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Review: ERKENNTNISTHEORIE, ONTOLOGIE UND LOGIK IN PLATO'S SPÄTEN DIALOGEN

Reviewed Work(s): Piatos later epistemology by W. G. Runciman


Review by: Reiner Wiehl
Source: Philosophische Rundschau, Vol. 15, No. 4 (1968), pp. 241-267
Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG
Stable URL: https://www.jstor.org/stable/42570879
Accessed: 09-06-2021 09:49 UTC

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ERKENNTNISTHEORIE, ONTOLOGIE UND LOGIK IN PLATO'S
SPÄTEN DIALOGEN

W . G. Runciman , Piatos later epistemology . Cambridge 1962. University Press.


138 p.

Einleitung

Piatos Dialoge bilden einen unerschöpflichen Gegenstand für das phi-


losophische Nachdenken. Aber sie verdanken diese Kraft ihrer Selbst-
erhaltung als philosophische Gegenstände nicht einer mysteriösen Eigen-
schaft, sondern einem bestimmten Begriff vom Sinn der Philosophie, vom
Wesen der philosophischen Erkenntnis und insbesondere einer ungewöhn-
lichen logischen Kunst, jenem Begriffe und seiner angemessenen Darstel-
lung gerecht zu werden. Mag das Wesen der Philosophie weniger in die
Aufstellung und Begründung von Grundsätzen als vielmehr in die stän-
dige Bewegung gewisser Grundbegriffe und Grundfragen menschlichen
Denkens gesetzt werden oder umgekehrt, in jedem Fall ist es notwen-
dig, daß die Bewegung der Grundbegriffe und die Ruhe der Grund-
sätze einander als wechselseitige Bedingungen ins Spiel bringen. Die
Frage nach dem Verhältnis zwischen einer solchen Bewegung von Grund-
begriffen und der dadurch entstehenden Bildung ruhender Grund-
lagen hängt mit der Frage nach dem Verhältnis direkter und indirekter
Darstellung unmittelbar zusammen. Um jenes Verhältnis in Methoden
und Schematen abzubilden, hat Piatos logische Phantasie eine Fülle
von Mitteln erfunden. Keine Thesen und Hypothesen, keine Bezeichnun-
gen und Bestimmungen, keine Argumente oder Begriffe, keine Sätze und
Urteile, die nicht über ihren unmittelbaren Aussagebereich hinausreichen,
deren Gültigkeit aber ebenso an einem anderen Bereich ihre Grenze fin-
det. Aber es ist nicht so, daß sich solche verschiedenen Bereiche ohne
weiteres als logische Größen einander eindeutig zuordnen lassen, so wenig
andererseits die Möglichkeit einer solchen Zuordnung ausgeschlossen
wird. Eindeutigkeit scheint überhaupt nur im Spielfeld direkter und in-
direkter Aussage und auf dem Grund eines solchen Verhältnisses möglich.
Nichts, was in Piatos Dialogen gesagt wird, scheint in einem absoluten
und schlechthin unbedingten Sinne sagbar, und alles doch wieder im ab-
soluten Sinne gemeint, oder doch mit einem solchen Sinn in Beziehung
zu setzen1.

1 Dies gilt zunächst im Hinblick auf Piatos Dialoge, sofern diese, wie im Falle
des hier zu besprechenden Buches, die ausschließliche und alleinige Materie zur Er-
schließung und Rekonstruktion einer platonischen Erkenntnistheorie, Ontologie und
Logik bilden. Runciman diskutiert in seinem Buch nicht die Frage nach Piatos eso-

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Platos Philosophie muß unter diese


angesehen werden, sofern sie durch
gewordene Warnung vor der Verw
dingten Gültigkeiten ist. Wenn die O
direkten und indirekten Aussagen i
Bedingten vom Unbedingten zu wirke
Wissens- und Erkenntnisbegriff un
direkten Sinne. Denn im Falle diese
Aussage über denselben nicht nur e
gibt, durch es hindurch und damit
blicken. Vielmehr gehört dieses indir
und Erkennens, welches durch die ph
macht und dargestellt wird und we
sammen zu betrachten ist, damit ü
auf die Sache und dadurch direkte A
Überlegungen dieser Art stellen sic
Buches von R. über „Piatos späte E
scheinen - um diese kritische Vorbe
als ob der Verf. die Notwendigkeit, au
ßen, zu selbstverständlich in Anspr
System der Vermittlungen und Bed
nügend zu beachten: daß er nicht zule
geschichtliche These verfalle, die scho
die Überlegungen des Autors um de
diese zunächst besitzen.

1. Verschiedene Erkenntnisbegriffe Piatos

Der methodische Ausgangspunkt, daß Piatos Erkenntnis- und Wis-


sensbegriff anderen Maßstäben nicht gerecht werde8, ist keineswegs zu
verwerfen, und werden solche anderen, kritischen Maßstäbe darüber hin-
terischer Lehre, welche durch die Arbeiten von H. J. Krämer und K. Gaiser wieder
in den Mittelpunkt wissenschaftlichen Interesses gerückt ist. Nicht die mangelnde
Berücksichtigung dieses Problemkreises in Runcimans Buch möchte ich an dieser
Stelle kritisieren. Vielmehr meine ich, daß jeder Versuch, eine platonische Theorie
dieses oder jenes Sachbereiches zu rekonstruieren, mit der Möglichkeit einer Theorie
Piatos über das Verhältnis direkter und indirekter Aussagbarkeit rechnen muß.
2 Runciman selbst sieht in seinem Buch eine Weiterentwicklung der Gedanken
seines Parmenides- Aufsatzes, veröffentlicht zuerst in: Harvard Studies in Classical
Philosophy (1959) LXIV pp. 89-120; jetzt auch in: Studies in Plato's Metaphysics ,
ed. by R. E . Allen , 1965.
8 Runciman spricht teils sehr allgemein und unbestimmt von den Einsichten der

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aus noch genannt oder bestimmt, so darf dies als eine besondere her
neutische Tugend gelten. Allerdings wird dieser methodische Ausgan
punkt, als Anfang einer philosophischen Betrachtung, sich nicht gänzlic
in den archäologischen Standpunkt verwandeln dürfen, der im Vergange
nen ausschließlich das Negative einer noch nicht stattgefundenen E
lution erblickt. R. hat die für ihn maßgebenden Vorstellungen vom
kennen und Wissen in zwei Hauptfragen gekleidet, die seine kritisch
Interpretationen des „Theaitet" und des „Sophistes" leiten, nämlic
„First, how far did Plato arrive at a distinction between knowledge that
knowledge how, and knowledge by acquaintance? Second, how far
he approach a conscious formulation of truth-value?" (p. 1). Zwisc
diesen beiden Fragen besteht für den Vf. ein unmittelbarer Zusamm
hang: es ist die klare, begriffliche Unterscheidung des genannten dr
fachen Sinnes von „knowledge", insbesondere ein aus dieser Untersc
dung resultierender klarer Begriff von „knowledge that", der allere
eine bewußte Formulierung des Wahrheitswertes ermöglicht. Um das Re
sultat der Untersuchung von R. in ihrem entwicklungsgeschichtlich
Aspekt vorwegzunehmen: Im „Theaitet" finden wir eine Fülle logisch
und ontologischer Irrtümer, die auf das Fehlen jener Unterscheidung zu
rückgehen. Diese Irrtümer beginnt Plato im „Sophistes" zu durchschauen
und zu korrigieren, und hier ist es auch, wo wir die ersten Schritt
Richtung auf eine mögliche Formulierung des Wahrheitswertes finden.
Es ist nicht einfach, bei der ersten Lektüre den Sinn zu erfassen, d
der Autor mit jener dreifachen Unterscheidung verbindet. Man kann sic
helfen, indem man zunächst versucht, den Sinn von „to know" und
„knowledge" ins Deutsche zu übersetzen. Aber es handelt sich um ein
sachliches Problem: Unter „knowledge how" ist ein Wissen verstanden,
wie es sich im geschickten und gekonnten Umgang mit den Dingen ver-
rät, also ein Wissen im Sinne der Beherrschung einer Mittel -Zweck -Re-
lation, wie im Falle der technischen Geschicklichkeiten (ts^vai xai ejuatr]-
jxai), also irgendeines Könnens, wie das des Schuhmachers, Steuermannes,
Geometers4. Was „in unseren Augen" aber eher nur eine Geschicklichkeit

modernen formalen Logik und der Sprachanalytik; teils spielen für seine Uber-
legungen als Begriffshintergrund eine besondere, ausdrücklich erwähnte Rolle:
Kyle: The Concept of Mind (insbes. ch. II); Wittgensteins Kritik am erkenntnistheo-
retischen Atomismus in den Philosophischen Untersuchungen , Nr. 46 ff.; Quine: On
what there is , in: From a Logical Point of View (ch. I).
4 Runciman möchte nicht soweit gehen wie J. Gould (in: The Development of
Platos Ethics , Cambridge 1955), der in Piatos Erkenntnisbegriff nur den Ausdruck
einer Vorstellung von „ skill-type knowledge" sieht. Andererseits diskutiert R. aber
nicht die Frage eines möglichen Wahrheitsverhältnisses von xéxvrj und èjttcrcr|[jii1
und die aus einem solchen Verhältnis sich ergebenden Konsequenzen für die Möglich-

16*

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(skill) ist, dies rückt nach R. bei Plato in


stellung einer „knowledge by acquaint
dieser Wissensbegriff zwei Hauptmomen
und unmittelbare Bekanntschaft und Vertrautheit mit einer Sache oder
einer Person gemeint, wie es das Beispiel der Verwechslung zweier Be-
kannter verdeutlicht, die man zunächst von Ferne sieht, und so, daß man
den einen für den anderen hält. Diese Art des Wissens ist von seiner Er-
werbung oder Entstehung nicht zu trennen: man denke an den Zusam-
menhang zwischen Kennen und Kennen -Lernen. Ferner verbinden sich
mit seinem Begriff Vorstellungen vom Charakter des Wissens als eines
Besitzes (possession of knowledge, p. 49) und von realen Möglichkeiten
unmittelbarer Wiedererkenntnis. Am schwierigsten ist R.s Begriff von
„knowledge that" im Hinblick auf die anderen genannten Wissensbegriffe
zu verstehen. Offensichtlich ist weder eine transzendentale Bestimmung
des Wissens im Unterschied zu einer empirischen und psychologischen ge-
meint, noch eine formale Bestimmung der Erkenntnis im Unterschied zu
einer inhaltlichen, deren Definition durch einen bestimmten Gegenstands -
bereich und dessen Bestimmung bedingt wäre. Allerdings spielt gerade die
letztere Unterscheidung in R.s Plato -Kritik eine besonders wichtige Rolle.
So spricht der Vf. im Hinblick auf „knowledge that" auch oft von „intel-
lectual knowledge" (p. 11 ff.), aber nicht, um diese von einem besonderen
„intellektuellen" Gegenstandsbereich her zu definieren. „Knowledge that"
meint zunächst ein Wissen, daß sich etwas so verhält, also ein Wissen,
welches den Anspruch auf Wahrheit erhebt, und entweder wahr oder
falsch ist, und dessen wichtigstes Kennzeichen die Form des Satzes ist, in
der allein Wahrheit und Falschheit sich artikulieren können.

2. Formale und dialektische Betrachtung des tkzyyoÇ

R. versteht Erkenntnis im eigentlichen Sinne als ein Verstehen von


Sätzen (an understanding of propositions, p. 52), aber er gibt keine
nähere Bestimmung des Verhältnisses zwischen den verstandenen Sätzen
und den durch sie gemeinten Sachverhalten im Rahmen einer Erkenntnis-
theorie. Ihm kommt es zunächst auf den kritischen Aspekt an, daß Plato
im „Theaitet" den propositionalen Charakter der Wahrheit noch nicht
erfaßt, das Wesen des Erkennens vielmehr als eine Art sechsten Sinn, „a

keit der Darstellung von Begriffen des Begriffes (d. i. des Logischen) und der Er-
kenntnis. Vgl. hierzu vom Rez.: Vernunft als Kanon , Organon und Kathartikon des
allgemeinen Verstandes , in: Metaphysik und Subjektivität , Festschrift für W. Cramer ,
1966 p. 354 ff.

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sort of mental seeing or touching", begreift (p. 10, 52 f.). R. bestreit


nicht die notwendige intentionale Beziehung einer jeden Erkenntnis a
einen Sachverhalt oder Gegenstand. Vielmehr richtet sich seine Kritik
soweit ich sehe, gegen die Unmittelbarkeit dieser Beziehung als implizite
Voraussetzung in Piatos Erörterung des Begriffes der £Jti(XTī)[Hļ. R. fol
dabei in seinen Argumentationen einem logischen Prinzip, welches durch
das Wesen des sokratischen EÀey^oç selbst gerechtfertigt scheint und we
ches dem ersten Anschein nach auch dem anfangs erwähnten Charakt
der Indirektheit der Aussagen Piatos Rechnung trägt. So haben R.s Argu-
mente die Form, dem Gang der dialektischen Erörterung soweit zu folgen
wie diese die Form einer schrittweisen Widerlegung verschiedener Defini
tionen des Erkenntnisbegriffes hat. Sofern den verschiedenen Definition
versuchen jeweils besondere Widerlegungen (refutations) entsprechen
werden diese vom Vf. isoliert auf ihren Wahrheitsanspruch hin betrach-
tet, insbesondere aber hinsichtlich des Wahrheitsanspruches der Gründe,
auf denen die Widerlegungen beruhen. R. versteht diese Widerlegung
so, daß in ihnen die Auffassung Piatos in negativer Form, aber direkt, im
Sinne der eindeutigen Unwahrheit des Widerlegten ausgedrückt ist, wäh-
rend die Gründe der Widerlegung die impliziten Voraussetzungen d
platonischen Denkens enthalten, die sich an den Widerlegungen direk
ablesen und so auch der Kritik unterwerfen lassen.
R. nimmt den sokratischen e^sy^oç im Sinne einer begründeten, abso-
lut gemeinten Zurückweisung einer aufgestellten These oder Definition.
Die Gründe des ekzyxpç sind in seinen Augen immer nur die Mittel des-
selben und dessen erster Zweck immer nur die Widerlegung selbst, nicht
dies, jene Gründe sichtbar werden zu lassen. Was eine Widerlegung über
die Unwahrheit des Widerlegten hinaus beweist, gehört deswegen für
ihn zwar dem Bewußtsein, nicht aber dem Selbstbewußtsein der Wider-
legung und des Widerlegenden an; d.h. die Widerlegungen enthalten
über ihre Widerlegungsfunktion hinaus keine Reflexion in sich im Sinne
einer Selbstbeschränkung und Selbstkritik, welche auch dem Widerlegten
eine bedingte Wahrheit im Hinblick auf jene Selbstbeschränkung gibt
und welche überhaupt erst innere Zusammenhänge zwischen den Wahr-
heiten der einzelnen Widerlegungen ermöglicht. Mit anderen Worten:
die Widerlegungen sind hier - in ihrem Verhältnis zum Widerlegten -
formal, nicht dialektisch betrachtet, und treten deswegen auch unterein-
ander in keine dialektische Beziehung.

Um die Argumentationsweise des Vfs. an einigen Beispielen zu verdeutlichen:


Wenn Sokrates verlangt, Theaitet solle die aufgezählten vielen EJtiarfļ^iai des Schuh-
machers, Geometers u. s. f. in einer einheitlichen Bestimmung fassen (ràç JtoÂAàç
8Jti<rrf|1jiaç évi Xóycp JtQoaeiJteÎv, 148 d), so ist damit nach Ansicht von R. offen-

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sichtlich von der möglichen Differenz


des ersteren und dem bewußten und au
tual knowledge) abgesehen. Die Gemein
und der Erkenntnis im Blick steht, kann
heit mit der jeweiligen Sache gesucht w
Hinblick auf einen speziellen Wissens
kenntnis unterordnet und angleicht (p
nen: Wenn Sokrates die Gleichung zwi
Hinweis auf die Differenz zwischen dem
und wenn er sich dabei mit dem Hi
(178 d), so ist nach R. kein Gebrauch vo
welches das eigene Können theoretisch zu
mag und der Begriff eines solchen Wi
gefaßt (p. 14). Oder: Wenn Sokrates die
das bekannte Streitargument der faule
dasselbe wissen und zugleich nicht wiss
braucht wird, daß niemand das Schöne
halten könne (190 b f.), so kann nach R
der Erkenntnis Gültigkeit haben und v
dem Sinne zugrunde lege, daß niemand
und zugleich mit ihr nicht bekannt sein

Es soll hier nicht entschieden werd


von „knowledge" für den Zweck sei
Wichtiger scheint mir zunächst die
die beschriebene Form der Inter
welches gerade am zuletzt genannte
Denn sowenig Plato die Möglichke
zweifelt, sowenig kann er in jene
eine derartige Wahrheit gesehen
baren Rückschluß wie den des Vf. auf eine von Plato selbst nicht reflek-
tierte Grundvorstellung von der Erkenntnis gestattete. Jenes berühmte
Argument der faulen Vernunft ist für Plato ebensowenig ein bloßer Streit-
satz (êçiaTixòç XÓyoç) wie eine unmittelbare Wahrheit, geeignet zur Eta-
blierung eines Bereiches des ungetrübten, absoluten Wissens; eher ein
Katalysator oder Operator, mittels dessen die Philosophie sich von der
Sophistik unterscheidet, dadurch daß sie die Bedingungen jenes Satzes ent-
wickelt.

Das Bedenken gegen R.s Methode im einzelnen muß sich auch auf seine
allgemeine Folgerung übertragen. So leuchtet mir die Grundthese nicht
ein, daß Plato im „Theaitet" das Problem des Irrtums noch nicht gelöst
habe, während er im „Sophistes" zwar auch noch nicht über eine Lösung
der Wahrheitsfrage verfüge, wohl aber eine befriedigende Antwort auf
die erstere Frage gefunden habe (vgl. pp. 28 u. 45). Eher scheint mir
Piatos epagogischer und elenktischer Methode die Folgerung zu entspre-

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Platos späte Dialoge (W. G. Runciman) 247

chen, daß im „Theaitet" und im „Sophistes" die Frage nach der En


stehung und nach dem Wesen von Irrtum und Täuschung unter verschie
denen Aspekten und Bedingungen erörtert werde, die insgesamt für den
Begriff der Erkenntnis wesentlich sind, die gleichwohl aber in kein
dieser Dialoge in eine ausdrückliche Beziehung und unter die Form ei
Vermittlung gebracht werden; daß diese Frage beantwortet werde du
den Aufweis jener Bedingungen, also durch eine Antwort, deren Gültig-
keit soweit reicht wie die Gültigkeit dieser Bedingungen. So entspri
der Irrtum, der im „Theaitet" zur Erörterung steht, einer ausdrück
gesetzen Vorstellung vom Wissen als Wahrnehmung (aïadr1aiç) und M
nung (ôó^a) und ist in konsequentem Zusammenhang mit einem Wissens-
begriff entwickelt, der sich an eine Bilder- und Augenwelt gebunden ha
Dagegen steht im „Sophistes" die Täuschungstechnik der Sophisten
eine avtiAoyixr] te/vt] zur Diskussion, die auf einem Mißbrauch des Log
schen im allgemeinen, der Widerlegung und der Negation im besonderen
und auf einem korrespondierenden Mißverständnis der Getäuschten übe
die Natur des Nichtseienden beruht5.

3 . Das Problem des erkenntnistheoretischen Atomismus


- Atomare und propositionale Wahrheit -

Den Hauptgesichtspunkt in R.s Untersuchung bildet die Frage, wie-


weit Plato den propositionalen Charakter der Wahrheit und der Wahr-
heitserkenntnis begriffen habe. Der Vf. verneint dieses im Hinblick auf
die Dialoge „Kratylos" und „Theaitetos". Hier und dort sieht er in Plato
den Vertreter eines erkenntnistheoretischen Atomismus, der sich einer
unzulänglichen, atomistischen Analyse des Irrtums schuldig macht (p.
32 ff.). So bleibe im „Kratylos" der Erörterung der Frage nach der Rich-
tigkeit der Wörter (ÔQdÓTi1Ç tœv ôvopiátcov) in der Dimension der bloßen
Bezeichnung und Benennung stehen, und die Frage nach dem Irrtum
komme insofern auch nicht über eine Beantwortung im Sinne unangemes-

5 Gemeinsam ist beiden Dialogen, das Wesen des Andersseins (ôia<popóxT1Ç, xò


Šteqov) primär von seinen unwahren Gestalten ausgehend und als Grund möglicher
Unwahrheit sichtbar zu machen. Daß das Anderssein im „Theaitetos" nur von der
äußeren Sichtbarkeit her gesehen ist, stellt sich am Ende des Dialoges, 209 c, deutlich
heraus, und trägt nicht zuletzt dazu bei, daß die gesuchte Definition der £JUdxr|HTi
scheinbar in einem Zirkel, nämlich in der Bestimmung als ôó§a òçdr) jiExà èjuaxf|-
IXT1Ç Ôia(p0QÓXT1X0Ç (210 a) endet. Dagegen ist im „Sophistes" der leitende Gesichts-
punkt bei der Erörterung des Andersseins die Ermöglichung einer Kritik der àvxi-
Xoyiwř) xéxvTj. Daß diese xexvrj lebt von der Geschicklichkeit, sich gegen das Sicht-
bare und Evidente blind zu machen, wird 259 e ausgesprochen.

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sener Bezeichnungen hinaus. Im „Th


Irrtums daran, daß Erkenntnis nur
nahme eines jeweils besonderen Seie
sion of certain particular things, p. 5
Dieses einseitige Vorverständnis von de
Sokrates die Gleichsetzung von Wahrne
(aocpia, ejtiaTTi^rļ) erschüttere, indem er
der Wahrnehmung notwendig verschlosse
das Zukünftige, welche in der Erinnerung
seits gewußt werden (163 d, 178 a); und a
nehmung nicht zugänglich ist; das Geme
des Wahrgenommenen, welches von der
reinen Gedankenbestimmungen wie oúaia, TÒ
(185 c ff.).

Aber auch die Gleichnisse von der


Taubenschlag (197 a ff.), welche auf
Irrtums den Begriff wahren Wissens
Augen des Vf. s die Vorstellung Piato
Aufnehmen und direktes Ergreifen e
by acquaintance) sei.
Eine besonders ausführliche Analyse wid
dem „Traum des Sokrates" (201 d ff.) : W
die Setzung unerkennbarer erster Eleme
Komplexe bestehen sollen, wenn er an
entgegengesetzte verfechte, daß die Grun
erkennbar sein müßten als die aus ihne
lasse sich demgegenüber feststellen: „. . .
a way that Plato did not realize. For the
or notes is the sense in which a dog know
that is to say we can recognize them. But th
something is true or false" (p. 45). Piatos
aitetos" zusammen mit der Bestimmung de
(201 c-d) am mangelnden Begriff jener Dif

Ungeachtet der genannten Bedenke


retischen und gegen sein Verfahren,
hältnisse zwischen einem Widerlegten
ßen, scheint mir der kritische Gesicht
licher Bedeutung. Denn er gibt zu
Gründe gehabt haben könne, das W
raum verschiedener Vorstellungen
aber auf die Fixierung endgültiger
solcher bewußter Verzicht ist ja etwa
Bewußtsein von den entsprechenden

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Platos späte Dialoge ( W . G. Runciman) 249

gekehrt fragen, unter welchen Bedingungen die ausdrückliche Bestim-


mung einer Differenz wie der zwischen „knowledge by acquaintance" und
„knowledge that" allererst einen erkenntnistheoretischen Sinn erhält. Wie
seine Analyse des „Theaitet" zeigt und die des „Sophistes" hinsichtlich des
Seinsbegriffes bestätigt, ist für R. die begriffliche Unterscheidung als
solche ein absoluter und hinreichender Selbstzweck. In diesem Punkt ist
offensichtlich eine Differenz zwischen seiner Idee vom Wesen philosophi-
scher Erkenntnis und der Piatos. Für diesen steht jede Unterscheidung
nicht nur unter einer Bedingung überhaupt, sondern insbesondere unter
der Bedingung der Möglichkeit, selbst eine andere und relevantere Unter-
scheidung überspielen, dadurch Grund einer fehlenden Unterscheidung
und auf diese Weise Grund einer Unwahrheit werden zu können. Des-
wegen besitzen Unterschied, bzw. Anderssein (xò eteçov) und Selbigkeit
(toutÓv) als solche bei Plato keinen eindeutigen ontologischen Status, sie
stellen keine unmittelbaren und selbstverständlichen, sondern selbstkri-
tische Wahrheitsgründe dar6. Auch wo es sich bei Plato, wie im „Kraty-
los" und „Theaitetos", um die Darstellung eines erkenntnistheoretischen
Atomismus in R.s Sinne zu handeln scheinen könnte, zielt diese Darstel-
lung nicht auf die Wahrheit dieser Position als solcher, sondern ebenso
immer auch auf ihre Unwahrheit, also auf ihre Einseitigkeit und auf ihre
Unfähigkeit, das „Andere ihrer selbst" als einen ihrer Wahrheitsgründe
sichtbar zu machen. Schon die Funktion, die der Grunddifferenz zwischen
absolutem (xo&' airó) und relationalem (JtQÒç aXko) Sein bei Plato zu-
kommt7, verbietet die Annahme eines unmittelbaren, naiven Atomismus
im Gegensatz zur Differenziertheit des Logischen. Jene Grundunterschei-
dung bezieht sich gerade auf das Wesen des Logos. Sie tritt aber nicht erst
im „Sophistes" in dieser Funktion auf (255 c), sie spielt in jeder erkennt-
nistheoretischen Reflexion mit, so auch von Anfang an in der Erörterung
des Wesens der 8Jti(JTT|ļiiļ im „Theaitet" (152 d), wo sie implizit das be-
herrschende Moment der Gedankenbewegung überhaupt bildet8.
• Daß Plato einen Unterschied gesehen habe zwischen unmittelbaren, direkten
Seinsbestimmungen (Beschaffenheiten der Dinge) auf der einen Seite, Reflexionsbe-
stimmungen wie Selbigkeit und Verschiedenheit, Ganzes und Teil etc., dafür scheint
insbesondere die Art und Weise zu sprechen, in der „Sophistes" 254 e f. Ruhe und
Bewegung auf der einen Seite, Selbigkeit und Verschiedenheit auf der anderen Seite
unterschieden werden. Das muß nicht heißen, daß Plato über eine ausgeführte Theo-
rie dieses Unterschiedes, etwa im Stile der Hegeischen Logik, verfügt habe.
7 Zur grundlegenden Bedeutung dieser Differenz für die Prinzipienlehre Piatos
vgl. J. Klein , Die griechische Logistik und die Entstehung der Algebra § 7, in:
Quellen und Studien z. Gesch. d. Mathematik , Astronomie und Physik III, Berlin
1934-36.

8 Auf das Problem dieser Unterscheidung zielt - via negationis - schon die an-
fängliche hypothetische Negation eines Ansich-Seins, 152 d : 'Eyd) eqcö xal jJiaA.9 où

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250 Reiner Wiehl

Die Wahrheit, die der Traum des Sok


Plato nicht verkannt, sondern unter
durch ihren sXeyxoç und durch die d
erst einen bestimmten Sinn und ein
erhält. Daß Piatos Erkenntnisbegrif
deutigkeit ermangelt, bewahrheitet s
anderen als dem von R. angenomme
tion der einfachen Elemente (atoi^e
erkennbar (aÀoya xai ayvcoata, 202
Vergleich zur Verbindung der Elem
yvœaiv e/siv, 206 b), drückt sich im
bindung des Vieldeutigen mit dem Ein
Begriffes liegt. Die Elemente und d
direkten Beziehungen der Erkennt
offenkundig einen notwendigen Gr
bindungen und zugleich eine notwe
solcher Verbindungen. Aber die Erk
d. i. propositionale Form noch auf and
Kategorie des Fürsich -Seins. Elemen
als fürsichseiend gesetzt werden, wen
len Komplexion auf Wahrheit und U
können9. Als Bedingung solcher Wa
ten die klarere und wirksamere Erkennbarkeit im Verhältnis zur Erkennt-
nis des Zusammengesetzten zu fordern. In der Beziehung des „Traumes
des Sokrates" zu seiner Widerlegung deutet Plato etwas von dieser viel-
fältigen Funktion, und damit vom vielfältigen Wesen des Grundes an,
ohne dessen Vielfältigkeit ausdrücklich namhaft zu machen. In diesem

(pav&ov Xòyov, <bç äga ìv ¿lèv airrò xad' avrò ovôév èaxiv, ... ; ebenso die Exposi-
tion der drei einander scheinbar widerstreitenden ófAO^OYTIM-oiTa 155 a ff. Vgl. auch
die vielzitierte Stelle: Charmides 169 a f.
9 Besonders deutlich zeigt sich dies u. a. Menon 77 b 5 ff. Die Definition, die
Menon hier von der gibt, hat die Form des „Satzes" : éycb touto Xèyco àQ8TT|V,
èjuftujAOÎivTa xcõv xaA.(òv ôvvaxòv eivai jtOQÍÇeaftai. Die dialektische Kritik des So-
krates an dieser Definition richtet sich zunächst gegen die Unbestimmtheit dieser
Satzform, welche sich als Unbestimmtheit der Beziehung zwischen den einzelnen
Teilen der Definition erweist. Deswegen die kritische Frage des Sokrates, worauf sich
das ôvvaxóv beziehe. Um zu bestimmen, was in solchen strukturell unbestimmten
Sätzen, in denen sich Allgemeinvorstellungen (ôó^ai) ausdrücken, auf was bezieht,
und welcher Art diese Beziehung ist, bedarf es in den Augen von Sokrates-Plato
offenbar einer Erkenntnis des Wesens dessen, was den Bestandstücken der Sätze
sachlich entspricht. Deswegen liegt für Plato die Erkenntnis der Ideen in einer an-
deren Dimension als der Antagonismus von Wort und Satz und transzendentiert da-
her von vornherein jede Art von erkenntnistheoretischem Atomismus.

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Platos späte Dialoge (W. G. Runciman) 251

Punkt ist zunächst kein Unterschied gegenüber dem „Sophistes" vorhan


den, dessen Theorie der Gemeinschaft der „Begriffe" (ysvr') immer wi
auf das vielfältige Wesen des Grundes anspielt, ohne dieses auf eine
stimmte Verschiedenheit terminologisch zu fixieren. Und auch die
wendigkeit der Setzung von Fürsich -Seiendem wird hier bestätigt, we
auch unter den genannten anderen Gesichtspunkten und Bedingungen
Erkenntnis. Sofern der Logos hier als grundlegende Gattung des Se
den gesetzt wird (260 a 5), wird er zugleich den Gesetzen der Verk
fung der Begriffe unterstellt, für die nicht nur die Unmöglichkeit ab
ter Isolierung (251 e ff., 259 e), sondern auch die Unmöglichkeit j
möglichen Verbindung von allem mit allem (252 d) konstitutiv ist
die deswegen in ihren Verknüpfungen untereinander sowohl durch
sich-Sein wie auch durch die Beziehungen zu Anderem bestimmt sin

4. Prädikation und Identität

Es ist schwer zu ermessen, wieweit R. in seiner Untersuchung die Frage


nach dem Wesen und der Funktion des Grundes ausklammert. Sein haupt-
sächliches Interesse gilt der Frage, wieweit Plato zwischen Sein und
Wahrheit unterschieden habe (vgl. p. 15, 23, 45 f., 59 ff.). Diese Frage
artikuliert sich weiter in der Frage, die in der englischen Plato -Literatur
überhaupt eine wichtige Rolle spielt, nämlich, wieweit Plato ein Sein im
Sinne der Existenz einerseits und des kopulativen Gebrauches andererseits
unterschieden habe. Dieser Gesichtspunkt bildet den Leitfaden von R.s
„Sophistes "-Interpretation. In einer scharfsinnigen Kritik an den ent-
sprechenden Gegenthesen Cornfords und Ackrills kommt er zu dem Re-
sultat, daß Piatos Intention nicht auf eine Unterscheidung zwischen dem
existentialen und irgendeinem anderen Sinne des sivai gehe, daß wir
vielmehr mit Sicherheit allein davon ausgehen könnten, daß im „Sophi-
stes" explizit zwischen Identität (taircóv) und irgendeinem anderen Sinne
des sivai (to ov) als zwei selbständigen Formen unterschieden wird (p. 63).
Tatsächlich beruhe Piatos Analyse des Seinsbegriffes auf einer weit-
gehenden „Assimilation" (ibid.) des existentialen und des kopulativen
Sinnes des etvai. Nicht, daß Plato ohne jegliches Bewußtsein von einer
solchen Differenz gewesen sei. So hebt R. ausdrücklich die Dialogab-
schnitte hervor, an denen Sein ohne Hinzusetzung eines weiteren Prädi-
kates gebraucht wird (u.a. 250a 11, 254d 10, 256d). Aber aus diesem
Gebrauch dürfe man keineswegs auf einen expliziten Existenz -Begriff
Piatos schließen. Auch im Falle dieses Gebrauches sei die Tendenz un-
verkennbar, entweder zum Sein unausdrücklich noch ein weiteres Prä-

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252 Reiner Wiehl

dikat hinzuzudenken, oder aber das Sein selbst als Prädikat aufzufassen
(p. 32, 75). Plato „establishes only that everything must have some sort
of being" (p. 87). Diesen Grundsatz zu beweisen, ist in den Augen R.s das
Ziel des ersten è'Àeyxoç des Nichtseienden (237a-239b). Indem Plato
allem Seienden überhaupt irgendeine Existenz zuschreibe, unterscheide
er zugleich verschiedene Stufen oder Grade der Existenz, bzw. des Exi-
stierenden, im Sinne einer hierarchisch gegliederten Ontologie (a grada -
tional ontology, p. 22, 65 ff., 76 f., 80 ff.). Auf dieser impliziten ontolo-
gischen Grundlage aber seien insbesondere negative Existenzaussagen
unmöglich, auch wenn Piatos Einsicht zu würdigen bleibe, daß negative
Urteile unabhängig von negativen Existenzaussagen formuliert werden
können (p. 99).

Um zu beweisen, daß Plato die Differenz zwischen dem existentialen und dem
kopulativen Gebrauch des eivai nicht eigens thematisiere, vergleicht R. die wichtig-
sten Abschnitte des Dialoges um festzustellen, daß bald dieser, bald jener Sinn selbst
der Begriffsreflexion unterworfen werde. Wie schon angedeutet, sieht R. im ersten
Wkzyxoç des Nichtseienden (237 b - 239 b) eine Erörterung des existentialen Sinnes
des elvai, der sich aus dem Resultat dieses îfXeYX°Ç ergibt, daß Nicht-Existenz
schlechthin (xò |iî1Ôafiâ)Ç öv) zu negieren, und alles überhaupt irgendwie als seiend
zu setzen sei (p. 64). Dagegen zeige die Erörterung der von Theaitet angegebenen
Definition des Bildes (240 a 9 - c 6), daß Plato zwischen Existenz, Realität und
Wahrheit nicht eindeutig unterschieden habe, obwohl seine Sprache zur Bezeich-
nung dieser Differenzen fähig gewesen sei (to öv, xò àA/ridivòv, xò aXrfiéç): „Plato
could have said that an elx(bv otix àXi1ftiV(5ç èaxiv èxeïvo oi> èaxtv ebcœv, àXk'
àÂ.i1ftvû)ç eaxlv elxcbv • xal (bç dXrļ^ivi) oftaa eixcov, ôvxcdç èaxlv öv." Aber Plato
sage nichts dergleichen. Er begnüge sich mit dem Hinweis, daß ein Bild als solches
ein Sein haben müsse, nicht aber sage er etwa, daß ein Bild hinsichtlich der Exi-
stenz gleiche Realität habe wie das Original. Die Gleichsetzung von àA/rçdivóv (real)
und ovxcoç öv (existent) bleibe ebenso unbefragt wie Theaitets Versicherung, daß das
Ähnliche (xò éoixóç) [iï| àX/r|{Hvóv sei (240 b 7) (p. 69). In der Diskussion der mytho-
logischen Ontologien sei zwar der existentiale Sinn des elvai unverkennbar, gleich-
wohl aber mit dem der Realität vermengt (p. 71). Denn jene Ontologien wollten
ja weder sagen, daß nur warme und (oder!) kalte Dinge existieren, noch, daß Sein
immer nur Heiß- und (oder!) Kalt-Sein bedeute, sondern dies, daß dem Warmen
und Kalten eigentliche Realität zukomme. Auch in dem folgenden Argument, welches
Sein unter dem Gesichtspunkt des Einsseins betrachte (244 b 9) (ëv jtov cpaxe (lóvov
eivai), sei Sein offensichtlich im Sinne der Existenz gemeint und das Seiende als ein
existierendes Ding betrachtet (p. 73 f.). Andererseits trete hier die fehlende Unter-
scheidung zwischen Existenz und dem Existierenden in Erscheinung. Bei diesem
Mangel gehe es nicht nur um den vielerörterten Vorwurf der Selbstprädikation, son-
dern vielmehr um den Verdacht einer fehlenden Unterscheidung zwischen Identität
und Attribution (Prädikation).

Daß Plato über den Verdacht eines solchen Mangels nicht erhaben sei,
versucht R. insbesondere an dem vielerörterten Abschnitt zu belegen,
welcher die xoivama tœv yevcov an einem kleinen Modellfall vordemon-

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Platos späte Dialoge ( W . G. Runciman) 253

striert (254b ff.). Offensichtlich gilt in den Augen des Vf. s die selbstver-
ständliche methodische Voraussetzung, daß eine fehlende terminologische
Unterscheidung zwar nicht unbedingt mit einer fehlenden begrifflichen
Unterscheidung auf dasselbe hinauslaufe, wohl aber einen solchen Man-
gel anzeige. Denn wenn er bezweifelt, daß Plato deutlich zwischen Identi-
tät und Prädikation unterschieden habe, so gründet sich dieser Zweife
vor allem zunächst auf das Argument, Plato gebrauche zwar ein eigene
Zeichen für Selbigkeit (tairróv), während ihm ein entsprechendes Sprach -
zeichen für die Prädikation nicht zur Verfügung steht (p. 88 f.). Unter
diesem Gesichtspunkt gewinnt R.s kritische Auseinandersetzung mit der
Gegenthese von Ackrill besonderes Gewicht, welche in Piatos Gebrauch
des [XEtéxeiv ein bewußtes und ausdrückliches Zeichen des Seinsbegriffes
im prädikativen Sinne zu erkennen meinte 10 .
So richtet sich R.s Kritik gegen Ackrills Interpretation der Belegstelle 256 a 10-
b 4, aus der dieser eine klare Unterscheidung des Sinnes der Identität und der Prädi-
kation herauslesen zu können meinte, also einen zweifachen Sinn des eivai, der auc
in der Wendung HtVTļatg xavtóv eivai xal ii/f| xavxov bewahrt sei. Dem hält R. ent-
gegen, daß in der letzten Wendung nicht ein verschiedener Sinn des eivai ausgesag
werde, sondern eine jié^e|iç-Beziehung der Form „>cívi1mç" zu zwei anderen, vonein-
ander unterschiedenen Formen. Besonderes Gewicht gewinnen für R.s Gegenthes
jene Belegstellen, die schon Ackrill im Beweis seiner These nicht unterbringen konnt
und als Ausnahmefälle gelten zu lassen gezwungen war. So könne jxexeîxe (255 d 4
unmöglich die Kopula meinen. Denn von allen Formen (yévT1) überhaupt gelte, da
sie an den Formen des Für-sich-Seins (xaft* avTÓ) und des relationalen Seins (jtQÓç Tl
teilhätten. So könne man zunächst erwarten, daß in diesem prädikativen Sinne auc
der Form der Verschiedenheit (erepov) eine Teilhabe an den beiden genannten For
men zugeschrieben werde. Statt dessen aber werde, auffällig genug, von der Ver
schiedenheit im Unterschied zum Seienden gerade nur die Form relationalen Sein
in Anspruch genommen, die insofern unmöglich im prädikativen Sinne verstande
sein könne. Darüber hinaus entstehen nach R. besondere Schwierigkeiten, wenn man
255 b 1 und 256 b 9 miteinander vergleicht. Denn an der letzteren Stelle sei jieta
Xa^ßaveiv unzweifelhaft im Sinne der Prädikation gemeint, während zuvor ein
solche mögliche prädikative Beziehung zwischen xívT1<Jiç und axáaiç nachdrücklic
negiert sei.

Man wird sich R.s Argumenten, soweit sie Ackrills genannte These zu
entschärfen suchen, nicht unbedingt verschließen können, sowenig wi
dem allgemeinen Gesichtspunkt des Vf.s, daß der „Sophistes" keine defi-
nite Begriffsunterscheidung des Seins im Sinne der Existenz, der Identi-
tät und der Prädikation enthalte. Aber mit einer solchen Feststellung ist
es nicht getan. Feststellungen dieser Art werden allererst interessant und
am Ende möglicherweise einleuchtend durch die Art ihrer Begründung

10 J. L. Ackrill , Plato und the copula 9 Sophist 251-259, Journal of Hellenic Stu-
dies LXXVII 1957 (1).

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254 Reiner Wiehl

R.s Begründung, daß Platos Idee ein


(s. o.) eine definite Unterscheidung in
Plato zwar ein gewisses Bewußtsein
diese jedoch zum direkten Gegenstand
aus mehr als einem Grunde ungenüg
gestuften Ontologie ist - auf Piatos P
und im Hinblick auf den „Sophistes" v
es hier im Verlauf der Vorstellung
Rahmen der Erforschung des Wese
kung der Gleichheit und Gleichwür
schen Erkenntnisbegriff kommt (22
hang zwischen dieser Gleichheit alle
Vorstellung einer hierarchischen O
Wieweit und in welche Richtung geht
ses? Auf diese Frage gibt R. sowenig e
eigentlich jenes Begriffsmodell einer
von Begriffsgesellschaften überhaupt
aus, daß Begriffe sich teils verbinden
ohne jeden Vorbehalt zustimmen kö
gen der Begriffe nicht ausschließlich
Relationen nach Art der Identität h
nicht nur wechselweise Beziehungen
tete Relationen in der Begriffsgesells
gen, ob nicht doch in einem näher zu
dem Verhältnis von Identität und P
lichen Bestandteil der Frage nach d
der Verknüpfung der Begriffe ausm
ten, positiven Aussage über jenes V
wäre dann, wie sich Piatos indirek
erkennen gebe, und aus welchen Grün
implizite Sprache aufgezeigt werde.

5 . Setzung und Voraussetzun

Man wird dem Vf. in dem Punkte zustimmen können, daß Plato im
„Sophistes" die Frage des „Kratylos" nach den Bedingungen wahrer und
angemessener Bezeichnung konsequent in Richtung der Frage nach dem
Wesen wahrer Aussage weiterverfolge. Die Frage ist aber, unter welchen
11 Runcimans Kritik an der entsprechenden Gegenthese von Cornford (in: Piatos
Theory of Knowledge) scheint mir insofern einleuchtend.

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Platos späte Dialoge ( W . G. Runciman) 255

Begriffsbedingungen das Wesen wahrer Aussage gesehen und bestimm


wird. Wie schon angedeutet scheint mir R. den Wahrheitssinn dessen z
verkennen, daß Plato, auch im „Sophistes", das Verhältnis zwischen an-
gemessener Bezeichnung und wahrer Aussage über die Sache, d. i. die
Definition derselben, offen und in der Schwebe läßt, weil im Spielraum
dieser Differenz die Möglichkeit der Selbstkritik der fraglichen Aussag
entspringt.
Zu ergänzen wäre R.s Auffassung weiterhin durch den Nachweis, daß
Piatos Erforschung des Àóyoç im „Sophistes" auf die Frage führt, wie sich
das verhalte, was nicht ausdrücklich bezeichnet und bestimmt werden
kann, zu dem, was solcher expliziten Bezeichnung und Bestimmung im
jeweiligen Falle nicht besonders bedarf. Jede Rede und Aussage enthält
Momente, die sie - auf Grund ihres Verlaufes und im Zusammenhang
mit diesem - nicht explizit bezeichnen kann, und die Möglichkeit sinn-
voller Reden und Aussagen beruht darauf, daß dasjenige, was nicht aus-
drücklich bezeichnet werden kann , sich im Sinne eines Schlusses zusam-
menschließt mit dem, was nicht explizit bezeichnet werden muß. In die-
sen Zusammenhang rückt insbesondere die Frage nach dem Sein des Nicht -
seienden, die, zugleich mit dieser Frage nach dem Sein, nach der Aussag -
barkeit dieses Seins fragen muß. Das Nichtseiende bildet den Ursprungs-
ort jenes fraglichen Verhältnisses zwischen Unmöglichkeit und Unnötig-
keit der Aussagbarkeit, von wo die Frage nach dem Wesen des Àóyoç
ihren eigentlichen Ausgang nehmen muß. Der sophistische Argumenta-
tionsmißbrauch gibt sich seinerseits ein theoretisches Fundament in dem
mißbräuchlichen Diktum vom Nichtsein des Nichtseienden, welches die
kategoreale Grund differenz zwischen dem Seienden als solchem und sei-
nem Was-Sein verdeckt. Darüber hinaus beruht die trügerische sophisti-
sche Widerlegungspraxis (avtiXoyixr] te^viļ) auf der Möglichkeit, einen
anonymen Sinn der Negation unbemerkt mit einer expliziten Negation
und Entgegensetzung zu vertauschen, so daß schließlich Seiendes und
Nichtseiendes fälschlich als Gegensatz erscheinen und die sophistischen
Widerlegungen den Schein einer Allwissenheit des Widerlegenden pro-
duzieren 12 .

12 Man vgl. Menon 75 a 10 und 76 a 7 die beiden vorgelegten und diskutierten


Definitionsmuster in Gestalt zweier Definitionen von axfjfxa 1. EdTCO yàQ òr' rjjXLV
touto axTļ|xa, o fióvov twv ovtcov TUYxávei xQWfAaTi àel éjiójiEvov (75 a 10) 2. ôteqeoù
Jtéçaç Oftfļļjia ßlvai (76 a 7). Die erste Definition hat ihren Mangel nicht allein im
Fehlen der von Menon stürmisch geforderten Definition von „Farbe", sondern offen-
sichtlich ebenso in der Unbestimmtheit des Ausdrucks éjiónevov. Demgegenüber hat
die zweite Definition ihren positiven Sinn nicht zuletzt in der ausdrücklich fest-
gestellten Nicht-Unterscheidung zwischen teà.eutï|, JtEQaç und EaxaTOV (75 e). Die

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256 Reiner Wiehl

Was eine Rede nicht direkt und unm


nicht aussagen muß, ist ihre innere
einer Rede allererst einen Sinn gibt
Bedingung der Möglichkeit, eine Re
kritisch zu prüfen, eine Prüfung, welc
dieser Gliederung, und insofern die
inneren Logik der Sache in eine äußere
deutung, die in der Gliederung einer
wird nun vorzüglich an jenem Model
jxeyiata yéví] deutlich; und zwar nic
an sich bedeutungslose Einheiten si
Modell für das Logische überhaupt a
kleinen Gesellschaft ist auch hinsichtli
terscheidung zwischen Identität und
irgendeine Aussage über dieses Verhält
Im ersten Abschnitt dieser Vorführung
(yevTļ) in einem wesentlich anderen Verh
255 e - 256 c. Zunächst wird nur die Vers
einander bewiesen, und zwar in dem Sinn
mehr oder weniger Begriffe, und insofer
dies zu beweisen, werden die Begriffe je paa
paarweisen Verschiedenheiten gegeneina
gesetzte, teils als Unter scheidungsgrund,
schiedes gebraucht.

Dagegen wird dieser Beweis der Fün


stimmungen im folgenden Abschnit

Selbigkeit dieser drei Termini ist offensic


dikos!).
Hinweise auf die Unnötigkeit einer weiteren Bestimmung der zu bestimmenden
Sache treten wiederholt im Zuge der dihaireti sehen Begriffsbestimmung im „Sophi-
stes" auf : u. a. : 220 d, 225 c, 226 d, 227 a f. Daß mit dem Begriff des Nichtseien-
den (tÒ ļxf) öv) das Problem eines Unnennbaren thematisiert ist, erweist sich expli-
zit in der dialektischen Entfaltung des jtaxçixòç A.óyoç des Parmenides: „Sophistes"
237 b ff. (vgl. auch „Parmenides" 142 a). Wenn demgegenüber „Sophistes" 257 d
eine „Anonymität" des Nichtseienden ausdrücklich abgelehnt wird, so im Sinne und
in der Absicht der Wahrheit, insbesondere hinsichtlich eines wahren EXeyxoç- Die
Kehrseite dieser Wahrheitsmöglichkeit liegt aber in der Möglichkeit und Notwen-
digkeit anonymer Negationen und der dadurch gegebenen Möglichkeit, einem nam-
haft gemachten Nichtseienden anonyme Negationen und deren Seinssinn unbemerkt
unterzuschieben. Anonym ist das Nichtseiende sofern es in zahlloser Gestalt an
jedem Seienden als dessen Verschiedenheit auftritt. (Vgl. Sophistes 256 e 5: jtEQÌ
exaaxov aga xô&v elôœv Jto7.il piv èaxi tò öv, ajteiQov Ôè jiA.ï|dei to ^ öv). Hier liegt
der Ursprung der sophistischen avxiA-oyixri xe/VT].
13 „Sophistes" 255 c 8 ff .

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Platos späte Dialoge (W. G. Runciman) 257

Sinne, daß hier nun eine dieser fünf Bestimmungen, nämlich die der Be
wegung, für sich als verschieden von den vier anderen gesetzt wird. Ers
durch eine solche Setzung einer Bestimmung als einer solchen gewi
diese eine eigene logische Natur und fängt an, ein Begriff zu werde
Im Falle dieses anfänglichen Begriffes der Bewegung ist die Verschieden
heit nunmehr seine eigene Verschiedenheit, nicht mehr nur eine V
schiedenheit zwischen einer Bestimmung und einer anderen14. Diese sein
Verschiedenheit unterscheidet und gliedert sich nunmehr nach den „
griffen", von denen er verschieden ist und nach dem Gewicht, den dies
Verschiedenheiten für ihn haben. So gewinnt der Begriff der Beweg
im Durchgang durch seine verschiedenen Verschiedenheiten allererst
reales, wenn auch zunächst höchst anfängliches und unvollkomme
Selbstsein. In diesem Selbstsein, welches sich auf seine Verschiedenheiten
gründet, erhält der Begriff der Bewegung auch allererst die Möglichkei
sich mit demjenigen „Begriff" zu verbinden, der für ihn, hinsicht
seiner Möglichkeiten zur Verbindung überhaupt, unter den vier genann
ten Bestimmungen von ausgezeichneter Bedeutung ist: die Möglichk
einer Verbindung mit der Ruhe15. Während also im ersten Abschnitt de
Vorführung die Differenz zwischen Ruhe und Bewegung im Sinne
verschiedenen möglichen logischen Funktionen eines Gegensatzes üb
haupt gebraucht wird, werden dadurch zugleich die Bedingungen
Spiel gebracht, welche das, was zunächst als absolut sich ausschließe
erscheinen mußte, nunmehr unter dem Gesichtspunkt einer möglic
Verträglichkeit zu betrachten erlaubten: Die Bewegung ist (wie übrig
auch die Verschiedenheit) in ihrer kategorialen Form so verändert,
Ruhe eine ihrer möglichen Bestimmungen wird. Das kleine Modell d
fünf Grundbestimmungen zeigt also durch die genannte Gliederung me
als nur dies Allgemeine, daß sich unbestimmte, an sich nichtssage
Terme zu verbindlichen logischen Funktionen zu artikulieren vermö
so wie sich Buchstaben am Ende zu sinnvoller Rede zusammenfügen.
das Modell darüber hinaus erkennen läßt, ist die Notwendigkeit ei
Wechselspieles zwischen Setzung und Voraussetzung im Bereich des Eine
und Vielen zum Zwecke einer Bestimmung dieser primär unbestimm
Relationen16. Setzungen und Voraussetzungen stehen in einem Verhältni
14 Die Differenz, die durch diese Gliederung angezeigt wird, stellt in gewis
Weise eine erste Form dessen dar, was die spekulative Logik Hegels als Differe
von äußerer und bestimmender Reflexion zum beherrschenden Prinzip jeder l
schen Bewegung, i. e. der dialektischen Methode, erhoben hat, Spuren einer d
artigen Unterscheidung finden sich auch „Parmenides" 147 c ff.
15 „Sophistes" 256 b 6. Diese fragliche Möglichkeit hängt mit der entsprechend
Unmöglichkeit korrelativ zusammen.
16 Auf das Unterscheidungsverhältnis von Setzung und Voraussetzung weist

17 Philosophische Rundschau 15. lieft 4

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258 Reiner Wiehl

wechselseitiger Voraussetzung: So wie


Buchstaben als letzte Bestandteile vo
nend umgekehrt die zusammenhän
setzung dafür, daß in ihr einzelne B
staben, Silben oder Wörter und Sätze g
Daß mit diesem Wechselverhältnis
zung auch ein wesentlicher Ausgang
scheidung von Identität und Prädik
Unterschiedes gewonnen ist, kann h
seits lassen sich aber auch Gründe namhaft machen, um Piatos Verzicht
auf die terminologische Bezeichnung und begriffliche Fixierung jener
Differenz zu erklären. R. betrachtet Piatos Modell einer ttoivcovía tgov
ysvcav teils nur in sich selbst, teils aber mit besonderem Hinblick auf die
sich unmittelbar anschließende Erörterung der Frage nach den Be-
dingungen und der Möglichkeit unwahrer Aussagen (260 c ff.). Auf diese
Weise aber bleibt der Sinn jenes Modells teils in einer unbestimmten
Schwebe, teils entsteht die außerordentlich schwierige Frage, ob die
avfiJTÀoxT) tcav eîôœv in jeder Aussage (Xóyoç) vorausgesetzt oder durch eine
solche Aussage repräsentiert werde; insbesondere aber die Frage, wie wir
an Hand einer solchen crupiJïXoxif) erkennen können, welche Fälle mögliche
Aussagen bezeichnen und welche nicht (p. 108 ff.). R. vermißt bei Plato
eine klare Entscheidung dieser Fragen, untersucht aber auch nicht die
Bedingungen, welche das Fehlen einer solchen Unterscheidung zwischen
einer Repräsentation und einer Bedingungsfunktion als sinnvoll und be-
gründet erscheinen könnten. Was die Schwierigkeiten hinsichtlich einer
Unterscheidung zwischen Identität und Prädikation betrifft, so möchte
ich meinen, daß diese sich zu einem guten Teil ausräumen ließen, wenn
man den Zusammenhang zwischen dem Modell der fünf Begriffe und der
dihairetischen Erkenntnismethode ins Auge faßte.
Allerdings hat R. die Frage nach Sinn und Funktion dieser Methode
ausdrücklich von seiner Untersuchung ausgeschlossen (p. 5), aber es ist

sonders deutlich die „Sophistes"-Stelle: 222 b. Scheinbar wird hier dem Theaitet die
absolute Freiheit des Setzens eingeräumt: dèç ôè Õjtr X<*í(>£iç. I*1 Wahrheit steht
diese freie Setzung aber bereits unter der Bedingung eines komplexen Geflechtes
von sachlichen Voraussetzungen, an die jene freie Setzung sich notwendig binden
muß, wenn sie Wahrheitserkenntnis werden will. Was den Zusammenhang zwischen
den beiden Unterscheidungsverhältnissen von Setzung und Voraussetzung einerseits,
Prädikation und Identität andererseits betrifft, hat Hegels Logik ebenfalls wichtige
Vorarbeit geleistet. In seiner Wissenschaft der Logik werden setzende und voraus-
setzende Reflexion so auf das Verhältnis von Selbigkeit und Verschiedenheit bezogen,
daß die beiden letztgenannten Reflexionsbestimmungen die Form einer logischen
Wechselwirkung im Spielraum der Modalitätskategorien annehmen.

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Platos späte Dialoge (W. G. Runciman) 259

die Frage, ob er dies tun konnte, ohne sich selbst der Möglichkeit zu be
rauben, der fraglichen Differenz zwischen Identität und Prädikation ein
Sinn zu geben, der sich überhaupt im Horizont der Gedanken des „Sophi
stes" bewegt. Denn hier ist es offensichtlich primär jene Methode,
den Ort für den Gebrauch der Identität und der Prädikation abgibt; alle
dings auch nur im Sinne eines notwendige Spielraumes für irgende
derartige Differenz, die von der Grundunterscheidung geleitet ist z
schen dem Erkenntnisgegenstand, der bestimmt werden soll, und den B
dingungen, die in der Erkenntnis von jenem auch nicht ohne Bestimmu
und Erkenntnis bleiben dürfen. Die Frage wäre nun, in welchem Si
das Modell der fünf Begriffe nicht nur etwas für die Vergesellschaftun
von Begriffen, sondern auch etwas über die dihairetische Methode,
damit etwas über den Zusammenhang zwischen beidem aussagt; in
besondere aber, welche logische Darstellungsform sie diesen Aussa
in Übereinstimmung mit dem Zweck dieser Aussagen gibt. Die dihai
tische Methode ist an ihr selbst, als Methode, schon nicht mehr nur ein
einfache und unmittelbare Erkenntnisbewegung, sondern eidetisc
Selbststilisierung im Sinne einer Widerspiegelung und Reflexion ih
Bewußtheit auf ihre innere Gliederung hin. Der Zweck einer solch
Selbststilisierung ist es, die eigene Kontinuität, und damit eine kohären
und konsequente Wiedererinnerung logisch zu antizipieren, und s
damit die Bedingungen für eine mögliche Selbstkritik vorzugeben.
Begriffsmodell der fünf eïôr] aber hat diese Selbstdurchleuchtung des G
dankens nicht einfach nur auf die tief erliegenden und darum verborge
ren Hintergründe auszudehnen, sondern damit zugleich auch etwas ande
res zu zeigen: nicht die innere Gliederung des Gedankens noch einm
zu beleuchten, sondern eine Abbildung derjenigen Bewegung als B
wegung darzustellen, die allererst eine logische Gliederung des Gedanken
möglich macht, die diesem schließlich als gegliederte Gestalt des B
stimmten und Erkannten gegenübertreten kann: die zur Ruhe geko
mene, ruhig gewordene Bewegung. So soll das kleine Modell einer
griffsgesellschaft einen Einblick gewähren in die Möglichkeit der Genes
von Bestimmtheit. Damit eine möglichst universale Gültigkeit des Mode
gewährleistet ist, wird der Bereich möglichst universaler Prädikate
gesucht und hier vordemonstriert, was auf den ersten Blick als das aller
unmöglichste erscheinen muß: Die Möglichkeit und innere Notwend
keit, daß sich Grundgegensätze wie der Gegensatz von Bewegung
Ruhe am Ende versöhnen und vertragen können. Nicht aber auf ein
Beweis einer allerhöchsten coincidentia oppositorum zielt jene Dem
stration des Modells in erster Linie. Vielmehr hat sie zunächst zu zeigen
wie ein ursprünglich grundlegender Gegensatz aufgrund verschiede

17*

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260 Reiner Wiehl

ihm eigener Bedingungen seine ur


ändert und dadurch Seiendes zu setzen
Idee des Verschiedenen erweist sich
änderung einer logischen Funktion un
Gliederung eines in sich geschlossen
Sucht man in Piatos Dialogen besti
oder fixierte Unterscheidungen von
vermutlich immer und notwendig e
wand gegen R.s Versuch, aus den D
Logik zu erschließen. Ich meine nich
solche Erschließung verbiete, wohl
Ontologie und Logik nicht getrenn
einer möglichen Theorie Piatos vom
und Logik wesentlich, nicht getrenn
lehre 17 . Die Absehung von diesem Z
Gründe dafür, daß R. in der Frage
nicht über den kritischen Gesichtspun
lich der Negation nicht zwischen Id
schieden sei.

Hier führt diese Kritik auf den bekannten und vielerörterten Vorwurf der Selbst-
prädikation zurück: Plato unterscheide nicht klar zwischen: „X ist nicht gerecht"
und „X ist nicht Gerechtigkeit". Zumindest sei im „Sophistes" nur eine einzige Er-
klärungsmöglichkeit für die beiden grundverschiedenen Fälle zu finden, nämlich:
„X hat teil an der Form der Verschiedenheit hinsichtlich A" (p. 100 ff.). Durch diese
Interpretation sieht R. sich vor die Notwendigkeit gestellt, zwei naheliegende
extreme Konsequenzen zu vermeiden: die eine, daß Plato, indem er die Negation
in Verschiedenheit transformiere, auf eine eigentliche Bestimmung der Negation Ver-
zicht leiste und die Negation nur als eine Art Pseudo-Position zu bestimmen in der
Lage sei. Dieser Konsequenz entspricht das andere unhaltbare Extrem, die Not-
wendigkeit, Ideen des Negativen (des Nicht-Schönen, Nicht-Großen etc.) annehmen
zu müssen.

R. bemüht sich, als Entdeckung Piatos dies festzuhalten, daß Negation


nicht notwendig Nicht -Existenz impliziere. Aber um die genannten
Extreme dabei zu vermeiden, verabsolutiert er das Für- sich -Sein der Idee

17 Vgl. Hegel, Phänomenologie des Geistes (ed. Hoffmeister) p. 53 „Nachdem


aber die Dialektik vom Beweise getrennt worden, ist in der Tat der Begriff des philo-
sophischen Beweisens verlorengegangen". Daß Hegel in der platonischen Dialektik
die später verlorengegangene Einheit von Dialektik und Beweis noch verwirklicht
und diese Dialektik darum als vorbildlich ansah, verrät sein Hinweis auf Plato auf
den letzten Seiten seiner Wissenschaft der Logik (II. Teil ed. Lasson p. 491). Auch
wenn Hegels Logik selbst heute in mehr als einem Punkte höchst problematisch er-
scheinen muß, verdient der genannte Gesichtspunkt m. E. mehr als nur historisches
Interesse.

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Platos späte Dialoge (W. G. Runciman) 261

des Verschiedenen in einer Weise, die nicht in der Absicht Piatos geleg
gewesen sein kann18. Erst dadurch aber kommt die fehlerhafte Se
prädikation an die Form der Verschiedenheit in dem Sinne, selbst
schieden zu sein. Was bei Plato am Ende Zusammenfassung, Resu
und abschließende Feststellung einer vorangegangenen Explikation
muß nunmehr als Beleg für eine solche fehlerhafte Selbstprädik
dienen : „So wie das Große groß und das Schöne schön war, und das Nic
große und Nichtschöne nicht groß und nicht schön, so war und ist
das Nichtseiende nichtseiend . . (258 c) : dieser Satz Piatos wird vom
vor die Alternative „Identität oder Prädikation" gestellt, die erstere M
lichkeit wird verworfen, so daß die fehlerhafte Selbstprädikation unve
meidlich scheint.
Das Thema „Selbstprädikation" ist offensichtlich eine Art Scheide -
wasser für verschiedene Typen der Plato -Interpretation. Auszuschließen
ist von vornherein die Möglichkeit, daß Plato die Fragwürdigkeit der
Selbstprädikation überhaupt nicht gesehen habe. Insofern scheiden die
Interpretationen aus, die Plato eine Blindheit gegenüber diesem Problem
zu unterstellen gezwungen sind. Vielmehr hatte für Plato offenbar die
Selbstprädikation eine eigentümliche, aber nicht unbefragt gelassene
Wahrheitsfunktion. Aber in welchem Sinne? Hier ist der Punkt, wo sich
die verschiedenen relevanten Interpretationen trennen. Wenn die Selbst -
prädikation eine bewußte, mehr oder weniger endgültige Grundlage oder
eine von Plato direkt ergriffene grundlegende Konsequenz seiner Onto-
logie ist, dann besteht eine Kritik wie die von R. zu Recht. Überzeugender
aber scheint mir eine Auslegung, welche davon ausgeht, daß die Selbst -
prädikation, besser: die Selbstbeziehung und Reflexion der Begriffe in
sich eines der wichtigsten logischen Forschungsinstrumente Piatos ist19.

18 Wenn Plato etwa „Sophistes" 255 e 5 von der lôéa {hxtéQOU spricht, so ist dies
nicht in einem unbeschränkt absoluten und dogmatischen Sinne zu verstehen. Die
Notwendigkeit, eine Idee X oder Y anzunehmen, ergibt sich aus einem bestimmten
Problemkreis, einer bestimmten wissenschaftlichen Fragestellung und aus dem logi-
schen Zustand, in dem sich die Erörterung dieser Frage befindet. Fragt man einfach
nur so dahin, wovon es Ideen gebe, so kommt man notwendig in die von Plato
selbst, „Parmenides" 130 b geschilderte Situation des „Erfinders" der Ideen, des
jungen Sokrates. Welch differenzierter Problemkreis mit der Frage, wovon es Ideen
gebe, sich bereits in der unmittelbaren philosophischen Nachfolge Piatos stellt, zeigt
P. Wilpert, Zwei aristotelische Frühschriften über die Ideenlehre, Regensburg 1949.
19 Vgl. u. a. „Parmenides" 151 d ff. Hier dient die Selbstbeziehung der Größenbe-
stimmung zunächst nur der Einführung in das Problem der Teilbarkeit der Ideen,
d. h. in die Einführung in die Frage nach der Wahrheit. Sie dient aber auch der mög-
lichen Entdeckung desjenigen Seienden, für das die Beziehung auf sich die wahre
Form ist. Vgl. auch die bereits zitierte Stelle Charmides 169 a, in ihrem weiteren Zu-
sammenhang.

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262 Reiner Wiehl

Allerdings darf man den Anwendu


formallogisch beschränkt denken, wi
formalen Logik und der formalen
stimmbar genommen wird. Piatos dia
terisiert durch die Beweglichkeit u
schen Form und Inhalt, die in jede
dieser Grenze implizit oder explizi
ment der Selbstbeziehung ist daher
borgenen Zusammenhängen dient,
deckung verborgener Prinzipien und
nur, wenn auch besonders, der Ent
menhanges, welcher die ontologisch
dikation überhaupt beruht. Es die
kategorialer Irrtümer. Sein Anwendu
des Seienden, sofern dieses in der Spr
mittels der Dialektik namentlich b
ist für Plato keine Selbstverständlichkeit, daß alles Seiende „vor dem
Begriff" ein gleiches Verhalten zeige, auch wenn er das Prinzip solcher
Gleichheit für notwendig anerkennt20. Aber diese notwendige Gleichheit
schließt die Verschiedenheit des ontologischen Verhaltens des Seienden
in der Sphäre des Erkennens keineswegs aus. Insofern ist Piatos Onto-
logie und Logik nicht formal, sondern transzendental. Und die Beziehung
eines Begriffes auf sich ist keine ultima ratio, sondern dient der Er-
forschung des ontologischen Verhaltens dieses Begriffes und der anderen
mit ihm wesentlich verknüpften Gedankenbestimmungen.

6. Bedeutung und Wahrheit

Unter diesem Gesichtspunkt gewinnt der entgegengesetzte Standpunkt


des Vf. ein besonderes Interesse, den er seiner Anlyse von Piatos Theorie
des Satzes, und insbesondere der der falschen Aussage zugrunde legt.
Piatos Analyse bleibe hinsichtlich einer möglichen Theorie der Bedeutung
(meaning) sehr limitiert. So zeige der „Sophistes", daß Plato nur struk-
turelle Kriterien der Bedeutung kenne, welche ungeeignet seien, die Satz-
materien mitzuumfassen. Beurteile man, wie Plato es tue, die Bedeutung
nur danach, ob sie der Struktur genüge, eine aufiJtXoxr) von övojia und
Qf]|ia zu sein (262 äff.), so sei man gezwungen, den Bereich sinnvoller
Sätze ins Unendliche auszudehnen. Sätze wie „Thursday gargles" oder

20 Sophistes 227 a-c.

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Platos späte Dialoge (W. G. Runciman) 263

„justice is an egg" genügten offensichtlich den angegebenen Bedingunge


und Kriterien eines Xóyoç überhaupt. Andererseits fehle ein Prinzip
das von Russell, welches es gestatte, deskriptive Phrasen wie die „
present king of France" oder „The round-square cupola of Berkele
College" als Subjekte in Sätze mit gewissen Wahrheitsfunktionen zu inte
grieren21.
Der Vf. möchte Plato nicht ein Bewußtsein jener Differenz aberkennen, welche wir
bei Aristoteles als Differenz zwischen Xóyoç armavxixóç und Xóyoç àjioqpavTixóç
formuliert finden. Aber es bleibt in seinen Augen unbegreiflich, mit welcher Selbst-
verständlichkeit Plato im „Sophistes" das Wesen des Logos ausschließlich auf den
Gültigkeitsbereich der Disjunktion zwischen wahren und falschen Aussagen be-
schränkt. Erschwerend komme hinzu, daß Piatos Beispiel einer unwahren Aussage
in seiner Beispielsfunktion nicht eindeutig sei. Die Sätze ©EainļTog xodhjxai und
0£<xí.TT1TOÇ Jj vûv èyœ ôiaXéyo^ai, jiéxexai könnten ebensogut als Beispiele einer un-
mittelbaren Evidenz (des Wahren und Falschen), wie auch - durch ihr Verhältnis
zueinander - als Fall von Inkompo ssibili tät verstanden werden. Doch sei nicht
auszuschließen, daß das Beispiel auf beiderlei Sinn von Unwahrheit verweise. Doch
auch damit seien offenkundig nicht alle möglichen Fälle unwahrer Aussage getrof-
fen, während man doch annehmen müsse, daß Plato das Beispiel in universaler Ab-
sicht gebrauche (auch wenn ein Fall unwahrer Aussage zur Widerlegung der sophi-
stischen Position ausreiche).

R. unterstreicht bei seiner Deutung, daß die Funktion des etSQOV für
den Fall unwahrer Aussagen von Plato viel deutlicher hervorgehoben
sei als die konstitutive Funktion des ov für den Bereich der Aussagen bzw.
für das Wesen des Xóyoç überhaupt. (Diese konstitutive Funktion des ov
erklärt R. so: Im Falle der Aussage „Theaitet sitzt" gelte: Theaitet hat
teil an der Form des Seienden, mit der sich ihrerseits die Form „Sitzen"
verbindet [16)] [p. 112]).
R. geht bei seiner Deutung des Satzbeispiels für eine unwahre Aussage von der
subtilen Annahme aus, daß möglicherweise eine Unverträglichkeit zwischen einem
fälschlich gesetzten Prädikat und anderen positiv für wahr erkannten Prädikaten
der Sache überhaupt nicht vorhanden sei, bzw. daß eine solche Unverträglichkeit im
strengen Sinne sich möglicherweise nicht ohne weiteres feststellen lasse. Auch
einem solchen möglichen Falle müsse eine Erklärung falscher Aussagen Rechnung
tragen, wenn sie dem Anspruch auf Universalität genügen wolle. Die Form „Ver-
schiedenheit" (to exeçov) biete nun die Möglichkeit zu einer universal gültigen Er-
klärung falscher Aussagen: Man könne eine Aussage falsch nennen, wenn sie ein
Prädikat enthalte, welches von jedem wahren Prädikat der Sache verschieden sei.
Allerdings enthalte diese Erklärung eine grundlegende Schwierigkeit : Setze man die
Falschheit einer Aussage in die Verschiedenheit des (fälschlich) gesetzten Prädikates
gegenüber jedem für wahr erkannten Prädikat der Sache, so erfordere die Einsicht
in die Falschheit einer Aussage möglicherweise einen unendlichen Prozeß der Falsi-

21 Vgl. W. V. O. Quine , From a logical point of view , Harper Torchbooks, New


York p. 25.

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264 Reiner Wiehl

fikation, bzw. der Verifikation der Fals


müsse die Falschheit des betreffenden P
Sache bewahrheitet werden. Dieser von i
keit begegnet der Vf. mit dem Hinweis,
legung der sophistischen Position gehe, sof
des Unwahren hinziele; und daß für dies
genüge, welches die Verschiedenheit zwi
(„Fliegen") und jedem möglichen wahren
erscheinen lasse, daß es Plato also nicht dar
unwahrer Aussagen auf ihre Unwahrheit

Dieser neue Vorschlag zur Erkläru


unwahre Aussage („Theaitet, mit d
erscheint mir insbesondere durch s
klärung aus der einseitigen Bindun
nehmbare Falschheit, sei es an eine
Verkehrtheit zu lösen22. Jenes Satzbe
sale Funktion, und die verschieden
pretation müssen deswegen auf eine m
tendieren. Ebenso wichtig scheint mir
einer formalen Erklärung des Wesens
lichen Falsifikationsmethode. Nicht
offenkundigen Ansicht des Vfs., d
Gesichtskreises des „Sophistes" lieg
Piatos über die Vorläufigkeit und
klärungen hinzuweisen, die teils als
mögliche Weiterbestimmung oder s
schen Anwendung hin formuliert wer
an die dihairetische Methode zu eri
Fragestellungen nicht gänzlich von ei
dürfen. Zwar tritt diese Methode al
und Bestimmens auf. Aber sie ist darüber hinaus eine Methode des Er-
kennens erst dadurch, daß sie zugleich mit den für wahr erkannten auch

22 Auf die differenzierte Studie von K. Lorenz und J. Mittelstraß zu dieser Frage
im Archiv f. Geschichte d. Philosophie kann ich an dieser Stelle nicht eingehen.
23 Gerade der „Sophistes" enthält eine Fülle von Belegen hierfür. Die Differenz
zwischen der àvTiX.OYixf| xéxvr1 des Sophisten und dem wahren ì&eyxo? des Philo-
sophen ist nicht so zu vereinfachen, daß der erstere nur das formale Räsonnement
anerkennt, der letztere dagegen nur die wahre Einsicht. Auch der Philosoph kann auf
formale Reflexionen zum Zwecke der Wahrheitsfindung nicht verzichten, mit dem
Unterschied gegen jenen, daß er Form und Inhalt methodisch im Sinne wechsel-
weiser Kritik gebraucht. Besonders deutlich zeigt dies die formale Exposition der
drei Möglichkeiten einer xotvcovia tü)V yzvûv 251 d - 252, deren tiefere Bedeutung
erst in der Vorführung einer konkreten aufiJiAoxr) xcov elôœv zutage tritt.

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Platos späte Dialoge (W. G. Runciman) 265

die verkehrten und darum ausgeschlossenen Gesichtspunkte mit sichtba


macht, die Negationen und Antithesen also nicht in der Anonymi
beläßt. Sie ist durch ihre Konsequenz methodische Widerlegung der a
geschlossenen Standpunkte. Sie zeigt an ihr selbst den Grund des Unt
schiedes der sokratischen Widerlegungskunst gegenüber der sophistische
avTiXoyixr) ts/vt], welchen Sokrates selbst mittels seines Ideenbegriffes n
unzureichend formulieren konnte. In einem gewissen Sinne stellt
dihairetische Methode eine Übersetzung der sokratischen Elenktik in ein
Verfahren der Selbstbegründung dar24. Auch ist zu bedenken, daß d
Methode jenes Problem aufzulösen imstande ist, welches R. im Hinbl
auf die von ihm vorgeschlagene Erklärung falscher Aussagen namh
macht: das Problem einer möglichen Unendlichkeit des Falsifikation
verfahrens. Denn die dihairetische Methode ist ein konsequentes Zus
menschließen (Synthesis), und zwar in einem doppelten Sinne: einers
wird das Zu -Bestimmende mit seinen Bestimmungen zusammengeschlos
sen, andererseits erfolgt ein Zusammenschluß dieser beiden Seiten mit d
Erkenntnis. Die dihairetische Methode schließt zusammen, indem sie aus
schließt: und zwar schließt sie nicht nur das wesentlich Andere aus, son-
dern dadurch auch das Unwesentliche . Auf diese Weise vermag sie
möglichen, die unbestimmt vielen Prädikate der fraglichen Sache auf ein
bestimmte Anzahl und auf entsprechende Zahlverhältnisse unter die
Prädikaten zu reduzieren25.
R. hat fraglos recht, wenn er feststellt, daß Plato nicht nach den defi
niten Bedingungen wahrer Aussage, sondern „nur" nach dem Wesen
Aussagbarkeit und nach den Bedingungen falscher Aussage frage (p. 120
Schon daraus ergibt sich aber, daß im „Sophistes" weder formale Lo
noch Methodologie als solche thematisch werden können.
Der Vf. sieht hierin offensichtlich eine wesentliche Einschränkung einer möglich
Wahrheitsgeltung platonischen Denkens. Er rühmt, daß Plato im „Sophistes" d
neuzeitlichen Sprachanalyse „sehr nahe komme", um gleichzeitig zu tadeln,
Plato seine Untersuchung nicht „in terms of an enquiry about language" durchfüh
„Piatos conception of philosophical activity is of enquiry into the nature, propert
and relations of forms; and what we should explain as the logical structure of
guage is to Plato the ontological structure of reality, or more particularly of cert
pervasive forms, which possess the capacity to perform certain necessary functio
(p. 121).

24 Methodisch in sich begründetes Wissen wird von Plato ausdrücklich vom ab-
soluten Wissen unterschieden (265h ff.); ja es gelangt jenes zu seiner Selbstbegrün-
dung erst durch die methodische Selbstunterscheidung gegenüber diesem. Das macht
den Unterschied gegenüber der sophistischen Selbstgefälligkeit. Vgl. hierzu meine
Einleitung in die Sophistes-Ausgabe, PhB 265.
25 In diesem Zusammenschluß liegt Methode, also mehr als nur die Lässigkeit, es
bei einem gewissen Ausmaße an Bestimmtheit bewenden zu lassen.

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266 Reiner Wiehl

Aber diese Alternative zwischen


und einer ontologischen Struktur
Ontologie nicht aufgezwungen we
des Seienden in seiner Mannigfalt
nur vor sich, sondern auch bereit
Sokrates an der Position des Prodi
Gedanken, daß Sein überhaupt sich
des reduzieren läßt, wie universal au
den sein mag. So notwendig wir
Unteilbares ansehen müssen, so n
einer Teilbarkeit des Seienden26.
sprachliche Bedeutungen zu sein,
positionale und prädikative Wahrhei
sich die Ideen sprachlich artikuliere
Satz -Wahrheiten geben müssen.
reduziert und Benennungen in Au
aufgelöst werden. Solche Möglich
sprechende Notwendigkeiten. Je
Möglichkeiten auf Kosten anderer
wägung zwischen diesen hinsichtli
Dasselbe gilt insbesondere für das V
Sprache und einer Ontologie der
Gründe dafür geltend machen, d
unter philosophischem Gesichtspu
gelassen worden ist. Eine solche Off
keiten des einen Bereiches auf den
und Beschränkungen des Erkennen
Deswegen ist die Sprache für Plat
wissenschaftlicher Erkenntnis, son
schen Denkens. Es scheint mir de
lierung zu sein, wenn R. seiner Pl
zuweist zwischen zwei Extremen, zw
pretation, wie der von Cornford, un
binson (p. 131-132); und zwar nich
dung zwischen „konservativ" und

26 Das zeigt die Struktur des zweiten


„Theaitet" und der „Sophist" enthalten
Sein und Wahrheit unterschieden hat u
lenden Unterscheidung im obengenan
Frage wäre, ob für Plato aïaftrjaiç un
Nicht-Unterscheidung jenes Unterschie

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Augustin und das Problem der Metaphysik (J. F. Anderson) 267

schied anzeigt, der dem Unterschiedenen außerwesentlich ist, sondern auch,


weil die genannten Extreme nicht extrem genug sind, um die Position zwi-
schen ihnen zur philosophischen Position zu machen. Ob man, wie Corn-
ford annimmt, daß Plato absichtlich vieldeutig gesprochen habe, um dem
geschulten Leser die Auflösung der Vieldeutigkeiten zum Zwecke des
Selbstdenkens anzusinnen, oder ob man, wie Robinson, Plato ein Bewußt-
sein seines vieldeutigen Sprachgebrauches abspricht, macht für das Ver-
hältnis von Vieldeutigkeit und Eindeutigkeit der Sache nach keinen
Unterschied. Die mittlere Position, die sich demgegenüber der Vf. selbst
anweist, kann so auch nur in einer Milderung jener Extreme bestehen:
Plato sei sich zwar der Vieldeutigkeit der Sprache bewußt, verfüge aber
noch nicht über die Mittel eindeutiger terminologischer Aussagen. Wenn
Plato, wie ich meine, bereits eine Theorie des Vieldeutigen hatte (so daß
Aristoteles auch in diesem Punkt in ihm seinen Vorgänger hatte), so
besagen jene drei Positionen für eine solche Theorie wenig. Allerdings
wird man R.s Buch eher gerecht, wenn man es nicht auf die vom Vf. an-
gezeigte Position hin liest, sondern sich anregen läßt durch die Fülle
scharfsinniger und sachbezogener Reflexionen und Argumente.

Reiner Wiehl ( Heidelberg )

AUGUSTIN UND DAS PROBLEM DER METAPHYSIK

James F. Anderson : St. Augustine and Being. A Metaphysical Essay. The


Mārtiņus Nijhoff. 76 S.

Eine essayistische Darstellung der Metaphysik Augustins h


Frage zu beginnen, ob und in welchem Sinn man im Denken
Afrikaners von Metaphysik sprechen kann. Geht man von
zeugung aus, daß theologisches Denken immer metaphysische G
elemente impliziert, dann muß man auch im Falle Augustin
handensein von Metaphysik bejahen. Versucht er doch seine
stellung mittels des Seinsbegriffs zu formulieren. Wählt man f
dem Verf. die thomasische Ontologie als Modell metaphysischen
dann verengt sich die Frage dahingehend, ob in der spezifisc
augustinischen Philosophierens die Grundgedanken dieser
sophie impliziert sind.

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