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Basiswissen Chemie
Sommersemester 2014
Christoph Wölper
Institut für Anorganische Chemie
der
Universität Duisburg-Essen
http://www.uni-due.de/∼adb297b
Zielsetzung
Dieses Skript soll die in der Schule im Chemieunterricht erworbenen Kennt-
nisse zusammenfassen um Studienanfänger(\B|inne)n1 den Einstieg in das
Studium zu erleichtern. Insbesondere in mathematisch-naturwissenschaftli-
chen Fächern bereitet dieser Einstieg häufig Probleme. Durchfallquoten von
70% in den ersten Klausuren sprechen deutlich für sich. Diese zu senken oh-
ne dabei das Ausbildungsniveau verringern zu müssen, ist Ziel des MINT2 -
Projektes.
An Schulen haben sich klare Aufgaben und noch klarere „richtig“ und
„falsch“ Bewertbarkeit der Antworten etabliert. Dies erleichtert die Bewer-
tung der schulischen Leistungen und soll dem Anspruch auf Vergleichbarkeit
der Noten gerecht werden. Im Unterricht werden dann Lösungskonzepte ge-
lehrt, wie die Aufgaben zu beantworten sind. Leider hat dieses Denkkonzept
wenig mit wissenschaftlichem Arbeiten zu tun. Eine klare Einteilung in „rich-
tig“ und „falsch“ ist nicht möglich.
Wissenschaftler(\b|innen) denken in Modellen und die Fragestellung ist,
ob und für welche Randbedingungen ein Modell die experimentellen Befunde
gut beschreibt. Wenn es kein passendes Modell gibt ist die Kreativität de[sr]
Wissenschaftler(in|s) gefragt eines zu entwickeln. Ein schönes Beispiel ist die
Newton’sche Mechanik. Sie liegt zwar mit ihren Vorhersagen sehr häufig
richtig kann aber viele Experimente nicht beschreiben und die allgemeine
Relativitätstheorie und die Quantenmechanik haben sie als aktuellen Kennt-
nisstand abgelöst. Mit schulischen Begriffen würde man die Newton’sche
Mechanik also als „falsch“ bezeichnen. Nichtsdestotrotz wird quasi jedes Ge-
bäude und jede Maschine auf ihrer Grundlage konstruiert. Unter den gege-
benen Randbedingungen beschreibt sie die Realität ausreichend gut und es
1
Die Sorgen, ob man in einer Gleichung y = ax2 lieber b an Stelle von a verwenden
soll, überlasse ich anderen. Ich will mich aber zumindest bemühen korrekt zu formulieren.
2
Neusprech für: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik.
ii
ist nicht nötig auf komplexere „richtige“ Theorien zurückzugreifen. Sich vom
richtig/falsch Denkschema der Schule zu lösen, ist eine wichtige Aufgabe in
den ersten Studiensemester. Spätestens wenn Sie selbst Forschung betreiben
sind Sie aufgeschmissen, wenn Sie immer nur vorgegebene Lösungskonzepte
lernen. Forschung heißt Probleme zu lösen, für die es noch keine Lösung gibt!
In Bilder beschrieben könnte man sagen es wird Zeit nicht länger Torwand
schießen zu üben, sondern endlich Fußball spielen zu lernen.
Ein rein praktischer Vorteil, den einem das sichere Umgehen mit Modell-
vorstellungen verschafft ist, dass sich der Lernaufwand drastisch reduzieren
lässt. Viele Dinge lassen sich sehr einfach herleiten, wenn man das zu Grunde
liegende Modell verstanden hat. Man kann möglicherweise dann sogar Dinge
erklären von denen man noch nie vorher etwas gelesen hat. Modellvorstel-
lungen helfen also auch Faktenwissen zu systematisieren und zu verknüpfen,
Zusammenhänge zwischen Fakten zu erkennen. Der Umgang mit Modellen ist
einem Puzzlespiel gleichzusetzen: man setzt viele einzelne Teile zusammen,
um das große Ganze zu erkennen. Nur ein Idiot würde auf die Idee kommen,
sich den Aufdruck einzelner Puzzleteile merken zu wollen.
Neben dem ungewohnten Umgang mit Modellen ist ein weiteres häufiges
Problem, dass Naturwissenschaften abstraktes Denken benötigen um Beob-
achtungen (oder Gedankenexperimente) in mathematischen Formeln auszu-
drücken und umgekehrt sich (bildlich) vorstellen zu können, was mathema-
tische Formeln aussagen. Albert Einstein hat dies sehr schön beschrieben:
„Vorstellungsvermögen ist wichtiger als Wissen“. Er ist in Gedanken auf einem
Lichtstrahl gesurft und hat diese Bilder dann in den Formeln beschrieben,
die wir heute als Relativitätstheorie kennen.
zum Skript
Im Kapitel Atome wird das Atom als zentrales Modell der Chemie eingeführt
und verschiedene Theorien vorgestellt, die seine Eigenschaften beschreiben.
Wir beantworten also die Frage „Was sind Atome?“. Im darauffolgenden Kapi-
tel Vom Atommodell zum Periodensystem wird erklärt, welche verschiedenen
Atomsorten es gibt und wie sie systematisiert werden können. Mit diesem
Setzkasten voller Bausteine gerüstet, können wir uns im Kapitel Wechselwir-
kungen zwischen Atomen damit befassen, mit welchem „Kleber“ diese Bau-
steine zu größeren Gebilden zusammengesetzt werden können. Das folgende
Kapitel Chemische Reaktionen beschreibt den Vorgang dieser „Bastelarbei-
ten“ und wir werden lernen/uns erinnern, wie wir Atome und Verbindungen
von ihnen beeinflussen können, damit sie neue Verbindungen bilden und wie
wir die Geschehnisse bei diesen Vorgängen beschreiben können. Hier beant-
worten wir also die Frage „Was können wir mit Atomen machen und was
iii
passiert dabei?“. Im abschließenden Kapitel werden wir uns die Besonderhei-
ten der Atomsorte Kohlenstoff genauer ansehen.
Fachbegriffe werden in kursiv gesetzt und zum Teil erst später im Text
erklärt. Um einen roten Faden gewährleisten zu können, sind gelegentlich die
Experimente, die zur Entwicklung oder Bestätigung einer Theorie geführt
haben erst im Anhang (ab Seite 120) zu finden. Dort sind ebenfalls tiefer-
gehende mathematische Details zu einigen Modellen untergebracht. Direkt
folgt eine Liste von empfehlenswerten Lehrbüchern, die z. T. auch für die
Erstellung dieses Skriptes herangezogen wurden.
Literatur
A. Blaschette, Allgemeine Chemie I, 2. Auflage, 1993, Quelle & Mey-
er, ISBN 3-494-02194-5, Signatur der Bibliothek: E31-UNP2776 (ältere
Auflage)
Dank
Mein Dank gilt den Herren Dr. Sven Range, Dr. Wolfgang Habel und Dr.
Ulrich Westphal, die die Vorgängerversion dieses Skriptes erstellt und da-
mit eine wichtige Informationsgrundlage zusammengestellt haben. Bei Herrn
Prof. Dr. Gerhard Wurm möchte ich mich für hilfreiche Informationen zur
Kernphysik bedanken.
Dieses Skript wurde mit LATEX erstellt.
A. Blaschette
iv
Inhaltsverzeichnis
1 Atome 11
1.1 Atommodell der Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
1.2 Das Modell von Dalton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
1.3 Das Modell von Rutherford . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
1.3.1 Elementarteilchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
1.4 Das Modell von Bohr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
1.5 Das Quantenmechanische Atommodell . . . . . . . . . . . . . 18
v
4 Chemische Reaktionen 49
4.1 Chemische Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
4.1.1 Physikalische Größen und Maßeinheiten . . . . . . . . 51
4.1.1.1 Stoffmengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
4.1.1.2 Konzentrationen von Lösungen . . . . . . . . 53
4.2 Physikalische Grundoperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
4.2.1 Trennverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
4.3 Reaktionsgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
4.3.1 Oxidationszahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
4.4 Thermodynamik der Chemischen Reaktion . . . . . . . . . . . 62
4.4.1 Grundlagen der Thermodynamik . . . . . . . . . . . . 63
4.4.1.1 System und Umgebung . . . . . . . . . . . . . 63
4.4.1.2 1. Hauptsatz: Energie eines Systems . . . . . 64
4.4.1.3 2. Hauptsatz: Unordnung . . . . . . . . . . . 66
4.4.1.4 Zustandsgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
4.4.2 Anwendungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
4.4.2.1 Phasenübergänge . . . . . . . . . . . . . . . . 68
4.4.2.2 Reaktionsenthalpien . . . . . . . . . . . . . . 68
4.4.2.3 Freiwilligkeit von Reaktionen . . . . . . . . . 71
4.4.2.4 Gitterenergie von Ionenkristallen . . . . . . . 71
4.5 Kinetik der Chemischen Reaktion . . . . . . . . . . . . . . . . 72
4.5.1 Konzentrationsabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 73
4.5.1.1 Reaktionsordnungen . . . . . . . . . . . . . . 74
4.5.2 Temperaturabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
4.5.3 Katalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
4.5.4 Heterogene Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
4.6 Chemische Gleichgewichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
4.6.1 Das Prinzip von le Chatelier . . . . . . . . . . . . . 82
4.6.2 Das Massenwirkungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . 82
4.6.3 Löslichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
4.7 Säure/Base-Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
4.7.1 Theorie nach Arrhenius . . . . . . . . . . . . . . . . 86
4.7.1.1 H+ in wässriger Lösung . . . . . . . . . . . . 87
4.7.2 Theorie nach Brønsted . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
4.7.2.1 Säure- und Basekonstanten . . . . . . . . . . 89
4.7.2.2 Der pH-Wert . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
4.7.3 Theorie nach Lewis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
4.8 Redox-Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
4.8.1 Elektrochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
4.8.1.1 Galvanische Elemente . . . . . . . . . . . . . 95
4.8.1.2 Standardwasserstoffelektrode . . . . . . . . . 98
vi
4.8.1.3 Die Nernst’sche Gleichung . . . . . . . . . . . 98
4.8.1.4 Elektrolyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
4.8.1.5 Der Blei-Akkumulator . . . . . . . . . . . . . 99
4.8.1.6 Lokalelemente und Korrosion . . . . . . . . . 100
Anhang 120
A Experimentelles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
A.1 zum Atommodell von Rutherford . . . . . . . . . . 120
A.1.1 zu den Elementarteilchen . . . . . . . . . . . 120
A.2 zum Atommodell von Bohr . . . . . . . . . . . . . . . 121
B Mathematisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
B.1 zum Atommodell von Bohr und Rutherford . . . . 123
B.2 zur Ionischen Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
B.3 zur Kinetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
B.4 zu Redox-Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
C Physikalische Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
vii
Zu Beginn ein wenig Philosophie
In der Wissenschaft unterscheidet man zwischen zwei Vorgehensweisen um zu
neuen Erkenntnissen zu gelangen, das induktive und das deduktive Vorgehen.
Im Fall des induktiven Vorgehens ist der Ausgangspunkt das Experiment.
Wir haben hier in der Natur oder im Labor eine Beobachtung gemacht und
versuchen nun diese spezielle Beobachtung so allgemeingültig wie möglich
zu erklären. Wenn unsere Erklärung gut gelungen ist, können wir mit ihr
den Ausgang von weiteren Experimenten vorhersagen und sie auf diesem
Wege überprüfen. Dieses Vorgehen bezeichnet man dann als deduktiv. Für
eine deduktive Herangehensweise an ein Problem beginnen wir also mit ei-
ner möglichst allgemeinen Hypothese und überprüfen im reproduzierbaren(!)
Experiment deren Gültigkeit für einen speziellen Fall. Da eine Überprüfung
aller spezieller Fälle nicht möglich ist, lässt sich eine Hypothese nie voll-
ständig auf Richtigkeit kontrollieren. Hat sie aber sehr viele Experimente
erfolgreich und reproduzierbar vorhergesagt, wird eine Hypothese als gültige
Theorie anerkannt. Widerspricht ihr ein Experiment, ist sie widerlegt oder
zumindest ihre Allgemeingültigkeit eingeschränkt. Sie kann dann für eventu-
elle speziellere Anwendungen aber immer noch nützlich sein.
Abstraktes Denken
Abstraktes Denken reduziert eine komplexe Gegebenheit auf ihre wesentli-
chen Merkmale. Ein Strichmännchen ist ein gutes Beispiel für die abstrakte
Darstellung eines Menschen. Dieser Form der Darstellung ist sogar gelungen
soweit zu verallgemeinern, dass die Bezeichnung „Strichmännchen“ eigent-
lich nicht mehr gerechtfertigt ist, da das Geschlecht des „Männchens“ nicht
8
mehr zu identifizieren ist. Obwohl bei Menschen so ein deutliches Unterschei-
dungsmerkmal vorliegt, gelingt es der Darstellung als Strichmännchen dieses
aufzuheben und Mann und Frau durch eine einzige abstrakte Darstellung zu
repräsentieren. Eine beliebige Gruppe Menschen zu betrachten und festzu-
stellen, dass bei allen Unterschieden jeder von ihnen auf ein Strichmännchen
reduziert werden kann, ist ein Beispiel für eine induktive Vorgehensweise.
Ein weiteres Beispiel ist in Abbildung 2 zu finden.
Abbildung 2: Auf den ersten Blick haben diese Bilder keine Gemeinsam-
keit. . .
Abbildung 3: . . . auf den zweiten zeigt sich, dass sie den selben Bildaufbau
haben.
9
a) Lernen Sie Essen/Duisburg kennen und machen Sie Photos die
denselben Bildaufbau haben oder anders formuliert arbeiten Sie
deduktiv und finden Sie weitere „experimentelle Belege“ für unsere
„Theorie“.
b) Welche Gemeinsamtkeiten können zwei Photos außer ihres Bild-
aufbaus noch haben?
c) Finden Sie auch zu dieser Hypothese experimentelle Belege.
10
Kapitel 1
Atome
Das fundamentalste und wichtigste Modell der Chemie oder vielleicht sogar
der Naturwissenschaften im Allgemeinen ist die Vorstellung, dass die Materie,
also alles was eine Masse hat, aus kleinsten Bausteinen, den Atomen (von
griechisch ατομος (atomos) für unteilbar) aufgebaut ist. Bevor wir uns also
mit chemischen Fragestellungen irgendeiner Art beschäftigen können, ist es
notwendig zu klären, was Atome sind und welche Eigenschaften sie haben.
Im Laufe der Jahrhunderte haben sich die Vorstellungen von Atomen ge-
wandelt und die Atommodelle sind immer leistungsfähiger geworden. Hier
sollen die wichtigsten Entwicklungsstufen bis zum aktuellsten Stand der Er-
kenntnisse, dem quantenmechanischen oder wellenmechanischen Atommo-
dell, dargestellt werden.
„Nur scheinbar hat ein Ding eine Farbe, nur scheinbar ist es süß
oder bitter; in Wirklichkeit gibt es nur Atome im leeren Raum.“
11
1. Die Materie besteht aus sehr kleinen Atomen, die nicht weiter zerlegbar
sind und weder erschaffen noch zerstört werden können.
3. Bei der Bildung einer Verbindung vereinigen sich die Atome der Ele-
mente in einem konstanten Zahlenverhältnis. Dabei ändert sich die Ge-
samtmasse der beteiligten Stoffe nicht, da die Atome unveränderlich
sind.
Daltons Atommodell beruht auf verschiedenen experimentelle Befunden.
Lomonosov und de Lavoisier konnten durch präzises Wiegen zeigen,
dass das Gewicht der beteiligten Substanzen vor einer Reaktion (z. B. beim
Verbrennen einer Substanz, wenn man die gasförmigen mitwiegt) dasselbe
wie nach der Reaktion ist. Es wird also weder Masse erzeugt noch vernichtet.
Diese Erkenntnis wird als Satz von der Erhaltung der Masse bezeichnet und
führte zu Daltons erster und dritter Aussage über Atome.
Proust konnte zeigen, dass Verbindungen von Elementen immer diesel-
be Zusammensetzung haben, unabhängig vom Ort an dem eine Verbindung
gefunden wurde oder ob sie natürlichen oder künstlichen Ursprungs ist: „Wir
müssen erkennen, dass Zusammensetzung und Eigenschaften einer echten
Verbindung überall auf der Erde gleich sind. Zinnober aus Japan besitzt die
gleichen Eigenschaften und die gleiche Zusammensetzung wie Zinnober aus
Spanien; auf der ganzen Welt existiert nur ein Kochsalz, ein Salpeter usw.,
und die künstlich hergestellten Oxide haben dieselbe Zusammensetzung wie
die natürlich vorkommenden.“ Wir sprechen vom Gesetz der konstanten Pro-
portionen.
Durch eigene Experimente konnte Dalton diese Aussage zum Gesetz
der multiplen Proportionen weiterentwickeln. Er stellte fest, dass 1 g Koh-
lenstoff bei unzureichender Sauerstoffzufuhr mit 1, 333 g Sauerstoff reagiert,
aber ausreichender Zufuhr jedoch mit 2, 666 g, also der doppelten Masse. Er
folgerte daraus: „Bilden zwei Elemente mehrere Verbindungen, dann stehen
die Massen der Elemente zueinander im Verhältnis kleiner ganzer Zahlen.“
Dies trug ebenfalls zur Formulierung seiner dritten Aussage über Atome bei.
Die Erkenntnis, dass es verschiedene Atomsorten geben müsse erlangte
man dadurch, dass beim Versuch Verbindungen in ihre Bestandteile zu zer-
legen, nicht weiter zerlegbare Substanzen gefunden wurden, die sich in ihren
Eigenschaften unterschieden.
Insbesondere der zweite und dritte Punkt sind eine deutliche Weiterent-
wicklung des antiken Modell, da Dalton zwischen verschiedenen Atomsor-
12
ten – den sogenannten Elementen 1 – die sich durch ihre Masse unterscheiden,
differenzieren und bereits Aussagen über Verbindungen von Atomen treffen
kann. Auf welche Art und Weise die Atome miteinander verbunden sind bzw.
was für eine Kraft zwei Atome aneinander bindet kann dieses Modell jedoch
nicht erklären.
2. Wie lässt sich nachweisen, dass bei der Verbrennung einer Kerze ein
Teil der Luft verbraucht wird?
3. Wie könnte man nachweisen, dass es sich bei dem verbrauchten Luft-
anteil um Sauerstoff handelt?
4. Ein Kupferblech wiegt 400 g. Es wird mit Schwefel zur Reaktion ge-
bracht. Nach der Reaktion wiegt es 600 g.
a) Wie groß ist die Masse des Schwefels der reagiert hat?
b) Wie lautet das Massenverhältnis?
c) Wie viel Gramm Schwefel braucht man für die Reaktion von 233 g
Cu?
13
1.3.1 Elementarteilchen
Die Elementarteilchen, die man zur Beschreibung eines Atoms benutzt, be-
zeichnet man als Proton, Neutron und Elektron. Protonen und Elektronen
sind elektrisch geladen. Sie tragen beide dieselbe Ladung jedoch mit entge-
gengesetztem Vorzeichen. Das Proton nennt man positiv geladen, das Elek-
tron negativ geladen. Das Neutron ist elektrisch neutral. Neben der Ladung
ist die Masse eine wichtige Eigenschaft der Elementarteilchen. Proton und
Neutron haben in etwa dieselbe Masse, die des Elektrons beträgt etwa ein
zweitausendstel dieser Masse. Da Atome nach außen hin elektrisch neutral
sind, müssen die Zahl der Protonen und Elektronen, die sie bilden gleich
groß sein. Die verschiedenen Atomsorten unterscheiden sich dann durch die
Zahl der Protonen (und damit auch der Elektronen). Da so aber lediglich die
Masse des Elements Wasserstoff erklärt werden kann, benötigt man noch ein
weiteres, elektrisch neutrales Elementarteilchen, das eine hohe Masse besitzt,
das Neutron. Atomkerne bestehen also nach Rutherford aus Protonen und
Neutronen, wobei es die Protonen sind, die die Eigenschaften des Atoms be-
stimmen bzw. festlegen zu welchem Element es gehört.
Weitere experimentelle Erkenntnisse haben dazu geführt, dass noch dif-
ferenziertere Modelle entwickelt wurden und auch die Elementarteilchen als
Verbindungen von „noch elementareren Elementarteilchen“ beschrieben wer-
den können. So detaillierte Betrachtungen sind jedoch für die Erklärung che-
mischer Phänomene nicht notwendig.
Entfernt man Elektronen aus der Atomhülle verschiebt man das Ladungs-
gleichgewicht zu Gunsten der positiven Ladungen und es bildet sich ein Kati-
on, fügt man Elektronen zur Hülle hinzu verschiebt man es zu den negativen
Ladungen. Das dann entstehende Teilchen bezeichnet man als Anion. Ganz
allgemein spricht man bei geladenen Atomen von Ionen (von griechisch ἰών
(ion) für gehend).
Neben der Variation der Ladung ist eine Variation der Masse eines Atoms
durch Zugeben oder Entfernen von Neutronen möglich3 . Atome, die zur sel-
ben Atomsorte gehören, aber sich in ihrer Masse unterscheiden bezeichnet
man als verschiedene Isotope eines Elements.
Bei dem Versuch diese Vorstellung von einem Atom aus Hülle und Kern in
mathematischen Formeln zu quantifizieren stieß man allerdings auf Probleme,
die erst Bohr beheben konnte. Mit der Entdeckung der Elementarteilchen
hat man jedoch nicht nur ein leistungsfähigeres Atommodell schaffen können,
3
Das Beeinflussen von Atomkernen ist allerdings experimentell deutlich anspruchsvoller
als das Ionisieren eines Atoms, also das Beeinflussen der Atomhülle. An dieser Stelle ist es
ein reines Gedankenexperiment!
14
sondern auch Beobachtungen wie Elektrizität/elektrischer Strom mit Hilfe
der Vorstellung von einem Elektron erklären können. Außerdem liefert das
Rutherford’sche Atommodell die Grundlage für erste Erklärungsansätze
der Kräfte, die in Verbindungen von Atomen (Salze, siehe Abschnitt 3.1 und
Metalle, siehe Abschnitt 3.2) zwischen ihnen wirken.
Exkurs: Radioaktivität
Die Elementarteilchen des Kerns werden durch die sogenannte starke Wech-
selwirkung zusammengehalten (Details zu Wechselwirkungen siehe Kapitel 3).
Sie ist aber nicht die einzige Kraft, die innerhalb des Atomkerns auftritt.
Im Atomkern finden wir mit den Protonen Teilchen, die dieselbe Ladung
haben. Zwischen geladenen Teilchen tritt die elektromagnetische Wechsel-
wirkung auf. Diese ist zwischen gleichgeladenen Teilchen repulsiv. Außerdem
tritt zwischen den Elementarteilchen des Kerns die schwache Wechselwirkung
auf.
Das komplexe Wechselspiel dieser Kräfte hat zur Folge, dass mittelgroße
wie z. B. Atomkerne der Sorte Eisen besonders stabil sind. Ab einer gewissen
Kerngröße beobachtet man keine stabile Kombination von Nukleonen (kern-
bildende Teilchen, also Protonen und Neutronen zusammen, von lateinisch
nucleus für Kern) mehr. Dann stabilisieren sich die Kerne durch das Aus-
stoßen von kleinen Kernfragmenten, bestehend aus zwei Protonen und zwei
Neutronen. Neben der reinen Anzahl der Protonen und Neutronen ist für
die Stabilität eines Kerns auch deren Zahlenverhältnis wichtig und ob ihre
Anzahl gerad- oder ungeradzahlig ist, sowie der interne energetische Aufbau
des Kerns. Zur Stabilisierung eines Kerns kann also auch eine Umwandlung
von einem Neutron in ein Proton beitragen (oder umgekehrt). Sie ist dann
von der Aussendung eines Elektrons (oder Positrons, ein positiv geladenes
Elektron) begleitet. Diese Phänomene bezeichnet man als Radioaktivität (von
lateinisch radius für Strahl). Detaillierte Theorien zu diesem Thema fallen
in den Bereich der Kernphysik und sollen deshalb hier nicht näher erläutert
werden.
15
Bevor wir uns näher mit dem Zerfall von Atomkernen befassen können,
müssen wir uns kurz mit formalen Konventionen vertraut machen. Für die
Beschreibung von Kernreaktionen verwendet man das Elementsymbol (sie-
he Kapitel 2) dem als Index unten die Anzahl der Protonen und oben die
Zahl der Nukleonen vorangestellt wird. Durch geschickte Konventionswahl
entspricht die Zahl der Nukleonen ziemlich genau der Masse des Atomkerns
(siehe Abschnitt 4.1.1). Der einfachste Atomkern ist aus nur einem Proton
aufgebaut. Atomkerne, die ein Proton enthalten, gehören zum Element Was-
serstoff, das mit dem Symbol H abgekürzt wird. Für diesen einfachsten Atom-
kern wäre das vollständige Symbol also 11 H. Das Wasserstoffisotop Deuterium
besitzt einen Kern, der aus einem Proton und einem Neutron besteht. Das
dazugehörige Symbol wäre dann also 21 H. Da die Zahl der Protonen das Ele-
ment festlegt, ist das Elementsymbol eigentlich eine redundante Information.
Für die Beschreibung von Kernreaktionen ignoriert man die Elektronenhülle
des Atoms. Mit dieser Symbolik lassen sich Zerfallsvorgänge von Kernen gut
beschreiben. Bei diesen Zerfallsvorgängen beobachtet man drei verschiedene
Arten von ionisierender Strahlung:
16
Literatur
W. Demtröder, Experimental Physik 4, 3. Auflage, 2010, Springer Ver-
lag, ISBN 978-3-642-01598-4, Signatur der Bibliothek: D35-UAP3966(3)-
4_d, (enthält Details zur Kernphysik)
17
Abbildung 1.1: Beschreibung des Elektron im Atom als Welle, hier verein-
facht als eindimensionale Welle dargestellt. Tatsächlich verwendet man eine
dreidimensionale Welle. links: Stehende Welle. rechts: Auslöschung durch de-
struktive Interferenz.
18
schen Operator Ĥ auf die Funktion Ψ, die unsere Welle beschreibt anwendet.
Man erhält dann die Energie des Elektrons als Vorfaktor vor der unverän-
derten Wellenfunktion.
Ĥ · Ψ = E · Ψ (1.1)
Um die Energie des Elektron zu bestimmen, muss man also herausfinden, wel-
che Wellenfunktionen diese Bedingung erfüllen, oder anderes gesagt: geeignet
sind das Elektron zu beschreiben. Diese Wellenfunktionen bezeichnet man als
Orbitale in Anlehnung an die Kreisbahnen des Modells von Bohr. Diese Or-
bitale sind nicht beobachtbar, also rein mathematische Hilfskonstrukte zur
Beschreibung der Elektronen.
Um einen Zusammenhang zu beobachtbaren Größen herzustellen, ist es
nötig, sich neben dem bislang betrachteten Welle-Teilchen-Dualismus mit
einer weiten Kuriosität der Quantenmechanik vertraut zu machen: der Un-
schärfe. In atomarer Größenordnung sind Ort (x) und Geschwindigkeit (v)
miteinander verknüpft und in ihrer Bestimmbarkeit eingeschränkt. Bestimmt
man den Ort eines Teilchens exakt, verliert man gleichzeitig jegliche Informa-
tion über seine Geschwindigkeit und umgekehrt. Das Produkt der Schwan-
kungsbreiten dieser Größen ist immer mindestens gleich einer Konstanten,
die sich aus der Masse des Teilchen und der Planckkonstante h ergibt:
1 h
∆x · ∆v ≥ ·~ mit ~ = (1.2)
2me− 2π
Diese Beziehung wird nach ihrem Entdecker Werner Heisenberg als Heisen-
berg’sche Unschärferelation bezeichnet. Für unsere Beschreibung des Atoms
hat dieses Phänomen zur Folge, dass wir nie exakte Aussagen über den Zu-
stand unseres Atoms also Ort und Geschwindigkeit der Elektronen treffen
können. Was aber möglich ist, ist anzugeben wie wahrscheinlich es ist, an
einem bestimmten Ort ein Elektron zu finden.
Hier schließt sich dann der Kreis, denn die Aufenthaltswahrscheinlichkeit
des Elektrons entspricht der quadrierten Wellenfunktionen. Unsere Wellen-
funktion selbst ist also nur ein Hilfsmittel um zu einer beobachtbaren Größe
zu gelangen.5
Wir wollen nun einen näheren Blick auf die Eigenschaften der Wellen-
funktionen/Orbitale werfen. Wie wir in Abbildung 1.1 schon gesehen haben,
soll die Wellenlänge einem ganzzahligen Vielfachen des Bahnradiuses ent-
sprechen. Diese ganze Zahl entspricht der Quantenzahl aus dem Modell von
5
Mir persönlich hilft es, bei solchen Fällen „ist . . . “ durch „kann mathematisch beschrie-
ben werden als . . . “ zu ersetzen. Was genau diese Wellenfunktion sein soll, entzieht sich
meiner Vorstellungskraft.
19
Bohr. Auch in dieser extremen Vereinfachung ist sie aber ein direktes Er-
gebnis unserer Beschreibung und nicht Bestandteil eines Postulats. Grund-
sätzlich gibt es beliebig (unendlich) viele Wellenfunktionen, die Gleichung 1.1
erfüllen. Wir können aber nicht jede x-beliebige benutzen, da wir eine wich-
tige Randbedingung zu beachten haben: irgendwo muss unser Elektron sein.
Wir wissen zwar nicht genau wo, aber wir wissen sicher das es da ist. Für
den gesamten Raum betrachtet muss unsere Wellenfunktion also eine Auf-
enthaltswahrscheinlichkeit von 100% für unser Elektron liefern. Durch diese
Einschränkung erhalten wir wiederum nicht unendlich viele mögliche, also
kontinuierliche, Energiewerte, sondern wieder – wie auch schon im Modell
von Bohr – diskrete. In diesem Punkt stimmt das quantenmechanische Mo-
dell also schonmal mit den Beobachtungen überein. Verlassen wir das ein-
fache Bild einer eindimensionalen Welle auf einer Kreisbahn und betrachten
die tatsächlichen dreidimensionalen Wellenfunktionen, stellen wir fest, dass
sie nicht nur durch eine sondern durch drei Quantenzahlen n, l und ml cha-
rakterisiert werden. Die Wellenfunktionen lassen sich in einen radialen und
einen richtungsabhängigen Teil zerlegen. Für die graphische Darstellung ver-
wendet man üblicherweise den richtungsabhängigen Teil der Wellenfunktion.
Die Quantenzahlen beschreiben verschiedene Eigenschaften der Wellenfunk-
tion/des Elektrons. n beschreibt die Energie und wird Hauptquantenzahl
genannt, die Nebenquantenzahl l beschreibt den Drehimpuls und die Ma-
gnetquantenzahl ml die Komponente des Drehimpulses entlang der z-Achse
des verwendeten Koordinatensystems6 . l wirkt sich stark auf die Form des
Orbitals aus (siehe Abbildung 1.2). ml bestimmt das Verhalten in einem
externen Magnetfeld.
Die Quantenzahlen können nicht beliebige Werte annehmen und sind zum
Teil von einander abhängig. n kann Werte 1, 2, 3 . . . annehmen, ist also ma-
thematische ausgedrückt ein Element der natürlichen Zahlen. Man spricht für
n = 1 von der K-Schale, für n = 2 von der L-Schale etc. l ist ebenfalls eine
natürliche Zahl ist aber durch n eingeschränkt. l kann jede Zahl von 0 bis n−1
annehmen. Da die Nebenquantenzahl die Form der Orbitale bestimmt, gibt
man den Wellenfunktionen abhängig von ihrer Nebenquantenzahl Namen.
Ein Orbital mit l = 0 nennt man z. B. s-Orbital, eines mit l = 1 p-Orbital.
Man spricht auch von Nebenschalen und verwendet dieselben Buchstaben für
ihre Bezeichnung. Bei ml handelt es sich um eine ganze Zahl von −l bis +l.
All diese Zusammenhänge sind in Tabelle 1.2 zusammengefasst.
Für ein System mit nur einem Elektron ist die Schrödinger-Gleichung
(Gleichung 1.1) exakt zu lösen. Für Systeme mit mehr als einem Elektron
6
zu Details werden Sie im Verlauf ihres Studium in der Physikalischen Chemie näheres
erfahren.
20
Abbildung 1.2: Schematische Darstellung der richtungsabhängigen Wellen-
funktionsanteile verschiedener Nebenquantenzahlen. Die verschiedenen Far-
ben stellen die verschieden Vorzeichen der Amplituden der Wellenfunktio-
nen dar. oben links: s-Orbital, oben rechts: p-Orbital, unten: verschiedene
d-Orbitale.
n Schale l Name ml
1 K 0 s-Orbital 0
2 L 0 s-Orbital 0
1 p-Orbital −1 0 +1
3 M 0 s-Orbital 0
1 p-Orbital −1 0 +1
2 d-Orbital −2 −1 0 +1 +2
4 N 0 s-Orbital 0
1 p-Orbital −1 0 +1
2 d-Orbital −2 −1 0 +1 +2
3 f -Orbital −3 −2 −1 0 +1 +2 +3
.. .. .. ..
. . . .
21
Abbildung 1.3: Nach diesem Schema kann die energetische Reihenfolge der
Orbitale eines Mehrelektronensystems bestimmt werden. Elemente in denen
das 8s-Orbital besetzt ist, sind bislang noch nicht bekannt. Das Schema ist
aber beliebig erweiterbar.
ist dies nicht mehr möglich. Aus den Versuchen geeignete Verfahren zu fin-
den brauchbare Näherungen zu entwickeln, hat sich ein komplettes Teilgebiet
der Chemie, die Theoretische Chemie entwickelt. Neben Problemen der Lös-
barkeit ergibt sich für Mehrelektronensystem eine weitere Änderung. Man
benötig eine weitere Quantenzahl, die den Eigendrehimpuls des Elektrons,
den Spin, beschreibt. Sie wird ms oder einfach s genannt und kann zwei
mögliche Werte annehmen, −1/2 und +1/2. Anschaulich betrachtet kann es
sich im und gegen den Uhrzeigersinn um sich selbst drehen. Die verschiede-
nen Spinzustände eines Elektron werden üblicherweise durch nach oben bzw.
nach unten zeigende Pfeile symbolisiert.
Bislang konnten wir Informationen über die Energie eines Orbitals der
Hauptquantenzahl n entnehmen. Für ein Einelektronensystem haben alle
Orbitale mit derselben Hauptquantenzahl auch dieselbe Energie. Man nennt
sie energetisch entartet. In einem Mehrelektronensystem ist diese Entartung
aufgehoben und die energetische Abfolge der Orbitalenergien ist nicht mehr
streng durch die Hauptquantenzahl bestimmt. Die energetische Abfolge der
Orbitale kann nach dem Schema in Abbildung 1.3 bestimmt werden.
Mit dem Wissen, das der Spin eines Elektrons nur zwei verschiedene
Werte annehmen kann, können wir uns jetzt Gedanken über den Aufbau
22
der Elektronenhülle nach Beschreibung des quantenmechanischen Atommo-
dells machen. Wir haben gesehen, dass die Wellenfunktionen, die Lösungen
für die Schrödinger-Gleichung sind, durch Quantenzahlen zu systematisieren
sind. Wenn wir nun berücksichtigen, dass die Elektronen zwei verschieden
Zustände einnehmen können, heißt das, dass wir jedes Orbital maximal mit
zwei Elektronen „besetzen“ können. Würden wir mehr als zwei Elektronen in
einem Orbital platzieren, hätten mindestens zwei von ihnen dieselben Quan-
tenzahlen, würden also identische Lösungen für die Schrödinger-Gleichung
repräsentieren. Alles was wir erreichen würden, wäre redundante Informati-
on, wir würden aber keinen neuen Zustand des Atoms beschreiben. Aufs we-
sentliche reduziert heißt das, dass sich die Quantenzahlen zweier Elektronen
immer mindestens an einer Stelle unterscheiden müssen. Diese Aussage wird,
nach Wolfgang Pauli benannt, als Pauli-Prinzip bezeichnet. Der Abgleich
mit spektroskopischen Daten hat eine weitere Regel für die Besetzung der
Orbitale zu Tage gebracht, die nach Friedrich Hermann Hund als Hund’sche
Regel bekannt ist. Sie besagt, dass wenn die Auswahl zwischen zwei energie-
gleichen Orbitalen besteht, ein Elektron das Orbital besetzen wird, das den
größten Gesamtspin ermöglicht. Vereinfacht beschrieben heißt das, dass eine
Elektron wann immer möglich zunächst ein leeres (energiegleiches!) Orbital
besetzt7 . Ganz allgemein werden immer zunächst die Orbitale mit der nied-
rigsten Energie besetzt. Nach diesen Besetzungsregeln, stellt man fest, dass
pro Schale 2 · n2 und pro Nebenschale 2 · (2l + 1) Elektronen untergebracht
werden können. Für die Beschreibung der von Elektronenkonfigurationen ver-
wendet man üblicherweise den Orbitaltyp und stellt ihn die Hauptquanten-
zahl vorweg, also z. B. 5p, und hängt bei Bedarf hochgestellt die Zahl der
Elektronen in diesem Orbital bzw. diesen Orbitalen an, z. B. 5p3 .
Das quantenmechanische Atommodell ist der aktuelle Stand der Kennt-
nisse und ist in der Lage umfangreiche und komplexe Phänomen in Chemie
und Physik zufriedenstellend zu beschreiben. Die Probleme, die das Bohr’sche
Modell noch aufwarf, konnten behoben werden. Der Zeeman-Effekt lässt sich
z. B. durch die im Magnetfeld aufgehobene Entartung der Orbitale einer Ne-
benschale erklären.
7
deshalb spricht man scherzhaft auch von der „Kneipen-Regel“. Man setzt sich erst an
einem besetzten Tisch dazu, wenn kein anderer mehr frei ist.
23
Kapitel 2
Nachdem wir geklärt haben, wie man die Eigenschaften der Materie mit
der Vorstellung von Atomen erklären kann und wir festgestellt haben, dass
es verschiedene Atomsorten gibt, wird es Zeit diese zu systematisieren und
ihre Eigenschaften zu vergleichen. Um dabei nicht immer den vollen Namen
eines Elementes benutzen zu müssen, hat man für jedes ein ein oder zwei
Buchstaben langes Kürzel gewählt.
Nach allem was wir bislang über Atome gelernt haben, ist es nahelie-
gend, die Anzahl der Protonen bzw. Elektronen als ein Sortierkriterium zu
verwenden. Man nennt diese Zahl deshalb auch Ordnungszahl. Ein weiteres
sehr wichtiges Kriterium ergibt sich aus der experimentellen Erfahrung. Es
hat sich gezeigt, dass die Eigenschaften einer Atomsorte weitgehend durch
ihre Elektronenkonfiguration geprägt sind. Insbesondere fällt dabei auf, dass
Elemente, die nach dem wellenmechanischen Atommodell dieselbe Konfigu-
ration der äußersten1 Elektronen (Valenzelektronen) haben, sich in ihren Ei-
genschaften stark ähneln. Ein Atom mit einer 3s1 -Konfiguration wird sich
also in seinem Verhalten wenig von einem mit einer 4s1 -Konfiguration un-
terscheiden. Ähnliche Eigenschaften wiederholen sich also periodisch in der
Abfolge der Ordnungszahlen, daher auch der Name „Periodensystem“. Ei-
ne praktisch nützliche Systematisierung der Elemente sollte also auch dieses
Kriterium berücksichtigen, dass heißt auch, dass dieses Periodensystem das
Schema aus Abbildung 1.3 widerspiegeln sollte.
Durchgesetzt hat sich der Vorschlag von Dim&itri@i Iv&anoviq Mendel-
&ev (Dimitri Iwanowitsch Mendelejew). Diese Anordnung listet die Elemente
e
1
korrekt sollte man von Elektronen mit der höchsten Energie sprechen, aber das Bild
von Atomen auf Umlaufbahnen um den Kern nach Rutherford und Bohr hat sich
nachhaltig im Sprachgebrauch der Chemiker etabliert.
24
ihrer Protonenzahl nach auf und wählt die „Zeilenumbrüche“ so, dass Elemen-
te mit ähnlichen Eigenschaften (homologe Elemente) untereinander stehen
(siehe Abbildung 2.1). Auf diese Art und Weise werden die Elemente auch
zu Blöcken entsprechend Abbildung 1.3 zusammengefasst. Die Gruppen 1
(Alkalimetalle) und 2 (Erdalkalimetalle) bilden einen Block in dem die s-
Orbitale mit den äußersten Elektronen besetzt sind. Bei den Gruppen 13
bis 18 sind es die p-Orbitale. Elemente der Gruppe 16 werden als Chal-
kogene (von griechisch χαλκός (chalkos) für Erz und γεννάω (gennao) für
erzeugen) bezeichnet. Bei den Elementen der Gruppe 17 spricht man von
den Halogenen (von griechisch ἅλς (halos) für Salz und γεννάω (gennao) für
erzeugen). Gruppe 18 weißt die Besonderheit auf, dass hier sämtliche Orbita-
le der entsprechenden Schale voll besetzt sind. Dieser Zustand stellt sich als
besonders stabil heraus, so dass man beobachtet, dass Atome dieser Gruppe
nur sehr widerwillig oder gar nicht Verbindungen oder sogar nur Wechselwir-
kungen mit anderen Atomen eingehen. Man bezeichnet diese Gruppe daher
als Edelgase. In den Gruppen 3 bis 12 werden die d-Orbitale mit Elektronen
aufgefüllt. Elemente dieses Blocks nennt man Übergangsmetalle. Was „Ga-
se“ und „Metalle“ sind, werden wir uns im folgenden Kapitel näher ansehen.
Die Lanthanoide und Actanoide bilden den letzten Block im Periodensystem.
Hier werden die f -Orbitale aufgefüllt. Einen g-Block erwarten wir nach Vor-
hersagen des wellenmechanischen Atommodells für die achte Periode (Zeile).
Bislang konnte dies aber noch nicht experimentell bestätigt werden. Wie man
aber an der wachsenden Zahl der künstlich erzeugten Elemente sehen kann,
geht die Forschung auf diesem Gebiet stetig voran.
10. Was versteht man unter einem Orbital und welche Orbitaltypen kennen
Sie?
12. Wie viele Elektronen können in den 4p- und 6p-Orbitalen untergebracht
werden?
25
13. Ordnen Sie die folgenden Orbitale des Wasserstoffs nach wachsender
Energie. 1s, 3s, 2p, 2s, 3d, 4s
1s 2s 2p ↑ ↑
17. Eisen ist ein 3d-Element (Z = 26). Geben Sie die Elektronenkonfigura-
tion an.
18. Nennen Sie Beispiele für Elemente mit den angegebenen Valenzelektronen-
konfigurationen:
a) s2 p4
b) d4 s2
c) s2 p2
26
27
Abbildung 2.1: Das Periodensystem der Elemente. Die arabischen Zahlen repräsentieren die Gruppennummer nach
IUPAC-Nomenklatur, die römischen die alte Nomenklatur. Die Gruppen mit einem „a“ am Ende werden als Haupt-
gruppen bezeichnet, die mit einem „b“ als Nebengruppen. C und P werden nach den meisten Definitionen als Nicht-
Metalle klassifiziert.
Kapitel 3
Wechselwirkungen zwischen
Atomen
In diesem Kapitel wollen wir uns damit beschäftigen, welchen „Kleber“ wir
zur Verfügung haben, um Atome zu Verbindungen zusammenzubasteln und
zwischen welchen Atomsorten welche Arten von Wechselwirkungen typischer-
weise auftreten. Physikern ist es gelungen jegliche Wechselwirkungen zwi-
schen Elementarteilchen durch nur vier sogenannte Elementarkräfte zu be-
schreiben:
• elektromagnetische Wechselwirkung
• schwache Wechselwirkung
• starke Wechselwirkung
• Gravitationswechselwirkung
Die zweite und dritte tritt nur innerhalb von Atomkernen auf und die vierte
ist auf atomarer Ebene so klein, dass sie normalerweise vernachlässigt werden
kann ohne entscheidende Einbußen bei der Genauigkeit der Beschreibung zu
erhalten. Von vier „Klebertuben“ überlassen wir also drei den Physiker(\B|in-
ne)n.
Von besonderem Interesse für d(en|ie) Chemiker(\b|in) ist folglich die
elektromagnetische Wechselwirkung. Bei dieser Wechselwirkung handelt es
sich (unter anderem) um die Interaktion von Ladungen. Das naheliegendste
ist dabei sicherlich, an die Wechselwirkungen zwischen den uns bereits aus
Kapitel 1 bekannten Ionen zu denken. Elektromagnetische Wechselwirkungen
können aber auch in anderen Formen auftreten. Sie sind deshalb für die
Chemie von großer Bedeutung, weil mit Ausnahme der Edelgase in der Natur
keine isolierten Atome zu beobachten sind.
28
3.1 Die Ionische Bindung
Wie bereits angedeutet, ist die Elektronenkonfiguration eines Edelgases, also:
„alle Orbitale sind voll besetzt“, ein energetisch besonders günstiger Zustand.
Betrachtet man die Elektronenkonfiguration der Elemente, stellt man fest,
dass insbesondere die Elemente der Gruppen ganz links und ganz rechts im
Periodensystem durch Abgabe bzw. Aufnahme von wenigen Elektronen leicht
eine solche Edelgaskonfiguration erreichen können. Wir erwarten also, dass
Atome dieser Elemente bevorzugt in ionischer Form vorliegen werden1 . Dies
beobachtet man auch tatsächlich. Kationen und Anionen bilden dann zusam-
men einen Verbindungstyp, den man als Salz bezeichnet. Die Kraft, die die
verschiedenen Ionen miteinander verbindet nennt man Coulomb-Kraft 2 . Für
Ionen verschiedener Ladung wirkt sie anziehend, für Ionen gleicher Ladung
abstoßend (Details siehe Anhang B.2). Die Coulomb-Kraft ist ungerichtet
und kann damit erklären, dass in einem Salz ein Ion immer von einer ma-
ximal möglichen Zahl entgegengesetzt geladenen Ionen umgeben ist. Deren
Anzahl kann man über geometrische Betrachtungen des Größenverhältnisses
der Ionen berechnen und bezeichnet man als Koordinationszahl. Abhängig
von den Ladungen der beteiligten Ionen kann die Koordinationszahl für Ka-
tionen und Anionen in einem Salz verschieden sein. Die maximal mögliche
Zahl ist 123 ; 8, 6 und 4 werden am häufigsten beobachtet. Je nach Ladung die
die Ionen tragen muss das Verhältnis von Anionen zu Kationen nicht eins zu
eins sein. Ein Salz ist nach außen immer elektrisch neutral, es gibt also gleich
viele positive und negative Ladungen unabhängig davon wie diese Ladungen
auf die Ionen verteilt sind.
Die Ionen ordnen sich dann zu großen regelmäßigen Verbänden an, die
man dann als makroskopisch sichtbare Kristalle (siehe auch Abschnitt 3.5.1)
vorliegen hat. Die Tatsache, dass Kristalle von Salzen spröde sind und bei
mechanischer Belastung brechen, kann als Beleg für ihren Aufbau aus Ionen
herangezogen werden (siehe Abbildung 3.1).
29
21. Warum trifft der Begriff Molekül für Ionenverbindungen nicht zu?
24. Welches der folgenden Elemente zeigt die geringste Tendenz, Ionen zu
bilden? Na, C, Ca, Cl, Fe
25. a) Welche Ionen bilden die Salze: Na2 SO4 , Ca3 (PO4 )2 und AgNO3 ?
b) Zeichnen Sie die Lewisformeln der Anionen.
26. Was könnte der Grund für die steigende Gitterenergie der Salze in der
Reihenfolge KCl, MgO und Al2 O3 sein?
27. Warum sind Salze spröde und haben hohe Schmelzpunkte? Wie heißt
die Kraft, die die Ionenbindung herbeiführt?
3.2.1 Elektronengasmodell
Das Elektronengasmodell beruht, wie auch das Modell für die ionische Bin-
dung, auf der elektrostatischen Wechselwirkung. Da ein Metall von neutralen
Atomen gebildet wird, ist für die Beschreibung allerdings eine besondere Be-
trachtungsweise nötig. Das Elektronegasmodell trennt die Atome in einen
kationischen Atomrumpf und die Valenzelektronen. Die Atomrümpfe ordnen
sich regelmäßig an und die Valenzelektronen verteilen sich frei durch das
gesamte Metall zwischen den Atomrümpfen. Zusammengehalten werden die
Atome nun durch die elektrostatische Anziehung zwischen den Atomrümpfen
und dem Elektronen-„Gas“. Die elektrische und thermische Leitfähigkeit der
30
Abbildung 3.1: Schematische Darstellung der Verformbarkeit von links: Me-
tallen und rechts: Salzen (rot: positive Ladung, blau: negative Ladung, Pfeil :
Kraftausübung). Im Salz liegen beim Verformen gleichnamige Ladungen be-
nachbart, dadurch bricht der Kristall. Im Metall sind immer verschiedene
Ladungen benachbart.
Metalle kann somit durch die frei beweglichen Elektronen erklärt werden. Da
ein Atomrumpf immer nur Kontakt zum Elektronengas hat kann er beliebig
gegen die anderen Atomrümpfe verschoben werden, ohne das es zu repulsiven
Wechselwirkungen kommt (siehe Abbildung 3.1). Auf diese Weise kann das
Elektronengasmodell auch die Verformbarkeit von Metallen erklären. Auch in
Metallen findet man ein Streben nach hohen Koordinationszahlen. In vielen
Fällen wird die maximal mögliche Zahl von 12 nächsten Nachbarn erreicht.
Wie auch bei den Salzen kann dies auf die mangelnde Orientierung der elek-
trostatischen Wechselwirkung zurückgeführt werden.
29. Beschreiben Sie die Bindung im Aluminium.
30. Wie lässt sich die (elektrische) Leitfähigkeit eines Metalls erklären?
31. Wie lässt sich die Verformbarkeit von Metallen erklären?
32. Wie hängt die Leitfähigkeit der Metalle von der Temperatur ab?
33. In welchen Gittertypen kristallisieren Metalle?
31
bindungen mit kovalenten Bindungen als endliche5 Atomverbände vorliegen.
Diese Atomverbände bezeichnet man als Moleküle (siehe auch Abschnitt 4.1).
In Polymeren können sie sehr groß werden.
Auch bei den kovalenten Bindungen sind es elektrostatische Kräfte, die
die Bindungsbildung bewirken. Man beobachtet zwischen den Atomen eines
Moleküls eine erhöhte Aufenthaltswahrscheinlichkeit der Elektronen6 . Durch
elektrostatische Anziehung zwischen diesen Bindungselektronen und den bei-
den Kernen werden die beiden Atome aneinander gebunden. Sie überwiegen
die abstoßenden Kern-Kern- und Elektron-Elektron-Wechselwirkungen. Das
Zusammenspiel dieser verschiedenen Kräfte ergibt eine Abhängigkeit der Bin-
dungsenergie von der Bindungslänge. Ein typischer Verlauf ist schematisch
in Abbildung 3.2 dargestellt.
Lewis-Formeln
Zur Notation von kovalenten Bindungen zwischen Atomen benutzt man ein
Konzept, das von Gilbert Newton Lewis entwickelt wurde. In Lewis-Formeln
5
Salze und Metalle haben natürlich praktisch auch eine endliche Ausdehnung, können
aber für ihre theoretische Betrachtung in guter Näherung als unendlich angesehen werden.
Dies ist bei Molekülen nur bei Polymeren möglich.
6
Ergebnisse kristallographischer Untersuchungen. Die Kristallographie ist eine interdis-
ziplinäre Wissenschaft, die hier im Chemiestudium durch die Vorlesung „Strukturmetho-
den“ vertreten ist.
32
werden sämtliche Valenzelektronen dargestellt. Sie werden zu Paaren zusam-
mengefasst und dann durch einen Strich symbolisiert. Ungepaarte Elektronen
werden durch einen Punkt repräsentiert. Für die Atome selbst verwendet man
ihr Elementsymbol. Bei komplexeren Molekülen verwendet man außerdem
gelegentlich Keile oder gestrichelte Linien um ein Bindungsorientierung aus
der Ebene heraus bzw. in die Ebene hinein anzudeuten. Häufig beschränkt
man sich auf die Darstellung der bindenden Elektronenpaare.
Beispiele:
H4
O
O H1
C C
H H H2
H3 C CH3
H3
Um abzukürzen fasst man häufig Molekülbestandteile zusammen.
Im mittleren Molekül sind jeweils die drei C–H-Bindungsstriche
nicht eingezeichnet und dieser Teil des Moleküls zu „CH3 “ zusam-
mengefasst. Im rechten Molekül liegen H3 und H4 in der Ebene,
H2 davor und H1 dahinter. Die Wasserstoffatome bilden einen
Tetraeder mit dem Kohlenstoffatom im Zentrum.
Im folgenden wollen wir uns nun mit verschiedenen Theorien zur Beschrei-
bung von kovalenten Bindungen befassen. Ähnlich wie bei den Atommodellen
gibt es auch für die kovalente Bindung verschieden komplexe und detaillierte
Erklärungsmodelle.
3.3.1 Oktettregel
Wie bei der ionischen Bindung kommt bei der kovalenten Bindung zu tragen,
dass die Elektronenkonfiguration eines Edelgases energetisch besonders güns-
tig ist. Anders als bei der ionischen Bindung wird hier aber kein Elektron
abgegeben oder aufgenommen, sondern es kommt sehr vereinfacht beschrie-
ben zu einer „gemeinsamen Nutzung“ der Valenzelektronen.
Beispiel :
F F F F
33
Als isolierte Atome haben die Fluoratome jeweils sieben Elektro-
nen. Im gebundenen Zustand hingegen haben beide Fluoratome
vier Valenzelektronenpaare, also acht Elektronen, drei freie Elek-
tronenpaare und das bindende. Mit acht Valenzelektronen haben
sie dieselbe Elektronenkonfiguration wie die als nächstes im Pe-
riodensystem folgenden Edelgasatome (Neon).
Gegebenenfalls können dabei auch mehr als ein Elektronenpaare von zwei
Atomen geteilt werden. Man spricht dann allgemein von einer Mehrfach-
bindung bzw. konkret von Doppel- oder Dreifachbindungen. Für die Nicht-
Metall-Atome der zweiten und dritten Periode kann mit der Bildung eines
Elektronenoktetts nahezu jede Bindungsbildung erklärt werden7 . Gegebenen-
falls greift man auf Formalladungen zurück um nicht gegen die Oktettregel
verstoßen zu müssen. Einzelne Atome tragen dann formal einer Ladung, die
real nicht zu beobachten ist. Die Summe der Formalladungen ergibt die La-
dung des Moleküls.
Da in der dritten Periode die d-Orbitale hinzukommen, kann es bei diesen
Elementen zu einer Oktetterweiterung kommen, also Verbindungen mit mehr
als acht Valenzelektronen. Für die Erklärung der Bindigkeiten der zweiten
bis vierten Hauptgruppe ist es nötig ein s-Elektron in ein energetisch höher
liegendes leeres p-Orbital zu transferieren. Die dafür nötige Energie wird
durch die dadurch zusätzlich möglichen Bindungen (über)kompensiert.
↑ ↑ C ↑ ↑ ↑ ↑ C
Die Oktettregel kann lediglich Vorhersagen über die Bindigkeit eines Atoms
machen, aber keine Aussagen zur räumlichen Anordnung der Bindungen. Zur
Erklärung der Molekülgestalt kann diese Theorien mit dem Valence-Shell-
Electron-Pair-Repulsion-Modell (kurz: VSEPR-Modell) kombiniert werden.
Dieses Modell wird Ihnen in den ersten Semestern des Studiums näherge-
bracht.
3.3.2 Valence-Bond-Theorie
Differenziertere Modelle verwenden, wie auch schon bei der Beschreibung
der Atome, Wellenfunktionen. Das von Walter Heitler und Fritz Wolfgang
7
dies sind die Elemente, mit denen sich die Organische Chemie bevorzugt beschäftigt.
Böse Zungen behaupten, die Oktettregel sei das einzige theoretische Konzept der organi-
schen Chemie.
34
London aufgestellte und von Linus Pauling und John Clarke Slater wei-
terentwickelte Valence-Bond-Modell beschreibt die Bildung einer Bindung
durch die Überlappung von Atomorbitalen. Durch diese Überlappung steht
den Elektronen ein größerer Raum zur Verfügung und somit wird ein ener-
getisch günstigerer Zustand erreicht. Es kommt dabei zur Paarung der Elek-
tronenspins8 , die Gestalt der Atomorbitale bleibt jedoch unverändert. Das
Beibehalten der Atomorbitale im Molekül ist ein wichtiger Unterschied zur
Molekülorbitaltheorie (siehe unten). Berechnet man für die kombinierten Ato-
morbitale die Aufenthaltswahrscheinlichkeit der Elektronen, erhält man, wie
beobachtet, eine erhöhte Aufenthaltswahrscheinlichkeit zwischen den Ato-
men.
Befindet sich die Überlappung der Orbitale auf der direkten Linie zwi-
schen den beiden Atomkernen spricht man von einer σ-Bindung. Befindet
sich die Überlappung abseits dieser Kernverbindungsachse, benutzt man die
Bezeichnung π-Bindung. Eine π-Bindung tritt immer nur in Kombination mit
einer σ-Bindung auf. Daraus ergibt sich, dass es sich bei Einfachbindungen
um σ-Bindungen handelt und bei Mehrfachbindungen um eine Kombination
aus einer σ-Bindung und ein bis zwei π-Bindungen.
3.3.2.1 Hybridisierung
Mit dieser Modellvorstellung kann man kovalente Bindungen sehr erfolgreich
beschreiben. Insbesondere bei den Eigenschaften des Elements Kohlenstoff
stößt man aber auf Probleme. Nach seiner Elektronenkonfiguration (ein voll-
besetztes p-Orbital und zwei halbbesetzte) würde man erwarten, dass Koh-
lenstoffatome zwei Bindungen ausbilden, die in einem rechten Winkel zuein-
ander stehen. Was man jedoch beobachtet, sind zwei-, drei- und vierbindige
Kohlenstoffatome. Der typische Bindungswinkel an zweibindigen Kohlenstof-
fatomen ist 180◦ und nicht 90◦ . Um diese Diskrepanz zwischen Modell und
Beobachtungen zu beheben, wurde das Konzept der Hybridisierung einge-
führt. Wie bei der einfachen Erklärung mit Hilfe der Oktettregel ist es auch
hier nötig, besetzte energetisch niedrigerliegende Orbitale miteinzubeziehen.
Bevor man Atomorbitale verschiedener Atome kombiniert, kombiniert
man zunächst Atomorbitale eines Atoms. Typischerweise sind es die s- und
p-Orbitale aus denen sogenannte Hybridorbitale generiert werden. Diese Hy-
bridorbitale wiederum kombiniert man dann mit den Orbitalen eines anderen
Atoms um so eine Bindungsbeschreibung zu erhalten. Durch Hybridisierung
des s-Orbitals mit ein bis drei p-Orbitalen, erhält man Orbitale, die die An-
zahl und Orientierung der Bindungen von zwei-, drei- und vierbindigen Koh-
8
auch in Molekülen gilt das Pauli-Prinzip!
35
lenstoffatomen richtig beschreiben. Die jeweils nicht für die Hybridisierung
verwendeten p-Orbitale bilden zusätzliche Bindungen abseits der direkten
Kernverbindungsachse (π-Bindung, siehe oben). Auf diese Weise kann man
die kürzere Bindungslänge und höhere Bindungsenergie einer der Bindungen
eines dreibindigen Kohlenstoffatoms erklären, sowie die eingeschränkte Dreh-
barkeit um diese Bindung. Gleiches gilt für eine oder beide Bindungen eines
zweibindigen. Um eine Mehrfachbindung zu beschreiben verwendet man also
nur ein oder zwei der drei p-Orbitale für die Berechnung des Hybridorbitals.
Für die Bezeichung der Hybridorbitale listet man einfach auf welche Or-
bitaltypen man kombiniert hat und ergänzt als hochgestellten Index wie viele
davon. sp3 beschreibt also die vier Hybridobitale, die man erhält wenn man
sämtliche Orbitale der Valenzschale eines Kohlenstoffatoms verwendet. sp2
würde eines der p-Orbitale unverändert lassen. Damit stünde es für die Bil-
dung einer π-Bindung zu Verfügung. Ein sp2 hybridisiertes Kohlenstoffatom
bildet also zwei Einfach- und eine Doppelbindung aus, ist also dreibindig.
Die Eigenschaften der Hybridorbitale sind in Tabelle 3.1 und Abbildung 3.3
dargestellt. Für z. B. Sauerstoff oder Stickstoff erhält man eine niedrigere
Bindigkeit, da die Hybridorbitale zum Teil vollbesetzt sind und damit nicht
mehr für eine Bindungsbildung zur Verfügung stehen.
36
Abbildung 3.4: Mehrfachbindungen nach dem Valence-Bond-Modell. links:
Doppelbindung, rechts: Dreifachbindung. Außer der Wechselwirkung zwi-
schen den Hybridorbitalen kommt es auch zu Interaktion der p-Orbitale
(Doppelpfeile).
3.3.2.2 Mesomerie
Eine weitere Ergänzung des Modells ist nötig, wenn man Moleküle beschrei-
ben will, in denen formal im Wechsel Doppel- und Einfachbindungen auftre-
ten. Man beobachtet, dass in solchen Fällen keine Unterscheidung der Bin-
dungen möglich ist und Doppel- und Einfachbindungen gleich lang sind mit
einer Bindungslänge, die zwischen der einer Einfach- und einer Doppelbin-
dung liegt. Betrachtet man ein solches Bindungssystem genauer, stellt man
fest, dass man für die Beschreibung eine Aneinanderreihung von mehreren
sp2 hybridisierten Atomen verwendet. In jeden Atom steht also ein weiteres
p-Orbital für die Bildung der Doppelbindung zur Verfügung. Eine Überlap-
pung dieser p-Orbitale kann jetzt aber nicht nur in eine Richtung stattfinden
sondern (bei den mittleren) in beide. Dadurch erhält man ein π-Orbital, das
sich über mehrere Atome erstreckt. Man spricht von einer Delokalisierung.
Die Delokalisierung ist energetisch sehr günstig, so dass ein solches System
stabiler ist, als man es aus der Summe der einzelnen Bindungsenergien erwar-
ten würde. In Abbildung 3.5 ist dargestellt wie sich die p-Orbitale in einem
delokalisierten System überlappen.
In Lewisformeln greift man in diesem Fall auf mesomere Grenzstrukturen
zurück, die die möglichen formalen Grenzfälle von Einfach- und Mehrfachbin-
37
Abbildung 3.5: Benachbarte p-Orbitale bilden ein delokalisiertes π-System.
Alle Bindungen des System haben partiellen Doppelbindungscharakter.
Beispiel :
38
− −
NH+ 2−
4 , CO, BF3 , NO3 , CO3 , O3 , NO2 , PCl5 , PCl6 , BrF5 , SF4 , SF6 ,
ClO− − 2− 3−
3 , ClO4 , SO4 , PO4 , XeF4 , XeF6
Mit Hilfe des Konzeptes der Hybridisierung und der Mesomerie kann das
Valence-Bond-Modell erste Aussagen zur Molekülgestalt treffen und quanti-
tative Ergebnisse liefern.
3.3.3 Molekülorbitaltheorie
Die Molekülorbitaltheorie verwendet Wellenfunktionen, die die Elektronen im
kompletten Molekül beschreiben. Diese Wellenfunktionen werden Molekülor-
bitale (MO) genannt. Wie auch bei den Atomen kann man aus dem Quadrat
der Molekülorbitale eine Aufenthaltswahrscheinlichkeit für ein Elektron im
Molekül bestimmen. Die Molekülorbitale lassen sich durch Linearkombina-
tion aus den Atomorbitalen berechnen. Über Symmetriebetrachtungen lässt
sich herausfinden, welche Atomorbitale kombiniert werden können um ei-
ne sinnvolle Beschreibung der Elektronen im Molekül zu erhalten. Hat man
zwei geeignete Atomorbitale identifiziert, gibt es zwei Möglichkeiten sie zu
kombinieren: Addition und Subtraktion (nach Multiplikation der einzelnen
Atomorbitale mit einem Gewichtungsfaktor). Das bedeutet, dass wir aus der
Kombination von zwei Atomorbitalen immer zwei Molekülorbitale erhalten.
Diese unterscheiden sich in ihrer Energie. Eines liegt energetisch höher als
die Atomorbitale und eines niedriger. Das Molekülorbital mit der niedrige-
ren Energie nennt man bindend, das mit der höheren Energie anti-bindend.
Die Nomenklatur der Orbitale hat man von der Valence-Bond-Theorie über-
nommen. Anti-bindende Orbitale werden durch ein hochgestelltes Sternchen
gekennzeichnet. Orbitale, für die es keinen Kombinationspartner mit geeig-
neter Symmetrie gibt, werden nicht-bindend genannt.
Wie auch bei den Atomen werden in Molekülen die Orbitale, bei denen
mit der niedrigsten Energie beginnend, besetzt. Ist die Zahl der Elektronen
in bindenden Molekülorbitalen größer als die derer in anti-bindenden, kommt
eine kovalente Bindung zustande. Teilt man diese Differenz durch zwei erhält
man die Bindungsordnung dieser Bindung.
Die Molekülorbitaltheorie kann sehr detaillierte quantitative Ergebnisse
zum Aufbau eines Moleküls liefern. Wie auch bei der Atombeschreibung kann
dieses Mehrelektronensystem nur durch Näherungsmodelle gelöst werden und
ist damit Forschungsgebiet der theoretischen Chemie.
39
Abbildung 3.6: Molekülorbitalschema der Valenzschale von F2 (die aus den
1s generierten σ-Orbtiale sind voll besetzt). In bindenden Orbitalen befinden
sich 10 Elektronen in anti-bindenden 8, damit ergibt sich eine Bindungsord-
nung von 1.
40
3.4 Übergänge zwischen den Bindungstypen
Bei den vorgestellten Bindungstypen handelt es sich um Grenzfälle. Der am
häufigsten auftretende Fall einer realen Bindung, ist eine Bindung zwischen
der ionischen und der kovalenten. Einen solchen Fall wollen wir uns nun am
Beispiel des Chlorwasserstoffs näher ansehen. Chlorwasserstoff ist ein sehr
einfaches Molekül, das aus einem Wasserstoff- und einem Chloratom gebildet
wird.
H Cl
Bringt man ein HCl-Molekül in ein elektrisches Feld, also zwischen einen po-
sitiv und einen negativ geladenen Pol, beobachtet man, dass sich das Molekül
mit dem Wasserstoffatom in Richtung des negativen und mit dem Chloratom
in Richtung des positiven Pols ausrichtet. Moleküle, die sich in eine elektri-
schen Feld ausrichten, haben ein Dipolmoment. Ein Dipol ist ein räumliche
Trennung von Ladung innerhalb eines Objektes oder in unserem Fall inner-
halb eines Moleküls. Dadurch bewegt sich die positiv geladene Hälfte des
Moleküls in Richtung des negativen Pol, die negativ geladene in Richtung
des positiven Pols9 . Im Gegensatz zu den Ionen eines Salzen (elektrische Mo-
nopole) kann ein Molekül mit einem Dipol sich jedoch nicht auf einen Pol
zubewegen, da die jeweils andere Ladung sich in die andere Richtung bewe-
gen möchte. Eine derartige Ladungstrennung innerhalb eines Moleküls stellt
man dar, indem man δ+ oder δ− an die entsprechenden Atome schreibt, die
die Teilladung tragen.
Hδ+ Cl δ−
Wenn das Molekül nach außen hin neutral ist, sind diese beiden Teilladun-
gen gleich groß. Nachdem wir die Eigenschaften eines HCl-Moleküls kennen-
gelernt haben, wollen wir uns nun mit einem Model beschäftigen, das diese
erklären kann.
3.4.1 Elektronegativität
Da man Dipole nur in Molekülen beobachtet, die aus verschiedenen Atom-
sorten bestehen, liegt es nahe eine Größe aufzustellen, die die Affinität ei-
nes Atoms zu den Elektronen der Bindung beschreibt. Eines der Atome der
Bindung zieht die Elektronen stärker an, so dass die Aufenthaltswahrschein-
lichkeit der Elektronen in der Nähe dieses Atoms größer ist. Der Extremfall
9
dies ist vergleichbar mit einer Kompassnadel, die sich am Magnetfeld der Erde aus-
richtet.
41
Abbildung 3.7: Berechnung der Gesamtdipolmomente von Molekülen aus den
Momenten der einzelnen Bindungen. links: Wasser. Durch die gewinkelte
Struktur des Wassermoleküls erhalten wir ein Gesamtdipolmoment. rechts:
Kohlenstoffdioxid. Die Dipolmomente der einzelnen Bindungen heben sich
gegenseitig auf. Kohlenstoffdioxid hat kein Dipolmoment!
42
Abbildung 3.8: Fließende Übergänge zwischen den Bindungstypen. Am Bei-
spiel der Elemente der 3. Periode ist gezeigt, welche Elementkombinationen
zwischen welchen Bindungstypen einzuordnen sind.
Zurück zu unserem Beispiel Chlorwasserstoff stellen wir fest, dass die Elek-
tronegativität des Wasserstoffs 2,2 und die des Chlors 2,8 beträgt (siehe Ab-
bildung 2.1)10 . Damit erhalten wir eine Differenz von 0,6. Wir haben relativ
hohe Absolutwerte und auch eine recht deutlich von Null verschiedene Diffe-
renz vorliegen. Nach Abbildung 3.8 können wir die Bindung in unserem Mo-
lekül also als kovalente Bindung mit ionischem Anteil klassifizieren. Durch
die von Null verschieden Elektronegativitätsdiffferenz können wir auch das
Dipolmoment des Moleküls erklären. Da es nur eine Bindung gibt, ist das
Gesamtdipolemonent des Moleküls identisch mit dem der Bindung.
39. Beschreiben Sie die Atombindung der Verbindungen Br–Br und H–Br.
43
3.5 Sekundäre Wechselwirkungen
Neben diesen drei Bindungstypen gibt es weitere, schwächere Wechselwir-
kungen zwischen Atomen oder Verbindungen von ihnen.
• Wasserstoffbrückenbindungen
Wie stark diese sind, hat einscheidenden Einfluss darauf, in welcher Erschei-
nungsform wir ein Verbindung oder ein Element bei einer gegebenen Umge-
bungstemperatur beobachten können. Deshalb wollen wir uns zunächst näher
ansehen welche möglichen Erscheinungsformen ein Substanz haben kann, be-
vor wir dann genauer auf die einzelnen Wechselwirkungen eingehen wollen.
3.5.1 Aggregatzustände
Elemente und ihre Verbindungen können in drei verschiedenen Erscheinungs-
formen auftreten: fest, flüssig oder gasförmig. Diese Aggregatzustände zeich-
nen sich durch verschiedene z. T. deutlich unterschiedliche Eigenschaften
aus. Ihr Auftreten ist von Druck und Temperatur abhängig. In welchem
Temperatur- und Druckbereich ein bestimmter Aggregatzustand vorliegt, va-
riiert von Verbindung zu Verbindung und ist abhängig von Art und Stärke
der (sekundären) Wechselwirkungen zwischen den Atomen/Ionen bzw. Mo-
lekülen. Durch Veränderung von Druck und/oder Temperatur kann eine Ver-
bindung von einem in den anderen Aggregatzustand überführt werden. Ab-
bildung 3.9 stellt diese Übergängen und die verwendeten Fachtermini dar.
44
Abbildung 3.9: Die drei Aggregatzustände und die Übergänge zwischen ihnen.
den Teilchen deutlich übersteigt und im Gas nur noch geringe bis idealisiert
gar keine Wechselwirkungen mehr zwischen den Teilchen vorliegen.
Der Zustand eines Gases lässt sich mit Hilfe des idealen Gasgesetzes 12
beschreiben. Um den Zustand eines Gases genau zu definieren benötigt man
lediglich drei der vier Größen: Temperatur T , Druck p, Stoffmenge der Teil-
chen n oder Volumen V , das sie einnehmen.
R ist eine Konstante, die sogenannte allgemeine Gaskonstante. Ihr Wert be-
trägt 8,314 molJ K (siehe auch Abschnitt 4.1.1). Dieses Gasgesetz gilt unter der
Vorraussetzung, dass die Teilchen des Gases untereinander keinerlei Wech-
selwirkungen zeigen und ein Eigenvolumen von Null haben. Da insbesondere
der zweite Punkt nicht zu erfüllen ist, hat man speziellere Gleichungen auf-
gestellt um auch reale Gase exakt beschreiben zu können. In vielen Fällen
liefert das ideale Gasgesetz aber hinreichend genaue Ergebnisse.
flüssig Bei Flüssigkeiten beobachtet man, dass sie zwar keine feste Form
haben aber doch ein festes Volumen. In der flüssigen Phase kann die Be-
wegungsenergie die Wechselwirkungsenergie nicht übersteigen ist aber groß
genug um eine feste Koordinationssphäre aus Nachbarteilchen zu verhindern.
Wie auch im Gas haben also auch die Teilchen in einer Flüssigkeit eine isotro-
pe Umgebung. Eine Flüssigkeit ist leicht verformbar. Im Gegensatz zu Gasen
sind sie jedoch nur wenig bis gar nicht komprimierbar.
12
nicht das Gasgesetz ist ideal sondern die Gase, die man beschreibt sind idealisiert. Es
ist erstaunlich wie viele unsaubere Formulierung sich immer wieder in wissenschaftlichen
Texten finden lassen. Denken Sie daran wenn sie Ihre ersten Protokolle schreiben!
45
fest Ein Feststoff hat sowohl eine feste Form als auch ein festes Volumen.
Die Energie der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen sind deutlich größer
als ihre Bewegungsenergie, so dass es zu einer definierten Umgebung um je-
des Teilchen mit einer für jedes Teilchen gleichen Zahl von Nachbarn kommt.
Durch diese Regelmäßigkeit der Umgebung ist die Isotropie, die in Flüssig-
keit und Gas vorliegen, aufgehoben. Ein Festkörper ist weder komprimierbar
noch leicht verformbar. Man kann zwischen zwei Typen von Feststoffen un-
terscheiden: amorphen Festkörpern, hier liegt kein höheres Ordnungsprinzip
zu Grunde und kristallinen Festkörpern. In Kristallen liegt eine Fernordnung
vor, dass heißt eine grundlegende Baueinheit, die sich periodisch wiederholt.
Man nennt sie Elementarzelle.
42. An heißen Tagen bilden sich auf einer gekühlten Limonadeflasche Was-
sertropfen. Erklären Sie diesen Vorgang.
44. Erklären Sie den Vorgang des Verdampfens auf der Teilchenebene.
46
bewirken, dass Stickstoffdioxid erst bei 21, 2 ◦ C in die Gasphase übergeht.
Kohlendioxid, bei dem keine Dipol/Dipol-Wechselwirkungen auftreten, sub-
limiert bei −78, 5 ◦ C. Das Vorhandensein von Wechselwirkungen macht also
einen deutlichen Unterschied aus!
3.5.4 Wasserstoffbrückenbindungen
Eine Sonderrolle spielen die Wechselwirkungen zwischen elektronegativen
Atomen die Wasserstoffatome tragen und anderen elektronegativen Atomen.
Diese Konstellation von Atomen kann eine Wasserstoffbrückenbindung bil-
den. Neben der reinen elektrostatische Anziehung zwischen den Dipolen,
14
sie werden dann nach Johannes Diderik van der Waals oder Fritz Wolfgang London
als Van-der-Waals- oder Londonwechselwirkungen genannt.
47
weißt eine Wasserstoffbrücke auch kovalente Anteile auf. Dies zeigt sich durch
eine Richtungspräreferrenz am Wasserstoffatom. Wasserstoffbrücken können
sehr starke Wechselwirkungen sein. Sie sind auch dafür verantwortlich, dass
Wasser bei Raumtemperatur flüssig ist. Ohne Wasserstoffbrücken würde man
erwarten, dass es sich um ein Gas mit einem Siedepunkt von vielleicht etwa
−70 ◦ C, vergleichbar mit dem, der homologen Verbindung Schwefelwasser-
stoff (H2 S), handeln würde. Typische Donoren für Wasserstoffbrücken sind
OH- oder NH-Gruppen, typische Akzeptoren N, O oder Halogenatome.
48
Kapitel 4
Chemische Reaktionen
Molekül Ein Molekül ist ein durch kovalente Bindungen aufgebauter end-
licher Atomverband. Ein Molekül kann eine Ladung tragen. Es empfiehlt sich
dann von einem Molekülion zu sprechen, um Verwechselungen mit geladenen
Atomen oder ungeladenen Molekülen zu vermeiden.
49
Beispiel ist Plastik. Natürlich vorkommende Polymere sind z. B. Stärke oder
Proteine.
Produkt Ein Produkt ist eine Substanz die bei einer chemischen Reaktion
entsteht. War es Ziel ein ganz bestimmtes Produkt zu synthetisieren und es
entstehen ein oder mehrere weitere Produkte, nennt man diese Nebenpro-
dukte.
Oxidation Eine Oxidation ist eine Reaktion, bei der Elektronen von ei-
nem Atom abgegeben werden. Substanzen, die im Verlauf einer Reaktion
Elektronen an Reaktionspartner abgeben können bezeichnet man als Reduk-
tionsmittel.
Reduktion Eine Reduktion ist eine Reaktion, bei der Elektronen von ei-
nem Atom aufgenommen werden. Substanzen, die im Verlauf einer Reakti-
on Elektronen vom Reaktionspartner aufnehmen können bezeichnet man als
Oxidationsmittel.
Phase eine Phase ist eine Bereich mit konstanten physikalischen Eigen-
schaften. Eine Phase ist in sich homogen.
50
Tabelle 4.1: Basiseinheiten des Internationalen Systems
Größe Einheit Symbol
Masse Kilogramm kg
Stoffmenge Mol mol
Zeit Sekunde s
Länge Meter m
Lichtstärke Candela cd
Temperatur Kelvin K
Stromstärke Ampere A
Ladung Coulomb C As
2
Spannung Volt V W
A
bzw. kgs3mA
1
Frequenz Hertz Hz s
51
Tabelle 4.3: Präfixe für Einheiten. Bei Massenangaben ist zu beachten, dass
das k für kilo bereits in der Basiseinheit enthalten ist. Ein „Millikilogramm“
gibt es nicht! Als Wortstamm verwendet man „Gramm“ (10−3 kg).
verwendet man bei Bedarf Präfixe, die Zehnerpotenzen der Einheit repräsen-
tieren. Diese sind in Tabelle 4.3 aufgelistet.
Einige uns im Alltag begegnende Einheiten hängen über sehr einfache Be-
ziehungen mit SI-Einheiten zusammen. Die Skala von Celsius zur Angabe
von Temperaturen hat z. B. dieselbe Skaleneinteilung wie die Skala nach Kel-
vin, sie unterscheiden sich jedoch im Nullpunkt um 273,15. Die Volumenan-
gabe Liter (l) ist identisch mit einem Kubikdezimeter (dm3 ). Aufgrund dieser
engen Verwandtschaft zu SI-Einheiten werden sie auch im wissenschaftlichen
Alltag häufig gebraucht. Insbesondere Volumenangaben in Kubikmetern sind
sogar eher ungebräuchlich.
4.1.1.1 Stoffmengen
Eine für die Chemie sehr wichtige Größe ist die Stoffmenge und damit auch
ihre Einheit das Mol. Wir haben in den vorangegangenen Kapiteln festge-
stellt, dass aufgrund des atomistischen Aufbau der Materie Anzahlen und
Zahlenverhältnisse von Atomen oder Molekülen bedeutender sind als Mas-
sen. Aufgrund der recht geringen Größe von Atomen, ist es nicht praktikabel
Atome oder Moleküle für Reaktionen abzuzählen, um das richtige Verhältnis
von Edukten einzusetzen. Die Lösung dieses Problems ist zu bestimmen wie-
viele Atome oder Moleküle in einer gegebenen Masse vorhanden sind, so dass
man dann über einfache Einwaage die nötige Anzahl von Atomen „abzählen“
kann.
Beispiel :
Wenn man weiß wie schwer eine Erbse ist, muss man nicht alle
52
Erbsen im Sack zählen, sondern kann einfach wiegen wie schwer
der Sack ist und durch die Masse einer Erbse teilen.
Im Gegensatz zu Erbsen wissen wir von Atomen, dass jedes Atom einer Atom-
sorte gleich schwer ist. Wenn eine Element in der Natur als Isotopengemisch
vorliegt, kann man entsprechend der Anteile der Isotope eine relative Ato-
memasse berechnen1 . Zur Bestimmung der Stoffmenge geht man den selben
Weg wie im Beispiel mit den Erbsen. Den Sack Erbsen hat man als 12 g
der „Erbse“ Kohlenstoffisotop 12 C definiert. Der Quotient von 12 g und der
Atomemasse von 12 C ist 6, 022 · 1023 und Grundlage für die Definition eines
Mols2 . Ein Mol sind 6, 022 · 1023 Teilchen. Das Mol ist also so etwas wie
das „Dutzend der Chemiker(\b|innen)“. Die Molmasse M der Elemente ist
in Periodensystemen (siehe Seite 27) tabelliert, so dass man leicht für eine
gegebene Masse m die Stoffmenge n berechnen kann:
m
n= (4.1)
M
Eng mit der Definition des Mols verknüpft ist eine Masseneinheit, die man für
atomare Größenordnungen verwendet, die unified atomic mass unit kurz u.
Sie ist definiert als ein zwölftel der Masse eines 12 C-Atoms. Damit entspricht
1 u 1, 66054 · 10−27 kg. Da sich sowohl die Definition des Mols, als auch die
der atomaren Masseneinheit auf 12 C beziehen gilt:
1g
= NA = 6, 022 · 1023 (4.2)
1u
Durch diese Definition von einem u hat man außerdem erreicht, dass die
Nukleonenzahl eines Atoms ziemlich exakt seiner Masse entspricht.
53
47. Wie hängen Kelvin und Grad Celsius zusammen?
48. Vom Element X kommt nur ein natürliches Isotop vor. Ein Atom davon
hat die Masse 2, 107·10−22 g. Berechnen Sie die relative Atommasse des
Elementes X. Um welches Element handelt es sich?
49. Wie hoch ist der prozentuale Phosphoranteil der Verbindung der Zu-
sammensetzung Ca3 (PO4 )2 (Calciumphosphat)?
50. Welche empirische Formel hat die Verbindung X mit der folgenden
Zusammensetzung: Ca(31,29%), C(18,75%) und O(49,96%)?
51. Welche Massenprozente weisen die Elemente in der Verbindung Na3 AlF6
auf?
53. Das Mineral Hämatit besteht aus Fe2 O3 . Hämatit-Erz enthält weitere
Mineralien, die „Gangart“. Wenn 5000 kg Erz 2784 kg Fe enthalten, wie
viel Prozent Hämatit ist im Erz enthalten?
54. Hämoglobin enthält 0,342% Fe. Wenn ein Molekül vier Fe-Atome ent-
hält, welches ist die Molmasse des Hämoglobins?
55. Welcher Stoffmenge entsprechen 200 g Schwefelsäure und wie viele Mo-
leküle sind darin enthalten?
a) N2
b) HNO3
c) Ca3 (PO4 )2
57. Zur Analyse einer Verbindung, die Chrom und Chlor enthält, wird das
Chlor in die Verbindung AgCl überführt. Welche empirische Formel
hat das Chromchlorid, wenn aus 8,61 g davon 20,08 g AgCl erhalten
werden?
54
59. Wie viele Wassermoleküle befinden sich in einem Schwimmbecken mit
den Maßen 50 m × 12,5 m × 2 m?
61. Das internationale Urmaß für 1 Kilogramm besteht aus einer Platin-
Iridium-Legierung (90% Pt, 10% Ir).
62. Wie viel Gramm HI entstehen aus 5 g PI3 bei vollständiger Umsetzung.
Vervollständigen Sie vorab die Reaktionsgleichung:
PI3 + H2 O −→ HI + H3 PO3
63. Wie viel Gramm OF2 können maximal bei der Umsetzung von je 2,5 g
der Edukte erhalten werden?
55
a) mit Wasser
b) mit einer 1 molaren Schwefelsäurelösung
herzustellen?
68. Eine 10%-ige Salzsäurelösung hat eine Dichte von ρ = 1050 kg/m3 . Wie
groß ist die Stoffmengenkonzentration der Lösung?
69. 200 ml einer 0,2 molaren Natriumchloridlösung werden mit 200 ml ei-
ner 0,1 molaren Magnesiumchloridlösung gemischt. Wie groß ist die
Choridionenmenge und -konzentration?
71. Ein Element besteht zu 60,1% aus einem Isotop der Masse 68,926 u
und zu 39,9% aus einem Isotop der Masse 70,925 u. Welche mittlere
Atommasse besitzt das Element und um welches Element handelt es
sich?
56
Tabelle 4.4: Eine Übersicht über homogene Gemische
Aggregatzustände Bezeichnung Beispiel Trennverfahren
fest/fest Legierung, α-Messing fraktionierte Kristalli-
Mischkris- sation
talle
fest/flüssig Lösung Meerwasser Verdampfen der flüssi-
gen Phase, Kristallisa-
tion
flüssig/flüssig Lösung Benzin fraktionierte Destilla-
tion
flüssig/gasförmig Lösung Mineralwasser Erhitzen
gasförmig/gasförmig Gasgemische Luft Verflüssigung mit
anschließender frak-
tionierten Destillation
4.2.1 Trennverfahren
Destillation
Die Stoffeigenschaft, die man bei einer Trennung durch Destillation (von la-
teinisch destillare für herabtröpfeln) nutzt, ist der Siedepunkt. Die Substanz
eines homogenen Gemisches mit dem geringsten Siedepunkt wird bei Erhitzen
als ersten Verdampfen, während für die restlichen Bestandteile möglicherwei-
se der Siedepunkt noch gar nicht erreicht ist. Fängt man den Dampf auf und
kondensiert ihn wieder hat man diese Substanz abgetrennt. Durch apparative
Details ist es möglich auch komplexe Gemische mit hohem Reinheitsgrad zu
trennen. Ein Beispiel für eine Destillation ist das Schnapsbrennen.
57
Tabelle 4.5: Eine Übersicht über heterogene Gemische
Aggregatzustände Bezeichnung Beispiel Trennverfahren
fest/fest Gemenge Granit, Müsli Sortieren, Sieben,
Flotation, Scheidung
nach Dichte, elektro-
statische Trennung,
Extraktion
fest/flüssig Suspension Schlamm, Sedimentieren, Zentri-
Blut fugieren, Dekantieren,
Filtrieren
flüssig/flüssig Emulsion Milch, Creme Zentrifugieren
fest/gasförmig Rauch, Ae- Autoabgase Sedimentieren, Filtrie-
rosol ren, elektrostatische
Trennung
flüssig/gasförmig Schaum, Wolken Sedimentieren
Nebel,
Aerosol
Chromatographie
Chromatographie (von griechisch χρωμα (chroma) für Farbe und γράφειν
(graphein) für schreiben) trennt homogene Substanzgemische nach ihren un-
terschiedlich starken Wechselwirkungen mit einem Trennmedium. Über das
unbewegliche Trennmedium, die sogenannte stationäre Phase, wird das zu
58
trennende Gemisch in einem Trägermedium, der mobilen Phase, geleitet. Je
nach Stärke der Wechselwirkungen zwischen stationärer Phase und den Kom-
ponenten der Mischung, werden die Komponenten unterschiedlich stark „ge-
bremst“. Komponenten mit schwachen Wechselwirkungen werden also schnel-
ler und weiter mitgetragen, als Komponenten mit starken. Für die apparative
Realisierung dieses Konzeptes gibt es verschiedenste Varianten je nach Eigen-
schaften der zu trennenden Substanzen.
Extraktion
Zur Trennung von Feststoffen oder zur Entfernung einer gelösten Substanz
aus einer Flüssigkeit kann man das Verfahren der Extraktion (von lateinisch
extrahere für herausziehen) verwenden. Eine Extraktion kann man immer
dann durchfuhren, wenn in einem Feststoffgemisch verschieden gut lösliche
Substanzen vereint sind. Aus Lösungen kann man einen Stoff extrahieren,
wenn es ein Extraktionsmittel gibt, in dem der Stoff besser löslich ist, als in
dem vorliegenden Lösungsmittel und das außerdem nicht mit dem Lösungs-
mittel mischbar ist. Nach der Extraktion erhält man eine Lösung des zu
isolierenden Stoffes. Ein alltägliches Beispiel ist die wässrige Exktration von
Coffein und anderen Substanzen aus partialpyrolysierten, gemahlenen Sa-
men von Coffea arabica und Coffea canephora3 oder Blättern von Camellia
sinensis4 .
Elektrostatische Trennung
Elektrostatische Trennung von heterogenen Feststoffgemischen funktioniert
aufgrund einer physikalischen Eigenschaft, die Tribo-Elektrizität (von grie-
3
je nach kulturellem Hintergrund oder persönlicher Vorliebe wird das Extrakt durch
Sedimentation oder Filtration abgetrennt und mit Zucker, Milch oder Sahne sowie ggf.
Gewürzen versetzt.
4
hier wird das Extrakt per Sieb oder Filter abgetrennt. Auch hier werden evtl. dem
Extrakt weitere Substanzen oder Substanzgemische hinzugegeben. Philosophische Frage:
Wie grobporig muss ein Filter sein, dass er zum Sieb wird?
59
chisch τρίβω (tribo) für reiben) genannt wird. Man nutzt aus, dass sich Sub-
stanzen verschieden stark elektrostatisch durch Reibung aufladen. Eingesetzt
wird diese Verfahren z. B. beim Trennen von verschiedenen Kunststoffen oder
Salzen und Stäuben.
Flotation
Flotation (von englisch to float für schwimmen, treiben) ist ein Trennverfah-
ren für heterogene Gemische aus Feststoffen und macht sich zu Nutze, dass
Partikel verschiedener Stoffe unterschiedlich gut von Flüssigkeiten benetzt
werden. Durch Einblasen eines Gases in eine Suspension der zu trennen-
den Stoffe, wird der schlechter zu benetztende Stoff mit den Gasblasen an
die Oberfläche getragen und kann dort abgeschöpft werden. So können z. B.
Erze von Beimischungen (Gangart) getrennt werden oder bei der Altpapier-
wiederverwertung die Farbpigmente entfernt werden.
72. Warum ist das Gemisch gasförmig/gasförmig in Tabelle 4.5 nicht auf-
geführt?
74. Welche der folgenden Stoffe können durch Destillieren nicht getrennt
werden?
75. Durch welches Trennverfahren kann man die Farbstoffe der Filzschreiber-
tinte trennen?
60
78. Welche Stoffeigenschaft wird bei der Stofftrennung durch Extraktion
ausgenutzt?
• Dichte
• Schmelztemperatur
• Löslichkeit
• Tribo-Elektrizität
• Siedetemperatur
4.3 Reaktionsgleichungen
Zur Beschreibung von Reaktionen verwendet man Reaktionsgleichungen. Sie
sind ähnlich wie mathematische Gleichungen aufgebaut. An Stelle eines Gleich-
heitszeichens verwendet man jedoch einen Reaktionspfeil. Links dieses Pfeils
stehen die Edukte aufgelistet und durch +-Zeichen getrennt, rechts des Pfeils
die Produkte ebenfalls durch +-Zeichen getrennt. Gegebenenfalls wird den
Produkten oder Edukten eine stöchiometrischer Faktor vorangestellt.
a A + b B −→ c C + d D (4.4)
Oder weniger abstrakt:
2 H2 + O2 −→ 2 H2 O (4.5)
Die verschiedenen Substanzen werden, wie oben schon ohne nähere Erklärung
eingeführt, als Summenformel angegeben. Dabei werden die Elementsymbo-
le, der in der Verbindung enthaltenen Atome, aufgelistet und deren Anzahl
als tiefgestellter Index direkt angehängt. Bei der Verwendung in Reaktions-
gleichungen zeigt sich, dass es sehr sinnvoll ist, die Elementnamen durch
Symbole abzukürzen.
Aus der Erkenntnis, das Atome in einer chemischen Reaktion weder zer-
stört noch erzeugt werden können, folgt unmittelbar, dass vor und nach der
Reaktion dieselbe Anzahl an Atomen vorhanden sein muss. Das bedeutet
links und rechts des Reaktionspfeils muss dieselbe Anzahl von Atomen zu
finden sein. Da auch keine Umwandelung von der einen in die andere Atom-
sorte möglich ist, muss auch jeweils die Zahl der Atome einer Atomsorte links
und rechts des Reaktionspfeils gleich sein.
Genau dieselbe Überlegung ist auch für Ladungen gültig. In einer vollstän-
dig ausgeglichenen Reaktionsgleichung treten keine Ladungen auf. Praktisch
ignoriert man dies allerdings gelegentlich, z. B. wenn ein Kation oder Anion
an der Reaktion unbeteiligt ist, lässt man es in der Gleichung weg. Dann gilt,
dass auf beiden Seiten des Reaktionspfeils dieselbe Ladung auftauchen muss.
61
4.3.1 Oxidationszahlen
Viele Reaktionen sind mit der Übertragung von Elektronen verbunden (siehe
auch Abschnitt 4.8). Da im Fall von kovalenten Bindungen die Übertragung
von Elektronen weitaus weniger leicht ersichtlich ist, als bei der Bildung von
Ionen, behilft man sich mit einem einfachen Formalismus. Für jede einzelne
Bindung des Moleküls schlägt man beide Bindungselektronen dem elektro-
negativeren Atom zu. Die formale Ladung, die man dann für dieses Atom
erhält, ist seine Oxidationszahl. Durch ihre Änderung im Verlauf einer Reak-
tion kann man den Übergang von Elektronen verfolgen. Zur Darstellung der
Oxidationszahlen werden römische Zahlen verwendet, die über das entspre-
chende Elementsymbol geschrieben werden.
+II −II ±0 −II +IV −II
2C O + O2 2O C O (4.6)
80. Formulieren Sie die Gleichungen für die vollständige Verbrennung von:
a) Octan C8 H18
b) Anilin C6 H7 N
Im Volksmund heißt es „Von nix, kommt nix!“ und diese Aussage trifft eine
Kernerkenntnis der Thermodynamik sehr gut. Auch wenn umgangssprach-
lich von „Energieerzeugung“ die Rede ist, ist es nicht möglich Energie zu
erzeugen oder vernichten. Dies ist als der erste Hauptsatz der Thermodyna-
mik bekannt. Bei jeder „Energieerzeugung“ handelt es sich in Wirklichkeit
62
um eine Energieumwandlung. Bei der „Erzeugung“ von elektrischer Energie
wird lediglich die, z. B. in fossilen Energieträger enthaltene, chemische Ener-
gie zunächst in Wärmeenergie umgewandelt und diese dann wiederum mit
Hilfe einer Turbine und eines Generators in elektrische. Bei der „Erzeugung“
von Strom durch Windräder wird die Bewegungsenergie (kinetische Energie)
der Luft in elektrische umgewandelt. Eine weitere wichtige Erkenntnis ist,
dass diese Umwandlungen nie ganz verlustfrei von Statten gehen.
Zunächst wollen wir uns jetzt mit grundlegenden Zusammenhängen in der
Thermodynamik vertraut machen und dann die Anwendung dieser Theorie
auf chemische Fragestellungen erkunden.
63
81. Was ist das größtmögliche thermodynamische System? Ist es ein offe-
nes, geschlossenes oder isoliertes System?
82. Warum kann es kein System geben in dem nur Stoffaustausch aber kein
Energieaustausch möglich ist?
Für ein offenes oder geschlossenes System bedeutet der erste Hauptsatz, das
jegliche Änderung der Energie eines System nur dadurch zustande kommen
kann, dass Energie in Form von Wärme Q oder Arbeit W mit der Umgebung
ausgetauscht wird.
∆U = ∆Q + ∆W (4.8)
64
man einen Luftballon über die Öffnung einer Flasche stülpt und die Flasche
erwärmt. Wenn wir nur eine Wärmeübertragung haben, verändert sich unsere
innere Energie wie folgt:
∆U = ∆Q − p · ∆V (4.9)
An dieser Stelle sei auf eine Konvention hingewiesen: Energie, die ein System
an seine Umgebung abgibt, erhält ein negativen Vorzeichen; Energie, die es
aufnimmt, ein positives. Um nun nicht jedes Mal der Term p · ∆V in Glei-
chungen berücksichtigen zu müssen, fasst man diesen Term mit der inneren
Energie zusammen zu einer neuen Größe, der Enthalpie H.
∆U + p · ∆V = ∆H (4.10)
Durch diesen eleganten Trick haben wir eine Energiegröße für offene System
gefunden, die sich direkt durch die Messung von Wärmemengen bestimmen
lässt. Durch Umformen von Gleichung 4.9 lässt sich das leicht feststellen:
∆U + p · ∆V = ∆Q (4.11)
Die linke Seite der Gleichung entspricht unserer Definition von ∆H.
∆U + p · ∆V = ∆Q = ∆H (4.12)
Wir hatten uns oben auf die Übertragung von Wärme beschränkt. Natürlich
ist es auch ganz allgemein möglich, dass Wärmeübertragung und Arbeitsleis-
tung am System gleichzeitig stattfinden. Um das zu berücksichtigen, muss
man einfach bei allen Gleichungen den Term ∆W wieder anhängen und erhält
dann ganz allgemein für die Enthalpie eines Systems:
Da die Enthalpie nicht absolut messbar ist, hat man definiert, dass die Ele-
mente in ihrer energetisch günstigsten Form eine Enthalpie von Null haben
sollen. Alle Angaben werden dann relativ dazu als ∆H angegeben. Wir wer-
den in den Anwendungsbeispielen sehen, das die Enthalpie ein hervorragendes
Hilfsmittel ist, um die Wärmetönung oder Reaktionswärme von chemischen
Reaktionen vorherzusagen. Prozesse, bei denen das System Energie an seine
Umgebung abgibt, nennt man exotherm, solche, bei denen es Energie aus
der Umgebung aufnimmt, endotherm (von griechisch θερμός (thermos) für
warm, ἔξω (exo) für außen, ἔνδον (endon) für innen). Die Art der Prozesse
kann dabei sehr vielfältig sein. Es kann sich z. B. um chemische Reaktionen,
Phasenübergänge oder Vorgänge in Maschinen handeln.
65
4.4.1.3 2. Hauptsatz: Unordnung
Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik hat sich aus den Beobachtungen
ergeben, das z. B. Milch, die man in den Kaffee gibt, sich immer mit ihm
vermischen wird, es aber nie zu beobachten ist, dass sich Milch und Kaffee
wieder trennen. Ein System strebt also ohne äußere Einwirkung immer zu
einem Zustand größerer Unordnung7 .
Für unsere bisherigen Betrachtungen bedeutet das, dass ein Teil der zu-
geführten Energie immer in die Erhöhung der Unordnung des Systems fließt.
Bei Energieumwandelungen geht also immer einer gewisser Anteil Energie
verloren, der nicht mehr nutzbar ist. Für unsere Überlegungen ist es also
notwendig eine Größe zu finden, mit der wir diesen Anteil, den wir an die
Unordnung „verlieren“, beschreiben können.
Für unsere weiteren Gedankengänge wollen wir uns ein „Kaffeemolekül“
8
(•) und ein „Milchmolekül“ (◦) definieren. Wenn wir jetzt aus der Kaffee-
kanne zufällig drei „Moleküle“ entnehmen, wird das Ergebnis so aussehen:
••• (4.14)
Ganz analog erhalten wir für drei „Moleküle“ aus dem Milchkännchen:
◦◦◦ (4.15)
Es gibt also jeweils genau ein Ergebnis, das wir erhalten können, nämlich
jeweils nur Milch- oder nur Kaffee-„Moleküle“. Ein anderes Bild erhalten wir
wenn wir Kaffee und Milch mischen:
Wir erhalten jetzt acht verschiedene Möglichkeiten und nur zwei von die-
sen acht Möglichkeiten entsprechen einer Entmischung von Kaffee und Milch
(ganz recht und ganz links). Bei drei „Molekülen“ würde also noch durch-
aus eine realistische Chance bestehen eine Entmischung zu beobachten, auch
wenn sie schon verhältnismäßig unwahrscheinlich ist. Bei vier Teilchen ent-
sprechen nur noch zwei von 16 Kombinationen einer Entmischung. In einer
typischen Kaffeetasse befinden sich aber nicht nur drei, vier oder sogar tau-
sende von Teilchen, sondern etwa 50·1023 Teilchen. Damit ist die Wahrschein-
lichkeit eine Entmischung zu beobachten so gering, das realistisch nicht mit
einer Entmischung zu rechnen ist und dies auch noch nie beobachtet worden
ist. Der Theorie nach ist sie jedoch nicht ausgeschlossen.
7
ein Phänomen, das man leider nur all zu gut auch an Schreibtischen o. ä. beobachten
kann.
8
. . . ein sehr starker Kaffee. Kann es real Kaffee- oder Milchmoleküle geben?
66
Als Fazit können wir zunächst festhalten, das die Wahrscheinlichkeit für
ein Kaffee/Milch-Gemisch in unserem Becher deutlich größer ist als eine sau-
bere Trennung von Milch und Kaffee. Also ist der ungeordnete Zustand wahr-
scheinlicher als ein geordneter. Aus diesen statistischen Betrachtungen kann
man dann die Entropie S ableiten, die dann als Maß der Unordnung in einem
thermodynamischen System fungieren kann.
S = kB · ln W (4.17)
kB ist die sogenannte Boltzmannkonstante. W ist dabei die Zahl der mögli-
chen Zustände, die das System einnehmen kann. Wenn wir W = 1 einsetzen,
also den Fall „nur Kaffee“ oder „nur Milch“ erhält man eine Entropie von Null
also ein System ohne Unordnung. Bei dieser Betrachtung ignorieren wir etli-
che Parameter im Kaffee wie z. B. die Bewegungsfreiheitsgrade der Teilchen,
die zu mehreren möglichen Zuständen führen. Man kann also nur durch die-
se extreme Vereinfachung auf ein perfekt geordnetes System kommen. Wenn
man wirklich alle Variablen berücksichtigt, stellt man fest, dass eine Entropie
von Null nicht zu erreichen ist.9
Mit der Entropie haben wir jetzt eine Größe gefunden, mit der wir be-
schreiben können, wie viel Energie durch Erhöhung der Unordnung verloren
geht. Damit können wir jetzt eine weitere Größe aufstellen, die uns besagt,
wie viel Energie wir am Ende tatsächlich nutzbar in unserem System zu
Verfügung haben. Diese Größe wird freie Enthalpie G oder, nach ihrem Ent-
decker Josiah Willard Gibbs, Gibbs-Energie genannt.
∆G = ∆H − T · ∆S (4.18)
Ist bei einem Vorgang ∆G < 0 nennt man ihn exergonisch, ist ∆G > 0 spricht
man von einem endergonischen Vorgang. Den Spezialfall, das ∆G = 0 ist,
also weder Energie abgegeben noch aufgenommen wird, betrachten wir in
Abschnitt 4.6 näher.
4.4.1.4 Zustandsgrößen
Thermodynamische Größen sind von Temperatur und Druck abhängig. Um
Werte vergleichbar zu halten, werden sie üblicherweise bei Standardbedingun-
gen 10 angegeben. Dabei handelt es sich um eine Temperatur von 298,15 K
9
Aufräumen ist also Zeitverschwendung!
10
nicht zu verwechseln mit den Normalbedingungen (0 ◦ C; 1,013 bar).
67
(25 ◦ C) und einen Druck von 100 kPa (1 bar). Angaben bei Standardbedin-
gungen werden durch eine angehängte, hochgestellte Null gekennzeichnet,
z. B. ∆H 0 .
Bei allen thermodynamischen Größen handelt es sich um sogenannte Zu-
standsgrößen. Sie beschreiben immer den Zustand eines Systems, aber nicht
den Weg von einem zum anderen. Bei einer bestimmten Wahl von z. B. Tem-
peratur und Druck erhält man also immer wieder denselben Zustand des
Systems, egal ob man diesen Zustand durch Druckerhöhung oder -senkung
erreicht hat oder welche Reihenfolge man bei Druck- und Temperaturände-
rung wählt. Entscheidend ist der Druck und die Temperatur, die zu Beginn
und am Ende des Vorgangs im System herrschen.
Um wieder den Volksmund zu bemühen: „Viele Wege führen nach Rom“.
Dabei ist es egal welchen Weg nach Rom man einschlägt, am Ende landet
man immer in derselben Stadt in Italien.
4.4.2 Anwendungsbeispiele
4.4.2.1 Phasenübergänge
Ein Phasenwechsel ist immer mit einer Energieaufnahme oder -abgabe ver-
knüpft. An vielen Stellen ist daher wichtig zu wissen, in welchen Aggregatzu-
stand eine Reaktionsteilnehmer vorliegt. Es hat sich eingebürgert den Aggre-
gatzustand durch eingeklammerte tiefgestellte Buchstaben zu kennzeichnen.
Man verwendet s (von englisch solid für fest), l (von englisch liquid für flüssig)
und g (von englisch gaseous für gasförmig). Außerdem ist das Kürzel aq (von
lateinisch aqua für Wasser) für in wässriger Lösung vorliegende Substanzen
gebräuchlich. Bei der „Reaktion“
4.4.2.2 Reaktionsenthalpien
Insbesondere bei industriellen Prozessen11 ist es wichtig zu wissen, ob und
wenn ja wieviel Wärme bei einer Reaktion frei wird. Aufgrund der Definition
der Enthalpie können wir direkt aus der Änderung der Enthalpie während der
Reaktion ∆HR (Reaktionsenthalpie) bestimmen, wie viel Wärme frei werden
11
über großtechnische Reaktionsführungen werden Sie in Ihrem Studium in der Techni-
schen Chemie mehr lernen.
68
wird oder wieviel für die Durchführung der Reaktion zugeführt werden muss.
Die Reaktionsenthalpie errechnet sich aus der Differenz der Enthalpien vor
und nach der Reaktion, also aus den Enthalpien der Edukte und Produkte.
X X
∆HR = ∆HProdukt − ∆HEdukt (4.20)
Die Enthalpien von Produkten und Edukten findet man in Form von Stan-
dardbildungsenthalpien ∆Hf0 tabelliert (f von formation, englisch für Bildung,
Entstehung; siehe auch Anhang Abschnitt C). Sie geben die Enthalpie an,
die nötig ist, um eine Verbindung aus den Elementen zu synthetisieren. Wir
erinnern uns an dieser Stelle daran, dass die Enthalpien der Elemente zu
Null definiert sind. Die Standardbildungsenthalpie einer Verbindung kann
man also bestimmen, indem man bei einer Reaktion von den Elementen zu
der gesuchten Verbindung die Reaktionswärme misst.
84. Erklären Sie die Ausdrücke Reaktionswärme, Enthalpie und Standard-
Bildungsenthalpie.
Ist eine Reaktion nicht von Elementen ausgehend durchführbar, kann man
sich bei der Bestimmung von Standardbildungsenthalpien zu Nutze machen,
dass es sich bei thermodynamischen Größen um Zustandsgrößen handelt.
Wir können zu unseren Produkten also auch auf einem anderen Weg gehen,
69
für den wir die nötigen Enthalpien bereits kennen und so die Enthalpie be-
rechnen, die uns interessiert. Bei gleichen Anfangs- und Endzuständen einer
Reaktion ist die Reaktionsenthalpie für jeden Reaktionsweg gleich. Dies ist
als der Satz von Hess bekannt, benannt nach Germain Henri Hess.
Ein gerne gewähltes Beispiel ist die Reaktion von Kohlenstoff zu Kohlen-
stoffdioxid. Hier sind zwei Reaktionswege denkbar:
+ 2 O2
2C 2 CO2
∆H1
oder
+ O2 + O2
2C 2 CO 2 CO2
∆H2 ∆H3
Ausgangs- und Endzustand der Reaktionswege sind gleich, also muss für bei-
de Wege die Enthalpie gleich sein. Die beiden Reaktionsschritte des zweiten
Weges müssen also zusammen denselben Enthalpiebetrag liefern, wie die di-
rekte Reaktion. Als mathematische Formel ausgedrückt, gilt also:
Über diesen Zusammenhang können wir also, sobald wir zwei beliebige der
Enthalpien kennen, die dritte bestimmen. Ein weiteres Beispiel für so einen
Kreisprozess ist die in Abschnitt 4.4.2.4 beschriebene Berechnung der Gitte-
renergie eines Ionenkristalls.
88. Warum ist der Satz von Hess eine Folge des Energieerhaltungssatzes?
89. Berechnen Sie die Reaktionsenthalpie für die Reaktion
70
4.4.2.3 Freiwilligkeit von Reaktionen
Wir haben bereits gelernt, dass ein System immer versucht einen energetisch
möglichst günstigen Zustand, sprich einen Zustand mit möglichst niedriger
Energie zu erreichen. Für die eben betrachtete Wärmetönung von Reaktio-
nen heißt das, dass eigentlich nur exotherme Reaktionen freiwillig ablaufen
sollten, da hier die Produkte eine geringere Energie haben als die Edukte.
Man beobachtet aber auch freiwillig ablaufende Vorgänge, die unter Abküh-
lung stattfinden, also endotherm sind (z. B. das Auflösen einiger Salze). Um
dies zu erklären, ist es nicht ausreichend allein die Enthalpie des Vorgangs
zu betrachten. Wir müssen darüber hinaus auch die Entropie berücksichti-
gen. Damit ergibt sich die Gibbs-Energie als entscheidendes Kriterium für
die Freiwilligkeit einer Reaktion. Exergonische Reaktionen laufen also frei-
willig ab, endergonische nicht. Nach Gleichung 4.18 kann die Gibbs-Energie
auch dann negativ werden, wenn die Enthalpie positiv ist. Vorraussetzung ist
allerdings, dass dann der Term T · ∆S größer ist als ∆H. Insbesondere beim
Auflösen eines Kristallgitters nimmt die Entropie stark zu. Weitere Prozesse,
bei denen sich die Entropie deutlich erhöht sind der Übergang in die Gaspha-
se oder das Mischen von Substanzen (siehe Beispiel des Milchkaffees). Für
die Freiwilligkeit eines Prozesses muss also immer das Wechselspiel zwischen
Enthalpie und Entropie berücksichtigt werden.
91. Warum verlaufen viele endotherme Reaktionen bei hoher Temperatur
freiwillig?
92. Nimmt die Entropie bei folgenden Reaktionen zu oder ab?
a) C + O2 −→ 2 CO
b) H2 + F2 −→ 2 HF
c) NaCl(s) −→ NaCl(aq)
71
2 ∆Hf
2 Na(s) + Cl2(g) 2 NaCl(s)
Auf beiden Wegen muss die Enthalpie gleich sein, also gilt mathematisch
beschrieben:
72
günstig. Unsere Beobachtungen lehren uns aber, dass es sich bei Diamant
um eine ausgesprochen „stabile“ Verbindung handelt, die nahezu unbegrenzt
lagerbar ist. Diese scheinbare Diskrepanz zwischen Theorie und Beobachtung
lässt sich erklären, wenn wir zusätzlich zur Thermodynamik auch die Kinetik
der Reaktion berücksichtigen. Bei der Reaktionskinetik handelt es sich um
ein Modell des zeitlichen Verlaufs einer Reaktion.
Eine zentrale Frage ist dabei, wie lange dauert es, bis meine Reaktion be-
endet ist. Wir stellen uns also die Frage nach der Reaktionsgeschwindigkeit.
Die naheliegendste Definition einer Reaktionsgeschwindigkeit ist dabei sicher-
lich eine Änderung der Stoffmenge einer Verbindung mit der Änderung der
Zeit zu betrachten. Eine solche Definition hat allerdings den entscheidenden
Nachteil, dass so die Reaktionsgeschwindigkeit von der Größe des Ansatzes
der Reaktion abhängig ist. Um dieses Problem zu umgehen, verwendet man
an Stelle der Stoffmenge, die Stoffmengenkonzentration c. Als mathematische
Formel ausgedrückt lautet die Definition der Reaktionsgeschwindigkeit dann:
dc
v= (4.24)
dt
Um negative Zahlenwerte für die Reaktionsgeschwindigkeit zu vermeiden, er-
gänzt man bei Betrachtungen ausgehend von den Edukten ein Minuszeichen.
Da bei Betrachtungen der Kinetik häufig Konzentrationen von verschiedenen
Substanzen zu berücksichtigen sind, verwendet man für deren Kennzeichnung
eckige Klammern. Auf diese Weise umgeht man die Verwendung von vielen
Formelzeichen, die sich nur im Index unterscheiden. [Na+ ] ist also gleichbe-
deutend mit cNa+ .
Die Reaktionsgeschwindigkeit ist von der Konzentration und der Tempe-
ratur abhängig. Diese Abhängigkeiten sollen im folgenden näher untersucht
werden.
4.5.1 Konzentrationsabhängigkeit
Bei Untersuchungen zur Konzentrationsabhängigkeit der Reaktionsgeschwin-
digkeit hat man festgestellt, dass abhängig von der Reaktion ein oder mehrere
Eduktkonzentrationen Einfluss nehmen. Ein Rückschluss aus der Reaktions-
gleichung auf die Kinetik einer Reaktion ist grundsätzlich nicht möglich. Zu
einer Reaktion der Art:
A + B −→ C (4.25)
v = k · [A] (4.26)
73
gehören, ohne jegliche Abhängigkeit von der Konzentration von B. k ist die
Reaktionsgeschwindigkeitskonstante. Der Begriff „Konstante“ ist an dieser
Stelle allerdings keine besonders treffende Wahl, da es sich bei k um eine
Funktion der Temperatur handelt. Die sich daraus ergebende Temperatur-
abhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit wird im nächsten Abschnitt the-
matisiert werden.
Beispiel :
Wir betrachten eine Reaktion
A + B + C −→ D
74
Tabelle 4.6: Geschwindigkeitsgesetze verschiedener Ordnungen. [A]0 ist die
Anfangskonzentration von A. Die integralen Gesetze sind so aufgestellt, dass
eine Auftragung des Terms links des Gleichheitszeichens gegen die Zeit eine
Gerade ergibt, aus deren Steigung k bestimmt werden kann.
differenziell integral
d[A]
[A]0 v=− = k0 [A] = [A]0 − k0 · t
dt
d[A]
[A]1 v=− = k1 · [A] ln[A] = ln[A]0 − k1 · t
dt
d[A] 1 1
[A]2 v=− = k2 · [A]2 = + k2 · t
dt [A] [A]0
d[A] 1 1
[A]3 v=− = k3 · [A]3 = + 2 · k3 · t
dt [A] 2 [A]20
4.5.2 Temperaturabhängigkeit
Wie oben bereits erklärt, kommt die Temperaturabhängigkeit der Reaktions-
geschwindigkeit über die Temperaturabhängigkeit der Geschwindigkeitskon-
stante zu Stande. Svante Arrhenius konnte folgende nach ihm benannten
Zusammenhang zwischen k und der Temperatur feststellen:
EA
−k
k =A·e B ·T (4.27)
Um die Bedeutung dieser Gleichung zu verstehen ist, es ratsam sich zunächst
das mikroskopische Geschehen bei einer Reaktion vor Augen zu führen.
Die einzelnen an der Reaktion teilnehmenden Teilchen bewegen sich frei
und zufällig im Reaktionsmedium. Dabei kommt es zu Stößen mit ande-
ren Teilchen und bei jeden Stoß zu einem Austausch an kinetischer Energie.
Die mittlere kinetische Energie der Teilchen nehmen wir makroskopisch als
Temperatur wahr. Die kinetischen Energien der einzelnen Teilchen decken
einen weiten Bereich ab, deren Verteilung sich mit Hilfe einer Boltzmann-
Verteilung statistisch erfassen lässt. Wie häufig Teilchen stoßen, ist in der
Arrhenius-Gleichung (Gleichung 4.27) durch die Größe A beschrieben. Ist
die kinetische Energie zweier Teilchen groß genug, kommt es beim Stoß nicht
nur zur Übertragung von kinetischer Energie, sondern auch zur Reaktion.
Bei einem gewissen Anteil der Stoße kommt es also zur Reaktion. Wie groß
dieser Anteil ist wird durch den zweiten Faktor der Gleichung beschrieben.
Wenn wir uns den Verlauf einer Exponentialfunktion wie y = ex vor Augen
75
Abbildung 4.1: Energetischer Reaktionsverlauf. Ausgangs- und Endpunkt der
Kurve sind durch die Thermodynamik bestimmt. Der Verlauf der Kurve kann
sich mit geändertem Reaktionsweg ändern.
halten, stellen wir fest, dass y für Werte von x kleiner als Null, Werte zwi-
schen 1 und 0 annimmt. Der zweite Faktor der Arrhenius-Gleichung kann
also maximal 1 werden, was gleichbedeutend damit ist, dass jeder Stoß zu
einer Reaktion führt oder minimal 0 werden, was bedeutet, dass kein Stoß
zur Reaktion führt. Welchen Wert dieser Faktor annimmt, ist abhängig von
der kinetischen Energie der Teilchen (beschrieben durch kB · T ) und einer
reaktionsspezifischen Größe EA , der sogenannten Aktivierungsenergie.
Mit dieser Größe können wir nun auch das eingangs des Abschnitts auf-
geworfene Problem der Existenz von Diamanten erklären. Ist die Aktivie-
rungsenergie sehr groß, hat dies einen sehr geringen Anteil an Stoßen, die
zur Reaktion führen, zur Folge. Selbst wenn eine Reaktion thermodynamisch
ablaufen sollte, kann sie also auf kinetischen Wege durch eine sehr hohe Ak-
tivierungsenergie unterbunden sein. In einem solchen Fall nennt man eine
Verbindung metastabil oder spricht von einer kinetischen Hemmung der Re-
aktion. Dies ist ein sehr häufiges Phänomen. Alle organischen Verbindungen
(siehe auch Kapitel 5) sind nur aufgrund kinetischer Hemmung existent. Je-
de organische Verbindung lässt sich unter Energieabgabe zu Kohlendioxid,
Wasser und gegebenenfalls weiteren Nicht-Metalloxiden verbrennen.
76
4.5.3 Katalyse
Bei vielen Reaktionen reicht ein sprichwörtlicher oder wortwörtlicher Funken
um die Reaktion in Gang zu setzen. Durch eine initiale Energiezufuhr errei-
chen einige Teilchen die nötige kinetische Energie, um reaktiv zu stoßen. Die
dabei freiwerdende Energie kann dann von weiteren Teilchen aufgenommen
werden, die dann ebenfalls genügend Energie tragen um zu reagieren. Das
Zünden eines Knallgasgemisches aus Wasserstoff und Sauerstoff ist hierfür
ein Beispiel. Die Reaktion ist kinetisch gehemmt, so dass das reine Vermi-
schen der beiden Stoffe nicht ausreicht, um eine Reaktion in Gang zu setzen.
Führt man aber ein wenig Energie in Form von z. B. einer Flamme zu, rea-
giert das Gemisch sofort und vollständig.
Bei vielen auch industriell relevanten Reaktion ist leider eine einfache
Flamme nicht ausreichend um die Aktivierungsenergie zu überwinden. Um
den nötigen Energieeintrag zu senken kann man in vielen Fällen auf das
Konzept der Katalyse (von griechisch κατάλυσις (katalysis) für Auflösung)
zurückgreifen.
Im Gegensatz zur Thermodynamik ist es für die Kinetik einer Reaktion
sehr wohl von Bedeutung, auf welchem Weg sie verläuft. In den seltensten
Fällen verläuft eine Reaktion dabei in nur einem Schritt. Typisch ist ein
Kaskade aus Elementarreaktionen über zum Teil sehr kurzlebige Zwischen-
produkte. Die langsamste der Elementarreaktionen ist dann der geschwindig-
keitsbestimmende Schritt, der die gesamte Kinetik der Reaktion bestimmt. An
dieser Stelle entscheidet sich auch, von welchen Konzentrationen die Reakti-
onsgeschwindigkeit abhängig ist. Mit Hilfe eines Katalysators kann man den
Reaktionsweg ändern und über Elementarreaktionen mit geringerer Aktivie-
rungsenergie umleiten. Der Katalysator geht aus diesem Prozess unverändert
wieder hervor, ist also kein Edukt der Reaktion. Da er so immer wieder „re-
cyclet“ werden kann, sind nur sehr geringe Mengen von ihm in der Reakti-
onsmischung nötig.
Als Beispiel für eine Katalyse können wir wieder das des Knallgasgemi-
sches heranziehen. Die Oxidation von Wasserstoff wird durch Platin kataly-
siert. In Gegenwart von Platin können wir die Reaktion bei Raumtemperatur
ohne weitere Energiezufuhr in Gang setzen. Dies wird im Döbereiner Feuer-
zeug genutzt, um Feuer zu machen. Diese Reaktion ist ein Beispiel für eine
heterogene Katalyse, da Katalysator und Edukte in getrennten Phasen vor-
liegen. Bei einer homogenen Katalyse befinden sie sich in derselben Phase.
Wichtig ist es zu beachten, dass ein Katalysator nur Einfluss auf die Ki-
netik einer Reaktion nehmen kann. Die Thermodynamik, also die Reaktions-
77
Abbildung 4.2: Eine alternative Reaktionsroute verändert die Aktivierungs-
energie. Die Energien der Edukte und Produkte bleiben unverändert.
78
brennung eines Feststoffs an der Luft ist jedoch ein heterogener Prozess. Die
beiden Edukte liegen hier nicht in derselben Phase vor. Dadurch wird das
zu betrachtende System deutlich komplexer, da nicht nur wie bislang die
Mikrokinetik der Reaktion betrachtet werden muss, sondern auch auch die
Transportprozesse, die die Reaktanden in Kontakt bringen. Diese Transport-
prozesse sind von der Phasengrenzfläche, für Feststoffpartikel also von deren
Oberfläche, abhängig und häufig viel langsamer als die eigentliche Reaktion.
Dadurch ist es möglich in diesen Fällen die Reaktion deutlich zu beschleuni-
gen, in dem man die Oberfläche vergrößert. Bei heterogenen Reaktionen muss
also auch die Makrokinetik berücksichtigt werden. Für deren mathematische
Beschreibung sind jedoch aufwendige Differenzialgleichungen notwendig, die
aus gutem Grund in der Schule nicht behandelt werden und auch hier nicht
näher berücksichtigt werden sollen.
79
zurückgreifen, das wir eben bei unseren Überlegungen zur Reaktionskinetik
verwendet haben, ist dies auch leicht nachvollziehbar. Bei sinkender Edukt-
konzentration wird es immer unwahrscheinlicher, dass zwei Eduktmoleküle
sich treffen und reagieren.
In diesem Abschnitt wollen wir uns damit befassen, an welchem Punkt
einer Reaktion man makroskopisch keine Veränderung am System mehr be-
obachtet. Ist eine Reaktion so weit vorangeschritten, dass dieser Zustand
erreicht ist, spricht man davon, dass sich ein chemisches Gleichgewicht ein-
gestellt hat. Die Lage des Gleichgewichtes ist von Temperatur und Druck
abhängig und stellt sich bei Änderungen immer wieder neu ein. Starke kine-
tische Hinderung kann die Einstellung eines Gleichgewichts verhindern.
Beispiel :
Erhitzt man eine Knallgasgemisch kommt es zur explosionsarti-
gen Reaktion zu Wasser. Beim anschließenden Abkühlen verschie-
ben sich die Konzentration nicht wieder zu den Ausgangswerten.
Wasser zersetzt sich bei Raumtemperatur nicht freiwillig in Was-
serstoff und Sauerstoff wie es bei einer Gleichgewichtsreaktion der
Fall sein müsste. Die kinetische Hemmung verhindert also eine
Einstellung eines Gleichgewichts.
Ein typisches Beispiel für eine Reaktion die einen Gleichgewichtszustand
zeigt, ist die Reaktion von Wasserstoff mit Iod zu Iodwasserstoff. Hier ist
die Reaktion reversibel. Wichtige Bedingung ist allerdings, dass ein geschlos-
senes System vorliegt. Entweichen z. B. Gase dem System, verhindert dies
die Einstellung des Gleichgewichts.
Beispiel :
Ein chemisches Gleichgewicht symbolisiert man durch einen Dop-
pelpfeil. Die Reaktionsrichtung von links nach rechts nennt man
Hinreaktion, die in die Gegenrichtung Rückreaktion:
H2 + I2 2 HI
80
Abbildung 4.3: links: Nach einer gewissen Zeit hat sich das Gleichgewicht ein-
gestellt und Geschwindigkeit der Hin- und Rückreaktion sind gleich. rechts:
Wenn sich das Gleichgewicht eingestellt hat, ändern sich die Konzentrationen
der Edukte und Produkte nicht mehr.
81
4.6.1 Das Prinzip von le Chatelier
Wir haben bereits gelernt, dass ein Gleichgewicht auf Änderungen von Tem-
peratur und Druck reagiert. Auch eine Entfernung oder Zugabe eines Pro-
dukts oder Edukts, also eine Änderung der Konzentrationen führt zu einer
Verschiebung des Gleichgewicht. Wir haben also geklärt, dass ein Gleichge-
wicht auf die Änderung von verschiedenen Größen reagiert, aber wir wissen
noch nicht, wie es reagiert.
Henri Louis le Chatelier und Karl Ferdinand Braun haben erkannt:
„Übt man auf ein System, welches sich im Gleichgewicht befindet, durch
Druck-, Temperatur- oder Konzentrationsänderung einen Zwang aus, so ver-
schiebt sich das Gleichgewicht, bis sich ein neues Gleichgewicht einstellt, bei
dem dieser Zwang vermindert ist.“ Konkret heißt das z. B. wenn der Druck
erhöht wird, verschiebt sich das Gleichgewicht so, dass der Anteil der gasför-
migen Stoffe verringert wird. Es reagiert also so, das eine äußerer „Zwang“
eine möglichst geringe Auswirkung hat. Man spricht daher auch vom Prinzip
des kleinsten Zwangs.
aA + bB cC + dD
[C]c · [D]d
K=
[A]a · [B]b
K ist eine Funktion von Temperatur und Druck, das heißt für ge-
änderte Temperatur- und Druckverhältnisse ändert sich auch das
Verhältnis der Produkt- zu Eduktkonzentrationen. Ein Wert von
K größer als 1 bedeutet, dass das Gleichgewicht auf der Seite der
Produkte liegt, ein Wert kleiner als 1 besagt, dass das Gleichtge-
wicht auf der Seite der Edukte liegt.
82
Auf diese Art und Weise kann für jede Reaktion eine entsprechende Gleichung
aufgestellt werden. Es ist zu beachten, dass die Verwendung der Konzentra-
tionen nur eine idealisierte Näherung ist. Für eine exakte Behandlung ist es
nötig anstelle der Konzentrationen die Aktivitäten zu verwenden. Die Akti-
vitäten sind durch einen experimentell zu bestimmenden Faktor korrigierte
Konzentrationen. Bei stark verdünnten Lösungen ist dieser Korrekturfaktor
in guter Näherung gleich 1, das heißt es kann mit den Konzentrationen ge-
rechnet werden.
104. Auf welche Seite verschieben sich die Gleichgewichte von Aufgabe 0a–
0d bei Druckerhöhung?
106. Für die Reaktion N2 (g) + O2 (g) 2 NO(g) ist KC = 4, 08 · 10−4 bei
2000 K und 3, 60 · 10−3 bei 2500 K.
83
c) Warum ist das Volumen des Reaktionsgefäßes bei dieser Berech-
nung unerheblich?
d) Wie viel mol Wasserstoff und Iod werden gebildet, wenn 0, 1 mol
Iodwasserstoff eingefüllt wurde?
e) Berechnen Sie die Ausbeute (erzeugte Produktmenge dividiert
durch Produktmenge bei vollständiger Umsetzung) für Aufgabe 0b.
111. 0, 074 mol PCl5 (g) werden in ein 1 Liter-Gefäß gebracht. Nachdem sich
das Gleichgewicht PCl5 PCl3 + Cl2 eingestellt hat, ist die Konzen-
tration von PCl3 0, 05 mol/l. Berechnen Sie die Gleichgewichtskonzentra-
tionen von Cl2 und PCl5 und die Gleichgewichtskonstante Kc .
84
4.6.3 Löslichkeiten
Auch die Löslichkeiten von Verbindungen lassen sich mit Hilfe des Konzep-
tes des Gleichgewichtes theoretisch erfassen. Das Gleichgewicht, das man
betrachtet, ist jenes zwischen dem ungelösten Bodensatz und der Lösung.
Für ein beliebiges Salz Aa Bb betrachten wir:
b+
Aa Bb(s) + H2 O a A(aq) + b Ba+
(aq) (4.28)
[Ab+ ]a [Ba+ ]b
K= (4.29)
[Aa Bb ][H2 O]
115. Formulieren Sie das Löslichkeitsprodukt für: BaF2 , Hg2 Cl2 , Ag2 CrO4 ,
Fe(OH)3 , Ca3 (PO4 )2 .
85
116. Bei 25 ◦ C lösen sich 1, 7 · 10−5 mol/l Cd(OH)2 . Wie groß ist KL ?
122. KL beträgt für Magnesiumcarbonat 10−5 mol2/l2 . Wie viel Gramm Ma-
gnesiumcarbonat lösen sich in 15 l Wasser?
4.7 Säure/Base-Reaktionen
Bei Säuren und Basen handelt es sich um große Gruppen von Verbindun-
gen, die gemeinsame Eigenschaften zeigen. Die ursprüngliche Klassifizierung
geht schlicht auf den sauren Geschmack14 von Säuren zurück. Mit weiter-
reichenden Erkenntnisse hat sich auch gewandelt welche Substanz als Säure
oder Base zu bezeichnen ist. Im folgenden sollen die wichtigsten Säure/Base-
Theorien vorgestellt werden.
86
muss. Ebenfalls stellte erfest, dass in basischen Lösungen immer Hydroxidio-
nen vorliegen. Daraus entwickelte er folgende Defintionen von Säuren und
Basen:
• Säure: Eine Säure ist eine Substanz, die in Lösung Protonen freisetzen
kann. Das entstehende Anion bezeichnet man als Säurerestion.
Säure −→ H+ + Säurerest−
• Base: Eine Base ist eine Substanz, die in Lösung Hydroxidionen frei-
setzen kann. Das ebenfalls entstehende Kation wird als Basenrest be-
zeichnet.
Mit diesem Konzept kann man auch erklären, dass wenn man Säuren und
Basen mischt sie ihre besonderen Eigenschaften verlieren. Diese Reaktion
bezeichnet man als Neutralisation. Das Proton und das Hydroxidion bilden
zusammen ein Wassermolekül und es ensteht eine wässrige Salzlösung gebil-
det aus dem Säure- und Basenrest.
87
4.7.2 Theorie nach Brønsted
Johannes Nicolaus Brønsted und Thomas Martin Lowry stellten unab-
hängig von einander eine Säure/Base-Theorie auf, die das oben geschilderte
Problem beheben konnte. Die Definition einer Säure übernahmen sie unver-
ändert von Arrhenius, veränderten aber die Definition der Base um den
bis dato nicht erklärten Beobachtungen gerecht zu werden. Nach Brønsted
und Lowry definieren sich Säuren und Basen wie folgt:
• Säure: Eine Säure ist eine Substanz, die Protonen freisetzen kann, man
verwendet daher auch den Begriff Protonendonator und bezeichnet die
Reaktion als Protolyse.
• Base: Eine Base ist eine Substanz, die Protonen aufnehmen kann und
benutzt daher synonym das Wort Protonenakzeptor.
Diese Definition macht aus dem Säurerestion des Modells von Arrhenius
eine Base und wir erhalten zu jeder Säure direkt eine korrespondierende Base.
Man spricht daher auch von einem korrespondierenden Säure/Base-Paar.
Kann eine Verbindung sowohl Protonen aufnehmen als auch abgeben, be-
zeichnet man sie als Ampholyt (von griechisch αμφίς (amphis) für auf beiden
Seiten und λύσις (lysis) für Auflösung ) bzw. ihr Verhalten als amphoter (von
griechisch ἀμφοτέρως (amphoteros) für auf beiderlei Art). Grundsätzlich gilt,
dass eine freies Proton nicht existenzfähig ist, daher handelt es sich bei jeder
Säure/Base-Reaktion um eine Protonenübertragung. Damit ergibt sich, dass
immer zwei korrespondierende Säure/Base-Paare beteiligt sein müssen.
Beispiel :
Löst man Chlorwasserstoffgas in Wasser kommt es zu einer Pro-
tolyse. Das frei werdende H+ wird von einem Wassermolekül auf-
genommen.
88
Paar 1: HCl/Cl−
HCl + H2 O Cl− + H3 O+
Paar 2: H3 O+ /H2 O
Es sind also die Paare HCl/Cl− und H3 O+ /H2 O an der Reaktion
beteiligt.
Aus dieser Beschreibung können wir allerdings noch nicht ersehen, ob diese
Reaktion so abläuft. Wir benötigen also noch ein Modell, mit dem wir be-
schreiben können, ob ein Säure/Base-Paar eher in Form der Säure oder in
Form der Base vorliegt.
89
Da das Gleichgewicht nur auf der einen oder der anderen Seite liegen kann,
wird sofort ersichtlich, dass eine Säure, die ihr Proton sehr bereitwillig ab-
gibt, immer zu einer Base gehören muss, die nur sehr schlecht eine Proton
aufnimmt und umgekehrt. Zu einer starken Säure gehört immer eine schwa-
che Base und umgekehrt.
Für verschiedene Säure/Base-Paare werden sehr große Bereiche von KS -
Werte abgedeckt. Daher verwendet man üblicherweise den pKS -Werte, eine
logaritmische Größe, um zu besser handhabbaren Zahlenwerten zu gelangen:
pKS = − lg KS (4.36)
Je größer pKS wird, desto mehr HA liegt in der Lösung vor. Auf analogem
Weg kann man auch für Basen einen pKB -Wert aufstellen. Werte für gängige
Säuren und Basen sind im Anhang Abschnitt C tabelliert.
H2 O + H2 O H3 O+ + OH− (4.37)
Wir stellen also fest, dass auch in reinem Wasser ein geringer Anteil an H3 O+ -
und OH− -Ionen vorhanden ist16 . Da die Konzentration gleich groß sein müs-
sen haben wir also jeweils eine Konzentration von 0, 0000001 oder 10−7 mol/l
H3 O+ - bwz. OH− -Ionen. Bei sehr verdünnten Lösungen oder sehr schwachen
16
nach etlichem Hin und Her jetzt die entgültige Antwort: Ja, Wasser leitet den elektri-
schen Strom! Auch reines!
90
Säuren bzw. Basen also eine durchaus relevante Menge. Außerdem erklärt
diese Formel, dass wenn wir durch eine Säure den Anteil an H3 O+ -Ionen er-
höhen automatisch die Konzentration der OH− -Ionen senken. Wie auch schon
bei den Säure- und Basekonstanten können wir für bequemere Zahlenwerte
auf eine Exponentialdarstellung zurückgreifen:
Exkurs: Titration
Die Tatsache, dass sich Säure und Basen gegenseitig in ihren besonderen Ei-
genschaften neutralisieren kann man für quantitative Bestimmung benutzen.
Man benötigt lediglich eine Maßlösung und ein präzises Volumenmessgerät
(üblicherweise eine Bürette). Eine Maßlösung ist eine Lösung mit bekannter
sehr exakt eingestellter Konzentration. Durch tropfenweise Zugabe der Maß-
lösung mittels einer Bürette zu einer Probelösung unbekannter Konzentra-
tion, führt man eine Neutralisationsreaktion durch. Mit Hilfe des Volumens
der vorgelegten Problösung, dem mit der Bürette bestimmten Volumen der
verbrauchten Maßlösung und der Konzentration der Maßlösung kann man
dann die gesuchte Konzentration der Probelösung bestimmen.
Die für unsere Betrachtung benötigte Reaktion, ist die Reaktion von Hy-
droniumionen mit Hydroxidionen zu Wasser.
H3 O+ + OH− −→ 2 H2 O (4.41)
Aus dieser Gleichung können wir entnehmen, dass am Punkt der Neutralisa-
tion die Zahl von Hydroniumionen und Hydroxidionen gleich sein muss. Es
gilt also (S wird im folgenden als kurz für Säure verwendet, B für Base):
nS = nB (4.42)
Mit Hilfe der Definition der Konzentration erhalten wir durch Umformen:
n
VS · cS = VB · cB aus c = (4.43)
V
Die beiden Volumina sind uns bekannt durch Vorgabe bzw. experimentel-
le Bestimmung und eine der Konzentrationen ist durch unsere Maßlösung
gegeben. Wir können jetzt also problemlos die gesuchte Konzentration be-
stimmen.
91
Abbildung 4.4: Titrationskurven. Das Volumen der Maßlösung (hier starke
Base) wird gegen den pH-Wert aufgetragen. links: einprotonige Säure, rechts:
zweiprotonige Säure. An den Wendepunkten der Kurven entspricht der pH-
Wert dem pKS -Wert.
92
• Säure: Eine Säure ist eine Substanz, die ein Elektronenpaar aufneh-
men kann, also ein Elektronenpaarakzeptor. Es liegen also unbesetzte
Orbitale in der Valenzschale vor.
• Base: Eine Base ist eine Substanz, die ein Elektronenpaar zur Verfü-
gung stellen kann, also ein Elektronenpaardonor.
Bei einer Neutralisationsreaktion nach Lewis wird also eine kovalente Bin-
dung gebildet.
A + B A B
125. Vergleichen Sie die Vorgänge beim Lösen von Natriumchlorid und Chlor-
wasserstoff in Wasser.
126. Geben Sie zu folgenden Säuren und Basen ihre konjugierten Basen bzw.
− −
Säuren an: HBr, NH+ 2− − 3+
4 , O , CN , HCO3 , Fe(H2 O)6 , HSO4 und PO4
3−
127. Berechnen Sie den pH-Wert einer Lösung von 5 · 10−4 mol/l HCl in Was-
ser.
128. Berechnen Sie den pH-Wert einer Lösung von 0, 05 mol/l NaOH in Was-
ser.
129. Berechnen Sie den pH-Wert einer Lösung von 0, 02 mol/l Ba(OH)2 in
Wasser.
130. Wie groß sind die Konzentrationen [H+ ] und [OH− ] bei einem pOH-
Wert von 0,16?
132. Propansäure (C2 H5 COOH), eine einbasige Säure, ist bei einer Konzen-
tration von 0, 25 mol/l zu 0, 72% dissoziiert. Wie groß ist die Säurekon-
stante?
133. Wie viel Mol Chlorige Säure benötigt man, um 500 ml einer Lösung mit
pH = 2, 6 herzustellen?
93
134. Um die Konzentration von 50 ml einer Schwefelsäure zu ermitteln, neu-
tralisierte man diese mit einer Natronlauge, die zuvor aus 40 g festem
Natriumhydroxid durch Auffüllen mit Wasser auf 1 l hergestellt wurde.
Berechnen Sie die Konzentration der Schwefelsäure, wenn zur Neutrali-
sation 61, 0 ml Natronlauge (hergestellt wie oben angegeben) benötigt
wurden.
135. 3, 5 g verunreinigtes KOH werden gelöst und mit H2 O auf 500 ml aufge-
füllt. 25, 0 ml verbrauchen bei der Titration 28, 35 ml Salzsäure (0, 1 mol/l).
Welchen Massenanteil an KOH enthält der Ausgangsstoff?
4.8 Redox-Reaktionen
Der Begriff „Redox-Reaktion“ ist eine Zusammensetzung aus den Wörtern
„Reduktion“ und „Oxidation“. Wir haben weiter oben gelernt, dass es sich
bei einer Oxidation um eine Reaktion unter Elektronenabgabe und bei ei-
ner Reduktion um eine Reaktion unter Elektronenaufnahme handelt. Eine
Redox-Reaktion ist damit eine Reaktion, bei der eine Elektronenübertragung
von einem Atom auf ein anderes stattfindet. Den Formalismus für die Be-
schreibung von Elektronenübertragungen (Oxidationszahlen) haben wir be-
reits in Abschnitt 4.3.1 kennengelernt.
Im folgenden wollen wir klären, welche Bedingungen nötig sind, damit
es zu einer Übertragung von Elektronen kommt. Außerdem wollen wir nä-
her betrachten, was passiert, wenn wir Oxidation und Reduktion räumlich
trennen.
Aufmerksamen Leser(\B|inne)n ist die Analogie zu den Brønstedt-Säuren
aufgefallen. Eine freies Elektron kann genausowenig existieren wie ein freies
Proton, deshalb sind immer zwei Redox-Paare gekoppelt.
94
0 +I
A −→ A + e− Oxidation
0 −I
B + e− −→ B Reduktion
0 0 +I −I
A + B −→ A B Gesamtreaktion
Ein weniger abstraktes Beispiel wäre die Reaktion von Chlor-
gas mit elementaren, metallischem Natrium zu Natriumchlorid
(Kochsalz). Es bleibt noch zu klären, warum es genau A ist das
oxidiert wird und nicht B und woran man das erkennen kann.
Betrachtet man die beiden Teilreaktionen genau stellt man fest, dass wenn
man die Reaktionsrichtung tauscht aus der Oxidation eine Reduktion wird
und umgekehrt. Wie bei den Säuren und Basen nach Brønstedt haben wir
also ein konjungiertes Paar. Man spricht hier von der reduzierten und oxidier-
ten Form. In Analogie zur Säurestärke stellt sich sofort die Frage, welche der
beiden Formen bei einem bestimmten Atom oder Molekül bevorzugt vorliegt.
Dies kann mit Hilfe des elektrochemischen Standardpotentials E 0 beschrieben
werden (siehe auch Anhang Abschnitt C). Dazu später mehr.
4.8.1 Elektrochemie
Um das Standardpotential verstehen zu können, müssen wir uns zunächst
mit den Details von Redox-Reaktionen vertraut machen. Ein für das Ver-
ständnis des Standardpotentials essentielles Detail ist, dass man Oxidation
und Reduktion einer Reaktion räumlich voneinander trennen kann.
Trennen wir nun die beiden Teilreaktionen räumlich, fällt sofort auf, dass
die Elektronen und Anionen vor und nach der Reaktion an verschiedenen
95
Orten auftauchen. Wir müssen unseren Reaktionsaufbau also so realisieren,
dass Elektronen und Anionen von einem Teil des Reaktors18 in den anderen
transportiert werden können. Die getrennten Teilbereiche der Reaktionsappa-
ratur bezeichnet man als Halbzellen, die gesamte Apparatur als galvanisches
Element oder galvanische Zelle nach Luigi Galvani.
Der schematische Aufbau einer galvanischen Zelle ist in Abbildung 4.5 zu
sehen. Eine Halbzelle besteht jeweils aus einer Elektrode, das ist im einfachs-
ten Fall ein Stab des entsprechenden Elementes, und einer Salzlösung des
Elementes. Es liegen also sowohl die oxidierte, als auch die reduzierte Form
parallel vor. Je nach ihrer Funktion in der Redox-Reaktion erhalten die Elek-
troden spezielle Namen. Die Kathode (von griechisch κάθοδος (kathodos) für
Weg nach unten) ist die Elektrode, zu der sich die Kationen hinbewegen und
an der die Reduktionsreaktion des Redoxprozesses stattfindet. Bei Batterien
ist sie der +-Pol. Die zweite Elektrode wird als Anode (von griechisch ἄνοδος
(anodos) für Weg nach oben) bezeichnet. Hier läuft die Oxidation in der Zelle
ab und liegt der −-Pol. Von der Anode werden die Anionen angezogen.
An dieser Stelle ist es wichtig auf eine verwirrende Systematik hinzuwei-
sen. Nach allem was wir bislang gelernt haben, ist es nicht sinnvoll, dass sich
Kationen auf den +-Pol einer Batterie zubewegen sollen und Anionen auf
den −-Pol. Dieses Durcheinander verdanken wir Benjamin Franklin, der
zwar richtig erkannte, dass es sich bei elektrischem Strom um bewegte La-
dungen handelt, aber nicht die nötigen Experimente durchführen konnte, um
das Vorzeichen dieser Ladungen zu bestimmen. Leider hat er damals falsch
geraten.
Zum Transport der Elektronen von einer Elektrode zur anderen verwendet
man einen elektrischen Leiter, also schlicht ein Kabel. Der Transport der
Anionen wird dadurch bewerkstelligt, dass die beiden Halbzellen nicht völlig
isoliert werden, sondern nur durch eine poröse Wand, die nur für die Anionen
aber nicht für die Kationen durchlässig ist, getrennt werden. Die Anionen
können sich also einfach durch dieses Diaphragma hindurchbewegen. Ist der
Transport von Anionen und Elektronen gewährleistet, beginnt die Reaktion.
In unserem Kabel werden wir dann einen elektrischen Strom beobachten,
da elektrischer Strom nichts weiter als bewegte Elektronen ist. Damit sich
die Elektronen in Bewegung setzen, muss eine Potentialdifferenz, also eine
elektrische Spannung zwischen den beiden Halbzellen vorliegen.
An dieser Stellen kommen wir dann wieder beim Ausgangspunkt unserer
Überlegungen an. Richtung des Stromflusses und die Spannung zwischen den
18
für die Kombination von Zn und Cu spricht man von einem Daniell-Element, benannt
nach John Frederic Daniell, der die ursprüngliche Konstruktionsform dieser einfachen
Batterie entwickelte.
96
Abbildung 4.5: Schematische Darstellung einer galvanischen Zelle. Die Elek-
tronen fließen von der Anode A zur Katode B. Dabei löst sich die Anode auf
und geht in oxidierter Form in die Lösung über. Die Katode wächst, dadurch,
dass B+ in die reduzierte Form übergeht und sich an der Katode anlagert.
Der Ladungsausgleich findet durch Diffusion von Anionen (Z− ) durch das
Diaphragma statt.
97
Halbzellen können uns ein quantitatives Maß liefern, wie sehr die oxidierte
oder reduzierte Form eines Elements bevorzugt wird. Ein Problem, das wir
noch lösen müssen ist allerdings, dass wir nur die Spannung der gesamten Zel-
le und nicht das Potential der einzelnen Halbzellen experimentell bestimmen
können.
4.8.1.2 Standardwasserstoffelektrode
Gelöst wird diese Problem durch eine Referenz – die Standardwasserstoffelek-
trode – mit dem Redoxpaar H+ |H2 . Das Potential dieser Elektrode wird will-
kürlich gleich Null gesetzt und allen weiteren Halbzellen bzw. Redox-Paaren
wird relativ dazu ein Potenital zugeordnet. Der Aufbau dieser Elektrode be-
steht aus einem Platinblech, das von Wasserstoffgas umspült wird und in
eine Salzsäure mit einer Konzentration von 1 mol/l getaucht ist. Diese Refe-
renzelektrode wird dann mit einem anderen Redox-Paar zusammengeschaltet
und aus der gemessene Spannung erhält man dann direkt das Standard-
potential der Halbzelle. Führt man dieses Experiment für viele verschiede-
ne Halbzellen durch, kann man die Redox-Paare ihrem Oxidationsvermögen
nach sortieren und erhält eine elektrochemische Spannungsreihe (siehe An-
hang Abschnitt C). Redox-Paare, die ein negatives Standardpotential haben,
bezeichnet man als unedel, die mit einem positiven als edel. Diese Bezeichnun-
gen sind entstanden, weil edle Metalle sich nicht in Säuren lösen. Innerhalb
dieser Spannungsreihe fließen die Elektronen immer zu dem Redox-Paar mit
dem höheren Standardpotential.
98
erhaltende Spannung also auch von der Temperatur und den Konzentrationen
der Lösungen der Halbzellen abhängt. Die Spannung U ergibt sich dann
einfach aus der Differenz der Halbzellenpotentiale:
U = ∆E = |E1 − E2 | (4.46)
4.8.1.4 Elektrolyse
Als freiwilliger Prozess fließen die Elektronen immer nur zu der Halbzelle
mit dem höheren Potential20 . Trotzdem ist dieser Prozess reversibel. Er wird
dann als Elektrolyse (von griechisch ἤλεκτρον (elektron) für Bernstein und
λύσις (lysis) für Auflösung) bezeichnet. Indem man eine externe Spannung
anlegt, lässt sich der Stromfluss umkehren. Theoretisch muss diese Spannung
genau der Spannung der galvanischen Zelle entsprechen. Praktisch zeigt sich
jedoch, das eine höhere Spannung notwendig ist. Dies ist duch kinetische
Hemmung der Reaktion zu erklären. Die Zersetzungsspannung UZ setzt sich
aus der Potentialdifferenz der Halbzellen und der Überspannung zusammen.
UZ = ∆E + Uextra (4.47)
99
4.8.1.6 Lokalelemente und Korrosion
Korrosion ist ein wichtiges Thema im Bereich der Redoxchemie, da es von
großer Relevanz für die Praxis ist. Die wichtigsten Gebrauchsmetalle wie
z. B. Eisen oder Aluminium haben negative Standardpotentiale, das heißt
also, dass sie bevorzugt in der oxidierten Form vorliegen und nicht in der
praktisch nutzbaren reduzierten Form. Aus eigener Erfahrung wissen wir,
dass Eisen rostet, also durch Witterungseinflüsse von der reduzierten in die
oxidierte Form übergeht.
Um dies zu verhindern, kann man Redoxchemie nutzen. Wir haben ge-
lernt, dass sich Elektronen immer zur Halbzelle mit dem höheren Potential
bewegen. Genau diese Eigenschaft benutzt man für den Korrosionsschutz.
Wenn wir verhindern wollen, dass unser Werkstück aus Eisen oxidiert wird,
müssen wir es also mit einer „Halbzelle“ mit niedrigerem Potential in Ver-
bindung bringen. Dies geschieht in der Praxis üblicherweise durch verzinken.
Beginnt nur das Eisen durch Witterungseinflüsse zu rosten, wandern die Elek-
tronen dem Potential entsprechend vom Zink zum Eisen. Anstelle des Eisens
korrodiert also die Zinkbeschichtung. Man nennt diesen direkten Kontakt von
zwei Metallen mit verschiedenem Potential ein Lokalelement. Bei diesem gal-
vanischen Element sind die Halbzellen in direktem Kontakt und nicht durch
ein Kabel verbunden. Der Transport der Anionen wird durch z. B. Regen-
wasser oder durch Diffusion im Feststoff gewährleistet. Eine Beschichtung,
die anstelle des Werkstücks korrodiert, bezeichnet man als Opferanode.
Eine alternative Methode des Korrosionsschutzes ist es, ein eisernes Werk-
stück mit einem Edelmetall zu überziehen. Dieses schließt dann das Eisen
vollständig ein und verhindert einen Kontakt mit Witterungseinflüssen. Das
Edelmetall selbst hat ein positives Potential und liegt deshalb bevorzugt in
seiner metallischen, reduzierten Form vor. Es oxidiert also nicht ohne wei-
tere äußere Einflüsse. Wichtig ist allerdings, dass der Überzug vollständig
und unbeschädigt ist. Kommt es zu einem Riss, kann das Eisen oxidieren.
Außerdem wird das Problem dadurch verstärkt, dass die Edelmetallhülle das
größere Potential hat. Tritt durch widrige Umstände doch eine Oxidation der
Beschichtung ein, wandern die Elektronen des Eisens zur Beschichtung und
die Korrosion wird beschleunigt. Ein typisches Beispiel für dieses Konzept ist
das Verchromen.
Aluminium bringt seinen eigenen Korrosionsschutz mit. Es oxidiert zwar
auch unter Witterungseinflüssen, im Gegensatz zu Eisenoxid bildet Alumini-
umoxid jedoch sehr feste und beständige Schichten, die des Kern des Werk-
stücks wirksam von der Atmosphäre abschirmen. Mit kinetischen Begriffen
würde man von einer extrem geringen Reaktionsgeschwindigkeit sprechen.
Diese Eigenschaft nennt man Passivierung. Um diese Schichten besonders
100
dick und widerstandsfähig zu machen, werden Aluminiumwerkstücke elek-
trolytisch an der Oberfläche oxidiert. Dieses Verfahren nennt man eloxieren.
138. Was versteht man unter einer Oxidation und einer Reduktion?
143. Geben Sie über den Pfeilen an welcher der oxidierende und welcher der
reduzierende Schritt ist:
Cu Cu2+ + 2 e−
144. Was bedeutet der Begriff Potenzialdifferenz und wie kommt die Poten-
zialdifferenz im Daniell-Element zustande?
145. Wir betrachten eine Zelle in der die Gesamtreaktion wie folgt abläuft:
Cl2 (g) + 2 I− −
(aq) 2 Cl(aq) + I2 (s)
0
Die Standardpoteniale lauten E(Cl −
2 /Cl )
= 1, 3595 V und E(I0 2 /I− ) =
0, 5355 V
147. Es wird ein galvanisches Element mit einer Zinn- und einer Magnesium-
halbzelle betrachtet: Mg|Mg2+ ||Sn2+ |Sn mit E(Mg
0
2+ /Mg) = −2, 363 V,
0
E(Sn2+ /Sn) = −0, 163 V
101
c) Welche Elektrode ist der „Plus-Pol“?
148. Eine Zelle besteht aus zwei H+ |H2 -Halbzelle, eine mit cH+ = 0, 025 mol/l,
die andere mit cH+ = 5 mol/l. In beiden Halbzellen ist pH2 = 101, 3 kPa
102
Kapitel 5
Das Element Kohlenstoff nimmt in der Chemie ein Sonderrolle ein. Kohlen-
stoffatome sind in der Lage zu anderen Kohlenstoffatomen verhältnismäßig
starke Bindungen auszubilden, die aufgrund der nicht vorhandenen Polarität
sehr reaktionsträge sind. Auch wenn Kohlendioxid in einer sauerstoffhalti-
gen Umgebenung die thermodynamisch stabilste Verbindung ist, sind viele1
Kohlenstoffverbindungen aufgrund ihrer kinetischen Stabilität existenzfähig.
Die Fähigkeit zu sich selbst Bindungen zu bilden ermöglicht es Kohlenstoff
in vielfältiger Weise Moleküle zu bilden. 2002 sind etwa 20 Millionen Verbin-
dungen bekannt gewesen von denen 95% Kohlenstoff enthalten. Die meisten
dieser Verbindungen kommen in Tieren und Pflanzen vor, so dass sich der
Begriff organische Chemie für die Chemie des Kohlenstoffs entwickelte und
entsprechend dazu die anorganische Chemie als die Chemie der Mineralien
und unbelebten Natur. Friedrich Wöhler gelang es durch die Synthese des
„organischen“ Harnstoffs aus einem „anorganischen“ Edukt, den Irrglauben
zu widerlegen, dass belebte Natur eine besondere „Lebenskraft“ habe, die sie
von unbelebter Natur unterscheide.
O
∆
NH4 OCN
C
H2 N NH2
Dieser Anstoß bestehende Theorien zu überdenken, ist ein schönes Beispiel
wie Naturwissenschaften die Aufklärung vorangetrieben haben.
1
wirklich viele!
103
5.1 Kohlenwasserstoffe
5.1.1 Nomenklatur
Eine große Gruppe der organischen Verbindungen stellen die Kohlenwasser-
stoffe dar. Wie ihr Name schon sagt, bestehen sie ausschließlich aus den
Elementen Kohlenstoff und Wasserstoff. Daher kann man vereinfachte Lewis-
Formeln verwenden. Man verzichtet dabei auf die Darstellung der Wasser-
stoffatome und ihrer Bindungen und reduziert die Kohlenstoffatome auf ihre
Bindungen zu benachbarten Kohlenstoffen. In der vereinfachten Darstellung
reduziert man ein Molekül also auf seine C–C-Bindungen. Aufgrund der Viel-
zahl organischer Verbindungen ist es eine praktische Notwendigkeit, sie zu
systematisieren und entsprechend zu benennen.
Eine erste sehr grobe Unterscheidung ist die Einteilung in aliphatische
(von griechisch ἄλειφαρ (aleiphar) für fettig) und aromatische (von griechisch
ἄρωμα (aroma) für Duft) Kohlenwasserstoffe. Aromatische Kohlenwasserstof-
fe haben Ringsysteme mit delokalisierten π-Elektronen, aliphatische hingegen
nicht. Aromatische Kohlenwasserstoffe nennt man auch Arene.
Tabelle 5.1: Übersicht über die Kohlenwasserstoffe und Beispiele für die Ver-
bindungsgruppen.
Kohlenwasserstoffe
aromatisch aliphatisch
gesättigt ungesättigt
Arene Alkane Alkene Alkine
104
Tabelle 5.2: Übersicht über die aliphatischen Kohlenwasserstoffe und Beispie-
le für die Verbindungsgruppen. Hier nur für Alkane dargestellt. Alkene und
Alkine analog, jedoch mit Doppel- oder Dreifachbindungen.
aliphatische Kohlenwasserstoffe
unverzweigt verzweigt cyclisch polycyclisch
dung erhalten die Endung -in. Sind nur Doppel- oder Einfachbindungen im
Molekül präsent, wird die Endung -en verwendet. Diese Verbindungsgruppen
nennt man dann entsprechend Alkane, Alkene und Alkine.
Innerhalb der Gruppe der Alkane, Alkene und Alkine unterscheidet man
zwischen unverzweigten, verzweigten, cyclischen und polycyclischen Kohlen-
wasserstoffen (siehe Tabelle 5.2). Diese Unterscheidung ist für ihre weitere
systematische Benennung wichtig. Cyclische Verbindungen werden durch die
Vorsilbe Cyclo- gekennzeichnet.
Unverzweigte Kohlenwasserstoffe werden nach der Anzahl der Kohlen-
stoffatome in der Kette benannt (siehe Tabelle 5.3). Bei verzweigten sucht
man zunächst die längste Kette im Molekül. Diese bildet den Namensstamm
für den Molekülnamen. Seitenketten erhalten entsprechend Tabelle 5.3 ihren
Namen. Durch die Endung -yl wird deutlich gemacht, dass es sich um ei-
ne Seitenkette handelt. Bei mehreren Seitenketten derselben Länge werden
von lateinischen und griechischen Zahlen abgeleitete Vorsilben wie Di- oder
Tri- benutzt. Die genauen Details legt die International Union Of Pure And
Applied Chemistry, kurz IUPAC fest2 .
Beispiel :
C6
C2 C4
C1 C3 C5
C7
2
sollte wider Erwarten näheres Interesse bestehen: http://www.iupac.org/.
105
Die längstmögliche Kette im Molekül besteht aus fünf Kohlenstof-
fatomen (1–5 oder 6,2–5). Es handelt sich also um ein Pentan. Von
dieser Hauptkette gehen zwei je ein C-Atom lange Seitenketten
ab, also Methyl-Gruppen. Es sind zwei, damit erhalten wir den
Vorsatz Di-. Wir können spezifischer werden, ein Dimethylpen-
tan. Um deutlich zu machen, wo die Methylgruppen abzweigen,
geben wir die Nummer der Atome gezählt vom Anfang der Haupt-
kette an. So erhalten wir alternativ 2,3-Dimethylpentan oder 3,4-
Dimethylpentan. Man verwendet immer die Möglichkeit mit den
kleineren Zahlenwerten. Unser Molekül trägt also den systemati-
schen Namen 2,3-Dimethylpentan.
154. Zeichne alle Konstitutionsisomere des Heptans und benenne sie nach
IUPAC.
5.1.2 Eigenschaften
Durch die geringe Elektronegativitätsdifferenz zwischen Kohlenstoff und Was-
serstoff, sind die Bindungen in Kohlenwasserstoffen praktisch unpolar und
sehr gut als rein kovalente Bindungen zu beschreiben. Dies hat zur Folge, dass
zwischen einzelnen Molekülen nur durch induzierte Dipole Wechselwirkungen
auftreten können, wir also verhältnismäßig schwache Wechselwirkungen vor-
liegen haben. Dies spiegelt sich in den niedrigen Schmelz- und Siedepunkten
der Kohlenwasserstoffe wieder. Die ersten vier unverzweigeten, aliphatischen
106
Kohlenwasserstoffe sind bei Normalbedingungen gasförmig. Erst Pentan ist
flüssig, hat aber einen sehr geringen Siedepunkt von 38 ◦ C. Als Faustregel
gilt, dass, je mehr Kohlenstoffatome im Molekül enthalten sind, desto höher
die Schmelz- und Siedepunkte liegen. Gerade die Schmelzpunkt sind aber
auch in erheblichem Maß von der Gestalt des Moleküls abhängig, da je nach
seiner Form eine Packung im Feststoff günstiger oder ungünstiger sein kann.
Eine weitere Konsequenz ist, dass sich Kohlenwasserstoffe nicht mit po-
laren Verbindungen wie Wasser mischen lassen. Alle Kohlenwasserstoffe sind
mit Sauerstoff zu Kohlendioxid und Wasser oxidierbar und insbesondere die
leichteren Kohlenwasserstoffe können explosionsfähige Gemische mit Sauer-
stoff bilden.
5.2.1 Mehrfachbindungen
Die erste funktionelle Gruppe haben wir bereits bei der Klassifizierung der
Kohlenwasserstoffe kennengelernt, die Mehrfachbindung. Mehrfachbindungen
sind deshalb von besonderem Interesse, weil sie die Möglichkeit bieten, wei-
tere Bindungen zu knüpfen (Additionsreaktionen), da die beteiligten Koh-
lenstoffatome ihre maximale Bindungkeit noch nicht erreicht haben. Außer-
dem haben Wasserstoffatome an einem sp-hybridisierten Kohlenstoffatom ei-
ne verhältnismäßig hohe Acidität.
Konjungierte Mehrfachbindungssysteme führen zu einer Erhöhung der
Bindungsenergie und können die Reaktivität von Moleküle deutlich beeinflus-
sen, da Elektronen leicht innerhalb des Moleküls verschoben werden können.
Besonders deutlich ist dies in aromatischen Systemen. Hier ist die Bildungs-
enthalpie deutlich größer, als man aus der Summe der einzelnen Bindungs-
energien erwarten würde. Ob ein planares Ringsystem aromatisch ist, kann
man mit Hilfe der Regel von Erich Armand Arthur Joseph Hückel her-
ausfinden. Gibt es in einem Ringsystem 4n + 2 (n ist eine natürliche Zahl)
Bindungselektronen ist es aromatisch.
107
5.2.2 Amine
H H R
R N R N R N
H R R
Amine werden in primäre, sekundäre und tertiäre Amine unterteilt, je nach
dem ob sie einen, zwei oder drei Kohlenwasserstoffreste haben. Im Abschnitt
über Säuren und Basen haben wir Ammoniak als Base kennengelernt und es
ist leicht nachvollziehbar, dass auch Amine basisch reagieren, da sie ihr freies
Elektronenpaar einem Proton zur Verfügung stellen können. sp2 -hybridisierte
Stickstoffatome hingegen reagieren sauer, da hier kein freies Elektronenpaar
zur Verfügung steht und die hohe Polarität der N–H-Bindung dann die Ei-
genschaften der Gruppe bestimmt. Amine sind deutlich besser in polaren
Lösungsmittel, z. T. sogar in Wasser löslich. Amine haben deutlich höhere
Siede- und Schmelzpunkte als Kohlenwasserstoffe, da die Aminogruppe ein
permanentes Dipol aufweist und primäre und sekundäre Amine sogar in der
Lage sind, Wasserstoffbrücken zu bilden. Die Endung für eine systematische
Benennung von Aminen ist -amin.
108
5.2.4 Aldehyde und Ketone
O O
R C R C
H R
Aldehyde und Ketone erhält man durch die Oxidation3 von primären bzw.
sekundären Alkoholen. Sie werden systematisch durch die Endungen -al bzw.
-on benannt. Ihre Eigenschaften sind wie bei den Ethern durch die Polarität
der C–O-Bindungen bestimmt.
R C R C
O H O R
Carbonsäuren sind die letzte Oxidationsstufe vor Kohlendioxid. Sie sind sehr
polar und teilweise trotz eines unpolaren Restes nicht mehr in unpolaren
Lösungsmitteln löslich. Schmelz- und Siedepunkte sind mit denen von Al-
koholen vergleichbar. Da eine negative Ladung mesomeriestabilisiert werden
kann, ist das Proton leicht abspaltbar und die Carbonsäuren reagieren, wie
es der Name schon verrät, sauer (im Sinne von Arrhenius oder Brøns-
tedt). Systematisch werden sie benannt, indem an das zugehörige Alkan
die Endung -säure gehängt wird.
Ester erhält man durch Kondensationsreaktionen von Carbonsäuren und
Alkoholen.
5.2.6 Halogene
R X
109
5.2.7 weitere funktionelle Gruppen
O O
S S S
R H R R R O H
Wenn auch seltener können auch höhere Homologe der Nicht-Metalle auftre-
ten. Schwefel und Phosphor sind hier die verbreitetsten Elemente. Beispiel-
haft sind hier Thiol, Thioether und Sulfonsäure vorgestellt.
155. Ordnen Sie den Strukturen die dazugehörige funktionellen Gruppe zu.
Aldehyd, Alkohol. Carbonsäure, Sulfonsäure, Keton, Nitril.
O
OH
S
a) O
b) OH
c)
N
d) O
e) OH
O
f)
5.3 Isomerie
Durch die vielfachen Verknüpfungsmöglichkeiten von Kohlenstoffatomen kommt
es vor, dass Moleküle, dieselbe Summenformel haben, also aus derselben An-
zahl Atomen aufgebaut sind, aber verschiedene Verknüpfungsmuster haben.
Diese Moleküle bezeichnet man dann als Isomere (von griechisch ἴσος (isos)
für gleich und μέρος (meros) für Teil).
110
Tabelle 5.4: Isomerie und ihre Unterteilung in spezielle Fälle.
Isomerie
Konstitutionsisomerie Stereoisomerie
Konformationsisomerie Konfigurationsisomerie
Enantiomere Diastereomere
111
ist, ist nur mit Hilfe eine Röntgenstrukturanalyse möglich. Die beiden Kon-
figurationen des Stereozentrums werden mit R oder S gekennzeichnet.
Beispiel :
Eine typischer Molekülausschnitt, der zu einer Konfigurations-
isomerie führt, ist ein Kohlenstoffatom mit vier verschiedenen
Substituenten. Man bezeichnet dieses Kohlenstoffatom dann als
Stereozentrum und seine Eigenschaft als chiral (Kunstwort vom
griechisch Wortstamm χειρ (cheir) für Hand-), weil sich die En-
antiomere wie eine Hand zur anderen verhalten.
OH OH
H3 C CH3
C C
Br Br
H H
CR H Enantiomere CS H
H CR H CS
B A A B
Diastereomere
Diastereomere
X Y Y X
CS H Enantiomere CR H
H CR H CS
B A A B
112
156. Um welchen Typ oder welche Typen von Isomerie handelt es sich bei
den Isomeren Dimethylether und Ethanol?
a) Enantiomere
b) Stereoisomere
c) Konstitutionsisomere
d) Strukturisomere
e) Diastereomere
5.4.1 Bindungsspaltung
Damit es überhaupt zu einer Reaktion kommen kann, müssen Bindungen ge-
spalten werden. In diesem Zusammenhang sind funktionelle Gruppen in der
organischen Chemie besonders wichtig, da sie polarere und damit reaktivere
Bindungen aufweisen als gewöhnliche Kohlenwasserstoffe. Eine Bindung kann
ganz allgemein auf zwei Arten gespalten werden: homolytisch (von griechisch
ὁμός (homos) gleich) und heterolytisch (von griechisch ἕτερος (heteros) an-
ders). Die Begriffe beschreiben, wie die Bindungselektronen unter den Bin-
dungspartner aufgeteilt werden. Bei einer homolytischen Spaltung werden
sie gleichmäßig verteilt, also jedes Atom bekommt ein Elektron und es bilden
sich Radikale. Bei der heterolytischen Spaltung erhält eines der Atome beide
Bindungselekronen und es bilden sich Ionen.
113
Homolytische Spaltung:
A B A B
Heterolytische Spaltung:
A B A+ B−
Die bei einer heterolytischen Spaltung entstehenden Ionen werden als Car-
bokation und Carbanion bezeichnet. Die uns schon von den Alkoholen und
Aminen bekannten Bezeichungen primär, sekundär und tertiär finden auch
hier wieder Verwendung. Von primär zu tertiär nimmt die Stabilität der
Carbokationen zu. Carbanionen können durch elektronegative Substituenten
oder Delokalisierung stabilisiert werden.
5.4.2 Additionsreaktionen
Ein typisches Beispiel für eine Additionsreaktion ist die Reaktion eines Alkens
mit einem Halogen. Im ersten Schritt der Reaktion nähert sich das Halogen-
molekül der Doppelbindung in Richtung der π-Orbitale, das heißt senkrecht
zu der Ebene der sp2 -Orbitalen4 . Diese erste Wechselwirkung bezeichnet man
als π-Komplex. Sie führt dazu, dass die Bindung im Halogen heterolytisch ge-
spalten wird. Eines der Halogenatome verlässt als Halogenid den Komplex,
das zweite bildet einen σ-Komplex mit den beiden Kohlenstoffatomen der
Doppelbindung. Die positive Ladung ist dann über diese drei Atome deloka-
lisiert. Das Halogenid greift5 nun den σ-Komplex von der dem Halogenatom
gegenüberliegenden Seite aus an und es kommt zur Bildung eines Dihalo-
genalkans. Obwohl aromatische Systeme Doppelbindungen enthalten, finden
hier keine Addtionsreaktionen statt. Dies lässt sich durch die hohe Stabilität
des delokalisierten π-Systems erklären. Eine Addition würde es verkleinern
oder zerstören. Thermodynamisch betrachtet, kann die Energie, die durch die
neuen Bindungen frei wird, nicht die Energie ausgleichen, die zur Zerstörung
des aromatischen Systems benötigt wird.
−
X X X X
X X X
+
X
4
vergleiche Arrhenius-Gleichung. Nicht jeder Stoß führt zur Reaktion. Es kann auch
andere Gründe als mangelnde kinetische Energie dafür geben.
5
chemische Betrachtungsweisen sind manchmal leider nicht besonders pazifistisch. . .
114
5.4.3 Substitutionsreaktionen
Wie der Name bereits verrät (von lateinisch substituere für ersetzen), wird
bei einer Substitutionsreaktion eine funktionelle Gruppe gegen eine andere
getauscht. An dieser Stelle ist es sinnvoll, sich mit der Bedeutung der Begriffe
nucleophil (griechisch φιλία (philia) für Liebe, Freundschaft) und elektrophil 6
vertraut zu machen. Diese beiden Begriffe ergeben sich aus den Teilladungen
der Atome einer polaren Bindung. Das δ+-Atom ist in der Lage Elektronen
zu akzeptieren, also elektrophil, das δ−-Atom hat Elektronen und kann die-
se an einen „Kern“ abgeben, ist also nucleophil. Ein Elektrophil wird sich
also immer mit einem Nucleophil zu einer neuen Bindung zusammentun. In
einem Molekül zu identifizieren, welche Atome nucleophile oder elektrophile
Eigenschaften haben, ist eine wichtige Grundlage, um seine Reaktivität zu
verstehen.
Typische Vertreter für Substitutionsreaktionen sind die nucleophile Sub-
stitution erster und zweiter Ordnung. An ihnen kann man sehr gut sehen, dass
man aus der Reaktionsgleichung keine Rückschlüsse auf die Kinetik einer Re-
aktion ziehen kann. Für beide Reaktionstypen lautet die Reaktionsgleichung:
− + −
Nuδ + R3 C δ Xδ R3 C Nu + X
115
R1
C Nu
R3
R1 − R1 − R2
Nu Nu
−X− +
C X C
R3 R1
R2 R3
R2 Nu C
R3
R2
5.4.3.3 SN 1 versus SN 2
Wenn die grundlegende Reaktionsgleichung für beide Reaktionsordnungen
dieselbe ist, stellt sich direkt die Frage, unter welchen Begingungen welche
Reaktionsordnung bevorzugt wird. Wie wir gesehen haben, kann es besonders
bei chiralen Verbindungen von Interesse sein, die eine oder andere Reakti-
onsordnung vorliegen zu haben.
116
Der entscheidende Ansatzpunkt, den wir haben, um diese Frage zu klären,
ist das Carbokation, das bei der SN 1-Reaktion gebildet wird. Wie können wir
fördern oder verhindern, dass es sich bildet?
Für eine Carbokationbildung ist eine heterolytische Bindungsspaltung nö-
tig. Es ist also wichtig, wie leicht die C–X-Bindung gespalten werden kann. Ist
dies leicht der Fall nennt man X eine gute Abgangsgruppe. Außerdem ist es
notwendig, die entstandenen Ionen durch Solvatation zu stabilisieren. Durch
die Wahl eines polaren Lösungsmittels können wir also eine SN 1-Reaktion
bevorzugen. Eine weitere Möglichkeit Einfluss zu nehmen ist die Wahl der
Reste R. Wenn sie dazu beitragen können, die Ladung zu stabilisieren, macht
dies eine Reaktion erster Ordnung wahrscheinlicher.
5.4.4 Eliminierungsreaktionen
Ganz allgemein versteht man unter Eliminierungsreaktionen (von lateinsich
eliminare für über die Schwelle bringen, entfernen), Reaktionen bei denen
ein Molekülbestandteil abgespalten wird. Eliminierungsreaktionen können
vielfältiger Natur sein, im speziellen meint man meistens ein 1,2- oder β-
Eliminierung. Dabei wird von zwei benachbarten Kohlenstoffatomen je ein
Substituent abgespalten. Zwischen den Kohlenstoffatomen entsteht dann ei-
ne Doppelbindung. Häufig bleibt einer der Substituenten in ionischer Form
zurück und der zweite wird durch eine Base (auch nach Lewis) aufgenom-
men. Auch Eliminierungen können nach Kinetik erster oder zweiter Ordnung
verlaufen.
Y
B− + X X B + + Y−
Y −Y− + −BX
− C
X B X
117
5.4.4.2 β-Eliminierung zweiter Ordnung
Liegt eine Kinetik zweiter Ordnung vor, findet die Abstraktion der Gruppe X
durch die Base und die Abspaltung der zweiten Gruppe Y zeitgleich statt. In
einem Übergangszustand werden die Elektronen durch das Molekül von der
Base aus „weitergereicht“ bis zur Gruppe Y. Dafür ist sowohl ein Basenmo-
lekül als auch ein Alkanmolekül nötig, so dass die Reaktionsgeschwindigkeit
von beiden Konzentrationen abhängig ist, also die Kinetik zweiter Ordnung.
Y + Y− + B X
B− X
• Primäres Carbeniumion
• Sekundäres Carbeniumion
• Tertiäres Carbeniumion
CH2 CH3
a) H3 C CH
+ +
CH2 CH2
b) H3 C CH2
+
C
c) H3 C CH3
CH3
159. Welches sind die Einflussfaktoren auf nucleophile Substitutionsreaktio-
nen?
a) . . . SR 2-Reaktion.
b) . . . SN 2-Reaktion.
118
c) . . . SN 1-Reaktion.
d) . . . AN 2-Reaktion.
e) . . . AN 1-Reaktion.
161. Die Reaktionsgeschwindigkeit hängt nur von der Konzentration des Al-
kylhalogenids ab. Es handelt sich um eine. . .
a) . . . SR 2-Reaktion.
b) . . . AN 1-Reaktion.
c) . . . SN 2-Reaktion.
d) . . . AN 2-Reaktion.
e) . . . SN 1-Reaktion.
a) . . . SR 2-Reaktion.
b) . . . AN 1-Reaktion.
c) . . . SN 2-Reaktion.
d) . . . AN 2-Reaktion.
e) . . . SN 1-Reaktion.
163. Welche Produkte entstehen bei der Eliminierung von Wasser aus Butan-
1-ol und Butan-2-ol?
164. Warum greift das Halogenid-Ion den σ-Komplex von der Rückseite her
an?
a) Das ist eher Zufall und hängt davon ab, wie die Moleküle aufein-
ander treffen.
b) An der Vorderseite steht nicht genug Platz zur Verfügung.
c) Nach der Spaltung des Brom-Moleküls nähert sich das Bromid-Ion
automatisch der Rückseite eines weiteren σ-Komplexes.
119
Anhang
A Experimentelles
A.1 zum Atommodell von Rutherford
Geiger und Marsden bestrahlten eine sehr dünne Goldfolie mit α-Strahlung
und beobachten, dass der Großteil der Strahlung die Folie ungehindert pas-
sieren konnte. Durch diese Beobachtung konnten Theorien widerlegt werden,
die eine gleichmäßige Verteilung der Masse im Atom vorschlugen, da in die-
sem Falle ein Durchdringen der Goldfolie durch die α-Teilchen nicht möglich
wäre. Aus der Intensitätsverteilung, die Rutherford et al.7 mittels eines
photographischen Filmes bestimmt hatten (siehe Abbildung 1), konnten sie
folgern, dass der Großteil der Masse des Atoms auf einen kleinen Raumkon-
zentriert sein muss.
120
aparative Veränderungen konnte man dann auf diesem Weg auch das Pro-
ton als Atombestandteil identifizieren. Man untersuchte die Ablenkung der
so getrennten Atombestandteile in einem weiteren elektrischen oder einem
magnetischen Feld und konnte so das Verhältnis von Ladung zu Massen von
Proton und Elektron bestimmen. Nun fehlte nur noch der Werte der Ladung
um die Massen der Elementarteilchen zu berechnen.
Diese konnte Robert Andrew Millikan in seinem berühmten Öltröpfchen-
Experiment bestimmen. Dafür wird ein Aerosol aus Öltropfen in ein elektri-
sches Feld gebracht. Durch Röntgenstrahlung werden die Tröpfchen ionisiert
und dann ihre Bewegungsgeschwindigkeit in Richtung der Pole des Feld be-
stimmt. Aus den Bewegungsgeschwindigkeiten kann dann die Ladung der
Tröpfchen bestimmt werden. Aufgrund ihrer geringen Größe tragen sie nur
wenige Elementarladungen und aus den Ladungen der einzelnen Tropfen kann
man dann auf den größsten gemeinsamen Teiler, die Elementarladung, schlie-
ßen.
Mit Proton und Elektron allein konnten die Massen der meisten Atome
nicht zufriedenstellend erklärt werden und man postulierte das Neutron, des-
sen Existenz James Chadwick durch Beschuss von Beryllium mit α-Teilchen
belegen konnte.
121
h und c sind Konstanten, die Planckkonstante und die Lichtgeschwindigkeit
im Vakuum.
Wenn wir nun beobachten, welche Wellenlänge die abgestahlte oder ab-
sorbierte Strahlung eines Atoms hat, können wir sagen, um welchen Betrag
∆E sich die Energie unseres Elektrons verändert hat. Damit erhalten wir die
Information, wie weit der Anfangs- und Endzustand des Elektrons energe-
tisch gesehen auseinander liegen.
Ist ∆E positiv absorbiert das Atom Strahlung, ist es negativ emmitiert es.
Wir haben jetzt also einen Zusammenhang zwischen den verschiedenen Ener-
giezuständen eines Elektrons und der Wellenlänge von absorbierter oder aus-
gesandter Strahlung.
An Stelle eines kompletten Regenbogens findet man genau vier scharfe
Linien im optischen Spektrum des Wassestoffs9 . Wie haben also nur vier10
verschiedene Werte die ∆E annimmt, dass heißt, dass maximal acht ver-
schiedene Energiezustände, die unser Elektron einnehmen kann. Genauere
Untersuchungen haben gezeigt, dass es fünf sind: eine gemeinsamer Grund-
zustand und vier verschiedene angeregte Zustände. Entscheidend ist an dieser
Stelle nicht die genaue Anzahl der Zustande, sondern die Erkenntnis, dass
ihre Anzahl beschränkt ist! Wir erinnern uns, dass das Modell von Ruther-
ford unendlich viele vorhersagt. Das Modell von Bohr hingegen gibt nicht
nur qualitativ richtig wieder, dass die Zahl der Energiezustände endlich ist,
sondern kann auch ihre energetische Abstände richtig vorhersagen. Die rote
Linie im Spektrum kann z. B. dem Übergang des Elektron vom Zustand mit
der Quantenzahl n = 3 nach n = 2 oder umgekehrt zugeordnet werden.
B Mathematisches
Die Sprache der Wissenschaft ist die Mathematik11 . Die Mathematik genießt
zu Unrecht den Ruf kompliziert und unverständlich zu sein. Wenn man einmal
verstanden hat, worum es geht, ist es tatsächlich so trivial wie Mathematiker
gerne behaupten. Leider sind Menschen, die Mathematik wirklich verstanden
haben, meiner Erfahrung nach häufig schreibfaul und führen gerne (zu) viele
9
analoge Untersuchung sind natürlich auch an anderen Elementen möglich, hier sind
die Spektren aber komplizierter, so dass man sich zunächst die einfachen Probleme vorge-
nommen hat. Stichwort: Mehrelektronensysteme
10
im sichtbaren Bereich, das komplette Spektrum erstreckt sich vom IR- über den opti-
schen bis zum UV-Bereich.
11
. . . und schlechtes Englisch.
122
Operationen von einer Zeile zur nächsten durch, was es nicht unbedingt ein-
fach macht ihren Gedanken zu folgen. Im folgenden habe ich mich bemüht,
Umformungen ausgiebig zu erläutern und möglichst nur eine von Zeile zu
Zeile vorzunehmen.
. . . und um gleich zu beruhigen: ja, dieser Abschnitt geht über Schulwissen
hinaus!
Verwendet für die Beschreibung werden Formeln aus der klassischen Mecha-
nik nach Newton. Die Zentrifugalkraft, die auf das Elektron wirkt, kann
aus seiner Masse me− , seiner Geschwindigkeit ve− und dem Bahnradius r
bestimmt werden.
ve2− · me−
FZF = (4)
r
Die elektrostatische Anziehungskraft kann aus dem Abstand der beiden La-
dungen, hier also dem Bahnradius des Elektrons r und der Größe der Ladun-
gen, hier jeweils die Elementarladung e mit entgegengesetzten Vorzeichen,
bestimmt werden. Außerdem benötigen wir die Konstante 0 , die Dielektri-
zitätskonstante des Vakuums.
−e2
FEl = (5)
4π0 · r2
Setzen wir Gleichung 4 und 5 in Gleichung 3 ein, erhalten wir:
123
Diese Gleichung werden wir gleich benutzen, um zu bestimmen, was von
eigentlichem Interesse ist, nämlich die Energie des Elektrons Ee− . Sie setzt
sich aus der kinetischen Energie Ekin und der potentielle Energie Epot des
Elektrons zusammen:
−e2
Epot = (9)
4π0 · r
Mit Gleichung 8 und 9 in Gleichung 7 eingesetzt, erhalten wir folgende Be-
schreibung der Energie des Elektrons:
1 −e2
Ee− = ve2− · me− + (10)
2 4π0 · r
Den Term ve2− · me− können wir gemäß der oben hergeleiteten Beziehung für
die Bahnstabilität (Gleichung 6) substituieren und erhalten:
1 e2 −e2
Ee− = · +
2 4π0 · r 4π0 · r
e2
1
= −1 ·
2 4π0 · r
2
1 e e2
=− · =− (11)
2 4π0 · r 8π0 · r
Dieser antiproportionale Zusammenhang zwischen Energie des Elektrons und
seinem Bahnradius entspricht den Erwartungen der klassischen Mechanik.
Da r jedoch beliebige Werte annehmen kann, sind auch die Werte von Ee−
beliebig. Damit ist auch die Absorption von Energie in beliebigen Mengen
möglich (beliebige Energiedifferenzen), folglich müsste man also ein kontinu-
ierlichen Absorptionsspektrum beobachten. Dies ist aber nicht der Fall (siehe
Abschnitt A.2).
Nach dem Verständnis der klassischen Elektrodynamik sollte ein gelade-
nes Teilchen auf einer Kreisbahn elektromagnetische Strahlung abgeben und
damit kinetische Energie. Es sollte nach Vorstellung der Elektrodynamik auf
124
einer spiralförmigen Bahn sich dem Kern nähern und schließlich in ihn stür-
zen. Permanente Strahlungsabgabe wird jedoch nicht beobachtet.
Um diese Probleme des Rutherford’schen Modells zu beheben, pos-
tulierte Bohr Bahnen auf denen sich das Elektron strahlungsfrei bewegen
kann. Dabei soll der Drehimpuls eines Elektrons dem natürlichzahligen Viel-
fachen n des Planck’sche Wirkungsquantums 13 ~ bzw. h/2π (eine Naturkon-
stante h = 6, 6262 · 10−34 J s) entsprechen.
! h
ve− · me− · r = n · ~ = n · (12)
2π
Löst man diese Gleichung nach ve− auf erhält man:
n·h
ve− = (13)
2π · me− · r
Durch Einsetzen dieser Beschreibung von ve− in die Bahnstabilitätsbedingung
(Gleichung 6) erhalten wir dann folgende Beziehung:
2
e2
n·h
· me− = (14)
2π · me− · r 4π0 · r
Diese können wir nun nach r auflösen und erhalten eine Beschreibung für
die Radien der Bahnen, auf denen sich das Elektron strahlungsfrei bewegen
kann.
n2 · h2 e2
· m e − = ⇔
4π 2 · m2e− · r2 4π0 · r
n2 · h2 · me− · 4π0 r2
= ⇔
4π 2 · m2e− · e2 r
n2 · h2 · 0
=r (15)
π · me− · e2
Schließlich können wir r in unsere Beschreibung für die Energie des Elektrons
(Gleichung 11) einsetzen und erhalten:
e2 e2 · π · me− · e2 e4 · me−
Ee− = − n2 ·h2 ·0
=− = − (16)
8π0 · π·me− ·e2
8π0 · n2 · h2 · 0 820 · n2 · h2
125
B.2 zur Ionischen Bindung
Das Coulomb’sche Gesetz zur Beschreibung elektrostatischer Anziehung ist
uns in Abschnitt B.1 schon in spezieller Aufstellung begegnet. Allgemein
lautet es:
q1 · q2
FEl = (17)
4π · 0 · r2
q1 und q2 sind dabei die Ladungen, deren Wechselwirkung betrachtet werden
soll, r ihr Abstand und ist die Dielektrizitätskonstante des Mediums, in dem
sich die Ladungen befinden (eine Materialkonstante, für das Vakuum gleich
1). 0 ist die Dielektrizitätskonstante des Vakuums (eine Naturkonstante).
Wird FEl negativ, handelt es sich um eine anziehende, bei positiven Werten
um eine abstoßende Wechselwirkung der Ladungen. Im Rahmen chemischer
Betrachtungen werden die beiden Ladungen q1 und q2 häufig als Produkt der
Elementarladung e und der Ladungszahlen der Ionen auftauchen:
q =z·e (18)
Dies ist auch bei der Aufstellung des Coulomb’schen Gesetzes in Gleichung 5
der Fall. Ebenso entfällt häufig, da auf atomarer Ebene keine Medium zwi-
schen den Ladungen vorhanden ist (siehe auch Zitat von Λευκιππος und
Δημοκριτος Seite 11). Da der Abstand r die einzige Größe ist, die die räum-
liche Anordnung der Ladungen beschreibt, ergibt sich aus dieser Gleichung,
dass die elektrostatische Kraft richtungsunabhängig sein muss und mit gerin-
gerwerdendem Abstand zunimmt (r steht im Nenner, bitte gerne mit Zahlen
ausprobieren!). Dies beobachtet man auch tatsächlich.
d[A]
v=− = k1 · [A] (20)
dt
126
In vielen Fällen ist aber viel interessanter zu welchem Zeitpunkt welche Kon-
zentration vorliegt. Wir benötigen also eine Gleichung, in der t und [A] an-
stelle von dt und d[A] auftauchen. Für die Umformung in die gewünschte
Form beginnen wir zunächst damit die Variablen zu trennen, das heißt, alle
Terme die [A] enthalten, auf eine Seite des Gleichheitszeichens und alle die t
enthalten auf die andere zu bringen:
1
− · d[A] = k1 · dt (21)
[A]
Nun können wir für jede Größe getrennt integrieren, um uns dt und d[A] zu
entledigen. Als Grenzen wählen wir die Anfangskonzentration [A]0 und die
aktuelle Konzentration [A], sowie den dazugehörigen Beginn der Reaktion
bei t = 0 und die aktuell verstrichene Zeit t:
Z [A] Z t
1
− · d[A] = k1 dt (22)
[A]0 [A] 0
Diese Form der Darstellung ist bereits sehr nützlich, da wir nun einen linea-
ren Zusammenhang zwischen ln [A] und t haben, das heißt, wir erhalten als
graphische Darstellung eine Gerade, aus deren Steigung wir k1 bestimmen
können. Um die Konzentration von A selbst bestimmen zu können, müssen
wir nun abschließend exponentieren.
B.4 zu Redox-Reaktionen
Ausgleichen einer Reaktionsgleichung
Da das korrekte Aufstellen und Ausgleichen von Reaktionsgleichungen wich-
tiges Handwerkszeug für eine(\B|n) Chemiker(\B|in) ist14 , soll hier ein Bei-
spiel detailliert vorgestellt werden. Wir wollen und die Reaktion von Iodid
14
außerdem sind es billige Punkte in Klausuren!
127
mit Permangant zu Iod und Mangan(II) in saurer, wässriger Lösung näher
ansehen.
Beginnen wir mit einer Bestandsaufnahme. Was haben wir vor der Re-
aktion, was danach und welche Oxidationszahlen haben die Atome jeweils
vorher und nachher?
• vorher:
−I +VII −II +I
I− , Mn O−
4, H
+
• nachher:
±0 +II
I2 , Mn2+
Wir stellen fest, dass das Iodatom Elektronen abgegeben hat, ist also oxi-
diert worden, Mangan hat Elektronen aufgenommen, ist also reduziert wor-
den. Außerdem können wir den Verbleib von Proton und Sauerstoff nicht
eindeutig klären. Die Elementkombination Wasserstoff und Sauerstoff legt
aber nahe, die Bildung von Wasser anzunehmen. Der nächste Schritt ist die
Teilgleichungen für Oxidation und Reduktion zu formulieren:
−I ±0
I− −→ I2 + 2 e− Oxidation
+VII −II +II
Mn O− 4 + 5 e− −→ Mn 2+
Reduktion
Um auf beiden Seiten der Gleichung dieselbe Zahl an Iodatomen zu haben
muss links der stöchiometrische Faktor 2 ergänzt werden. Auch in der Re-
duktionsgleichung stimmt die Stoffbilanz nicht. Wir können sie korrigieren,
in dem wir auf unser letztes Edukt H+ zurückgreifen und Wasser bilden.
−I ±0
2 I− −→ I2 + 2 e− Oxidation
+VII −II +II
Mn O− 4 + 5 e− + 8 H+ −→ Mn 2+
+ 4 H2 O Reduktion
Wenn wir nun die Zahl der Elektronen in den Teilgleichung betrachten, stellen
wir fest, dass sie verschieden sind. Um eine ausgeglichene Elektronenbilanz
zu bekommen, müssen wir das kleinste gemeinsame Vielfache der Elektro-
nenzahl der Teilgleichungen finden. Für 2 und 5 ist das leicht gemacht: wir
werden insgesamt 10 Elektronen übertragen. Das heißt, wir müssen jetzt bei-
de Teilgleichungen mit einem passenden Faktor multiplizieren, um auf 10
Elektronen zu kommen.
−I ±0
2 I− −→ I2 + 2 e− |·5
+VII −II +II
Mn O− 4 + 5 e− + 8 H+ −→ Mn 2+
+ 4 H2 O |·2
128
Jetzt ist sowohl die Stoff- als auch die Elektronenbilanz ausgeglichen:
−I ±0
10 I− −→ 5 I2 + 10 e−
+VII −II +II
2 Mn O− − +
4 + 10 e + 16 H −→ 2 Mn
2+
+ 8 H2 O
Im nächsten Schritt addieren wir beide Teilgleichungen zu einer Gesamtglei-
chung:
−I ±0
10 I− −→ 5 I2 + 10 e−
+VII −II +II
2 Mn O− −
4 + 10 e + 16 H
+
−→ Mn2+ + 8 H2 O
−I +VII −II ±0 +II
10 I− + 2 Mn O− − + −
4 + 10 e + 16 H −→ 5 I2 + 10 e + 2 Mn
2+
+ 8 H2 O
Auf beiden Seiten der Gleichung tauchen unsere 10 Elektronen auf und wir
können sie „kürzen“. Damit sind wir für die meisten Zwecke dann fertig. Prak-
tisch wird es uns aber schwer fallen einen Kolben in dem nur Iodid- oder
Permanganationen zu finden sind. Wir brauchen also für eine wirklich aus-
geglichene Reaktionsgleichung noch ein paar beliebige nicht an der Reaktion
beteiligte Kationen und Anionen. Warum also nicht Kalium und Chlorid?
Unsere vollständig ausgeglichene Reaktionsgleichung lautet dann:
129
C Physikalische Daten
Tabelle 5: Standardbildungsenthalpien
Formel Zustand ∆H0f /kJ/mol Formel Zustand ∆H0f /kJ/mol
Al2 O3 s −1676 H g 218
AlF3 s −1504 H2 O g −242
HBr g −36 H2 O l −286
C(Graphit) s 0 H2 O s −292
C(Diamant) s 1, 9 HI g 26
CO g −111 KCl s −436
CO2 g −393 KBr s −392
CaO s −635 KI s −329
Ca(OH)2 s −986 NH3 g −46
CaSO4 s −1434 NO g 90
CaCO3 s −1207 NO2 g 33
HCl g −92 O g 249
HF g −271 O2 g 0
130
Tabelle 6: Löslichkeitsprodukte. Angaben in mola+b/la+b .
Aa B b L A a Bb L Aa B b L
Halogenide Sulfide Sulfate
MgF2 6 · 10−9 SnS 1 · 10−26 CaSO4 2 · 10−5
CaF2 2 · 10−10 PbS 3 · 10−28 SrSO4 8 · 10−7
BaF2 2 · 10−6 MnS 7 · 10−16 BaSO4 1 · 10−9
PbF2 4 · 10−8 NiS 1 · 10−21 PbSO4 2 · 10−8
PbCl2 2 · 10−5 FeS 4 · 10−19 Hydroxide
PbI2 1 · 10−8 CuS 8 · 10−45 Be(OH)2 3 · 10−19
CuCl 1 · 10−6 Ag2 S 5 · 10−51 Mg(OH)2 1 · 10−12
CuBr 4 · 10−8 ZnS 1 · 10−24 Ca(OH)2 4 · 10−6
CuI 5 · 10−12 CdS 1 · 10−28 Ba(OH)2 4 · 10−3
AgCl 2 · 10−10 HgS 2 · 10−54 Al(OH)3 2 · 10−33
AgBr 5 · 10−13 Carbonate Pb(OH)2 4 · 10−15
AgI 8 · 10−17 Li2 CO3 2 · 10−3 Mn(OH)2 7 · 10−13
AgCN 2 · 10−11 MgCO3 3 · 10−5 Cr(OH)3 7 · 10−31
Hg2 Cl2 2 · 10−13 CaCO3 5 · 10−9 Ni(OH)2 3 · 10−17
Hg2 I2 1 · 10−23 SrCO3 2 · 10−9 Fe(OH)2 2 · 10−15
Chromate BaCO3 2 · 10−9 Fe(OH)3 5 · 10−38
BaCrO4 8 · 10−11 Pb2 CO3 3 · 10−14 Cu(OH)2 2 · 10−19
PbCrO4 2 · 10−14 Zn2 CO3 6 · 10−11 Zn(OH)2 2 · 10−17
Ag2 CrO4 4 · 10−12 Ag2 CO3 6 · 10−12 Cd(OH)2 2 · 10−14
131
Tabelle 7: Säurekonstanten
pKS Säure H+ + Base pKB
∼ −10 HClO4 H+ + ClO− 4 ∼ 24
∼ −10 HI H+ + I− ∼ 24
∼ −9 HBr H+ + Br− ∼ −23
∼ −6 HCl H+ + Cl− ∼ 20
∼ −3 H2 SO4 H+ + HSO− 4 ∼ 17
−1, 74 H3 O+ H+ + H2 O 15, 74
−1, 32 HNO3 H+ + NO− 3 15, 32
0, 17 CH(NO3 )3 H+ + [C(NO3 )3 ]− 13, 93
1, 92 HSO− 4 H+ + SO2−
4 12, 08
1, 96 H3 PO4 H+ + H2 PO− 4 12, 04
2, 22 [Fe(H2 O)6 ]3+ H+ + [Fe(H2 O)5 OH]2+ 11, 78
3, 14 HF H+ + F− 10, 86
H+ CH3 COO−
Säure wird stärker
4, 76 CH3 COOH + 9, 24
132
Tabelle 8: Standardpotentiale. H+ |H2 ist als Referenz als Null definiert.
reduzierte Form oxidierte Form E0 /V
Li Li+ + 1 e− −3, 04
K K+ + 1 e− −2, 92
Ca Ca2+ + 2 e− −2, 87
Na Na+ + 1 e− −2, 71
Al Al3+ + 3 e− −1, 68
Mn Mn2+ + 2 e− −1, 19
Zn Zn2+ + 2 e− −0, 78
S2− S + 2 e− −0, 48
reduziernde Wirkung nimmt zu
133
Abbildung 1: Schematische Darstellung des Experimentes von Rutherford
et al. . schwarz : Atomhülle, rot: Atomkerne, blau: α-Strahlung.
Abbildung 2: Das optische Spektrum des Wasserstoffs zeigt vier scharfe Li-
nien und kein Kontinuum.
134