Prog-Metal leidet trotz einer Fülle an unbestreitbar hochqualitativen Releases oftmals an
einer übermäßigen Nostalgie für die goldenen Tage des Genres, die über stilbildendes Referieren hinausgeht. Die Schweden Pain Of Salvation um Mastermind Daniel Gildenlöw wagen dagegen eine richtungsweisende Neuorientierung des Genres, indem sie weder vor übersteuerter Unzugänglichkeit Halt machen, noch vor der psychedelischen Kraft des HipHops. Nach der Großtat "In The Passing Light Of Day" ist das zwölfte Album des Quintetts eine Tour de Force voller Musikalität und geschmackvoller Experimentierfreude: So zelebriert der Opener "Accelerator" bereits wahnwitzige Rhythmus-Verschiebungen mit Trance-Synthies à la Enter Shikari, und "Wait" kombiniert ebenso krumme Taktarten mit gleißend schönen Melodien, was an die alten Leprous erinnert. Während der gitarrenfreie Anfang von "Restless Boy" eher Daft-Punk-Assoziationen weckt, zählen der Staccato- Ausbruch sowie die verstörende Verzerrung von "Unfuture" zu den Highlights von "Panther". Die grundsätzliche Trance, die moderner Trap mit sich bringt, inkorporieren Pain Of Salvation dazu noch gelungen in ihr Songwriting, ohne sich an neue Sounds anzubiedern. So geht Prog- Metal anno 2020.
Jon Gomm – The Faintest Idea
Während sich mit Andy McKee oder Sungha Jung die Superstars der Fingerstyle-Szene weiterhin ungebrochener Beliebtheit freuen, erlebt der Engländer Jon Gomm anlässlich seines überfälligen neuen Albums einen zweiten Frühling: "The Faintest Idea" vereint alte und neue Songs des vielseitigen Sängers und Gitarristen und strotzt trotz stilecht spärlicher Instrumentation nur so vor Diversität. Das ursprünglich 2011 erschienene "Passionflower" schwebt mit seinen lydischen Tapping-Eskapaden und aufgedrehtem Shimmer-Reverb geradewegs Richtung Akustik-Himmel. Die weichen Melodien von Gomm komplettieren sein Songwriting auf angenehme Weise, ohne die Stimme zu sehr in den Vordergrund zu rücken – der Star von "The Faintest Idea" ist und bleibt die Gitarre. "Cocoon" zieht bereits im Intro alle technischen Register der Sechssaiter und bleibt dabei stets in einem angenehm melodischen Rumbato. Während der gesungene Refrain fast schon poppig ausfällt, tut das der meisterhaften Gitarrenbegleitung keinen Abbruch. Bei aller spielerischen Perfektion zeichnet sich der Song vor allem durch den stimmungsvollen Einsatz von Stille aus, die die gespielten Noten als Kontrast dazu nur noch mehr strahlen lässt. Dass Jon Gomm auch grooven kann, zeigt etwa ein Song wie "Deep Sea Fishes", der durch gezupfte Ghost Notes und Gitarren-Perkussion zum Kopfnicken einlädt. Der zarte, an Sufjan Stevens erinnernde Gesang von Gomm tut sein Übriges: Genießen Sie die Reise.
Jakko Jakszyk – Secrets & Lies
Den meisten Hörern dürfte Jakko Jakszyk vor allem durch seine Stellung als Frontmann und Gitarrist der Progressive-Pioniere King Crimson bekannt sein, die er seit 2013 innehat. Seine Diskographie erstreckt sich jedoch über eine Schaffenszeit von 40 Jahren sowie unzählige Alben und Projekte. Während seine aktuelle Band also vor allem für ihre wegweisenden Experimente zwischen Jazzrock, Psychedelic und Avantgarde Beliebtheit genießt, geht das neue Soloalbum "Secrets & Lies" einen anderen Weg: Anstatt Neoklassik und ausschweifender Improvisationen dominieren hier durcharrangierte Popsongs mit mystischer Retro-Atmosphäre. "The Trouble With Angels" trägt dabei sowohl Jakszyks Vergangenheit als Soundtrack-Komponist in sich als auch den schwebenden Anmut zeitgenössischen Progressive Rocks, der sich auch im metaphorischen Text zeigt: "Their wings become useless and they fall from the sky/So tell me you need me, even if it's a lie". Das nach vorne groovende "It Would All Make Sense" bedient sich mehr an Funk, Blues und Jazz und beinhaltet zudem Beiträge von Gitarrist Robert Fripp und Schlagzeuger Gavin Harrison von King Crimson. An die ehemaligen Großtaten der Briten kommt das nicht heran – eine kleine Perle für Genre-Fans ist "Secrets & Lies" aber definitiv.
Neal Morse – "Sola Gratia"
Obwohl die unübersichtliche Anzahl seiner Projekte und Bands gerne auch mal neue Wege gehen – Flying Colors etwa – sollte eines klar sein: Multiinsturmentalist Neal Morse gehört zur alten Schule des Progressive Rock. "Sola Gratia" bestätigt das erneut: Die fast schon auf klassische Weise durchkomponierte Musik ist eine bunte Reise durch angejazzte Arrangements, epische Gitarrenmelodien, ganze Orchester an Gastmusikern und vor allem durch die alten Tage des Genres. Stellenweise erinnert das an Steven Wilson, der mit jedem Album auch eine ganze Garde an Weltklasse-Musikern vereint – "Sola Gratia" traut sich jedoch nicht, stiltechnisch über die 90er hinauszugehen. Das ist auch in Ordnung, denn ein derart ausufernd arrangiertes Werk wie "In the Name Of The Lord" braucht mit seinem Gospel-Chor und den kraftvoll produzierten Stereo-Gitarren über dem 7/4-Takt gar keine modernen Spielereien, um als großartige Musik durchzugehen. "Ballyhoo (The Chosen Ones)" lässt mit seinen strahlend-groovenden Kopfnicker-Charme an alte ELO-Großtaten denken, das barocke "Preface" erinnert an Genesis und die treibend-psychedelischen Synthesizer vom Neunminüter "Seemingly Sincere" hätten auch Pink Floyd gefallen. Neal Morse bleibt als alte Garde des Prog-Rocks qualitativ auf der Höhe der Zeit.