine erhebliche De-
quet aus Frankreich, Astley Paston Cooper und nervierung des Muskels erfolgen kann.
John Gay aus England, Antonio de Gimbernat aus
Spanien, Franz K. Hesselbach aus Deutschland und M. pyramidalis. Er entspringt am vorderen Rand des
Antonio Scarpa aus Italien. Die Arbeiten jener Zeit Schambeines zwischen dem Ansatz des M. rectus
haben unser derzeitiges anatomisches Verständ- abdominis und dem vorderen Blatt der Rektusschei-
nis entscheidend beeinflusst und besitzen, insbe- de. Seine Fasern verankern sich nach kranial in der
sondere nach Einführung der minimalinvasiven Linea alba. Er ist ein beim Menschen rückgebildeter
Operationstechniken, auch heute in der Hernien- Muskel und soll lediglich aus Vollständigkeitsgrün-
chirurgie große Bedeutung und ihre volle Gültig- den hier erwähnt werden.
keit. Dieser Sachverhalt wird deutlich in den bei-
den 150 Jahre auseinander liegenden Zitaten von
Sir Astley Paston Cooper und Chester B. McVay
(USA). 1804 schreibt Cooper: »No disease of the
human body ... requires in its treatment a greater
combination of accurate anatomical knowledge,
with surgical skill, than hernia in all its varieties.«
Und McVay 1954: »… a hernia is an anatomic de-
rangement and to understand … the repair of a
hernia, a detailed knowledge of the anatomy … is
absolutely essential.«
2.2 Bauchmuskulatur
. Abb. 2.1. M. rectus abdominis
Die Bauchmuskulatur besteht aus einer ventralen
und einer lateralen Bauchmuskelgruppe.
2.3 · Rektusscheide
11 2
. Abb. 2.2. M. obliquus externus abdominis . Abb. 2.3. M. obliquus internus abdominis
2.2.2 Laterale Bauchmuskeln balis, vom Labrum internum der Crista iliaca und
vom lateralen Drittel des Lig. inguinale (. Abb. 2.4).
M. obliquus externus abdominis. Der breitflächige Seine Fasern verlaufen horizontal zur Rektusschei-
äußere schräge Bauchmuskel entspringt ventralsei- de, wobei seine Aponeurose kranial der Linea semi-
tig der Rippen V–XII und verläuft nach mediokau- circularis die Lamina posterior der Rektusscheide
dal, um in 3 Anteilen an der Crista iliaca sowie mit bildet. Er wird über Interkostalnerven und über den
seiner Aponeurose am Lig. inguinale und an der Li- Plexus lumbalis innerviert.
nia alba anzusetzen (. Abb. 2.2). Er wird über die
Interkostalnerven X–XII innerviert.
2.3 Rektusscheide
M. obliquus internus abdominis. Der M. obliquus
internus abdominis entspringt ebenfalls ventralsei- Die Ansatzaponeurosen der lateralen Bauchmuskeln
tig der Rippen V–XII und inseriert an der Crista ili- scheiden den M. rectus abdominis ein und bilden
aca sowie am lateralen und medialen Drittel des Lig. somit die sog. Rektusscheide, wobei ihre Zusam-
inguinale (. Abb. 2.3). Er bildet mit seiner Aponeu- mensetzung in Abhängigkeit der Höhe Unterschiede
rose die Lamina ventralis et dorsalis der Rektus- aufweist (. Abb. 2.5). Kranial der Linea semicircula-
scheide. Er wird über die Intercostalnerven inner- ris wird der M. rectus abdominis dorsalseitig von der
viert. Aponeurose des M. transversus abdominis einge-
scheidet. Kaudal der Linea semicircularis fehlt diese
M. transversus abdominis. Der M. transversus ab- Begrenzung. Hier bilden lediglich das Peritoneum
dominis entspringt dorsalseitig der Rippen VII–XII, sowie die Fascia transversalis die Lamina posterior
von den Querfortsätzen der LWS bzw. dem Lig. lum- der Rektusscheide. Das vordere Blatt der Rektus-
12 Kapitel 2 · Anatomie der Bauchwand und Leistenregion
Das Peritoneum zeigt unterhalb des Nabels von ab- N. ileohypogastricus, N. ileoinguinalis. Der N. ileo-
dominell her 5 Bauchfellfalten (Plicae) und 5 Gru- hypogastricus und N. ileoinguinalis entspringen
ben (Fossae). beide aus dem Plexus lumbalis und verlaufen von
Die Plicae umbilicales sind peritoneale Um- dorsal über den M. iliacus nach ventral (. Abb. 2.13).
schläge, welche in der Mediane-Ebene durch den Im Verlauf durchbohren sie den M. transversus ab-
oblitierten Urachus (Plica umbilicalis mediana), me- dominis sowie den M. obliquus internus. Der N.
dial durch die beiden oblitierten Aa. umbilicales ileoinguinalis verläuft dann auf den Muskelfasern
(Plicae umbilicalis mediales) sowie lateral durch die des M. cremaster durch den Leistenkanal und der
rechte und linke Vasa epigastrica inferiora (Plicae N. ileohypogastricus 2–3 cm parallel davon in krani-
umbilicales laterales) verursacht werden. Die Fossae ale Richtung.
laterales markieren den Anulus inguinalis profun- Der N. ileohypogastricus innerviert die Haut
dus, die Fossae mediales den Anulus inguinalis su- oberhalb des Leistenkanals sowie im Bereich des
perficialis. proximalen Oberschenkels, der N. ileoinguinalis die
Regio pubica und das Skrotum.
2.10 Gefäße und wird als Corona mortis bezeichnet (. Abb. 2.16).
In ca. 30% der Fälle wird die A. obduratoria aus-
Aus den Vasae iliacae externae entspringen die schließlich vom R. pubicus anterior gespeist.
Vasae epigastricae inferiores, welche als einen Ast Eine weitere wichtige Gefäßarkade aus den Vasae
die Vasae cremastericae entlassen. Zusätzlich ent- iliacae externae sind die Aa. circumflexae profun-
springt aus der A. epigastrica inferior ein R. pubicus dae (. Abb. 2.17), welche nach lateral Anastomo-
anterior, der mit der A. obduratoria anastomosiert. sen mit den Aa. gluteae und den Aa. iliolumbales
Diese Anastomose verläuft über das Lig. Cooperi besitzen.
2.11 Triangel of doom, Triangle le of pain, definiert (. Abb. 2.18). Das Triangel of
of pain doom wird medial durch den Ductus deferens und
lateral durch die Testikulargefäße begrenzt. Nach
Aus laparoskopisch-endoskopischer Sicht muss der lateral wird das Dreieck durch die Testikulargefäße
Verlauf der Gefäße und Nerven zur Vermeidung von und den ileopubischen Trakt begrenzt. In keinem
Komplikationen beachtet werden. Bereits 1991 defi- Fall sollten hier Clips gesetzt werden, da eine Verlet-
nierte Spaw das sog. Triangel of doom, und später zung der Nerven und Gefäße nicht ausgeschlossen
wurde ein zusätzliches laterales Dreieck, das Triang- werden kann. In manchen Fällen kann auch der
N. ileoinguinalis verletzt werden.
Literatur
Arregui ME, Navarrete J, Davis CJ, Castro D, Nagan RF (1993)
Laparoscopic inguinal herniorrhaphy. Techniques and
controversies. Surg Clin North Am 73 (3): 513–27
3
3.1 Klassifikationssysteme – 22
3.2 Diagnostik – 24
3.3 Literatur – 26
22 Kapitel 3 · Klassifikationssysteme und Diagnostik der Leisten- und Bauchwandhernien
)) 3.1 Klassifikationssysteme
Traditionell werden die Hernien der Inguinalregi- Klassifikationssysteme sind in der klinischen Medi-
on in direkte und indirekte Leistenhernien sowie zin weit verbreitet. Die Idee, die sich dahinter ver-
Schenkelhernien eingeteilt. Parallel mit der Ein- birgt, wurde von Fitzgibbons (Zollinger 2003a)
führung neuer bzw. der Modifikation lange be- prägnant formuliert: »The primary purpose of a
3 kannter Operationsmethoden wurden Anstren- classification system for any disease is to stratify for
gungen unternommen, das für einen bestimmten severity so that reasonable comparisons can be made
Hernientyp günstigste Reparationsverfahren zu between various treatment strategies.« Diese Defini-
identifizieren. Vor diesem Hintergrund wurden tion trifft den Kern der Bemühungen um eine ein-
eine Reihe von Klassifikationen vorgeschlagen, heitliche Klassifikation von Inguinalhernien, die als
von denen sich jedoch keine generell durchsetzen Grundlage für eine kritische Analyse von Rezidivra-
konnte. Die derzeit am häufigsten diskutierten ten in Abhängigkeit von unterschiedlichen Operati-
Klassifikationssysteme stammen von Gilbert, Ny- onsverfahren dienen soll – auch, oder gerade, unter
hus, Bendavid und Schumpelick. dem Aspekt der Qualitätskontrolle. Langfristiges
Ziel ist eine Optimierung der operativen Bruchver-
sorgung durch Identifizierung von Reparationsver-
In unserer Klinik wird die Klassifikation von Nyhus fahren mit dem niedrigsten Rezidivrisiko für einen
seit Jahren praktiziert. Danach erfolgt die Einteilung gegebenen Hernientyp. Nyhus (1993) hat dieses
der Inguinalhernien in 4 Hauptgruppen, wobei Konzept mit den Worten »individualization of her-
Typ III noch in 3 weitere Untergruppen unterteilt nia repair« umschrieben, eine Denkweise, die nicht
wird. Typ I bezeichnet kindliche Hernien. Zu Typ II von allen Chirurgen gleichermaßen getragen wird
gehören indirekte Leistenhernien mit erweitertem (Rutkow u. Robbins 1998).
inneren Leistenring. Typ III umfasst direkte Leisten- Eine suffiziente Klassifikation sollte gewisse Kri-
hernien (Typ IIIA), indirekte Leistenhernien mit terien erfüllen. Dazu gehören Lokalisation der Her-
erweitertem inneren Leistenring, der nach medial nie, Größe der Bruchpforte sowie die Stärke der Hin-
auf die Fascia transversalis des Hesselbach-Dreiecks terwand des Leistenkanals. Sie muss außerdem In-
übergreift bzw. sie zerstört (Typ IIIB), sowie Femo- formation darüber enthalten, ob es sich um einen
ralhernien (Typ IIIC). Unter Typ IV werden alle Re- primären Leistenbruch oder einen Rezidivbruch
zidivhernien der Inguinalregion zusammengefasst. handelt. Maßangaben unter Verwendung des Dezi-
In der großen Mehrzahl der Fälle wird die Diag- malsystems sind zu bevorzugen. Die Klassifikation
nose »Hernie« klinisch gestellt. Demgegenüber muss zudem bei den offenen klassischen als auch bei
kommt der apparativen Diagnostik nur eine unter- den neuen laparaskopischen Reparationstechniken
geordnete Bedeutung zu. Die meisten Erfahrungen gleichermaßen anwendbar sein. Eine weitere, nicht
wurden mit der Sonographie gesammelt. Die Sono- zu unterschätzende Voraussetzung für die Anwend-
graphie hat sich gut bewährt in der Differenzialdia- barkeit der Klassifikation in der klinischen Routine
gnose von unklaren Befunden der Bauchwand und ist eine einfache und klare Einteilung. Die Kategori-
Leistenregion sowie in der Erfassung von Komplika- sierung muss schließlich vom Operateur schnell und
tionen nach laparaskopischer Hernioplastik. Typi- sicher durchführbar sein.
sche Beispiele sind im Text illustriert. Die bisherigen In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten
Ergebnisse über die Einsatzmöglichkeiten der Com- sind eine Reihe von Klassifikationen vorgestellt
putertomographie und der Magnetresonanztomo- worden, von denen jedoch keine eine generelle Ak-
graphie in der Herniendiagnostik sind vielverspre- zeptanz erfahren hat, da entweder nicht alle Formen
chend, müssen jedoch durch weitere Untersuchun- der Brüche der Inguinalregion erfasst werden oder
gen untermauert werden. neue, insbesondere laparoskopische Techniken kei-
ne Berücksichtigung finden. Hierzu existieren um-
fassende Übersichten (Read 1984, Rutkow u. Rob-
bins 1998, Zollinger 2003b). Im Folgenden soll auf
3.1 · Klassifikationssysteme
23 3
die Klassifikationsverfahren von Gilbert, Bendavid, tenkanals ohne Dislokation der epigastrischen Gefä-
Nyhus und Schumpelick näher eingegangen wer- ße. Das Hauptkriterium von Typ III ist ein Defekt
den. der Hinterwand des Leistenkanals. Typ IIIA be-
Die Klassifikation von Gilbert (1989) berück- zeichnet direkte Leistenhernien beliebiger Ausdeh-
sichtigt den anatomischen und funktionellen Zu- nung. Typ IIIB umfasst indirekte Leistenhernien mit
stand des inneren Leistenrings und die Integrität der dilatiertem inneren Leistenring, der nach medial auf
Fascia transversalis und der Transversusaponeurose die Fascia transversalis des Hesselbach-Dreiecks
im Bereich des Hesselbach-Dreiecks. Es werden übergreift bzw. sie zerstört. In diese Kategorie gehö-
5 Typen unterschieden (. Tab. 3.1). Die Typen I–III ren im Besonderen die Skrotalhernie sowie die
sind indirekte, die Typen IV und V direkte Hernien, Gleithernie. Als Typ IIIC werden Femoralhernien
Schenkelbrüche werden nicht erfasst. Bei Typ I fin- klassifiziert. Unter Typ IV werden alle Rezidivbrü-
det sich ein kleiner, fester innerer Leistenring mit che der Inguinalregion zusammengefasst. Diese
einem Brucksack beliebiger Größe. Eine Erweite- Klassifikation hat sich in der klinischen Routine,
rung des inneren Leistenrings auf 1 Querfinger ent- nicht zuletzt wegen ihrer einfachen Handhabung,
spricht Typ II, passen 2 Querfinger hinein, wird der sehr gut bewährt, so auch in unserer Klinik. Die von
Bruch als Typ III klassifiziert. Bei Typ IV findet sich Bendavid (1994) vorgeschlagene Klassifikation ist
ein großer medialer Defekt, bei Typ V nur eine klei- sehr komplex und dürfte nur in Spezialkliniken An-
ne direkte Hernie. Rutkow u. Robbins (1993) fügten wendung finden. Als Kriterien gelten die anatomi-
dieser Einteilung noch die kombinierten Hernien sche Lokalisation der Bruchpforte, die Ausdehnung
und die Schenkelhernien als 2 eigenständige Typen des Bruchsackes und die Größe des Bauchwandde-
– Typ VI bzw. Typ VII – bei. Beide Klassifikationen fektes. Daraus ergibt sich das sog. TSD-Schema
basieren auf dem intraoperativ vorliegenden Situs (Type, Staging, Dimension; . Tab. 3.3). Danach er-
bei anteriorem Zugang. Für die laparoskopische folgt eine Aufteilung der Inguinalhernien in 5 Ty-
Operationsmethode sind sie daher nur bedingt ge- pen, wobei Bendavid neue Bezeichnungen für die
eignet. Lokalisation eingeführt hat, nämlich Typ I: anterola-
Grundlage der Klassifikation von Nyhus (Nyhus teral (früher indirekt), Typ II: anteromedial (früher
1993) sind anatomische Kriterien, nämlich die Wei- direkt), Typ III: posteromedial (früher femoral),
te des inneren Leistenrings, die Verlagerung der epi- Typ IV: posterolateral (femoral, lateral der Gefäße)
gastrischen Gefäße sowie der Zustand der Hinter- und Typ V: anteroposterior (medial zwischen Gefä-
wand des Leistenkanals. Es werden 4 Typen unter- ßen und Os pubis mit Zerstörung des Lig. inguinale).
schieden, wobei Typ III noch in 3 weitere Subtypen Die Stadieneinteilung 1‒3 richtet sich nach dem
unterteilt wird (. Tab. 3.2). Beschrieben werden Ausmaß der Vorwölbung. Unter Dimension schließ-
Typ I als indirekte Leistenhernie mit unauffälligem lich wird der größte Durchmesser des Bauchwand-
inneren Leistenring (kindliche Hernie) und Typ II defektes verstanden.
als indirekte Leistenhernie mit Erweiterung des in- Schumpelick et al. (1994) schlugen eine umfas-
neren Leistenrings bei intakter Hinterwand des Leis- sende Klassifikation vor, die sowohl bei offenem als
A Direkte Leistenhernie
B Indirekte Leistenhernie mit erweitertem inneren Leistenring und Schwäche bzw. Defekt
der Fascia transversalis
C Femoralhernie
A Direkt
B Indirekt
C Femoral
. Abb. 3.1A–D. Sonographische Befunde nach laparoskopi- (TEP). B Gemischt reflexive Raumforderung, DD: organisiertes
scher Hernioplastik. Transversalschnitte. A Areflexive Raumfor- Hämatom, obliterierter Bruchsack, nach TEP. C Irregulär echo-
derung mit dorsaler Schallverstärkung, vereinbar mit einem arme Strukturvermehrung ventral des Netzimplantates, ent-
Hämatom bzw. Serom, ventral des gewellten Reflexbandes sprechend dem Narbengewebe (klinisch Pseudorezidiv). D In
(Netzimplantat) nach totaler extraperitonealer Hernioplastik die Subkutis der Leistenregion disloziertes Netzimplantat
26 Kapitel 3 · Klassifikationssysteme und Diagnostik der Leisten- und Bauchwandhernien
Die apparative Herniendiagnostik spielt nur eine beiden Verfahren beim Herniennachweis. Im Falle
untergeordnete Rolle und ist speziellen Fragestellun- der CT wurde eine Sensitivität von 83% und eine
gen vorbehalten. Von den bildgebenden Verfahren Spezifität zwischen 67 und 83% ermittelt (Hahn-Pe-
kommt der Sonographie die größte Bedeutung zu. dersen et al. 1994; Højer et al. 1997). Einer vorläufi-
Wir führen die Untersuchung am liegenden und ste- gen Studie zufolge konnten 84,6% der Hernien pro-
henden Patienten mit einem 7,5-MHz- oder 12- spektiv mittels der MRT korrekt diagnostiziert wer-
3 MHz-Linearschallkopf unter gleichzeitiger Austas- den (Van den Berg et al. 1997).
tung des Leistenkanals durch. Da es sich um eine
dynamische Untersuchung handelt, werden die Pa-
tienten zur Ausführung eines Valsalva-Manövers Literatur
(Husten bzw. Pressen) aufgefordert. Entgegen der
Bendavid R (1994) The T.S.D. classification – A nomenclature
herkömmlichen Annahme lässt sich mittels der So- for groin hernias. In: Schumpelick V, Wantz GE (eds) Ingui-
nographie einschließlich der Farb- und Powerdopp- nal hernia repair. Karger, Basel
lersonographie eine Differenzialdiagnose in direkte Gilbert AI (1989) An anatomic and functional classification for
und indirekte Leistenhernien nicht exakter stellen the diagnosis and treatment of inguinal hernia. Am J Surg
157: 331–333
als durch die klinische Untersuchung. In der neues-
Hahn-Pedersen J, Lund L, Hansen Højhus J, Bojsen-Møller F
ten Publikation zu diesem Thema betrug die Treffsi- (1994) Evaluation of direct and indirect inguinal hernia by
cherheit sogar nur 45% (Zhang et al. 2001). Als computed tomography. Br J Surg 81: 569–572
Grund führten die Autoren den Umstand an, dass Højer AM, Rygaard H, Jess P (1997) CT in the diagnosis of ab-
die A. epigastrica inferior in ihrem ursprungsnahen dominal wall hernias: a preliminary study. Eur Radiol 7:
1416–1418
Abschnitt, wo sie geschlängelt verläuft, nicht immer
Nyhus LM (1993) Individualization of hernia repair: a new era.
gut sichtbar ist. Surgery 114: 1–2
Die Sonographie hat einen hohen Stellenwert in Ralphs DNL, Brain AJL, Grundy DJ, Hobsley, M (1980) How ac-
der postoperativen Beurteilung der laparoskopi- curately can direct and indirect inguinal hernias be distin-
schen Hernioplastik. Komplikationen wie z. B. die guished? Br Med J 280: 1039–1040
Read R (1984) The development of inguinal herniorrhaphy.
Hämatom- bzw. Serombildung oder die Dislokation
Surg Clin North Am 64: 185–196
des Netzes lassen sich zuverlässlich detektieren Rutkow IM, Robbins AW (1993) »Tension-free« inguinal her-
(. Abb. 3.1). Außerdem erlaubt die Sonographie niorrhaphy: a preliminary report on the »mesh plug«
eine suffiziente Unterscheidung zwischen dem Nar- techique. Surgery 114: 3–8
bengewebe, das wie ein Rezidiv imponiert (Pseudo- Rutkow IM, Robbins AW (1998) Classification systems and
groin hernias. Surg Clin North Am 78: 1117–1127
rezidiv), und dem echten Rezidiv (. Abb. 3.1). Dar-
Schumpelick V, Treutner K-H, Arlt G (1994) Klassifikation von
über hinaus besitzt die Sonographie eine hohe Sen- Inguinalhernien. Chirurg 65: 877–879
sitivität und Spezifität (über 80% bzw. 90%) in der Truong S, Pfingsten FP, Dreuw B, Schumpelick V (1993) Stellenw-
Differenzialdiagnostik von unklaren Befunden der ert der Sonographie in der Diagnostik von unklaren Befun-
Bauchwand und Leistenregion (Truong et al. 1993). den der Bauchwand und Leistenregion. Chirurg 64: 468
Van den Berg JC, Valois JC de, Go PM, Rosenbusch G (1997)
Die häufigsten Differenzialdiagnosen der Inguinal-
Dynamic magnetic resonance imaging in the diagnosis of
hernien sind groin hernia. Invest Radiol 32: 644–677
4 Lipom, Zhang G-Q, Sugiyama M, Hagi H, Urata T, Simamori N, Atomi Y
4 Lymphadenitis, (2001) Groin hernias in adults: value of color doppler so-
4 Varixknoten der V. saphena, nography in their classification. J Clin Ultrasound 29:
429–434
4 Hydrozele,
Zollinger RM jr (2003a) A unified classification for inguinal
4 Varikozele, hernias. Hernia 3: 195–200
4 Abszesse, Zollinger RM jr (2003b) Classification systems for groin herni-
4 Malignome (z. B. Sarkome, Metastasen). as. Surg Clin North Am 83: 1053–1063
Fazit – 36
Literatur – 36
28 Kapitel 4 · Ursachen der Rezidiventstehung (Risikofaktor Chirurg/Patient)
. Abb. 4.1. Leistenhernien, Nordrhein 1993–1999, erstmalig Quelle: Qualitätssicherung Chirurgie der Ärztekammer Nord-
operierte Hernien und Rezidive, Patientenalter über 14 Jahre. rhein, http://www.aekno.de/
tion, für diese Fragestellung zu falschen Schlussfol- um die Entscheidung für oder gegen ein Operations-
gerungen führen kann. verfahren zu unterstützen. Aufgrund der Vielzahl
Den initial hohen Rezidivraten bei Leistenher- der zur Verfügung stehenden Operationstechniken
nienoperationen steht mittlerweile ein weites Spek- wird auf 3 wesentliche Reparationsprinzipien ver-
trum verfügbarer Reparationsverfahren gegenüber. wiesen:
Im Folgenden wird auf verschiedene Einflussfakto- 1. Konventionelle Operationsverfahren ohne
ren bezüglich der Rezidiventstehung eingegangen, Netz: Es wird überwiegend auf die Shouldice-
30 Kapitel 4 · Ursachen der Rezidiventstehung (Risikofaktor Chirurg/Patient)
Operation Bezug genommen, die sich in den sog. Plateauphase über. Je nach Art der Operation
letzten Jahren als Standardverfahren für die kon- beträgt diese Lernkurve 25 bis weit über 100 Eingrif-
ventionelle Reparation etabliert hat. fe. Die Verwendung neuer Operationstechniken be-
2. Konventionelle Operationsverfahren unter Ver- dingt jeweils das vollständige oder teilweise Durch-
wendung eines Kunststoffnetzes: Es wird auf laufen einer neuen Lernkurve. . Abbildung 4.3a
die Lichtenstein-Operation verwiesen, die sich zeigt die Konversionsrate für über 1.200 TEP-Herni-
als konventionelles Standardverfahren unter enreparationen in Abhängigkeit von der Anzahl
Verwendung alloplastischen Materials etabliert durchgeführter Eingriffe. Es zeigt sich hier ein typi-
4 hat. scher lernkurvenartiger Verlauf mit einer Plateau-
3. Minimalinvasive Operationsverfahren unter phase ab etwa 500 Eingriffen. Alle Eingriffe dieser
Verwendung von alloplastischem Material: Es prospektiven Studie wurden von 4 hernienchirur-
werden die total extraperitoneale Hernioplastik gisch erfahrenen Operateuren durchgeführt, alle
(TEP) und die transabdominelle präperitoneale Operateure hatten bereits ausgewiesene Kenntnisse
Hernioplastik (TAPP) vorgestellt. in der laparoskopischen Hernienreparation nach
dem TAPP-Verfahren. Es fällt auf, dass trotz Erfah-
rung in der minimalinvasiven Chirurgie bei den je-
4.1 Risikofaktor Chirurg weiligen Operateuren dennoch eine ausgeprägte
Lernkurve zu beobachten ist. Dies bedeutet, dass
4.1.1 Individuelle Erfahrung des nicht nur mit dem Beginn des Erlernens der mini-
Operateurs malinvasiven Chirurgie, sondern auch mit dem Er-
lernen einer neuen minimalinvasiven Technik eine
Die minimalinvasive Chirurgie hat die »Lernkurve« erneute Lernkurve durchlaufen wird. Entscheiden-
als Begriffsnovum in die chirurgische Welt einge- der als die Konversionsrate ist in diesem Kontext
führt. Unter einer Lernkurve wird die Anzahl von jedoch die Anzahl an Rezidiven. . Abbildung 4.3b
Eingriffen verstanden, die ein Operateur benötigt, zeigt, dass diesbezüglich ebenfalls eine Lernkurve
um ein dauerhaft gutes Ergebnis in Bezug auf einen durchlaufen wird. Oberhalb von 500 durchgeführ-
bestimmten Faktor zu erreichen. Dies gilt analog für ten Eingriffen wird eine niedrige Rezidivquote er-
Faktoren wie Operationszeit, Komplikationsrate reicht, die wahrscheinlich in eine Plateauphase über-
und Rezidivrate. . Abbildung 4.2 zeigt eine typische geht. Somit stellt die individuelle Erfahrung des
Lernkurve für die laparoskopische Chirurgie. Eine Operateurs einen wesentlichen Faktor für die Rezi-
niedrige Komplikationsrate wird hier nach etwa divquote in der minimalinvasiven Hernienchirurgie
20–25 Eingriffen erreicht, die Lernkurve geht in die dar.
a b
. Abb. 4.3a, b. Einfluss der Operationserfahrung auf die Er- nienreparationen wurden von 4 erfahrenen Operateuren
gebnisse bei TEP. a Konversionsrate in Abhängigkeit von der durchgeführt und prospektiv erfasst. Alle Operateure hatten
Anzahl durchgeführter Eingriffe. b Rezidivquote in Abhängig- bereits langjährige Erfahrung in der TAPP-Technik. Das Follow-
keit von der Anzahl durchgeführter Eingriffe. 1.227 TEP-Her- up betrug im Mittel 40,6 Monate (Feliu et al. 2001)
Es ist anzunehmen, dass derartige Lernkurven netz im Hinblick auf die Erfahrung des Operateurs
auch für die konventionellen Operationstechniken zu zu ermöglichen, wurde in Schweden eine prospektiv
beobachten sind, es liegen hierzu jedoch nur wenig randomisierte Studie an 300 Patienten durchgeführt
prospektive Daten vor. Die Autoren der Lichtenstein- (Nordin et al. 2002). Für diese Studie wurden 5 As-
Operation geben jedoch an, dass mit der Lichtenstein- sistenzärzte sowohl in der Operationstechnik nach
Technik auch bei wenig erfahrenen Operateuren mit Lichtenstein als auch in der Technik nach Shouldice
einer geringen Frequenz an Eingriffen Rezidiv- und trainiert. Nachfolgend erfolgte die Datenerfassung
Komplikationsraten von unter 1% erreicht werden an 300 konsekutiven Patienten in Bezug auf die Re-
(Amid 2002, Lichtenstein et al. 1993). Wie bereits er- zidivquote in Abhängigkeit von der Operationstech-
wähnt, werden für die konventionelle Operationstech- nik. Die Operationen fanden in einem Versorgungs-
nik nach Shouldice Rezidivquoten für erfahrene Ope- krankenhaus statt, es handelte sich also nicht um
rateure von unter 2% angegeben (. Tab. 4.1). eine Schwerpunktklinik. . Tabelle 4.3 zeigt die Stu-
Um einen direkten Vergleich der konventionel- dienergebnisse: Die Rezidivquote für alle Hernien-
len Operationstechniken mit oder ohne Kunststoff- typen lag bei Verwendung der Shouldice-Technik
. Tabelle 4.3. Vergleich der Rezidivquoten von Shouldice-Operation und Operation nach Lichtenstein. Ergebnisse von
5 Operateuren nach Training in beiden Techniken (Nordin 2002)
Direkt 47 4 (9) 41 0
Indirekt 84 1 (1) 84 0
Kombiniert 9 1 (11) 14 0
Gleithernie 8 1 (12) 10 1 (10)
Alle 148 7 (4,7) 149 1 (0,7)
32 Kapitel 4 · Ursachen der Rezidiventstehung (Risikofaktor Chirurg/Patient)
bei 4,7%. Dies deckt sich mit den Daten der EU Her- 4.1.2 Operationstechnik
nia Trialists Collaboration. Für die Lichtenstein-
Operation wird eine deutlich niedrigere Rezidivrate In Bezug auf die Rezidivfaktoren für Hernienopera-
von 0,7% angegeben. Somit konnte im direkten Ver- tionen hat Nyhus gesagt: »The most commmon
gleich der Operationstechniken bei nicht speziali- cause of recurrent hernia is poor technical perform-
sierten Operateuren in einer Versorgungsklinik ance by the surgeon at the first Operation« (Nyhus
gezeigt werden, dass die Lichtenstein-Operation 1989). Bei der Diskussion um technische Varianten
mit einer Rezidivquote von unter 1% durchgeführt ist also zu berücksichtigen, dass die korrekte techni-
4 werden kann. sche Ausführung der Operation als wesentlicher
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Faktor anzusehen ist.
Erfahrung des Operateurs einen wesentlichen Fak- Für die Shouldice-Operation werden verschie-
tor in der Hernienrezidiventstehung ausmacht. Die dene Einflussfaktoren angegeben, die zu einer Rezi-
Lernkurve für minimalinvasive Eingriffe wie die diventstehung führen können. Dies sind die unvoll-
TEP scheint deutlich über 100 Operationen zu lie- ständige Einengung des inneren Leistenringes, die
gen, für konventionelle Verfahren sind ähnliche Verwendung von resorbierbarem Nahtmaterial, die
Werte anzunehmen. Mit dem Erlernen einer neuen unvollständige Reparation der Hinterwand, eine
Technik wird auch eine neue Lernkurve durchlau- übersehene (indirekte) Hernie oder eine zu hohe
fen. Die Lichtenstein-Operation kann auch von we- Nahtspannung.
nig erfahrenen Operateuren mit einer Rezidivquote Die unvollständige Einengung des inneren Leis-
von unter 1% durchgeführt werden. Mit der Shoul- tenringes kann Folge einer unvollständigen Präpara-
dice-Reparationstechnik werden gute Rezidivquo- tion sein (Schumpelick 1990, Tons et al. 1990, Ris et
ten von unter 2% nur von erfahrenen Operateuren al. 1987). Dies kann zum Belassen eines präperitone-
erreicht. In der Regelversorgung ist hier von einer alen Lipoms führen und somit zu einer insuffizien-
Rezidivrate von deutlich über 4% auszugehen. Somit ten Einengung des inneren Leistenringes. Ebenso
erscheint für die Regelversorgung insbesondere die kann der Verzicht auf eine Resektion des M. cremas-
Lichtenstein-Operation geeignet. Technisch versier- ter oder ein übersehener Bruchsack eine unvollstän-
te Operateure werden jedoch auch mit der Shouldi- dige Einengung und damit ein Hernienrezidiv be-
ce-Operation und den minimalinvasiven Verfahren dingen.
gute Ergebnisse erreichen. Die Entscheidung muss Der Einfluss des Nahtmaterials ist an einem um-
hier also auch in Abhängigkeit von der individuellen fangreichen Patientenkollektiv untersucht worden
Erfahrung getroffen werden. (Nordin et al. 2003). . Abbildung 4.4 zeigt das ku-
mulative Rezidivrisiko in Abhängigkeit von der Ver- Nähten vermieden wird. Von den Autoren wird hier
wendung von nichtresorbierbarem, langsam bzw. eine sog. Domkonfiguration empfohlen, d. h. das
schnell resorbierbarem Nahtmaterial. Datenquelle Netz ist im Zentrum spannungsfrei und leicht erha-
ist das schwedische Hernienregister, in dem von ben. Der intraabdominelle Druck übt somit einen
1992 bis 2000 über 18.000 konventionell ohne Netz Druck auf die Nahtreihe aus, Spannungskräfte wer-
operierte Patienten erfasst wurden. Das kumulative den vermieden. Zudem wird so die Netzschrump-
Rezidivrisiko liegt bei der Verwendung von schnell fung ausgeglichen. Nur mit dieser Netzkonfigura-
resorbierbarem Nahtmaterial etwa doppelt so hoch tion kann ein spannungsfreies Verfahren erreicht
wie bei der Verwendung von nichtresorbierbarer werden.
Prolene-Naht. Langsam resorbierbares Nahtmateri- Für endoskopische Operationsverfahren liegen
al führt ebenfalls zu einer erhöhten Rezidivquote. verschiedene Studien bezüglich Rezidivursachen
Für die Lichtenstein-Operation werden von den vor. . Tabelle 4.4 gibt einen Überblick über Rezidiv-
Autoren der Technik die im Folgenden angeführten ursachen von 7 Schwerpunktkliniken an über
konkreten Hinweise zur Vermeidung von Rezidiven 7000 Patienten. 34 der 35 Rezidive traten hierbei in
gegeben (Amid 2002, Amid und Lichtenstein den ersten 6 Monaten auf. Als häufigste Rezidivur-
1997). sache konnte eine inadäquate Lage des Netzes bzw.
eine inadäquate Netzgröße festgestellt werden. Eine
Netzgröße. Das Netz sollte entsprechend groß ge- weitere häufige Ursache ist die Verwendung eines
wählt werden. Das Netz sollte dabei die folgenden Netzschlitzes, was insbesondere in den Anfangszei-
anatomischen Punkte überdecken: 2 cm medial des ten der Operationstechnik durchgeführt wurde.
Tuberculum pubicum, 3–4 cm oberhalb des Hessel- Das Vorgehen war hier analog zur Lichtenstein-
bach-Dreiecks, 5–6 cm lateral des inneren Leisten- Operation, die Netzzipfel konnten jedoch technisch
ringes. Von den Autoren wird eine Netzgröße von bedingt nicht verschlossen werden, so dass hier ein
7×15 cm empfohlen. Durchtritt für Hernienrezidive gegeben war. Eine
weitere Ursache mit über 10% der Fälle waren über-
Netzzipfel. Die Netzzipfel zur Umscheidung des Sa- sehene Hernien. Von Lowham liegt eine nähere
menstranges müssen gekreuzt und vernäht werden. Analyse der Rezidivfaktoren vor (Lowham et al.
Andernfalls besteht eine Rezidivgefahr durch Pro- 1997). Als wesentliche Ursache von Rezidiven bei
trusion intraabdomineller Strukturen entlang des TAPP und TEP wird eine inkomplette Dissektion
inneren Leistenringes. im Operationsgebiet angesehen. Hierdurch werden
ipsilaterale Hernien übersehen, es wird ein zu klei-
Netzfixierung. Das Netz sollte mit 2 Einzelknopf- nes Netz ausgewählt und die Netzüberlappung kann
nähten am Oberrand fixiert werden. Am Leisten- insuffizient sein. Zudem kann es zur Protrusion
band sollte eine fortlaufende Naht mit 3–4 Stichen von präperitonealem Fett im Sinne einer Lipomher-
erfolgen. nie oder Pseudohernie kommen. Ein zu klein ge-
wähltes Netz kann aufgrund der Netzschrumpfung
Vermeidung von Netzspannung. Das Netz sollte so bzw. einer Defektvergrößerung zu einem lokalen
positioniert werden, dass eine Spannung an den Rezidiv führen. Zudem können Rezidive außerhalb
des Netzes entstehen. Empfohlen wird für die en- 4.1.3 Postoperativer Verlauf
doskopischen Techniken eine Netzgröße von
13×15 cm. Über die postoperative Belastungsfähigkeit nach
Die sorgfältige Exploration des Operationsge- Operation bezüglich der Rezidivhäufigkeit liegen
bietes ist, wie im vorigen Absatz bereits angespro- widersprüchliche Angaben vor. In den letzten Jahren
chen, für den Erfolg der Operation essentiell. Shoul- hat sich jedoch eine frühe Mobilisation durchgesetzt.
dice hat am eigenen Patientenkollektiv die Anzahl In der Shouldice-Klinik wird eine Mobilisierung so-
an Zweithernien als intraoperativen Zufallsbefund fort nach Operation durchgeführt, die Patienten set-
4 ausgewertet (Shouldice 2003). In insgesamt 72.228 zen ihre Berufstätigkeit im Mittel nach 8 Tagen fort
Hernienoperationen wurde in 15,4% der Fälle eine (Shouldice 2003). Das frühe Mobilisationskonzept
Zweithernie gefunden. 70% der Zweithernien traten wird von Daten unterstrichen, die zeigen, dass die
bei Femoralhernien auf, 24,5% bei direkten Hernien Gewebestärke nach Shouldice-Reparation höher als
und 7,9% bei indirekten Hernien. Zweithernien physiologisch ist (Junge et al. 2003). Dies bedeutet,
stellen somit einen häufigen intraoperativen Befund dass die Gewebeadaptation in der frühpostoperati-
dar. Eine übersehene Zweithernie ist pathophysio- ven Phase übliche Belastungen inklusive körperli-
logisch nicht als Rezidiv zu betrachten, imponiert cher Arbeit tragen kann. Die Autoren der Lichten-
für den Patienten jedoch als ebensolches und hat stein-Operation geben ebenfalls eine sofortige post-
einen Zweiteingriff zur Folge. Dies unterstreicht die operative Belastung an (Lichtenstein et al. 1993).
Notwendigkeit einer sorgfältigen intraoperativen Somit scheint eine frühe postoperative Belastung
Exploration unabhängig von der verwendeten Tech- keinen Rezidivfaktor darzustellen.
nik, um weitere vorliegende Hernien diagnostizie- Postoperative Komplikationen führen zu einer
ren zu können. höheren Rezidivhäufigkeit. . Tabelle 4.5 zeigt das
Zusammenfassend lässt sich für operationstech- relative Rezidivrisiko für postoperative Komplika-
nische Gemeinsamkeiten aller Verfahren bezüglich tionen. Dieses ist mit 2,2 im Vergleich zur Norm bei
der Rezidivhäufigkeit feststellen, dass eine vollstän- der Shouldice-Operation deutlich erhöht. Nilsson
dige Dissektion des Operationsgebietes essentiell ist. hat 12.542 Leistenhernienoperationen bezüglich des
So wird ein ausreichender Verschluss der Bruchlü- postoperativen Verlaufes ausgewertet (Nilsson et al.
cke bei der Shouldice-Operation sichergestellt, für 1998). Es traten 1.189 Komplikationen innerhalb
die netzbasierten Verfahren kann eine adäquate der ersten 30 Tage auf. Das relative Rezidivrisiko lag
Netzgröße und korrekte Platzierung gewährleistet hierbei bei 2,31 und deckt sich mit den Daten des
werden. Bislang nicht bekannte intraoperativ festge- schwedischen Hernienregisters (. Tab. 4.5). Insge-
stellte Zweithernien müssen ebenfalls erkannt und samt traten 9% Komplikationen auf, von denen 4%
versorgt werden. Hämatomen zugeordnet wurden, 1% Infekten, 1%
Frührezidiven und 3% sonstigen Komplikationen.
Somit erhöhen insbesondere Hämatome als häufige
postoperative Komplikationen das Rezidivrisiko.
. Tabelle 4.5. Relatives Rezidivrisiko in Abhängigkeit von OP-Technik und postoperativen Komplikationen (Haapaniemi
2001)
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II
Alloplastische
Materialien
in der Hernienchirurgie
5 Textile Eigenschaften und Charakteristika
alloplastischer Materialien – 41
N. Burdinski
7 Meshbezogene Komplikationen – 59
J. Gröne
Textile Eigenschaften
und Charakteristika
alloplastischer Materialien
N. Burdinski
4 expandiertes Polytetrafluorethylen (ePTFE), von unter 2 µm bis zu 4 mm. Die ideale Vorstel-
4 teilresorbierbare Netze, lung bei der Porengröße ist, dass sich im Rahmen
4 resorbierbare Netze, einer Entzündungsreaktion, die durch das einge-
4 beschichtete Netze. brachte Netz entstehen soll, Granulations- bzw.
Bindegewebe entwickelt. Dieses soll durch die vor-
Diese werden auf den nächsten Seiten beschrieben handenen Poren auch die Möglichkeit haben, durch
und die charakteristischen Eigenschaften miteinan- das Netz hindurchzuwachsen; und das Mesh auf
der verglichen, wobei zunächst ein Überblick über diese Weise in eine dreidimensionale Struktur
die Charakteristika alloplastischer Materialien gege- integrieren. Diese Theorie begründet sich auf frü-
ben wird; anschließend werden die heute gebräuch- heren Beobachtungen bei Netzen mit sehr kleinen
lichen Netze dargestellt und schließlich ein Ausblick Poren, bei denen sich lediglich eine Narbenplatte
auf neuere Entwicklungen gegeben. um das Netz herum bildete. Hierdurch wurde dem
Netz der eigentliche Halt im Gewebe genommen
und zum anderen die Elastizitätseigenschaften
5.2 Charakteristika alloplastischer des Netzes nicht ausgenutzt. Idealerweise sollte ein
Materialien Netz heute also eine möglichst große Porengröße
besitzen.
Wie beschreibt man Netze? Wodurch zeichnen sie
sich aus? Wie kann man sie miteinander verglei-
chen? 5.2.3 Netzdicke
5.2.5 Gewicht
5.2.6 Elastizität
. Abb. 5.3. Elastizität. Dargestellt sind ein Vypro-Netz (links) mit einer Elastizität von 28% gegenüber einem Prolene-Netz
(rechts) mit einer Dehnungsfähigkeit von max. 8%
5.3 · Heute verwendete alloplastische Materialien
45 5
Letztlich ist bei der Entwicklung neuer Netze in Be- abhängig. Es wird vermutet, dass die Entzündungs-
zug auf die Elastizität immer ein Tribut an den reaktion für Veränderungen verantworlich ist, die
nächsten Punkt zu zahlen. sich an dem Netz vollziehen können, speziell Netz-
degeneration und Netzschrumpfung. Für die genau-
en Zusammenhänge soll hier jedoch auf andere Bei-
5.2.7 Maximale Druckbelastung träge verwiesen werden (7 Kap. 6, 7 Kap. 7).
5.3.2 Polyester
. Abb. 5.4. Biokompatibilität. In einem histologischen
Schnittpräparat zeigen sich die um die weiß dargestellten al-
loplastischen Fasern gruppierten inflammatorischen Zellen Polyester ist das älteste alloplastische Material, das
innerhalb des Bindegewebes, entsprechend der chronischen heute noch für die Hernienchirurgie existiert. Es
Entzündungsreaktion wurde 1939 zum ersten Mal beschrieben und war
46 Kapitel 5 · Textile Eigenschaften und Charakteristika alloplastischer Materialien
Hernienchirurgie zur Anwendung. Heute werden häsionen, was es für die intraabdominelle Hernien-
ePTFE-Netze (. Abb. 5.10), besser bekannt unter chirurgie geeignet macht. Es treten nur sehr selten
dem Namen GoreTex, vornehmlich in der intraab- Netzinfektionen, sogar seltener als beim Polypropy-
dominellen, laparoskopischen Hernienchirurgie lenenetz. Kritikpunkt an dieser Art des Netzes ist die
verwendet, die u. a. in den Vereinigten Staaten Ver- Ausbildung einer Narbenplatte anstelle einer dreidi-
breitung findet. mensionalen Bindegewebsstruktur, d. h. das Mesh
ePTFE unterscheidet sich deutlich von allen an- wird aufgrund der geringen Porengröße nicht in das
deren auf dem Markt befindlichen Netzen. Es ist entstehende Bindegewebe integriert. Meshdisloka-
nichtresorbierbar, äußerst kleinporig (20 µm) und tion und Patientendiskomfort sind in der Vergan-
hat eine Dicke von ca. 1 mm. Anders als die anderen genheit beschriebene einzelne Komplikationen.
Netze besteht es nicht aus einer Flecht- oder Häkel-
struktur, sondern entwickelt durch die Technik der
Expansion eine spinnennetzartige Struktur des 5.4 Neu entwickelte alloplastische
PTFEs, deren Hohlräume die kleinen Poren darstel- Materialien (. Tab. 5.2)
len. ePTFE ist unelastisch, aber mit einer sehr hohen
Reißfestigkeit ausgestattet. Zusätzlich besitzt es eine 5.4.1 Ultrapro
sehr hohe Biokompatibilität, denn es ist für GoreTex
praktisch keine chronische Entzüngungsreaktion Ultrapro (. Abb. 5.11) gehört in die Sparte der teil-
beschrieben, ebenso kam es nur zu minimalen Ad- resorbierbaren Netze, muss also verglichen werden
5.4.2 DualMesh
aktionen minimieren bzw. verhindern. Die charak- Beschichtung aus interstitiellem Kollagen IV, wel-
teristischen Eigenschaften des TiMesh sind im Wei- ches im weiteren Verlauf die besonders beim Polyes-
teren wie folgt: ein nichtresorbierbares Netz mit ter beschriebenen Adhäsionen und konsektuiven
einer Porengröße >1mm, dünnschichtig (0,2 mm) enterokutanen Fistelbildungen vor seiner sukzessi-
und monofilament geknüpft. Es existieren 2 Varian- ven Resorption inhibieren soll.
ten des TiMesh, zum einen mit einem Gewicht von Ein besonderes Netz stellt das sog. Tutomesh
36 g/m2, zum anderen das Mesh mit 18 g/m2, wel- dar, da seine Grundsubstanz aus bovinem Perikard
ches dem bislang leichtesten Netz auf dem Markt besteht, also aus einem Material, das per se prak-
entspricht. Laut Herstellerangaben besitzt das Ti- tisch keine Entzündungsreaktion hervorruft, da es
Mesh eine exzellente Biokompatibilität mit prak- nicht aus allogenem Material hergestellt ist. Um die
tisch keiner chronischen Entzündungsreaktion oder Eigenschaften eines Meshes zu imitieren, sind in das
Adhäsionsbildung. Letztlich fehlen bei diesem Netz Perikard Poren gestanzt, die das konsekutive Ein-
wie auch den anderen Neuentwicklungen Langzeit- sprossen von Fibroblasten ermöglichen, um eine
beobachtungen, die eine definitive Aussage hierüber Integration des Netzes in das Bindegewebe zu er-
erlauben. möglichen. Die Möglichkeit der BSE-Übertragung
ist durch eine mehrstufige Verarbeitung des Materi-
als nach Herstellerangaben ausgeschlossen. Das Pe-
5.4.4 Sondermodelle rikard besitzt eine hohe Elastizität (32%) bei zuneh-
mender Reißfestigkeit im Verlauf der Bindege-
Das sog. Vlies stellt ein monofiles Polypropylenenetz websintegration.
dar, dessen Fäden nicht miteinander verknüpft, son-
dern verschweißt sind. Hierdurch lässt sich ein dün-
nes und leichtes Netz bei maximaler Reißfestigkeit 5.5 Welches Netz?
herstellen.
Das Sepramesh gehört ebenfalls in die Kategorie Nach Darstellung einer Reihe von Netzen in ihren
der Polypropylenenetze und ist auf der viszeralen einzelnen Charakteristika stellt sich nun die Frage,
Oberfläche mit einem sog. Seprafilm beschichtet. welches dieser Netze dasjenige mit den optimalen
Dieser besteht aus Natriumhyaluronat und Methyl- Eigenschaften für die Hernienchirurgie darstellt.
cellulose, welche nach einem Zeitraum von 14 Tagen Viel wird über das sog. »ideale Netz« diskutiert, von
resorbiert werden. Mittels dieser Beschichtung sol- dem auch in einem weiteren Kapitel dieses Buches
len die intraabdominellen Adhäsionsbildungen ver- die Rede ist (7 Kap. 6).
hindert werden, ähnlich dem TiMesh, bei dem eine Gibt es dieses ideale Netz unter den bisher vor-
permanente Beschichtung vorhanden ist. handenen?
Das Parietex ist das Gegenstück zum Sepramesh Betrachtet man erneut die Tabellen der heutigen
auf der Ebene der Polyesternetze. Hier besteht die Standardnetze sowie der Neuentwicklungen, so ist
52 Kapitel 5 · Textile Eigenschaften und Charakteristika alloplastischer Materialien
6.3 Fazit – 57
Literatur – 57
54 Kapitel 6 · Physiologie und Pathophysiologie von Mesh-Implantaten – Gibt es das ideale Netz?
wanderung beginnt ab dem 5. Tag, nimmt dann 6.2.1 Wie reagiert das Mesh auf den
deutlich zu und erreicht am 7. Tag ihre größte Kon- Körper?
zentration. Diese ist besonders wichtig für die Bil-
dung der extrazellulären Matrix (Efron et al. 1990). Hierzu sind vielfältig Arbeiten in der Literatur er-
In der Proliferationsphase kommt es zur Bildung schienen, die diese Reaktionen beschreiben. Einhel-
von Granulationsgewebe; welches ein loses Netz- lig ist die Meinung, dass es nach der Implantation zu
werk aus Fibroblasten, Entzündungszellen und En- einer Reaktion des Kunststoffnetzes kommt.
dozelzellen. Amid aus der Gruppe um Lichtenstein hat 1997
Die 4. Phase, die Organisationsphase, beginnt ab beschrieben, dass es bei explantierten Kunststoffnet-
dem 7. Tag und dauert bis zu 1 Jahr. Sie umfasst die zen aufgrund eines Rezidivs einer Leistenhernie zu
Strukturbildung der extrazellulären Matrix. In ihr einer Reduktion der Meshfläche von ca. 40% ge-
werden das Fibrin, Fibronektin und weitere Glyko- kommen ist (Amid u. Lichtenstein 1997). Auch
proteine mit der Zeit durch Kollagen ersetzt. Es Klinge et al. haben 1998 anhand von in Hunden
kommt dabei zur Interaktion der Fibrogenese und implantierten Kunststoffnetzen eine Reduktion der
Fibrolyse (. Abb. 6.1), die in ihrer Wechselwirkung Meshfläche von 47% gefunden (Klinge et al. 1998).
den Aufbau der extrazellulären Matrix beeinflussen. Auch weitere Autoren haben über eine Reduktion
Zunächst wird hauptsächlich Typ-III-Kollagen in der Meshfläche berichtet (Scheidbach et al. 2003).
der Wunde gebildet. Später besteht die Narbenre- Im Gegensatz dazu steht Coda et al., der in seiner
gion zu 90% aus Typ-I-Kollagen (Gailit u. Clark 2003 veröffentlichten Arbeit erstmals nicht nur über
1994). eine Reduktion der Meshfläche von 40% berichtet,
sondern auch über eine Vergrößerung auf bis zu 58%
(Coda et al. 2003). Er hat dabei als kleinste Einheit
6.2 Wundheilung bei der Implan- die Porengröße der Meshes genommen und diese
tation von Kunststoffnetzen zum einen nach Einlage in verschiedenen flüssigen
Lösungen (physiologische Kochsalzlösung, hepari-
Die Frage, wie die Wundheilung bei der Implantati- nisiertes Blut, destilliertes Wasser) und zum ande-
on von Kunststoffnetzen verläuft, kann man ähnlich ren aufgrund von Hernienrezidiven explantierten
wie bei der Einnahme von pharmakologischen Meshes bestimmt.
Wirkstoffen, die man in Pharmakodynamik und Obwohl diese Veränderungen der in der Arbeit
Pharmakokinetik unterteilt, in 2 verschiedene Kate- bestimmten Werte als kritisch angesehen werden,
gorien unterteilen. kann dennoch festhalten werden, dass es sowohl zu
56 Kapitel 6 · Physiologie und Pathophysiologie von Mesh-Implantaten – Gibt es das ideale Netz?
einer aktiven als auch einer passiven Mesh-Interak- akuten Entzündungsphase ist extrem abhängig von
tion mit dem Körper kommt. Die aktive Interaktion den verschiedenen Meshmaterialien (Klinge et al.
ist die Veränderung der Porengröße durch die Ein- 1998). Klinge konnte beispielsweise zeigen, dass
wirkung verschiedener Flüssigkeiten, die passive nach histologischer Aufarbeitung eines monofila-
wird durch die physiologische Wundkontraktion der menten Polypropylenenetzes drei Monate nach der
Fibroblasten verursacht. Somit kommt es dabei zu Implantation weiterhin eine akute und produktive
einer Reduktion der Meshfläche. Das Ausmaß der Entzündung mit typischen Fremdkörpergranulom-
Wundkontraktion korreliert dabei mit der Entzün- zellen und Riesenzellen vorlag (Klinge et al. 1998).
dungsaktivität. Wurde jedoch ein multifilamentes Kunststoffnetz
mit einem reduzierten Anteil von Polypropylene
kombiniert mit Polyglaktien verwendet, war die pri-
6.2.2 Wie reagiert nun der Körper auf mär akute Entzündungsphase deutlich geringer. In
das Mesh? der sich anschließenden chronischen Entzündungs-
6 phase spielen die Makrophagen die Hauptrolle
Dieser reagiert mit zwei Antworten: Zum einen (Schumpelick et al. 1999). Zum einen sind sie als
kommt es zu einer Blut-Mesh-Interaktion, zum an- Phagozyten tätig, zum anderen kommt es durch die
deren zu einer Gewebe-Mesh-Interaktion (Imhof u. Makrophagen zu einer Mediatorenausschüttung, zu
Dunon 1995, Liles u. Van Voorhis 1995). einer Fibrinolyse und zur Aktivierung der Komple-
Wie sieht nun die Wundheilung bei Mesh-Imp- mentkaskade (Bellòn et al. 1995).
lantation im Vergleich zur normalen aus? Auch hier Diese chronische Entzündungsphase hält an, so-
kommt es zuerst zu einer akuten Entzündungsreak- lange das Kunststoffnetz im Körper ist. In verschie-
tion, diese geht allerdings aufgrund des Fremdkör- denen Studien, wie beispielsweise bei Klosterhalfen
pers in eine chronische Entzündungsreaktion über. et al. (2000) und Scheidbach et al. (2003), konnte
Es kommt des Weiteren zu einer Fremdkörper- gezeigt werden, dass gerade in der chronischen Ent-
reaktion und zur Ausbildung einer Fibrose/Narben- zündungsphase die ablaufenden Reaktionen stark
platte. abhängig vom benutzten Mesh sind. Dies konnte be-
In der akuten Entzündungsphase kommt es in sonders anhand der Proliferationsrate oder an einem
dem Moment, in dem das Kunststoffnetz den ersten erhöhten Apoptose-Index gezeigt werden. Je inerter
Kontakt mit dem Gewebe/Blut hat, zu Reaktionen. ein Mesh ist, desto geringer fallen diese Zeichen aus,
Die erste Reaktion ist als Vroman-Effekt beschrie- d. h. eine starke Gewebeumbaurate ist Zeichen einer
ben (Vroman u. Adams 1969). Bereits 1969 hat Vro- Stressantwort der Zellen auf das Fremdmaterial.
man postuliert, dass es durch Einbringen alloplasti- Auch die Fremdkörperreaktion, in der es zur Ent-
schen Materials in den Körper zur Anlagerung von wicklung von Granulationsgewebe kommt, zur Ein-
körpereigenen Proteinen an das alloplastische Mate- wanderung von Fremdkörperriesenzellen, Epithelo-
rial kommt. Durch die Anlagerung verändern sie idzellen und zur Abkapselung des Fremdkörpers,
ihre Konformation (Tang u. Eaton 1995). Zunächst ist extrem abhängig von dem verwendeten Mesh-
lagern sich kleinere Proteine wie Albumin an; diese material.
werden später von größeren wie Fibrinogen und Allgemein anerkannt ist mittlerweile die Unter-
dann von großen Proteinen wie Kininogen abgelöst. teilung nach Klosterhalfen in schwergewichtige/
Die nun in ihrer Konformation leicht veränderten kleinporige Netze (wie beispielsweise das Marlex-,
Proteine aktivieren die Blutgerinnung. Die anderen Surgi-Pro- oder Prolene-Mesh) und in leichtgewich-
Proteine, die an dem alloplastischen Material/Kunst- tige/großporige Netze (wie beispielsweise Vypro II,
stoffnetz angelagert bleiben, lösen eine persistieren- Ultra Pro).
de Gewebereaktion durch die Entzündungszellen Bei den schwergewichtigen Meshes kommt es
aus. Es kommt somit zu einer lokal exsudativen Re- initial zu einer akuten inflammatorischen Reaktion;
aktion mit Ödembildung. Durch die lokal inflam- diese wird in den ersten 3 Wochen von einer rein
matorische Reaktion kommt es zu weiteren Infiltra- serösen Ödembildung abgelöst. Im weiteren chroni-
tionen von Entzündungszellen. Die Dauer dieser schen Verlauf kommt es zur Abriegelung des Im-
Literatur
57 6
Meshbezogene Komplikationen
J. Gröne
7.1 Serome – 60
7.2 Infektion – 60
Fazit – 65
Literatur – 66
60 Kapitel 7 · Meshbezogene Komplikationen
rome, die insbesondere nach Implantation von allo- tionsrate nach einer Latenz von 7 Tagen nicht gezeigt
plastischem Material nachgewiesen werden, bilden werden.
für Bakterien einen idealen Nährboden. Nach Imp- Postoperative Wundinfektionen nach Meshimp-
lantation wird das Mesh von einem proteinreichen lantation sind zu einem Löwenanteil Folge der Kon-
Film überzogen, an den die Bakterien durch Pro- tamination des Netzes im OP-Verlauf. Der Präventi-
duktion von Oberflächenmolekülen binden. Die on wird daher ein besonders hoher Stellenwert bei
Verbindung aus Netzoberfläche, Bakterienadhäsion der Reduktion der Infektionsraten beigemessen.
und Wundsekret bildet eine Schicht, die nur schwer Auch wenn der Nutzen einer Antibiotikaprophylaxe
durch die körpereigene Abwehr durchdrungen und im Rahmen von Metaanalysen trotz signifikantem
durch Antibiotika erreicht werden kann. Bislang Vorteil in Einzelstudien nicht bestätigt werden konn-
konnte in kontrollierten Studien jedoch nicht gezeigt te (Sanchez-Manuel et al. 2004), haben eigene Erfah-
werden, dass die alleinige Tatsache der Implantation rungen gezeigt, dass durch Rasur des OP-Gebietes
von alloplastischem Material zu einer Erhöhung der direkt präoperativ im OP-Saal, die Umlage der Wun-
Infektionsraten im Vergleich zu netzfreien Techni- de mit braunolgetränkten Bauchtüchern bei offenen
ken führt. Problematisch bei der Beurteilung der Verfahren (OP nach Lichtenstein) und die Einmal-
wahren Inzidenz ist jedoch, wie bislang bei allen gabe von Antibiotika (Single shot mit Cephalosporin
Spätkomplikationen in der Hernienchirurgie, die der 3. Generation) die Rate an Wundinfektionen
Latenz von bis zu mehreren Jahren bis zu deren Auf- senken konnte.
treten, die eine lückenlose Nachsorge und somit eine Es lässt sich zusammenfassen, dass bislang kein
systematische Beurteilung und Bewertung erschwert. Hinweis auf eine Zunahme der Wundinfekte durch
Wenige retrospektive Analysen und tierexperimen- die Verwendung von Mesh per se zu verzeichnen ist.
telle Studien lassen jedoch vermuten, dass chroni- Jedoch scheinen Biomaterialien die Persistenz von
sche Infektionen häufiger sind als bislang angenom- Bakterien in der Wunde zu begünstigen, was als
men und dass die Persistenz in der Textur der Mes- mögliche Ursache für Spätinfekte auch nach mehre-
hes für ein gehäuftes Auftreten von Spätinfektionen ren Jahren gewertet wird. Ob somit ein insgesamt
mit einer Latenz von mehreren Jahren verantwort- höheres Infektionsrisiko durch Verwendung von
lich gemacht werden kann. Die Ergebnisse einer Be- alloplastischem Material zu verzeichnen ist, bleibt
fragung von Chirurgen in Schottland aus dem Jahr weiter offen.
1999 bezüglich der Verwendung von Meshes bei der
spannungsfreien Versorgung von Leistenhernien
und der Inzidenz von chronischen Infektionen un- 7.3 Netz- oder Narben-
termauern diesen Verdacht mit einer geschätzten schrumpfung?
Rate von einer Spätinfektion auf 1100 Hernien bis zu
4 Jahre nach OP (Taylor et al. 1999). Die Arbeits- Dem Phänomen der Netzschrumpfung ist spätes-
gruppe aus Aachen von Schumpelick und Kloster- tens seit dem Spiegelartikel »Schrumpfende Netze«
halfen konnte bei einem Drittel von insgesamt 1999 (Schumpelick 1999) in Deutschland eine er-
270 Netzen, die zu einem wesentlichen Anteil wegen höhte Aufmerksamkeit zuteil geworden. Der nach
Rezidiv oder therapierefraktären Schmerzen explan- dem Europäischen Hernienkongress 1999 durch
tiert wurden, elektronenmikroskopisch eine Besied- führende Vertreter der Hernienchirurgie laut gewor-
lung des Meshes mit Bakterien nachweisen, ohne dene Aufruf zum rationalen Einsatz von alloplasti-
dass klinisch eine Wundinfektion vorlag (Peiper et schem Material ist u. a. vor dem Hintergrund von
al. 2002). In einem Rattenmodell konnten Klinge et Kasuistiken über verschrumpelnde Netze und ande-
al. (2002) nachweisen, dass in vitro die Adhärenz re meshbezogene Komplikationen (7 unten) zu se-
von Bakterien im Mesh mit der berechneten Netzflä- hen. Was bedeutet Schrumpfung im Zusammenhang
che positiv korreliert, d. h. multifilamentäre Netze mit alloplastischen Meshes? Schrumpft das Netz per
eine höhere Bakterienadhäsion aufweisen. In vivo se? Ist Netzschrumpfung von Symptomen begleitet
konnte jedoch trotz nachgewiesener Persistenz der oder hat welche zur Folge? Die Definition von
Bakterien die zu erwartende Erhöhung der Infek- Schrumpfung im medizinischen Sprachgebrauch ist
62 Kapitel 7 · Meshbezogene Komplikationen
im Wesentlichen durch Atrophie, Zirrhose und In- Die Netzschrumpfung ist als passiver physiologi-
volution geprägt. Unter Netzschrumpfung versteht scher Vorgang im Rahmen der Narbenkontraktion
man allgemein die Verkleinerung der Ausgangsnetz- zu werten und i. d. R. nicht von Symptomen beglei-
fläche und/oder eine Auffältelung bzw. ein Aufknäu- tet. Kasuistiken beschreiben jedoch chronische
len der Faser. Jedoch handelt es sich dabei nicht um Schmerzsyndrome als Folge einer ausgeprägten
einen aktiven Vorgang aus der Sicht des Meshes. Im Schrumpfung und Fältelung (Schumpelick et al.
Rahmen der Fremdkörperreaktion und der Narben- 1997). Treten bei einem Teil der Patienten Be-
bildung nach Implantation alloplastischen Materials schwerden mit einer Latenz von mehreren Monaten
kommt es durch die Kontraktion der Kollagenfasern auf, so ist dies eine mögliche Folge des anhaltenden
zu einer Wundkontraktion als physiologischer Pro- Gewebeumbaus, dem sog. Remodelling, und der
zess (. Abb. 7.1). Das Ausmaß der Kontraktion hat zunehmenden Fibrosierung, die langfristig zur Ein-
eine enge Beziehung zum Ausmaß der Entzündung steifung des Implantatlagers führt. Eine Zunahme
und der Fibrose, die wiederum von der Art und der Beschwerden kann nach Lichtenstein-Plastik
Menge des verwendeten Materials abhängig ist bis zu 36% und nach laparaskopischen Verfahren
(7 Kap. 6). Klinge et al. (1998) konnten dies anhand bis zu 28% der Patienten betreffen (MRC Laparos-
7 von experimentellen Studien an Hunden zeigen, wo- copic Groin Hernia Trial Group 1999). Amid (2004)
bei insbesondere Netze mit einem hohen Anteil an aus der Lichtenstein-Gruppe trennt zwischen
Polypropylene auf eine Größe zwischen 30% und asymptomatischer Schrumpfung und Fällen extre-
50% der ursprünglich eingebrachten Implantatflä- mer Auffältelungen und Narbenbildung als Folge
che schrumpften. Um die Entstehung eines Rezidivs einer ausgeprägten Fremdkörperreaktion, sog.
zu verhindern, muss daher eine ausreichende Unter- Meshoma mit Einbeziehung benachbarter Struk-
fütterung des Defektes von mindestens 5 cm nach turen wie Nerven oder Arrosionen von anderen
allen Seiten erfolgen. Organen (7 u.).
. Abb. 7.1. Meshschrumpfung bedeutet eine Verkleine- pen des Defektes durch das Netz bzw. zu knapp bemesse-
rung der Fläche im Sinne einer Konfigurationsänderung, je- nem Pullover besteht Rezidivgefahr bzw. die Notwendigkeit
doch keinen Materialverlust. Bei unzureichendem Überlap- des Ausmistens
7.5 · Adhäsionen und Fisteln
63 7
Meshschrumpfung bedeutet eine Verkleinerung bislang auf dem Markt befindliches Netz ver-
der Fläche im Sinne einer Konfigurationsände- hindern. Daher bleibt die »Wanderung« des Net-
rung durch die Kontraktion der Narbe, jedoch kei- zes bzw. die Arrosion von Nachbarorganen mit
nen Materialverlust. Somit ist Schrumpfung als Ausbildung von Fisteln eine zwar äußerst seltene,
physiologischer Vorgang zu werten und nicht als aber ernstzunehmende meshbezogene Spätkompli-
meshbezogene Komplikation per se. Komplikatio- kation.
nen als Folge der Schrumpfung entstehen bei unzu-
reichendem Überlappen des Defektes durch das
Netz (Rezidivgefahr) oder bei ausgeprägter Knäuel- 7.5 Adhäsionen und Fisteln
bildung mit Einbeziehung von benachbarten Struk-
turen. Die Ausbildung von Darmadhäsionen mit nachfol-
genden Motilitätsstörungen bis hin zum Ileus und
Fisteln nach Implantation von alloplastischem Ma-
7.4 Migration – wandert das Netz? terial zur Versorgung von Bauchwand- und Leisten-
hernien stellen weitere Spätkomplikationen dar,
Der Begriff Wanderung beinhaltet ebenso wie denen die Fremdkörperreaktion zu Grunde liegt.
der Begriff Schrumpfung einen aktiven Charakter. Das Ausmaß dieser Komplikationen scheint ebenso
Es sei gleich zu Beginn festgehalten, dass auch mit dem Grad der Entzündungsreaktion zu korre-
im Fall der Netzwanderung es sich keinesfalls um lieren und damit ebenfalls materialabhängig zu sein
eine aktive Bewegung des alloplastischen Materials (7 Kap. 5 und 6). Die durch direkten Kontakt des
handelt. Die Befürchtung, dass Meshes zu weiter Meshes mit der Darmwand induzierte Entzün-
entfernten Organen wandern und dort zu Komp- dungsreaktion stellt den Ausgangspunkt zur Ausbil-
likationen führen, kann anhand der Literatur dung von intestinalen Adhäsionen und Fisteln dar.
nicht bestätigt werden. Jedoch gibt es eine Vielzahl Insbesondere nach Verwendung von Polypropylen
von Kasuistiken, die die Arrosion von Organen in und Polyester wurden Fistelraten von bis zu 75% in
unmittelbarer Nachbarschaft des implantierten der Literatur beschrieben (Nagy et al. 1996). Der
Netzes beschreiben. Diese ernste Komplikation Kontakt zwischen Intestinum und alloplastischem
wird durch eine persistierende Gewebereaktion auf Material mit einem ausgeprägten Induktionspoten-
das Fremdmaterial, eine chronisch entzündliche zial für eine Fremdkörperreaktion sollte folglich
(nicht bakterielle!) Fremdkörperreaktion, das sog. unbedingt vermieden werden. Für den provisori-
Remodelling, mit erheblicher postoperativer Latenz schen Bauchdeckenverschluss, wo ein direkter Kon-
von bis zu 15 Jahren und mehr nach Erstoperation takt nahezu unvermeidbar ist, verzichten wir daher
erklärt, die wahrscheinlich abhängig von der Akti- auf den Einsatz von nichtresorbierbarem Material
vität des Gewebeumbaus und von der Entzündungs- und verwenden resorbierbare Vicryl-Netze mit
reaktion des Organismus ausgeprägt zu sein scheint. einem geringen Adhäsionspotenzial, was aus tier-
Dokumentiert sind beispielsweise Arrosionen von experimentellen Studien bereits seit Mitte der 90er-
Harnblase (Hernandez-Richter et al. 1999), Darm Jahre bekannt ist (Treutner et al. 1995). Interes-
(Hamy et al. 1997) oder sogar Gefäßen (Cristal- santerweise gibt es in der Literatur Hinweise auf
dimeti et al. 1997). Häufig begleitet sind diese postoperative Adhäsionen, die trotz peritonealer
»Wanderungen« von Fistelbildung in die genannten Abdeckung der Netzoberfläche als potenzielle Ursa-
benachbarten Organe und Ausbildung von entero- che einer Motilitätsstörung auftraten (Toy et al.
kutanen Fisteln nach Versorgung von Bauch- 1998, Kyzer et al. 1999). Jedoch können auch bei
wandhernien. Nach Verwendung von schweren, total extraperitonealen bzw. präperitonealen Tech-
feinporigen Netzen wurden Fisteln durch verhär- niken (z. B. TEP) Läsionen des Peritoneums verur-
tende Mesh-Ecken beschrieben, so dass generell sacht werden, die mit einem möglichen Kontakt
empfohlen wird, Mesh-Ecken mit der Schere ab- zwischen Mesh und Darm ursächlich für die für
zurunden (Schumpelick 2000). Die zu Grunde lie- dieses Verfahren extrem seltene Adhäsionsbildung
gende Fremdkörperreaktion lässt sich durch kein sind.
64 Kapitel 7 · Meshbezogene Komplikationen
Die Wahl des Netzmaterials und der OP-Tech- fenden Entzündungsreaktion die Thrombosierung
nik haben einen entscheidenden Einfluss auf eine der Vv. spermatica und eine fibrinoide Nekrose des
mögliche Ausbildung von Verwachsungen mit Ductus deferens nachgewiesen, die in der Ver-
nachfolgenden Motilitätsstörungen. Die span- gleichsgruppe nach netzfreier Shouldice-Repara-
nungsfreie Versorgung von Leistenhernien wird tion nicht auftrat. Darüberhinaus konnte beim Ka-
daher in unserer Klinik vornehmlich mit extraperi- ninchen gezeigt werden, dass die Implantation von
tonealen Verfahren, wie der OP nach Lichtenstein Mesh trotz einer im Vergleich zum Schweinemodell
oder der total extraperitonealen Technik, unter Ver- geringer ausgeprägten Entzündungsreaktion eine
wendung von teilresorbierbaren Meshes durchge- signifikante Alteration der Hodenfunktion mit ei-
führt. ner Reduktion der Spermatogenese zur Folge hatte
(Peiper et al. 2004). Die klinische Relevanz dieser
Ergebnisse für den Menschen muss in weiteren Stu-
7.6 Schädigung des Ductus dien evaluiert werden und bleibt bis dahin Gegen-
deferens stand kontroverser Diskussionen. Die Bewertung
einer potenziellen Schädigung des Ductus deferens
7 Bei der Versorgung von Leistenhernien, ob mit oder als meshbezogene Komplikation und eine strikte
ohne Netz, kann es operationstechnisch bedingt zu Einschränkung der Indikation für Meshes insbe-
einer Affektion des Samenstrangs kommen. Diese sondere bei jungen Männern, wie von einigen
beinhaltet die extrem seltene Durchtrennung des Autoren gefordert wird, halten wir aufgrund der
Samenstrangs und die ischämische Orchitis mit der derzeitigen Datenlage für unangemessen und prak-
möglichen Folge einer Atrophie durch zu starke tizieren eine individuelle, fallbezogene Indikations-
Einengung des Ductus deferens. Kommt es aber stellung.
durch die alleinige Tatsache der Netzimplantation
zu einer Schädigung des Ductus deferens? Eine per-
sistierende Gewebereaktion auf die implantierten 7.7 Maligne Transformation
Kunststoffe führt zu einer chronisch entzündlichen
Fremdkörperreaktion, die Gewebestrukturen in Der Nachweis einer Induktion von Malignomen
unmittelbarer Nachbarschaft des Meshes miteinbe- durch handelsübliche Meshes nach Versorgung von
ziehen kann. Neben publizierten Arrosionen von Bauchwand- und Leistenhernien beim Menschen
Organen, Verletzung von Gewebe durch scharfe steht weiter aus und die Frage der malignen Trans-
Netzkanten und Ausbildung von Fisteln (7 Kap. 7.5) formation lässt sich derzeit nicht abschließend be-
ist eine mögliche Affektion des Samenstranges auf- antworten. Die weit verbreitete Unsicherheit bezüg-
grund der engen topographischen Beziehung zum lich des Langzeitverhaltens beruht zum einen auf
Mesh denkbar. Berichte in der Literatur über klini- der Tatsache, dass tierexperimentell bereits seit
sche Affektionen des Samenstrangs sind jedoch ex- Ende der 40er Jahre ein Zusammenhang zwischen
trem selten. Silich et al. beschrieben 1996 ein Gra- der Implantation von Kunststoffmaterialien und
nulom des Ductus deferens nach spannungsfreier der Entstehung von bösartigen Weichgewebetumo-
Hernioplastie als Folge der Verletzung der Samen- ren als sog. »Oppenheimer-Effekt« bekannt ist (Op-
stranggefäße (Silich et al. 1996). Klinische Studien, penheimer et al. 1958), und zum anderen darauf,
die eine chronische Schädigung des Ductus defe- dass beim Menschen in bislang 9 Fällen das Auftre-
rens sichern könnten, existieren jedoch nicht. Aller- ten von Sarkomen mit der Implantation von Da-
dings konnte in aktuellen tierexperimentellen Stu- cron-Gefäßprothesen assoziiert wurde (Ben-Izhak
dien an Kaninchen und Schweinen eine Affektion et al. 1999). Die Tumorgenese der fremdkörperasso-
des Ductus deferens durch die Implantation von ziierten Sarkome im Tiermodell fußt auf einer chro-
Kunststoffnetzen belegt werden (Uzzo et al. 1999). nischen Fremdkörperreaktion, die neben einer star-
Nach transinguinaler präperitonealer Implantation ken proliferativen Aktivität einen erhöhten Zell-
von Polypropylenemeshes am Schweinemodell umsatz zur Folge hat und bereits mit der
wurde neben einer auf den Samenstrang übergrei- Adenom-Karzinom-Sequenz verglichen wurde
Fazit
65 7
(Kirkpatrick et al. 2000). Lassen sich diese Erkennt- die Induktion einer »tumor-like-lesion«, geschweige
nisse auf Meshes beim Menschen übertragen? Es denn eine maligne Transformation beim Menschen
gilt als nachgewiesen, dass jedes Netz abhängig von nachgewiesen werden konnte. Weiterhin ergaben
seiner Beschaffenheit und seinen Eigenschaften sich auch tierexperimentell keine direkten Hinweise
eine Fremdkörperreaktion induziert. Somit wäre auf eine maligne Transformation. Eine endgültige
zumindest theoretisch denkbar, dass über eine sol- Entwarnung lässt sich jedoch aufgrund der derzeiti-
che Reaktion nach ausreichender Latenz auch beim gen Datenlage wegen fehlender Langzeitergebnisse
Menschen Tumore induziert werden könnten. Es nicht geben und somit sollte die potenzielle maligne
gibt jedoch bis zum jetzigen Zeitpunkt keinen ein- Transformation als eine theoretische, aber äußerst
zigen publizierten Fall einer malignen Transforma- unwahrscheinliche meshbezogene Komplikation
tion nach Implantation von Meshes zur Versorgung gewertet werden.
von Bauchwand- und Leistenhernien. Man darf da-
bei jedoch nicht vergessen, dass wir einen Großteil
der Verläufe der Meshes erst seit dem rasanten Zu- Fazit
wachs der Netzimplantationen Anfang der 90er be-
obachten und die Tumorinduktionszeit nach Hoch- Mit zunehmender Verwendung alloplastischer Net-
rechnung aus dem Tiermodell beim Menschen erst ze, den sog. Meshes, zur Verstärkung von Bauch-
nach 35–50 Jahren zu erwarten wären. Andererseits wand und Leistenregion bei Hernien werden die
konnten Klosterhalfen et al. (2000) bereits an einem meshbezogenen Komplikationen und potenzielle
großen Kollektiv explantierter Netze, sog. »Prob- Risiken kontrovers beurteilt. Neben dem unbestrit-
lemnetze«, zeigen, dass es zu zellulären Reaktio- tenen Nutzen der nicht- bis teilresorbierbaren Me-
nen des Organismus auf das Mesh kommt, die auch shes insbesondere bei der Versorgung von Narben-
bei Malignomen nachgewiesen werden, wie z. B. hernien ergeben sich durch deren Implantation mit-
Zeichen des erhöhten Zellumsatzes (Ki-67), der unter symptomatische Reaktionen des Körpers auf
Stressantwort (Heat-Shock-Protein 70) und auch das Fremdmaterial bis hin zu Komplikationen, die
der DNA-Schädigung und Apoptose (DNA-Frag- teilweise erst mit einer erheblichen Latenz in Er-
mente). Diese Zeichen sind jedoch nicht tumorspe- scheinung treten. Eine systematische Bewertung ist
zifisch und lassen sich auch bei entzündlichen Er- somit bei einer Dominanz von Einzelfallberichten
krankungen regelhaft nachweisen. und fehlenden kontrollierten Langzeitstudien äu-
Bei dem Versuch, sich der Frage der Tumor- ßerst problematisch. Gesichert ist, dass Biomateria-
induktion über Tiermodelle zu nähern, die den lien die Persistenz von Bakterien in der Wunde be-
Einfluss von herkömmlichen Netzen bei Nagetie- günstigen, jedoch fehlt bislang der Nachweis einer
ren evaluieren, konnten bislang nur widersprüch- Erhöhung des Infektionsrisikos durch den Einsatz
liche Ergebnisse erzielt werden. Während Kloster- alloplastischen Materials. Das Phänomen der Netz-
halfen et al. 2004 nach einer durchschnittlichen schrumpfung ist als materialabhängige Folge der
Implantationsdauer von maximal 36 Monaten bei physiologischen Narbenkontraktion zu werten und
14 von 180 Ratten makroskopisch das Wachstum somit ein passiver Vorgang – das Netz selbst
einer tumorähnlichen Läsion, sog. »tumor-like-le- schrumpft nicht! Klinische Bedeutung erlangt das
sion«, ohne den Nachweis von Invasivität oder Me- Phänomen bei unzureichender Unterfütterung der
tastasierung ein Tumorwachstum zeigen konnten, Defekte (Rezidivgefahr) und Knäuelbildung bei aus-
haben Witherspoon et al. (2004) nach Implantation geprägter Entzündungsreaktion und Wundkontrak-
von Meshes bei mehr als 200 Mäusen und einer tion mit lokaler Symptomatik. Affektion der Samen-
Nachbeobachtungszeit von 2 Jahren keine Tumor- stranggebilde und Netzwanderung (Migration) sind
entwicklung im Implantatlager nachweisen kön- beim Menschen ausschließlich als Einfallberichte
nen. publiziert worden, so dass eine wesentliche Bedeu-
Es kann zusammenfassend festgehalten werden, tung unwahrscheinlich erscheint. Die Frage der
dass bei einer Menge von mittlerweile ca. 1.000.000 Induktion von Malignomen durch Meshes kann
weltweit implantierter Netze pro Jahr bislang weder ebenfalls nicht abschließend beantwortet werden. Es
66 Kapitel 7 · Meshbezogene Komplikationen
liegen jedoch neben widersprüchlichen tierexperi- Klinge U, Junge K, Spellerberg B, Piroth C, Klosterhalfen B,
mentellen Untersuchungen zum jetzigen Zeitpunkt Schumpelick V (2002) Do multifilament alloplastic mesh-
es increase the infection rate? Analysis of the polymeric
keine klinischen Daten beim Menschen vor, die eine
surface, the bacteria adherence, and the in vivo conse-
maligne Transformation beweisen. quences in a rat model. J Biomed Mater Res 63 (6): 765–
Für den Chirurgen ergibt sich auf dem Boden 71
der derzeitigen Datenlage kein Hinweis für ein Klosterhalfen B, Klinge U, Schumpelick V (1998) Functional
erhöhtes generelles Komplikationsrisiko durch and morphological evaluation of different polypropyl-
ene-mesh modifications for abdominal wall repair. Bio-
die Verwendung von Meshes bei der Versorgung
materials 19 (24): 2235–46
von Bauchwand- und Leistenhernien. Bei weiter- Klosterhalfen B, Klinge U, Hermanns B, Schumpelick V (2000)
hin unklarem Langzeitverhalten sollte jedoch (Pathology of traditional surgical nets for hernia repair
die Indikation, insbesondere bei jungen Patien- after long-term implantation in humans). Chirurg 71 (1):
ten, sorgfältig überprüft werden. Systematische 43–51
Klosterhalfen et al. (2004) Foreign-body cacinogenesis of
Untersuchungen und prospektive Studien stehen
surgical meshes. In: Schumpelick V, Nyhus LM, Lloyd M
aus, um das Ausmaß von meshbezogenen Spät- (eds) Meshes: Benefits and Risks. Springer, Suvretta,
komplikationen abschätzen zu können und kon- pp 243–60
7 trovers diskutierte tierexperimentelle Ergebnisse Kyzer S, Alis M, Aloni Y, Charuzi I (1999) Laparoscopic repair of
und Einzelfallberichte richtig bewerten zu kön- postoperation ventral hernia. Early postoperation results.
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Literatur
67 7
Fazit – 73
Literatur – 74
70 Kapitel 8 · Onlay, Inlay, Sublay – Wohin mit dem Netz?
neums und lediglich Reposition des Bruchsackes ist sog. Randlinienrezidiv auftreten und es hier zur
die Methode technisch einfach durchführbar. Sie Ausbildung von Hernienrezidiven zwischen dem
bietet jedoch die Gefahr, dass durch die Lage des Netz und dem Faszienrand kommen kann
Netzes direkt im subkutanen Fettgewebe ohne De- (. Abb. 8.4).
ckung durch einen Faszien- oder Weichteilmantel Die dritte Technik ist die sog. Sublaytechnik.
Subkutaninfekte direkt auch im Netz weitergeleitet Hierbei ist es erforderlich, den Bruchsack komplett
werden und so eine Mesh-Infektion auftreten kann. und nach Möglichkeit das Peritoneum freizupräpa-
Ein weiterer Nachteil liegt hierin, dass der kontinu- rieren. Nach Reposition des Bruchsackinhaltes nach
ierliche postoperative intraabdominelle Druck auf intraabdominell wird der Bruchsack abgetragen und
der Schwachstelle der Hernienversorgung liegt, d. h. das Peritoneum über dem Darm verschlossen. Ein
auf der Faszien- und Peritonealnaht, und somit Her- Netz wird dann so platziert, dass es über dem ver-
nienrezidive leicht auftreten können. schlossenen Peritoneum und unterhalb der Bauch-
Bei der Versorgung der Bruchlücke durch die deckenmuskulatur und somit auch unterhalb der
sog. Inlaytechnik wird ein Netz in die Bruchpforte ventralen Bauchdeckenfaszien zu liegen kommt
als Bauchdeckenersatz eingenäht. Die Faszie selbst (. Abb. 8.5). Der intraabdominelle Druck wirkt bei
wird nicht verschlossen, sondern das Netz wird mit dieser Netztechnik auf das Netz selbst und somit auf
dem Bruchrand vernäht (. Abb. 8.3). Bei dieser Me- den stärksten Faktor der Bruchlückenversorgung.
thode besteht die Problematik, dass es sich lediglich Vorteile dieses Verfahrens liegen in der spannungs-
um eine Defektausfüllung und nicht um eine De- freien Technik mit einer großen Defektdeckung. Der
fektüberdeckung handelt. Es hat somit den großen abdominelle Druck verteilt sich auf das gesamte
Nachteil, dass wiederum der maximale Druck auf Netz (. Abb. 8.6). Allerdings ist hierzu eine tech-
einer schwachen Stelle liegt, die in diesem Fall als nisch aufwändige Präparation des präperitonealen
Raums notwendig, und ein Verschluss des Peritone- Einsatz von alloplastischem Material ist die Verwen-
ums sollte angestrebt werden, um einen Kontakt zu dung eines ausreichend großen Netzes mit großer
Bauchorganen zu vermeiden. Überlappung des Defektes. Die niederländische Ar-
Die Literatur (Schumpelick et al. 1998, Schum- beitsgruppe um Knook (Knook et al. 2001) konnte
pelick et al. 2004) belegt, dass die Methode der Sub- 2001 zeigen, dass bei tierexperimenteller Induktion
laytechnik in der Netzplatzierung mit der geringsten von Bauchwanddefekten und Implantation von Po-
Rezidivquote behaftet ist. Besonders bei der Metho- lypropylenenetzen mit unterschiedlicher Überlap-
de des Inlayverfahrens kommt es bereits nach 18‒ pung des Netzes über den Defekt die Netzprotrusion
24 Monaten in 80% der Patienten zu einer Rezidiv- mit zunehmender Netzüberlappung sinkt. Gleich-
hernie. Bei der Methode der Onlaynetzplatzierung zeitig fiel bei den Experimenten auf, dass bei einer
ist nach diesem Zeitraum mit etwa 40‒50%igen Re- Überlappung des Defektes um lediglich 1‒2 cm eine
zidivquoten zu rechnen. Bei der Sublaytechnik kann komplette Dislokation des Netzes auftrat. Erst ab ei-
man bei einer Nachbeobachtungszeit von 60 Mona- ner Überlappung des Bruchrandes um über 3 cm in
ten mit einer Rezidivquote von etwa 20% rechnen. allen Dimensionen kam es zu einer signifikanten
Wir empfehlen daher zur Versorgung von Hernien, Reduktion von Netzprotrusion und -dislokation. Bei
und insbesondere von Narbenhernien, den Einsatz einer Implantation alloplastischen Materials ist des-
der sog. Sublaytechnik zur Netzplatzierung. halb grundsätzlich anzustreben, dass alle potenziel-
len Bruchpforten in allen Ebenen um mindestens
3 cm überragt werden. Nur diese großzügige Ver-
8.2 Größe des Netzes wendung von Netz wird die Protrusion und Dislo-
kation des Netzes in die Bruchpforte verhindern.
Ein wesentlicher Punkt bei der sicheren Versorgung Hierbei ist auch zu bedenken, dass es mit lang beste-
von Narben-, Bauchdecken- und Leistenhernien mit hender Implantation des Netzes zu einer narbigen
Fazit
73 8
Schrumpfung der Netzfläche kommt, weshalb tet werden, dass alle potenziellen Bruchpforten um
hier die Gefahr von Hernienrezidiven existiert, so- mindestens 3 cm überragt werden, um ein Rezidiv
fern keine ausreichende Überlappung durchgeführt zu vermeiden. Für die Leistenhernienchirurgie be-
wurde. trifft dies die laterale Bruchpforte im Bereich der
Henle-Schlinge, die mediale Bruchpforte im Bereich
des Hesselbach-Dreiecks und die femorale Bruch-
8.3 Intraperitoneale pforte im Bereich der Lacuna vasorum. Ein endos-
Netzplatzierung kopisch oder konventionell eingebrachtes Netz soll-
te, wenn immer möglich, diese Pforten abdecken,
Bei Implantation von alloplastischem Material in der damit sowohl die existierende Bruchpforte als auch
Hernienchirurgie besteht stets die Problematik, dass zukünftig potenzielle Bruchpforten nicht zu einem
bei nicht ausreichender Mobilisation des Peritone- zukünftigen Hernienrezidiv führen. Im Bereich der
ums, technisch schwieriger Mobilisation des Perito- Bauchwand- bzw. Narbenhernien sollte darauf ge-
neums oder großen Defekten die Gefahr eines direk- achtet werden, dass nach zirkulärer Freilegung des
ten Kontaktes des Netzmaterials mit dem Intestinum Faszienrandes und Abpräparation des peritonealen
auftreten kann. Hierbei besteht die Problematik, Bruchsackes bzw. des Peritoneums ein einzubrin-
dass durch diesen direkten Kontakt aufgrund der gendes Netz in Sublaytechnik hinter den M. rectus
sich stets entwickelnden chronischen Fremdkörper- abdominis und damit der Lamina anterior der Rek-
reaktion zum einen ausgeprägte Adhäsionen zum tusscheide eingebracht wird. Eine geeignete Platzie-
Intestinum auftreten und weiterhin sich eine kom- rung ist die sog. retromuskuläre Netzplatzierung, in
plikationsreiche Fistelbildung entwickeln kann. Ex- der die Rektusscheide eröffnet wird und das Netz in
perimentelle Untersuchungen zeigen, dass die Aus- die hintere Rektusscheide dorsal des Muskelbauches
bildung dieser Adhäsionen zum Intestinum abhän- des M. rectus abdominis implantiert wird. Dies er-
gig von der Wahl des Netzmaterials sind. Besonders laubt die Platzierung des Netzes in Sublaytechnik
Polypropylene- und Polyesternetze zeigen ausge- ohne die aufwändige und z. T. komplikationsreiche
prägte Neigung zur Verklebung mit dem Intestinum. Abpräparation des Peritoneums bei gleichzeitiger
Die Gefahr intestinaler Adhäsionen ist dabei signifi- sicherer, großflächiger Überdeckung des Defektes in
kant geringer, wenn man PTFE-Netze (GoreTex) Sublaytechnik. Narbenhernien, die weit nach krani-
oder Polyester- bzw. Polypropylenenetze mit einer al bzw. kaudal reichen, sollten kaudal dorsal der
speziellen Beschichtung verwendet, wie sie die In- Symphyse bzw. kranial dorsal des Xyphoids einge-
dustrie in letzter Zeit anbietet. Langzeituntersuchun- bracht werden, um auch hier eine großflächige Netz-
gen an Patienten, die den tatsächlichen Vorteil dieser überdeckung zu erlauben.
beschichteten Netze im Hinblick auf Adhäsionsbil-
dung oder Fistelbildung belegen, liegen jedoch zum
gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht vor. Es sollte Fazit
daher grundsätzlich angestrebt werden, das Perito-
neum unter dem Netz zu verschließen und so einen Die korrekte Platzierung des Netzes in Bezug zu ana-
direkten Kontakt von Fremdmaterial und Darm zu tomischen Strukturen und zur Bruchpforte ist ein
vermeiden. wesentlicher Punkt in der sicheren und rezidivar-
men Versorgung von Narben- und Inguinalhernien.
Die Sublaytechnik, d. h. das Einbringen eines Netzes
8.4 Bezug zu anatomischen unter das Niveau der Bruchpforte, ist die bevorzugte
Strukturen Lokalisation von Kunststoffnetzen, da diese die ge-
ringste Rezidivgefahr mit sich bringt. Dabei sollte
Als anatomische Leitlinien für die Überdeckung der ein direkter Kontakt von Netz und Intestinum ver-
Netzstrukturen gelten für die Leistenhernienchirur- mieden werden, um das Auftreten von Fisteln zu
gie feste Bezugspunkte. Wie zuvor erwähnt, sollte bei vermeiden. Als geeignet erweist sich bei Narbenher-
Implantation alloplastischen Materials darauf geach- nien die sog. retromuskuläre Lage des Netzes hinter
74 Kapitel 8 · Onlay, Inlay, Sublay – Wohin mit dem Netz?
dem M. rectus abdominis in der Rektussscheide. Knook MT, van Rosmalen AC, Yoder BE, Kleinrensink GJ, Sn-
Eine Onlay- oder Inlayplatzierung des Netzes sollte ijders CJ, Looman CW, van Steensel CJ (2001) Optimal
mesh size for endoscopic inguinal hernia repair: a study
möglichst vermieden werden. Bei der Lage des Net-
in a porcine model. Surg Endosc 15: 1471-1477
zes sollte auf eine großzügige Überdeckung aller po- Langer C, Kley C, Neufang T, Liersch T, Becker H. (2001) Prob-
tenziellen Bruchpforten um mindestens 3 cm geach- lem of recurrent incisional hernia after mesh repair of the
tet werden. Dies umfasst die mediale und laterale abdominal wall. Chirurg 72: 927–933
sowie die femorale Bruchpforte bei Leisten- oder Le H, Bender JS (2005) Retrofascial mesh repair of ventral inci-
sional hernias. Am J Surg 189: 373–375
Schenkelhernien sowie die lateralen und kranialen
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Open mesh repair of incisional hernias with significant
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III
Operationsverfahren
und chirurgisches
Vorgehen
9 Konventionelle OP-Verfahren ohne Mesh (Bassini-Shouldice,
Lotheissen-McVay) – 77
A. Wondzinski, H.G. Hotz
Konventionelle OP-Verfahren
ohne Mesh (Bassini-Shouldice,
Lotheissen-McVay)
A. Wondzinski, H.G. Hotz
9.1 Historie – 78
Fazit – 87
Literatur – 87
78 Kapitel 9 · Konventionelle OP-Verfahren ohne Mesh (Bassini-Shouldice, Lotheissen-McVay)
9.2.4 Anästhesie
durch die Externusaponeurose geführt. Hierbei ist paration. Bei sehr jungen Patienten kann zur Auf-
auf die Schonung des durch den äußeren Leistenring rechterhaltung der Cremasterfunktion dieser auch
hervortretenden N. ilioinguinalis zu achten. belassen werden.
Anschließend wird der Samenstrang präpariert, Bei einer indirekten Hernie müssen schließlich
angeschlungen und der M. cremaster gespalten die Adhäsionen des Bruchsackes zum Samenstrang
(. Abb. 9.5). Hierbei ist auf Schonung des R. genita- gelöst werden (. Abb. 9.6).
lis des N. genitofemoralis zu achten. Der nächste Liegt eine Skrotalhernie vor, muss nicht der ge-
Schritt ist die Darstellung der Samenstranggebilde, samte Bruchsack vom Samenstrang abgetrennt wer-
also des Ductus deferens und der Testikulargefäße den. Er kann hier in Bruchsackmitte quer durch-
mit gleichzeitiger Präparation eines direkten oder trennt, der distale Anteil gespalten und der proxima-
indirekten oder kombinierten Bruchsacks. Bei sehr le Anteil vom Samenstrang abpräpariert werden.
stark ausgeprägtem M. cremaster sollte dieser rese- Die Präparation des Bruchsackes sollte möglichst
ziert werden (Schumpelick 2000, Welsh 1993). Dies hoch bis über den inneren Leistenring hinaus bis zur
ergibt v. a. eine bessere Übersicht bei der Faszienre- peritonealen Umschlagfalte erfolgen (. Abb. 9.7).
82 Kapitel 9 · Konventionelle OP-Verfahren ohne Mesh (Bassini-Shouldice, Lotheissen-McVay)
Ebenso sollte der innere Leistenring sorgfältig Bei einer kleinen direkten Hernie braucht der
dargestellt werden. Hierzu ist immer die Durch- Bruchsack nicht extra versorgt zu werden sondern
trennung der Vasa cremasterica externa, die aus wird lediglich reponiert.
den Vasa epigastrica inferioria entspringen, not- Bei einer großen direkten Hernie muss nach
wendig. Spaltung der Fascia transversalis und Befreiung von
Der Bruchsack selbst wird nach Eröffnen und den Rändern der Fascia transversalis der Bruchsack
Reposition von Netz und Darmanteilen (. Abb. 9.8, ebenso wie bei der indirekten Hernie eröffnet, repo-
. Abb. 9.9) mittels einer Tabaksbeutelnaht versorgt, niert und mittels Tabaksbeutelnaht und Resektion
reseziert und schließlich versenkt. (. Abb. 9.10). versorgt werden (. Abb. 9.11).
9.2 · Leistenhernie
83 9
Besondere Sorgfalt ist bei Gleithernien notwen- achtet man besonders auf die Weite des inneren Leis-
dig. Sie finden sich immer an der Hinterwand des tenrings und die Konsistenz der Fascia transversalis.
Bruchsackes. Hier kann der fixierte Darm oder das Ist die Fascia transversalis in den unteren 2 Dritteln
Omentum majus nach Spaltung der Vorderwand des straff und lediglich der innere Leistenring erweitert,
Bruchsacks reponiert werden und der Bruchsack dann reicht es aus, nur den inneren Leistenring ent-
dann mit fortlaufender Naht verschlossen werden. sprechend zu versorgen. Ist sie jedoch schlaff, ist der
Präperitoneale Lipome, die sehr häufig als Be- erste Schritt der Shouldice-Reparation die Spaltung
gleitlipom lateral des Samenstrangs gelegen sind, der Fascia transversalis in schräger Richtung vom
werden vom Samenstrang abpräpariert und an der inneren Leistenring bis zum Tuberculum pubicum.
Basis abgetragen. Eine Verletzung der epigastrischen Gefäße ist zu ver-
meiden (. Abb. 9.12).
Reparationsphase. Anschließend erfolgt die palpa- Die Fascia transversalis wird jetzt von ihren Ver-
torische Beurteilung der Fascia transversalis. Dabei klebungen von dorsal befreit. Dies kann v. a. bei gro-
84 Kapitel 9 · Konventionelle OP-Verfahren ohne Mesh (Bassini-Shouldice, Lotheissen-McVay)
ßen direkten Hernien technisch aufwendig sein Nahtreihe in den Arcus aponeurosis musculi trans-
(. Abb. 9.13). versi über (. Abb. 9.14a). Sie wird bis zum inneren
Nach Präparation der kranialen und kaudalen Leistenring fortgeführt.
Lefze und evtl. Resektion ausgedünnter und brüchi- Bei Beendigung dieser Nahtreihe ist im Bereich
ger Ränder erfolgt dann die eigentliche Reparation. des Anulus inguinalis internus auf genügende Weite
des inneren Leistenrings zu achten. Daß heißt, dass
Shouldice-Reparation neben dem Samenstrang noch eine Lücke für die
Als Nahtmaterial benutzen wir nichtresorbierbares Kleinfingerkuppe sein sollte. Das entspricht einem
monofiles Prolene der Stärke 2,0. Der Nahtabstand Durchmesser von ca. 11,5 mm (Hegar-Stift).
beträgt 5 mm. Jeder Stich fasst 5‒10 mm Gewebe. Die 2. Nahtreihe der Faszienreparation doppelt
Beginnend am Tuberculum pubicum wird in die Transversalisfaszie. Vom inneren Leistenring be-
Richtung des inneren Leistenrings die gespaltene ginnend wird dann die kraniale Lefze der Fascia
Fascia transversalis gedoppelt. Als kraniales Nahtla- transversalis von oben an das Leistenband bzw. den
ger dient im medialen Abschnitt die Rückseite der Tractus iliopubicus genäht, diese Nahtreihe wird bis
Rektusscheide, die als »white line« durch die Fascia nach medial zum Tuberculum pubicum geführt und
transversalis durchschimmert. Nach lateral geht die hier verknüpft (. Abb. 9.14b). Damit ist die eigent-
a c
b d