JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide
range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and
facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact support@jstor.org.
Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at
https://about.jstor.org/terms
Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend
access to Philosophische Rundschau
This content downloaded from 147.142.165.137 on Wed, 09 Jun 2021 09:49:12 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
ERKENNTNISTHEORIE, ONTOLOGIE UND LOGIK IN PLATO'S
SPÄTEN DIALOGEN
Einleitung
1 Dies gilt zunächst im Hinblick auf Piatos Dialoge, sofern diese, wie im Falle
des hier zu besprechenden Buches, die ausschließliche und alleinige Materie zur Er-
schließung und Rekonstruktion einer platonischen Erkenntnistheorie, Ontologie und
Logik bilden. Runciman diskutiert in seinem Buch nicht die Frage nach Piatos eso-
This content downloaded from 147.142.165.137 on Wed, 09 Jun 2021 09:49:12 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
242 Reiner Wiehl
This content downloaded from 147.142.165.137 on Wed, 09 Jun 2021 09:49:12 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Platos späte Dialoge (W. G. Runciman) 243
aus noch genannt oder bestimmt, so darf dies als eine besondere her
neutische Tugend gelten. Allerdings wird dieser methodische Ausgan
punkt, als Anfang einer philosophischen Betrachtung, sich nicht gänzlic
in den archäologischen Standpunkt verwandeln dürfen, der im Vergange
nen ausschließlich das Negative einer noch nicht stattgefundenen E
lution erblickt. R. hat die für ihn maßgebenden Vorstellungen vom
kennen und Wissen in zwei Hauptfragen gekleidet, die seine kritisch
Interpretationen des „Theaitet" und des „Sophistes" leiten, nämlic
„First, how far did Plato arrive at a distinction between knowledge that
knowledge how, and knowledge by acquaintance? Second, how far
he approach a conscious formulation of truth-value?" (p. 1). Zwisc
diesen beiden Fragen besteht für den Vf. ein unmittelbarer Zusamm
hang: es ist die klare, begriffliche Unterscheidung des genannten dr
fachen Sinnes von „knowledge", insbesondere ein aus dieser Untersc
dung resultierender klarer Begriff von „knowledge that", der allere
eine bewußte Formulierung des Wahrheitswertes ermöglicht. Um das Re
sultat der Untersuchung von R. in ihrem entwicklungsgeschichtlich
Aspekt vorwegzunehmen: Im „Theaitet" finden wir eine Fülle logisch
und ontologischer Irrtümer, die auf das Fehlen jener Unterscheidung zu
rückgehen. Diese Irrtümer beginnt Plato im „Sophistes" zu durchschauen
und zu korrigieren, und hier ist es auch, wo wir die ersten Schritt
Richtung auf eine mögliche Formulierung des Wahrheitswertes finden.
Es ist nicht einfach, bei der ersten Lektüre den Sinn zu erfassen, d
der Autor mit jener dreifachen Unterscheidung verbindet. Man kann sic
helfen, indem man zunächst versucht, den Sinn von „to know" und
„knowledge" ins Deutsche zu übersetzen. Aber es handelt sich um ein
sachliches Problem: Unter „knowledge how" ist ein Wissen verstanden,
wie es sich im geschickten und gekonnten Umgang mit den Dingen ver-
rät, also ein Wissen im Sinne der Beherrschung einer Mittel -Zweck -Re-
lation, wie im Falle der technischen Geschicklichkeiten (ts^vai xai ejuatr]-
jxai), also irgendeines Könnens, wie das des Schuhmachers, Steuermannes,
Geometers4. Was „in unseren Augen" aber eher nur eine Geschicklichkeit
modernen formalen Logik und der Sprachanalytik; teils spielen für seine Uber-
legungen als Begriffshintergrund eine besondere, ausdrücklich erwähnte Rolle:
Kyle: The Concept of Mind (insbes. ch. II); Wittgensteins Kritik am erkenntnistheo-
retischen Atomismus in den Philosophischen Untersuchungen , Nr. 46 ff.; Quine: On
what there is , in: From a Logical Point of View (ch. I).
4 Runciman möchte nicht soweit gehen wie J. Gould (in: The Development of
Platos Ethics , Cambridge 1955), der in Piatos Erkenntnisbegriff nur den Ausdruck
einer Vorstellung von „ skill-type knowledge" sieht. Andererseits diskutiert R. aber
nicht die Frage eines möglichen Wahrheitsverhältnisses von xéxvrj und èjttcrcr|[jii1
und die aus einem solchen Verhältnis sich ergebenden Konsequenzen für die Möglich-
16*
This content downloaded from 147.142.165.137 on Wed, 09 Jun 2021 09:49:12 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
244 Reiner Wiehl
keit der Darstellung von Begriffen des Begriffes (d. i. des Logischen) und der Er-
kenntnis. Vgl. hierzu vom Rez.: Vernunft als Kanon , Organon und Kathartikon des
allgemeinen Verstandes , in: Metaphysik und Subjektivität , Festschrift für W. Cramer ,
1966 p. 354 ff.
This content downloaded from 147.142.165.137 on Wed, 09 Jun 2021 09:49:12 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Platos späte Dialoge (W. G. Runciman ) 245
This content downloaded from 147.142.165.137 on Wed, 09 Jun 2021 09:49:12 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
246 Reiner Wiehl
Das Bedenken gegen R.s Methode im einzelnen muß sich auch auf seine
allgemeine Folgerung übertragen. So leuchtet mir die Grundthese nicht
ein, daß Plato im „Theaitet" das Problem des Irrtums noch nicht gelöst
habe, während er im „Sophistes" zwar auch noch nicht über eine Lösung
der Wahrheitsfrage verfüge, wohl aber eine befriedigende Antwort auf
die erstere Frage gefunden habe (vgl. pp. 28 u. 45). Eher scheint mir
Piatos epagogischer und elenktischer Methode die Folgerung zu entspre-
This content downloaded from 147.142.165.137 on Wed, 09 Jun 2021 09:49:12 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Platos späte Dialoge (W. G. Runciman) 247
This content downloaded from 147.142.165.137 on Wed, 09 Jun 2021 09:49:12 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
248 Reiner Wiehl
This content downloaded from 147.142.165.137 on Wed, 09 Jun 2021 09:49:12 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Platos späte Dialoge ( W . G. Runciman) 249
8 Auf das Problem dieser Unterscheidung zielt - via negationis - schon die an-
fängliche hypothetische Negation eines Ansich-Seins, 152 d : 'Eyd) eqcö xal jJiaA.9 où
This content downloaded from 147.142.165.137 on Wed, 09 Jun 2021 09:49:12 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
250 Reiner Wiehl
(pav&ov Xòyov, <bç äga ìv ¿lèv airrò xad' avrò ovôév èaxiv, ... ; ebenso die Exposi-
tion der drei einander scheinbar widerstreitenden ófAO^OYTIM-oiTa 155 a ff. Vgl. auch
die vielzitierte Stelle: Charmides 169 a f.
9 Besonders deutlich zeigt sich dies u. a. Menon 77 b 5 ff. Die Definition, die
Menon hier von der gibt, hat die Form des „Satzes" : éycb touto Xèyco àQ8TT|V,
èjuftujAOÎivTa xcõv xaA.(òv ôvvaxòv eivai jtOQÍÇeaftai. Die dialektische Kritik des So-
krates an dieser Definition richtet sich zunächst gegen die Unbestimmtheit dieser
Satzform, welche sich als Unbestimmtheit der Beziehung zwischen den einzelnen
Teilen der Definition erweist. Deswegen die kritische Frage des Sokrates, worauf sich
das ôvvaxóv beziehe. Um zu bestimmen, was in solchen strukturell unbestimmten
Sätzen, in denen sich Allgemeinvorstellungen (ôó^ai) ausdrücken, auf was bezieht,
und welcher Art diese Beziehung ist, bedarf es in den Augen von Sokrates-Plato
offenbar einer Erkenntnis des Wesens dessen, was den Bestandstücken der Sätze
sachlich entspricht. Deswegen liegt für Plato die Erkenntnis der Ideen in einer an-
deren Dimension als der Antagonismus von Wort und Satz und transzendentiert da-
her von vornherein jede Art von erkenntnistheoretischem Atomismus.
This content downloaded from 147.142.165.137 on Wed, 09 Jun 2021 09:49:12 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Platos späte Dialoge (W. G. Runciman) 251
This content downloaded from 147.142.165.137 on Wed, 09 Jun 2021 09:49:12 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
252 Reiner Wiehl
dikat hinzuzudenken, oder aber das Sein selbst als Prädikat aufzufassen
(p. 32, 75). Plato „establishes only that everything must have some sort
of being" (p. 87). Diesen Grundsatz zu beweisen, ist in den Augen R.s das
Ziel des ersten è'Àeyxoç des Nichtseienden (237a-239b). Indem Plato
allem Seienden überhaupt irgendeine Existenz zuschreibe, unterscheide
er zugleich verschiedene Stufen oder Grade der Existenz, bzw. des Exi-
stierenden, im Sinne einer hierarchisch gegliederten Ontologie (a grada -
tional ontology, p. 22, 65 ff., 76 f., 80 ff.). Auf dieser impliziten ontolo-
gischen Grundlage aber seien insbesondere negative Existenzaussagen
unmöglich, auch wenn Piatos Einsicht zu würdigen bleibe, daß negative
Urteile unabhängig von negativen Existenzaussagen formuliert werden
können (p. 99).
Um zu beweisen, daß Plato die Differenz zwischen dem existentialen und dem
kopulativen Gebrauch des eivai nicht eigens thematisiere, vergleicht R. die wichtig-
sten Abschnitte des Dialoges um festzustellen, daß bald dieser, bald jener Sinn selbst
der Begriffsreflexion unterworfen werde. Wie schon angedeutet, sieht R. im ersten
Wkzyxoç des Nichtseienden (237 b - 239 b) eine Erörterung des existentialen Sinnes
des elvai, der sich aus dem Resultat dieses îfXeYX°Ç ergibt, daß Nicht-Existenz
schlechthin (xò |iî1Ôafiâ)Ç öv) zu negieren, und alles überhaupt irgendwie als seiend
zu setzen sei (p. 64). Dagegen zeige die Erörterung der von Theaitet angegebenen
Definition des Bildes (240 a 9 - c 6), daß Plato zwischen Existenz, Realität und
Wahrheit nicht eindeutig unterschieden habe, obwohl seine Sprache zur Bezeich-
nung dieser Differenzen fähig gewesen sei (to öv, xò àA/ridivòv, xò aXrfiéç): „Plato
could have said that an elx(bv otix àXi1ftiV(5ç èaxiv èxeïvo oi> èaxtv ebcœv, àXk'
àÂ.i1ftvû)ç eaxlv elxcbv • xal (bç dXrļ^ivi) oftaa eixcov, ôvxcdç èaxlv öv." Aber Plato
sage nichts dergleichen. Er begnüge sich mit dem Hinweis, daß ein Bild als solches
ein Sein haben müsse, nicht aber sage er etwa, daß ein Bild hinsichtlich der Exi-
stenz gleiche Realität habe wie das Original. Die Gleichsetzung von àA/rçdivóv (real)
und ovxcoç öv (existent) bleibe ebenso unbefragt wie Theaitets Versicherung, daß das
Ähnliche (xò éoixóç) [iï| àX/r|{Hvóv sei (240 b 7) (p. 69). In der Diskussion der mytho-
logischen Ontologien sei zwar der existentiale Sinn des elvai unverkennbar, gleich-
wohl aber mit dem der Realität vermengt (p. 71). Denn jene Ontologien wollten
ja weder sagen, daß nur warme und (oder!) kalte Dinge existieren, noch, daß Sein
immer nur Heiß- und (oder!) Kalt-Sein bedeute, sondern dies, daß dem Warmen
und Kalten eigentliche Realität zukomme. Auch in dem folgenden Argument, welches
Sein unter dem Gesichtspunkt des Einsseins betrachte (244 b 9) (ëv jtov cpaxe (lóvov
eivai), sei Sein offensichtlich im Sinne der Existenz gemeint und das Seiende als ein
existierendes Ding betrachtet (p. 73 f.). Andererseits trete hier die fehlende Unter-
scheidung zwischen Existenz und dem Existierenden in Erscheinung. Bei diesem
Mangel gehe es nicht nur um den vielerörterten Vorwurf der Selbstprädikation, son-
dern vielmehr um den Verdacht einer fehlenden Unterscheidung zwischen Identität
und Attribution (Prädikation).
Daß Plato über den Verdacht eines solchen Mangels nicht erhaben sei,
versucht R. insbesondere an dem vielerörterten Abschnitt zu belegen,
welcher die xoivama tœv yevcov an einem kleinen Modellfall vordemon-
This content downloaded from 147.142.165.137 on Wed, 09 Jun 2021 09:49:12 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Platos späte Dialoge ( W . G. Runciman) 253
striert (254b ff.). Offensichtlich gilt in den Augen des Vf. s die selbstver-
ständliche methodische Voraussetzung, daß eine fehlende terminologische
Unterscheidung zwar nicht unbedingt mit einer fehlenden begrifflichen
Unterscheidung auf dasselbe hinauslaufe, wohl aber einen solchen Man-
gel anzeige. Denn wenn er bezweifelt, daß Plato deutlich zwischen Identi-
tät und Prädikation unterschieden habe, so gründet sich dieser Zweife
vor allem zunächst auf das Argument, Plato gebrauche zwar ein eigene
Zeichen für Selbigkeit (tairróv), während ihm ein entsprechendes Sprach -
zeichen für die Prädikation nicht zur Verfügung steht (p. 88 f.). Unter
diesem Gesichtspunkt gewinnt R.s kritische Auseinandersetzung mit der
Gegenthese von Ackrill besonderes Gewicht, welche in Piatos Gebrauch
des [XEtéxeiv ein bewußtes und ausdrückliches Zeichen des Seinsbegriffes
im prädikativen Sinne zu erkennen meinte 10 .
So richtet sich R.s Kritik gegen Ackrills Interpretation der Belegstelle 256 a 10-
b 4, aus der dieser eine klare Unterscheidung des Sinnes der Identität und der Prädi-
kation herauslesen zu können meinte, also einen zweifachen Sinn des eivai, der auc
in der Wendung HtVTļatg xavtóv eivai xal ii/f| xavxov bewahrt sei. Dem hält R. ent-
gegen, daß in der letzten Wendung nicht ein verschiedener Sinn des eivai ausgesag
werde, sondern eine jié^e|iç-Beziehung der Form „>cívi1mç" zu zwei anderen, vonein-
ander unterschiedenen Formen. Besonderes Gewicht gewinnen für R.s Gegenthes
jene Belegstellen, die schon Ackrill im Beweis seiner These nicht unterbringen konnt
und als Ausnahmefälle gelten zu lassen gezwungen war. So könne jxexeîxe (255 d 4
unmöglich die Kopula meinen. Denn von allen Formen (yévT1) überhaupt gelte, da
sie an den Formen des Für-sich-Seins (xaft* avTÓ) und des relationalen Seins (jtQÓç Tl
teilhätten. So könne man zunächst erwarten, daß in diesem prädikativen Sinne auc
der Form der Verschiedenheit (erepov) eine Teilhabe an den beiden genannten For
men zugeschrieben werde. Statt dessen aber werde, auffällig genug, von der Ver
schiedenheit im Unterschied zum Seienden gerade nur die Form relationalen Sein
in Anspruch genommen, die insofern unmöglich im prädikativen Sinne verstande
sein könne. Darüber hinaus entstehen nach R. besondere Schwierigkeiten, wenn man
255 b 1 und 256 b 9 miteinander vergleicht. Denn an der letzteren Stelle sei jieta
Xa^ßaveiv unzweifelhaft im Sinne der Prädikation gemeint, während zuvor ein
solche mögliche prädikative Beziehung zwischen xívT1<Jiç und axáaiç nachdrücklic
negiert sei.
Man wird sich R.s Argumenten, soweit sie Ackrills genannte These zu
entschärfen suchen, nicht unbedingt verschließen können, sowenig wi
dem allgemeinen Gesichtspunkt des Vf.s, daß der „Sophistes" keine defi-
nite Begriffsunterscheidung des Seins im Sinne der Existenz, der Identi-
tät und der Prädikation enthalte. Aber mit einer solchen Feststellung ist
es nicht getan. Feststellungen dieser Art werden allererst interessant und
am Ende möglicherweise einleuchtend durch die Art ihrer Begründung
10 J. L. Ackrill , Plato und the copula 9 Sophist 251-259, Journal of Hellenic Stu-
dies LXXVII 1957 (1).
This content downloaded from 147.142.165.137 on Wed, 09 Jun 2021 09:49:12 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
254 Reiner Wiehl
Man wird dem Vf. in dem Punkte zustimmen können, daß Plato im
„Sophistes" die Frage des „Kratylos" nach den Bedingungen wahrer und
angemessener Bezeichnung konsequent in Richtung der Frage nach dem
Wesen wahrer Aussage weiterverfolge. Die Frage ist aber, unter welchen
11 Runcimans Kritik an der entsprechenden Gegenthese von Cornford (in: Piatos
Theory of Knowledge) scheint mir insofern einleuchtend.
This content downloaded from 147.142.165.137 on Wed, 09 Jun 2021 09:49:12 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Platos späte Dialoge ( W . G. Runciman) 255
This content downloaded from 147.142.165.137 on Wed, 09 Jun 2021 09:49:12 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
256 Reiner Wiehl
This content downloaded from 147.142.165.137 on Wed, 09 Jun 2021 09:49:12 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Platos späte Dialoge (W. G. Runciman) 257
Sinne, daß hier nun eine dieser fünf Bestimmungen, nämlich die der Be
wegung, für sich als verschieden von den vier anderen gesetzt wird. Ers
durch eine solche Setzung einer Bestimmung als einer solchen gewi
diese eine eigene logische Natur und fängt an, ein Begriff zu werde
Im Falle dieses anfänglichen Begriffes der Bewegung ist die Verschieden
heit nunmehr seine eigene Verschiedenheit, nicht mehr nur eine V
schiedenheit zwischen einer Bestimmung und einer anderen14. Diese sein
Verschiedenheit unterscheidet und gliedert sich nunmehr nach den „
griffen", von denen er verschieden ist und nach dem Gewicht, den dies
Verschiedenheiten für ihn haben. So gewinnt der Begriff der Beweg
im Durchgang durch seine verschiedenen Verschiedenheiten allererst
reales, wenn auch zunächst höchst anfängliches und unvollkomme
Selbstsein. In diesem Selbstsein, welches sich auf seine Verschiedenheiten
gründet, erhält der Begriff der Bewegung auch allererst die Möglichkei
sich mit demjenigen „Begriff" zu verbinden, der für ihn, hinsicht
seiner Möglichkeiten zur Verbindung überhaupt, unter den vier genann
ten Bestimmungen von ausgezeichneter Bedeutung ist: die Möglichk
einer Verbindung mit der Ruhe15. Während also im ersten Abschnitt de
Vorführung die Differenz zwischen Ruhe und Bewegung im Sinne
verschiedenen möglichen logischen Funktionen eines Gegensatzes üb
haupt gebraucht wird, werden dadurch zugleich die Bedingungen
Spiel gebracht, welche das, was zunächst als absolut sich ausschließe
erscheinen mußte, nunmehr unter dem Gesichtspunkt einer möglic
Verträglichkeit zu betrachten erlaubten: Die Bewegung ist (wie übrig
auch die Verschiedenheit) in ihrer kategorialen Form so verändert,
Ruhe eine ihrer möglichen Bestimmungen wird. Das kleine Modell d
fünf Grundbestimmungen zeigt also durch die genannte Gliederung me
als nur dies Allgemeine, daß sich unbestimmte, an sich nichtssage
Terme zu verbindlichen logischen Funktionen zu artikulieren vermö
so wie sich Buchstaben am Ende zu sinnvoller Rede zusammenfügen.
das Modell darüber hinaus erkennen läßt, ist die Notwendigkeit ei
Wechselspieles zwischen Setzung und Voraussetzung im Bereich des Eine
und Vielen zum Zwecke einer Bestimmung dieser primär unbestimm
Relationen16. Setzungen und Voraussetzungen stehen in einem Verhältni
14 Die Differenz, die durch diese Gliederung angezeigt wird, stellt in gewis
Weise eine erste Form dessen dar, was die spekulative Logik Hegels als Differe
von äußerer und bestimmender Reflexion zum beherrschenden Prinzip jeder l
schen Bewegung, i. e. der dialektischen Methode, erhoben hat, Spuren einer d
artigen Unterscheidung finden sich auch „Parmenides" 147 c ff.
15 „Sophistes" 256 b 6. Diese fragliche Möglichkeit hängt mit der entsprechend
Unmöglichkeit korrelativ zusammen.
16 Auf das Unterscheidungsverhältnis von Setzung und Voraussetzung weist
This content downloaded from 147.142.165.137 on Wed, 09 Jun 2021 09:49:12 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
258 Reiner Wiehl
sonders deutlich die „Sophistes"-Stelle: 222 b. Scheinbar wird hier dem Theaitet die
absolute Freiheit des Setzens eingeräumt: dèç ôè Õjtr X<*í(>£iç. I*1 Wahrheit steht
diese freie Setzung aber bereits unter der Bedingung eines komplexen Geflechtes
von sachlichen Voraussetzungen, an die jene freie Setzung sich notwendig binden
muß, wenn sie Wahrheitserkenntnis werden will. Was den Zusammenhang zwischen
den beiden Unterscheidungsverhältnissen von Setzung und Voraussetzung einerseits,
Prädikation und Identität andererseits betrifft, hat Hegels Logik ebenfalls wichtige
Vorarbeit geleistet. In seiner Wissenschaft der Logik werden setzende und voraus-
setzende Reflexion so auf das Verhältnis von Selbigkeit und Verschiedenheit bezogen,
daß die beiden letztgenannten Reflexionsbestimmungen die Form einer logischen
Wechselwirkung im Spielraum der Modalitätskategorien annehmen.
This content downloaded from 147.142.165.137 on Wed, 09 Jun 2021 09:49:12 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Platos späte Dialoge (W. G. Runciman) 259
die Frage, ob er dies tun konnte, ohne sich selbst der Möglichkeit zu be
rauben, der fraglichen Differenz zwischen Identität und Prädikation ein
Sinn zu geben, der sich überhaupt im Horizont der Gedanken des „Sophi
stes" bewegt. Denn hier ist es offensichtlich primär jene Methode,
den Ort für den Gebrauch der Identität und der Prädikation abgibt; alle
dings auch nur im Sinne eines notwendige Spielraumes für irgende
derartige Differenz, die von der Grundunterscheidung geleitet ist z
schen dem Erkenntnisgegenstand, der bestimmt werden soll, und den B
dingungen, die in der Erkenntnis von jenem auch nicht ohne Bestimmu
und Erkenntnis bleiben dürfen. Die Frage wäre nun, in welchem Si
das Modell der fünf Begriffe nicht nur etwas für die Vergesellschaftun
von Begriffen, sondern auch etwas über die dihairetische Methode,
damit etwas über den Zusammenhang zwischen beidem aussagt; in
besondere aber, welche logische Darstellungsform sie diesen Aussa
in Übereinstimmung mit dem Zweck dieser Aussagen gibt. Die dihai
tische Methode ist an ihr selbst, als Methode, schon nicht mehr nur ein
einfache und unmittelbare Erkenntnisbewegung, sondern eidetisc
Selbststilisierung im Sinne einer Widerspiegelung und Reflexion ih
Bewußtheit auf ihre innere Gliederung hin. Der Zweck einer solch
Selbststilisierung ist es, die eigene Kontinuität, und damit eine kohären
und konsequente Wiedererinnerung logisch zu antizipieren, und s
damit die Bedingungen für eine mögliche Selbstkritik vorzugeben.
Begriffsmodell der fünf eïôr] aber hat diese Selbstdurchleuchtung des G
dankens nicht einfach nur auf die tief erliegenden und darum verborge
ren Hintergründe auszudehnen, sondern damit zugleich auch etwas ande
res zu zeigen: nicht die innere Gliederung des Gedankens noch einm
zu beleuchten, sondern eine Abbildung derjenigen Bewegung als B
wegung darzustellen, die allererst eine logische Gliederung des Gedanken
möglich macht, die diesem schließlich als gegliederte Gestalt des B
stimmten und Erkannten gegenübertreten kann: die zur Ruhe geko
mene, ruhig gewordene Bewegung. So soll das kleine Modell einer
griffsgesellschaft einen Einblick gewähren in die Möglichkeit der Genes
von Bestimmtheit. Damit eine möglichst universale Gültigkeit des Mode
gewährleistet ist, wird der Bereich möglichst universaler Prädikate
gesucht und hier vordemonstriert, was auf den ersten Blick als das aller
unmöglichste erscheinen muß: Die Möglichkeit und innere Notwend
keit, daß sich Grundgegensätze wie der Gegensatz von Bewegung
Ruhe am Ende versöhnen und vertragen können. Nicht aber auf ein
Beweis einer allerhöchsten coincidentia oppositorum zielt jene Dem
stration des Modells in erster Linie. Vielmehr hat sie zunächst zu zeigen
wie ein ursprünglich grundlegender Gegensatz aufgrund verschiede
17*
This content downloaded from 147.142.165.137 on Wed, 09 Jun 2021 09:49:12 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
260 Reiner Wiehl
Hier führt diese Kritik auf den bekannten und vielerörterten Vorwurf der Selbst-
prädikation zurück: Plato unterscheide nicht klar zwischen: „X ist nicht gerecht"
und „X ist nicht Gerechtigkeit". Zumindest sei im „Sophistes" nur eine einzige Er-
klärungsmöglichkeit für die beiden grundverschiedenen Fälle zu finden, nämlich:
„X hat teil an der Form der Verschiedenheit hinsichtlich A" (p. 100 ff.). Durch diese
Interpretation sieht R. sich vor die Notwendigkeit gestellt, zwei naheliegende
extreme Konsequenzen zu vermeiden: die eine, daß Plato, indem er die Negation
in Verschiedenheit transformiere, auf eine eigentliche Bestimmung der Negation Ver-
zicht leiste und die Negation nur als eine Art Pseudo-Position zu bestimmen in der
Lage sei. Dieser Konsequenz entspricht das andere unhaltbare Extrem, die Not-
wendigkeit, Ideen des Negativen (des Nicht-Schönen, Nicht-Großen etc.) annehmen
zu müssen.
This content downloaded from 147.142.165.137 on Wed, 09 Jun 2021 09:49:12 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Platos späte Dialoge (W. G. Runciman) 261
des Verschiedenen in einer Weise, die nicht in der Absicht Piatos geleg
gewesen sein kann18. Erst dadurch aber kommt die fehlerhafte Se
prädikation an die Form der Verschiedenheit in dem Sinne, selbst
schieden zu sein. Was bei Plato am Ende Zusammenfassung, Resu
und abschließende Feststellung einer vorangegangenen Explikation
muß nunmehr als Beleg für eine solche fehlerhafte Selbstprädik
dienen : „So wie das Große groß und das Schöne schön war, und das Nic
große und Nichtschöne nicht groß und nicht schön, so war und ist
das Nichtseiende nichtseiend . . (258 c) : dieser Satz Piatos wird vom
vor die Alternative „Identität oder Prädikation" gestellt, die erstere M
lichkeit wird verworfen, so daß die fehlerhafte Selbstprädikation unve
meidlich scheint.
Das Thema „Selbstprädikation" ist offensichtlich eine Art Scheide -
wasser für verschiedene Typen der Plato -Interpretation. Auszuschließen
ist von vornherein die Möglichkeit, daß Plato die Fragwürdigkeit der
Selbstprädikation überhaupt nicht gesehen habe. Insofern scheiden die
Interpretationen aus, die Plato eine Blindheit gegenüber diesem Problem
zu unterstellen gezwungen sind. Vielmehr hatte für Plato offenbar die
Selbstprädikation eine eigentümliche, aber nicht unbefragt gelassene
Wahrheitsfunktion. Aber in welchem Sinne? Hier ist der Punkt, wo sich
die verschiedenen relevanten Interpretationen trennen. Wenn die Selbst -
prädikation eine bewußte, mehr oder weniger endgültige Grundlage oder
eine von Plato direkt ergriffene grundlegende Konsequenz seiner Onto-
logie ist, dann besteht eine Kritik wie die von R. zu Recht. Überzeugender
aber scheint mir eine Auslegung, welche davon ausgeht, daß die Selbst -
prädikation, besser: die Selbstbeziehung und Reflexion der Begriffe in
sich eines der wichtigsten logischen Forschungsinstrumente Piatos ist19.
18 Wenn Plato etwa „Sophistes" 255 e 5 von der lôéa {hxtéQOU spricht, so ist dies
nicht in einem unbeschränkt absoluten und dogmatischen Sinne zu verstehen. Die
Notwendigkeit, eine Idee X oder Y anzunehmen, ergibt sich aus einem bestimmten
Problemkreis, einer bestimmten wissenschaftlichen Fragestellung und aus dem logi-
schen Zustand, in dem sich die Erörterung dieser Frage befindet. Fragt man einfach
nur so dahin, wovon es Ideen gebe, so kommt man notwendig in die von Plato
selbst, „Parmenides" 130 b geschilderte Situation des „Erfinders" der Ideen, des
jungen Sokrates. Welch differenzierter Problemkreis mit der Frage, wovon es Ideen
gebe, sich bereits in der unmittelbaren philosophischen Nachfolge Piatos stellt, zeigt
P. Wilpert, Zwei aristotelische Frühschriften über die Ideenlehre, Regensburg 1949.
19 Vgl. u. a. „Parmenides" 151 d ff. Hier dient die Selbstbeziehung der Größenbe-
stimmung zunächst nur der Einführung in das Problem der Teilbarkeit der Ideen,
d. h. in die Einführung in die Frage nach der Wahrheit. Sie dient aber auch der mög-
lichen Entdeckung desjenigen Seienden, für das die Beziehung auf sich die wahre
Form ist. Vgl. auch die bereits zitierte Stelle Charmides 169 a, in ihrem weiteren Zu-
sammenhang.
This content downloaded from 147.142.165.137 on Wed, 09 Jun 2021 09:49:12 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
262 Reiner Wiehl
This content downloaded from 147.142.165.137 on Wed, 09 Jun 2021 09:49:12 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Platos späte Dialoge (W. G. Runciman) 263
R. unterstreicht bei seiner Deutung, daß die Funktion des etSQOV für
den Fall unwahrer Aussagen von Plato viel deutlicher hervorgehoben
sei als die konstitutive Funktion des ov für den Bereich der Aussagen bzw.
für das Wesen des Xóyoç überhaupt. (Diese konstitutive Funktion des ov
erklärt R. so: Im Falle der Aussage „Theaitet sitzt" gelte: Theaitet hat
teil an der Form des Seienden, mit der sich ihrerseits die Form „Sitzen"
verbindet [16)] [p. 112]).
R. geht bei seiner Deutung des Satzbeispiels für eine unwahre Aussage von der
subtilen Annahme aus, daß möglicherweise eine Unverträglichkeit zwischen einem
fälschlich gesetzten Prädikat und anderen positiv für wahr erkannten Prädikaten
der Sache überhaupt nicht vorhanden sei, bzw. daß eine solche Unverträglichkeit im
strengen Sinne sich möglicherweise nicht ohne weiteres feststellen lasse. Auch
einem solchen möglichen Falle müsse eine Erklärung falscher Aussagen Rechnung
tragen, wenn sie dem Anspruch auf Universalität genügen wolle. Die Form „Ver-
schiedenheit" (to exeçov) biete nun die Möglichkeit zu einer universal gültigen Er-
klärung falscher Aussagen: Man könne eine Aussage falsch nennen, wenn sie ein
Prädikat enthalte, welches von jedem wahren Prädikat der Sache verschieden sei.
Allerdings enthalte diese Erklärung eine grundlegende Schwierigkeit : Setze man die
Falschheit einer Aussage in die Verschiedenheit des (fälschlich) gesetzten Prädikates
gegenüber jedem für wahr erkannten Prädikat der Sache, so erfordere die Einsicht
in die Falschheit einer Aussage möglicherweise einen unendlichen Prozeß der Falsi-
This content downloaded from 147.142.165.137 on Wed, 09 Jun 2021 09:49:12 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
264 Reiner Wiehl
22 Auf die differenzierte Studie von K. Lorenz und J. Mittelstraß zu dieser Frage
im Archiv f. Geschichte d. Philosophie kann ich an dieser Stelle nicht eingehen.
23 Gerade der „Sophistes" enthält eine Fülle von Belegen hierfür. Die Differenz
zwischen der àvTiX.OYixf| xéxvr1 des Sophisten und dem wahren ì&eyxo? des Philo-
sophen ist nicht so zu vereinfachen, daß der erstere nur das formale Räsonnement
anerkennt, der letztere dagegen nur die wahre Einsicht. Auch der Philosoph kann auf
formale Reflexionen zum Zwecke der Wahrheitsfindung nicht verzichten, mit dem
Unterschied gegen jenen, daß er Form und Inhalt methodisch im Sinne wechsel-
weiser Kritik gebraucht. Besonders deutlich zeigt dies die formale Exposition der
drei Möglichkeiten einer xotvcovia tü)V yzvûv 251 d - 252, deren tiefere Bedeutung
erst in der Vorführung einer konkreten aufiJiAoxr) xcov elôœv zutage tritt.
This content downloaded from 147.142.165.137 on Wed, 09 Jun 2021 09:49:12 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Platos späte Dialoge (W. G. Runciman) 265
24 Methodisch in sich begründetes Wissen wird von Plato ausdrücklich vom ab-
soluten Wissen unterschieden (265h ff.); ja es gelangt jenes zu seiner Selbstbegrün-
dung erst durch die methodische Selbstunterscheidung gegenüber diesem. Das macht
den Unterschied gegenüber der sophistischen Selbstgefälligkeit. Vgl. hierzu meine
Einleitung in die Sophistes-Ausgabe, PhB 265.
25 In diesem Zusammenschluß liegt Methode, also mehr als nur die Lässigkeit, es
bei einem gewissen Ausmaße an Bestimmtheit bewenden zu lassen.
This content downloaded from 147.142.165.137 on Wed, 09 Jun 2021 09:49:12 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
266 Reiner Wiehl
This content downloaded from 147.142.165.137 on Wed, 09 Jun 2021 09:49:12 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Augustin und das Problem der Metaphysik (J. F. Anderson) 267
This content downloaded from 147.142.165.137 on Wed, 09 Jun 2021 09:49:12 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms