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Die Zwölf

"Die Zwölf" knüpft nicht unmittelbar an den Schluss des ersten Bandes der
Übergangs-Trilogie an und hat auch nicht die Jagd nach den ursprünglichen Virals
zum Thema. Im Wesentlichen werden die Ereignisse der Jahre Null, 79 n.V. (nach
Virusbefall) und 97 n.V. erzählt und neue Charaktere eingeführt. 

Zu den Figuren, entlang deren Geschichte der Krieg zwischen den Menschen und
Virals erzählt wird, gehören der Veteran Bernard Kittridge, der im Jahr Null als "Last
Stand in Denver" zur Legende wird, der pädophile Lawrence Grey, der als
Reinigungskraft im Projekt NOAH arbeitet, als die Zwölf geschaffen werden, Horace
Guilder, der stellvertretende Direktor der Special Weapons Division, und die
geisteskranke Ärztin Lila Kyle, Brad Wolgasts geschiedene Frau. Am Ende der
Vorgeschichte sind die meisten Menschen tot. 

Im Jahr 79 n.V. wird eine Gemeinschaft von Überlebenden vorgestellt, die eine
unheimliche Begegnung mit einer schwarz gewandeten Frau und einer Gruppe Virals
haben. Die meisten Menschen werden getötet, wenige mitgenommen. 

Es erfolgt ein Zeitsprung in das Jahr 97 n.V., die Geschichten der Überlebenden aus
dem ersten Band werden wieder aufgenommen und neue Handlungsstränge
entwickelt. Die früheren Bewohner der ersten Kolonie, Amy, Alicia, Michael und
Peter, rücken wieder in den Mittelpunkt. Amy ist in den vergangenen hundert Jahren
zu einer jungen Frau herangewachsen. Sie kann mit den Zwölf telepathisch
kommunizieren. 

Es gibt eine Gruppe von Hybriden aus Mensch und Viral. Diese sind unsterblich,
solange sie mit dem Blut der Virals versorgt werden. Sie haben ein totalitäres System
gegründet, in dem Menschen versklavt werden. Rebellen bereiten im Untergrund den
Umsturz vor. Zum Teil sind sie aus den Vorerzählungen bekannt. 

Es wird religiös 
In "Der Übergang" führte uns Justin Cronin in seinen Alptraum vom Weltuntergang
ein. "Die Zwölf" ist der zweite Band in dieser Trilogie, in der ein Virus vom Militär
benutzt wird, eine Gruppe durch die Rechtssprechung zu Todeskandidaten bestimmter
Männer in Kampfmaschinen zu transformieren. Natürlich geht das Experiment schief,
die Probanden werden zu mit Klauen und Krallen bewehrten, mit Haut wie einer
Rüstung versehenen, sich vornehmlich von menschlichem Fleisch und Blut
ernährenden Monstern, die ihrem Gefängnis entkommen und die Welt (offenbar nicht
nur die USA) mit einem Katastrophenszenario beglücken, dem diese nichts
entgegenzusetzen hat. 
Nichts? Nicht wirklich: vereinzelt finden sich Menschen, die sich den mächtigen
Feinden stellen. Ihre messianische Leitfigur nennt sich Amy. Und ist "Der Übergang"
noch ein sehr bodenständiger Horrorroman, wird es nun recht religiös. "Die Zwölf"
beginnt mit einer Zusammenfassung des Inhalts aus "Der Übergang", der nicht nur im
Ton biblisch gehalten ist, sondern eine sehr spezielle Schöpfungsgeschichte erzählt. 

Das Endzeitszenario hat das mengenmäßige Verhältnis von Mensch zu Viral


umgekehrt, die wenigen Überlebenden reichen kaum noch aus, das Riesenheer an
Blutsaugern zu ernähren, die deshalb zu verhungern beginnen. Das kennen wir bereits:
explodierende Weltbevölkerung und rücksichtslose Ressourcenausbeutung sind kein
Szenario der Zukunft. 

Cronin bringt die Handlung voran über die Charakterentwicklung. Zwar gehören Amy
und Alicia zu den Hauptfiguren, sind aber nur zwei in einem größeren
Figurenensemble und verschwinden, nachdem sie kurz in Erinnerung gebracht
wurden, für bald 300 Seiten aus der Erzählung. 

Menschen als gefährliche Monster - Ein Volk, ein Reich,... 


Während "Der Übergang" sich überwiegend mit dem Kampf einer Gruppe guter
Menschen gegen das Böse (auch unter ihresgleichen) beschäftigt, mit ihrem
Überleben in einer Welt der Auflösung, kehrt "Die Zwölf" dieses Gefüge um und
zeigt Virals, die nach wie vor gefährlich sind, aber einmal mit Haustieren verglichen
und durch ihre menschlichen Unterstützer noch übertroffen werden. 

An George Orwells "1984" erinnern einige Passagen aus "Die Zwölf" ebenso wie an
historische Ereignisse. In Fort Powell, Iowa, gibt es das Homeland unter Herrschaft
eines im doppelten Wortsinn blutdurstigen Herrschers, der ein Konzentrationslager
betreibt, in dem Menschen, mit Plaketten markiert, die eine Nummer als ihren
Namensersatz enthalten, durch Arbeit vernichtet werden, oder, die einzige Alternative,
die ihnen zugestanden wird, den Virals als Opfer gebracht werden. Dieses Vaterland
"Homeland", wird von Handlangern in der Funktion von Aufsehern und Folterern am
Laufen gehalten, die, auch in der deutschen Fassung, Human Resources Officers
heißen. "Ein Volk! Ein Führer! Ein Homeland!", heißt es in dieser faschistischen
neuen Welt. Bekämpft werden sie von Rebellen, die auch Selbstmordattentate
begehen. 

Die Dialoge lassen darauf schließen, dass auch nach der Apokalypse und knapp
hundert Jahren Krieg die Menschen eine gute Sprachausbildung in der Schule
erhalten, die zudem einer zentralen Bildungsnorm genügt. Der Roman zitiert aus
Dokumenten, die 1003 Jahre nach diesen Ereignissen auf einer Tagung diskutiert
werden. Die menschliche Art und eine höhere Form ihrer Zivilisation gibt es dann also
noch immer. 

"Die Zwölf" wechselt wie der Vorgänger zwischen Erzählebenen, folgt der Logik
einer Handlungsentwicklung, die durch einen Cliffhanger unterbrochen wird, worauf
es einen Szenenwechsel gibt, etc. Es gibt einige Vorgeschichten und
Komplementärgeschichten zu erzählen, weshalb der Mittelband der Trilogie Personen,
die im ersten Band nur eine kurze Rolle spielten, viel Raum gibt und eine Reihe neuer
Figuren einführt. Da das Ensemble recht umfangreich ist, kommt es nicht zu
Engpässen in der Erzählungsentwicklung, wenn die eine oder andere Hauptfigur das
Leben oder die Menschlichkeit verliert. Gleichwohl ist dieser Abrieb erzählerisch
notwendig, wenn die Gefährdung glaubwürdig bleiben soll. 

Der Ton der Erzählung ist ein wenig unausgeglichen. Mal erzählt Cronin eine schnelle
und streng auf das Ziel ausgerichtete Thriller- oder Horrorgeschichte, dann wird er
ausladend sentimental, quasireligiös, bisweilen esoterisch oder auch kitschig. Es gibt
harte Wechsel zwischen brutalen Gewaltszenen und markigen Dialogen, sagen wir:
Männerliteratur, sowie unglaublich klebrigen Passagen, wie sie in schlecht
geschriebenen Groschenheftchen für Frauen zu lesen sind. Ob Cronin damit die
Genderproblematik literarisch gelöst oder sie durch harte Kontraste betont hat, mögen
Leser und Leserinnen für sich entscheiden. Insgesamt aber ist Cronins Welt des
Untergangs brutal und düster, nicht so gut wie der Vorgänger, aber immer noch sehr
unterhaltsam. 

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