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Skript zum MINTroduce-Vorkurs

Basiswissen Chemie
Sommersemester 2014

Christoph Wölper
Institut für Anorganische Chemie
der
Universität Duisburg-Essen

letzte Änderung: 12. September 2014


Vorwort
Dieses Skript ist über meine Internet-Seite erhältlich und darf als Ganzes ger-
ne unentgeldlich kopiert und weitergegeben werden. Ich bitte jedoch darum
keine Veränderungen daran vorzunehmen oder nur Teile zu verwenden.

http://www.uni-due.de/∼adb297b

Verbesserungsvorschläge werden gerne entgegen genommen unter:


christoph.woelper@uni-due.de

Zielsetzung
Dieses Skript soll die in der Schule im Chemieunterricht erworbenen Kennt-
nisse zusammenfassen um Studienanfänger(\B|inne)n1 den Einstieg in das
Studium zu erleichtern. Insbesondere in mathematisch-naturwissenschaftli-
chen Fächern bereitet dieser Einstieg häufig Probleme. Durchfallquoten von
70% in den ersten Klausuren sprechen deutlich für sich. Diese zu senken oh-
ne dabei das Ausbildungsniveau verringern zu müssen, ist Ziel des MINT2 -
Projektes.
An Schulen haben sich klare Aufgaben und noch klarere „richtig“ und
„falsch“ Bewertbarkeit der Antworten etabliert. Dies erleichtert die Bewer-
tung der schulischen Leistungen und soll dem Anspruch auf Vergleichbarkeit
der Noten gerecht werden. Im Unterricht werden dann Lösungskonzepte ge-
lehrt, wie die Aufgaben zu beantworten sind. Leider hat dieses Denkkonzept
wenig mit wissenschaftlichem Arbeiten zu tun. Eine klare Einteilung in „rich-
tig“ und „falsch“ ist nicht möglich.
Wissenschaftler(\b|innen) denken in Modellen und die Fragestellung ist,
ob und für welche Randbedingungen ein Modell die experimentellen Befunde
gut beschreibt. Wenn es kein passendes Modell gibt ist die Kreativität de[sr]
Wissenschaftler(in|s) gefragt eines zu entwickeln. Ein schönes Beispiel ist die
Newton’sche Mechanik. Sie liegt zwar mit ihren Vorhersagen sehr häufig
richtig kann aber viele Experimente nicht beschreiben und die allgemeine
Relativitätstheorie und die Quantenmechanik haben sie als aktuellen Kennt-
nisstand abgelöst. Mit schulischen Begriffen würde man die Newton’sche
Mechanik also als „falsch“ bezeichnen. Nichtsdestotrotz wird quasi jedes Ge-
bäude und jede Maschine auf ihrer Grundlage konstruiert. Unter den gege-
benen Randbedingungen beschreibt sie die Realität ausreichend gut und es
1
Die Sorgen, ob man in einer Gleichung y = ax2 lieber b an Stelle von a verwenden
soll, überlasse ich anderen. Ich will mich aber zumindest bemühen korrekt zu formulieren.
2
Neusprech für: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik.

ii
ist nicht nötig auf komplexere „richtige“ Theorien zurückzugreifen. Sich vom
richtig/falsch Denkschema der Schule zu lösen, ist eine wichtige Aufgabe in
den ersten Studiensemester. Spätestens wenn Sie selbst Forschung betreiben
sind Sie aufgeschmissen, wenn Sie immer nur vorgegebene Lösungskonzepte
lernen. Forschung heißt Probleme zu lösen, für die es noch keine Lösung gibt!
In Bilder beschrieben könnte man sagen es wird Zeit nicht länger Torwand
schießen zu üben, sondern endlich Fußball spielen zu lernen.
Ein rein praktischer Vorteil, den einem das sichere Umgehen mit Modell-
vorstellungen verschafft ist, dass sich der Lernaufwand drastisch reduzieren
lässt. Viele Dinge lassen sich sehr einfach herleiten, wenn man das zu Grunde
liegende Modell verstanden hat. Man kann möglicherweise dann sogar Dinge
erklären von denen man noch nie vorher etwas gelesen hat. Modellvorstel-
lungen helfen also auch Faktenwissen zu systematisieren und zu verknüpfen,
Zusammenhänge zwischen Fakten zu erkennen. Der Umgang mit Modellen ist
einem Puzzlespiel gleichzusetzen: man setzt viele einzelne Teile zusammen,
um das große Ganze zu erkennen. Nur ein Idiot würde auf die Idee kommen,
sich den Aufdruck einzelner Puzzleteile merken zu wollen.
Neben dem ungewohnten Umgang mit Modellen ist ein weiteres häufiges
Problem, dass Naturwissenschaften abstraktes Denken benötigen um Beob-
achtungen (oder Gedankenexperimente) in mathematischen Formeln auszu-
drücken und umgekehrt sich (bildlich) vorstellen zu können, was mathema-
tische Formeln aussagen. Albert Einstein hat dies sehr schön beschrieben:
„Vorstellungsvermögen ist wichtiger als Wissen“. Er ist in Gedanken auf einem
Lichtstrahl gesurft und hat diese Bilder dann in den Formeln beschrieben,
die wir heute als Relativitätstheorie kennen.

zum Skript
Im Kapitel Atome wird das Atom als zentrales Modell der Chemie eingeführt
und verschiedene Theorien vorgestellt, die seine Eigenschaften beschreiben.
Wir beantworten also die Frage „Was sind Atome?“. Im darauffolgenden Kapi-
tel Vom Atommodell zum Periodensystem wird erklärt, welche verschiedenen
Atomsorten es gibt und wie sie systematisiert werden können. Mit diesem
Setzkasten voller Bausteine gerüstet, können wir uns im Kapitel Wechselwir-
kungen zwischen Atomen damit befassen, mit welchem „Kleber“ diese Bau-
steine zu größeren Gebilden zusammengesetzt werden können. Das folgende
Kapitel Chemische Reaktionen beschreibt den Vorgang dieser „Bastelarbei-
ten“ und wir werden lernen/uns erinnern, wie wir Atome und Verbindungen
von ihnen beeinflussen können, damit sie neue Verbindungen bilden und wie
wir die Geschehnisse bei diesen Vorgängen beschreiben können. Hier beant-
worten wir also die Frage „Was können wir mit Atomen machen und was

iii
passiert dabei?“. Im abschließenden Kapitel werden wir uns die Besonderhei-
ten der Atomsorte Kohlenstoff genauer ansehen.
Fachbegriffe werden in kursiv gesetzt und zum Teil erst später im Text
erklärt. Um einen roten Faden gewährleisten zu können, sind gelegentlich die
Experimente, die zur Entwicklung oder Bestätigung einer Theorie geführt
haben erst im Anhang (ab Seite 120) zu finden. Dort sind ebenfalls tiefer-
gehende mathematische Details zu einigen Modellen untergebracht. Direkt
folgt eine Liste von empfehlenswerten Lehrbüchern, die z. T. auch für die
Erstellung dieses Skriptes herangezogen wurden.

Literatur
A. Blaschette, Allgemeine Chemie I, 2. Auflage, 1993, Quelle & Mey-
er, ISBN 3-494-02194-5, Signatur der Bibliothek: E31-UNP2776 (ältere
Auflage)

A. Blaschette, Allgemeine Chemie II, 3. Auflage, 1993, Quelle & Mey-


er, ISBN 3-494-02195-3, Signatur der Bibliothek: D07-ZZZG80795 (äl-
tere Auflage)

P. Atkins, J. de Paula, Elements of Physical Chemistry, 6. Auflage,


2013, Oxford University Press, ISBN 978-0-19-960811-9, Signatur der
Bibliothek: E31-UOF2437(6)

Dank
Mein Dank gilt den Herren Dr. Sven Range, Dr. Wolfgang Habel und Dr.
Ulrich Westphal, die die Vorgängerversion dieses Skriptes erstellt und da-
mit eine wichtige Informationsgrundlage zusammengestellt haben. Bei Herrn
Prof. Dr. Gerhard Wurm möchte ich mich für hilfreiche Informationen zur
Kernphysik bedanken.
Dieses Skript wurde mit LATEX erstellt.

„Fehlerkorrektur ist ein asymptotischer Prozess“

A. Blaschette

iv
Inhaltsverzeichnis

Zu Beginn ein wenig Philosophie 8

1 Atome 11
1.1 Atommodell der Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
1.2 Das Modell von Dalton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
1.3 Das Modell von Rutherford . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
1.3.1 Elementarteilchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
1.4 Das Modell von Bohr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
1.5 Das Quantenmechanische Atommodell . . . . . . . . . . . . . 18

2 Vom Atommodell zum Periodensystem 24

3 Wechselwirkungen zwischen Atomen 28


3.1 Die Ionische Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
3.2 Die Metallische Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
3.2.1 Elektronengasmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
3.3 Die Kovalente Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
3.3.1 Oktettregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
3.3.2 Valence-Bond-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
3.3.2.1 Hybridisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
3.3.2.2 Mesomerie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
3.3.3 Molekülorbitaltheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
3.4 Übergänge zwischen den Bindungstypen . . . . . . . . . . . . 41
3.4.1 Elektronegativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
3.5 Sekundäre Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
3.5.1 Aggregatzustände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
3.5.2 Statische Dipole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
3.5.3 Induzierte Dipole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
3.5.4 Wasserstoffbrückenbindungen . . . . . . . . . . . . . . 47

v
4 Chemische Reaktionen 49
4.1 Chemische Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
4.1.1 Physikalische Größen und Maßeinheiten . . . . . . . . 51
4.1.1.1 Stoffmengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
4.1.1.2 Konzentrationen von Lösungen . . . . . . . . 53
4.2 Physikalische Grundoperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
4.2.1 Trennverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
4.3 Reaktionsgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
4.3.1 Oxidationszahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
4.4 Thermodynamik der Chemischen Reaktion . . . . . . . . . . . 62
4.4.1 Grundlagen der Thermodynamik . . . . . . . . . . . . 63
4.4.1.1 System und Umgebung . . . . . . . . . . . . . 63
4.4.1.2 1. Hauptsatz: Energie eines Systems . . . . . 64
4.4.1.3 2. Hauptsatz: Unordnung . . . . . . . . . . . 66
4.4.1.4 Zustandsgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
4.4.2 Anwendungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
4.4.2.1 Phasenübergänge . . . . . . . . . . . . . . . . 68
4.4.2.2 Reaktionsenthalpien . . . . . . . . . . . . . . 68
4.4.2.3 Freiwilligkeit von Reaktionen . . . . . . . . . 71
4.4.2.4 Gitterenergie von Ionenkristallen . . . . . . . 71
4.5 Kinetik der Chemischen Reaktion . . . . . . . . . . . . . . . . 72
4.5.1 Konzentrationsabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 73
4.5.1.1 Reaktionsordnungen . . . . . . . . . . . . . . 74
4.5.2 Temperaturabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
4.5.3 Katalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
4.5.4 Heterogene Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
4.6 Chemische Gleichgewichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
4.6.1 Das Prinzip von le Chatelier . . . . . . . . . . . . . 82
4.6.2 Das Massenwirkungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . 82
4.6.3 Löslichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
4.7 Säure/Base-Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
4.7.1 Theorie nach Arrhenius . . . . . . . . . . . . . . . . 86
4.7.1.1 H+ in wässriger Lösung . . . . . . . . . . . . 87
4.7.2 Theorie nach Brønsted . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
4.7.2.1 Säure- und Basekonstanten . . . . . . . . . . 89
4.7.2.2 Der pH-Wert . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
4.7.3 Theorie nach Lewis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
4.8 Redox-Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
4.8.1 Elektrochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
4.8.1.1 Galvanische Elemente . . . . . . . . . . . . . 95
4.8.1.2 Standardwasserstoffelektrode . . . . . . . . . 98

vi
4.8.1.3 Die Nernst’sche Gleichung . . . . . . . . . . . 98
4.8.1.4 Elektrolyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
4.8.1.5 Der Blei-Akkumulator . . . . . . . . . . . . . 99
4.8.1.6 Lokalelemente und Korrosion . . . . . . . . . 100

5 Die Sonderrolle des Elementes Kohlenstoff 103


5.1 Kohlenwasserstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
5.1.1 Nomenklatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
5.1.2 Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
5.2 Funktionelle Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
5.2.1 Mehrfachbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
5.2.2 Amine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
5.2.3 Alkohole und Ether . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
5.2.4 Aldehyde und Ketone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
5.2.5 Carbonsäuren und Ester . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
5.2.6 Halogene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
5.2.7 weitere funktionelle Gruppen . . . . . . . . . . . . . . 110
5.3 Isomerie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
5.4 Einfache Reaktionsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
5.4.1 Bindungsspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
5.4.2 Additionsreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
5.4.3 Substitutionsreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
5.4.3.1 Nucleophile Substitution 1. Ordnung SN 1 . . . 115
5.4.3.2 Nucleophile Substitution 2. Ordnung SN 2 . . . 116
5.4.3.3 SN 1 versus SN 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
5.4.4 Eliminierungsreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
5.4.4.1 β-Eliminierung 1. Ordnung . . . . . . . . . . 117
5.4.4.2 β-Eliminierung 2. Ordnung . . . . . . . . . . . 118

Anhang 120
A Experimentelles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
A.1 zum Atommodell von Rutherford . . . . . . . . . . 120
A.1.1 zu den Elementarteilchen . . . . . . . . . . . 120
A.2 zum Atommodell von Bohr . . . . . . . . . . . . . . . 121
B Mathematisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
B.1 zum Atommodell von Bohr und Rutherford . . . . 123
B.2 zur Ionischen Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
B.3 zur Kinetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
B.4 zu Redox-Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
C Physikalische Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130

vii
Zu Beginn ein wenig Philosophie
In der Wissenschaft unterscheidet man zwischen zwei Vorgehensweisen um zu
neuen Erkenntnissen zu gelangen, das induktive und das deduktive Vorgehen.
Im Fall des induktiven Vorgehens ist der Ausgangspunkt das Experiment.
Wir haben hier in der Natur oder im Labor eine Beobachtung gemacht und
versuchen nun diese spezielle Beobachtung so allgemeingültig wie möglich
zu erklären. Wenn unsere Erklärung gut gelungen ist, können wir mit ihr
den Ausgang von weiteren Experimenten vorhersagen und sie auf diesem
Wege überprüfen. Dieses Vorgehen bezeichnet man dann als deduktiv. Für
eine deduktive Herangehensweise an ein Problem beginnen wir also mit ei-
ner möglichst allgemeinen Hypothese und überprüfen im reproduzierbaren(!)
Experiment deren Gültigkeit für einen speziellen Fall. Da eine Überprüfung
aller spezieller Fälle nicht möglich ist, lässt sich eine Hypothese nie voll-
ständig auf Richtigkeit kontrollieren. Hat sie aber sehr viele Experimente
erfolgreich und reproduzierbar vorhergesagt, wird eine Hypothese als gültige
Theorie anerkannt. Widerspricht ihr ein Experiment, ist sie widerlegt oder
zumindest ihre Allgemeingültigkeit eingeschränkt. Sie kann dann für eventu-
elle speziellere Anwendungen aber immer noch nützlich sein.

Abbildung 1: Wissenschaftliches Vorgehen im Schema.

Abstraktes Denken
Abstraktes Denken reduziert eine komplexe Gegebenheit auf ihre wesentli-
chen Merkmale. Ein Strichmännchen ist ein gutes Beispiel für die abstrakte
Darstellung eines Menschen. Dieser Form der Darstellung ist sogar gelungen
soweit zu verallgemeinern, dass die Bezeichnung „Strichmännchen“ eigent-
lich nicht mehr gerechtfertigt ist, da das Geschlecht des „Männchens“ nicht

8
mehr zu identifizieren ist. Obwohl bei Menschen so ein deutliches Unterschei-
dungsmerkmal vorliegt, gelingt es der Darstellung als Strichmännchen dieses
aufzuheben und Mann und Frau durch eine einzige abstrakte Darstellung zu
repräsentieren. Eine beliebige Gruppe Menschen zu betrachten und festzu-
stellen, dass bei allen Unterschieden jeder von ihnen auf ein Strichmännchen
reduziert werden kann, ist ein Beispiel für eine induktive Vorgehensweise.
Ein weiteres Beispiel ist in Abbildung 2 zu finden.

Abbildung 2: Auf den ersten Blick haben diese Bilder keine Gemeinsam-
keit. . .

Trotz der scheinbaren Zusammenhanglosigkeit der beiden Photos ist ihr


Bildaufbau identisch. Reduziert man den Inhalt des Bildes auf wesentliche
geometrische Objekte (Abbildung 3) erhalten wir durch Induktion eine „wis-
senschaftliche Theorie“ die beide „Beobachtungen“ korrekt beschreibt.

Abbildung 3: . . . auf den zweiten zeigt sich, dass sie den selben Bildaufbau
haben.

1. Gehen Sie mit Ihren zukünftigen Mitstudent(\B|inn)en auf Photosafari.

9
a) Lernen Sie Essen/Duisburg kennen und machen Sie Photos die
denselben Bildaufbau haben oder anders formuliert arbeiten Sie
deduktiv und finden Sie weitere „experimentelle Belege“ für unsere
„Theorie“.
b) Welche Gemeinsamtkeiten können zwei Photos außer ihres Bild-
aufbaus noch haben?
c) Finden Sie auch zu dieser Hypothese experimentelle Belege.

10
Kapitel 1

Atome

Das fundamentalste und wichtigste Modell der Chemie oder vielleicht sogar
der Naturwissenschaften im Allgemeinen ist die Vorstellung, dass die Materie,
also alles was eine Masse hat, aus kleinsten Bausteinen, den Atomen (von
griechisch ατομος (atomos) für unteilbar) aufgebaut ist. Bevor wir uns also
mit chemischen Fragestellungen irgendeiner Art beschäftigen können, ist es
notwendig zu klären, was Atome sind und welche Eigenschaften sie haben.
Im Laufe der Jahrhunderte haben sich die Vorstellungen von Atomen ge-
wandelt und die Atommodelle sind immer leistungsfähiger geworden. Hier
sollen die wichtigsten Entwicklungsstufen bis zum aktuellsten Stand der Er-
kenntnisse, dem quantenmechanischen oder wellenmechanischen Atommo-
dell, dargestellt werden.

1.1 Atommodell der Antike


Die herausragende Leistung der antiken griechischen Philosophen Δημοκρι-
τος (Demokrit) und Λευκιππος (Leukipp) ist es, erstmalig den Begriff des
Atoms definiert zu haben.

„Nur scheinbar hat ein Ding eine Farbe, nur scheinbar ist es süß
oder bitter; in Wirklichkeit gibt es nur Atome im leeren Raum.“

1.2 Das Modell von Dalton


Durch Erkenntnisse von Antoine Laurent de Lavoisier, Miha&
il Vas&
il~eviq
Lomonosov (Michail Wassiljewitsch Lomonossow) und Joseph Louis
Proust konnte John Dalton zu Beginn des 19. Jahrhunderts dieses Modell
konkretisieren:

11
1. Die Materie besteht aus sehr kleinen Atomen, die nicht weiter zerlegbar
sind und weder erschaffen noch zerstört werden können.

2. Die Atome verschiedener Elemente besitzen unterschiedliche Eigen-


schaften und unterschiedliche Massen; alle Atome eines Elementes sind
jedoch unter sich gleich.

3. Bei der Bildung einer Verbindung vereinigen sich die Atome der Ele-
mente in einem konstanten Zahlenverhältnis. Dabei ändert sich die Ge-
samtmasse der beteiligten Stoffe nicht, da die Atome unveränderlich
sind.
Daltons Atommodell beruht auf verschiedenen experimentelle Befunden.
Lomonosov und de Lavoisier konnten durch präzises Wiegen zeigen,
dass das Gewicht der beteiligten Substanzen vor einer Reaktion (z. B. beim
Verbrennen einer Substanz, wenn man die gasförmigen mitwiegt) dasselbe
wie nach der Reaktion ist. Es wird also weder Masse erzeugt noch vernichtet.
Diese Erkenntnis wird als Satz von der Erhaltung der Masse bezeichnet und
führte zu Daltons erster und dritter Aussage über Atome.
Proust konnte zeigen, dass Verbindungen von Elementen immer diesel-
be Zusammensetzung haben, unabhängig vom Ort an dem eine Verbindung
gefunden wurde oder ob sie natürlichen oder künstlichen Ursprungs ist: „Wir
müssen erkennen, dass Zusammensetzung und Eigenschaften einer echten
Verbindung überall auf der Erde gleich sind. Zinnober aus Japan besitzt die
gleichen Eigenschaften und die gleiche Zusammensetzung wie Zinnober aus
Spanien; auf der ganzen Welt existiert nur ein Kochsalz, ein Salpeter usw.,
und die künstlich hergestellten Oxide haben dieselbe Zusammensetzung wie
die natürlich vorkommenden.“ Wir sprechen vom Gesetz der konstanten Pro-
portionen.
Durch eigene Experimente konnte Dalton diese Aussage zum Gesetz
der multiplen Proportionen weiterentwickeln. Er stellte fest, dass 1 g Koh-
lenstoff bei unzureichender Sauerstoffzufuhr mit 1, 333 g Sauerstoff reagiert,
aber ausreichender Zufuhr jedoch mit 2, 666 g, also der doppelten Masse. Er
folgerte daraus: „Bilden zwei Elemente mehrere Verbindungen, dann stehen
die Massen der Elemente zueinander im Verhältnis kleiner ganzer Zahlen.“
Dies trug ebenfalls zur Formulierung seiner dritten Aussage über Atome bei.
Die Erkenntnis, dass es verschiedene Atomsorten geben müsse erlangte
man dadurch, dass beim Versuch Verbindungen in ihre Bestandteile zu zer-
legen, nicht weiter zerlegbare Substanzen gefunden wurden, die sich in ihren
Eigenschaften unterschieden.
Insbesondere der zweite und dritte Punkt sind eine deutliche Weiterent-
wicklung des antiken Modell, da Dalton zwischen verschiedenen Atomsor-

12
ten – den sogenannten Elementen 1 – die sich durch ihre Masse unterscheiden,
differenzieren und bereits Aussagen über Verbindungen von Atomen treffen
kann. Auf welche Art und Weise die Atome miteinander verbunden sind bzw.
was für eine Kraft zwei Atome aneinander bindet kann dieses Modell jedoch
nicht erklären.

2. Wie lässt sich nachweisen, dass bei der Verbrennung einer Kerze ein
Teil der Luft verbraucht wird?

3. Wie könnte man nachweisen, dass es sich bei dem verbrauchten Luft-
anteil um Sauerstoff handelt?

4. Ein Kupferblech wiegt 400 g. Es wird mit Schwefel zur Reaktion ge-
bracht. Nach der Reaktion wiegt es 600 g.

a) Wie groß ist die Masse des Schwefels der reagiert hat?
b) Wie lautet das Massenverhältnis?
c) Wie viel Gramm Schwefel braucht man für die Reaktion von 233 g
Cu?

1.3 Das Modell von Rutherford


Experimente (siehe Seite 120) legten die Vermutung nahe, dass Atome doch
nicht als unteilbar zu betrachten sind, sondern aus Elementarteilchen auf-
gebaut sind. Über die Anordnung dieser Elementarteilchen im Atom gab es
zunächst verschiedene Spekulationen bis Ernest Rutherford aus den Ex-
perimenten seiner Mitarbeiter Hans Geiger und Ernest Marsden (siehe
Anhang Abschnitt A.1) ein neues Atommodell ableiten konnte. Nach diesem
Modell besitzen Atome einen elektrisch positiv geladenen Atomkern und ei-
ne elektrisch negativ geladenen Atomhülle. Der Atomkern beinhaltet den
Großteil der Atommasse und ist aus Protonen und Neutronen aufgebaut.
Die Atomhülle macht den Großteil des Atomvolumens2 aus und besteht aus
Elektronen.
1
der Begriff „Element“ ist leider nicht ganz sauber definiert. Man versteht darunter
nicht nur eine Atomsorte, sondern auch ein makroskopisches Material, das sich nur aus
einer Atomsorte zusammensetzt.
2
Stellt man sich den Atomkern in der Größe eines Kirschkerns vor, so hat die Atomhülle
die Größe des Kölner Doms!

13
1.3.1 Elementarteilchen
Die Elementarteilchen, die man zur Beschreibung eines Atoms benutzt, be-
zeichnet man als Proton, Neutron und Elektron. Protonen und Elektronen
sind elektrisch geladen. Sie tragen beide dieselbe Ladung jedoch mit entge-
gengesetztem Vorzeichen. Das Proton nennt man positiv geladen, das Elek-
tron negativ geladen. Das Neutron ist elektrisch neutral. Neben der Ladung
ist die Masse eine wichtige Eigenschaft der Elementarteilchen. Proton und
Neutron haben in etwa dieselbe Masse, die des Elektrons beträgt etwa ein
zweitausendstel dieser Masse. Da Atome nach außen hin elektrisch neutral
sind, müssen die Zahl der Protonen und Elektronen, die sie bilden gleich
groß sein. Die verschiedenen Atomsorten unterscheiden sich dann durch die
Zahl der Protonen (und damit auch der Elektronen). Da so aber lediglich die
Masse des Elements Wasserstoff erklärt werden kann, benötigt man noch ein
weiteres, elektrisch neutrales Elementarteilchen, das eine hohe Masse besitzt,
das Neutron. Atomkerne bestehen also nach Rutherford aus Protonen und
Neutronen, wobei es die Protonen sind, die die Eigenschaften des Atoms be-
stimmen bzw. festlegen zu welchem Element es gehört.
Weitere experimentelle Erkenntnisse haben dazu geführt, dass noch dif-
ferenziertere Modelle entwickelt wurden und auch die Elementarteilchen als
Verbindungen von „noch elementareren Elementarteilchen“ beschrieben wer-
den können. So detaillierte Betrachtungen sind jedoch für die Erklärung che-
mischer Phänomene nicht notwendig.
Entfernt man Elektronen aus der Atomhülle verschiebt man das Ladungs-
gleichgewicht zu Gunsten der positiven Ladungen und es bildet sich ein Kati-
on, fügt man Elektronen zur Hülle hinzu verschiebt man es zu den negativen
Ladungen. Das dann entstehende Teilchen bezeichnet man als Anion. Ganz
allgemein spricht man bei geladenen Atomen von Ionen (von griechisch ἰών
(ion) für gehend).
Neben der Variation der Ladung ist eine Variation der Masse eines Atoms
durch Zugeben oder Entfernen von Neutronen möglich3 . Atome, die zur sel-
ben Atomsorte gehören, aber sich in ihrer Masse unterscheiden bezeichnet
man als verschiedene Isotope eines Elements.

Bei dem Versuch diese Vorstellung von einem Atom aus Hülle und Kern in
mathematischen Formeln zu quantifizieren stieß man allerdings auf Probleme,
die erst Bohr beheben konnte. Mit der Entdeckung der Elementarteilchen
hat man jedoch nicht nur ein leistungsfähigeres Atommodell schaffen können,
3
Das Beeinflussen von Atomkernen ist allerdings experimentell deutlich anspruchsvoller
als das Ionisieren eines Atoms, also das Beeinflussen der Atomhülle. An dieser Stelle ist es
ein reines Gedankenexperiment!

14
sondern auch Beobachtungen wie Elektrizität/elektrischer Strom mit Hilfe
der Vorstellung von einem Elektron erklären können. Außerdem liefert das
Rutherford’sche Atommodell die Grundlage für erste Erklärungsansätze
der Kräfte, die in Verbindungen von Atomen (Salze, siehe Abschnitt 3.1 und
Metalle, siehe Abschnitt 3.2) zwischen ihnen wirken.

Exkurs: Radioaktivität
Die Elementarteilchen des Kerns werden durch die sogenannte starke Wech-
selwirkung zusammengehalten (Details zu Wechselwirkungen siehe Kapitel 3).
Sie ist aber nicht die einzige Kraft, die innerhalb des Atomkerns auftritt.
Im Atomkern finden wir mit den Protonen Teilchen, die dieselbe Ladung
haben. Zwischen geladenen Teilchen tritt die elektromagnetische Wechsel-
wirkung auf. Diese ist zwischen gleichgeladenen Teilchen repulsiv. Außerdem
tritt zwischen den Elementarteilchen des Kerns die schwache Wechselwirkung
auf.
Das komplexe Wechselspiel dieser Kräfte hat zur Folge, dass mittelgroße
wie z. B. Atomkerne der Sorte Eisen besonders stabil sind. Ab einer gewissen
Kerngröße beobachtet man keine stabile Kombination von Nukleonen (kern-
bildende Teilchen, also Protonen und Neutronen zusammen, von lateinisch
nucleus für Kern) mehr. Dann stabilisieren sich die Kerne durch das Aus-
stoßen von kleinen Kernfragmenten, bestehend aus zwei Protonen und zwei
Neutronen. Neben der reinen Anzahl der Protonen und Neutronen ist für
die Stabilität eines Kerns auch deren Zahlenverhältnis wichtig und ob ihre
Anzahl gerad- oder ungeradzahlig ist, sowie der interne energetische Aufbau
des Kerns. Zur Stabilisierung eines Kerns kann also auch eine Umwandlung
von einem Neutron in ein Proton beitragen (oder umgekehrt). Sie ist dann
von der Aussendung eines Elektrons (oder Positrons, ein positiv geladenes
Elektron) begleitet. Diese Phänomene bezeichnet man als Radioaktivität (von
lateinisch radius für Strahl). Detaillierte Theorien zu diesem Thema fallen
in den Bereich der Kernphysik und sollen deshalb hier nicht näher erläutert
werden.

Tabelle 1.1: Eigenschaften von Elementarteilchen. Die Einheitssymbole wer-


den in Abschnitt 4.1.1 erklärt.
Teilchen Masse/kg Ladung/C
Proton p 1, 673 · 10−27 +1, 602 · 10−19
Neutron n 1, 675 · 10−27 ±0
Elektron e 9, 110 · 10−31 −1, 602 · 10−19

15
Bevor wir uns näher mit dem Zerfall von Atomkernen befassen können,
müssen wir uns kurz mit formalen Konventionen vertraut machen. Für die
Beschreibung von Kernreaktionen verwendet man das Elementsymbol (sie-
he Kapitel 2) dem als Index unten die Anzahl der Protonen und oben die
Zahl der Nukleonen vorangestellt wird. Durch geschickte Konventionswahl
entspricht die Zahl der Nukleonen ziemlich genau der Masse des Atomkerns
(siehe Abschnitt 4.1.1). Der einfachste Atomkern ist aus nur einem Proton
aufgebaut. Atomkerne, die ein Proton enthalten, gehören zum Element Was-
serstoff, das mit dem Symbol H abgekürzt wird. Für diesen einfachsten Atom-
kern wäre das vollständige Symbol also 11 H. Das Wasserstoffisotop Deuterium
besitzt einen Kern, der aus einem Proton und einem Neutron besteht. Das
dazugehörige Symbol wäre dann also 21 H. Da die Zahl der Protonen das Ele-
ment festlegt, ist das Elementsymbol eigentlich eine redundante Information.
Für die Beschreibung von Kernreaktionen ignoriert man die Elektronenhülle
des Atoms. Mit dieser Symbolik lassen sich Zerfallsvorgänge von Kernen gut
beschreiben. Bei diesen Zerfallsvorgängen beobachtet man drei verschiedene
Arten von ionisierender Strahlung:

α-Strahlung Bei α-Strahlung handelt es sich um kleine Kernfragmente,


die vom Kern ausgestoßen werden. Sie bestehen aus zwei Protonen und zwei
Neutronen. Kerne die zwei Protonen enthalten gehören zur Atomsorte Heli-
um.
N N −4
p Xx −→ p−2 Yy + 42 He

β-Strahlung Der Zerfallsprozess der zu β-Strahlung führt ist die Spaltung


einer Neutrons in ein Proton und ein Elektron. Das Elektron verlässt dann
den Kern und stellt die eigentliche Strahlung dar.
N −
p Xx −→ N
p+1 Zz + e

γ-Strahlung Bei beiden vorangegangen Zerfallsprozessen liegt der Atom-


kern nach dem Zerfall in einem energetisch angeregten Zustand vor. Bei der
Relaxation in den Grundzustand wird Energie in Form von sehr kurzwellige
elektromagnetische Strahlung, die man als γ-Strahlung bezeichnet, abgege-
ben. α- und β-Strahlung sind also normalerweise von γ-Strahlung begleitet.
N ∗
p Xx −→ N
p Xx + γ

5. Der Kern 235


92 U instabil und erleidet einen α-Zerfall. Der entstehende
Kern ist wiederum instabil und erleidet einen β-Zerfall. Es folgt ein
weiterer α-Zerfall und β-Zerfall. Stellen Sie die Zerfallsreihe auf.

16
Literatur
W. Demtröder, Experimental Physik 4, 3. Auflage, 2010, Springer Ver-
lag, ISBN 978-3-642-01598-4, Signatur der Bibliothek: D35-UAP3966(3)-
4_d, (enthält Details zur Kernphysik)

1.4 Das Modell von Bohr


Auf den Atombeschreibungen von Rutherford aufbauend konnte Niels
Bohr ein erweitertes Modell entwickeln. Das Bohr’sche Modell kann eine
erste Beschreibung des Aufbaus der Elektronenhülle präsentieren und sagt
z. B. das Linienspektrum des Wasserstoffes richtig vorher.
Ausgangspunkt für die Bohr’sche Vorstellung von einem Atom ist die
Analogie zum Sonnensystem. Bohr stellt sich vor, die Elektronen umkreisten
den Atomkern, wie die Planeten die Sonne. Um einen stabilen „Orbit“ um
den Atomkern zu erreichen, müssen sich die Zentrifugalkraft des Elektrons
und die elektrostatische Anziehung zwischen Elektron und Kern (siehe auch
Kapitel 3), also die Kraft, die zwischen zwei verschieden geladenen Teilchen
wirkt, die Waage halten.
Das Problem dieser Beschreibung (die sich direkt aus Rutherfords Mo-
dell ergibt) ist jedoch, dass man aus Experimenten weiß, dass bewegte elektri-
sche Ladungen elektromagnetische Strahlung – z. B. Licht, Radiowellen oder
infrarote Strahlung – erzeugen. Dies wird erstens bei Atomen nicht beob-
achtet und hätte zweitens zur Folge, dass das Elektron mit dieser Strahlung
auch Energie abgeben müsste. Die Folge daraus wäre, dass die Zentrifugal-
kraft kleiner werden würde, das Elektron dichter an den Kern gezogen würde
und schließlich in ihn stürzte. Ein solches Atom wäre also nicht stabil! Bohr
behob diese Problem in dem er Bahnen postulierte(!), auf denen sich das
Elektron strahlungsfrei, und damit ohne Energieverlust, bewegen kann. Die-
se zunächst sehr kühn wirkende Behauptung führt jedoch zu einem Modell,
dass das Absorptionsspektrum des Wasserstoffatoms korrekt beschreibt (sie-
he Anhang A.2 und B.1). Für die Beschreibung der Bahnen führte Bohr die
Quantenzahl n ein.
Was dieses Modell aber noch nicht leisten kann, ist Mehrelektronensyste-
me und die Aufspaltung der Spektrallinien im Magnetfeld, den sogenannten
Zeeman-Effekt (nach Pieter Zeeman), zu beschreiben.

17
Abbildung 1.1: Beschreibung des Elektron im Atom als Welle, hier verein-
facht als eindimensionale Welle dargestellt. Tatsächlich verwendet man eine
dreidimensionale Welle. links: Stehende Welle. rechts: Auslöschung durch de-
struktive Interferenz.

1.5 Das Quantenmechanische Atommodell


Nachdem Louis Victor de Broglie zeigen konnte, dass Materie auch Wel-
leneigenschaften haben kann, war es naheliegend diese Erkenntnis ebenfalls
für die Beschreibung der Elektronen im Atom anzuwenden. Als einfache Ver-
anschaulichung des Konzeptes kann man eine Welle verwenden, die sich auf
einer Kreisbahn um den Kern bewegt (siehe Abbildung 1.1). Damit sich da-
bei die Wellen nicht selbst auslöscht (destruktive Interferenz 4 ), ist es nötig,
dass ihre Wellenlänge ein ganzzahliges Vielfaches des Bahnumfangs ist. Das
Resultat ist eine stehende Welle, also eine Welle, die sich mit der Zeit nicht
verändert. Salopp formuliert könnte man sagen, dass Elektron bewege sich
nicht. Damit löst man auch das Problem, dass sich durch eine Beschreibung
mittels klassischer Elektrodynamik, wie es z. B. Rutherford versucht hat,
ergibt. Dem Elektron widerfährt keine zeitliche Veränderung und damit gibt
es keine elektromagnetische Strahlung ab. Außerdem lässt sich aus dieser
Beschreibung genau das mathematisch herleiten, was Bohr nur postulieren
konnte.
Erwin Schrödinger formulierte dann basierend auf dieser Beschreibung
eine Gleichung zur Berechnung der Energie des Elektrons. Sie besagt, dass
sich die Energie eines Elektrons berechnen lässt indem man einen mathemati-
4
Wellental und Wellenberg überlagern sich so, dass es zu einer Reduzierung der Am-
plitude (Höhe des Wellenbergs bzw. Tiefe des Wellentals) kommt.

18
schen Operator Ĥ auf die Funktion Ψ, die unsere Welle beschreibt anwendet.
Man erhält dann die Energie des Elektrons als Vorfaktor vor der unverän-
derten Wellenfunktion.

Ĥ · Ψ = E · Ψ (1.1)

Um die Energie des Elektron zu bestimmen, muss man also herausfinden, wel-
che Wellenfunktionen diese Bedingung erfüllen, oder anderes gesagt: geeignet
sind das Elektron zu beschreiben. Diese Wellenfunktionen bezeichnet man als
Orbitale in Anlehnung an die Kreisbahnen des Modells von Bohr. Diese Or-
bitale sind nicht beobachtbar, also rein mathematische Hilfskonstrukte zur
Beschreibung der Elektronen.
Um einen Zusammenhang zu beobachtbaren Größen herzustellen, ist es
nötig, sich neben dem bislang betrachteten Welle-Teilchen-Dualismus mit
einer weiten Kuriosität der Quantenmechanik vertraut zu machen: der Un-
schärfe. In atomarer Größenordnung sind Ort (x) und Geschwindigkeit (v)
miteinander verknüpft und in ihrer Bestimmbarkeit eingeschränkt. Bestimmt
man den Ort eines Teilchens exakt, verliert man gleichzeitig jegliche Informa-
tion über seine Geschwindigkeit und umgekehrt. Das Produkt der Schwan-
kungsbreiten dieser Größen ist immer mindestens gleich einer Konstanten,
die sich aus der Masse des Teilchen und der Planckkonstante h ergibt:
1 h
∆x · ∆v ≥ ·~ mit ~ = (1.2)
2me− 2π
Diese Beziehung wird nach ihrem Entdecker Werner Heisenberg als Heisen-
berg’sche Unschärferelation bezeichnet. Für unsere Beschreibung des Atoms
hat dieses Phänomen zur Folge, dass wir nie exakte Aussagen über den Zu-
stand unseres Atoms also Ort und Geschwindigkeit der Elektronen treffen
können. Was aber möglich ist, ist anzugeben wie wahrscheinlich es ist, an
einem bestimmten Ort ein Elektron zu finden.
Hier schließt sich dann der Kreis, denn die Aufenthaltswahrscheinlichkeit
des Elektrons entspricht der quadrierten Wellenfunktionen. Unsere Wellen-
funktion selbst ist also nur ein Hilfsmittel um zu einer beobachtbaren Größe
zu gelangen.5
Wir wollen nun einen näheren Blick auf die Eigenschaften der Wellen-
funktionen/Orbitale werfen. Wie wir in Abbildung 1.1 schon gesehen haben,
soll die Wellenlänge einem ganzzahligen Vielfachen des Bahnradiuses ent-
sprechen. Diese ganze Zahl entspricht der Quantenzahl aus dem Modell von
5
Mir persönlich hilft es, bei solchen Fällen „ist . . . “ durch „kann mathematisch beschrie-
ben werden als . . . “ zu ersetzen. Was genau diese Wellenfunktion sein soll, entzieht sich
meiner Vorstellungskraft.

19
Bohr. Auch in dieser extremen Vereinfachung ist sie aber ein direktes Er-
gebnis unserer Beschreibung und nicht Bestandteil eines Postulats. Grund-
sätzlich gibt es beliebig (unendlich) viele Wellenfunktionen, die Gleichung 1.1
erfüllen. Wir können aber nicht jede x-beliebige benutzen, da wir eine wich-
tige Randbedingung zu beachten haben: irgendwo muss unser Elektron sein.
Wir wissen zwar nicht genau wo, aber wir wissen sicher das es da ist. Für
den gesamten Raum betrachtet muss unsere Wellenfunktion also eine Auf-
enthaltswahrscheinlichkeit von 100% für unser Elektron liefern. Durch diese
Einschränkung erhalten wir wiederum nicht unendlich viele mögliche, also
kontinuierliche, Energiewerte, sondern wieder – wie auch schon im Modell
von Bohr – diskrete. In diesem Punkt stimmt das quantenmechanische Mo-
dell also schonmal mit den Beobachtungen überein. Verlassen wir das ein-
fache Bild einer eindimensionalen Welle auf einer Kreisbahn und betrachten
die tatsächlichen dreidimensionalen Wellenfunktionen, stellen wir fest, dass
sie nicht nur durch eine sondern durch drei Quantenzahlen n, l und ml cha-
rakterisiert werden. Die Wellenfunktionen lassen sich in einen radialen und
einen richtungsabhängigen Teil zerlegen. Für die graphische Darstellung ver-
wendet man üblicherweise den richtungsabhängigen Teil der Wellenfunktion.
Die Quantenzahlen beschreiben verschiedene Eigenschaften der Wellenfunk-
tion/des Elektrons. n beschreibt die Energie und wird Hauptquantenzahl
genannt, die Nebenquantenzahl l beschreibt den Drehimpuls und die Ma-
gnetquantenzahl ml die Komponente des Drehimpulses entlang der z-Achse
des verwendeten Koordinatensystems6 . l wirkt sich stark auf die Form des
Orbitals aus (siehe Abbildung 1.2). ml bestimmt das Verhalten in einem
externen Magnetfeld.
Die Quantenzahlen können nicht beliebige Werte annehmen und sind zum
Teil von einander abhängig. n kann Werte 1, 2, 3 . . . annehmen, ist also ma-
thematische ausgedrückt ein Element der natürlichen Zahlen. Man spricht für
n = 1 von der K-Schale, für n = 2 von der L-Schale etc. l ist ebenfalls eine
natürliche Zahl ist aber durch n eingeschränkt. l kann jede Zahl von 0 bis n−1
annehmen. Da die Nebenquantenzahl die Form der Orbitale bestimmt, gibt
man den Wellenfunktionen abhängig von ihrer Nebenquantenzahl Namen.
Ein Orbital mit l = 0 nennt man z. B. s-Orbital, eines mit l = 1 p-Orbital.
Man spricht auch von Nebenschalen und verwendet dieselben Buchstaben für
ihre Bezeichnung. Bei ml handelt es sich um eine ganze Zahl von −l bis +l.
All diese Zusammenhänge sind in Tabelle 1.2 zusammengefasst.
Für ein System mit nur einem Elektron ist die Schrödinger-Gleichung
(Gleichung 1.1) exakt zu lösen. Für Systeme mit mehr als einem Elektron
6
zu Details werden Sie im Verlauf ihres Studium in der Physikalischen Chemie näheres
erfahren.

20
Abbildung 1.2: Schematische Darstellung der richtungsabhängigen Wellen-
funktionsanteile verschiedener Nebenquantenzahlen. Die verschiedenen Far-
ben stellen die verschieden Vorzeichen der Amplituden der Wellenfunktio-
nen dar. oben links: s-Orbital, oben rechts: p-Orbital, unten: verschiedene
d-Orbitale.

Tabelle 1.2: Quantenzahlen in der Übersicht.

n Schale l Name ml
1 K 0 s-Orbital 0
2 L 0 s-Orbital 0
1 p-Orbital −1 0 +1
3 M 0 s-Orbital 0
1 p-Orbital −1 0 +1
2 d-Orbital −2 −1 0 +1 +2
4 N 0 s-Orbital 0
1 p-Orbital −1 0 +1
2 d-Orbital −2 −1 0 +1 +2
3 f -Orbital −3 −2 −1 0 +1 +2 +3
.. .. .. ..
. . . .

21
Abbildung 1.3: Nach diesem Schema kann die energetische Reihenfolge der
Orbitale eines Mehrelektronensystems bestimmt werden. Elemente in denen
das 8s-Orbital besetzt ist, sind bislang noch nicht bekannt. Das Schema ist
aber beliebig erweiterbar.

ist dies nicht mehr möglich. Aus den Versuchen geeignete Verfahren zu fin-
den brauchbare Näherungen zu entwickeln, hat sich ein komplettes Teilgebiet
der Chemie, die Theoretische Chemie entwickelt. Neben Problemen der Lös-
barkeit ergibt sich für Mehrelektronensystem eine weitere Änderung. Man
benötig eine weitere Quantenzahl, die den Eigendrehimpuls des Elektrons,
den Spin, beschreibt. Sie wird ms oder einfach s genannt und kann zwei
mögliche Werte annehmen, −1/2 und +1/2. Anschaulich betrachtet kann es
sich im und gegen den Uhrzeigersinn um sich selbst drehen. Die verschiede-
nen Spinzustände eines Elektron werden üblicherweise durch nach oben bzw.
nach unten zeigende Pfeile symbolisiert.
Bislang konnten wir Informationen über die Energie eines Orbitals der
Hauptquantenzahl n entnehmen. Für ein Einelektronensystem haben alle
Orbitale mit derselben Hauptquantenzahl auch dieselbe Energie. Man nennt
sie energetisch entartet. In einem Mehrelektronensystem ist diese Entartung
aufgehoben und die energetische Abfolge der Orbitalenergien ist nicht mehr
streng durch die Hauptquantenzahl bestimmt. Die energetische Abfolge der
Orbitale kann nach dem Schema in Abbildung 1.3 bestimmt werden.
Mit dem Wissen, das der Spin eines Elektrons nur zwei verschiedene
Werte annehmen kann, können wir uns jetzt Gedanken über den Aufbau

22
der Elektronenhülle nach Beschreibung des quantenmechanischen Atommo-
dells machen. Wir haben gesehen, dass die Wellenfunktionen, die Lösungen
für die Schrödinger-Gleichung sind, durch Quantenzahlen zu systematisieren
sind. Wenn wir nun berücksichtigen, dass die Elektronen zwei verschieden
Zustände einnehmen können, heißt das, dass wir jedes Orbital maximal mit
zwei Elektronen „besetzen“ können. Würden wir mehr als zwei Elektronen in
einem Orbital platzieren, hätten mindestens zwei von ihnen dieselben Quan-
tenzahlen, würden also identische Lösungen für die Schrödinger-Gleichung
repräsentieren. Alles was wir erreichen würden, wäre redundante Informati-
on, wir würden aber keinen neuen Zustand des Atoms beschreiben. Aufs we-
sentliche reduziert heißt das, dass sich die Quantenzahlen zweier Elektronen
immer mindestens an einer Stelle unterscheiden müssen. Diese Aussage wird,
nach Wolfgang Pauli benannt, als Pauli-Prinzip bezeichnet. Der Abgleich
mit spektroskopischen Daten hat eine weitere Regel für die Besetzung der
Orbitale zu Tage gebracht, die nach Friedrich Hermann Hund als Hund’sche
Regel bekannt ist. Sie besagt, dass wenn die Auswahl zwischen zwei energie-
gleichen Orbitalen besteht, ein Elektron das Orbital besetzen wird, das den
größten Gesamtspin ermöglicht. Vereinfacht beschrieben heißt das, dass eine
Elektron wann immer möglich zunächst ein leeres (energiegleiches!) Orbital
besetzt7 . Ganz allgemein werden immer zunächst die Orbitale mit der nied-
rigsten Energie besetzt. Nach diesen Besetzungsregeln, stellt man fest, dass
pro Schale 2 · n2 und pro Nebenschale 2 · (2l + 1) Elektronen untergebracht
werden können. Für die Beschreibung der von Elektronenkonfigurationen ver-
wendet man üblicherweise den Orbitaltyp und stellt ihn die Hauptquanten-
zahl vorweg, also z. B. 5p, und hängt bei Bedarf hochgestellt die Zahl der
Elektronen in diesem Orbital bzw. diesen Orbitalen an, z. B. 5p3 .
Das quantenmechanische Atommodell ist der aktuelle Stand der Kennt-
nisse und ist in der Lage umfangreiche und komplexe Phänomen in Chemie
und Physik zufriedenstellend zu beschreiben. Die Probleme, die das Bohr’sche
Modell noch aufwarf, konnten behoben werden. Der Zeeman-Effekt lässt sich
z. B. durch die im Magnetfeld aufgehobene Entartung der Orbitale einer Ne-
benschale erklären.

7
deshalb spricht man scherzhaft auch von der „Kneipen-Regel“. Man setzt sich erst an
einem besetzten Tisch dazu, wenn kein anderer mehr frei ist.

23
Kapitel 2

Vom Atommodell zum


Periodensystem

Nachdem wir geklärt haben, wie man die Eigenschaften der Materie mit
der Vorstellung von Atomen erklären kann und wir festgestellt haben, dass
es verschiedene Atomsorten gibt, wird es Zeit diese zu systematisieren und
ihre Eigenschaften zu vergleichen. Um dabei nicht immer den vollen Namen
eines Elementes benutzen zu müssen, hat man für jedes ein ein oder zwei
Buchstaben langes Kürzel gewählt.
Nach allem was wir bislang über Atome gelernt haben, ist es nahelie-
gend, die Anzahl der Protonen bzw. Elektronen als ein Sortierkriterium zu
verwenden. Man nennt diese Zahl deshalb auch Ordnungszahl. Ein weiteres
sehr wichtiges Kriterium ergibt sich aus der experimentellen Erfahrung. Es
hat sich gezeigt, dass die Eigenschaften einer Atomsorte weitgehend durch
ihre Elektronenkonfiguration geprägt sind. Insbesondere fällt dabei auf, dass
Elemente, die nach dem wellenmechanischen Atommodell dieselbe Konfigu-
ration der äußersten1 Elektronen (Valenzelektronen) haben, sich in ihren Ei-
genschaften stark ähneln. Ein Atom mit einer 3s1 -Konfiguration wird sich
also in seinem Verhalten wenig von einem mit einer 4s1 -Konfiguration un-
terscheiden. Ähnliche Eigenschaften wiederholen sich also periodisch in der
Abfolge der Ordnungszahlen, daher auch der Name „Periodensystem“. Ei-
ne praktisch nützliche Systematisierung der Elemente sollte also auch dieses
Kriterium berücksichtigen, dass heißt auch, dass dieses Periodensystem das
Schema aus Abbildung 1.3 widerspiegeln sollte.
Durchgesetzt hat sich der Vorschlag von Dim&itri@i Iv&anoviq Mendel-
&ev (Dimitri Iwanowitsch Mendelejew). Diese Anordnung listet die Elemente
e
1
korrekt sollte man von Elektronen mit der höchsten Energie sprechen, aber das Bild
von Atomen auf Umlaufbahnen um den Kern nach Rutherford und Bohr hat sich
nachhaltig im Sprachgebrauch der Chemiker etabliert.

24
ihrer Protonenzahl nach auf und wählt die „Zeilenumbrüche“ so, dass Elemen-
te mit ähnlichen Eigenschaften (homologe Elemente) untereinander stehen
(siehe Abbildung 2.1). Auf diese Art und Weise werden die Elemente auch
zu Blöcken entsprechend Abbildung 1.3 zusammengefasst. Die Gruppen 1
(Alkalimetalle) und 2 (Erdalkalimetalle) bilden einen Block in dem die s-
Orbitale mit den äußersten Elektronen besetzt sind. Bei den Gruppen 13
bis 18 sind es die p-Orbitale. Elemente der Gruppe 16 werden als Chal-
kogene (von griechisch χαλκός (chalkos) für Erz und γεννάω (gennao) für
erzeugen) bezeichnet. Bei den Elementen der Gruppe 17 spricht man von
den Halogenen (von griechisch ἅλς (halos) für Salz und γεννάω (gennao) für
erzeugen). Gruppe 18 weißt die Besonderheit auf, dass hier sämtliche Orbita-
le der entsprechenden Schale voll besetzt sind. Dieser Zustand stellt sich als
besonders stabil heraus, so dass man beobachtet, dass Atome dieser Gruppe
nur sehr widerwillig oder gar nicht Verbindungen oder sogar nur Wechselwir-
kungen mit anderen Atomen eingehen. Man bezeichnet diese Gruppe daher
als Edelgase. In den Gruppen 3 bis 12 werden die d-Orbitale mit Elektronen
aufgefüllt. Elemente dieses Blocks nennt man Übergangsmetalle. Was „Ga-
se“ und „Metalle“ sind, werden wir uns im folgenden Kapitel näher ansehen.
Die Lanthanoide und Actanoide bilden den letzten Block im Periodensystem.
Hier werden die f -Orbitale aufgefüllt. Einen g-Block erwarten wir nach Vor-
hersagen des wellenmechanischen Atommodells für die achte Periode (Zeile).
Bislang konnte dies aber noch nicht experimentell bestätigt werden. Wie man
aber an der wachsenden Zahl der künstlich erzeugten Elemente sehen kann,
geht die Forschung auf diesem Gebiet stetig voran.

6. Welche Bedeutung haben die vier Quantenzahlen?

7. Was bedeutet das Pauli-Prinzip?

8. Wie lautet die Hund’sche Regel?

9. Wie viele Elektronen haben auf der M- und O-Schale Platz?

10. Was versteht man unter einem Orbital und welche Orbitaltypen kennen
Sie?

11. Welche Nebenschalen l gibt es für n = 4? Wie viele Elektronen können


das Energieniveau n = 4 maximal besetzen? Wie sieht die Verteilung
auf die Orbitale aus?

12. Wie viele Elektronen können in den 4p- und 6p-Orbitalen untergebracht
werden?

25
13. Ordnen Sie die folgenden Orbitale des Wasserstoffs nach wachsender
Energie. 1s, 3s, 2p, 2s, 3d, 4s

14. Warum ist für das Sauerstoffatom die Elektronenkonfiguration folgende


Elektronenkonfiguration nicht möglich?

1s  2s  2p  ↑ ↑

15. Welches ist die Elektronenkonfiguration des Stickstoffatoms im Grund-


zustand?

16. Welcher wesentliche Unterschied besteht zwischen den Hauptgruppen-


und den Nebengruppenelementen in der Elektronenkonfiguration?

17. Eisen ist ein 3d-Element (Z = 26). Geben Sie die Elektronenkonfigura-
tion an.

18. Nennen Sie Beispiele für Elemente mit den angegebenen Valenzelektronen-
konfigurationen:

a) s2 p4
b) d4 s2
c) s2 p2

19. Welche der folgenden Ionen haben Edelgaskonfiguration? Al3+ , Mn2+ ,


O2− , Cl− , Ti4+ , Ag+

26
27
Abbildung 2.1: Das Periodensystem der Elemente. Die arabischen Zahlen repräsentieren die Gruppennummer nach
IUPAC-Nomenklatur, die römischen die alte Nomenklatur. Die Gruppen mit einem „a“ am Ende werden als Haupt-
gruppen bezeichnet, die mit einem „b“ als Nebengruppen. C und P werden nach den meisten Definitionen als Nicht-
Metalle klassifiziert.
Kapitel 3

Wechselwirkungen zwischen
Atomen

In diesem Kapitel wollen wir uns damit beschäftigen, welchen „Kleber“ wir
zur Verfügung haben, um Atome zu Verbindungen zusammenzubasteln und
zwischen welchen Atomsorten welche Arten von Wechselwirkungen typischer-
weise auftreten. Physikern ist es gelungen jegliche Wechselwirkungen zwi-
schen Elementarteilchen durch nur vier sogenannte Elementarkräfte zu be-
schreiben:
• elektromagnetische Wechselwirkung

• schwache Wechselwirkung

• starke Wechselwirkung

• Gravitationswechselwirkung
Die zweite und dritte tritt nur innerhalb von Atomkernen auf und die vierte
ist auf atomarer Ebene so klein, dass sie normalerweise vernachlässigt werden
kann ohne entscheidende Einbußen bei der Genauigkeit der Beschreibung zu
erhalten. Von vier „Klebertuben“ überlassen wir also drei den Physiker(\B|in-
ne)n.
Von besonderem Interesse für d(en|ie) Chemiker(\b|in) ist folglich die
elektromagnetische Wechselwirkung. Bei dieser Wechselwirkung handelt es
sich (unter anderem) um die Interaktion von Ladungen. Das naheliegendste
ist dabei sicherlich, an die Wechselwirkungen zwischen den uns bereits aus
Kapitel 1 bekannten Ionen zu denken. Elektromagnetische Wechselwirkungen
können aber auch in anderen Formen auftreten. Sie sind deshalb für die
Chemie von großer Bedeutung, weil mit Ausnahme der Edelgase in der Natur
keine isolierten Atome zu beobachten sind.

28
3.1 Die Ionische Bindung
Wie bereits angedeutet, ist die Elektronenkonfiguration eines Edelgases, also:
„alle Orbitale sind voll besetzt“, ein energetisch besonders günstiger Zustand.
Betrachtet man die Elektronenkonfiguration der Elemente, stellt man fest,
dass insbesondere die Elemente der Gruppen ganz links und ganz rechts im
Periodensystem durch Abgabe bzw. Aufnahme von wenigen Elektronen leicht
eine solche Edelgaskonfiguration erreichen können. Wir erwarten also, dass
Atome dieser Elemente bevorzugt in ionischer Form vorliegen werden1 . Dies
beobachtet man auch tatsächlich. Kationen und Anionen bilden dann zusam-
men einen Verbindungstyp, den man als Salz bezeichnet. Die Kraft, die die
verschiedenen Ionen miteinander verbindet nennt man Coulomb-Kraft 2 . Für
Ionen verschiedener Ladung wirkt sie anziehend, für Ionen gleicher Ladung
abstoßend (Details siehe Anhang B.2). Die Coulomb-Kraft ist ungerichtet
und kann damit erklären, dass in einem Salz ein Ion immer von einer ma-
ximal möglichen Zahl entgegengesetzt geladenen Ionen umgeben ist. Deren
Anzahl kann man über geometrische Betrachtungen des Größenverhältnisses
der Ionen berechnen und bezeichnet man als Koordinationszahl. Abhängig
von den Ladungen der beteiligten Ionen kann die Koordinationszahl für Ka-
tionen und Anionen in einem Salz verschieden sein. Die maximal mögliche
Zahl ist 123 ; 8, 6 und 4 werden am häufigsten beobachtet. Je nach Ladung die
die Ionen tragen muss das Verhältnis von Anionen zu Kationen nicht eins zu
eins sein. Ein Salz ist nach außen immer elektrisch neutral, es gibt also gleich
viele positive und negative Ladungen unabhängig davon wie diese Ladungen
auf die Ionen verteilt sind.
Die Ionen ordnen sich dann zu großen regelmäßigen Verbänden an, die
man dann als makroskopisch sichtbare Kristalle (siehe auch Abschnitt 3.5.1)
vorliegen hat. Die Tatsache, dass Kristalle von Salzen spröde sind und bei
mechanischer Belastung brechen, kann als Beleg für ihren Aufbau aus Ionen
herangezogen werden (siehe Abbildung 3.1).

20. Erklären Sie die Ionenbindung am Beispiel des Magnesiumoxids.


1
Ganz grundsätzlich gilt, das man bevorzugt immer die energetisch günstigsten Zu-
stände in der Natur beobachtet. Wie Überall gilt auch hier, dass Ausnahmen die Regel
bestätigen! Kleine Warnung: Prüfungsfragen mit „Weil das energetisch günstig ist!“ zu be-
antworten ist zwar fast immer richtig, wird aber auf jeden Fall die Frage „Warum?“ nach
sich ziehen.
2
nach Charles Augustin de Coulomb.
3
mathematischer Beweis von Carl Friedrich Gauss (der Herr vom 10 DM-Schein. DM
ist die Abkürzung für „Deutsche Mark“, ein historisches Zahlungsmittel, das hauptsächlich
auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland verwendet wurde. Ältere Leser(\b|innen)
können sich vielleicht noch erinnern. . . ).

29
21. Warum trifft der Begriff Molekül für Ionenverbindungen nicht zu?

22. Welche Formeln haben die Verbindungen: Magnesiumnitrid, Kalium-


fluorid, Aluminiumsulfid, Bariumoxid, Caesiumbromid und Calcium-
chlorid.

23. Welche Elektronenkonfigurationen haben die Ionen: Cu+ , Cr3+ , Br− ,


Ca2+ , P3− , Zn2+ und S2− ?

24. Welches der folgenden Elemente zeigt die geringste Tendenz, Ionen zu
bilden? Na, C, Ca, Cl, Fe

25. a) Welche Ionen bilden die Salze: Na2 SO4 , Ca3 (PO4 )2 und AgNO3 ?
b) Zeichnen Sie die Lewisformeln der Anionen.

26. Was könnte der Grund für die steigende Gitterenergie der Salze in der
Reihenfolge KCl, MgO und Al2 O3 sein?

27. Warum sind Salze spröde und haben hohe Schmelzpunkte? Wie heißt
die Kraft, die die Ionenbindung herbeiführt?

28. Was versteht man unter Koordinationszahl?

3.2 Die Metallische Bindung


Die meisten Elemente liegen in elementarer Form als Metalle vor. Metalle
sind Feststoffe, die sowohl elektrisch, als auch thermisch leitfähig sind und
(ggf. durch große Kräfte) verformbar sind. Um zu beschreiben wie die Atome
in einem Metall zusammengehalten werden, gibt es verschiedene Modelle,
von denen hier nur das einfachste erläutert werden soll.

3.2.1 Elektronengasmodell
Das Elektronengasmodell beruht, wie auch das Modell für die ionische Bin-
dung, auf der elektrostatischen Wechselwirkung. Da ein Metall von neutralen
Atomen gebildet wird, ist für die Beschreibung allerdings eine besondere Be-
trachtungsweise nötig. Das Elektronegasmodell trennt die Atome in einen
kationischen Atomrumpf und die Valenzelektronen. Die Atomrümpfe ordnen
sich regelmäßig an und die Valenzelektronen verteilen sich frei durch das
gesamte Metall zwischen den Atomrümpfen. Zusammengehalten werden die
Atome nun durch die elektrostatische Anziehung zwischen den Atomrümpfen
und dem Elektronen-„Gas“. Die elektrische und thermische Leitfähigkeit der

30
Abbildung 3.1: Schematische Darstellung der Verformbarkeit von links: Me-
tallen und rechts: Salzen (rot: positive Ladung, blau: negative Ladung, Pfeil :
Kraftausübung). Im Salz liegen beim Verformen gleichnamige Ladungen be-
nachbart, dadurch bricht der Kristall. Im Metall sind immer verschiedene
Ladungen benachbart.

Metalle kann somit durch die frei beweglichen Elektronen erklärt werden. Da
ein Atomrumpf immer nur Kontakt zum Elektronengas hat kann er beliebig
gegen die anderen Atomrümpfe verschoben werden, ohne das es zu repulsiven
Wechselwirkungen kommt (siehe Abbildung 3.1). Auf diese Weise kann das
Elektronengasmodell auch die Verformbarkeit von Metallen erklären. Auch in
Metallen findet man ein Streben nach hohen Koordinationszahlen. In vielen
Fällen wird die maximal mögliche Zahl von 12 nächsten Nachbarn erreicht.
Wie auch bei den Salzen kann dies auf die mangelnde Orientierung der elek-
trostatischen Wechselwirkung zurückgeführt werden.
29. Beschreiben Sie die Bindung im Aluminium.
30. Wie lässt sich die (elektrische) Leitfähigkeit eines Metalls erklären?
31. Wie lässt sich die Verformbarkeit von Metallen erklären?
32. Wie hängt die Leitfähigkeit der Metalle von der Temperatur ab?
33. In welchen Gittertypen kristallisieren Metalle?

3.3 Die Kovalente Bindung


Im Gegensatz zu den beiden vorangegangenen Bindungstypen handelt es sich
bei der kovalenten Bindung um eine gerichtete. Dies hat zu Folge, dass eine
Bindung immer genau zwei Atomen verknüpft4 . Daraus ergibt sich, dass Ver-
4
eine Ausnahme bilden die Dreizentrenbindungen. Detail hierzu werden sie in Vorlesun-
gen der Anorganischen Chemie kennen lernen.

31
bindungen mit kovalenten Bindungen als endliche5 Atomverbände vorliegen.
Diese Atomverbände bezeichnet man als Moleküle (siehe auch Abschnitt 4.1).
In Polymeren können sie sehr groß werden.
Auch bei den kovalenten Bindungen sind es elektrostatische Kräfte, die
die Bindungsbildung bewirken. Man beobachtet zwischen den Atomen eines
Moleküls eine erhöhte Aufenthaltswahrscheinlichkeit der Elektronen6 . Durch
elektrostatische Anziehung zwischen diesen Bindungselektronen und den bei-
den Kernen werden die beiden Atome aneinander gebunden. Sie überwiegen
die abstoßenden Kern-Kern- und Elektron-Elektron-Wechselwirkungen. Das
Zusammenspiel dieser verschiedenen Kräfte ergibt eine Abhängigkeit der Bin-
dungsenergie von der Bindungslänge. Ein typischer Verlauf ist schematisch
in Abbildung 3.2 dargestellt.

Abbildung 3.2: Schematische Darstellung des Zusammenhangs zwischen


Atomabstand und Energie. Die Bindungsenergie und die mittlere Bindungs-
länge sind markiert. Bei sehr großer Annäherung der Atome überwiegen die
abstoßenden Kräfte.

Lewis-Formeln
Zur Notation von kovalenten Bindungen zwischen Atomen benutzt man ein
Konzept, das von Gilbert Newton Lewis entwickelt wurde. In Lewis-Formeln
5
Salze und Metalle haben natürlich praktisch auch eine endliche Ausdehnung, können
aber für ihre theoretische Betrachtung in guter Näherung als unendlich angesehen werden.
Dies ist bei Molekülen nur bei Polymeren möglich.
6
Ergebnisse kristallographischer Untersuchungen. Die Kristallographie ist eine interdis-
ziplinäre Wissenschaft, die hier im Chemiestudium durch die Vorlesung „Strukturmetho-
den“ vertreten ist.

32
werden sämtliche Valenzelektronen dargestellt. Sie werden zu Paaren zusam-
mengefasst und dann durch einen Strich symbolisiert. Ungepaarte Elektronen
werden durch einen Punkt repräsentiert. Für die Atome selbst verwendet man
ihr Elementsymbol. Bei komplexeren Molekülen verwendet man außerdem
gelegentlich Keile oder gestrichelte Linien um ein Bindungsorientierung aus
der Ebene heraus bzw. in die Ebene hinein anzudeuten. Häufig beschränkt
man sich auf die Darstellung der bindenden Elektronenpaare.
Beispiele:

H4
O
O H1
C C
H H H2
H3 C CH3
H3
Um abzukürzen fasst man häufig Molekülbestandteile zusammen.
Im mittleren Molekül sind jeweils die drei C–H-Bindungsstriche
nicht eingezeichnet und dieser Teil des Moleküls zu „CH3 “ zusam-
mengefasst. Im rechten Molekül liegen H3 und H4 in der Ebene,
H2 davor und H1 dahinter. Die Wasserstoffatome bilden einen
Tetraeder mit dem Kohlenstoffatom im Zentrum.

34. Zeichnen Sie die Valenzstrichformeln (Lewisformeln) der folgenden Mo-


leküle: Br2 , HI, CO2 , HCN, CH4 , C2 H6 , C2 H4 , C2 H2

Im folgenden wollen wir uns nun mit verschiedenen Theorien zur Beschrei-
bung von kovalenten Bindungen befassen. Ähnlich wie bei den Atommodellen
gibt es auch für die kovalente Bindung verschieden komplexe und detaillierte
Erklärungsmodelle.

3.3.1 Oktettregel
Wie bei der ionischen Bindung kommt bei der kovalenten Bindung zu tragen,
dass die Elektronenkonfiguration eines Edelgases energetisch besonders güns-
tig ist. Anders als bei der ionischen Bindung wird hier aber kein Elektron
abgegeben oder aufgenommen, sondern es kommt sehr vereinfacht beschrie-
ben zu einer „gemeinsamen Nutzung“ der Valenzelektronen.
Beispiel :

F F F F

33
Als isolierte Atome haben die Fluoratome jeweils sieben Elektro-
nen. Im gebundenen Zustand hingegen haben beide Fluoratome
vier Valenzelektronenpaare, also acht Elektronen, drei freie Elek-
tronenpaare und das bindende. Mit acht Valenzelektronen haben
sie dieselbe Elektronenkonfiguration wie die als nächstes im Pe-
riodensystem folgenden Edelgasatome (Neon).

Gegebenenfalls können dabei auch mehr als ein Elektronenpaare von zwei
Atomen geteilt werden. Man spricht dann allgemein von einer Mehrfach-
bindung bzw. konkret von Doppel- oder Dreifachbindungen. Für die Nicht-
Metall-Atome der zweiten und dritten Periode kann mit der Bildung eines
Elektronenoktetts nahezu jede Bindungsbildung erklärt werden7 . Gegebenen-
falls greift man auf Formalladungen zurück um nicht gegen die Oktettregel
verstoßen zu müssen. Einzelne Atome tragen dann formal einer Ladung, die
real nicht zu beobachten ist. Die Summe der Formalladungen ergibt die La-
dung des Moleküls.
Da in der dritten Periode die d-Orbitale hinzukommen, kann es bei diesen
Elementen zu einer Oktetterweiterung kommen, also Verbindungen mit mehr
als acht Valenzelektronen. Für die Erklärung der Bindigkeiten der zweiten
bis vierten Hauptgruppe ist es nötig ein s-Elektron in ein energetisch höher
liegendes leeres p-Orbital zu transferieren. Die dafür nötige Energie wird
durch die dadurch zusätzlich möglichen Bindungen (über)kompensiert.

 ↑ ↑ C ↑ ↑ ↑ ↑ C

Die Oktettregel kann lediglich Vorhersagen über die Bindigkeit eines Atoms
machen, aber keine Aussagen zur räumlichen Anordnung der Bindungen. Zur
Erklärung der Molekülgestalt kann diese Theorien mit dem Valence-Shell-
Electron-Pair-Repulsion-Modell (kurz: VSEPR-Modell) kombiniert werden.
Dieses Modell wird Ihnen in den ersten Semestern des Studiums näherge-
bracht.

35. Was sagt die Oktettregel?

3.3.2 Valence-Bond-Theorie
Differenziertere Modelle verwenden, wie auch schon bei der Beschreibung
der Atome, Wellenfunktionen. Das von Walter Heitler und Fritz Wolfgang
7
dies sind die Elemente, mit denen sich die Organische Chemie bevorzugt beschäftigt.
Böse Zungen behaupten, die Oktettregel sei das einzige theoretische Konzept der organi-
schen Chemie.

34
London aufgestellte und von Linus Pauling und John Clarke Slater wei-
terentwickelte Valence-Bond-Modell beschreibt die Bildung einer Bindung
durch die Überlappung von Atomorbitalen. Durch diese Überlappung steht
den Elektronen ein größerer Raum zur Verfügung und somit wird ein ener-
getisch günstigerer Zustand erreicht. Es kommt dabei zur Paarung der Elek-
tronenspins8 , die Gestalt der Atomorbitale bleibt jedoch unverändert. Das
Beibehalten der Atomorbitale im Molekül ist ein wichtiger Unterschied zur
Molekülorbitaltheorie (siehe unten). Berechnet man für die kombinierten Ato-
morbitale die Aufenthaltswahrscheinlichkeit der Elektronen, erhält man, wie
beobachtet, eine erhöhte Aufenthaltswahrscheinlichkeit zwischen den Ato-
men.
Befindet sich die Überlappung der Orbitale auf der direkten Linie zwi-
schen den beiden Atomkernen spricht man von einer σ-Bindung. Befindet
sich die Überlappung abseits dieser Kernverbindungsachse, benutzt man die
Bezeichnung π-Bindung. Eine π-Bindung tritt immer nur in Kombination mit
einer σ-Bindung auf. Daraus ergibt sich, dass es sich bei Einfachbindungen
um σ-Bindungen handelt und bei Mehrfachbindungen um eine Kombination
aus einer σ-Bindung und ein bis zwei π-Bindungen.

3.3.2.1 Hybridisierung
Mit dieser Modellvorstellung kann man kovalente Bindungen sehr erfolgreich
beschreiben. Insbesondere bei den Eigenschaften des Elements Kohlenstoff
stößt man aber auf Probleme. Nach seiner Elektronenkonfiguration (ein voll-
besetztes p-Orbital und zwei halbbesetzte) würde man erwarten, dass Koh-
lenstoffatome zwei Bindungen ausbilden, die in einem rechten Winkel zuein-
ander stehen. Was man jedoch beobachtet, sind zwei-, drei- und vierbindige
Kohlenstoffatome. Der typische Bindungswinkel an zweibindigen Kohlenstof-
fatomen ist 180◦ und nicht 90◦ . Um diese Diskrepanz zwischen Modell und
Beobachtungen zu beheben, wurde das Konzept der Hybridisierung einge-
führt. Wie bei der einfachen Erklärung mit Hilfe der Oktettregel ist es auch
hier nötig, besetzte energetisch niedrigerliegende Orbitale miteinzubeziehen.
Bevor man Atomorbitale verschiedener Atome kombiniert, kombiniert
man zunächst Atomorbitale eines Atoms. Typischerweise sind es die s- und
p-Orbitale aus denen sogenannte Hybridorbitale generiert werden. Diese Hy-
bridorbitale wiederum kombiniert man dann mit den Orbitalen eines anderen
Atoms um so eine Bindungsbeschreibung zu erhalten. Durch Hybridisierung
des s-Orbitals mit ein bis drei p-Orbitalen, erhält man Orbitale, die die An-
zahl und Orientierung der Bindungen von zwei-, drei- und vierbindigen Koh-
8
auch in Molekülen gilt das Pauli-Prinzip!

35
lenstoffatomen richtig beschreiben. Die jeweils nicht für die Hybridisierung
verwendeten p-Orbitale bilden zusätzliche Bindungen abseits der direkten
Kernverbindungsachse (π-Bindung, siehe oben). Auf diese Weise kann man
die kürzere Bindungslänge und höhere Bindungsenergie einer der Bindungen
eines dreibindigen Kohlenstoffatoms erklären, sowie die eingeschränkte Dreh-
barkeit um diese Bindung. Gleiches gilt für eine oder beide Bindungen eines
zweibindigen. Um eine Mehrfachbindung zu beschreiben verwendet man also
nur ein oder zwei der drei p-Orbitale für die Berechnung des Hybridorbitals.
Für die Bezeichung der Hybridorbitale listet man einfach auf welche Or-
bitaltypen man kombiniert hat und ergänzt als hochgestellten Index wie viele
davon. sp3 beschreibt also die vier Hybridobitale, die man erhält wenn man
sämtliche Orbitale der Valenzschale eines Kohlenstoffatoms verwendet. sp2
würde eines der p-Orbitale unverändert lassen. Damit stünde es für die Bil-
dung einer π-Bindung zu Verfügung. Ein sp2 hybridisiertes Kohlenstoffatom
bildet also zwei Einfach- und eine Doppelbindung aus, ist also dreibindig.
Die Eigenschaften der Hybridorbitale sind in Tabelle 3.1 und Abbildung 3.3
dargestellt. Für z. B. Sauerstoff oder Stickstoff erhält man eine niedrigere
Bindigkeit, da die Hybridorbitale zum Teil vollbesetzt sind und damit nicht
mehr für eine Bindungsbildung zur Verfügung stehen.

Tabelle 3.1: Eigenschaften von Hybridorbitalen.

Orbital Bindigkeit bei C Bindungswinkel


sp3 4 109,47◦
sp2 3 120◦
sp 2 180◦

Abbildung 3.3: Graphische Darstellung der Hybridorbitale. links: sp3 , mitte:


sp2 , rechts: sp.

36
Abbildung 3.4: Mehrfachbindungen nach dem Valence-Bond-Modell. links:
Doppelbindung, rechts: Dreifachbindung. Außer der Wechselwirkung zwi-
schen den Hybridorbitalen kommt es auch zu Interaktion der p-Orbitale
(Doppelpfeile).

Eine graphische Darstellung, wie Mehrfachbindungen mit Hilfe des Hy-


bridisierungsmodells konstruiert werden, ist in Abbildung 3.4 zu finden.
Verwendet wird dieses Modell für die leichten Homologen des p-Blocks.
Bei den schweren Elementen kann man eine Bindungsbeschreibung direkt
mit den Atomorbitalen vornehmen und erhält eine gute Übereinstimmung
zwischen Theorie und Beobachtungen.

3.3.2.2 Mesomerie
Eine weitere Ergänzung des Modells ist nötig, wenn man Moleküle beschrei-
ben will, in denen formal im Wechsel Doppel- und Einfachbindungen auftre-
ten. Man beobachtet, dass in solchen Fällen keine Unterscheidung der Bin-
dungen möglich ist und Doppel- und Einfachbindungen gleich lang sind mit
einer Bindungslänge, die zwischen der einer Einfach- und einer Doppelbin-
dung liegt. Betrachtet man ein solches Bindungssystem genauer, stellt man
fest, dass man für die Beschreibung eine Aneinanderreihung von mehreren
sp2 hybridisierten Atomen verwendet. In jeden Atom steht also ein weiteres
p-Orbital für die Bildung der Doppelbindung zur Verfügung. Eine Überlap-
pung dieser p-Orbitale kann jetzt aber nicht nur in eine Richtung stattfinden
sondern (bei den mittleren) in beide. Dadurch erhält man ein π-Orbital, das
sich über mehrere Atome erstreckt. Man spricht von einer Delokalisierung.
Die Delokalisierung ist energetisch sehr günstig, so dass ein solches System
stabiler ist, als man es aus der Summe der einzelnen Bindungsenergien erwar-
ten würde. In Abbildung 3.5 ist dargestellt wie sich die p-Orbitale in einem
delokalisierten System überlappen.
In Lewisformeln greift man in diesem Fall auf mesomere Grenzstrukturen
zurück, die die möglichen formalen Grenzfälle von Einfach- und Mehrfachbin-

37
Abbildung 3.5: Benachbarte p-Orbitale bilden ein delokalisiertes π-System.
Alle Bindungen des System haben partiellen Doppelbindungscharakter.

dungen darstellen. Zwischen den Grenzfällen platziert man einen Doppelpfeil


um anzudeuten das beide (bzw. alle) Formeln gleichberechtigt die Bindungs-
situation beschreiben.

Beispiel :

Alle Bindungen im Benzolring sind gleich lang! Die beiden links


abgebildeten mesomeren Grenzstrukturen sind rein formale Be-
schreibungen um korrekte Lewisformeln aufstellen zu können. Ge-
legentlich verwendet man die rechts abgebildete Darstellung um
die Delokalisierung der π-Elektronen zu verdeutlichen.

36. Oktetterweiterung (n > 2), Formalladung, Mesomerie: Formulieren Sie


die Valenzformeln der folgenden Moleküle und Molekülionen: N2 , NH3 ,

38
− −
NH+ 2−
4 , CO, BF3 , NO3 , CO3 , O3 , NO2 , PCl5 , PCl6 , BrF5 , SF4 , SF6 ,
ClO− − 2− 3−
3 , ClO4 , SO4 , PO4 , XeF4 , XeF6

Mit Hilfe des Konzeptes der Hybridisierung und der Mesomerie kann das
Valence-Bond-Modell erste Aussagen zur Molekülgestalt treffen und quanti-
tative Ergebnisse liefern.

3.3.3 Molekülorbitaltheorie
Die Molekülorbitaltheorie verwendet Wellenfunktionen, die die Elektronen im
kompletten Molekül beschreiben. Diese Wellenfunktionen werden Molekülor-
bitale (MO) genannt. Wie auch bei den Atomen kann man aus dem Quadrat
der Molekülorbitale eine Aufenthaltswahrscheinlichkeit für ein Elektron im
Molekül bestimmen. Die Molekülorbitale lassen sich durch Linearkombina-
tion aus den Atomorbitalen berechnen. Über Symmetriebetrachtungen lässt
sich herausfinden, welche Atomorbitale kombiniert werden können um ei-
ne sinnvolle Beschreibung der Elektronen im Molekül zu erhalten. Hat man
zwei geeignete Atomorbitale identifiziert, gibt es zwei Möglichkeiten sie zu
kombinieren: Addition und Subtraktion (nach Multiplikation der einzelnen
Atomorbitale mit einem Gewichtungsfaktor). Das bedeutet, dass wir aus der
Kombination von zwei Atomorbitalen immer zwei Molekülorbitale erhalten.
Diese unterscheiden sich in ihrer Energie. Eines liegt energetisch höher als
die Atomorbitale und eines niedriger. Das Molekülorbital mit der niedrige-
ren Energie nennt man bindend, das mit der höheren Energie anti-bindend.
Die Nomenklatur der Orbitale hat man von der Valence-Bond-Theorie über-
nommen. Anti-bindende Orbitale werden durch ein hochgestelltes Sternchen
gekennzeichnet. Orbitale, für die es keinen Kombinationspartner mit geeig-
neter Symmetrie gibt, werden nicht-bindend genannt.
Wie auch bei den Atomen werden in Molekülen die Orbitale, bei denen
mit der niedrigsten Energie beginnend, besetzt. Ist die Zahl der Elektronen
in bindenden Molekülorbitalen größer als die derer in anti-bindenden, kommt
eine kovalente Bindung zustande. Teilt man diese Differenz durch zwei erhält
man die Bindungsordnung dieser Bindung.
Die Molekülorbitaltheorie kann sehr detaillierte quantitative Ergebnisse
zum Aufbau eines Moleküls liefern. Wie auch bei der Atombeschreibung kann
dieses Mehrelektronensystem nur durch Näherungsmodelle gelöst werden und
ist damit Forschungsgebiet der theoretischen Chemie.

39
Abbildung 3.6: Molekülorbitalschema der Valenzschale von F2 (die aus den
1s generierten σ-Orbtiale sind voll besetzt). In bindenden Orbitalen befinden
sich 10 Elektronen in anti-bindenden 8, damit ergibt sich eine Bindungsord-
nung von 1.

40
3.4 Übergänge zwischen den Bindungstypen
Bei den vorgestellten Bindungstypen handelt es sich um Grenzfälle. Der am
häufigsten auftretende Fall einer realen Bindung, ist eine Bindung zwischen
der ionischen und der kovalenten. Einen solchen Fall wollen wir uns nun am
Beispiel des Chlorwasserstoffs näher ansehen. Chlorwasserstoff ist ein sehr
einfaches Molekül, das aus einem Wasserstoff- und einem Chloratom gebildet
wird.

H Cl

Bringt man ein HCl-Molekül in ein elektrisches Feld, also zwischen einen po-
sitiv und einen negativ geladenen Pol, beobachtet man, dass sich das Molekül
mit dem Wasserstoffatom in Richtung des negativen und mit dem Chloratom
in Richtung des positiven Pols ausrichtet. Moleküle, die sich in eine elektri-
schen Feld ausrichten, haben ein Dipolmoment. Ein Dipol ist ein räumliche
Trennung von Ladung innerhalb eines Objektes oder in unserem Fall inner-
halb eines Moleküls. Dadurch bewegt sich die positiv geladene Hälfte des
Moleküls in Richtung des negativen Pol, die negativ geladene in Richtung
des positiven Pols9 . Im Gegensatz zu den Ionen eines Salzen (elektrische Mo-
nopole) kann ein Molekül mit einem Dipol sich jedoch nicht auf einen Pol
zubewegen, da die jeweils andere Ladung sich in die andere Richtung bewe-
gen möchte. Eine derartige Ladungstrennung innerhalb eines Moleküls stellt
man dar, indem man δ+ oder δ− an die entsprechenden Atome schreibt, die
die Teilladung tragen.

Hδ+ Cl δ−

Wenn das Molekül nach außen hin neutral ist, sind diese beiden Teilladun-
gen gleich groß. Nachdem wir die Eigenschaften eines HCl-Moleküls kennen-
gelernt haben, wollen wir uns nun mit einem Model beschäftigen, das diese
erklären kann.

3.4.1 Elektronegativität
Da man Dipole nur in Molekülen beobachtet, die aus verschiedenen Atom-
sorten bestehen, liegt es nahe eine Größe aufzustellen, die die Affinität ei-
nes Atoms zu den Elektronen der Bindung beschreibt. Eines der Atome der
Bindung zieht die Elektronen stärker an, so dass die Aufenthaltswahrschein-
lichkeit der Elektronen in der Nähe dieses Atoms größer ist. Der Extremfall
9
dies ist vergleichbar mit einer Kompassnadel, die sich am Magnetfeld der Erde aus-
richtet.

41
Abbildung 3.7: Berechnung der Gesamtdipolmomente von Molekülen aus den
Momenten der einzelnen Bindungen. links: Wasser. Durch die gewinkelte
Struktur des Wassermoleküls erhalten wir ein Gesamtdipolmoment. rechts:
Kohlenstoffdioxid. Die Dipolmomente der einzelnen Bindungen heben sich
gegenseitig auf. Kohlenstoffdioxid hat kein Dipolmoment!

dieser Anziehung, ist die Ionisierung. Dann ist die Aufenthaltswahrschein-


lichkeit bei einem Atome 100% und beim anderen 0%. Die Größe, die das
Vermögen beschreibt Bindungselektronen an sich zu ziehen ist die Elektro-
negativität (Abkürzung EN ). Sie ist auf verschiedene Weisen definiert. Die
gebräuchlichsten Skalen stammen von Linus Pauling bzw. von Robert San-
derson Mulliken. Allen Elektronegativitätsskalen ist gemein, dass je höher
der Wert ist, desto größer die Affinität eines Atoms zu Bindungselektronen.
Aus der Differenz der Elektronegativitäten, der an der Bindung beteiligten
Atome, kann man abschätzen, wie groß das Dipolmoment für diese Bindung
ist. Das Gesamtdipolmoment für das ganze Molekül kann man dann durch
vektorielle Addition der Einzelmomente berechnen (siehe Abbildung 3.7).
Darüber hinaus kann man mit Hilfe der absoluten Werte der Elektrone-
gativität (EN ) und mit der Differenz der Elektronegativitäten, der an einer
Bindung beteiligten Atome (∆EN ) bestimmen, welcher Bindungstyp vor-
liegt. Ist die Differenz der Elektronegativitäten gering oder ideal gleich Null
kann man zwei Fälle unterscheiden: erstens, die Absolutwerte der beiden
Atome sind gering, dann liegt eine metallische Bindung vor, oder zweitens,
die Absolutwerte sind groß, dann liegt eine kovalente Bindung vor. Ist die
Differenz der Elektronegativitäten groß, liegt eine ionische Bindung vor. Ab-
hängig von den Elektronegativitäten und der Elektronegativitätsdiffferenz ist
ein fließender Übergang von einem zum anderen Bindungstyp zu beobachten
(siehe Abbildung 3.8).

37. Was versteht man unter Elektronegativität?

38. Wodurch kommt die Polarität in einem Molekül zu Stande?

42
Abbildung 3.8: Fließende Übergänge zwischen den Bindungstypen. Am Bei-
spiel der Elemente der 3. Periode ist gezeigt, welche Elementkombinationen
zwischen welchen Bindungstypen einzuordnen sind.

Zurück zu unserem Beispiel Chlorwasserstoff stellen wir fest, dass die Elek-
tronegativität des Wasserstoffs 2,2 und die des Chlors 2,8 beträgt (siehe Ab-
bildung 2.1)10 . Damit erhalten wir eine Differenz von 0,6. Wir haben relativ
hohe Absolutwerte und auch eine recht deutlich von Null verschiedene Diffe-
renz vorliegen. Nach Abbildung 3.8 können wir die Bindung in unserem Mo-
lekül also als kovalente Bindung mit ionischem Anteil klassifizieren. Durch
die von Null verschieden Elektronegativitätsdiffferenz können wir auch das
Dipolmoment des Moleküls erklären. Da es nur eine Bindung gibt, ist das
Gesamtdipolemonent des Moleküls identisch mit dem der Bindung.

39. Beschreiben Sie die Atombindung der Verbindungen Br–Br und H–Br.

40. Warum ist Wasser ein Dipolmolekül?

41. Erklären Sie die Charakteristika der drei Bindungsarten.


10
gegebenenfalls Lupe zu Hilfe nehmen.

43
3.5 Sekundäre Wechselwirkungen
Neben diesen drei Bindungstypen gibt es weitere, schwächere Wechselwir-
kungen zwischen Atomen oder Verbindungen von ihnen.

• Wechselwirkungen zwischen statischen Dipolen

• Wechselwirkungen zwischen statischen und induzierten Dipolen

• Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen

• Wasserstoffbrückenbindungen

Wie stark diese sind, hat einscheidenden Einfluss darauf, in welcher Erschei-
nungsform wir ein Verbindung oder ein Element bei einer gegebenen Umge-
bungstemperatur beobachten können. Deshalb wollen wir uns zunächst näher
ansehen welche möglichen Erscheinungsformen ein Substanz haben kann, be-
vor wir dann genauer auf die einzelnen Wechselwirkungen eingehen wollen.

3.5.1 Aggregatzustände
Elemente und ihre Verbindungen können in drei verschiedenen Erscheinungs-
formen auftreten: fest, flüssig oder gasförmig. Diese Aggregatzustände zeich-
nen sich durch verschiedene z. T. deutlich unterschiedliche Eigenschaften
aus. Ihr Auftreten ist von Druck und Temperatur abhängig. In welchem
Temperatur- und Druckbereich ein bestimmter Aggregatzustand vorliegt, va-
riiert von Verbindung zu Verbindung und ist abhängig von Art und Stärke
der (sekundären) Wechselwirkungen zwischen den Atomen/Ionen bzw. Mo-
lekülen. Durch Veränderung von Druck und/oder Temperatur kann eine Ver-
bindung von einem in den anderen Aggregatzustand überführt werden. Ab-
bildung 3.9 stellt diese Übergängen und die verwendeten Fachtermini dar.

gasförmig Im gasförmigen Zustand hat eine Verbindung keine eigene Form


und keine festes Volumen. Sie füllt jedes ihr zur Verfügung gestellte Gefäß
vollständig aus11 . Damit ist ein Gas komprimierbar. Die Anordnung der Teil-
chen in der Gasphase ist regellos und im Mittel ist die Umgebung eines Teil-
chens in jeder Richtung gleich (isotrop). Für die Beschreibung dieses Zustan-
des geht man davon aus, dass die Bewegungsenergie der einzelnen Teilchen
so groß ist, dass sie die Energie der anziehenden Wechselwirkungen zwischen
11
Die Atmosphäre der Erde verteilt sich nur deshalb nicht im gesamten Universum, weil
die Gravitationskraft der Erde sie anzieht.

44
Abbildung 3.9: Die drei Aggregatzustände und die Übergänge zwischen ihnen.

den Teilchen deutlich übersteigt und im Gas nur noch geringe bis idealisiert
gar keine Wechselwirkungen mehr zwischen den Teilchen vorliegen.
Der Zustand eines Gases lässt sich mit Hilfe des idealen Gasgesetzes 12
beschreiben. Um den Zustand eines Gases genau zu definieren benötigt man
lediglich drei der vier Größen: Temperatur T , Druck p, Stoffmenge der Teil-
chen n oder Volumen V , das sie einnehmen.

p·V =n·T ·R (3.1)

R ist eine Konstante, die sogenannte allgemeine Gaskonstante. Ihr Wert be-
trägt 8,314 molJ K (siehe auch Abschnitt 4.1.1). Dieses Gasgesetz gilt unter der
Vorraussetzung, dass die Teilchen des Gases untereinander keinerlei Wech-
selwirkungen zeigen und ein Eigenvolumen von Null haben. Da insbesondere
der zweite Punkt nicht zu erfüllen ist, hat man speziellere Gleichungen auf-
gestellt um auch reale Gase exakt beschreiben zu können. In vielen Fällen
liefert das ideale Gasgesetz aber hinreichend genaue Ergebnisse.

flüssig Bei Flüssigkeiten beobachtet man, dass sie zwar keine feste Form
haben aber doch ein festes Volumen. In der flüssigen Phase kann die Be-
wegungsenergie die Wechselwirkungsenergie nicht übersteigen ist aber groß
genug um eine feste Koordinationssphäre aus Nachbarteilchen zu verhindern.
Wie auch im Gas haben also auch die Teilchen in einer Flüssigkeit eine isotro-
pe Umgebung. Eine Flüssigkeit ist leicht verformbar. Im Gegensatz zu Gasen
sind sie jedoch nur wenig bis gar nicht komprimierbar.
12
nicht das Gasgesetz ist ideal sondern die Gase, die man beschreibt sind idealisiert. Es
ist erstaunlich wie viele unsaubere Formulierung sich immer wieder in wissenschaftlichen
Texten finden lassen. Denken Sie daran wenn sie Ihre ersten Protokolle schreiben!

45
fest Ein Feststoff hat sowohl eine feste Form als auch ein festes Volumen.
Die Energie der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen sind deutlich größer
als ihre Bewegungsenergie, so dass es zu einer definierten Umgebung um je-
des Teilchen mit einer für jedes Teilchen gleichen Zahl von Nachbarn kommt.
Durch diese Regelmäßigkeit der Umgebung ist die Isotropie, die in Flüssig-
keit und Gas vorliegen, aufgehoben. Ein Festkörper ist weder komprimierbar
noch leicht verformbar. Man kann zwischen zwei Typen von Feststoffen un-
terscheiden: amorphen Festkörpern, hier liegt kein höheres Ordnungsprinzip
zu Grunde und kristallinen Festkörpern. In Kristallen liegt eine Fernordnung
vor, dass heißt eine grundlegende Baueinheit, die sich periodisch wiederholt.
Man nennt sie Elementarzelle.

42. An heißen Tagen bilden sich auf einer gekühlten Limonadeflasche Was-
sertropfen. Erklären Sie diesen Vorgang.

43. Mottenkugeln bestehen aus Naphthalin und haben einen charakteristi-


schen13 Geruch. Wie ist es möglich, dass man diesen weißen Feststoff
riechen kann?

44. Erklären Sie den Vorgang des Verdampfens auf der Teilchenebene.

45. Erklären Sie die Bildung von Raureif im Winter.

3.5.2 Statische Dipole


Sekundäre Wechselwirkungen sind vornehmlich in Molekülverbindungen an-
zutreffen, da in metallischen oder ionischen Verbindungen die (starken) Bin-
dungen bereits zu einer Verknüpfung in alle Raumrichtung führen. Metalle
und Salze liegen deshalb auch fast ausnahmlos bei Raumtemperatur in fester
Form vor.
Wir wollen zunächst mit den eben kennengelernten statischen Dipolen be-
ginnen. Wir haben gesehen, dass Moleküle mit Dipolen räumlich getrennte
Teilladungen tragen. Diese werden, wie alle anderen Ladungen auch, mitein-
ander in elektrostatische Wechselwirkung treten, das heißt Teilladungen mit
verschiedenem Vorzeichen werden sich anziehen. Den Einfluss dieser Wech-
selwirkungen auf den Aggregatzustand kann man sehr schön sehen, wenn
man Kohlenstoffdioxid und Stickstoffdioxid miteinander vergleicht. Kohlen-
stoffdioxid ist wie oben bereits vorgestellt linear aufgebaut, also ohne Dipol-
moment, Stickstoffdioxid ist wie das Wassermolekül gewinkelt und deshalb
dipolar. Die elektrostatischen Wechselwirkung zwischen den NO2 -Molekülen
13
bitte beachten: es gibt keine Chemikalien die stinken, eventuell können sie stechend
riechen, aber sie stinken nicht! Ausnahme: Brom, von griechisch βρωμος (bromos): Gestank.

46
bewirken, dass Stickstoffdioxid erst bei 21, 2 ◦ C in die Gasphase übergeht.
Kohlendioxid, bei dem keine Dipol/Dipol-Wechselwirkungen auftreten, sub-
limiert bei −78, 5 ◦ C. Das Vorhandensein von Wechselwirkungen macht also
einen deutlichen Unterschied aus!

3.5.3 Induzierte Dipole


Wenn zwischen CO2 -Molekülen keine Wechselwirkungen auftreten, stellt sich
sofort die Frage warum Kohlendioxid überhaupt in fester Form vorliegen
kann. Dies führt uns direkt zu den nächsten Wechselwirkungstypen in der
Liste.
Dipolmomente können nicht nur statisch sein, wie etwa in Chlorwasser-
stoff, Wasser oder Stickstoffdioxid, sondern auch induziert und damit nur
kurzzeitig existent sein. Wir haben gelernt, dass wir den Ort der Elektro-
nen im Atom über Aufenthaltwahrscheinlichkeiten beschreiben können. Mit
einer gewissen Wahrscheinlichkeit kann es passieren, dass zu einem bestimm-
ten Zeitpunkt die meisten der Elektronen sich an einem bestimmten Ort
aufhalten, z. B. oben links im Atom. Durch die kurzzeitige lokale Konzentra-
tion von Elektronendichte bildet sich hier ein negativer Ladungsschwerpunkt.
An anderer Stelle fehlen diese Elektronen und verglichen mit einer Gleich-
verteilung der Elektronen bildet sich dort ein positiver Ladungsschwerpunkt.
Für einen kurzen Moment besitzt unser Atom nun ein Dipol. Dieses Dipol-
moment kann nun mit der Elektronenhülle eines anderen Atoms interagieren
und in diesem Atom wiederum ein Ladungsungleichgewicht hervorrufen. Wie
die statischen Dipole auch, wechselwirken diese induzierten Dipole unterein-
ander.14 Die durch induzierte Dipole hervorgerufene Anziehung ist jedoch
deutlich schwächer, als die zwischen statischen, da die Momente erstens viel
kleiner sind und zweitens nur kurzzeitig existieren. Je größer Atome sind,
desto leichter kann ein Dipol induziert werden. Dies ist dadurch zu erklären,
dass insbesondere die äußeren Elektronen weniger stark vom Kern angezo-
gen werden und damit leichter „verschiebbar“ sind. Die Eigenschaft wie leicht
Dipole induziert werden können, nennt man Polarisierbarkeit.

3.5.4 Wasserstoffbrückenbindungen
Eine Sonderrolle spielen die Wechselwirkungen zwischen elektronegativen
Atomen die Wasserstoffatome tragen und anderen elektronegativen Atomen.
Diese Konstellation von Atomen kann eine Wasserstoffbrückenbindung bil-
den. Neben der reinen elektrostatische Anziehung zwischen den Dipolen,
14
sie werden dann nach Johannes Diderik van der Waals oder Fritz Wolfgang London
als Van-der-Waals- oder Londonwechselwirkungen genannt.

47
weißt eine Wasserstoffbrücke auch kovalente Anteile auf. Dies zeigt sich durch
eine Richtungspräreferrenz am Wasserstoffatom. Wasserstoffbrücken können
sehr starke Wechselwirkungen sein. Sie sind auch dafür verantwortlich, dass
Wasser bei Raumtemperatur flüssig ist. Ohne Wasserstoffbrücken würde man
erwarten, dass es sich um ein Gas mit einem Siedepunkt von vielleicht etwa
−70 ◦ C, vergleichbar mit dem, der homologen Verbindung Schwefelwasser-
stoff (H2 S), handeln würde. Typische Donoren für Wasserstoffbrücken sind
OH- oder NH-Gruppen, typische Akzeptoren N, O oder Halogenatome.

Dδ− Hδ+ Aδ−

46. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Kräften und Schmelz- und


Siedepunkten?

48
Kapitel 4

Chemische Reaktionen

Nachdem wir uns in den vorangegangenen Kapiteln damit beschäftigt ha-


ben, wie man Materie mit Hilfe von Atommodellen beschreiben kann und
welche Wechselwirkungen zwischen diesen Atome ganz grundsätzlich auftre-
ten können, wollen wir uns in diesem Kapitel damit befassen, in welchen
Verbindungen Atome in der Natur vorliegen und wie man die Atome in die-
sen Verbindungen neu gruppieren kann. Die Manipulation von Atomverbin-
dungen, also das Brechen und Knüpfen von Bindungen ist – mikroskopisch
betrachtet – das zentrale Beschäftigungsfeld der Chemie. Außerdem wollen
wir klären, was bei so einer chemischen Reaktion energetisch passiert und
unter welchen Bedingungen so ein Vorgang wie schnell abläuft.
Zunächst wollen wir jedoch ein paar wichtige chemische Grundbegriffe
definieren.

4.1 Chemische Grundbegriffe


Um die Sprache der Chemie sprechen zu können ist es, wie bei anderen Spra-
chen auch, notwendig es paar „Vokabeln“ zu lernen:

Molekül Ein Molekül ist ein durch kovalente Bindungen aufgebauter end-
licher Atomverband. Ein Molekül kann eine Ladung tragen. Es empfiehlt sich
dann von einem Molekülion zu sprechen, um Verwechselungen mit geladenen
Atomen oder ungeladenen Molekülen zu vermeiden.

Polymer Ein Polymer ist ein – idealisiert betrachtet – unendlich großes


Molekül, dass durch die Verkettung (auch in mehr als einer Dimension) ei-
ner oder mehreren molekularen Grundeinheiten gebildet wird. Ein typisches

49
Beispiel ist Plastik. Natürlich vorkommende Polymere sind z. B. Stärke oder
Proteine.

Reinsubstanz/-stoff Bei einem reinen Stoff handelt es sich um eine Sub-


stanz, die nur aus einer Sorte Molekülen besteht bzw. ein Salz mit exakt
stöchiometrischer Zusammensetzung.

Gemisch Man unterscheidet zwischen homogenen und heterogenen Ge-


mischen. Von einem heterogenen Gemisch spricht man, wenn die einzelnen
Komponenten des Gemisches zur Not unter Zuhilfenahme eines Mikroskops
zu erkennen sind. Eine homogenes Gemisch bildet nur eine Phase, d. h. die
einzelnen Komponenten sind nicht von einander zu unterscheiden.

Lösung Eine Lösung stellt einen Spezialfall eines homogenen Gemisches


dar. Gemischt werden hier eine flüssige Phase, die normalerweise im Über-
schuss vorhanden ist, (Lösungsmittel ) mit einer oder mehreren weiteren Sub-
stanzen, die rein gasförmig, flüssig oder fest vorliegen können.

Edukt Ein Edukt ist eine Ausgangsverbindung einer chemischen Reaktion.


Im Verlauf der Reaktion reagiert das Edukt zum Produkt der Reaktion.

Produkt Ein Produkt ist eine Substanz die bei einer chemischen Reaktion
entsteht. War es Ziel ein ganz bestimmtes Produkt zu synthetisieren und es
entstehen ein oder mehrere weitere Produkte, nennt man diese Nebenpro-
dukte.

Oxidation Eine Oxidation ist eine Reaktion, bei der Elektronen von ei-
nem Atom abgegeben werden. Substanzen, die im Verlauf einer Reaktion
Elektronen an Reaktionspartner abgeben können bezeichnet man als Reduk-
tionsmittel.

Reduktion Eine Reduktion ist eine Reaktion, bei der Elektronen von ei-
nem Atom aufgenommen werden. Substanzen, die im Verlauf einer Reakti-
on Elektronen vom Reaktionspartner aufnehmen können bezeichnet man als
Oxidationsmittel.

Phase eine Phase ist eine Bereich mit konstanten physikalischen Eigen-
schaften. Eine Phase ist in sich homogen.

50
Tabelle 4.1: Basiseinheiten des Internationalen Systems
Größe Einheit Symbol
Masse Kilogramm kg
Stoffmenge Mol mol
Zeit Sekunde s
Länge Meter m
Lichtstärke Candela cd
Temperatur Kelvin K
Stromstärke Ampere A

Tabelle 4.2: Beispiele für abgeleitete Einheiten des Internationalen Systems

Größe Einheit Symbol Definition


kg m
Kraft Newton N s2
2
Energie Joule J N m bzw. kgsm 2
2
Leistung Watt W J
s
bzw. kgsm 3

Ladung Coulomb C As
2
Spannung Volt V W
A
bzw. kgs3mA
1
Frequenz Hertz Hz s

homogen ein Bereich mit auch mikroskopisch einheitlichen Eigenschaften.

heterogen ein Bereich der abrupte örtliche Änderungen seiner Eigenschaf-


ten zeigt. In einem heterogenen Gemisch liegen mehrere Phasen (auch mit
gleichem Aggregatzustand) vor.

4.1.1 Physikalische Größen und Maßeinheiten


Wann immer ein(\b|e) Wissenschaftler(\b|in) ein Experiment durchführt bei
dem (er|sie) quantitative Aussagen treffen möchte, ist es nötig für die erhalte-
nen Messwerte eine Skala zu definieren. Um Messwerte vergleichbar zu halten,
hat man sich auf ein verbindliches Einheitensystem geeinigt, das Système
International d’Unités (kurz SI). Es fusst auf sieben Basiseinheiten (siehe
Tabelle 4.1), aus denen durch Kombination Einheiten für jede physikalische
Größe abgeleitet werden können. Einige dieser abgeleiteten Einheiten haben
wiederum eigene Namen bekommen und entsprechend Symbole um sie abzu-
kürzen (Tabelle 4.2). Um die Zahlenwerte in praktikablen Größen zu halten

51
Tabelle 4.3: Präfixe für Einheiten. Bei Massenangaben ist zu beachten, dass
das k für kilo bereits in der Basiseinheit enthalten ist. Ein „Millikilogramm“
gibt es nicht! Als Wortstamm verwendet man „Gramm“ (10−3 kg).

Präfix Symbol Faktor Präfix Symbol Faktor


deka da 101 dezi d 10−1
hekto h 102 centi c 10−2
kilo k 103 milli m 10−3
mega M 106 mikro µ 10−6
giga G 109 nano n 10−9
tera T 1012 pico p 10−12
peta P 1015 femto f 10−15

verwendet man bei Bedarf Präfixe, die Zehnerpotenzen der Einheit repräsen-
tieren. Diese sind in Tabelle 4.3 aufgelistet.
Einige uns im Alltag begegnende Einheiten hängen über sehr einfache Be-
ziehungen mit SI-Einheiten zusammen. Die Skala von Celsius zur Angabe
von Temperaturen hat z. B. dieselbe Skaleneinteilung wie die Skala nach Kel-
vin, sie unterscheiden sich jedoch im Nullpunkt um 273,15. Die Volumenan-
gabe Liter (l) ist identisch mit einem Kubikdezimeter (dm3 ). Aufgrund dieser
engen Verwandtschaft zu SI-Einheiten werden sie auch im wissenschaftlichen
Alltag häufig gebraucht. Insbesondere Volumenangaben in Kubikmetern sind
sogar eher ungebräuchlich.

4.1.1.1 Stoffmengen
Eine für die Chemie sehr wichtige Größe ist die Stoffmenge und damit auch
ihre Einheit das Mol. Wir haben in den vorangegangenen Kapiteln festge-
stellt, dass aufgrund des atomistischen Aufbau der Materie Anzahlen und
Zahlenverhältnisse von Atomen oder Molekülen bedeutender sind als Mas-
sen. Aufgrund der recht geringen Größe von Atomen, ist es nicht praktikabel
Atome oder Moleküle für Reaktionen abzuzählen, um das richtige Verhältnis
von Edukten einzusetzen. Die Lösung dieses Problems ist zu bestimmen wie-
viele Atome oder Moleküle in einer gegebenen Masse vorhanden sind, so dass
man dann über einfache Einwaage die nötige Anzahl von Atomen „abzählen“
kann.

Beispiel :
Wenn man weiß wie schwer eine Erbse ist, muss man nicht alle

52
Erbsen im Sack zählen, sondern kann einfach wiegen wie schwer
der Sack ist und durch die Masse einer Erbse teilen.
Im Gegensatz zu Erbsen wissen wir von Atomen, dass jedes Atom einer Atom-
sorte gleich schwer ist. Wenn eine Element in der Natur als Isotopengemisch
vorliegt, kann man entsprechend der Anteile der Isotope eine relative Ato-
memasse berechnen1 . Zur Bestimmung der Stoffmenge geht man den selben
Weg wie im Beispiel mit den Erbsen. Den Sack Erbsen hat man als 12 g
der „Erbse“ Kohlenstoffisotop 12 C definiert. Der Quotient von 12 g und der
Atomemasse von 12 C ist 6, 022 · 1023 und Grundlage für die Definition eines
Mols2 . Ein Mol sind 6, 022 · 1023 Teilchen. Das Mol ist also so etwas wie
das „Dutzend der Chemiker(\b|innen)“. Die Molmasse M der Elemente ist
in Periodensystemen (siehe Seite 27) tabelliert, so dass man leicht für eine
gegebene Masse m die Stoffmenge n berechnen kann:
m
n= (4.1)
M
Eng mit der Definition des Mols verknüpft ist eine Masseneinheit, die man für
atomare Größenordnungen verwendet, die unified atomic mass unit kurz u.
Sie ist definiert als ein zwölftel der Masse eines 12 C-Atoms. Damit entspricht
1 u 1, 66054 · 10−27 kg. Da sich sowohl die Definition des Mols, als auch die
der atomaren Masseneinheit auf 12 C beziehen gilt:
1g
= NA = 6, 022 · 1023 (4.2)
1u
Durch diese Definition von einem u hat man außerdem erreicht, dass die
Nukleonenzahl eines Atoms ziemlich exakt seiner Masse entspricht.

4.1.1.2 Konzentrationen von Lösungen


Viele Reaktionen finden in Lösung statt. Deshalb ist es wichtig für Reak-
tionsansätze nicht nur die richtige Stoffmenge zu bestimmen, sondern auch
die richtige Lösungsmittelmenge. Die wichtigste Konzentrationsangabe ist die
Stoffmengenkonzentration c. Sie ist definiert als Stoffmenge n pro Volumen
der Lösung V .
n
c= (4.3)
V
1
durch das Wiegen von mehreren Erbsen und Mittelung kann man mit einer relativen
Erbsenmasse zu genaueren Ergenissen kommen.
2
diese Zahl wird nach Lorenzo Romano Amedeo Carlo Avogadro als Avogadrokon-
stante genannt und mit NA abgekürzt. Um eine Vorstellung von der Größe dieser Zahl zu
bekommen siehe auch http://what-if.xkcd.com/4/.

53
47. Wie hängen Kelvin und Grad Celsius zusammen?

48. Vom Element X kommt nur ein natürliches Isotop vor. Ein Atom davon
hat die Masse 2, 107·10−22 g. Berechnen Sie die relative Atommasse des
Elementes X. Um welches Element handelt es sich?

49. Wie hoch ist der prozentuale Phosphoranteil der Verbindung der Zu-
sammensetzung Ca3 (PO4 )2 (Calciumphosphat)?

50. Welche empirische Formel hat die Verbindung X mit der folgenden
Zusammensetzung: Ca(31,29%), C(18,75%) und O(49,96%)?

51. Welche Massenprozente weisen die Elemente in der Verbindung Na3 AlF6
auf?

52. Die Masse eines menschlichen Skeletts beträgt 11 kg. Es besteht zu


58% aus Calciumphosphat. Berechnen Sie die Massen von Calcium und
Phosphor.

53. Das Mineral Hämatit besteht aus Fe2 O3 . Hämatit-Erz enthält weitere
Mineralien, die „Gangart“. Wenn 5000 kg Erz 2784 kg Fe enthalten, wie
viel Prozent Hämatit ist im Erz enthalten?

54. Hämoglobin enthält 0,342% Fe. Wenn ein Molekül vier Fe-Atome ent-
hält, welches ist die Molmasse des Hämoglobins?

55. Welcher Stoffmenge entsprechen 200 g Schwefelsäure und wie viele Mo-
leküle sind darin enthalten?

56. Welche Masse besitzen je 3 · 1020 Moleküle von:

a) N2
b) HNO3
c) Ca3 (PO4 )2

57. Zur Analyse einer Verbindung, die Chrom und Chlor enthält, wird das
Chlor in die Verbindung AgCl überführt. Welche empirische Formel
hat das Chromchlorid, wenn aus 8,61 g davon 20,08 g AgCl erhalten
werden?

58. Welche Molekularformel hat die Verbindung mit folgender Zusammen-


setzung und relativer Molekularmasse? C (45,90%), H (2,75%), O (26,20%),
S (17,50%), N(7,65%) und MX = 183, 18 g/mol

54
59. Wie viele Wassermoleküle befinden sich in einem Schwimmbecken mit
den Maßen 50 m × 12,5 m × 2 m?

60. Ein Reiskorn ist durchschnittlich 7 mm lang. Der Abstand Sonne –


Erde beträgt 1,5·108 km. Wie oft könnte man mit 1 Mol Reiskörnern,
aneinander gereiht, diese Entfernung überbrücken?

61. Das internationale Urmaß für 1 Kilogramm besteht aus einer Platin-
Iridium-Legierung (90% Pt, 10% Ir).

a) Wie viele Platinatome kommen auf ein Iridiumatom?


b) Wie viele Atome von jeder Sorte sind im Urmaß enthalten?

62. Wie viel Gramm HI entstehen aus 5 g PI3 bei vollständiger Umsetzung.
Vervollständigen Sie vorab die Reaktionsgleichung:

PI3 + H2 O −→ HI + H3 PO3

63. Wie viel Gramm OF2 können maximal bei der Umsetzung von je 2,5 g
der Edukte erhalten werden?

2 F2 + 2 NaOH −→ OF2 + 2 NaF + H2 O

64. Welche Stoffmengenkonzentrationen haben folgende Lösungen?

a) 8 g NaOH in 250 ml Lösung.


b) 20 g Silbernitrat in 350 ml Lösung.
c) 94,5 g Salpetersäure in 250 ml Lösung.

65. Welche Stoffmengenkonzentration hat folgende Lösung?

a) 20 g Natriumsulfat in 400 ml Lösung.


b) Wie viele Milliliter dieser Lösung muss man mit Wasser verdün-
nen, um 500 ml einer Lösung mit cNa2 SO4 = 0, 1 mol/l zu erhalten?

66. Wie viel Gramm Substanz sind in folgenden Lösungen enthalten?

a) 25 ml Schwefelsäure mit cH2 SO4 = 6, 00 mol/l.


b) 0,25 l Natriumchloridlösung mit cNaCl = 0, 1 mol/l.

67. Wie viele Milliliter einer 10 molaren Schwefelsäurelösung werden benö-


tigt, um 250 ml einer 2 molaren Schwefelsäurelösung durch Verdünnen

55
a) mit Wasser
b) mit einer 1 molaren Schwefelsäurelösung

herzustellen?

68. Eine 10%-ige Salzsäurelösung hat eine Dichte von ρ = 1050 kg/m3 . Wie
groß ist die Stoffmengenkonzentration der Lösung?

69. 200 ml einer 0,2 molaren Natriumchloridlösung werden mit 200 ml ei-
ner 0,1 molaren Magnesiumchloridlösung gemischt. Wie groß ist die
Choridionenmenge und -konzentration?

70. Welches ist die relative Atommasse von Magnesium? Es besteht zu


78,99% aus 24
12 Mg (m24
12 Mg
= 23, 99 u), 10% aus 25
12 Mg (m25
12 Mg
= 24, 99 u)
26
und 11,01% aus 12 Mg (m26 12 Mg
= 25, 98 u).

71. Ein Element besteht zu 60,1% aus einem Isotop der Masse 68,926 u
und zu 39,9% aus einem Isotop der Masse 70,925 u. Welche mittlere
Atommasse besitzt das Element und um welches Element handelt es
sich?

4.2 Physikalische Grundoperationen


Ausgehend von der Vorstellung, dass Materie aus unteilbaren Grundbau-
steinen aufgebaut ist, ist es seit der Antike eine Hauptbeschäftigung von
Chemiker(\B|inne)n gewesen, Substanzen in ihre Bestandteile zu trennen.
Die wichtigsten Methoden dafür sollen im folgenden vorgestellt werden. Zu
beachten ist, dass bei diesen Methoden keinerlei chemische Reaktion statt-
findet. Sie dienen also nur zur Trennung von Gemischen, zur Isolation von
Reinsubstanzen. Die Aufreinigung von Edukten oder die Trennung von Pro-
duktgemischen nimmt häufig mehr Zeit in Anspruch, als die eigentliche che-
mische Reaktion.
Je nachdem, ob die vorliegende Substanz aus einer oder mehreren Phasen
besteht, werden dafür unterschiedliche Trennverfahren verwendet. Grund-
sätzlich gilt, dass man sich die sich unterscheidenden physikalischen Eigen-
schaften der Komponenten des Gemisches für die Trennung zu Nutze macht.
Je nach Aggregatzustand der gemischten Stoffe verwendet man verschieden
Bezeichungen für ein Gemisch (siehe Tabelle 4.4 und 4.5).

56
Tabelle 4.4: Eine Übersicht über homogene Gemische
Aggregatzustände Bezeichnung Beispiel Trennverfahren
fest/fest Legierung, α-Messing fraktionierte Kristalli-
Mischkris- sation
talle
fest/flüssig Lösung Meerwasser Verdampfen der flüssi-
gen Phase, Kristallisa-
tion
flüssig/flüssig Lösung Benzin fraktionierte Destilla-
tion
flüssig/gasförmig Lösung Mineralwasser Erhitzen
gasförmig/gasförmig Gasgemische Luft Verflüssigung mit
anschließender frak-
tionierten Destillation

4.2.1 Trennverfahren
Destillation
Die Stoffeigenschaft, die man bei einer Trennung durch Destillation (von la-
teinisch destillare für herabtröpfeln) nutzt, ist der Siedepunkt. Die Substanz
eines homogenen Gemisches mit dem geringsten Siedepunkt wird bei Erhitzen
als ersten Verdampfen, während für die restlichen Bestandteile möglicherwei-
se der Siedepunkt noch gar nicht erreicht ist. Fängt man den Dampf auf und
kondensiert ihn wieder hat man diese Substanz abgetrennt. Durch apparative
Details ist es möglich auch komplexe Gemische mit hohem Reinheitsgrad zu
trennen. Ein Beispiel für eine Destillation ist das Schnapsbrennen.

Trennung nach Dichte und Zentrifugation


Um Suspensionen oder Emulsionen aufgrund der verschiedenen Dichten ih-
rer Komponenten zu trennen, bedarf es im günstigsten Fall nur ein wenig
Geduld. Der Feststoff einer Suspension setzt sich am Boden des Gefäßes ab.
Diesen Vorgang bezeichnet man als sedimentieren. Die überstehende Flüssig-
keit kann dann dekantiert werden, das heißt vorsichtig abgegossen werden.
Auch die flüssigen Phasen einer Emulsion können sich nach einiger Zeit tren-
nen. Hier kann ebenfalls dekantiert werden oder die Phasen können mit Hil-
fe eines Scheidetrichters getrennt werden. Bei sehr feinen Emulsionen oder
Suspensionen findet eine selbstständige Trennung nur sehr langsam oder gar
nicht statt. Dann kann der Prozess mit Hilfe einer Zentrifuge beschleunigt

57
Tabelle 4.5: Eine Übersicht über heterogene Gemische
Aggregatzustände Bezeichnung Beispiel Trennverfahren
fest/fest Gemenge Granit, Müsli Sortieren, Sieben,
Flotation, Scheidung
nach Dichte, elektro-
statische Trennung,
Extraktion
fest/flüssig Suspension Schlamm, Sedimentieren, Zentri-
Blut fugieren, Dekantieren,
Filtrieren
flüssig/flüssig Emulsion Milch, Creme Zentrifugieren
fest/gasförmig Rauch, Ae- Autoabgase Sedimentieren, Filtrie-
rosol ren, elektrostatische
Trennung
flüssig/gasförmig Schaum, Wolken Sedimentieren
Nebel,
Aerosol

bzw. durchgeführt werden. Durch die Zentrifugalkraft wird die Sedimentati-


onsgeschwindigkeit in Abhängigkeit von der Dichte der Phasen vergrößert.

Kristallisation und Eindampfen


Will man eine Lösung eines Feststoffs in seine Bestandteile trennen, kann
man dies im einfachsten Fall durch Eindampfen tun. Hierfür wird die Lösung
einfach so lange erhitzt, bis das gesamte Lösungsmittel verdampft ist. Ist dies
keine Option, kann man durch Abkühlen oder Zugabe eines Fällungsmittels
die Löslichkeit des Feststoffs herabsetzen, so dass er aus der Lösung ausfällt
oder, wenn der Vorgang langsam genug von Statten geht, auskristallisiert. Als
Fällungsmittel eignen sich Flüssigkeiten, die mit dem Lösungsmittel mischbar
sind, in dem jedoch der Festoff unlöslich oder sehr schlecht löslich ist. Zu
Details zum Thema Löslickeit sei auf Abschnitt 4.6.3 verwiesen.

Chromatographie
Chromatographie (von griechisch χρωμα (chroma) für Farbe und γράφειν
(graphein) für schreiben) trennt homogene Substanzgemische nach ihren un-
terschiedlich starken Wechselwirkungen mit einem Trennmedium. Über das
unbewegliche Trennmedium, die sogenannte stationäre Phase, wird das zu

58
trennende Gemisch in einem Trägermedium, der mobilen Phase, geleitet. Je
nach Stärke der Wechselwirkungen zwischen stationärer Phase und den Kom-
ponenten der Mischung, werden die Komponenten unterschiedlich stark „ge-
bremst“. Komponenten mit schwachen Wechselwirkungen werden also schnel-
ler und weiter mitgetragen, als Komponenten mit starken. Für die apparative
Realisierung dieses Konzeptes gibt es verschiedenste Varianten je nach Eigen-
schaften der zu trennenden Substanzen.

Filtration und Sieben


Eine Filtration bzw. das Sieben machen sich die Partikelgröße zu Nutze um
eine feste Phase eines heterogenen Gemisches von einer fluiden bzw. einer
zweiten festen zu trennen. Ein Filter oder Siebe halten dabei die größeren
Partikel zurück und lassen die fluide Phase bzw. die kleineren Partikel durch.
Siebe und Filter müssen dabei an die vorliegenden Partikelgrößen angepasst
werden.

Extraktion
Zur Trennung von Feststoffen oder zur Entfernung einer gelösten Substanz
aus einer Flüssigkeit kann man das Verfahren der Extraktion (von lateinisch
extrahere für herausziehen) verwenden. Eine Extraktion kann man immer
dann durchfuhren, wenn in einem Feststoffgemisch verschieden gut lösliche
Substanzen vereint sind. Aus Lösungen kann man einen Stoff extrahieren,
wenn es ein Extraktionsmittel gibt, in dem der Stoff besser löslich ist, als in
dem vorliegenden Lösungsmittel und das außerdem nicht mit dem Lösungs-
mittel mischbar ist. Nach der Extraktion erhält man eine Lösung des zu
isolierenden Stoffes. Ein alltägliches Beispiel ist die wässrige Exktration von
Coffein und anderen Substanzen aus partialpyrolysierten, gemahlenen Sa-
men von Coffea arabica und Coffea canephora3 oder Blättern von Camellia
sinensis4 .

Elektrostatische Trennung
Elektrostatische Trennung von heterogenen Feststoffgemischen funktioniert
aufgrund einer physikalischen Eigenschaft, die Tribo-Elektrizität (von grie-
3
je nach kulturellem Hintergrund oder persönlicher Vorliebe wird das Extrakt durch
Sedimentation oder Filtration abgetrennt und mit Zucker, Milch oder Sahne sowie ggf.
Gewürzen versetzt.
4
hier wird das Extrakt per Sieb oder Filter abgetrennt. Auch hier werden evtl. dem
Extrakt weitere Substanzen oder Substanzgemische hinzugegeben. Philosophische Frage:
Wie grobporig muss ein Filter sein, dass er zum Sieb wird?

59
chisch τρίβω (tribo) für reiben) genannt wird. Man nutzt aus, dass sich Sub-
stanzen verschieden stark elektrostatisch durch Reibung aufladen. Eingesetzt
wird diese Verfahren z. B. beim Trennen von verschiedenen Kunststoffen oder
Salzen und Stäuben.

Flotation
Flotation (von englisch to float für schwimmen, treiben) ist ein Trennverfah-
ren für heterogene Gemische aus Feststoffen und macht sich zu Nutze, dass
Partikel verschiedener Stoffe unterschiedlich gut von Flüssigkeiten benetzt
werden. Durch Einblasen eines Gases in eine Suspension der zu trennen-
den Stoffe, wird der schlechter zu benetztende Stoff mit den Gasblasen an
die Oberfläche getragen und kann dort abgeschöpft werden. So können z. B.
Erze von Beimischungen (Gangart) getrennt werden oder bei der Altpapier-
wiederverwertung die Farbpigmente entfernt werden.

72. Warum ist das Gemisch gasförmig/gasförmig in Tabelle 4.5 nicht auf-
geführt?

73. Welche der folgenden Stoffgemische können durch Dekantieren getrennt


werden?

• Sand und Eisenspäne


• Sand und Wasser
• Wasser und Salz
• Wasser und Alkohol

74. Welche der folgenden Stoffe können durch Destillieren nicht getrennt
werden?

• Sand und Eisenspäne


• Sand und Wasser
• Wasser und Salz
• Wasser und Alkohol

75. Durch welches Trennverfahren kann man die Farbstoffe der Filzschreiber-
tinte trennen?

76. Durch welches Trennverfahren kann man Milch entrahmen?

77. Trennvorgänge finden in der Kaffeemaschine statt?

60
78. Welche Stoffeigenschaft wird bei der Stofftrennung durch Extraktion
ausgenutzt?
• Dichte
• Schmelztemperatur
• Löslichkeit
• Tribo-Elektrizität
• Siedetemperatur

4.3 Reaktionsgleichungen
Zur Beschreibung von Reaktionen verwendet man Reaktionsgleichungen. Sie
sind ähnlich wie mathematische Gleichungen aufgebaut. An Stelle eines Gleich-
heitszeichens verwendet man jedoch einen Reaktionspfeil. Links dieses Pfeils
stehen die Edukte aufgelistet und durch +-Zeichen getrennt, rechts des Pfeils
die Produkte ebenfalls durch +-Zeichen getrennt. Gegebenenfalls wird den
Produkten oder Edukten eine stöchiometrischer Faktor vorangestellt.
a A + b B −→ c C + d D (4.4)
Oder weniger abstrakt:
2 H2 + O2 −→ 2 H2 O (4.5)
Die verschiedenen Substanzen werden, wie oben schon ohne nähere Erklärung
eingeführt, als Summenformel angegeben. Dabei werden die Elementsymbo-
le, der in der Verbindung enthaltenen Atome, aufgelistet und deren Anzahl
als tiefgestellter Index direkt angehängt. Bei der Verwendung in Reaktions-
gleichungen zeigt sich, dass es sehr sinnvoll ist, die Elementnamen durch
Symbole abzukürzen.
Aus der Erkenntnis, das Atome in einer chemischen Reaktion weder zer-
stört noch erzeugt werden können, folgt unmittelbar, dass vor und nach der
Reaktion dieselbe Anzahl an Atomen vorhanden sein muss. Das bedeutet
links und rechts des Reaktionspfeils muss dieselbe Anzahl von Atomen zu
finden sein. Da auch keine Umwandelung von der einen in die andere Atom-
sorte möglich ist, muss auch jeweils die Zahl der Atome einer Atomsorte links
und rechts des Reaktionspfeils gleich sein.
Genau dieselbe Überlegung ist auch für Ladungen gültig. In einer vollstän-
dig ausgeglichenen Reaktionsgleichung treten keine Ladungen auf. Praktisch
ignoriert man dies allerdings gelegentlich, z. B. wenn ein Kation oder Anion
an der Reaktion unbeteiligt ist, lässt man es in der Gleichung weg. Dann gilt,
dass auf beiden Seiten des Reaktionspfeils dieselbe Ladung auftauchen muss.

61
4.3.1 Oxidationszahlen
Viele Reaktionen sind mit der Übertragung von Elektronen verbunden (siehe
auch Abschnitt 4.8). Da im Fall von kovalenten Bindungen die Übertragung
von Elektronen weitaus weniger leicht ersichtlich ist, als bei der Bildung von
Ionen, behilft man sich mit einem einfachen Formalismus. Für jede einzelne
Bindung des Moleküls schlägt man beide Bindungselektronen dem elektro-
negativeren Atom zu. Die formale Ladung, die man dann für dieses Atom
erhält, ist seine Oxidationszahl. Durch ihre Änderung im Verlauf einer Reak-
tion kann man den Übergang von Elektronen verfolgen. Zur Darstellung der
Oxidationszahlen werden römische Zahlen verwendet, die über das entspre-
chende Elementsymbol geschrieben werden.
+II −II ±0 −II +IV −II
2C O + O2 2O C O (4.6)

79. Vervollständigen Sie die folgenden Reaktionsgleichungen:

a) FeS + O2 −→ Fe3 O4 + SO2


b) Mg + Cu2 O −→ MgO + Cu
c) Al + ZnO −→ Al2 O3 + Zn
d) Al4 C3 + H2 O −→ Al(OH)3 + CH4
e) Ba3 N2 + H2 O −→ Ba(OH)2 + NH3
f) B2 O3 + C + Cl2 −→ BCl3 + CO

80. Formulieren Sie die Gleichungen für die vollständige Verbrennung von:

a) Octan C8 H18
b) Anilin C6 H7 N

4.4 Thermodynamik der Chemischen Reaktion


Mit Hilfe der Theorie der Thermodynamik, können wir Vorhersagen treffen,
ob eine Reaktion freiwillig abläuft und wenn ja wie viel Energie dabei frei
wird oder aufgewandt werden muss.

Im Volksmund heißt es „Von nix, kommt nix!“ und diese Aussage trifft eine
Kernerkenntnis der Thermodynamik sehr gut. Auch wenn umgangssprach-
lich von „Energieerzeugung“ die Rede ist, ist es nicht möglich Energie zu
erzeugen oder vernichten. Dies ist als der erste Hauptsatz der Thermodyna-
mik bekannt. Bei jeder „Energieerzeugung“ handelt es sich in Wirklichkeit

62
um eine Energieumwandlung. Bei der „Erzeugung“ von elektrischer Energie
wird lediglich die, z. B. in fossilen Energieträger enthaltene, chemische Ener-
gie zunächst in Wärmeenergie umgewandelt und diese dann wiederum mit
Hilfe einer Turbine und eines Generators in elektrische. Bei der „Erzeugung“
von Strom durch Windräder wird die Bewegungsenergie (kinetische Energie)
der Luft in elektrische umgewandelt. Eine weitere wichtige Erkenntnis ist,
dass diese Umwandlungen nie ganz verlustfrei von Statten gehen.
Zunächst wollen wir uns jetzt mit grundlegenden Zusammenhängen in der
Thermodynamik vertraut machen und dann die Anwendung dieser Theorie
auf chemische Fragestellungen erkunden.

4.4.1 Grundlagen der Thermodynamik


4.4.1.1 System und Umgebung
Den kleinen Ausschnitt des Universums, den man näher betrachten möchte
bezeichnet man in der Thermodynamik als das System. Den Rest des Uni-
versums oder ein größeres System, in das das betrachtete eingebettet ist,
bezeichnet man als Umgebung. Je nach Beschaffenheit kann das System mit
seiner Umgebung Materie und/oder Energie austauschen. Man unterscheidet
drei verschiedene Typen von Systemen:
• offenes System: ein offenes System kann mit seiner Umgebung sowohl
Materie als auch Energie austauschen.
• geschlossenes System: ein geschlossenes System kann mit seiner Umge-
bung nur Energie aber keine Materie austauschen.
• isoliertes oder abgeschlossenes System: ein isoliertes System kann mit
seiner Umgebung weder Energie noch Materie austauschen.
Für diese Systeme lassen sich leicht alltägliche Beispiele finden. Ein Obst-
schale ist ein offenes System. Es ist leicht ihr etwas zu entnehmen und kann
(warum auch immer) das Obst in der Schale erhitzen oder abkühlen. Ein fest
verschlossenes Marmeladenglas ist ein geschlossenes System. Solange der De-
ckel auf dem Glas ist, kann man keine Marmelade entnehmen, kann sie aber
z. B. einfrieren. Ein isoliertes System findet man in Form einer Thermoskan-
ne. Solange sie verschlossen ist, kann man weder Tee oder Kaffee entnehmen
noch kühlt dieser ab. An diesem Beispiel kann man auch gut sehen, dass es
praktisch nicht zu realisieren ist ein vollkommen isoliertes System herzustel-
len5 .
5
Tee oder Kaffee wird eben leider doch selbst in der besten Thermoskanne kalt. Hier
lässt sich das Problem durch rechtzeitiges Austrinken beheben.

63
81. Was ist das größtmögliche thermodynamische System? Ist es ein offe-
nes, geschlossenes oder isoliertes System?

82. Warum kann es kein System geben in dem nur Stoffaustausch aber kein
Energieaustausch möglich ist?

4.4.1.2 1. Hauptsatz: Energie eines Systems


Wie in den einleitenden Worten schon erklärt, besagt der erste Hauptsatz der
Thermodynamik, dass Energie nicht erzeugt oder vernichtet werden kann.
Die Aufstellung des ersten Hauptsatzes der Thermodynamik ist schlicht eine
Konsequenz aus den vielen vergeblichen Versuchen ein Perpetuum mobile zu
bauen.6 Nach den Definitionen für unsere Systeme hat dies für ein isoliertes
System zur Folge, dass sich seine innere Energie U nicht ändern kann:

∆U = 0 im isolierten System (4.7)

Für ein offenes oder geschlossenes System bedeutet der erste Hauptsatz, das
jegliche Änderung der Energie eines System nur dadurch zustande kommen
kann, dass Energie in Form von Wärme Q oder Arbeit W mit der Umgebung
ausgetauscht wird.

∆U = ∆Q + ∆W (4.8)

Anschaulich bedeutet diese Gleichung, das Kaffee in einer Tasse abkühlt, in


dem er Wärme an die Umgebung abgibt. Es wird also nicht nur der Kaffee
kälter, sondern auch die Umgebung, in der er sich befindet, wärmer. Direkt
beobachtbar wird es für uns dadurch, dass wir uns an der Tasse die Hände
wärmen können. Es wird immer eine Wärmeübertragung vom wärmeren auf
den kälteren Körper beobachtet, solange nicht in irgendeiner Form Arbeit
verrichtet wird, die das verhindert oder umkehrt. Wir können an unserem
Kaffee Arbeit verrichten in dem wir ihn umrühren und so (sehr wenig) Energie
zuführen.
Für typische chemische Reaktionen ergibt sich ein Punkt der besonderer
Beachtung bedarf. Chemische Reaktionen werden normalerweise in offenem
Systemen durchgeführt, oder zumindest in Systemen mit konstantem Druck.
Wenn wir nun unserem System Energie zuführen, dehnt es sich aus oder in
thermodynamischen Fachbegriffen: es leistet Volumenarbeit p · ∆V an seiner
Umgebung. Man kann sich von dieser Tatsache leicht überzeugen, in dem
6
Dies ist eine gute Gelegenheit darauf hinzuweisen, das eine Theorie nur unsere Be-
schreibung von experimentellen Befunden ist. Die Aussage, man könne kein Perpetuum
mobile bauen, weil das gegen den ersten Hauptsatz der Thermodynamik verstoße, ist falsch!

64
man einen Luftballon über die Öffnung einer Flasche stülpt und die Flasche
erwärmt. Wenn wir nur eine Wärmeübertragung haben, verändert sich unsere
innere Energie wie folgt:

∆U = ∆Q − p · ∆V (4.9)

An dieser Stelle sei auf eine Konvention hingewiesen: Energie, die ein System
an seine Umgebung abgibt, erhält ein negativen Vorzeichen; Energie, die es
aufnimmt, ein positives. Um nun nicht jedes Mal der Term p · ∆V in Glei-
chungen berücksichtigen zu müssen, fasst man diesen Term mit der inneren
Energie zusammen zu einer neuen Größe, der Enthalpie H.

∆U + p · ∆V = ∆H (4.10)

Durch diesen eleganten Trick haben wir eine Energiegröße für offene System
gefunden, die sich direkt durch die Messung von Wärmemengen bestimmen
lässt. Durch Umformen von Gleichung 4.9 lässt sich das leicht feststellen:

∆U + p · ∆V = ∆Q (4.11)

Die linke Seite der Gleichung entspricht unserer Definition von ∆H.

∆U + p · ∆V = ∆Q = ∆H (4.12)

Wir hatten uns oben auf die Übertragung von Wärme beschränkt. Natürlich
ist es auch ganz allgemein möglich, dass Wärmeübertragung und Arbeitsleis-
tung am System gleichzeitig stattfinden. Um das zu berücksichtigen, muss
man einfach bei allen Gleichungen den Term ∆W wieder anhängen und erhält
dann ganz allgemein für die Enthalpie eines Systems:

∆H = ∆Q + ∆W bei konstantem Druck (4.13)

Da die Enthalpie nicht absolut messbar ist, hat man definiert, dass die Ele-
mente in ihrer energetisch günstigsten Form eine Enthalpie von Null haben
sollen. Alle Angaben werden dann relativ dazu als ∆H angegeben. Wir wer-
den in den Anwendungsbeispielen sehen, das die Enthalpie ein hervorragendes
Hilfsmittel ist, um die Wärmetönung oder Reaktionswärme von chemischen
Reaktionen vorherzusagen. Prozesse, bei denen das System Energie an seine
Umgebung abgibt, nennt man exotherm, solche, bei denen es Energie aus
der Umgebung aufnimmt, endotherm (von griechisch θερμός (thermos) für
warm, ἔξω (exo) für außen, ἔνδον (endon) für innen). Die Art der Prozesse
kann dabei sehr vielfältig sein. Es kann sich z. B. um chemische Reaktionen,
Phasenübergänge oder Vorgänge in Maschinen handeln.

65
4.4.1.3 2. Hauptsatz: Unordnung
Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik hat sich aus den Beobachtungen
ergeben, das z. B. Milch, die man in den Kaffee gibt, sich immer mit ihm
vermischen wird, es aber nie zu beobachten ist, dass sich Milch und Kaffee
wieder trennen. Ein System strebt also ohne äußere Einwirkung immer zu
einem Zustand größerer Unordnung7 .
Für unsere bisherigen Betrachtungen bedeutet das, dass ein Teil der zu-
geführten Energie immer in die Erhöhung der Unordnung des Systems fließt.
Bei Energieumwandelungen geht also immer einer gewisser Anteil Energie
verloren, der nicht mehr nutzbar ist. Für unsere Überlegungen ist es also
notwendig eine Größe zu finden, mit der wir diesen Anteil, den wir an die
Unordnung „verlieren“, beschreiben können.
Für unsere weiteren Gedankengänge wollen wir uns ein „Kaffeemolekül“
8
(•) und ein „Milchmolekül“ (◦) definieren. Wenn wir jetzt aus der Kaffee-
kanne zufällig drei „Moleküle“ entnehmen, wird das Ergebnis so aussehen:

••• (4.14)

Ganz analog erhalten wir für drei „Moleküle“ aus dem Milchkännchen:

◦◦◦ (4.15)

Es gibt also jeweils genau ein Ergebnis, das wir erhalten können, nämlich
jeweils nur Milch- oder nur Kaffee-„Moleküle“. Ein anderes Bild erhalten wir
wenn wir Kaffee und Milch mischen:

••• ◦•• •◦• ••◦ •◦◦ ◦•◦ ◦◦• ◦◦◦ (4.16)

Wir erhalten jetzt acht verschiedene Möglichkeiten und nur zwei von die-
sen acht Möglichkeiten entsprechen einer Entmischung von Kaffee und Milch
(ganz recht und ganz links). Bei drei „Molekülen“ würde also noch durch-
aus eine realistische Chance bestehen eine Entmischung zu beobachten, auch
wenn sie schon verhältnismäßig unwahrscheinlich ist. Bei vier Teilchen ent-
sprechen nur noch zwei von 16 Kombinationen einer Entmischung. In einer
typischen Kaffeetasse befinden sich aber nicht nur drei, vier oder sogar tau-
sende von Teilchen, sondern etwa 50·1023 Teilchen. Damit ist die Wahrschein-
lichkeit eine Entmischung zu beobachten so gering, das realistisch nicht mit
einer Entmischung zu rechnen ist und dies auch noch nie beobachtet worden
ist. Der Theorie nach ist sie jedoch nicht ausgeschlossen.
7
ein Phänomen, das man leider nur all zu gut auch an Schreibtischen o. ä. beobachten
kann.
8
. . . ein sehr starker Kaffee. Kann es real Kaffee- oder Milchmoleküle geben?

66
Als Fazit können wir zunächst festhalten, das die Wahrscheinlichkeit für
ein Kaffee/Milch-Gemisch in unserem Becher deutlich größer ist als eine sau-
bere Trennung von Milch und Kaffee. Also ist der ungeordnete Zustand wahr-
scheinlicher als ein geordneter. Aus diesen statistischen Betrachtungen kann
man dann die Entropie S ableiten, die dann als Maß der Unordnung in einem
thermodynamischen System fungieren kann.

S = kB · ln W (4.17)

kB ist die sogenannte Boltzmannkonstante. W ist dabei die Zahl der mögli-
chen Zustände, die das System einnehmen kann. Wenn wir W = 1 einsetzen,
also den Fall „nur Kaffee“ oder „nur Milch“ erhält man eine Entropie von Null
also ein System ohne Unordnung. Bei dieser Betrachtung ignorieren wir etli-
che Parameter im Kaffee wie z. B. die Bewegungsfreiheitsgrade der Teilchen,
die zu mehreren möglichen Zuständen führen. Man kann also nur durch die-
se extreme Vereinfachung auf ein perfekt geordnetes System kommen. Wenn
man wirklich alle Variablen berücksichtigt, stellt man fest, dass eine Entropie
von Null nicht zu erreichen ist.9
Mit der Entropie haben wir jetzt eine Größe gefunden, mit der wir be-
schreiben können, wie viel Energie durch Erhöhung der Unordnung verloren
geht. Damit können wir jetzt eine weitere Größe aufstellen, die uns besagt,
wie viel Energie wir am Ende tatsächlich nutzbar in unserem System zu
Verfügung haben. Diese Größe wird freie Enthalpie G oder, nach ihrem Ent-
decker Josiah Willard Gibbs, Gibbs-Energie genannt.

∆G = ∆H − T · ∆S (4.18)

Ist bei einem Vorgang ∆G < 0 nennt man ihn exergonisch, ist ∆G > 0 spricht
man von einem endergonischen Vorgang. Den Spezialfall, das ∆G = 0 ist,
also weder Energie abgegeben noch aufgenommen wird, betrachten wir in
Abschnitt 4.6 näher.

83. Erklären Sie den Begriff Entropie.

4.4.1.4 Zustandsgrößen
Thermodynamische Größen sind von Temperatur und Druck abhängig. Um
Werte vergleichbar zu halten, werden sie üblicherweise bei Standardbedingun-
gen 10 angegeben. Dabei handelt es sich um eine Temperatur von 298,15 K
9
Aufräumen ist also Zeitverschwendung!
10
nicht zu verwechseln mit den Normalbedingungen (0 ◦ C; 1,013 bar).

67
(25 ◦ C) und einen Druck von 100 kPa (1 bar). Angaben bei Standardbedin-
gungen werden durch eine angehängte, hochgestellte Null gekennzeichnet,
z. B. ∆H 0 .
Bei allen thermodynamischen Größen handelt es sich um sogenannte Zu-
standsgrößen. Sie beschreiben immer den Zustand eines Systems, aber nicht
den Weg von einem zum anderen. Bei einer bestimmten Wahl von z. B. Tem-
peratur und Druck erhält man also immer wieder denselben Zustand des
Systems, egal ob man diesen Zustand durch Druckerhöhung oder -senkung
erreicht hat oder welche Reihenfolge man bei Druck- und Temperaturände-
rung wählt. Entscheidend ist der Druck und die Temperatur, die zu Beginn
und am Ende des Vorgangs im System herrschen.
Um wieder den Volksmund zu bemühen: „Viele Wege führen nach Rom“.
Dabei ist es egal welchen Weg nach Rom man einschlägt, am Ende landet
man immer in derselben Stadt in Italien.

4.4.2 Anwendungsbeispiele
4.4.2.1 Phasenübergänge
Ein Phasenwechsel ist immer mit einer Energieaufnahme oder -abgabe ver-
knüpft. An vielen Stellen ist daher wichtig zu wissen, in welchen Aggregatzu-
stand eine Reaktionsteilnehmer vorliegt. Es hat sich eingebürgert den Aggre-
gatzustand durch eingeklammerte tiefgestellte Buchstaben zu kennzeichnen.
Man verwendet s (von englisch solid für fest), l (von englisch liquid für flüssig)
und g (von englisch gaseous für gasförmig). Außerdem ist das Kürzel aq (von
lateinisch aqua für Wasser) für in wässriger Lösung vorliegende Substanzen
gebräuchlich. Bei der „Reaktion“

H2 O(s) −→ H2 O(l) (4.19)

handelt es sich um einen endothermen Prozess. Auch wenn es der Intuition


zu widersprechen scheint, muss man Energie zuführen um von 0 ◦ C kaltem
Eis zu 0 ◦ C kaltem Wasser zu kommen.

4.4.2.2 Reaktionsenthalpien
Insbesondere bei industriellen Prozessen11 ist es wichtig zu wissen, ob und
wenn ja wieviel Wärme bei einer Reaktion frei wird. Aufgrund der Definition
der Enthalpie können wir direkt aus der Änderung der Enthalpie während der
Reaktion ∆HR (Reaktionsenthalpie) bestimmen, wie viel Wärme frei werden
11
über großtechnische Reaktionsführungen werden Sie in Ihrem Studium in der Techni-
schen Chemie mehr lernen.

68
wird oder wieviel für die Durchführung der Reaktion zugeführt werden muss.
Die Reaktionsenthalpie errechnet sich aus der Differenz der Enthalpien vor
und nach der Reaktion, also aus den Enthalpien der Edukte und Produkte.
X X
∆HR = ∆HProdukt − ∆HEdukt (4.20)

Die Enthalpien von Produkten und Edukten findet man in Form von Stan-
dardbildungsenthalpien ∆Hf0 tabelliert (f von formation, englisch für Bildung,
Entstehung; siehe auch Anhang Abschnitt C). Sie geben die Enthalpie an,
die nötig ist, um eine Verbindung aus den Elementen zu synthetisieren. Wir
erinnern uns an dieser Stelle daran, dass die Enthalpien der Elemente zu
Null definiert sind. Die Standardbildungsenthalpie einer Verbindung kann
man also bestimmen, indem man bei einer Reaktion von den Elementen zu
der gesuchten Verbindung die Reaktionswärme misst.
84. Erklären Sie die Ausdrücke Reaktionswärme, Enthalpie und Standard-
Bildungsenthalpie.

85. Formulieren Sie die Gleichungen, die zu folgenden Standard-Bildungs-


enthalpien gehören:

a) AgCl(s) − 127 kJ/mol


b) NO2 (g) + 33 kJ/mol
c) CaCO3 (s) − 1206, 9 kJ/mol

86. Berechnen Sie die Reaktionsenthalpie unter Standardbedingungen für


die Reaktion:

4 NH3 (g) + 5 O2 (g) −→ 4 NO(g) + 6 H2 O(l)

87. Berechnen Sie mit Hilfe der Standard-Bildungsenthalpien die Reakti-


onsenthalpien für folgende Reaktionen:

a) 2 H2 S(g) + 3 O2 (g) −→ 2 H2 O(l) + 2 SO2(g)


b) Fe2 O3(s) + 3 H2(g) −→ 2 Fe(s) + 3 H2 O(g)
c) Verbrennung von Methanol (CH3 OH(l) ) in O2 (g) unter Bildung von
CO2 (g) und H2 O(l)

Ist eine Reaktion nicht von Elementen ausgehend durchführbar, kann man
sich bei der Bestimmung von Standardbildungsenthalpien zu Nutze machen,
dass es sich bei thermodynamischen Größen um Zustandsgrößen handelt.
Wir können zu unseren Produkten also auch auf einem anderen Weg gehen,

69
für den wir die nötigen Enthalpien bereits kennen und so die Enthalpie be-
rechnen, die uns interessiert. Bei gleichen Anfangs- und Endzuständen einer
Reaktion ist die Reaktionsenthalpie für jeden Reaktionsweg gleich. Dies ist
als der Satz von Hess bekannt, benannt nach Germain Henri Hess.
Ein gerne gewähltes Beispiel ist die Reaktion von Kohlenstoff zu Kohlen-
stoffdioxid. Hier sind zwei Reaktionswege denkbar:
+ 2 O2
2C 2 CO2
∆H1
oder
+ O2 + O2
2C 2 CO 2 CO2
∆H2 ∆H3
Ausgangs- und Endzustand der Reaktionswege sind gleich, also muss für bei-
de Wege die Enthalpie gleich sein. Die beiden Reaktionsschritte des zweiten
Weges müssen also zusammen denselben Enthalpiebetrag liefern, wie die di-
rekte Reaktion. Als mathematische Formel ausgedrückt, gilt also:

∆H1 = ∆H2 + ∆H3 (4.21)

Über diesen Zusammenhang können wir also, sobald wir zwei beliebige der
Enthalpien kennen, die dritte bestimmen. Ein weiteres Beispiel für so einen
Kreisprozess ist die in Abschnitt 4.4.2.4 beschriebene Berechnung der Gitte-
renergie eines Ionenkristalls.
88. Warum ist der Satz von Hess eine Folge des Energieerhaltungssatzes?
89. Berechnen Sie die Reaktionsenthalpie für die Reaktion

CS2 (l) + 2 H2 O(l) −→ CO2 (g) + 2 H2 S(g)

mit Hilfe der folgenden Gleichungen:

H2 S(g) + 23 O2 (g) −→ H2 O(l) + SO2 (g) ∆H 0 = −562, 6 kJ/mol


CS2 (l) + 3 O2 (g) −→ CO2 (g) + 2 SO2 (g) ∆H 0 = −1075, 2 kJ/mol

90. Berechnen Sie die Reaktionsenthalpie für die Reaktion

2 NF3 (g) + Cu(s) −→ N2 F4 (g) + CuF2(s)

mit Hilfe der folgenden Gleichungen:

2 NF3 (g) + 2 NO(g) −→ N2 F4 (g) + 2 ONF(g) ∆H 0 = −82, 9 kJ/mol


NO(g) + 12 F2 (g) −→ ONF(g) ∆H 0 = −156, 9 kJ/mol
Cu(s) + F2 (g) −→ CuF2 (s) ∆H 0 = −531, 0 kJ/mol

70
4.4.2.3 Freiwilligkeit von Reaktionen
Wir haben bereits gelernt, dass ein System immer versucht einen energetisch
möglichst günstigen Zustand, sprich einen Zustand mit möglichst niedriger
Energie zu erreichen. Für die eben betrachtete Wärmetönung von Reaktio-
nen heißt das, dass eigentlich nur exotherme Reaktionen freiwillig ablaufen
sollten, da hier die Produkte eine geringere Energie haben als die Edukte.
Man beobachtet aber auch freiwillig ablaufende Vorgänge, die unter Abküh-
lung stattfinden, also endotherm sind (z. B. das Auflösen einiger Salze). Um
dies zu erklären, ist es nicht ausreichend allein die Enthalpie des Vorgangs
zu betrachten. Wir müssen darüber hinaus auch die Entropie berücksichti-
gen. Damit ergibt sich die Gibbs-Energie als entscheidendes Kriterium für
die Freiwilligkeit einer Reaktion. Exergonische Reaktionen laufen also frei-
willig ab, endergonische nicht. Nach Gleichung 4.18 kann die Gibbs-Energie
auch dann negativ werden, wenn die Enthalpie positiv ist. Vorraussetzung ist
allerdings, dass dann der Term T · ∆S größer ist als ∆H. Insbesondere beim
Auflösen eines Kristallgitters nimmt die Entropie stark zu. Weitere Prozesse,
bei denen sich die Entropie deutlich erhöht sind der Übergang in die Gaspha-
se oder das Mischen von Substanzen (siehe Beispiel des Milchkaffees). Für
die Freiwilligkeit eines Prozesses muss also immer das Wechselspiel zwischen
Enthalpie und Entropie berücksichtigt werden.
91. Warum verlaufen viele endotherme Reaktionen bei hoher Temperatur
freiwillig?
92. Nimmt die Entropie bei folgenden Reaktionen zu oder ab?
a) C + O2 −→ 2 CO
b) H2 + F2 −→ 2 HF
c) NaCl(s) −→ NaCl(aq)

4.4.2.4 Gitterenergie von Ionenkristallen


Die Bestimmung der Gitterenergie ∆HG einer kristallinen Verbindung ist
nicht immer einfach. Für diesen Zweck hat sich unter anderem ein als Born-
Haber-Kreisprozess bekanntes Vorgehen etabliert. Man betrachtet einerseits
die Standardbildungsenthalpie des Salzes und andererseits diese Reaktion in
ihren einzelnen Teilschritte, von denen einer die Bildung des Kristallgitters
ist. Für viele Verbindungen sind die Enthalpien der Teilschritte bekannt, so
dass die Gitterenergie berechnet werden kann.
Als Beispiel soll und gewöhnliches Kochsalz dienen. Ausgangspunkt ist
metallisches Natrium und Chlorgas, Endpunkt kristallines Natriumchlorid.
Wir können den direkten Weg wählen:

71
2 ∆Hf
2 Na(s) + Cl2(g) 2 NaCl(s)

oder eine Zerlegung in die Teilschritte vornehmen


2 ∆Hsubl 2 1.IE
2 Na(s) 2 Na(g) 2 Na+
(g)
2 ∆HG
2 NaCl(s)
−∆HB 2 EA
Cl2(g) 2 Cl(g) 2 Cl−
(g)

Auf beiden Wegen muss die Enthalpie gleich sein, also gilt mathematisch
beschrieben:

2 ∆Hf = 2 ∆Hsubl + 2 1.IE + (−∆HB ) + 2 EA + 2 ∆HG (4.22)

∆Hf ist dabei die uns bereits bekannte Standardbildungsenthalpie, ∆Hsubl


die Sublimationsenthalpie, 1.IE die erste Ionisierungsenergie, ∆HB die Bin-
dungsenergie (wir wollen eine Bindung brechen, daher das negative Vorzei-
chen) und schließlich EA die Elektronenaffinität, die Energie die nötig ist um
ein Elektron zu einem Atom hinzuzufügen. Durch Umstellen der Gleichung
erhält man folgende Beschreibung für die Gitterenergie:

∆HG = ∆Hf − ∆Hsubl − 1.IE + 21 ∆HB − EA (4.23)

93. Erklären Sie die Gitterenergie am Beispiel des Magnesiumsulfids.

94. Die Gitterenergie von Magnesiumchlorid soll bestimmt werden. Subli-


mationsenthalpie von Magnesium: +150 kJ/mol; 1. und 2. Ionisierungs-
energie von Magnesium: +738 bzw. +1450 kJ/mol; Dissoziationsenergie
von Chlor: +243 kJ/mol; Elektronenaffinität von Chlor: −349 kJ/mol; Bil-
dungsenthalpie von Magnesiumchlorid: −642 kJ/mol

4.5 Kinetik der Chemischen Reaktion


Energetische Betrachtungen der Thermodynamik geben uns schon viele In-
formation über das Reaktionsgeschehen, können aber noch keine vollständige
Erklärung liefern. Aus rein thermodynamischen Betrachtungen würden wir
erwarten, dass ein Diamant12 an der Luft sofort zu Kohlenstoffdioxid rea-
giert. Sowohl Reaktionsenthalpie als auch -entropie sind für diesen Vorgang
12
eine Erscheinungsform des Elements Kohlenstoff, also eine Verbindung, die nur aus
Kohlenstoffatomen besteht. Graphit ist die thermodynamisch stabilste Modifikation des
Kohlenstoffs. Rein thermodynamisch betrachtet, sollten sich also Diamanten sofort unter
Energieabgabe in Graphit umwandeln. Auch dies beobachtet man nicht.

72
günstig. Unsere Beobachtungen lehren uns aber, dass es sich bei Diamant
um eine ausgesprochen „stabile“ Verbindung handelt, die nahezu unbegrenzt
lagerbar ist. Diese scheinbare Diskrepanz zwischen Theorie und Beobachtung
lässt sich erklären, wenn wir zusätzlich zur Thermodynamik auch die Kinetik
der Reaktion berücksichtigen. Bei der Reaktionskinetik handelt es sich um
ein Modell des zeitlichen Verlaufs einer Reaktion.
Eine zentrale Frage ist dabei, wie lange dauert es, bis meine Reaktion be-
endet ist. Wir stellen uns also die Frage nach der Reaktionsgeschwindigkeit.
Die naheliegendste Definition einer Reaktionsgeschwindigkeit ist dabei sicher-
lich eine Änderung der Stoffmenge einer Verbindung mit der Änderung der
Zeit zu betrachten. Eine solche Definition hat allerdings den entscheidenden
Nachteil, dass so die Reaktionsgeschwindigkeit von der Größe des Ansatzes
der Reaktion abhängig ist. Um dieses Problem zu umgehen, verwendet man
an Stelle der Stoffmenge, die Stoffmengenkonzentration c. Als mathematische
Formel ausgedrückt lautet die Definition der Reaktionsgeschwindigkeit dann:
dc
v= (4.24)
dt
Um negative Zahlenwerte für die Reaktionsgeschwindigkeit zu vermeiden, er-
gänzt man bei Betrachtungen ausgehend von den Edukten ein Minuszeichen.
Da bei Betrachtungen der Kinetik häufig Konzentrationen von verschiedenen
Substanzen zu berücksichtigen sind, verwendet man für deren Kennzeichnung
eckige Klammern. Auf diese Weise umgeht man die Verwendung von vielen
Formelzeichen, die sich nur im Index unterscheiden. [Na+ ] ist also gleichbe-
deutend mit cNa+ .
Die Reaktionsgeschwindigkeit ist von der Konzentration und der Tempe-
ratur abhängig. Diese Abhängigkeiten sollen im folgenden näher untersucht
werden.

4.5.1 Konzentrationsabhängigkeit
Bei Untersuchungen zur Konzentrationsabhängigkeit der Reaktionsgeschwin-
digkeit hat man festgestellt, dass abhängig von der Reaktion ein oder mehrere
Eduktkonzentrationen Einfluss nehmen. Ein Rückschluss aus der Reaktions-
gleichung auf die Kinetik einer Reaktion ist grundsätzlich nicht möglich. Zu
einer Reaktion der Art:

A + B −→ C (4.25)

kann durchaus ein Geschwindigkeitsgesetz der Art:

v = k · [A] (4.26)

73
gehören, ohne jegliche Abhängigkeit von der Konzentration von B. k ist die
Reaktionsgeschwindigkeitskonstante. Der Begriff „Konstante“ ist an dieser
Stelle allerdings keine besonders treffende Wahl, da es sich bei k um eine
Funktion der Temperatur handelt. Die sich daraus ergebende Temperatur-
abhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit wird im nächsten Abschnitt the-
matisiert werden.

4.5.1.1 Reaktionsordnungen und Geschwindigkeitsgesetze


Geschwindigkeitsgesetze für Reaktionen haben die allgemeine Form eines
Produktes aus der Geschwindigkeitskonstante k und keiner bis mehrerer
Eduktkonzentrationen. Diese können auch mehrfach in das Geschwindigkeits-
gesetz eingehen, also z. B. in der Form [A]2 . Der Exponent der jeweiligen
Konzentration ist die Reaktionsordnung bezüglicher dieses Stoffes. Die Sum-
me aller Exponenten bezeichnet man als die Gesamtreaktionsordnung der
Reaktion.

Beispiel :
Wir betrachten eine Reaktion

A + B + C −→ D

für die folgendes Reaktionsgeschwindigkeitsgesetz gefunden wur-


de:

v = k · [A]2 · [B]1 · [C]0

Diese Reaktion ist bezüglich A zweiter Ordnung, bezüglich B ers-


ter Ordnung und bezogen auf C nullter Ordnung. Da [C]0 = 1 ist
die Reaktionsgeschwindigkeit hier also unabhängig von der Kon-
zentration von C. Die Gesamtreaktionsordnung ergibt sich aus der
Summe der Exponenten der Konzentrationen, also 2 + 1 + 0 = 3,
als drei.

Geschwindigkeitsgesetze in dieser Form bezeichnet man als differenzielle Ge-


schwindigkeitsgesetze, da wir in dieser Form die Änderung der Konzentration
dc betrachten und nicht die Konzentration selbst. Durch geeignete mathe-
matische Umformung kann man aber auch einen direkten Zusammenhang
zwischen der vergangenen Zeit und der Konzentration aufstellen (siehe An-
hang Abschnitt B.3). Diese Form wird dann integrales Geschwindigkeitsgesetz
genannt.

74
Tabelle 4.6: Geschwindigkeitsgesetze verschiedener Ordnungen. [A]0 ist die
Anfangskonzentration von A. Die integralen Gesetze sind so aufgestellt, dass
eine Auftragung des Terms links des Gleichheitszeichens gegen die Zeit eine
Gerade ergibt, aus deren Steigung k bestimmt werden kann.

differenziell integral
d[A]
[A]0 v=− = k0 [A] = [A]0 − k0 · t
dt
d[A]
[A]1 v=− = k1 · [A] ln[A] = ln[A]0 − k1 · t
dt
d[A] 1 1
[A]2 v=− = k2 · [A]2 = + k2 · t
dt [A] [A]0
d[A] 1 1
[A]3 v=− = k3 · [A]3 = + 2 · k3 · t
dt [A] 2 [A]20

4.5.2 Temperaturabhängigkeit
Wie oben bereits erklärt, kommt die Temperaturabhängigkeit der Reaktions-
geschwindigkeit über die Temperaturabhängigkeit der Geschwindigkeitskon-
stante zu Stande. Svante Arrhenius konnte folgende nach ihm benannten
Zusammenhang zwischen k und der Temperatur feststellen:
EA
−k
k =A·e B ·T (4.27)
Um die Bedeutung dieser Gleichung zu verstehen ist, es ratsam sich zunächst
das mikroskopische Geschehen bei einer Reaktion vor Augen zu führen.
Die einzelnen an der Reaktion teilnehmenden Teilchen bewegen sich frei
und zufällig im Reaktionsmedium. Dabei kommt es zu Stößen mit ande-
ren Teilchen und bei jeden Stoß zu einem Austausch an kinetischer Energie.
Die mittlere kinetische Energie der Teilchen nehmen wir makroskopisch als
Temperatur wahr. Die kinetischen Energien der einzelnen Teilchen decken
einen weiten Bereich ab, deren Verteilung sich mit Hilfe einer Boltzmann-
Verteilung statistisch erfassen lässt. Wie häufig Teilchen stoßen, ist in der
Arrhenius-Gleichung (Gleichung 4.27) durch die Größe A beschrieben. Ist
die kinetische Energie zweier Teilchen groß genug, kommt es beim Stoß nicht
nur zur Übertragung von kinetischer Energie, sondern auch zur Reaktion.
Bei einem gewissen Anteil der Stoße kommt es also zur Reaktion. Wie groß
dieser Anteil ist wird durch den zweiten Faktor der Gleichung beschrieben.
Wenn wir uns den Verlauf einer Exponentialfunktion wie y = ex vor Augen

75
Abbildung 4.1: Energetischer Reaktionsverlauf. Ausgangs- und Endpunkt der
Kurve sind durch die Thermodynamik bestimmt. Der Verlauf der Kurve kann
sich mit geändertem Reaktionsweg ändern.

halten, stellen wir fest, dass y für Werte von x kleiner als Null, Werte zwi-
schen 1 und 0 annimmt. Der zweite Faktor der Arrhenius-Gleichung kann
also maximal 1 werden, was gleichbedeutend damit ist, dass jeder Stoß zu
einer Reaktion führt oder minimal 0 werden, was bedeutet, dass kein Stoß
zur Reaktion führt. Welchen Wert dieser Faktor annimmt, ist abhängig von
der kinetischen Energie der Teilchen (beschrieben durch kB · T ) und einer
reaktionsspezifischen Größe EA , der sogenannten Aktivierungsenergie.
Mit dieser Größe können wir nun auch das eingangs des Abschnitts auf-
geworfene Problem der Existenz von Diamanten erklären. Ist die Aktivie-
rungsenergie sehr groß, hat dies einen sehr geringen Anteil an Stoßen, die
zur Reaktion führen, zur Folge. Selbst wenn eine Reaktion thermodynamisch
ablaufen sollte, kann sie also auf kinetischen Wege durch eine sehr hohe Ak-
tivierungsenergie unterbunden sein. In einem solchen Fall nennt man eine
Verbindung metastabil oder spricht von einer kinetischen Hemmung der Re-
aktion. Dies ist ein sehr häufiges Phänomen. Alle organischen Verbindungen
(siehe auch Kapitel 5) sind nur aufgrund kinetischer Hemmung existent. Je-
de organische Verbindung lässt sich unter Energieabgabe zu Kohlendioxid,
Wasser und gegebenenfalls weiteren Nicht-Metalloxiden verbrennen.

76
4.5.3 Katalyse
Bei vielen Reaktionen reicht ein sprichwörtlicher oder wortwörtlicher Funken
um die Reaktion in Gang zu setzen. Durch eine initiale Energiezufuhr errei-
chen einige Teilchen die nötige kinetische Energie, um reaktiv zu stoßen. Die
dabei freiwerdende Energie kann dann von weiteren Teilchen aufgenommen
werden, die dann ebenfalls genügend Energie tragen um zu reagieren. Das
Zünden eines Knallgasgemisches aus Wasserstoff und Sauerstoff ist hierfür
ein Beispiel. Die Reaktion ist kinetisch gehemmt, so dass das reine Vermi-
schen der beiden Stoffe nicht ausreicht, um eine Reaktion in Gang zu setzen.
Führt man aber ein wenig Energie in Form von z. B. einer Flamme zu, rea-
giert das Gemisch sofort und vollständig.
Bei vielen auch industriell relevanten Reaktion ist leider eine einfache
Flamme nicht ausreichend um die Aktivierungsenergie zu überwinden. Um
den nötigen Energieeintrag zu senken kann man in vielen Fällen auf das
Konzept der Katalyse (von griechisch κατάλυσις (katalysis) für Auflösung)
zurückgreifen.
Im Gegensatz zur Thermodynamik ist es für die Kinetik einer Reaktion
sehr wohl von Bedeutung, auf welchem Weg sie verläuft. In den seltensten
Fällen verläuft eine Reaktion dabei in nur einem Schritt. Typisch ist ein
Kaskade aus Elementarreaktionen über zum Teil sehr kurzlebige Zwischen-
produkte. Die langsamste der Elementarreaktionen ist dann der geschwindig-
keitsbestimmende Schritt, der die gesamte Kinetik der Reaktion bestimmt. An
dieser Stelle entscheidet sich auch, von welchen Konzentrationen die Reakti-
onsgeschwindigkeit abhängig ist. Mit Hilfe eines Katalysators kann man den
Reaktionsweg ändern und über Elementarreaktionen mit geringerer Aktivie-
rungsenergie umleiten. Der Katalysator geht aus diesem Prozess unverändert
wieder hervor, ist also kein Edukt der Reaktion. Da er so immer wieder „re-
cyclet“ werden kann, sind nur sehr geringe Mengen von ihm in der Reakti-
onsmischung nötig.
Als Beispiel für eine Katalyse können wir wieder das des Knallgasgemi-
sches heranziehen. Die Oxidation von Wasserstoff wird durch Platin kataly-
siert. In Gegenwart von Platin können wir die Reaktion bei Raumtemperatur
ohne weitere Energiezufuhr in Gang setzen. Dies wird im Döbereiner Feuer-
zeug genutzt, um Feuer zu machen. Diese Reaktion ist ein Beispiel für eine
heterogene Katalyse, da Katalysator und Edukte in getrennten Phasen vor-
liegen. Bei einer homogenen Katalyse befinden sie sich in derselben Phase.
Wichtig ist es zu beachten, dass ein Katalysator nur Einfluss auf die Ki-
netik einer Reaktion nehmen kann. Die Thermodynamik, also die Reaktions-

77
Abbildung 4.2: Eine alternative Reaktionsroute verändert die Aktivierungs-
energie. Die Energien der Edukte und Produkte bleiben unverändert.

wärme bleibt unangetastet. In einem Satz zusammengefasst, können wir fest-


halten, dass ein Katalysator die Aktivierungsenergie einer Reaktion senkt13 .

4.5.4 Heterogene Reaktionen


Aufgrund der guten Demonstrierbarkeit wird im Chemieunterricht im Zu-
sammenhang mit der Reaktionsgeschwindigkeit gerne ein Experiment durch-
geführt, bei dem eine Substanz (z. B. Eisen) einmal „im Block“ und einmal
fein gepulvert verbrannt wird. Das Pulver reagiert dabei wesentlich heftiger
und schneller. Aus diesen Beobachtungen wird dann geschlossen, dass die Re-
aktionsgeschwindigkeit von der Oberfläche der Substanz abhängt. Gelegent-
lich werden auch obskure Begriffe wie „Zerkleinerungsgrad“ oder ähnliches
verwendet. Wenn wir uns die bislang aufgestellten Beschreibungen der Re-
aktionsgeschwindigkeit ansehen, stellen wir fest, dass nirgens die Oberfläche
in unseren Gleichungen auftaucht! Wir haben es hier also offensichtlich mit
einer deutlichen Diskrepanz zwischen Modell und Beobachtungen zu tun!
Diese Unstimmigkeit ist auf ein Detail zurückzuführen, dass im Che-
mieunterricht gerne unter den Tisch fallen gelassen wird. Unsere bisherigen
Überlegungen haben sich alle auf homogene Reaktionen bezogen. Die Ver-
13
. . . oder erhöht. Diese Möglichkeit wird vielfach vergessen, da sie technisch nicht gewollt
ist.

78
brennung eines Feststoffs an der Luft ist jedoch ein heterogener Prozess. Die
beiden Edukte liegen hier nicht in derselben Phase vor. Dadurch wird das
zu betrachtende System deutlich komplexer, da nicht nur wie bislang die
Mikrokinetik der Reaktion betrachtet werden muss, sondern auch auch die
Transportprozesse, die die Reaktanden in Kontakt bringen. Diese Transport-
prozesse sind von der Phasengrenzfläche, für Feststoffpartikel also von deren
Oberfläche, abhängig und häufig viel langsamer als die eigentliche Reaktion.
Dadurch ist es möglich in diesen Fällen die Reaktion deutlich zu beschleuni-
gen, in dem man die Oberfläche vergrößert. Bei heterogenen Reaktionen muss
also auch die Makrokinetik berücksichtigt werden. Für deren mathematische
Beschreibung sind jedoch aufwendige Differenzialgleichungen notwendig, die
aus gutem Grund in der Schule nicht behandelt werden und auch hier nicht
näher berücksichtigt werden sollen.

95. Wovon hängt die Reaktionsgeschwindigkeit ab?

96. Was bedeutet der Begriff Reaktionsordnung?

97. Was versteht man unter der Aktivierungsenergie?

98. Erklären Sie folgende Tatsachen:

a) Die Reaktion CH4 + 2 O2 −→ CO2 + 2 H2 O verläuft bei Raum-


temperatur extrem langsam, obwohl ∆G negativ ist.
b) Die Reaktion 2 NO + O2 −→ 2 NO2 verläuft sehr schnell, obwohl
∆G nur wenig negativ ist.

99. Was geschieht mit der Reaktionsgeschwindigkeit bei Temperaturerhö-


hung?

100. Was ist ein Katalysator und wie wirkt er?

101. Was versteht man unter heterogener Katalyse?

102. Wie wirkt der 3-Wege-Katalysator im Auto und welche Schadstoffe


werden zur Reaktion gebracht?

4.6 Chemische Gleichgewichte


Bislang sind wir davon ausgegangen, dass bei einer Reaktion die Edukte
vollständig in die Produkte überführt werden und am Ende der Reaktion
keine Edukte mehr vorhanden sind. Praktische Erfahrungen zeigen jedoch,
dass dies nicht der Fall ist. Wenn wir auf das Modell der stoßenden Teilchen

79
zurückgreifen, das wir eben bei unseren Überlegungen zur Reaktionskinetik
verwendet haben, ist dies auch leicht nachvollziehbar. Bei sinkender Edukt-
konzentration wird es immer unwahrscheinlicher, dass zwei Eduktmoleküle
sich treffen und reagieren.
In diesem Abschnitt wollen wir uns damit befassen, an welchem Punkt
einer Reaktion man makroskopisch keine Veränderung am System mehr be-
obachtet. Ist eine Reaktion so weit vorangeschritten, dass dieser Zustand
erreicht ist, spricht man davon, dass sich ein chemisches Gleichgewicht ein-
gestellt hat. Die Lage des Gleichgewichtes ist von Temperatur und Druck
abhängig und stellt sich bei Änderungen immer wieder neu ein. Starke kine-
tische Hinderung kann die Einstellung eines Gleichgewichts verhindern.
Beispiel :
Erhitzt man eine Knallgasgemisch kommt es zur explosionsarti-
gen Reaktion zu Wasser. Beim anschließenden Abkühlen verschie-
ben sich die Konzentration nicht wieder zu den Ausgangswerten.
Wasser zersetzt sich bei Raumtemperatur nicht freiwillig in Was-
serstoff und Sauerstoff wie es bei einer Gleichgewichtsreaktion der
Fall sein müsste. Die kinetische Hemmung verhindert also eine
Einstellung eines Gleichgewichts.
Ein typisches Beispiel für eine Reaktion die einen Gleichgewichtszustand
zeigt, ist die Reaktion von Wasserstoff mit Iod zu Iodwasserstoff. Hier ist
die Reaktion reversibel. Wichtige Bedingung ist allerdings, dass ein geschlos-
senes System vorliegt. Entweichen z. B. Gase dem System, verhindert dies
die Einstellung des Gleichgewichts.
Beispiel :
Ein chemisches Gleichgewicht symbolisiert man durch einen Dop-
pelpfeil. Die Reaktionsrichtung von links nach rechts nennt man
Hinreaktion, die in die Gegenrichtung Rückreaktion:

H2 + I2 2 HI

Verändert man Druck oder Temperatur bei dieser Reaktion stellt


sich eine neues Gleichgewicht ein. Kehrt man zu den ursprüngli-
chen Werten von Temperatur und Druck zurück, so findet man
auch wieder dieselben Konzentrationen der Edukte und Produk-
te.
Theoretisch kann man sich der Beschreibung dieses Gleichgewichtszustan-
des von zwei Seiten nähern, einerseits ausgehend von der Thermodynamik,
andererseits von Seiten der Kinetik.

80
Abbildung 4.3: links: Nach einer gewissen Zeit hat sich das Gleichgewicht ein-
gestellt und Geschwindigkeit der Hin- und Rückreaktion sind gleich. rechts:
Wenn sich das Gleichgewicht eingestellt hat, ändern sich die Konzentrationen
der Edukte und Produkte nicht mehr.

Die thermodynamische Betrachtung eines Gleichgewichtes verwendet den


Spezialfall, dass ∆G gleich Null ist. Wir haben gelernt, dass eine Reaktion
mit negativer Gibbs-Energie freiwillig abläuft, eine mit positiver nicht. Au-
ßerdem gilt, dass wenn man die Richtung einer Reaktion umkehrt sich das
Vorzeichen der Gibbs-Energie ändert. Läuft also die Reaktion von den Eduk-
ten zu den Produkten freiwillig ab, findet die entgegengesetzte Reaktion von
den Produkten zu den Edukten nicht freiwillig statt. Wenn wir jetzt den Fall
∆G = 0 haben heißt das also, dass sich weder in Richtung der Hin- noch in
Richtung der Rückreaktion etwas tut. Wir beobachten also keine Änderung
im Reaktionsgemisch mehr.
Bei einer kinetische Betrachtung vergleicht man die Reaktionsgeschwin-
digkeiten der Hin- und Rückreaktion. Bei Stößen in einem Reaktionsgemisch
muss man bei reversiblen Reaktionen davon ausgehen, dass Stöße nicht nur
zur Bildung der Produkte führen, sondern auch genauso zu Rückbildung der
Edukte. Nach einiger Zeit stellt sich aber ein Zustand ein, bei dem genau
so viele Edukte zu Produkten umgesetzt werden, wie umgekehrt, das heißt
die Reaktionsgeschwindigkeiten der Hin- und Rückreaktion sind gleich (siehe
Abbildung 4.3). Die Reaktion ist also mikroskopisch nicht beendet, wir be-
obachten makroskopisch aber keine Veränderung des Systems mehr. Deshalb
spricht man bei einem chemischen Gleichgewicht von einem dynamischen
Gleichgewicht.

81
4.6.1 Das Prinzip von le Chatelier
Wir haben bereits gelernt, dass ein Gleichgewicht auf Änderungen von Tem-
peratur und Druck reagiert. Auch eine Entfernung oder Zugabe eines Pro-
dukts oder Edukts, also eine Änderung der Konzentrationen führt zu einer
Verschiebung des Gleichgewicht. Wir haben also geklärt, dass ein Gleichge-
wicht auf die Änderung von verschiedenen Größen reagiert, aber wir wissen
noch nicht, wie es reagiert.
Henri Louis le Chatelier und Karl Ferdinand Braun haben erkannt:
„Übt man auf ein System, welches sich im Gleichgewicht befindet, durch
Druck-, Temperatur- oder Konzentrationsänderung einen Zwang aus, so ver-
schiebt sich das Gleichgewicht, bis sich ein neues Gleichgewicht einstellt, bei
dem dieser Zwang vermindert ist.“ Konkret heißt das z. B. wenn der Druck
erhöht wird, verschiebt sich das Gleichgewicht so, dass der Anteil der gasför-
migen Stoffe verringert wird. Es reagiert also so, das eine äußerer „Zwang“
eine möglichst geringe Auswirkung hat. Man spricht daher auch vom Prinzip
des kleinsten Zwangs.

4.6.2 Das Massenwirkungsgesetz


Um die im Gleichgewichtszustand vorliegenden Konzentrationen auch quan-
titativ zu bestimmen verwendet man das sogenannte Massenwirkungsgesetz.
Das Massenwirkungsgesetz für eine Reaktion wird aufgestellt, in dem man
die Gleichgewichtskonzentrationen der Produkte durch die Gleichgewichts-
konzentrationen der Edukte teilt. Dieser Quotient ist für eine gegeben Tem-
peratur und einen gegebenen Druck konstant.
Beispiel :
Für eine allgemeine Reaktion:

aA + bB cC + dD

erhält man eine Massenwirkungsgesetz der Form

[C]c · [D]d
K=
[A]a · [B]b
K ist eine Funktion von Temperatur und Druck, das heißt für ge-
änderte Temperatur- und Druckverhältnisse ändert sich auch das
Verhältnis der Produkt- zu Eduktkonzentrationen. Ein Wert von
K größer als 1 bedeutet, dass das Gleichgewicht auf der Seite der
Produkte liegt, ein Wert kleiner als 1 besagt, dass das Gleichtge-
wicht auf der Seite der Edukte liegt.

82
Auf diese Art und Weise kann für jede Reaktion eine entsprechende Gleichung
aufgestellt werden. Es ist zu beachten, dass die Verwendung der Konzentra-
tionen nur eine idealisierte Näherung ist. Für eine exakte Behandlung ist es
nötig anstelle der Konzentrationen die Aktivitäten zu verwenden. Die Akti-
vitäten sind durch einen experimentell zu bestimmenden Faktor korrigierte
Konzentrationen. Bei stark verdünnten Lösungen ist dieser Korrekturfaktor
in guter Näherung gleich 1, das heißt es kann mit den Konzentrationen ge-
rechnet werden.

103. Formulieren Sie das Massenwirkungsgesetz für die aufgeführten Reak-


tionen mit Gleichgewichtskonstanten Kp .

a) 2 H2 S(g) + CH4 (g) CS2 (g) + 4 H2 (g)


b) 2 Pb3 O4 (s) 6 PbO(s) + O2 (g)
c) H2 (g) + CO2 (g) H2 O(g) + CO(g)
d) 4 NH3 (g) + 5 O2(g) 4 NO(g) + 6 H2 O(g)

104. Auf welche Seite verschieben sich die Gleichgewichte von Aufgabe 0a–
0d bei Druckerhöhung?

105. 2 NO2(g) N2 O4(g) mit ∆H = −61, 5 kJ/mol

a) Welche Reaktion ist endotherm?


b) Wie wirkt sich Erwärmung auf die Lage des Gleichgewichts aus?
c) Wie verschiebt sich der Gleichgewichtszustand bei Druckerhöhung?

106. Für die Reaktion N2 (g) + O2 (g) 2 NO(g) ist KC = 4, 08 · 10−4 bei
2000 K und 3, 60 · 10−3 bei 2500 K.

a) Ist die Reaktion exo- oder endotherm?


b) In welche Richtung verläuft die Reaktion wenn 0, 060 mol N2 (g) ,
0, 075 mol O2 (g) und 0, 00025 mol NO(g) in einem 1 Liter-Gefäß bei
2000 K vermischt werden?

107. Wasserstoff und Iod reagieren zu Iodwasserstoff mit Kc = 54, 3.

a) Formulieren Sie das Massenwirkungsgesetz für diese Reaktion.


b) Ein Kolben mit einem Volumen V = 1 l wurde mit 0, 1 mol Wasser-
stoff und 0, 1 mol Iod gefüllt. Wie viel mol Iodwasserstoff werden
daraus gebildet?

83
c) Warum ist das Volumen des Reaktionsgefäßes bei dieser Berech-
nung unerheblich?
d) Wie viel mol Wasserstoff und Iod werden gebildet, wenn 0, 1 mol
Iodwasserstoff eingefüllt wurde?
e) Berechnen Sie die Ausbeute (erzeugte Produktmenge dividiert
durch Produktmenge bei vollständiger Umsetzung) für Aufgabe 0b.

108. Zwei Moleküle Schwefeldioxid reagieren mit einem Molekül Sauerstoff


zu zwei Molekülen Schwefeltrioxid.

a) Formulieren Sie das Massenwirkungsgesetz für diese Reaktion.


b) Ein Kolben mit einem Volumen V = 1 l wurde mit 0, 4 mol Schwe-
feldioxid und 1, 1 mol Sauerstoff gefüllt. Nach einiger Zeit sind
0, 2 mol Schwefeltrioxid entstanden. Berechnen Sie die Gleichge-
wichtskonstante.
c) Ein Kolben mit einem Volumen V = 1 l wurde mit 4 mol Schwe-
feldioxid 2 mol Sauerstoff 3 mol Schwefeltrioxid gefüllt. In welcher
Richtung läuft die Reaktion?

109. 1 mol ONCl(g) wurde bei 500 K in ein 1 Liter-Gefäß eingebracht. Es


stellt sich das Gleichgewicht ein, wenn 9% des ONCl dissoziiert sind:
2 ONCl(g) 2 NO(g) + Cl2 (g) . Wie groß ist Kc ?

110. a) Formulieren Sie das Massenwirkungsgesetz für die Ammoniaksyn-


these.
b) Ein Kolben mit einem Volumen V = 1 l wurde mit 0, 24 mol
Stickstoff und 0, 32 mol Wasserstoff gefüllt. Nach einiger Zeit sind
0, 08 mol Ammoniak entstanden. Berechnen Sie die Gleichgewichts-
konstante Kc .

111. 0, 074 mol PCl5 (g) werden in ein 1 Liter-Gefäß gebracht. Nachdem sich
das Gleichgewicht PCl5 PCl3 + Cl2 eingestellt hat, ist die Konzen-
tration von PCl3 0, 05 mol/l. Berechnen Sie die Gleichgewichtskonzentra-
tionen von Cl2 und PCl5 und die Gleichgewichtskonstante Kc .

112. Für das Gleichgewicht H2 O + CO H2 + CO2 ist Kc = 1, 30 bei 750 ◦ C.


Wenn 0, 6 mol CO und 0, 6 mol H2 O bei 750 ◦ C in einem 1 Liter-Gefäß
gemischt werden, welche Konzentrationen stellen sich für die vier Sub-
stanzen ein?

84
4.6.3 Löslichkeiten
Auch die Löslichkeiten von Verbindungen lassen sich mit Hilfe des Konzep-
tes des Gleichgewichtes theoretisch erfassen. Das Gleichgewicht, das man
betrachtet, ist jenes zwischen dem ungelösten Bodensatz und der Lösung.
Für ein beliebiges Salz Aa Bb betrachten wir:
b+
Aa Bb(s) + H2 O a A(aq) + b Ba+
(aq) (4.28)

Wir stellen nach bekanntem Konzept das Massenwirkungsgesetz auf:

[Ab+ ]a [Ba+ ]b
K= (4.29)
[Aa Bb ][H2 O]

Da Wasser gleichzeitig Lösungsmittel ist, können wir davon ausgehen, dass


die bei der Reaktion anfallende Menge Wasser auf die Konzentration einen
vernachlässigbaren Einfluss hat. Wir können die Konzentration des Lösungs-
mittels also in die Konstante miteinbeziehen. Darüberhinaus ergibt sich ein
weitere Besonderheit für Feststoffe. Die Aktivität eines reinen Feststoffs im
Gleichgewicht ist gleich 1, dass heißt, sie kann in unserer Aufstellung entfal-
len. Wir erhalten auf diesem Weg, das Löslichkeitsprodukt KL des Salzes:

KL = [Ab+ ]a [Ba+ ]b (4.30)

Dieses Löslichkeitsprodukt steht im direkten Zusammenhang mit der Sätti-


gungkonzentration, also der maximalen Stoffmenge, die pro Volumen gelößt
werden kann:
r
[Ab+ ] [Ba+ ] a+b KL
L= = = (4.31)
a b aa · b b
Die Konzentrationen der Ionen sind für die Löslichkeit die entscheidende Grö-
ße. Da pro Formeleinheit eines Salzes aber evtl. mehr als ein Ion freigesetzt
wird (z. B.CaCl2 setzt zwei Chloridionen pro Formeleinheit beim Lösen frei),
müssen die Konzentrationen um die stochiometrischen Faktoren korrigiert
werden.

113. Welche Beziehung besteht zwischen dem Massenwirkungsgesetz und


dem Löslichkeitsprodukt?

114. Wann gilt das Löslichkeitsprodukt?

115. Formulieren Sie das Löslichkeitsprodukt für: BaF2 , Hg2 Cl2 , Ag2 CrO4 ,
Fe(OH)3 , Ca3 (PO4 )2 .

85
116. Bei 25 ◦ C lösen sich 1, 7 · 10−5 mol/l Cd(OH)2 . Wie groß ist KL ?

117. Welche Verbindungen sind besser löslich?

• CaSO4 oder BaSO4 ?


• MgCO3 oder Ag2 CO3 ?

118. Das Löslichkeitsprodukt von CaCO3 beträgt 4, 8 · 10−9 mol2/l2 . Wieviel


Mol bzw. Milligramm CaCO3 lösen sich in einem Liter Wasser?

119. Was versteht man unter dem Ionenprodukt?

120. Man fügt 10 ml einer gesättigten PbCl2 -Lösung sowie 10 ml einer 0, 2


molaren KI-Lösung zusammen in ein Gefäß. Fällt der Feststoff PbI2
aus? KL (PbI2 ) = 8, 7 · 10−9 mol3/l3 ; KL (PbCl2 ) = 3, 6 · 10−2 mol3/l3

121. Welche Fluorid-Konzentration ist nötig, damit aus einer gesättigten


SrSO4 -Lösung SrF2 auszufallen beginnt? KL (SrSO4 ) = 7, 6 · 10−7 mol2/l2 ;
KL (SrF2 ) = 7, 9 · 10−10 mol3/l3

122. KL beträgt für Magnesiumcarbonat 10−5 mol2/l2 . Wie viel Gramm Ma-
gnesiumcarbonat lösen sich in 15 l Wasser?

4.7 Säure/Base-Reaktionen
Bei Säuren und Basen handelt es sich um große Gruppen von Verbindun-
gen, die gemeinsame Eigenschaften zeigen. Die ursprüngliche Klassifizierung
geht schlicht auf den sauren Geschmack14 von Säuren zurück. Mit weiter-
reichenden Erkenntnisse hat sich auch gewandelt welche Substanz als Säure
oder Base zu bezeichnen ist. Im folgenden sollen die wichtigsten Säure/Base-
Theorien vorgestellt werden.

4.7.1 Theorie nach Arrhenius


Eine erste Definition stammt von Svante Arrhenius. Er schloss aus der Be-
obachtung, dass Säuren unter Entwickelung von Wasserstoffgas unedle Metal-
le auflösen können15 , dass eine Säure immer eine Wasserstoffkation beinhalten
14
Geschmacksproben sind aus gutem Grund außer Mode geraten. Noch zu Beginn des
20. Jahrhunderts gehörte eine Geschmacksprobe zu einer vollständigen Charakterisierung
einer neu entdeckten Verbindung!
15
ein Redox-Prozess. Siehe Abschnitt 4.8.

86
muss. Ebenfalls stellte erfest, dass in basischen Lösungen immer Hydroxidio-
nen vorliegen. Daraus entwickelte er folgende Defintionen von Säuren und
Basen:
• Säure: Eine Säure ist eine Substanz, die in Lösung Protonen freisetzen
kann. Das entstehende Anion bezeichnet man als Säurerestion.

Säure −→ H+ + Säurerest−

• Base: Eine Base ist eine Substanz, die in Lösung Hydroxidionen frei-
setzen kann. Das ebenfalls entstehende Kation wird als Basenrest be-
zeichnet.

Base −→ OH− + Basenrest+

Mit diesem Konzept kann man auch erklären, dass wenn man Säuren und
Basen mischt sie ihre besonderen Eigenschaften verlieren. Diese Reaktion
bezeichnet man als Neutralisation. Das Proton und das Hydroxidion bilden
zusammen ein Wassermolekül und es ensteht eine wässrige Salzlösung gebil-
det aus dem Säure- und Basenrest.

H+ + Säurerest− + OH− + Basenrest+ −→ H2 O + Salz(aq)

Neutralisationsreaktionen werden in der Maßanalyse verwendet um festzu-


stellen wie sauer oder basisch eine Lösung ist. Die Methode hierfür wird
Titration genannt und später näher vorgestellt werden.
Die Grenzen des Modells von Arrhenius zeigen sich z. B. bei Verbindun-
gen wie Ammoniak, die offensichtlich basische Eigenschaften haben, aber kein
Hydroxidion beinhalten. Dieses Problem konnten Johannes Nicolaus Brøns-
ted und Thomas Martin Lowry beheben.

4.7.1.1 H+ in wässriger Lösung


Ein Wasserstoffkation ist nicht anderes als ein Proton. Wir haben es also mit
einem Atom ohne Elektronenhülle zu tun. Daraus ergibt sich unmittelbar,
das wir bezogen auf das Atom- bzw. Ionenvolumen eine sehr hohe Ladung
haben. Dies ist ein energetisch ungüstiger Zustand und ein isoliertes Proton
wird daher nicht beobachtbar sein. In wässriger Lösung bilden sich immer
Aggregate mit Wasser, so dass die Ladung über einen größeren Raum ver-
teilt werden kann. In Reaktionsgleichugen berücksichtigt man dies dadurch,
dass man H3 O+ schreibt, um eine Wasserstoffkation zu repräsentieren. Unter-
suchungen zeigen, dass dies jedoch nur eine näherungshafte Beschreibung ist
und die Aggregate auch mehr als nur ein Wassermolekül enthalten können.

87
4.7.2 Theorie nach Brønsted
Johannes Nicolaus Brønsted und Thomas Martin Lowry stellten unab-
hängig von einander eine Säure/Base-Theorie auf, die das oben geschilderte
Problem beheben konnte. Die Definition einer Säure übernahmen sie unver-
ändert von Arrhenius, veränderten aber die Definition der Base um den
bis dato nicht erklärten Beobachtungen gerecht zu werden. Nach Brønsted
und Lowry definieren sich Säuren und Basen wie folgt:

• Säure: Eine Säure ist eine Substanz, die Protonen freisetzen kann, man
verwendet daher auch den Begriff Protonendonator und bezeichnet die
Reaktion als Protolyse.

HA −→ H+ + A− oder auch HA+ −→ H+ + A

• Base: Eine Base ist eine Substanz, die Protonen aufnehmen kann und
benutzt daher synonym das Wort Protonenakzeptor.

B + H+ −→ HB+ oder auch H+ + B− −→ HB

Diese Definition macht aus dem Säurerestion des Modells von Arrhenius
eine Base und wir erhalten zu jeder Säure direkt eine korrespondierende Base.
Man spricht daher auch von einem korrespondierenden Säure/Base-Paar.

Säure H+ + Base (4.32)

Kann eine Verbindung sowohl Protonen aufnehmen als auch abgeben, be-
zeichnet man sie als Ampholyt (von griechisch αμφίς (amphis) für auf beiden
Seiten und λύσις (lysis) für Auflösung ) bzw. ihr Verhalten als amphoter (von
griechisch ἀμφοτέρως (amphoteros) für auf beiderlei Art). Grundsätzlich gilt,
dass eine freies Proton nicht existenzfähig ist, daher handelt es sich bei jeder
Säure/Base-Reaktion um eine Protonenübertragung. Damit ergibt sich, dass
immer zwei korrespondierende Säure/Base-Paare beteiligt sein müssen.

Beispiel :
Löst man Chlorwasserstoffgas in Wasser kommt es zu einer Pro-
tolyse. Das frei werdende H+ wird von einem Wassermolekül auf-
genommen.

88
Paar 1: HCl/Cl−

HCl + H2 O Cl− + H3 O+

Paar 2: H3 O+ /H2 O
Es sind also die Paare HCl/Cl− und H3 O+ /H2 O an der Reaktion
beteiligt.
Aus dieser Beschreibung können wir allerdings noch nicht ersehen, ob diese
Reaktion so abläuft. Wir benötigen also noch ein Modell, mit dem wir be-
schreiben können, ob ein Säure/Base-Paar eher in Form der Säure oder in
Form der Base vorliegt.

4.7.2.1 Säure- und Basekonstanten


Der in Gleichung 4.32 verwendete Doppelpfeil deutet bereits an, wie man ein
Säure/Base-Paar quantitativ beschreiben kann. Wir können an dieser Stelle
nämlich auf das chemische Gleichgewicht zurückgreifen. Wir haben gelernt,
das immer eine zweites Säure/Base-Paar notwendig ist, da ein isoliertes H+
nicht existenzfähig ist. Aus praktikablen Gründen verwendet man H3 O+ /H2 O
bzw. H2 O/OH− als zweites Paar. Die vollständige Protolysereaktion einer
Säure HA lautet dann:
HA + H2 O H3 O+ + A− (4.33)
Wie oben gelernt, können wir für diese Reaktion folgendes Massenwirkungs-
gesetz aufstellen:
[H3 O+ ][A− ]
K= (4.34)
[HA][H2 O]
Da Wasser gleichzeitig auch das Lösungsmittel der Reaktion ist, können wir
in guter Näherung davon ausgehen, dass sich die Konzentration des Wasser
im Verlauf der Reaktion nicht ändert. Wir können [H2 O] also als Konstante
betrachten und mit K zusammenfassen. Um dies zu verdeutlichen, führen
wir das Symbol KS ein und nennen die Gleichgewichtskonstante jetzt Säure-
konstante. Dieses Vorgehen kennen wir bereits vom Löslichkeitsprodukt.
[H3 O+ ][A− ]
KS = (4.35)
[HA]

89
Da das Gleichgewicht nur auf der einen oder der anderen Seite liegen kann,
wird sofort ersichtlich, dass eine Säure, die ihr Proton sehr bereitwillig ab-
gibt, immer zu einer Base gehören muss, die nur sehr schlecht eine Proton
aufnimmt und umgekehrt. Zu einer starken Säure gehört immer eine schwa-
che Base und umgekehrt.
Für verschiedene Säure/Base-Paare werden sehr große Bereiche von KS -
Werte abgedeckt. Daher verwendet man üblicherweise den pKS -Werte, eine
logaritmische Größe, um zu besser handhabbaren Zahlenwerten zu gelangen:

pKS = − lg KS (4.36)

Je größer pKS wird, desto mehr HA liegt in der Lösung vor. Auf analogem
Weg kann man auch für Basen einen pKB -Wert aufstellen. Werte für gängige
Säuren und Basen sind im Anhang Abschnitt C tabelliert.

4.7.2.2 Der pH-Wert


Neben der Kenntnis wie groß die Tendenz einer Säure ist, ihr Proton in
Wasser abzuspalten, ist es praktisch auch von Interesse, wie groß die Kon-
zentration der Protonen in einer Lösung tatsächlich ist.
Um das genau zu bestimmen, müssen wir uns zunächst mit den Eigen-
schaften von Wasser näher vertraut machen. Wie wissen bereits, dass Wasser
amphoter ist. Daraus resultiert, dass wir für eine Säure/Base-Reaktion die
Säure/Base-Paare H3 O+ /H2 O und H2 O/OH− kombinieren können und fol-
gende Reaktion erhalten:

H2 O + H2 O H3 O+ + OH− (4.37)

Diese Reaktion bezeichnet man als Autoprotolysereaktion. Auch für dieses


Gleichgewicht können wir ein Massenwirkungsgesetz aufstellen und die Kon-
zentration des Wassers wie schon bei den Säure- und Basekonstanten in die
Gleichgewichtskonstante miteinbeziehen. Für dieses besondere Gleichgewicht
verwenden wir das Symbol KW und die Bezeichnung Ionenprodukt:

KW = [H3 O+ ] · [OH− ] = 10−14 mol2/l2 bei 25 ◦ C (4.38)

Wir stellen also fest, dass auch in reinem Wasser ein geringer Anteil an H3 O+ -
und OH− -Ionen vorhanden ist16 . Da die Konzentration gleich groß sein müs-
sen haben wir also jeweils eine Konzentration von 0, 0000001 oder 10−7 mol/l
H3 O+ - bwz. OH− -Ionen. Bei sehr verdünnten Lösungen oder sehr schwachen
16
nach etlichem Hin und Her jetzt die entgültige Antwort: Ja, Wasser leitet den elektri-
schen Strom! Auch reines!

90
Säuren bzw. Basen also eine durchaus relevante Menge. Außerdem erklärt
diese Formel, dass wenn wir durch eine Säure den Anteil an H3 O+ -Ionen er-
höhen automatisch die Konzentration der OH− -Ionen senken. Wie auch schon
bei den Säure- und Basekonstanten können wir für bequemere Zahlenwerte
auf eine Exponentialdarstellung zurückgreifen:

pH = − lg[H3 O+ ] bzw. pOH = − lg[OH− ] (4.39)

Gleichung 4.38 analog umgeformt ergibt dann:

pKW = pH + pOH = 14 bei 25 ◦ C (4.40)

Exkurs: Titration
Die Tatsache, dass sich Säure und Basen gegenseitig in ihren besonderen Ei-
genschaften neutralisieren kann man für quantitative Bestimmung benutzen.
Man benötigt lediglich eine Maßlösung und ein präzises Volumenmessgerät
(üblicherweise eine Bürette). Eine Maßlösung ist eine Lösung mit bekannter
sehr exakt eingestellter Konzentration. Durch tropfenweise Zugabe der Maß-
lösung mittels einer Bürette zu einer Probelösung unbekannter Konzentra-
tion, führt man eine Neutralisationsreaktion durch. Mit Hilfe des Volumens
der vorgelegten Problösung, dem mit der Bürette bestimmten Volumen der
verbrauchten Maßlösung und der Konzentration der Maßlösung kann man
dann die gesuchte Konzentration der Probelösung bestimmen.
Die für unsere Betrachtung benötigte Reaktion, ist die Reaktion von Hy-
droniumionen mit Hydroxidionen zu Wasser.

H3 O+ + OH− −→ 2 H2 O (4.41)

Aus dieser Gleichung können wir entnehmen, dass am Punkt der Neutralisa-
tion die Zahl von Hydroniumionen und Hydroxidionen gleich sein muss. Es
gilt also (S wird im folgenden als kurz für Säure verwendet, B für Base):

nS = nB (4.42)

Mit Hilfe der Definition der Konzentration erhalten wir durch Umformen:
n
VS · cS = VB · cB aus c = (4.43)
V
Die beiden Volumina sind uns bekannt durch Vorgabe bzw. experimentel-
le Bestimmung und eine der Konzentrationen ist durch unsere Maßlösung
gegeben. Wir können jetzt also problemlos die gesuchte Konzentration be-
stimmen.

91
Abbildung 4.4: Titrationskurven. Das Volumen der Maßlösung (hier starke
Base) wird gegen den pH-Wert aufgetragen. links: einprotonige Säure, rechts:
zweiprotonige Säure. An den Wendepunkten der Kurven entspricht der pH-
Wert dem pKS -Wert.

Ein Details ist allerdings noch wichtig zu beachten: mehrprotonige Säuren


setzen pro Formeleinheit mehr als ein Protonen frei. Wie auch schon bei den
Löslichkeiten wird dies in Form eines Faktors berücksichtigt. x beschreibt
die Zahl der Protonen die pro Formeleinheit Säure freigesetzt werden und y
die Zahl der Hydroxidionen die pro Formeleinheit von der Base freigesetzt
werden.
x · VS · cS = y · VB · cB (4.44)
Zur Detektion des Neutralpunktes verwendet man Indikatoren, die abhängig
von pH-Wert ihre Farbe wechseln oder elektronische Meßgeräte, mit den man
den pH-Wert über den gesamten Verlauf der Maßlösungszugabe dokumen-
tiert und aus der Titrationskurve die Auswertung vornimmt (Beispiele für
Titrationkurven siehe Abbildung 4.4). Alternativ kann auch die Leitfähig-
keit der Lösung den Neutralpunkt anzeigen.

4.7.3 Theorie nach Lewis


Die Theorie von Lewis17 geht noch eine Stritt weiter bei der verallgemeiner-
ten Anwendung des Säure/Base-Konzeptes. Eine Brønstedt-Base stellt dem
Proton ein Elektronenpaar bei einer Neutralisationsreaktion zur Verfügung.
Das Konzept ist aber auf die Existenz eine Proton beschränkt. Lewis er-
weitert das Konzept in sofern, dass es eine beliebiges Atom sein kann, dass
das Elektronenpaar aufnimmt. Damit ergeben sich folgende Definitionen von
Säure und Basen:
17
derselbe, dem wir auch die Darstellungsweise für Molekülstrukturen verdanken.

92
• Säure: Eine Säure ist eine Substanz, die ein Elektronenpaar aufneh-
men kann, also ein Elektronenpaarakzeptor. Es liegen also unbesetzte
Orbitale in der Valenzschale vor.

• Base: Eine Base ist eine Substanz, die ein Elektronenpaar zur Verfü-
gung stellen kann, also ein Elektronenpaardonor.

Bei einer Neutralisationsreaktion nach Lewis wird also eine kovalente Bin-
dung gebildet.

A + B A B

123. Wie lautet die Brønsted-Definition für Säuren und Basen?

124. Was versteht man unter Protolyse?

125. Vergleichen Sie die Vorgänge beim Lösen von Natriumchlorid und Chlor-
wasserstoff in Wasser.

126. Geben Sie zu folgenden Säuren und Basen ihre konjugierten Basen bzw.
− −
Säuren an: HBr, NH+ 2− − 3+
4 , O , CN , HCO3 , Fe(H2 O)6 , HSO4 und PO4
3−

127. Berechnen Sie den pH-Wert einer Lösung von 5 · 10−4 mol/l HCl in Was-
ser.

128. Berechnen Sie den pH-Wert einer Lösung von 0, 05 mol/l NaOH in Was-
ser.

129. Berechnen Sie den pH-Wert einer Lösung von 0, 02 mol/l Ba(OH)2 in
Wasser.

130. Wie groß sind die Konzentrationen [H+ ] und [OH− ] bei einem pOH-
Wert von 0,16?

131. Bestimmen Sie die Konzentration aller Teilchen in einer 0, 1 molaren


Lösung von Salpetriger Säure. Welchen pH-Wert hat die Lösung? KS =
4, 5 · 10−4 mol/l.

132. Propansäure (C2 H5 COOH), eine einbasige Säure, ist bei einer Konzen-
tration von 0, 25 mol/l zu 0, 72% dissoziiert. Wie groß ist die Säurekon-
stante?

133. Wie viel Mol Chlorige Säure benötigt man, um 500 ml einer Lösung mit
pH = 2, 6 herzustellen?

93
134. Um die Konzentration von 50 ml einer Schwefelsäure zu ermitteln, neu-
tralisierte man diese mit einer Natronlauge, die zuvor aus 40 g festem
Natriumhydroxid durch Auffüllen mit Wasser auf 1 l hergestellt wurde.
Berechnen Sie die Konzentration der Schwefelsäure, wenn zur Neutrali-
sation 61, 0 ml Natronlauge (hergestellt wie oben angegeben) benötigt
wurden.

135. 3, 5 g verunreinigtes KOH werden gelöst und mit H2 O auf 500 ml aufge-
füllt. 25, 0 ml verbrauchen bei der Titration 28, 35 ml Salzsäure (0, 1 mol/l).
Welchen Massenanteil an KOH enthält der Ausgangsstoff?

136. Um den Kalkgehalt einer Erde zu bestimmen, übergoss man 5 g der


Erde mit 10 ml 1 molarer Salzsäure. Ein Teil davon reagierte nach:

2 HCl + CaCO3 CO2 + H2 O + CaCl2

Die unverbrauchte Salzsäure wurde mit 2, 5 ml NaOH (cNaOH = 1 mol/l)


neutralisiert. Wie viel Massenprozent Kalk enthielt die Erde?

137. Welche der folgenden Teilchen sind Lewis-Säuren bzw. Lewis-Basen:


N2 H4 , BCl3 , F− , PF5 , AlCl3 , SiCl4 , CN− , Cr3+ , CO2− 2−
3 , S .

4.8 Redox-Reaktionen
Der Begriff „Redox-Reaktion“ ist eine Zusammensetzung aus den Wörtern
„Reduktion“ und „Oxidation“. Wir haben weiter oben gelernt, dass es sich
bei einer Oxidation um eine Reaktion unter Elektronenabgabe und bei ei-
ner Reduktion um eine Reaktion unter Elektronenaufnahme handelt. Eine
Redox-Reaktion ist damit eine Reaktion, bei der eine Elektronenübertragung
von einem Atom auf ein anderes stattfindet. Den Formalismus für die Be-
schreibung von Elektronenübertragungen (Oxidationszahlen) haben wir be-
reits in Abschnitt 4.3.1 kennengelernt.
Im folgenden wollen wir klären, welche Bedingungen nötig sind, damit
es zu einer Übertragung von Elektronen kommt. Außerdem wollen wir nä-
her betrachten, was passiert, wenn wir Oxidation und Reduktion räumlich
trennen.
Aufmerksamen Leser(\B|inne)n ist die Analogie zu den Brønstedt-Säuren
aufgefallen. Eine freies Elektron kann genausowenig existieren wie ein freies
Proton, deshalb sind immer zwei Redox-Paare gekoppelt.

94
0 +I
A −→ A + e− Oxidation
0 −I
B + e− −→ B Reduktion
0 0 +I −I
A + B −→ A B Gesamtreaktion
Ein weniger abstraktes Beispiel wäre die Reaktion von Chlor-
gas mit elementaren, metallischem Natrium zu Natriumchlorid
(Kochsalz). Es bleibt noch zu klären, warum es genau A ist das
oxidiert wird und nicht B und woran man das erkennen kann.
Betrachtet man die beiden Teilreaktionen genau stellt man fest, dass wenn
man die Reaktionsrichtung tauscht aus der Oxidation eine Reduktion wird
und umgekehrt. Wie bei den Säuren und Basen nach Brønstedt haben wir
also ein konjungiertes Paar. Man spricht hier von der reduzierten und oxidier-
ten Form. In Analogie zur Säurestärke stellt sich sofort die Frage, welche der
beiden Formen bei einem bestimmten Atom oder Molekül bevorzugt vorliegt.
Dies kann mit Hilfe des elektrochemischen Standardpotentials E 0 beschrieben
werden (siehe auch Anhang Abschnitt C). Dazu später mehr.

4.8.1 Elektrochemie
Um das Standardpotential verstehen zu können, müssen wir uns zunächst
mit den Details von Redox-Reaktionen vertraut machen. Ein für das Ver-
ständnis des Standardpotentials essentielles Detail ist, dass man Oxidation
und Reduktion einer Reaktion räumlich voneinander trennen kann.

4.8.1.1 Galvanische Elemente


Möchte man z. B. elementares Zink mit Kupfersulfat reagieren lassen, wäre
die gewöhnliche Vorgehensweise ein wässrige Lösung von Kupfersulfat anzu-
setzen, das Zink einfach zuzugeben und so lange zu rühren bis die Reaktion
abgeschlossen ist. In diesem Fall finden die Reaktion von Zink und Kupfer-
sulfat zu elementarem Kupfer und Zinksulfat am selbem Ort statt.
0 +II
Zn −→ Zn + 2 e− + SO2−
4 Oxidation
+II 0
Cu + SO2− −
4 + 2 e −→ Cu Reduktion
0 +II +II 0
Zn + CuSO4 −→ ZnSO4 + Cu Gesamtreaktion

Trennen wir nun die beiden Teilreaktionen räumlich, fällt sofort auf, dass
die Elektronen und Anionen vor und nach der Reaktion an verschiedenen

95
Orten auftauchen. Wir müssen unseren Reaktionsaufbau also so realisieren,
dass Elektronen und Anionen von einem Teil des Reaktors18 in den anderen
transportiert werden können. Die getrennten Teilbereiche der Reaktionsappa-
ratur bezeichnet man als Halbzellen, die gesamte Apparatur als galvanisches
Element oder galvanische Zelle nach Luigi Galvani.
Der schematische Aufbau einer galvanischen Zelle ist in Abbildung 4.5 zu
sehen. Eine Halbzelle besteht jeweils aus einer Elektrode, das ist im einfachs-
ten Fall ein Stab des entsprechenden Elementes, und einer Salzlösung des
Elementes. Es liegen also sowohl die oxidierte, als auch die reduzierte Form
parallel vor. Je nach ihrer Funktion in der Redox-Reaktion erhalten die Elek-
troden spezielle Namen. Die Kathode (von griechisch κάθοδος (kathodos) für
Weg nach unten) ist die Elektrode, zu der sich die Kationen hinbewegen und
an der die Reduktionsreaktion des Redoxprozesses stattfindet. Bei Batterien
ist sie der +-Pol. Die zweite Elektrode wird als Anode (von griechisch ἄνοδος
(anodos) für Weg nach oben) bezeichnet. Hier läuft die Oxidation in der Zelle
ab und liegt der −-Pol. Von der Anode werden die Anionen angezogen.
An dieser Stelle ist es wichtig auf eine verwirrende Systematik hinzuwei-
sen. Nach allem was wir bislang gelernt haben, ist es nicht sinnvoll, dass sich
Kationen auf den +-Pol einer Batterie zubewegen sollen und Anionen auf
den −-Pol. Dieses Durcheinander verdanken wir Benjamin Franklin, der
zwar richtig erkannte, dass es sich bei elektrischem Strom um bewegte La-
dungen handelt, aber nicht die nötigen Experimente durchführen konnte, um
das Vorzeichen dieser Ladungen zu bestimmen. Leider hat er damals falsch
geraten.
Zum Transport der Elektronen von einer Elektrode zur anderen verwendet
man einen elektrischen Leiter, also schlicht ein Kabel. Der Transport der
Anionen wird dadurch bewerkstelligt, dass die beiden Halbzellen nicht völlig
isoliert werden, sondern nur durch eine poröse Wand, die nur für die Anionen
aber nicht für die Kationen durchlässig ist, getrennt werden. Die Anionen
können sich also einfach durch dieses Diaphragma hindurchbewegen. Ist der
Transport von Anionen und Elektronen gewährleistet, beginnt die Reaktion.
In unserem Kabel werden wir dann einen elektrischen Strom beobachten,
da elektrischer Strom nichts weiter als bewegte Elektronen ist. Damit sich
die Elektronen in Bewegung setzen, muss eine Potentialdifferenz, also eine
elektrische Spannung zwischen den beiden Halbzellen vorliegen.
An dieser Stellen kommen wir dann wieder beim Ausgangspunkt unserer
Überlegungen an. Richtung des Stromflusses und die Spannung zwischen den
18
für die Kombination von Zn und Cu spricht man von einem Daniell-Element, benannt
nach John Frederic Daniell, der die ursprüngliche Konstruktionsform dieser einfachen
Batterie entwickelte.

96
Abbildung 4.5: Schematische Darstellung einer galvanischen Zelle. Die Elek-
tronen fließen von der Anode A zur Katode B. Dabei löst sich die Anode auf
und geht in oxidierter Form in die Lösung über. Die Katode wächst, dadurch,
dass B+ in die reduzierte Form übergeht und sich an der Katode anlagert.
Der Ladungsausgleich findet durch Diffusion von Anionen (Z− ) durch das
Diaphragma statt.

97
Halbzellen können uns ein quantitatives Maß liefern, wie sehr die oxidierte
oder reduzierte Form eines Elements bevorzugt wird. Ein Problem, das wir
noch lösen müssen ist allerdings, dass wir nur die Spannung der gesamten Zel-
le und nicht das Potential der einzelnen Halbzellen experimentell bestimmen
können.

4.8.1.2 Standardwasserstoffelektrode
Gelöst wird diese Problem durch eine Referenz – die Standardwasserstoffelek-
trode – mit dem Redoxpaar H+ |H2 . Das Potential dieser Elektrode wird will-
kürlich gleich Null gesetzt und allen weiteren Halbzellen bzw. Redox-Paaren
wird relativ dazu ein Potenital zugeordnet. Der Aufbau dieser Elektrode be-
steht aus einem Platinblech, das von Wasserstoffgas umspült wird und in
eine Salzsäure mit einer Konzentration von 1 mol/l getaucht ist. Diese Refe-
renzelektrode wird dann mit einem anderen Redox-Paar zusammengeschaltet
und aus der gemessene Spannung erhält man dann direkt das Standard-
potential der Halbzelle. Führt man dieses Experiment für viele verschiede-
ne Halbzellen durch, kann man die Redox-Paare ihrem Oxidationsvermögen
nach sortieren und erhält eine elektrochemische Spannungsreihe (siehe An-
hang Abschnitt C). Redox-Paare, die ein negatives Standardpotential haben,
bezeichnet man als unedel, die mit einem positiven als edel. Diese Bezeichnun-
gen sind entstanden, weil edle Metalle sich nicht in Säuren lösen. Innerhalb
dieser Spannungsreihe fließen die Elektronen immer zu dem Redox-Paar mit
dem höheren Standardpotential.

4.8.1.3 Die Nernst’sche Gleichung


Mit Hilfe der Standardpotentiale kann man schon sehr gut Experimente er-
klären, für eine exakte Beschreibung benutzt man die von Walther Hermann
Nernst aufgestellte Gleichung für das Potential E einer Halbzelle.
R·T [Aox ]
E = E0 + · ln (4.45)
z·F [Ared ]
T ist die Temperatur, z die Anzahl der Elektronen, die bei der Reaktion
übertragen werden und R und F sind Konstanten. R ist die uns bereits
bekannte Gaskonstante und F ist die Faradaykonstante (96487 J/V mol)19 . Für
die Konzentrationsangaben gilt, wie auch schon beim Massenwirkungsgesetz,
dass die Konzentrationen von Feststoffen gleich Eins zu setzen sind. Wir
erkennen an dieser Gleichung, dass die mit einem galvanischen Element zu
19
benannt nach Michael Faraday. Sie repräsentiert die Ladung von einem Mol Elek-
tronen.

98
erhaltende Spannung also auch von der Temperatur und den Konzentrationen
der Lösungen der Halbzellen abhängt. Die Spannung U ergibt sich dann
einfach aus der Differenz der Halbzellenpotentiale:

U = ∆E = |E1 − E2 | (4.46)

4.8.1.4 Elektrolyse
Als freiwilliger Prozess fließen die Elektronen immer nur zu der Halbzelle
mit dem höheren Potential20 . Trotzdem ist dieser Prozess reversibel. Er wird
dann als Elektrolyse (von griechisch ἤλεκτρον (elektron) für Bernstein und
λύσις (lysis) für Auflösung) bezeichnet. Indem man eine externe Spannung
anlegt, lässt sich der Stromfluss umkehren. Theoretisch muss diese Spannung
genau der Spannung der galvanischen Zelle entsprechen. Praktisch zeigt sich
jedoch, das eine höhere Spannung notwendig ist. Dies ist duch kinetische
Hemmung der Reaktion zu erklären. Die Zersetzungsspannung UZ setzt sich
aus der Potentialdifferenz der Halbzellen und der Überspannung zusammen.

UZ = ∆E + Uextra (4.47)

Die Überspannung ist bei Platinelektroden praktisch Null. Deshalb verwen-


det man Platinmetall bei der Standardwasserstoffelektrode.
Die Elektrolyse ist ein wichtiger industrieller Prozess. Auf diese Weise
werden z. B. Chlorgas und metallisches Aluminium hergestellt. Auch die Her-
stellung hochreiner Metalle oder dekorativer und/oder schützender Metall-
überzüge (z. B. verchromen) wird elektrochemisch durchgeführt.

4.8.1.5 Der Blei-Akkumulator


Wenn man durch den freiwilligen Prozess im galvanischen Element Strom
erzeugen kann und durch Elektrolyse diesen Prozess umkehren kann, ist es
auch möglich beide Prozesse zu kombinieren. Auf diese Weise erhalt man ei-
ne Möglichkeit elektrische Energie zu „speichern“. Solche Apparaturen nennt
man Akkumulatoren oder umgangssprachlich kurz Akkus. Ein typisches Bei-
spiel ist der Blei-Akkumulator, der in Autos Verwendung findet. Man nutzt
hier aus, das Blei in drei Oxidationsstufen vorkommt 0, +II und +IV. Beim
Entladen des Akkus findet eine Reaktion von 0 und +IV nach +II statt, beim
Laden umgekehrt.
20
dies lässt sich ebenfalls mit detaillierteren thermodynamischen Betrachtungen zeigen.

99
4.8.1.6 Lokalelemente und Korrosion
Korrosion ist ein wichtiges Thema im Bereich der Redoxchemie, da es von
großer Relevanz für die Praxis ist. Die wichtigsten Gebrauchsmetalle wie
z. B. Eisen oder Aluminium haben negative Standardpotentiale, das heißt
also, dass sie bevorzugt in der oxidierten Form vorliegen und nicht in der
praktisch nutzbaren reduzierten Form. Aus eigener Erfahrung wissen wir,
dass Eisen rostet, also durch Witterungseinflüsse von der reduzierten in die
oxidierte Form übergeht.
Um dies zu verhindern, kann man Redoxchemie nutzen. Wir haben ge-
lernt, dass sich Elektronen immer zur Halbzelle mit dem höheren Potential
bewegen. Genau diese Eigenschaft benutzt man für den Korrosionsschutz.
Wenn wir verhindern wollen, dass unser Werkstück aus Eisen oxidiert wird,
müssen wir es also mit einer „Halbzelle“ mit niedrigerem Potential in Ver-
bindung bringen. Dies geschieht in der Praxis üblicherweise durch verzinken.
Beginnt nur das Eisen durch Witterungseinflüsse zu rosten, wandern die Elek-
tronen dem Potential entsprechend vom Zink zum Eisen. Anstelle des Eisens
korrodiert also die Zinkbeschichtung. Man nennt diesen direkten Kontakt von
zwei Metallen mit verschiedenem Potential ein Lokalelement. Bei diesem gal-
vanischen Element sind die Halbzellen in direktem Kontakt und nicht durch
ein Kabel verbunden. Der Transport der Anionen wird durch z. B. Regen-
wasser oder durch Diffusion im Feststoff gewährleistet. Eine Beschichtung,
die anstelle des Werkstücks korrodiert, bezeichnet man als Opferanode.
Eine alternative Methode des Korrosionsschutzes ist es, ein eisernes Werk-
stück mit einem Edelmetall zu überziehen. Dieses schließt dann das Eisen
vollständig ein und verhindert einen Kontakt mit Witterungseinflüssen. Das
Edelmetall selbst hat ein positives Potential und liegt deshalb bevorzugt in
seiner metallischen, reduzierten Form vor. Es oxidiert also nicht ohne wei-
tere äußere Einflüsse. Wichtig ist allerdings, dass der Überzug vollständig
und unbeschädigt ist. Kommt es zu einem Riss, kann das Eisen oxidieren.
Außerdem wird das Problem dadurch verstärkt, dass die Edelmetallhülle das
größere Potential hat. Tritt durch widrige Umstände doch eine Oxidation der
Beschichtung ein, wandern die Elektronen des Eisens zur Beschichtung und
die Korrosion wird beschleunigt. Ein typisches Beispiel für dieses Konzept ist
das Verchromen.
Aluminium bringt seinen eigenen Korrosionsschutz mit. Es oxidiert zwar
auch unter Witterungseinflüssen, im Gegensatz zu Eisenoxid bildet Alumini-
umoxid jedoch sehr feste und beständige Schichten, die des Kern des Werk-
stücks wirksam von der Atmosphäre abschirmen. Mit kinetischen Begriffen
würde man von einer extrem geringen Reaktionsgeschwindigkeit sprechen.
Diese Eigenschaft nennt man Passivierung. Um diese Schichten besonders

100
dick und widerstandsfähig zu machen, werden Aluminiumwerkstücke elek-
trolytisch an der Oberfläche oxidiert. Dieses Verfahren nennt man eloxieren.

138. Was versteht man unter einer Oxidation und einer Reduktion?

139. Was gibt die Oxidationszahl an?

140. Welche Oxidationszahl besitzen die Sauerstoffatome in einer Peroxid-


Verbindung?

141. Was versteht man unter einem korrespondierendem Redoxpaar?

142. Nach welchem Kriterium werden die Redoxpaare in die Spannungsreihe


angeordnet?

143. Geben Sie über den Pfeilen an welcher der oxidierende und welcher der
reduzierende Schritt ist:

Cu Cu2+ + 2 e−

144. Was bedeutet der Begriff Potenzialdifferenz und wie kommt die Poten-
zialdifferenz im Daniell-Element zustande?

145. Wir betrachten eine Zelle in der die Gesamtreaktion wie folgt abläuft:

Cl2 (g) + 2 I− −
(aq) 2 Cl(aq) + I2 (s)

0
Die Standardpoteniale lauten E(Cl −
2 /Cl )
= 1, 3595 V und E(I0 2 /I− ) =
0, 5355 V

a) Formulieren Sie die Elektrodenreaktion für die Zelle.


b) Wie groß ist ∆E 0
c) Welche Elektrode ist die Kathode?

146. Bestimmen Sie die Potentialdifferenz ∆E 0 der Zelle Cl2/Cl− ||Sn2+/Sn4+ .


0 0
E(Cl − = 1, 36 V, E(Sn2+ /Sn4+ ) = −0, 2 V
2 /Cl )

147. Es wird ein galvanisches Element mit einer Zinn- und einer Magnesium-
halbzelle betrachtet: Mg|Mg2+ ||Sn2+ |Sn mit E(Mg
0
2+ /Mg) = −2, 363 V,
0
E(Sn2+ /Sn) = −0, 163 V

a) Bestimmen Sie die Potentialdifferenz ∆E 0 der Zelle.


b) Formulieren Sie die Zellenreaktion.

101
c) Welche Elektrode ist der „Plus-Pol“?

148. Eine Zelle besteht aus zwei H+ |H2 -Halbzelle, eine mit cH+ = 0, 025 mol/l,
die andere mit cH+ = 5 mol/l. In beiden Halbzellen ist pH2 = 101, 3 kPa

a) Welche Vorgänge finden in der Zelle statt?


b) Wie groß ist die elektromotorische Kraft?
c) Wie groß ist die elektromotorische Kraft, wenn an der Anode
pH2 = 202, 6 kPa und an der Kathode pH2 = 10, 13 kPa gemes-
sen werden.

149. Was versteht man unter Elektrolyse?

150. Wie ist die Zersetzungsspannung UZ definiert?

151. Funktionsweise des Bleiakkumulators.

a) Formulieren Sie die Gesamtreaktion des Bleiakkumulators.


b) Geben Sie die Reaktionen zum Ladeprozess an.
c) Geben Sie die Reaktionen zum Entladungsprozess an.

152. Erklären Sie die Begriffe Korrosion und Lokalelement.

102
Kapitel 5

Die Sonderrolle des Elementes


Kohlenstoff

Das Element Kohlenstoff nimmt in der Chemie ein Sonderrolle ein. Kohlen-
stoffatome sind in der Lage zu anderen Kohlenstoffatomen verhältnismäßig
starke Bindungen auszubilden, die aufgrund der nicht vorhandenen Polarität
sehr reaktionsträge sind. Auch wenn Kohlendioxid in einer sauerstoffhalti-
gen Umgebenung die thermodynamisch stabilste Verbindung ist, sind viele1
Kohlenstoffverbindungen aufgrund ihrer kinetischen Stabilität existenzfähig.
Die Fähigkeit zu sich selbst Bindungen zu bilden ermöglicht es Kohlenstoff
in vielfältiger Weise Moleküle zu bilden. 2002 sind etwa 20 Millionen Verbin-
dungen bekannt gewesen von denen 95% Kohlenstoff enthalten. Die meisten
dieser Verbindungen kommen in Tieren und Pflanzen vor, so dass sich der
Begriff organische Chemie für die Chemie des Kohlenstoffs entwickelte und
entsprechend dazu die anorganische Chemie als die Chemie der Mineralien
und unbelebten Natur. Friedrich Wöhler gelang es durch die Synthese des
„organischen“ Harnstoffs aus einem „anorganischen“ Edukt, den Irrglauben
zu widerlegen, dass belebte Natur eine besondere „Lebenskraft“ habe, die sie
von unbelebter Natur unterscheide.
O

NH4 OCN
C
H2 N NH2
Dieser Anstoß bestehende Theorien zu überdenken, ist ein schönes Beispiel
wie Naturwissenschaften die Aufklärung vorangetrieben haben.
1
wirklich viele!

103
5.1 Kohlenwasserstoffe
5.1.1 Nomenklatur
Eine große Gruppe der organischen Verbindungen stellen die Kohlenwasser-
stoffe dar. Wie ihr Name schon sagt, bestehen sie ausschließlich aus den
Elementen Kohlenstoff und Wasserstoff. Daher kann man vereinfachte Lewis-
Formeln verwenden. Man verzichtet dabei auf die Darstellung der Wasser-
stoffatome und ihrer Bindungen und reduziert die Kohlenstoffatome auf ihre
Bindungen zu benachbarten Kohlenstoffen. In der vereinfachten Darstellung
reduziert man ein Molekül also auf seine C–C-Bindungen. Aufgrund der Viel-
zahl organischer Verbindungen ist es eine praktische Notwendigkeit, sie zu
systematisieren und entsprechend zu benennen.
Eine erste sehr grobe Unterscheidung ist die Einteilung in aliphatische
(von griechisch ἄλειφαρ (aleiphar) für fettig) und aromatische (von griechisch
ἄρωμα (aroma) für Duft) Kohlenwasserstoffe. Aromatische Kohlenwasserstof-
fe haben Ringsysteme mit delokalisierten π-Elektronen, aliphatische hingegen
nicht. Aromatische Kohlenwasserstoffe nennt man auch Arene.

Tabelle 5.1: Übersicht über die Kohlenwasserstoffe und Beispiele für die Ver-
bindungsgruppen.

Kohlenwasserstoffe
aromatisch aliphatisch
gesättigt ungesättigt
Arene Alkane Alkene Alkine

Die aliphatischen Kohlenwasserstoffe werden weiter aufgegliedert in ge-


sättigte und ungesättigte Kohlenwasserstoffe. Gesättigt bezieht sich dabei
auf die Bindigkeit der Kohlenstoffatome. In gesättigten Kohlenwasserstof-
fen liegen nur Einfachbindungen vor, damit sind die Kohlenstoffatome mit
Wasserstoff „gesättigt“. Ungesättigte Kohlenwasserstoffe sind demnach Ver-
bindungen, wo dies nicht der Fall ist, also auch Mehrfachbindungen enthalten
sind. In der Nomenklatur erkennt man gesättigte Kohlenwasserstoffe an der
Endung -an. Bei ungesättigten unterscheidet man, ob es sich um Doppel- oder
Dreifachbindungen handelt. Verbindungen mit mindestens einer Dreifachbin-

104
Tabelle 5.2: Übersicht über die aliphatischen Kohlenwasserstoffe und Beispie-
le für die Verbindungsgruppen. Hier nur für Alkane dargestellt. Alkene und
Alkine analog, jedoch mit Doppel- oder Dreifachbindungen.

aliphatische Kohlenwasserstoffe
unverzweigt verzweigt cyclisch polycyclisch

dung erhalten die Endung -in. Sind nur Doppel- oder Einfachbindungen im
Molekül präsent, wird die Endung -en verwendet. Diese Verbindungsgruppen
nennt man dann entsprechend Alkane, Alkene und Alkine.
Innerhalb der Gruppe der Alkane, Alkene und Alkine unterscheidet man
zwischen unverzweigten, verzweigten, cyclischen und polycyclischen Kohlen-
wasserstoffen (siehe Tabelle 5.2). Diese Unterscheidung ist für ihre weitere
systematische Benennung wichtig. Cyclische Verbindungen werden durch die
Vorsilbe Cyclo- gekennzeichnet.
Unverzweigte Kohlenwasserstoffe werden nach der Anzahl der Kohlen-
stoffatome in der Kette benannt (siehe Tabelle 5.3). Bei verzweigten sucht
man zunächst die längste Kette im Molekül. Diese bildet den Namensstamm
für den Molekülnamen. Seitenketten erhalten entsprechend Tabelle 5.3 ihren
Namen. Durch die Endung -yl wird deutlich gemacht, dass es sich um ei-
ne Seitenkette handelt. Bei mehreren Seitenketten derselben Länge werden
von lateinischen und griechischen Zahlen abgeleitete Vorsilben wie Di- oder
Tri- benutzt. Die genauen Details legt die International Union Of Pure And
Applied Chemistry, kurz IUPAC fest2 .
Beispiel :

C6

C2 C4
C1 C3 C5

C7
2
sollte wider Erwarten näheres Interesse bestehen: http://www.iupac.org/.

105
Die längstmögliche Kette im Molekül besteht aus fünf Kohlenstof-
fatomen (1–5 oder 6,2–5). Es handelt sich also um ein Pentan. Von
dieser Hauptkette gehen zwei je ein C-Atom lange Seitenketten
ab, also Methyl-Gruppen. Es sind zwei, damit erhalten wir den
Vorsatz Di-. Wir können spezifischer werden, ein Dimethylpen-
tan. Um deutlich zu machen, wo die Methylgruppen abzweigen,
geben wir die Nummer der Atome gezählt vom Anfang der Haupt-
kette an. So erhalten wir alternativ 2,3-Dimethylpentan oder 3,4-
Dimethylpentan. Man verwendet immer die Möglichkeit mit den
kleineren Zahlenwerten. Unser Molekül trägt also den systemati-
schen Namen 2,3-Dimethylpentan.

Tabelle 5.3: Namensstämme für aliphatische Kohlenwasserstoffe


Anzahl C Namensstamm Anzahl C Namensstamm
1 Meth- 11 Undec-
2 Eth- 12 Dodec-
3 Prop- 13 Tridec
4 But- 14 Teradec-
5 Pent- 15 Pentadec-
6 Hex- 16 Hexadec-
7 Hept- 17 Heptadec-
8 Oct- 18 Octadec-
9 Non- 19 Nonadec-
10 Dec- 20 Eicosan-

153. Welche Bildungsarten besitzt Ethen?

154. Zeichne alle Konstitutionsisomere des Heptans und benenne sie nach
IUPAC.

5.1.2 Eigenschaften
Durch die geringe Elektronegativitätsdifferenz zwischen Kohlenstoff und Was-
serstoff, sind die Bindungen in Kohlenwasserstoffen praktisch unpolar und
sehr gut als rein kovalente Bindungen zu beschreiben. Dies hat zur Folge, dass
zwischen einzelnen Molekülen nur durch induzierte Dipole Wechselwirkungen
auftreten können, wir also verhältnismäßig schwache Wechselwirkungen vor-
liegen haben. Dies spiegelt sich in den niedrigen Schmelz- und Siedepunkten
der Kohlenwasserstoffe wieder. Die ersten vier unverzweigeten, aliphatischen

106
Kohlenwasserstoffe sind bei Normalbedingungen gasförmig. Erst Pentan ist
flüssig, hat aber einen sehr geringen Siedepunkt von 38 ◦ C. Als Faustregel
gilt, dass, je mehr Kohlenstoffatome im Molekül enthalten sind, desto höher
die Schmelz- und Siedepunkte liegen. Gerade die Schmelzpunkt sind aber
auch in erheblichem Maß von der Gestalt des Moleküls abhängig, da je nach
seiner Form eine Packung im Feststoff günstiger oder ungünstiger sein kann.
Eine weitere Konsequenz ist, dass sich Kohlenwasserstoffe nicht mit po-
laren Verbindungen wie Wasser mischen lassen. Alle Kohlenwasserstoffe sind
mit Sauerstoff zu Kohlendioxid und Wasser oxidierbar und insbesondere die
leichteren Kohlenwasserstoffe können explosionsfähige Gemische mit Sauer-
stoff bilden.

5.2 Funktionelle Gruppen


Erweitert man Kohlenwasserstoffe um weitere Atomsorten, wie Sauerstoff
oder Stickstoff, ergeben sich Atomgruppierungen, die die Eigenschaften des
Moleküls stark beeinflussen. Diese Atomgruppierungen werden funktionelle
Gruppen genannt. Im folgenden soll ein kürzer Überblick über die wichtigsten
gegeben werden.

5.2.1 Mehrfachbindungen
Die erste funktionelle Gruppe haben wir bereits bei der Klassifizierung der
Kohlenwasserstoffe kennengelernt, die Mehrfachbindung. Mehrfachbindungen
sind deshalb von besonderem Interesse, weil sie die Möglichkeit bieten, wei-
tere Bindungen zu knüpfen (Additionsreaktionen), da die beteiligten Koh-
lenstoffatome ihre maximale Bindungkeit noch nicht erreicht haben. Außer-
dem haben Wasserstoffatome an einem sp-hybridisierten Kohlenstoffatom ei-
ne verhältnismäßig hohe Acidität.
Konjungierte Mehrfachbindungssysteme führen zu einer Erhöhung der
Bindungsenergie und können die Reaktivität von Moleküle deutlich beeinflus-
sen, da Elektronen leicht innerhalb des Moleküls verschoben werden können.
Besonders deutlich ist dies in aromatischen Systemen. Hier ist die Bildungs-
enthalpie deutlich größer, als man aus der Summe der einzelnen Bindungs-
energien erwarten würde. Ob ein planares Ringsystem aromatisch ist, kann
man mit Hilfe der Regel von Erich Armand Arthur Joseph Hückel her-
ausfinden. Gibt es in einem Ringsystem 4n + 2 (n ist eine natürliche Zahl)
Bindungselektronen ist es aromatisch.

107
5.2.2 Amine
H H R

R N R N R N

H R R
Amine werden in primäre, sekundäre und tertiäre Amine unterteilt, je nach
dem ob sie einen, zwei oder drei Kohlenwasserstoffreste haben. Im Abschnitt
über Säuren und Basen haben wir Ammoniak als Base kennengelernt und es
ist leicht nachvollziehbar, dass auch Amine basisch reagieren, da sie ihr freies
Elektronenpaar einem Proton zur Verfügung stellen können. sp2 -hybridisierte
Stickstoffatome hingegen reagieren sauer, da hier kein freies Elektronenpaar
zur Verfügung steht und die hohe Polarität der N–H-Bindung dann die Ei-
genschaften der Gruppe bestimmt. Amine sind deutlich besser in polaren
Lösungsmittel, z. T. sogar in Wasser löslich. Amine haben deutlich höhere
Siede- und Schmelzpunkte als Kohlenwasserstoffe, da die Aminogruppe ein
permanentes Dipol aufweist und primäre und sekundäre Amine sogar in der
Lage sind, Wasserstoffbrücken zu bilden. Die Endung für eine systematische
Benennung von Aminen ist -amin.

5.2.3 Alkohole und Ether


O O
R H R R
Alkohole werden wie die Amine in primäre, sekundäre und tertiäre Alkohole
eingeteilt. Ausschlaggebend ist hier die Anzahl der Kohlenwasserstoffreste,
die an den Nachbarkohlenstoff der OH-Gruppe gebunden sind. Ihre Endsil-
be in der IUPAC-Nomeklatur ist -ol. Alkohole haben vergleichen mit den
Kohlenwasserstoffen sehr hohe Schmelz und Siedepunkte, da sie Wasserstoff-
brücken bilden können. Ethanol ist eine Flüssigkeit mit einem Siedepunkt
von 78 ◦ C, Ethan ist bei Raumtemperatur ein Gas und siedet bei −89 ◦ C.
Aufgrund ihrer stark polaren OH-Gruppe und des unpolaren Kohlenwasser-
stoffrestes sind Alkohole sowohl mit polaren wie auch mit unpolaren Lösungs-
mitteln mischbar.
Abhängig davon, ob die Reste links und rechts des Sauerstoffs identisch
sind oder nicht, spricht man von symmetrisch oder unsymmetrisch substitu-
ierten Ethern. In ihren Eigenschaften sind die Ether von der Polarität der
C–O-Bindung geprägt. Da sie jedoch keine Wasserstoffbrücken bilden kön-
nen, sind ihre Schmelz und Siedepunkte weniger stark erhöht als bei den
Alkoholen.

108
5.2.4 Aldehyde und Ketone
O O

R C R C

H R
Aldehyde und Ketone erhält man durch die Oxidation3 von primären bzw.
sekundären Alkoholen. Sie werden systematisch durch die Endungen -al bzw.
-on benannt. Ihre Eigenschaften sind wie bei den Ethern durch die Polarität
der C–O-Bindungen bestimmt.

5.2.5 Carbonsäuren und Ester


O O

R C R C

O H O R
Carbonsäuren sind die letzte Oxidationsstufe vor Kohlendioxid. Sie sind sehr
polar und teilweise trotz eines unpolaren Restes nicht mehr in unpolaren
Lösungsmitteln löslich. Schmelz- und Siedepunkte sind mit denen von Al-
koholen vergleichbar. Da eine negative Ladung mesomeriestabilisiert werden
kann, ist das Proton leicht abspaltbar und die Carbonsäuren reagieren, wie
es der Name schon verrät, sauer (im Sinne von Arrhenius oder Brøns-
tedt). Systematisch werden sie benannt, indem an das zugehörige Alkan
die Endung -säure gehängt wird.
Ester erhält man durch Kondensationsreaktionen von Carbonsäuren und
Alkoholen.

5.2.6 Halogene
R X

Auch die Eigenschaften von halogenierten Kohlenwasserstoffen sind durch die


Polarität der C–X-Bindung bestimmt. Für die Nomenklatur werden Halogene
behandelt wie Alkylreste.
3
mit Bedacht vorgehen sonst landet man bei Carbonsäuren oder Kohlendioxid!

109
5.2.7 weitere funktionelle Gruppen
O O

S S S
R H R R R O H

Wenn auch seltener können auch höhere Homologe der Nicht-Metalle auftre-
ten. Schwefel und Phosphor sind hier die verbreitetsten Elemente. Beispiel-
haft sind hier Thiol, Thioether und Sulfonsäure vorgestellt.

155. Ordnen Sie den Strukturen die dazugehörige funktionellen Gruppe zu.
Aldehyd, Alkohol. Carbonsäure, Sulfonsäure, Keton, Nitril.
O
OH
S
a) O

b) OH
c)
N
d) O

e) OH
O

f)

5.3 Isomerie
Durch die vielfachen Verknüpfungsmöglichkeiten von Kohlenstoffatomen kommt
es vor, dass Moleküle, dieselbe Summenformel haben, also aus derselben An-
zahl Atomen aufgebaut sind, aber verschiedene Verknüpfungsmuster haben.
Diese Moleküle bezeichnet man dann als Isomere (von griechisch ἴσος (isos)
für gleich und μέρος (meros) für Teil).

110
Tabelle 5.4: Isomerie und ihre Unterteilung in spezielle Fälle.
Isomerie
Konstitutionsisomerie Stereoisomerie
Konformationsisomerie Konfigurationsisomerie
Enantiomere Diastereomere

Konstitutionsisomerie Bei Konstitutionsisomeren findet man genau den


Fall, der in der allgemeinen Einleitung beschrieben worden ist. Konstituti-
onsisomere haben dieselbe Summenformel, unterscheiden sich aber in ihrer
Konnektivität.
Beispiel :
CH3 CH2 OH H3 C O CH3

Stereoisomerie Stereoisomere haben nicht nur dieselbe Summenformel,


sondern auch dieselbe Konnektivität. Auf den ersten Blick ist dies verwirrend
und es stellt sich die Frage, wie sie sich dann überhaupt unterscheiden können.
Der Unterschied zwischen Stereoisomeren ist die räumliche Anordnung der
Atome. Durch die dreidimensionale Struktur von Molekülen kann es Moleküle
geben, die trotz derselben Konnektivität nicht identisch sind.

Konformationsisomerie Konformationsisomerie entsteht durch die Dreh-


barkeit um Bindungen. Sie unterscheiden sich also in ihren Torsionswinkeln.
Konformationsisomere sind häufig nicht stabil und durch sehr geringe Ener-
giebeträge von einem Isomer in das andere zu überführen. Getrennt isolieren
lassen sich Konformationsisomere meist nur dann, wenn voluminöse Gruppen
die Drehbarkeit um eine Bindung einschränken (sterische Hinderung).

Konfigurationsisomerie Konfigurationsisomere sind Stereoisomere, die


nicht ohne Bindungsbruch ineinander überführbar sind. Sie werden in Dia-
stereomere und Enantiomere unterteilt.

Enatiomere Enatiomere (von griechisch ἐνάτιος (enantios) für Gegenstück


und μέρος (meros) für Teil), sind Moleküle, die sich wie Bild und Spiegelbild
zueinander verhalten. Im Gegensatz zu allen anderen Isomeren sind ihre phy-
sikalischen Eigenschaften mit Ausnahme optischen Aktivität identisch. Die
beiden Enantiomere drehen die Polariationsebene von polarisiertem Licht in
entgegengesetzte Richtungen. Auf diese Weise können sie unterschieden wer-
den. Eine genaue Zuordnung welches Enantiomer links- oder rechtsdrehend

111
ist, ist nur mit Hilfe eine Röntgenstrukturanalyse möglich. Die beiden Kon-
figurationen des Stereozentrums werden mit R oder S gekennzeichnet.

Beispiel :
Eine typischer Molekülausschnitt, der zu einer Konfigurations-
isomerie führt, ist ein Kohlenstoffatom mit vier verschiedenen
Substituenten. Man bezeichnet dieses Kohlenstoffatom dann als
Stereozentrum und seine Eigenschaft als chiral (Kunstwort vom
griechisch Wortstamm χειρ (cheir) für Hand-), weil sich die En-
antiomere wie eine Hand zur anderen verhalten.
OH OH
H3 C CH3
C C
Br Br
H H

Diastereomere Diastereomere sind Moleküle, die sind in der Chiralität


ihrer Stereozentren unterscheiden, aber nicht durch Spiegelung ineinander
überführt werden können. Daraus ergibt sich, dass Diastereomere notwendi-
gerweise immer mindestens zwei Stereozentren haben müssen.
Y X X Y

CR H Enantiomere CS H
H CR H CS

B A A B
Diastereomere

Diastereomere

X Y Y X

CS H Enantiomere CR H
H CR H CS

B A A B

112
156. Um welchen Typ oder welche Typen von Isomerie handelt es sich bei
den Isomeren Dimethylether und Ethanol?

a) Enantiomere
b) Stereoisomere
c) Konstitutionsisomere
d) Strukturisomere
e) Diastereomere

157. Wie viele Isomere gibt es vom CH2 ClBr?

a) Vier, es sind zweimal zwei Möglichkeiten.


b) Keine, aufgrund der tetraedrischen Anordnung um das Kohlen-
stoffatom
c) Drei, da zwei verschiedene Halogene vorhanden sind.

5.4 Einfache Reaktionsmechanismen


Reaktionen in der organsichen Chemie sind durch zum Teil komplexe Folgen
von Bindungsbrüchen und -knüpfungen geprägt, die schließlich zum Produkt
führen. Dieses Geschehen bezeichnet man als Reaktionsmechanismus. Seine
Aufklärung kann häufig interessante Möglichkeiten für die Syntheseführung
eröffnen.

5.4.1 Bindungsspaltung
Damit es überhaupt zu einer Reaktion kommen kann, müssen Bindungen ge-
spalten werden. In diesem Zusammenhang sind funktionelle Gruppen in der
organischen Chemie besonders wichtig, da sie polarere und damit reaktivere
Bindungen aufweisen als gewöhnliche Kohlenwasserstoffe. Eine Bindung kann
ganz allgemein auf zwei Arten gespalten werden: homolytisch (von griechisch
ὁμός (homos) gleich) und heterolytisch (von griechisch ἕτερος (heteros) an-
ders). Die Begriffe beschreiben, wie die Bindungselektronen unter den Bin-
dungspartner aufgeteilt werden. Bei einer homolytischen Spaltung werden
sie gleichmäßig verteilt, also jedes Atom bekommt ein Elektron und es bilden
sich Radikale. Bei der heterolytischen Spaltung erhält eines der Atome beide
Bindungselekronen und es bilden sich Ionen.

113
Homolytische Spaltung:

A B A B

Heterolytische Spaltung:

A B A+ B−

Die bei einer heterolytischen Spaltung entstehenden Ionen werden als Car-
bokation und Carbanion bezeichnet. Die uns schon von den Alkoholen und
Aminen bekannten Bezeichungen primär, sekundär und tertiär finden auch
hier wieder Verwendung. Von primär zu tertiär nimmt die Stabilität der
Carbokationen zu. Carbanionen können durch elektronegative Substituenten
oder Delokalisierung stabilisiert werden.

5.4.2 Additionsreaktionen
Ein typisches Beispiel für eine Additionsreaktion ist die Reaktion eines Alkens
mit einem Halogen. Im ersten Schritt der Reaktion nähert sich das Halogen-
molekül der Doppelbindung in Richtung der π-Orbitale, das heißt senkrecht
zu der Ebene der sp2 -Orbitalen4 . Diese erste Wechselwirkung bezeichnet man
als π-Komplex. Sie führt dazu, dass die Bindung im Halogen heterolytisch ge-
spalten wird. Eines der Halogenatome verlässt als Halogenid den Komplex,
das zweite bildet einen σ-Komplex mit den beiden Kohlenstoffatomen der
Doppelbindung. Die positive Ladung ist dann über diese drei Atome deloka-
lisiert. Das Halogenid greift5 nun den σ-Komplex von der dem Halogenatom
gegenüberliegenden Seite aus an und es kommt zur Bildung eines Dihalo-
genalkans. Obwohl aromatische Systeme Doppelbindungen enthalten, finden
hier keine Addtionsreaktionen statt. Dies lässt sich durch die hohe Stabilität
des delokalisierten π-Systems erklären. Eine Addition würde es verkleinern
oder zerstören. Thermodynamisch betrachtet, kann die Energie, die durch die
neuen Bindungen frei wird, nicht die Energie ausgleichen, die zur Zerstörung
des aromatischen Systems benötigt wird.

X X X X
X X X
+
X
4
vergleiche Arrhenius-Gleichung. Nicht jeder Stoß führt zur Reaktion. Es kann auch
andere Gründe als mangelnde kinetische Energie dafür geben.
5
chemische Betrachtungsweisen sind manchmal leider nicht besonders pazifistisch. . .

114
5.4.3 Substitutionsreaktionen
Wie der Name bereits verrät (von lateinisch substituere für ersetzen), wird
bei einer Substitutionsreaktion eine funktionelle Gruppe gegen eine andere
getauscht. An dieser Stelle ist es sinnvoll, sich mit der Bedeutung der Begriffe
nucleophil (griechisch φιλία (philia) für Liebe, Freundschaft) und elektrophil 6
vertraut zu machen. Diese beiden Begriffe ergeben sich aus den Teilladungen
der Atome einer polaren Bindung. Das δ+-Atom ist in der Lage Elektronen
zu akzeptieren, also elektrophil, das δ−-Atom hat Elektronen und kann die-
se an einen „Kern“ abgeben, ist also nucleophil. Ein Elektrophil wird sich
also immer mit einem Nucleophil zu einer neuen Bindung zusammentun. In
einem Molekül zu identifizieren, welche Atome nucleophile oder elektrophile
Eigenschaften haben, ist eine wichtige Grundlage, um seine Reaktivität zu
verstehen.
Typische Vertreter für Substitutionsreaktionen sind die nucleophile Sub-
stitution erster und zweiter Ordnung. An ihnen kann man sehr gut sehen, dass
man aus der Reaktionsgleichung keine Rückschlüsse auf die Kinetik einer Re-
aktion ziehen kann. Für beide Reaktionstypen lautet die Reaktionsgleichung:
− + −
Nuδ + R3 C δ Xδ R3 C Nu + X

Nu ist dabei das angreifende Nucleophil, X eine Abgangsgruppe und R kann


ein Wasserstoffatom oder ein Kohlenwasserstoffrest sein.

5.4.3.1 Nucleophile Substitution erster Ordnung SN 1


Bei einer nucleophilen Substitution erster Ordnung finden wir eine Reakti-
onskinetik vor, die nur von einer Konzentration abhängt, nämlich von der
von R3 C X. Einleuchtend wird dies, wenn man sich den Mechnismus dieser
Reaktion genauer ansieht. Eine SN 1-Reaktion verläuft in zwei Schritten. Im
ersten Schritt wird die C–X-Bindung heterolytisch gespalten und es entsteht
ein Carbokation. Dieser Reaktionsschritt benötigt verhältnismäßig viel Zeit,
verglichen mit der anschließenden Vereinigung von Carbokation und Nucleo-
phil. Für die gesamte Reaktionsgeschwindigkeit ist also einzig die Geschwin-
digkeit, mit der das Carbokation gebildet wird, bestimmend. Das interme-
diäre Carbokation ist sp2 -hybridisiert und damit planar. Keine der beiden
Seiten ist für den abschließenden Reaktionsschritt bevorzugt. Ist das zentra-
le Kohlenstoffatom zu Beginn der Reaktion chiral (und enantiomerenrein),
findet man am Ende der Reaktion ein Gemisch aus beiden Enantiomeren.
Man beobachtet also sowohl Retention als auch Inversion der Konfiguration.
6
auch Bernsteinsammler sind elektrophil!

115
R1

C Nu
R3
R1 − R1 − R2
Nu Nu
−X− +
C X C
R3 R1
R2 R3
R2 Nu C
R3
R2

5.4.3.2 Nucleophile Substitution zweiter Ordnung SN 2


Eine nucleophile Substitution zweiter Ordnung läuft in nur einem Reaktions-
schritt ab, an dem Nucleophil und R3 C X gleichermaßen beteiligt sind. Da-
mit ist die Reaktionsgeschwindigkeit von den Konzentrationen beider Edukte
abhängig und wir beobachten eine Reaktionskinetik zweiter Ordnung. Die
Bildung des Substitutionsproduktes findet über einen fünfbindigen Über-
gangszustand statt. Da sich das Nucleophil aus sterischen Grunden dem
zentralen Kohlenstoffatom von der der Abgangsgruppe abgewandten Seite
nähern muss, findet während der Reaktion eine Umkehr der Konfiguration
statt. Sind mindestens zwei der Reste gleich, ist dies bedeutungslos, sind sie
aber alle verschieden und damit der Kohlenstoff chiral, hat dies eine Än-
derung der Händigkeit des Moleküls zur Folge. SN 2-Reaktionen an chiralen
Kohlenstoffatomen verlaufen immer unter Inversion der Konfiguration.
R1 R1

Nu C X Nu C + X−
R3 R3
R2 R2

5.4.3.3 SN 1 versus SN 2
Wenn die grundlegende Reaktionsgleichung für beide Reaktionsordnungen
dieselbe ist, stellt sich direkt die Frage, unter welchen Begingungen welche
Reaktionsordnung bevorzugt wird. Wie wir gesehen haben, kann es besonders
bei chiralen Verbindungen von Interesse sein, die eine oder andere Reakti-
onsordnung vorliegen zu haben.

116
Der entscheidende Ansatzpunkt, den wir haben, um diese Frage zu klären,
ist das Carbokation, das bei der SN 1-Reaktion gebildet wird. Wie können wir
fördern oder verhindern, dass es sich bildet?
Für eine Carbokationbildung ist eine heterolytische Bindungsspaltung nö-
tig. Es ist also wichtig, wie leicht die C–X-Bindung gespalten werden kann. Ist
dies leicht der Fall nennt man X eine gute Abgangsgruppe. Außerdem ist es
notwendig, die entstandenen Ionen durch Solvatation zu stabilisieren. Durch
die Wahl eines polaren Lösungsmittels können wir also eine SN 1-Reaktion
bevorzugen. Eine weitere Möglichkeit Einfluss zu nehmen ist die Wahl der
Reste R. Wenn sie dazu beitragen können, die Ladung zu stabilisieren, macht
dies eine Reaktion erster Ordnung wahrscheinlicher.

5.4.4 Eliminierungsreaktionen
Ganz allgemein versteht man unter Eliminierungsreaktionen (von lateinsich
eliminare für über die Schwelle bringen, entfernen), Reaktionen bei denen
ein Molekülbestandteil abgespalten wird. Eliminierungsreaktionen können
vielfältiger Natur sein, im speziellen meint man meistens ein 1,2- oder β-
Eliminierung. Dabei wird von zwei benachbarten Kohlenstoffatomen je ein
Substituent abgespalten. Zwischen den Kohlenstoffatomen entsteht dann ei-
ne Doppelbindung. Häufig bleibt einer der Substituenten in ionischer Form
zurück und der zweite wird durch eine Base (auch nach Lewis) aufgenom-
men. Auch Eliminierungen können nach Kinetik erster oder zweiter Ordnung
verlaufen.

Y
B− + X X B + + Y−

5.4.4.1 β-Eliminierung erster Ordnung


Wie bei der Substitution erster Ordnung, bildet sich auch bei der Elmininie-
rung ein intermediäres Carbokation. Auch hier ist dies der geschwindigkeits-
betimmende Schritt der Reaktionsfolge und damit die folgende Abspaltung
des zweiten Subsituenten bzw. Doppelbindungsbildung für die Gesamtge-
schwindigkeit der Reaktion unerheblich.

Y −Y− + −BX
− C
X B X

117
5.4.4.2 β-Eliminierung zweiter Ordnung
Liegt eine Kinetik zweiter Ordnung vor, findet die Abstraktion der Gruppe X
durch die Base und die Abspaltung der zweiten Gruppe Y zeitgleich statt. In
einem Übergangszustand werden die Elektronen durch das Molekül von der
Base aus „weitergereicht“ bis zur Gruppe Y. Dafür ist sowohl ein Basenmo-
lekül als auch ein Alkanmolekül nötig, so dass die Reaktionsgeschwindigkeit
von beiden Konzentrationen abhängig ist, also die Kinetik zweiter Ordnung.

Y + Y− + B X
B− X

158. Ordnen Sie zu:

• Primäres Carbeniumion
• Sekundäres Carbeniumion
• Tertiäres Carbeniumion
CH2 CH3
a) H3 C CH
+ +
CH2 CH2
b) H3 C CH2
+
C
c) H3 C CH3
CH3
159. Welches sind die Einflussfaktoren auf nucleophile Substitutionsreaktio-
nen?

a) Die Struktur des Substrats.


b) Die Reaktivität Nucleophils.
c) Die Natur der Abgangsgruppe.
d) Die Temperatur.
e) Das verwendete Lösungsmittel.

160. Die Reaktionsgeschwindigkeit hängt von der Konzentration beider Eduk-


te ab. Es handelt sich um eine. . .

a) . . . SR 2-Reaktion.
b) . . . SN 2-Reaktion.

118
c) . . . SN 1-Reaktion.
d) . . . AN 2-Reaktion.
e) . . . AN 1-Reaktion.

161. Die Reaktionsgeschwindigkeit hängt nur von der Konzentration des Al-
kylhalogenids ab. Es handelt sich um eine. . .

a) . . . SR 2-Reaktion.
b) . . . AN 1-Reaktion.
c) . . . SN 2-Reaktion.
d) . . . AN 2-Reaktion.
e) . . . SN 1-Reaktion.

162. Die Umsetzung von Chlormethan zu Methanol ist eine typische. . .

a) . . . SR 2-Reaktion.
b) . . . AN 1-Reaktion.
c) . . . SN 2-Reaktion.
d) . . . AN 2-Reaktion.
e) . . . SN 1-Reaktion.

163. Welche Produkte entstehen bei der Eliminierung von Wasser aus Butan-
1-ol und Butan-2-ol?

164. Warum greift das Halogenid-Ion den σ-Komplex von der Rückseite her
an?

a) Das ist eher Zufall und hängt davon ab, wie die Moleküle aufein-
ander treffen.
b) An der Vorderseite steht nicht genug Platz zur Verfügung.
c) Nach der Spaltung des Brom-Moleküls nähert sich das Bromid-Ion
automatisch der Rückseite eines weiteren σ-Komplexes.

119
Anhang

A Experimentelles
A.1 zum Atommodell von Rutherford
Geiger und Marsden bestrahlten eine sehr dünne Goldfolie mit α-Strahlung
und beobachten, dass der Großteil der Strahlung die Folie ungehindert pas-
sieren konnte. Durch diese Beobachtung konnten Theorien widerlegt werden,
die eine gleichmäßige Verteilung der Masse im Atom vorschlugen, da in die-
sem Falle ein Durchdringen der Goldfolie durch die α-Teilchen nicht möglich
wäre. Aus der Intensitätsverteilung, die Rutherford et al.7 mittels eines
photographischen Filmes bestimmt hatten (siehe Abbildung 1), konnten sie
folgern, dass der Großteil der Masse des Atoms auf einen kleinen Raumkon-
zentriert sein muss.

A.1.1 zu den Elementarteilchen


Durch Elektrolyse von Verbindungen konnte Michael Faraday festellen,
dass es einen direkten Zusammenhang zwischen der übertragenen Ladung
und der abgeschiedenen Stoffmenge gibt (siehe auch: galvanische Zelle, Ab-
schnitt 4.8). Auf Grundlage dieser Erkenntnis postulierte George Johnstone
Stoney das Vorhandensein von elektrischen Ladungen innerhalb des Atoms
und gab diesem Ladungsträger den Namen Elektron. Julius Plücker konnte
durch Kathodenstrahlexperimente qualitativ die Existenz des Elektron bestä-
tigen, quantitative Untersuchugen führte Joseph John Thomson durch. Bei
diesen Experimenten wird z. B. Wasserstoff in ein starkes elektrisches Feld
gebracht. Plücker konnte detektieren, das in Richtung des positiven Pols
des Feldes beschleunigte Ladungsträger frei wurden. Später konnte man fest-
stellen das dies auch beim negativen Pol der Fall ist, hier die Teilchen aber
aufgrund ihrer größeren Masse alle in der Elektrode einschlugen. Durch kleine
7
lateinisch et alii für und andere. Bei Literaturangaben und ähnlichen Verweisen ge-
bräuchliche Abkürzung, wenn man nicht alle Beteiligten nennen will.

120
aparative Veränderungen konnte man dann auf diesem Weg auch das Pro-
ton als Atombestandteil identifizieren. Man untersuchte die Ablenkung der
so getrennten Atombestandteile in einem weiteren elektrischen oder einem
magnetischen Feld und konnte so das Verhältnis von Ladung zu Massen von
Proton und Elektron bestimmen. Nun fehlte nur noch der Werte der Ladung
um die Massen der Elementarteilchen zu berechnen.
Diese konnte Robert Andrew Millikan in seinem berühmten Öltröpfchen-
Experiment bestimmen. Dafür wird ein Aerosol aus Öltropfen in ein elektri-
sches Feld gebracht. Durch Röntgenstrahlung werden die Tröpfchen ionisiert
und dann ihre Bewegungsgeschwindigkeit in Richtung der Pole des Feld be-
stimmt. Aus den Bewegungsgeschwindigkeiten kann dann die Ladung der
Tröpfchen bestimmt werden. Aufgrund ihrer geringen Größe tragen sie nur
wenige Elementarladungen und aus den Ladungen der einzelnen Tropfen kann
man dann auf den größsten gemeinsamen Teiler, die Elementarladung, schlie-
ßen.
Mit Proton und Elektron allein konnten die Massen der meisten Atome
nicht zufriedenstellend erklärt werden und man postulierte das Neutron, des-
sen Existenz James Chadwick durch Beschuss von Beryllium mit α-Teilchen
belegen konnte.

A.2 zum Atommodell von Bohr


Ein Problem für Atommodelle ist es gewesen, das optische Spektrum des
Wasserstoffs zu erklären. Bevor wir uns mit Bohrs Lösung für diese Problem
befassen wollen, zunächst eine kurze Einführung ist die Spektroskopie.
Wann immer Elektronen eines Atoms ihren energetischen Zustand wech-
seln, müssen sie dafür entweder Energie aufnehmen oder abgeben8 . Dies kann
in Form von Wärme geschehen, meistens wird es aber elektromagnetische
Strahlung sein. Elektromagnetische Strahlung kennen wir im Alltag als Licht,
Mikrowellen oder Radiowellen, vor UV-Strahlung (Ultra-Violett) der Sonne
schützen wir uns durch Sonnencreme und IR-Strahlen (Infra-Rot) benutzen
wir für Fernbedienungen. All diese Formen vom elektromagnetischer Strah-
lung lassen sich als Wellen beschreiben. Die Wellenlänge bestimmt die Art
der Strahlung bzw. bei sichtbarem Licht die Farbe und die Amplitude der
Welle salopp formuliert wie hell es ist. Die Energie der Strahlung ist anti-
proportional zu ihrer Wellenlänge:
1
E =h·c· (1)
λ
8
Wir errinnern uns: „Von nix kommt nix!“, erster Hauptsatz der Thermodynamik.

121
h und c sind Konstanten, die Planckkonstante und die Lichtgeschwindigkeit
im Vakuum.
Wenn wir nun beobachten, welche Wellenlänge die abgestahlte oder ab-
sorbierte Strahlung eines Atoms hat, können wir sagen, um welchen Betrag
∆E sich die Energie unseres Elektrons verändert hat. Damit erhalten wir die
Information, wie weit der Anfangs- und Endzustand des Elektrons energe-
tisch gesehen auseinander liegen.

∆E = EEnde − EAnfang (2)

Ist ∆E positiv absorbiert das Atom Strahlung, ist es negativ emmitiert es.
Wir haben jetzt also einen Zusammenhang zwischen den verschiedenen Ener-
giezuständen eines Elektrons und der Wellenlänge von absorbierter oder aus-
gesandter Strahlung.
An Stelle eines kompletten Regenbogens findet man genau vier scharfe
Linien im optischen Spektrum des Wassestoffs9 . Wie haben also nur vier10
verschiedene Werte die ∆E annimmt, dass heißt, dass maximal acht ver-
schiedene Energiezustände, die unser Elektron einnehmen kann. Genauere
Untersuchungen haben gezeigt, dass es fünf sind: eine gemeinsamer Grund-
zustand und vier verschiedene angeregte Zustände. Entscheidend ist an dieser
Stelle nicht die genaue Anzahl der Zustande, sondern die Erkenntnis, dass
ihre Anzahl beschränkt ist! Wir erinnern uns, dass das Modell von Ruther-
ford unendlich viele vorhersagt. Das Modell von Bohr hingegen gibt nicht
nur qualitativ richtig wieder, dass die Zahl der Energiezustände endlich ist,
sondern kann auch ihre energetische Abstände richtig vorhersagen. Die rote
Linie im Spektrum kann z. B. dem Übergang des Elektron vom Zustand mit
der Quantenzahl n = 3 nach n = 2 oder umgekehrt zugeordnet werden.

B Mathematisches
Die Sprache der Wissenschaft ist die Mathematik11 . Die Mathematik genießt
zu Unrecht den Ruf kompliziert und unverständlich zu sein. Wenn man einmal
verstanden hat, worum es geht, ist es tatsächlich so trivial wie Mathematiker
gerne behaupten. Leider sind Menschen, die Mathematik wirklich verstanden
haben, meiner Erfahrung nach häufig schreibfaul und führen gerne (zu) viele
9
analoge Untersuchung sind natürlich auch an anderen Elementen möglich, hier sind
die Spektren aber komplizierter, so dass man sich zunächst die einfachen Probleme vorge-
nommen hat. Stichwort: Mehrelektronensysteme
10
im sichtbaren Bereich, das komplette Spektrum erstreckt sich vom IR- über den opti-
schen bis zum UV-Bereich.
11
. . . und schlechtes Englisch.

122
Operationen von einer Zeile zur nächsten durch, was es nicht unbedingt ein-
fach macht ihren Gedanken zu folgen. Im folgenden habe ich mich bemüht,
Umformungen ausgiebig zu erläutern und möglichst nur eine von Zeile zu
Zeile vorzunehmen.
. . . und um gleich zu beruhigen: ja, dieser Abschnitt geht über Schulwissen
hinaus!

B.1 zum Atommodell von Bohr und Rutherford


Ausgangspunkt des Modells ist, dass es für eine stabile Bahn des Elektrons
um den Kern nötig ist, dass die Zentrifugalkraft FZF , die auf das Elektron
wirkt, und elektrostatische Anziehung FEl zwischen Kern und Elektron12 sich
genau aufheben:

FZF = −FEl (3)

Verwendet für die Beschreibung werden Formeln aus der klassischen Mecha-
nik nach Newton. Die Zentrifugalkraft, die auf das Elektron wirkt, kann
aus seiner Masse me− , seiner Geschwindigkeit ve− und dem Bahnradius r
bestimmt werden.
ve2− · me−
FZF = (4)
r
Die elektrostatische Anziehungskraft kann aus dem Abstand der beiden La-
dungen, hier also dem Bahnradius des Elektrons r und der Größe der Ladun-
gen, hier jeweils die Elementarladung e mit entgegengesetzten Vorzeichen,
bestimmt werden. Außerdem benötigen wir die Konstante 0 , die Dielektri-
zitätskonstante des Vakuums.
−e2
FEl = (5)
4π0 · r2
Setzen wir Gleichung 4 und 5 in Gleichung 3 ein, erhalten wir:

ve2− · me− −e2


=− ⇔
r 4π0 · r2
−e2 · r
ve2− · me− = − ⇔
4π0 · r2
e2
ve2− · me− = (6)
4π0 · r
12
Die Anziehung durch Gravitation ist vernachlässigbar klein.

123
Diese Gleichung werden wir gleich benutzen, um zu bestimmen, was von
eigentlichem Interesse ist, nämlich die Energie des Elektrons Ee− . Sie setzt
sich aus der kinetischen Energie Ekin und der potentielle Energie Epot des
Elektrons zusammen:

Ee− = Ekin + Epot (7)

Die Beschreibung der kinetischen Energie sieht wie folgt aus:


1
Ekin = ve2− · me− (8)
2
Die potentielle Energie kann wie folgt beschrieben werden.

−e2
Epot = (9)
4π0 · r
Mit Gleichung 8 und 9 in Gleichung 7 eingesetzt, erhalten wir folgende Be-
schreibung der Energie des Elektrons:

1 −e2
Ee− = ve2− · me− + (10)
2 4π0 · r

Den Term ve2− · me− können wir gemäß der oben hergeleiteten Beziehung für
die Bahnstabilität (Gleichung 6) substituieren und erhalten:

1 e2 −e2
Ee− = · +
2 4π0 · r 4π0 · r
e2
 
1
= −1 ·
2 4π0 · r
2
1 e e2
=− · =− (11)
2 4π0 · r 8π0 · r
Dieser antiproportionale Zusammenhang zwischen Energie des Elektrons und
seinem Bahnradius entspricht den Erwartungen der klassischen Mechanik.
Da r jedoch beliebige Werte annehmen kann, sind auch die Werte von Ee−
beliebig. Damit ist auch die Absorption von Energie in beliebigen Mengen
möglich (beliebige Energiedifferenzen), folglich müsste man also ein kontinu-
ierlichen Absorptionsspektrum beobachten. Dies ist aber nicht der Fall (siehe
Abschnitt A.2).
Nach dem Verständnis der klassischen Elektrodynamik sollte ein gelade-
nes Teilchen auf einer Kreisbahn elektromagnetische Strahlung abgeben und
damit kinetische Energie. Es sollte nach Vorstellung der Elektrodynamik auf

124
einer spiralförmigen Bahn sich dem Kern nähern und schließlich in ihn stür-
zen. Permanente Strahlungsabgabe wird jedoch nicht beobachtet.
Um diese Probleme des Rutherford’schen Modells zu beheben, pos-
tulierte Bohr Bahnen auf denen sich das Elektron strahlungsfrei bewegen
kann. Dabei soll der Drehimpuls eines Elektrons dem natürlichzahligen Viel-
fachen n des Planck’sche Wirkungsquantums 13 ~ bzw. h/2π (eine Naturkon-
stante h = 6, 6262 · 10−34 J s) entsprechen.
! h
ve− · me− · r = n · ~ = n · (12)

Löst man diese Gleichung nach ve− auf erhält man:
n·h
ve− = (13)
2π · me− · r
Durch Einsetzen dieser Beschreibung von ve− in die Bahnstabilitätsbedingung
(Gleichung 6) erhalten wir dann folgende Beziehung:
2
e2

n·h
· me− = (14)
2π · me− · r 4π0 · r
Diese können wir nun nach r auflösen und erhalten eine Beschreibung für
die Radien der Bahnen, auf denen sich das Elektron strahlungsfrei bewegen
kann.
n2 · h2 e2
· m e − = ⇔
4π 2 · m2e− · r2 4π0 · r
n2 · h2 · me− · 4π0 r2
= ⇔
4π 2 · m2e− · e2 r
n2 · h2 · 0
=r (15)
π · me− · e2
Schließlich können wir r in unsere Beschreibung für die Energie des Elektrons
(Gleichung 11) einsetzen und erhalten:
e2 e2 · π · me− · e2 e4 · me−
Ee− = − n2 ·h2 ·0
=− = − (16)
8π0 · π·me− ·e2
8π0 · n2 · h2 · 0 820 · n2 · h2

Die natürliche Zahl n wird als Quantenzahl bezeichnet. Im Gegensatz zu r


in Gleichung 11 kann n nicht jeden beliebigen Wert annehmen. Damit sind
auch nicht mehr beliebige Energien/Energiedifferenzen möglich. Nach dieser
Beschreibung erwarten wir also ein diskontinuierliches Linienspektrum!
13
bennant nach Max Karl Ernst Ludwig Planck.

125
B.2 zur Ionischen Bindung
Das Coulomb’sche Gesetz zur Beschreibung elektrostatischer Anziehung ist
uns in Abschnitt B.1 schon in spezieller Aufstellung begegnet. Allgemein
lautet es:
q1 · q2
FEl = (17)
4π · 0 · r2
q1 und q2 sind dabei die Ladungen, deren Wechselwirkung betrachtet werden
soll, r ihr Abstand und  ist die Dielektrizitätskonstante des Mediums, in dem
sich die Ladungen befinden (eine Materialkonstante, für das Vakuum gleich
1). 0 ist die Dielektrizitätskonstante des Vakuums (eine Naturkonstante).
Wird FEl negativ, handelt es sich um eine anziehende, bei positiven Werten
um eine abstoßende Wechselwirkung der Ladungen. Im Rahmen chemischer
Betrachtungen werden die beiden Ladungen q1 und q2 häufig als Produkt der
Elementarladung e und der Ladungszahlen der Ionen auftauchen:

q =z·e (18)

Dies ist auch bei der Aufstellung des Coulomb’schen Gesetzes in Gleichung 5
der Fall. Ebenso entfällt  häufig, da auf atomarer Ebene keine Medium zwi-
schen den Ladungen vorhanden ist (siehe auch Zitat von Λευκιππος und
Δημοκριτος Seite 11). Da der Abstand r die einzige Größe ist, die die räum-
liche Anordnung der Ladungen beschreibt, ergibt sich aus dieser Gleichung,
dass die elektrostatische Kraft richtungsunabhängig sein muss und mit gerin-
gerwerdendem Abstand zunimmt (r steht im Nenner, bitte gerne mit Zahlen
ausprobieren!). Dies beobachtet man auch tatsächlich.

B.3 zur Kinetik


Wir haben in Abschnitt 4.5 gelernt, dass es sich bei der Reaktionsgeschwin-
digkeit um die Änderung einer Konzentration mit der Zeit handelt. Für ein
Edukt A mathematisch beschrieben:
d[A]
v=− (19)
dt
Außerdem haben wir gelernt, dass die Reaktionsgeschwindigkeit in verschie-
denen Ordnungen von der Konzentration von A abhängt. Für eine Reaktion
erster Ordnung für A erhalten wir also wie bereits oben gesehen:

d[A]
v=− = k1 · [A] (20)
dt

126
In vielen Fällen ist aber viel interessanter zu welchem Zeitpunkt welche Kon-
zentration vorliegt. Wir benötigen also eine Gleichung, in der t und [A] an-
stelle von dt und d[A] auftauchen. Für die Umformung in die gewünschte
Form beginnen wir zunächst damit die Variablen zu trennen, das heißt, alle
Terme die [A] enthalten, auf eine Seite des Gleichheitszeichens und alle die t
enthalten auf die andere zu bringen:
1
− · d[A] = k1 · dt (21)
[A]
Nun können wir für jede Größe getrennt integrieren, um uns dt und d[A] zu
entledigen. Als Grenzen wählen wir die Anfangskonzentration [A]0 und die
aktuelle Konzentration [A], sowie den dazugehörigen Beginn der Reaktion
bei t = 0 und die aktuell verstrichene Zeit t:
Z [A] Z t
1
− · d[A] = k1 dt (22)
[A]0 [A] 0

Wir erhalten dann:

−(ln [A]0 − ln [A]) = k1 · (0 − t) ⇔


− ln [A]0 + ln [A] = −k1 · t ⇔
ln [A] = ln [A]0 − k1 · t (23)

Diese Form der Darstellung ist bereits sehr nützlich, da wir nun einen linea-
ren Zusammenhang zwischen ln [A] und t haben, das heißt, wir erhalten als
graphische Darstellung eine Gerade, aus deren Steigung wir k1 bestimmen
können. Um die Konzentration von A selbst bestimmen zu können, müssen
wir nun abschließend exponentieren.

[A] = [A]0 · e−k1 ·t (24)

Auf analogem Weg können auch die integralen Geschwindigkeitsgesetze hö-


herer Ordnung aufgestellt werden.

B.4 zu Redox-Reaktionen
Ausgleichen einer Reaktionsgleichung
Da das korrekte Aufstellen und Ausgleichen von Reaktionsgleichungen wich-
tiges Handwerkszeug für eine(\B|n) Chemiker(\B|in) ist14 , soll hier ein Bei-
spiel detailliert vorgestellt werden. Wir wollen und die Reaktion von Iodid
14
außerdem sind es billige Punkte in Klausuren!

127
mit Permangant zu Iod und Mangan(II) in saurer, wässriger Lösung näher
ansehen.
Beginnen wir mit einer Bestandsaufnahme. Was haben wir vor der Re-
aktion, was danach und welche Oxidationszahlen haben die Atome jeweils
vorher und nachher?
• vorher:
−I +VII −II +I
I− , Mn O−
4, H
+

• nachher:
±0 +II
I2 , Mn2+
Wir stellen fest, dass das Iodatom Elektronen abgegeben hat, ist also oxi-
diert worden, Mangan hat Elektronen aufgenommen, ist also reduziert wor-
den. Außerdem können wir den Verbleib von Proton und Sauerstoff nicht
eindeutig klären. Die Elementkombination Wasserstoff und Sauerstoff legt
aber nahe, die Bildung von Wasser anzunehmen. Der nächste Schritt ist die
Teilgleichungen für Oxidation und Reduktion zu formulieren:
−I ±0
I− −→ I2 + 2 e− Oxidation
+VII −II +II
Mn O− 4 + 5 e− −→ Mn 2+
Reduktion
Um auf beiden Seiten der Gleichung dieselbe Zahl an Iodatomen zu haben
muss links der stöchiometrische Faktor 2 ergänzt werden. Auch in der Re-
duktionsgleichung stimmt die Stoffbilanz nicht. Wir können sie korrigieren,
in dem wir auf unser letztes Edukt H+ zurückgreifen und Wasser bilden.
−I ±0
2 I− −→ I2 + 2 e− Oxidation
+VII −II +II
Mn O− 4 + 5 e− + 8 H+ −→ Mn 2+
+ 4 H2 O Reduktion
Wenn wir nun die Zahl der Elektronen in den Teilgleichung betrachten, stellen
wir fest, dass sie verschieden sind. Um eine ausgeglichene Elektronenbilanz
zu bekommen, müssen wir das kleinste gemeinsame Vielfache der Elektro-
nenzahl der Teilgleichungen finden. Für 2 und 5 ist das leicht gemacht: wir
werden insgesamt 10 Elektronen übertragen. Das heißt, wir müssen jetzt bei-
de Teilgleichungen mit einem passenden Faktor multiplizieren, um auf 10
Elektronen zu kommen.
−I ±0
2 I− −→ I2 + 2 e− |·5
+VII −II +II
Mn O− 4 + 5 e− + 8 H+ −→ Mn 2+
+ 4 H2 O |·2

128
Jetzt ist sowohl die Stoff- als auch die Elektronenbilanz ausgeglichen:
−I ±0
10 I− −→ 5 I2 + 10 e−
+VII −II +II
2 Mn O− − +
4 + 10 e + 16 H −→ 2 Mn
2+
+ 8 H2 O
Im nächsten Schritt addieren wir beide Teilgleichungen zu einer Gesamtglei-
chung:
−I ±0
10 I− −→ 5 I2 + 10 e−
+VII −II +II
2 Mn O− −
4 + 10 e + 16 H
+
−→ Mn2+ + 8 H2 O
−I +VII −II ±0 +II
10 I− + 2 Mn O− − + −
4 + 10 e + 16 H −→ 5 I2 + 10 e + 2 Mn
2+
+ 8 H2 O

Auf beiden Seiten der Gleichung tauchen unsere 10 Elektronen auf und wir
können sie „kürzen“. Damit sind wir für die meisten Zwecke dann fertig. Prak-
tisch wird es uns aber schwer fallen einen Kolben in dem nur Iodid- oder
Permanganationen zu finden sind. Wir brauchen also für eine wirklich aus-
geglichene Reaktionsgleichung noch ein paar beliebige nicht an der Reaktion
beteiligte Kationen und Anionen. Warum also nicht Kalium und Chlorid?
Unsere vollständig ausgeglichene Reaktionsgleichung lautet dann:

10 KI + 2 KMnO4 + 16 HCl −→ 5 I2 + 2 MnCl2 + 8 H2 O + 10 KCl

129
C Physikalische Daten

Tabelle 5: Standardbildungsenthalpien
Formel Zustand ∆H0f /kJ/mol Formel Zustand ∆H0f /kJ/mol
Al2 O3 s −1676 H g 218
AlF3 s −1504 H2 O g −242
HBr g −36 H2 O l −286
C(Graphit) s 0 H2 O s −292
C(Diamant) s 1, 9 HI g 26
CO g −111 KCl s −436
CO2 g −393 KBr s −392
CaO s −635 KI s −329
Ca(OH)2 s −986 NH3 g −46
CaSO4 s −1434 NO g 90
CaCO3 s −1207 NO2 g 33
HCl g −92 O g 249
HF g −271 O2 g 0

130
Tabelle 6: Löslichkeitsprodukte. Angaben in mola+b/la+b .

Aa B b L A a Bb L Aa B b L
Halogenide Sulfide Sulfate
MgF2 6 · 10−9 SnS 1 · 10−26 CaSO4 2 · 10−5
CaF2 2 · 10−10 PbS 3 · 10−28 SrSO4 8 · 10−7
BaF2 2 · 10−6 MnS 7 · 10−16 BaSO4 1 · 10−9
PbF2 4 · 10−8 NiS 1 · 10−21 PbSO4 2 · 10−8
PbCl2 2 · 10−5 FeS 4 · 10−19 Hydroxide
PbI2 1 · 10−8 CuS 8 · 10−45 Be(OH)2 3 · 10−19
CuCl 1 · 10−6 Ag2 S 5 · 10−51 Mg(OH)2 1 · 10−12
CuBr 4 · 10−8 ZnS 1 · 10−24 Ca(OH)2 4 · 10−6
CuI 5 · 10−12 CdS 1 · 10−28 Ba(OH)2 4 · 10−3
AgCl 2 · 10−10 HgS 2 · 10−54 Al(OH)3 2 · 10−33
AgBr 5 · 10−13 Carbonate Pb(OH)2 4 · 10−15
AgI 8 · 10−17 Li2 CO3 2 · 10−3 Mn(OH)2 7 · 10−13
AgCN 2 · 10−11 MgCO3 3 · 10−5 Cr(OH)3 7 · 10−31
Hg2 Cl2 2 · 10−13 CaCO3 5 · 10−9 Ni(OH)2 3 · 10−17
Hg2 I2 1 · 10−23 SrCO3 2 · 10−9 Fe(OH)2 2 · 10−15
Chromate BaCO3 2 · 10−9 Fe(OH)3 5 · 10−38
BaCrO4 8 · 10−11 Pb2 CO3 3 · 10−14 Cu(OH)2 2 · 10−19
PbCrO4 2 · 10−14 Zn2 CO3 6 · 10−11 Zn(OH)2 2 · 10−17
Ag2 CrO4 4 · 10−12 Ag2 CO3 6 · 10−12 Cd(OH)2 2 · 10−14

131
Tabelle 7: Säurekonstanten
pKS Säure H+ + Base pKB
∼ −10 HClO4 H+ + ClO− 4 ∼ 24
∼ −10 HI H+ + I− ∼ 24
∼ −9 HBr H+ + Br− ∼ −23
∼ −6 HCl H+ + Cl− ∼ 20
∼ −3 H2 SO4 H+ + HSO− 4 ∼ 17
−1, 74 H3 O+ H+ + H2 O 15, 74
−1, 32 HNO3 H+ + NO− 3 15, 32
0, 17 CH(NO3 )3 H+ + [C(NO3 )3 ]− 13, 93
1, 92 HSO− 4 H+ + SO2−
4 12, 08
1, 96 H3 PO4 H+ + H2 PO− 4 12, 04
2, 22 [Fe(H2 O)6 ]3+ H+ + [Fe(H2 O)5 OH]2+ 11, 78
3, 14 HF H+ + F− 10, 86
H+ CH3 COO−
Säure wird stärker

4, 76 CH3 COOH + 9, 24

Base wird stärker


4, 85 [Al(H2 O)6 ]3+ H+ + [Al(H2 O)5 OH]2+ 9, 15
6, 52 H2 CO3 H+ + HCO− 3 7, 48
6, 92 H2 S H+ + HS− 7, 08
7, 12 H2 PO− 4 H+ + HPO2− 4 6, 88
9, 21 NH+ 4 H+ + NH3 4, 79
9, 40 HCN H+ + CN− 4, 60
9, 98 C6 H5 –OH H+ + C6 H5 –O− 4, 02

10, 21 CH3 –NO2 H+ + CH2 –NO2 3, 79
10, 40 HCO− 3 H+ + CO2−3 3, 60
12, 32 HPO2− 4 H+ + PO3−
4 1, 68
15, 74 H2 O H+ + OH− −1, 74
16 C2 H5 –OH H+ + C2 H5 –O− −2
∼ 20 PH3 H+ + PH−2 ∼ −6
∼ 23 NH3 H+ + NH− 2 ∼ −8
26 HCCH H+ + HCC− −12
−34 CH4 H+ + CH−3 −20
∼ 24 OH− H+ + O2− ∼ −10
38, 6 H2 H+ + H− −24, 6

132
Tabelle 8: Standardpotentiale. H+ |H2 ist als Referenz als Null definiert.
reduzierte Form oxidierte Form E0 /V
Li Li+ + 1 e− −3, 04
K K+ + 1 e− −2, 92
Ca Ca2+ + 2 e− −2, 87
Na Na+ + 1 e− −2, 71
Al Al3+ + 3 e− −1, 68
Mn Mn2+ + 2 e− −1, 19
Zn Zn2+ + 2 e− −0, 78
S2− S + 2 e− −0, 48
reduziernde Wirkung nimmt zu

oxidierende Wirkung nimmt zu


Fe Fe2+ + 2 e− −0, 41
Cd Cd2+ + 2 e− −0, 40
Sn Sn2+ + 2 e− −0, 14
Pb Pb2+ + 2 e− −0, 13
H2 2 H+ + 2 e− ±0, 00
Sn2+ Sn4+ + 2 e− +0, 15
Cu Cu2+ + 2 e− +0, 34
2 I− I2 + 2 e− +0, 54
Fe2+ Fe3+ + 1 e− +0, 77
Ag Ag+ + 1 e− +0, 80

NO + 6 H2 O NO3 + 4 H3 O+ + 3 e− +0, 96
2 Br− Br2 + 2 e− +1, 07
Cr3+ Cr+VI + 3 e− +1, 33
2 Cl− Cl2 + 2 e− +1, 36
Pb2+ Pb4+ + 2 e− +1, 48
Au Au3+ + 3 e− +1, 50
Mn2+ Mn+VII + 5 e− +1, 51
2 F− F 2 + 2 e− +2, 87

133
Abbildung 1: Schematische Darstellung des Experimentes von Rutherford
et al. . schwarz : Atomhülle, rot: Atomkerne, blau: α-Strahlung.

Abbildung 2: Das optische Spektrum des Wasserstoffs zeigt vier scharfe Li-
nien und kein Kontinuum.

134

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